ARBEIT UND RHYTHMUS
Dr. KARL BÜCHER, ZWEITE, STARK VERMEHRTE AUFLAGE
LEIPZIG, DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.
ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.
MEINER LIEBEN FRAU GEWIDMET.
I.
Die Arbeitsweise der Naturvölker. (I)
Die
Arbeitsweise der Naturvölker. 2
Die
Arbeitsweise der Naturvölker.
II. Rhythmische Gestaltung der Arbeit (24)
IV. Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge (60)
1.
Einzelarbeit und gesellige Arbeit
b)
Gewinnung und Zubereitung der Spinnstoffe (77)
c)
Spinnen, Weben, Klöppeln, Flechten.
d)
Hauswirthschaftliches (102)
2.
Arbeiten im 'Wechseltakt (130)
3.
Arbeiten im Gleichtakt. (142)
a)
Beim Heben oder Tragen von Lasten.
b)
Beim Emporziehen von Lasten (158)
c)
Beim Fortziehen oder Schieben schwerer Gegenstände (172)
V. Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten
grösserer Menschenmassen (195)
VI. Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.
VII. Der Ursprung der Poesie und Musik.
VIII Frauenarbeit und Frauendichtung.
IX. Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungs-princip.
I. Die Arbeitsweise der Naturvölker I
II. Rhythmische Gestaltung der Arbeit 24
III. Arbeitsgesänge 41
IV. Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge 60
1. Einzelarbeit und gesellige Arbeit 60
a. Zur Handmülile 60
b. Gewinnung und Zubereitung der Spinnstoffe .... 77
c. Spinnen, Weben, Klöppeln, Flechten 88
d. Hauswirthschaftliches '. 102
e. Handwerkslieder 109
f. Beim Pflücken 114
g. Aus andern Gebieten 122
2. Arbeiten im Wechseltakt 130
3. Arbeiten im Gleichtakt 142
a. Beim Heben oder Tragen von Lasten 143
b. Beim Emporziehen von Lasten 158
c. Beim Fortziehen oder Schieben schwerer Gegenstände 172
d. Beim Rudern 180
e. Schlussbemerkungen 191
V. Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammen-
halten grösserer Menschenmassen 195
1. Afrikanische Volker 200
2. Chinesen und andere Ostasiaten ' . . 204
3. Georgier 210
4. Südslaven 224
5. Russen 230
6. Esten und Letten 234
7. Aus deutschem Sprachgebiet 242
Schlussbemerkung 247
VI. Gesang mit andern Arten der Körperbewegung .... 250
VII. Der Ursprung der Poesie und Musik 299
VIII. Frauenarbeit und Frauendichtung 338
IX. Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip . 357
Anhang (Bootgesänge) 384
Nachträge 403
Register 406
Als ich vor wenig mehr als zwei Jahren die erste
Auflage dieser Schrift in den Abhandlungen der
Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften
veröffentlichte, handelte es sich um eine Anregung.
Bei Gelegenheit einer Untersuchung über die älteren
Formen der Arbeitsvereinigung und Arbeitsgemein-
schaft hatte sich mir eine Reihe von Beobachtungen
aufgedrängt, deren ich auf dem Wege einer rein
ökonomischen Untersuchung nicht vollständig hatte
Herr werden können, da sie einerseits nach dßm Ge-
biete der Physiologie und Psychologie, anderseits
nach dem der Sprachwissenschaft und Musik hinüber-
leiteten und na-mentlich für die Geschichte der Poesie,
speziell der Metrik, wichtig zu werden versprachen.
Ich hielt es zunächst für nicht rathsam, mich auf Ge-
biete zu wagen, auf denen ich aus Mangel der er-
forderlichen Fachkenntnisse Gefahr lief, alsbald zu
straucheln. Auf der andern Seite erschien es mir
als Pflicht, alles vorhandene Material, das mir er-
reichbar war, zu sammeln und mit diesem die Unter-
suchung so weit zu führen, dass sie von den in Be-
tracht kommenden Fachwissenschaften übernommen
und weiter verfolgt werden könnte. Immerhin hatte
mich hierbei mein Weg bis zur Aufstellung einer
neuen Theorie über die Entstehung der Poesie und
der Musik geführt.
Nachdem die Schrift in überraschend kurzer Zeit
vergriffen war, trat an mich die Frage der Veran-
staltung einer neuen Auflage heran.. Die Frage war
nicht leicht zu entscheiden. Der Zweck der Anregung
fremder Fachdisciplinen , den ich allein bei Heraus-
gabe der Arbeit verfolgt hatte, schien genügend er-
füllt. Allein es war mir inzwischen viel neues werth-
voUes Material in die Hand gewachsen, und ich hatte
auch manches, was ich bei der alten Auflage als
nicht genügend ausgereift bei Seite hatte liegen
lassen, so weit gefördert, dass es ohne Bedenken ver-
öffentlicht werden konnte. Endlich schien der Gegen-
stand geeignet, weitere Kreise von Gebildeten zu
interessieren. So habe ich mich zu einer durchgrei-
fenden Umarbeitung einzelner Theile und zur Ein-
fügung mehrerer neuer Abschnitte entschlossen, die
einerseits den Gegenstand nach der ökonomischen
Seite weiter aufhellen, anderseits in die ältere
Geschichte der Volksdichtung tiefer eindringen
wollen.
Die Untersuchungen, welche ich hier vorlege^
wandeln durchweg auf noch unbetretenen Pfaden,
Dies legte mir die Verpflichtung auf, das Urmaterial,
auf welches sich die Beweisführung zu stützen hat,
so vollständig als möglich und, soweit thunlich, auch
in seiner ursprünglichen Gestalt mitzutheilen. Da
die Zahl der Liederbeispiele in der neuen Auflage
auf das Dreifache vermehrt worden ist und ausser-
dem, soweit als möglich, Melodien beigegeben sind,
so dürfte nunmehr der Stoff für die weitere wissen-
schaftliche Behandlung in genügender Menge vor-
liegen. Es wäre für mich und, wie ich nicht zweifle,
auch für einen Theil der Leser bequemer gewesen,
wenn ich, statt die Quellenbelege einzeln im Wort-
laut vorzuführen, eine zusammenfassende Bearbeitung
derselben hätte geben dürfen; aber eine solche hätte
die Gefahr mit sich gebracht, dass die Original-
beobachtungen gerade in ihren charakteristischen
Zügen verwischt und ihre wissenschaftliche Weiter-
benutzung erschwert worden wäre. Man wird mir,
hoffe ich, die vielen Anführungszeichen und auch
einzelne Wiederholungen in den Citaten leichter ver-
zeihen, als man mir die Unsicherheit einer ungenauen
Wiedergabe fremder Beobachtungen verziehen haben
würde.
Bei der Sammlung des Materials und der Ueber-
setzung der Texte habe ich mich auch diesmal viel-
seitiger Unterstützung sowohl von Kollegen und Mit-
gliedern meines Seminars als auch sonst von Lesern
der ersten Auflage zu erfreuen gehabt. Soweit das so
Dargebotene benutzt werden konnte, sind die freund-
lichen Spender in den Anmerkungen namhaft gemacht
worden. Ebenso habe ich bei der Auswahl der
Musikstücke, bei der Korrektur und der Anfertigung
des Registers bereitwillige Hülfe gefunden. Es ist
mir Bedürfniss, allen, die mir und meiner Arbeit so
ihr Wohlwollen bewiesen haben, auch an dieser
Stelle herzlichen Dank zu sagen.
Leipzig, den 30. Mai 1899.
Karl Bücher.
Obwohl die Arbeit den Ausgangspunkt aller wirth-
schaftlichen Erscheinungen bildet, so ist doch ihr
Wesen bis jetzt von den Nationalökonomen nur selten
einmal gründlicher untersucht worden. Die meisten
behandeln sie wie eine absolute ökonomische Kategorie
und meinen schon ein Uebriges gethan zu haben, wenn
sie auch auf ihre psychologische und socialethische
Seite eingehen. Sie suchen sie dann begriiFlich von
andern Arten menschlicher Thätigkeit (Spiel, Sport,
Kunstübung, Körperbewegung aus Gesundheitsrück-
sichten u. dgl.) zu trennen und finden den Unterschied
meist in dem verschiedenen Zweck dieser Thätigkeiten.
Arbeit soll nur die auf die Erzielung eines ausser
ihr gelegenen nützlichen Erfolgs gerichtete Bewegung
sein; alle Bewegungen dagegen, deren Zweck in ihnen
selbst liegt, sollen nicht Arbeit sein. Ob die Grenze
hier für das Dasein der Kulturmenschen richtig ge-
zogen ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls haben
wir die Empfindung, dafs die Arbeit etwas Besonderes,
von allen andern Arten menschlicher Bethätigung
Unterschiedenes und Unterscheidbares ist. Aber es
scheint noch kaum einmal die Frage aufgeworfen
worden zu sein, ob denn auf allen Stufen mensch-
licher Entwicklung eine solche Grenze zwischen Arbeit
Bücher, Arbeit and Rhythmus. I
2 Erster Theil:
und anderweiter Thätigkeit zu ziehen ist und ob nicht
vielleicht auch ihr Wesen im Laufe der Zeit Wande-
lungen unterworfen gewesen ist.
Man spricht freilich neuerdings viel von der zuneh-
menden Intensität der Arbeit; aber man versteht dar-
unter doch bloss das wechselnde Verhältniss der Ar-
beitsmenge zur Arbeitszeit, betrachtet also die Arbeit
als eine qualitativ feststehende, zu allen Zeiten gleich-
artige Grösse, die sich messen und summiren lässt
und von der die Menschen bald mehr bald weniger
in eine Zeiteinheit zusammendrängen. Und die gleiche
Auffassung liegt dem Begriffe der gesellschaftlich
nothwendigen Arbeit oder Arbeitszeit zu Grunde.
Auch, wenn man im Zusammenhang damit das phy-
siologische Moment der Arbeit, das allerdings früher
arg vernachlässigt wurde, jetzt mehr hervorkehrt^),
so hat das doch ebenfalls nur den Sinn, dass man
es mit einer zwar geistig bedingten, aber doch an
sich unveränderlichen körperlichen Funktion zu thun
zu haben glaubt.
Bei dieser Anschauung schien sich die ganze
Aufgabe des historisch verfahrenden Forschers darauf
beschränken zu können, die gesellschaftliche Organi-
sation der Arbeit in ihren geschichtlich wechselnden
Formen klar zu legen, und wenn er recht gründlich
zu Werke gehen wollte, so Tyarf er etwa noch die
Frage auf, wie die Arbeit ursprünglich in die Welt
gekommen sei. Man beantwortete sie in der Weise,
dass man überall die wirthschaftliche Entwicklung
mit einem Zustande beginnen Hess, in welchem die
I) Vgl. Leo von Buch, Intensität der Arbeit, Werth und Preis
der Waaren. Leipzig 1896.
Arbeit verabscheut und lediglich als Last empfunden
werde. Für diese Annahme konnte man sich mit
gutem Grunde darauf berufen, dass in verschiedenen
Sprachen die Ausdrücke für Arbeit {jiövog^ labor,
travail, das mittelhochdeutsche arbeit) ursprünglich
den Sinn von Noth, Mühsal, Plage gehabt haben ^).
Und die Ethnographie schien diesen sprachgeschicht-
lichen Beweis zu bestätigen, indem sie die Arbeits-
scheu als einen hervorstechenden Charakterzug roher
Naturvölker bezeichnete und mit zahlreichen Zeugnissen
namhafter Beobachter vonTacitus bis auf den jüngsten
Afrikareisenden belegte'^. »Paresse et sauvagerie
sont synonymes«. »Ihr höchstes Glück ist der Müssig-
gang«; »sie hassen jede Art der Arbeit«. Nur die
dringendste Noth oder der härteste Zwang bringt sie
zu einer widerwillig verrichteten Thätigkeit, und auch
dies nur, wenn andere Mittel der Bedürfnissbefriedigung
versagen.
Von diesem Ausgangspunkte, dem horror laboHs,
ausgehend, hat man dann einige weit verbreitete
socialgeschichtliche Erscheinungen zu erklären ver-
sucht, wie das Vorkommen von ganzen Räubervölkern,
die Sklaverei, den Brautkauf, die Ueberlastung der
Frauen auf den primitiven Stufen der Kultur. Der
Starke, meinte man, zwinge den Schwachen, für ihn
zu arbeiten, indem er ihm mit gewaffneter Hand
i) Vgl. G, CoHN, System der Nationalökonomie, I. S. 195 —
übrigens der einzige mir bekannte Versuch, der den in diesem Ab-
schnitt verfolgten Gesichtspunkten einigermassen Rechnung trägt.
2) Vgl. z. B. W. Schneider, Die Naturvölker, I. S. 254 f.;
LipPERT, Kulturgeschichte der Menschheit, I. S. 38; P. Lafargue,
Le droit ä la paresse, Paris 1883 und jetzt auch G. Ferrero in der
Revue
scientifique 4« S^rie, Tome 5 (1896), S. 231 fF.
A Erster Theil:
das Seine nehme oder ihn seiner Gewalt unterwerfe,
um sich seine Korperkräfte dauernd dienstbar zu
machen. Die Frau sei bei rohen Völkern blosses
Arbeitsthier; darnach werde sie allein gewerthet und
erlange einen Preis auf dem Markte. Die Institution
der Sklaverei sei eines der wichtigsten »Erziehungs-
mittel der Menschheit«.
Das scheint alles einleuchtend, und doch hat
diese Konstruktion schlimme Lücken. Ist unüber-
windliche Faulheit der Menschen ältestes Erbtheil,
wie konnten sie dann überhaupt sich über die Existenz
des früchtesammelnden und wurzelgrabenden Thieres
emporheben? Räubervölker fanden nichts zu rauben,
wenn nicht andere Völker arbeiteten und Vorräte an-
legten. Und was die erzieherische Rolle der Sklaverei
betrifiFt, so pflegen wir doch sonst als Grundbedingimg
jeder erfolgreichen Erziehung die anzusehen, dass
der Erzieher selbst die Eigenschaften besitzt, welche
er in andern erwecken soll. Gewiss hat die Sklaverei
erfahrungsgemäss die Wirkung, dass sie die Arbeit
der Verachtung anheimgiebt, den Herrenstand selber
aber faul macht. Aber soweit die Geschichte reicht,
sehen wir sie doch überall mit einem Zustand be-
ginnen, in dem Herr und Knecht gleichmässig sich
an der Arbeit betheiligen, wenn auch die fernere
Entwicklung die Last der Arbeit dem letzteren, den
Genuss ihrer Früchte dem ersteren zuweist.
Wir müssen darnach den Versuch, die Entstehung
und erste Entwicklung der Arbeit an ihr Gegenstück,
die »angeborene Trägheit« des Menschen, anzuknüpfen,
als misslungen ansehen. Es handelt sich hier in der
That um eine fable convenue, und wenn wir die
zuverlässigeren Beobachter des Lebens der Natur-
Völker genauer befragen, so finden wir, dass dieselbe
auf eine durchaus unzulässige Uebertragung der social-
ethischen Vorstellungen unserer Kulturwelt zurück-
geht. »Der Naturmensch leistet, im Ganzen genommen,
oft ein nicht geringeres Maass von Arbeit als der
Kulturmensch; aber er leistet sie nicht in regelmässiger
Weise, sondern gewissermassen sprungweise und
launenhaft. . . . Die angespannte, regelmässige Arbeit,
das ist es, was der Naturmensch scheut«^). Den
Eindrücken des Augenblicks gehorchend gewährt er
eher das Bild der Vielgeschäftigkeit; aber es scheint
ihm nicht ernst mit seinem Thun; er kennt keinen
Unterschied zwischen Spiel und Arbeit, nützlicher
und unterhaltender Thätigkeit.
Folgende Schilderung eines englischen Missionars ^
dürfte auf alle primitiven Völker Anwendung erleiden:
>In seinen täglichen Beschäftigungen sieht man den
Neuseeländer selten mit einer mehrere Stunden an-
haltenden Ausdauer einem Geschäfte obliegen. Denn
da er die Zeit nicht richtig zu schätzen weiss, so ist
es ihm etwas völlig Gleichgiltiges, wann dies oder
jenes vollbracht sein wird. Seine ganze Lebensweise
1) Ratzkl, Völkerkunde, II. S. 120.
2) NiCHOLAS, Reise nach und in Neuseeland (Bertuch'sche Bibl.
der wicht. Reisebeschreibungen. XVIII.), S. 442. — Vgl. auch Finsch,
Samoafahrten, S. 66, wo das Verhalten einer Gruppe Eingeborener von
Neu-Guinea geschildert wird, die zur Errichtung eines Kohlenschuppens
gemiethet waren: »Die Arbeit wird oft unterbrochen; einige müssen
rauchen, Betel essen, kochen oder ein bischen schlafen, wie sie das
bei ihren eigenen Arbeiten gewohnt sind, und daran muss man sich
gewöhnen, wenn überhaupt etwas geschehen soll. Denn diese Natur-
kinder kennen anhaltende Arbeit in unserm Sinne überhaupt nicht,
und bei allen Papuas und Kanakas lodert der erste Eifer mächtig auf,
erlischt aber ebenso schnell.^:
ist eine bloss desultorische, und es kann ihm nicht
einfallen, seine Verrichtungen regeln zu wollen durch
Festsetzung gewisser Stunden dafür. In allem der
Natur folgend — bloss in der Mässignng nicht, welche
sie ebenfalls vorschreibt — isst er bis zur Ueber-
füUung des Magens, sobald ihn hungert, legt sich
schlafen, sobald Müdigkeit und Schläfrigkeit sich ein-
stellt und beginnt einen Tanz oder einen Gesangs
sobald er durch seine aufgeregten Lebensgeister den
Sporn dazu in sich fühlt.«
Das ist die Darstellung eines Lebens, das keinen
äusseren Zwang kennt, keinen Beruf, keine sociale
Pflicht und in welchem jeder seine Thätigkeit ledig-
lich nach den eigenen unmittelbar sich geltend-
machenden Bedürfnissen einrichtet, für die Befriedi-
gung dieser Bedürfnisse aber doch ausschliesslich auf
die eigene Arbeit angewiesen ist. Dieses Leben ist,
nach unserem Maasse gemessen, plan- und ziellos; es
kennt keine eigentliche Lebensfürsorge, keine Arbeits-
und Mahlzeiten, keinen geordneten Wechsel zwi-
schen Thätigkeit und Ruhe. Aber wenn ein solches
Dasein auch nicht geregelt ist, so ist es doch voll-
kommen ausgefüllt; der Naturmensch würde es gegen
kein anderes vertauschen^). So lange diese Daseins-
bedingungen aber dauern, werden sie auch eine sitt-
liche Auffassung des Lebens erzeugen, die der unsrigen
schnurstracks zuwiderläuft. Daher jene unüberbrück-
baren Gegensätze des wirthschaftlichen Verhaltens
und des sittlichen Empfindens, wie sie uns so oft in
Colonialländern zwischen Eingeborenen und Einge-
i) Vgl. die geistvollen Darlegungen von Peschel, Völkerkunde
(2. Aufl.), S. 155 ff.
wanderten entgegentreten. Man hat immer ge-
glaubt, dass es genüge, den »Wilden« die Technik
unseres Ackerbaus, unseres Handwerks zu lehren,
um ihn in raschen Schritten zur Höhe europäischer
Wirthschaftskultur emporzubringen und schloss auf
bösen Willen, schlechte Charakteranlage, wenn es
nicht gelang. Aber man übersah, was der Natur-
mensch mit sicherem Instinkte erkannte, dass unsere
Kultur seinem physischen Wohlbefinden nichts hin-
zuzufügen vermag, dass unsere Gesittung ihm als
Unfreiheit erscheinen muss. Daher die merkwürdige
Erscheinung, dass manche Naturvölker nach jahr-
hundertelanger Berührung mit Europäern in ihrem
wirthschaftlichen Verhalten keinen Schritt vorwärts
gethan haben.
«Was die Beschäftigung der Indianer betrifiFt« —
heisst es in einer neueren Schilderung der Urbewohner
Guyanas^) — »so ist es selbstverständlich, dass der
überwiegend grössere Theil aller Arbeit den Frauen
zufallt; die Herren der Schöpfung beschäftigen sich
am liebsten und vorwiegend mit gar nichts; mit
Trinken, Schwätzen, oder Liegen in der Hängematte
vertrödeln sie ihre Zeit, Tage, Jahre — ihr Leben.
Nur der Trieb der Selbsterhaltung und der eiserne
Naturzwang veranlasst sie, gewisse Arbeiten, die sie
ihren Frauen nicht aufbürden können, selbst zu ver-
richten. DcLzu gehört die Jagd auf Fische und Thiere
des Waldes, der Bau der Hütten und der Corjale
(Baumkähne). Irgend welche regelmässige Arbeit
will und wird der Indianer nie verrichten: ich glaube
i) JOEST, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana (Suppl.
zu Bd. V des Intern. Arch. f. Ethnogr.), S. 83 f.
auch nicht, dass er dazu im Stande ist. Wollte man
ihn mit einer Peitsche zu einer solchen zwingen, so
würde er sterben, ebenso wie etwa eine Katze bei
uns, die man vor einen Hundekarren spannen würde.
Durch Versprechen einer oder mehrerer Flaschen
Branntwein, von Schiesspulver, oder von Arzneien,
die der Indianer gern gebraucht, kann der Europäer
ihn wohl veranlassen, einen Fisch oder ein Stück
Wild zu schiessen, vielleicht selbst einen Baum zu
fallen; sobald der Indianer aber sein Versprechen
gelöst oder einmal einen Tag gearbeitet hat, wird
er seinen Lohn fordern, denselben vertrinken, sich in
seine Hängematte legen und die nächsten 8 oder 14
Tage zu keiner weiteren Arbeit zu bewegen sein.
Mit den Leuten ist einfach gar nichts anzustellen.
Dabei sind sie sehr geschickte Fischer und Jäger,
und auch ihre Corjale werden gern von den Weissen
gekauft.«
»Zur Jagd auf grössere Thiere bedienen sie sich
unserer Gewehre und Büchsen; Schildkröten, Fische
und selbst Wasserschweine erlegen sie mit Bogen
und Pfeilen. Sehr hübsche und praktische Ruder,
bezw. Schaufeln schnitzen sie aus Cedernholz und be-
malen dieselben später zierlich mit allerhand Zeich-
nungen ; ihre ausMauritiusfasem, -blättern und -Stengeln
geflochtenen Segel bieten dem heftigsten Sturm Wider-
stand; dennoch arbeitet der Indianer nu/ aus Noth
oder zum Zeitvertreib.«
»Viel thätiger sind ihre Frauen. Eine Indianer-
Hausfrau muss ausserordentlich viel arbeiten. Abge-
sehen von ihren Pflichten als Mutter, Köchin, Wäscherin,
Spinnerin, Weberin, Last- und Arbeitsthier im All-
gemeinen, hat sie die Maniok-, Bananen-, Pfeffer-
u. s. w. -Bäume und -Felder in Ordnung zu halten^
während sie den Rest ihrer Zeit durch Anfertigen
von Töpfen, Körben u. s. w. ausfüllt, deren Erlös
später, allerdings nicht von dem Gatten allein, ver-
trunken wird.«^)
Prüft man eine solche Darstellung näher, so über-
zeugt man sich, dass doch von diesen Naturmenschen
im Ganzen eine recht ansehnliche Menge Arbeit ge-
leistet wird, und zwar nicht bloss von den Frauen,
sondern auch von den Männern. Nur steht diese
Arbeit unter anderen Impulsen und Voraussetzungen
als die des Kulturmenschen. Es ist Bedarfsarbeit,
keine Erwerbsarbeit, Arbeit, auf die nicht bloss der
Besitz, sondern auch der Genuss folgt. Und es ist
sehr zu bezweifeln, ob diese Arbeit von dem Natur-
menschen als Last empfunden wird, da sie freiwillig
und oft in einem das unmittelbare Bedürfniss über-
steigenden Umfange übernommen wird.
Allerdings erscheint, rein technisch betrachtet,
diese Arbeit als ausserordentlich mühevoll. Drei Dinge
fallen dabei besonders ins Gewicht: die UnvoUkommen-
heit der technischen Hilfsmittel, die Komplicirtheit
der Arbeitsprozesse und der ausgesprochen künstle-
I) LiviNGSTONE, Letzte Reise (herausg. v. Waller) S. 265 fasst
das Ergebniss seiner Beobachtungen an den Negern folgendermassen
zusammen : )>Mein langer Aufenthalt hier giebt ' mir Gelegenheit zu be-
obachten, dass sowohl die Männer als die Frauen fast beständig thätig
sind. Die Männer flechten Matten oder weben oder spinnen. Die
einzige Zeit, wo ich die Leute müssig sehe, ist des Morgens, ungefähr
um 7 Uhr, wo Alle kommen und sich niedersetzen, um die ersten
Strahlen der Sonne zu begrüssen, und selbst diese Zeit wird vielfach
dazu benutzt, Perlen aufzuziehen.4: Vgl. auch die schöne Schilderung
des Fleisses der Mandingo bei Mungo Park, Life and Travels
p. 227.
rische Charakter aller ihrer Produkte, die auf längere
Dauer berechnet sind.
Die Unvollkommenheit der technischen
Hilfsmittel tritt uns augenfällig in unseren Museen
für Völkerkunde entgegen, wo neben einem ausser-
ordentlichen Reichthum an Gefassen. Schmucksachen,
Geräten, Flecht- und Webstoffen die Zahl imd Mannig-
faltigkeit der Werkzeuge auffallend gering ist. So
vielerlei Anregung das Kunstgewerbe aus solchen
Sammlungen schöpfen kann, so gering ist darum ihr
Nutzen für die Technik^), Meist sind jene Werkzeuge
oberflächlich dem menschlichen Gebrauch angepasste
Naturgegenstände (Steine, Keulen, Muscheln, Gräten,
Knochen). Der Erfolg der Arbeit hängt fast ganz
von der Gewandtheit und Muskelkraft des Arbeiters
ab. Technische Fortschritte bürgern sich sehr lang-
sam ein, weil sie immer nur in sehr kleinen Etappen
sich vollziehen können und weil die Erleichterung,
welche sie gegenüber dem seitherigen Verfahren ge-
währen, zu gering ist, um die Mühe ihrer Anwendung
lohnend erscheinen zu lassen. Nichts kanii darum
unrichtiger sein, als jene gelehrten Konstruktionen,
welche ganz neue Kulturepochen an das Aufkommen
der Töpferei oder Eisenbearbeitung, die Erfindung
des Pfluges oder der Handmühle knüpfen. Völker,
welche das Eisen kunstgerecht zu Beilen und selbst
zu Pfeifenröhren zu verarbeiten verstehen, bedienen
sich noch jetzt hölzerner Speere und Pfeile^ oder
1) Näheres über den Werkzeugbestand der Naturvölker bei
Ratzel, Völkerkunde, L S. 86. 233. 478, 502.
2) Alexander M. Mackay, Pionier-Missionar von Uganda. Von
seiner Schwester. Leipzig 1891. S. 196. Livingstone, Letzte Reise
(herausg. von Waller, deutsche Ausgabe") I, S. 116.
bauen den Acker mit dem hölzernen Grabscheit, ob-
wohl es ihnen an Rindern nicht fehlt, die den Pflug
ziehen könnten. Den letzteren kennt überhaupt kein
eigentliches Naturvolk^). Die ursprüngliche Land-
wirthschaft der Neger und der Polynesier, der Süd-
asiaten und der Indianer ist eine intensive Garien-
kultur^.
»Es ist seltsam«, schreibt der frühere Ingenieur
Mackay*), der als Missionar vierzehn Jahre in Ost-
afrika gelebt hat, »dass wohl bei allen Stämmen
Innerafrikas die Eingebomen keine andere Art, das
Holz miteinander zu verbinden, kennen, als die des
gewöhnlichen Zusammenbindens. Darum ziehen sie
auch das mühsame Aushöhlen von Stämmen vor.
Ruder sind unbekannt. Mit löffelartigen Hölzern be-
wegen sie das Boot vorwärts. Das strengt selbst-
verständlich sehr an, da dem Eingeborenen nichts
vom Hebel oder irgend einem derartigen Kunstgriff
bekannt ist, um sich Arbeit zu ersparen. In allem
wird die Arbeit schlechtweg durch rohe Kraft-
anstrengung bewältigt; daher sind die Menschen
auch vor der Zeit abgenützt, weil sie eben mit ihrer
Kraft nicht hauszuhalten verstehen. Sehr selten be-
gegnet man einem alten Mann oder einer alten Frau.
Ihre Kräfte sind im mittleren Lebensalter schon ver-
braucht, und dann sterben sie. Wohl giebt es Metall,
aus welchem die Eingebornen Werkzeuge herstellen
i) Hahn, Die Hausthiere und ihre Beziehungen zur Wirthschaft
des Menschen. Leipzig 1896. Ratzel a. a. O. S. 86.
2) Beiläufig eine merkwürdige Illustration für den unhistorischen
Charakter der RiCARDo'schen Grundrentenlehre und der THÜNEN'schen
Theorie.
3) a. a. O. S. 72.
könnten. Eisen findet man fast überall; allein nur
die Hacken, Speere und Pfeilspitzen werden daraus
verfertigt; diese werden mit Aufwendung grosser Kraft
und auf ureinfachste Weise hergestellt.«
Aus der Werkzeugarmut und der Unbekannt-
schaft mit wirksameren Verfahrungsweisen erklärt es
sich, weshalb bei einzelnen Naturvölkern bestimmte
Techniken eine so umfassende Anwendung gefunden
haben, insbesondere die Flechtkunst, die Töpferei,
die Leder- imd Filztechnik, die Holzschnitzerei, wäh-
rend andere wieder gänzlich unentwickelt geblieben
sind. Freilich nicht aus diesen Umständen allein.
Die Natur hat ihre Gaben ungleich ausgetheilt, und
jedes Volk hat natürlich nach dem zuerst gegrifiFen,
was ihm die nächste Umgebung seines Wohnplatzes
bot. Daraus ergab sich von selbst eine einseitige
Entwicklung der technischen Fertigkeiten, deren Ver-
theilung unter den Naturvölkern somit durch die
Natur des Bodens bedingt erscheint.^)
So erklärt es sich aber auch, wesshalb wir eine
Reihe der komplicirtesten Arbeitsprozesse schon
auf sehr früher Stufe der wirthschaftlichen Entwick-
lung finden. Man denke nur an den Anbau und die
Zubereitung des Reis, des Mais, der Durrah, des
Waizen, das Dreschen, Reinigen, Enthülsen der
Kömer, das Mahlen auf der Handmühle, das Brot-
backen, an die umständliche Zubereitung der Maniok-
wurzel bei den Südamerikanem^, ferner an die Vor-
i) Vgl. meinen Vortrag: Die Wirthschaft der Naturvölker, Dres-
den 1898, S. 21.
2) JOEST a. a. O. S. 84. K. von den Steinen, Unter den
Naturvölkern Centralbrasiliens. S. 60. 210. 490. Ratzel a. a. O. I.
S. 509.
bereitung der Faserstoffe, das Spinnen und Weben,
die Herstellung der Rindenzeuge, das Flechten nicht
nur von- Matten und Körben, sondern auch von wasser-
dichten Schüsseln und Flaschen, die Aushöhlung von
Baumstämmen zu Kähnen und Mörsern mittels des
Feuers oder der Steinaxt — alles Ketten ausser-
ordentlich langwieriger Operationen, die in jedem
Glied grosses Geschick und vielseitige Uebung vor-
aussetzen, und man wird sich leicht überzeugen, dass
auch auf dieser untersten Stufe der Kulturentwick-
lung das Leben des Menschen nicht im Müssiggang
verfliessen konnte. Bis der Hanf oder Flach'fe ge-
wonnen und zum rohen Gewebe verarbeitet ist, be-
darf es einiger zwanzig verschiedener Operationen,
von denen manche, wie das Reffen, Brechen, Spinnen,
Weben, dazu noch recht langwierig sind^). Die Be-
reitung der. Maisfladen, die den Peruanern das Brot
ersetzten, war so mühsam und zeitraubend, dass den
damit beschäftigten Weibern kaum Zeit zu anderen
Arbeiten blieb und man damit geradezu die Viel-
weiberei zu erklären versucht hat^. Die Uaup^s in
Brasilien tragen an einer Schnur um den Hals Cy-
linder aus milchweissem Quarz. »Diese Steine er-
halten sie roh aus dem fernen Westen, und ihre
Politur und Durchlöcherung ist bei dem Mangel me-
tallener Werkzeuge manchmal ein Werk zweier Ge-
nerationen«^). Das Weben der Lambas aus Rafia-
i) Ueber die Flachsbereitung der Neuseeländer und anderes hier-
her Gehörige vgl. die interessanten Ausführungen von £. Shortland,
Traditions
and Superstitions of the New-Zealanders (London 1856),
p. 205 fF.
2) Ratzel a. a. O. I. S. 604.
3) MaIltius Zur Ethnographie Amerikas, zumal Brasiliens, S. 595.
faser auf Madagaskar schreitet so langsam vorwärts,
dass es oft Monate dauert, ehe ein Stück fertig' wird.^).
Wall.ace schätzt einen Zoll als täglichen Zuwachs
an den schmalen Sarongs ländlicher Webwinnen in
Süd-Celebes. In Üstafrika arbeitet der Weber höch-
stens drei Stunden am Ta§e und bedarf einer Woche,
um ein Stück Zeug fertig zu machen-). Nordameri-
kanische Indianer sollen manchmal mehrere Monate
brauchen, um eine Hängematte auf luivollkonunenem
Webstuhl zu Stande zu bringen-'l und mehrere Jahre,
um einen ßaumkahn auszuhühlen. sodass das Holz
bereits zu faulen beginnt, ehe das Werk beendet ist*).
Die Langsamkeit, mit welcher die WUden ihre
Arbeiten vorwärts bringen, ist so gross, dass ein Be-
obachter das Fortschreiten ihrer Produkte mit dem
Wachsthum der Pttanzen verglichen hat. Man hat
auch das ihrer Faulheit zugeschrieben; aber man be-
denkt nicht, wie ungünstig die Umstände sind, unter
denen diese Arbeit verrichtet wird. Ueberall muss
die schlecht oder gar nicht bewaflnete Hand das Werk
liefern, und es wird eine Eigenschaft in hohem Maasse
in Anspruch genommen, die gemde dem Naturmen-
schen am meisten fehlt: die Ausdauer.
In einem seltsamen G-egensatze zu diesen Be-
p;lienso lan^ Zeit brauchten die N'ttusetfliinder, am eine ihrer Waffen
.111« Grütistein ai formen anil i\i s<;iiiciä:n: Reise der üätecr. Fr^aEte
Mi^vara, Beich reibender Theil, HT, 3. II 5.
1) Rat^rt,
a. a. O. I. 3. +23 n. juy.
2) Andrfr, Die Expeditionen Bnrton's nn<i Speke's von Zaniibar
Wis 7.am Tanpinyika- und Nvanaa-See. 3. 342.
i) Basoroft, cit. bei Waiti, .\nclirupo[ogie III, S. J77.
4) FFBBRRf) a. a. O. S. 332. — Am Tinginyika erfordert die
Aoihöhlunjf eines Banrnkalina mehr als drei llunate; dabei sind die
Jlarhharn hehilflich: STASLEy, Wie ich Livingstune und II, S. 150,
obachtungen steht die unleugbare Thatsache, dass
diese Völkei: so ausserordentlich viel, nach unserem
Empfinden durchaus üb erflüssige Arbeit verrichten»
Es ist wohl kaiun zu viel gesagt, wenn ich behaupte,
dass • kein Lebensbedürfniss von ihnen eine solche
Menge langwieriger Arbeitsverrichtungen erfordert,
als das Bedürfniss des Schmuckes: das Ordnen des
Haares, die Bemalung des Körpers, das Tättowieren^
die Anfertigung zahlloser Nichtigkeiten, mit denen
sie die Gliedmassen verzieren. Und dieselbe Neigung
zu künstlerischer Ausgestaltung und Aus-
schmückung bethätigen sie bei der Anfertigung
fast aller Gegenstände dauernden Gebrauchs. Viele
von diesen sind spielerische Nachahmungen von Thier-
figTiren, und wo es das Material irgend gestattet, ist
eine Neigung und ein Geschick für bildnerische Be-
handlung bethätigt, die ebensowohl wegen der Müh-
seligkeit der Ausführung als wegen der Geduld, die
sie erforderte, unser höchstes Erstaunen erregt. Selbst
die armseligen nackten Waldvölker Centralbrasiliens
haben einen ausserordentlichen Reichthum der Orna-
mentik an ihren der Zahl nach sehr beschränkten
Geräten und Werkzeugen^). Ebenso die auf der
gleichen Stufe stehenden Papuas in Neu -Guinea»
»Alle ihre Werkzeuge bestehen aus Holz, Stein,
Muschel, Knochen; sie verstehen nicht die Gewin-
nung imd Bearbeitung irgend eines Metalls. Be-
trachtet man aber ihre primitiven Holz-, Muschel-
und Steingerätschaften, ihre Gefasse aus Kürbis oder
Kokosnussschale, wie sehen wir einen siegreichen
i) Karl von den Steinen, Unter den Naturvölkern Central-
brasiliens, S.
241 ff.
^j^^Hcbmack alle>, auch da- Ki^^inste durchdrirg^n
-y^TeiJn man Hunderte vor. Gebraiichsi»^!eeiisraiiflen
^4*r Waffen der Papua:> durchmustert, so Triri mar
^Iten oder nie ein eiiiijjje^ Stück -hnnen . Treicfie>
^x'xdh^ wenijjf5>tens durch eine kleine- Verzienm^ Zeue-
1X12^^ für den Schönheit:>Mnn seiner Verfendeer ablegt,
oicbt etwas an ^ich tr^gt, was über die g-ewöhniicfie
^üt^lic^^^i^ hinaufgeht. Dazu die Vieieestaitjcrkeit
\xn^ ^^'^ Abwechsiunjcfsn^ichthum der Muster, die ieb-
liatte und ebt*u>o vJtJ^chmackvolie Farbemreudiekeit; . ^
Das Riithi>eihaüe diet-er trscheinun^ klärt sich
/.ii'inlich einicich auf. Zunächst wirkt künstlerisches
gülden und Gesiaiien an und für sich anrefirend und
tiuurnt zur Thätigkeit. Aber mit der Yollendtmz: des
Werkes erkaltet nicht di«:* Freude an ihm. Wie der
is-Cirperschmuck das einzige Mittel ist, dm-ch weiches
<ier primitive Men^ch sich au> der Heerde seiner Ge-
nossen heraushebt, sich in: waiiren Wortsrrme alls-
te lehnet, so bleibt auch jedes Werk seiner Hände
iort gesetzt ein Zubehör seiner Persönlichkeit. I>*i in
der Regel jeder s*:'in Arbeitsprodukt auch selbst zu
gebrauchen beabsichtigt, so theiit sich die Freude
und die hhre des besitze^ schon der Neele des Ar-
b»'iiend»^n mit und ermuntert ihn um so mehr zur
Au>Uauer. je n^ih^rr da> Lrzeugniss der Voliendunc
l»v>iniii:. L>cts Erzeugnis^ selbst wieder tragt nach
^'wp'uii^' und Btsstinmiung em ausgesprochen indi-
vMtiu.'Ut.s l.tt'prcig«:*: ai^ VerkoriTerung individuelifc
***'l>.-»t und als Ausrüstung für da> Leben wird es
^''•«»'. *'*/.Mi:lioh j:u emen: ^tück der Person, die es
* •'' « * ? f"
schuf. Diese Auffassung geht so weit, dass man sich
jener Dinge niemals entäussert, nicht einmal mit dem
Tode. Bei vielen Völkern wird dem Einzelnen seine
ganze bewegliche Habe mit ins Grab gegeben*), und
die Sammler ethnographischer Museumsstücke stossen
anfanglich überall auf eine unüberwindliche Abnei-
gung, Gegenstände täglichen Gebrauchs zu veräussem
— eine Abneigung, die selbst bei solchen Dingen
hervortritt, welche ohne grosse Mühe wieder zu er-
setzen sind.
In dieser fortdauernden Gemeinschaft des Pro-
ducenten und des Produkts liegt gewiss ein kultur-
fördemdes, die Arbeitsmühe erleichterndes Moment.
Was heute nur der bildende Künstler, der Dichter,
der Gelehrte an ihren Werken erfahren, dass sie
Ruhm bringen, das war gewiss ursprünglich jedem
gelungenen Erzeugniss der Menschenhand eigen, und
die Freude des Schaffens, die der Kulturmensch fast
nur noch bei der Geistesarbeit recht empfindet, muss
den Naturmenschen überall beseelt haben, wo er Ge-
räte und Schmuck, Werkzeuge und Waffen hervor-
zubringen versuchte.
Damit hätten wir ein doppeltes Motiv zur Arbeit
aufgedeckt, das dem Naturmenschen eigenthümlich
ist und das bei der gesellschaftlichen, für den Aus-
tausch erfolgenden Arbeit des Kulturmenschen fast
ganz in Wegfall gekommen ist: die mit dem Schaffen
an und für sich verbundene Freude und die mit dem
Besitze und Gebrauche des eignen Arbeitsproduktes
verknüpfte Ehre. Aber diese Motive konnten doch
I) Vgl. meine Entstehung der Volkswirthschaft (2. Aufl. Tübingen
1898), S. 27 fr.
bloss bei Gütern dauernden Gebrauches wirksam
werden, nicht auch bei solchen raschen Verzehrs,
bei denen künstlerische Ausschmückung überhaupt
nicht in Betracht kommt, die Gebrauchsbestimmung
aber nebensächlich ist, weil sie mit einmaligem Ge-
brauche untergehen. Und doch bilden Güter dieser
Art die Hauptmasse der Produkte, und ihre Her-
stellung erfordert die langwierigsten und einförmig-
sten Verrichtungen. Man denke nur an die müh-
same Zubereitung der Nahrungsmitteil Hier finden
wir denn auch, dass die Arbeit immer nur dann
unternommen wird, wenn das Bedürfniss der Stunde
sie gebietet. Gebrauchsfertige Vorräte kennt der
Haushalt der Naturvölker gewöhnlich nicht. Ein
neuer Esser, der sich einstellt, setzt den Wirth in
Verlegenheit. Er muss warten, bis das Korn ge-
mahlen, das Brot gebacken ist, und es bildet einen
stehenden Zug in den Reiseberichten, wie die An-
kunft eines Fremden die Frauen zwingt, für ihre
Arbeit die Nacht zu Hilfe zu nehmen^), da sie in
ihrem regelmässigen Tagewerk nur so viel zu schaffen
vermögen, als der eigene Haushalt braucht.
Dennoch wird auch diese Arbeit geleistet, und
zwar mit den armseligsten Hilfsmitteln in beschwer-
lichem, Ausdauer forderndem Verfahren. Es muss
also ein weiteres Moment vorhanden sein, welches
der Mühsal der Arbeit das Gegengewicht hält, ihre
Unlust überwinden hilft.
Man hat als solches einen »Thätigkeitstrieb« oder
»Produktionstrieb« angenommen, dessen Befriedigung
I) Vgl. A. Mackay a. a. O., S. 56. K. v. d. Steinen a. a. O.,
S. 268.
dem Menschen an und für sich Genuss gewähre. Be-
kanntlich hat Ch. Foürier diese Auffassung für sein
kommunistisches System verwerthet, und sie wird
sich um so weniger abweisen lassen, als die Beob-
achtungen bei Kindern sie zu unterstützen scheinen.
Aber gerade am Kinde, dessen Thun und Denken
so oft uns das Verständniss primitiver Lebensfühnmg
vermitteln muss, finden wir die gleiche Unbeständig-
keit im Handeln, den gleichen Mangel an Geduld
und Ausdauer, die gleiche Neigung, rasch wechseln-
den Empfindungen sich hinzugeben. Und diese Eigen-
thümlichkeiten treten doch nun einmal in schroffen
Gegensatz zu der Nothwendigkeit langwieriger, eine
anhaltend gleichmässige Kraftaufwendung erfordern-
der Arbeitsprozesse. Die Thätigkeit des Kindes ist
Spiel; sobald man ihr einen ernsten, mit Ausdauer
zu verfolgenden Zweck setzt, erweckt dieselbe Be-
schäftigung, die eben noch — vielleicht in Nachah-
mung der Erwachsenen — mit Lust geübt wurde,
Unlust und Widerwillen. Erst eine lange Erziehung
überwindet die tiefe Kluft zwischen Laune und Pflicht-
gefühl.
Wir kommen also auch mit dem »Thätigkeits-
trieb« um keinen Schritt der Lösung unserer Frage
näher. Dagegen scheint die Feststellung, dass der
sogenannte Thätigkeitstrieb beim Kinde mit dem
Spieltrieb zusammenfallt, für unsere Betrachtung nicht
ganz werthlos.
Es ist bekannt, dass auch die primitiven Völker
Thätigkeiten, die den Charakter des Spieles tragen,
mit grossem Eifer und einer für uns unbegreiflichen
Ausdauer üben. Zu diesen gehört in erster Linie
der Tanz. Es giebt kaum eine Thatsache aus dem
2*
Leben der Naturvölker, welche besser festgestellt
wäre als die allgemeine Verbreitung, die häufige und
ausdauernde Uebung des Tanzes*). Bei den verschie-
densten Gelegenheiten wird er vorgenommen, und
es scheint vergebliches Bemühen, ihn unter irgend
eine gemeinsame Zweckbestimmung zu bringen, wie
etwa die des Kultus, der Trauer, der Liebe. Auch
die Unterscheidung von gymnastischen und mimischen
Tänzen erschöpft den Reichthum seiner Erscheinungs-
formen keineswegs. Es sind diese Dinge aber auch
für unseren Zweck nebensächlich. Genug, dass alle
Naturvölker tanzen, tanzen bis zur Raserei und zur
Erschöpfung ihrer Kräfte, oft bis die Tänzer mit
blutigem Schaum vor dem Munde zu Boden sinken.
An diese Beobachtungen anknüpfend bemerkt
Ferrero^) mit Recht, es könne unmöglich das Mo-
ment der körperlichen Ermüdung sein, welches den
Wilden die Arbeit verhasst macht. Der Hauptunter-
schied zwischen der produktiven Arbeit des Kultur-
menschen und der Thätigkeit des Naturmenschen sei
ein dreifacher. Die erstere gehe regelmässig und
methodisch, die letztere unregelmässig und stossweise
vor sich. Die erstere fordere desshalb von dem
Arbeiter eine Willensanstrengung, um die Wider-
stände zu überwinden, welche sein Organismus der
i) Vgl. LufiBOCK, Die Entstehung der Civilisation, übers, von
Passow, S. 212 f. Ratzel, Völkerkunde, I. S. i8o. i88. 206. 319.
370. 465. AcHELis, Moderne Völkerkunde, S. 436. Grosse, Die
Anfänge der Kunst, S. 198 ff.
2) a. a. O. S. 333. Ich halte es für nöthig zu bemerken, dass
meine Untersuchung bereits abgeschlossen war, als mir der Aufsatz
von Ferrero bekannt wurde. Insbesondere hat derselbe mich nicht
veranlasst, an dem folgenden Kapitel ein Wort zu ändern.
Arbeit entgegensetze, die letztere löse nur die in den
psychischen Centren angehäufte Nervenkraft aus. So-
dann bedürfe die Arbeit des Kulturmenschen bei
ihrer Ausführung immer erneuten Nachdenkens und
erneuter Willensbethätigung; jeder einzelne Akt wolle
überlegt sein, während der Tanz und ähnliche Lieb-
lingsbeschäftigungen der Wilden sich automatisch
vollzögen. Der Tänzer habe nur beim Beginne des
Tanzes eine Anstrengung nöthig, um seine Miiskeln
in Bewegung zu setzen; dann aber rufe jede vollen-
dete Bewegung eine neue ohne weitere Willens-
bethätigung hervor, und die Schnelligkeit der Be-
wegungen steigere sich ebenso in ihrem weiteren
Verlaufe automatisch wie die Aufregimg des Tanzen-
den. Endlich wecke der Sport den Wilden Lust-
gefühle, welche mit der Verdunkelung des Bewusst-
seins sich einstellen sollen, während die produktive
Arbeit Unlust erzeige, die mit der fortgesetzten
Spannung der Aufmerksamkeit in Zusammenhang ge-
bracht werden.
Damach sei das Widerstreben des primitiven
Menschen gegen die Arbeit psychischen Ursprungs;
nicht die Ermüdung der Muskeln veranlasse es, son-
dern die Abneigung gegen jede Geistes- und Willens-
anstrengung. Alle Thätigkeiten dagegen, die wie
der Tanz zwar einen sehr hohen Grad der Erschöpfung
und Ermüdimg zulassen, aber nur eine sehr geringe
Anstrengung des Denkens und WoUens erfordern,
seien dem Naturmenschen angenehm, weil sie ihm
ein bequemes Mittel böten, »die in den Organen des
Geistes angehäufte Nervenkraft zu entladen, ohne
jenen Zustand geistiger Trägheit, in dem er sich so
wohl befinde, zu stören.«
Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Analyse
nach der psychologischen Seite völlig zutreffend ist;
unrichtig ist ganz gewiss die Anwendung, welche
Ferrero von dem Ergebnisse, zu dem er gelangt ist,
macht, um die beiden einzigen Arbeiten, in denen
die Wilden nach seiner Ansicht sich auszeichnen
sollen, Jagd und Krieg, zu erklären. Letztere beiden
Beschaftigxmgen sollen nämlich bei diesen Völkern
einen vorzugsweise automatischen Charakter anneh-
men; die 616ments intellectuels et volitifs sollen bei
ihnen eine geringe RoUe spielen. Dies widerspricht
allen direkten Beobachtungen, welche vielmehr den
Scharfsinn, die Schlauheit, die Umsicht der primitiven
Jagd und Kriegführung immer wieder konstatirt
haben. Es muss also die Vorliebe der Naturvölker
für diese beiden Thätigkeiten, die ihrem Nachdenken
und ihrer Entschlossenheit so vielerlei nicht voraus-
zusehende Aufgaben stellen, in anderer Weise er-
klärt werden.
Eins aber ist gewiss von Werth in der Arbeit
des italienischen Gelehrten, wenn auch dieser Werth
bloss ein methodischer ist. Ich meine das Ausgehen
von einer Thätigkeit, die nicht Arbeit ist, die aber
der Naturmensch anerkanntermassen mit Lust und
Ausdauer auszuüben pflegt: dem Tanze. Es ist kein
Zweifel: können wir eine wesentliche Eigenthümlich-
keit dieser Thätigkeit feststellen, auf welche sich jene
Vorliebe für sie zurückführen lässt, so haben wir da-
mit einen wichtigen Anhaltspunkt dafür gewonnen,
wie eine Arbeit beschaffen sein muss, um der Natur
jener primitiven Menschen zu entsprechen. Und
können wir die gleiche Eigenthümlichkeit in dem
Arbeitsverfahren der letzteren auffinden, so ist damit
gewiss eines der Vehikel entdeckt, welche an der
Erziehung des Menschen zur Arbeit mitgewirkt haben.
Von allen Momenten, welche Ferrero am Tanze
der Wilden wichtig schienen, ist nur eines, welches
der zuletzt von mir gestellten Anforderung entspricht:
sein automatischer Charakter. Aber die aus den
dunkelsten Partien des Seelenlebens hergeholte Er-
klärung, welche Ferrero für diesen vorbringt, kann
uns nicht genügen, da sie nicht bis auf den Grund
der Sache dringt. Ich habe im folgenden Abschnitte
versucht, diesem letzteren von einem anderen Aus-
gangspunkte aus näher zu kommen.
Bei jeder Arbeitsaufgabe, die dem Menschen
gestellt werden kann, lässt sich eine doppelte Seite
unterscheiden: eine geistige und eine körperliche.
Der geistige Bestandtheil der Aufgabe ist noch nicht
erledigt, wenn der Wille zur Arbeit geweckt ist.
Vielmehr beginnt er dann erst. Denn er besteht im
Wesentlichen darin, die technischen Mittel zu er-
kennen, durch welche das erstrebte Ziel am voll-
kommensten erreicht werden kann. Je öfter diese
Mittel im Verlaufe des Arbeitsprozesses wechseln,
um so häufiger wiederholt sich jene geistige Opera-
tion, um so mehr Überlegung ist im Ganzen er-
forderlich.
Die körperliche Aufgabe des Arbeiters lässt sich
überall auf die Hervorbringimg einfacher Muskel-
bewegungen zurückführen^). Jede fortgesetzte In-
anspruchnahme des gleichen Muskels bringt Ermü-
dung hervor, und dies um so mehr, je andauernder
der Muskel angestrengt wird und je ungleicher die
Kraftaufwendung ist, welche die einzelnen Bewegun-
gen erfordern.
I) Vgl. Gossen, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Ver-
kehrs, S. 35 f.
Die Nutzwirkung jeder Arbeit steht unter der
Voraussetzung, dass der Arbeitende in jedem ein-
zelnen Falle die nöthige Muskelbewegung richtig er-
kennt und die erforderliche Kraftaufwendung zuver-
lässig abschätzt. Je mehr dies der Fall ist, um so
mehr durchdringen einander das geistige und körper-
liche Element der Arbeit, um so gedeihlicher schreitet
sie fort.
Nun ist es eine alltägliche Beobachtung, die
ebensowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen auf
niederer Kulturstufe gemacht werden kann, dass sie
selten bei einer Thätigkeit lange aushalten, dass sie
ihrer in dem Masse rascher überdrüssig werden, als
sie gleichmässig gespannte Aufmerksamkeit und fort-
gesetzte Anstrengung erfordert. Die Ursache liegt
zweifellos nicht allein in dem Umstände der Ermü-
dung des einseitig in Anspruch genommenen Muskels,
sondern auch in der Thatsache der fortgesetzten gei-
stigen Anspannung. Es kann aber dieses letztere
Moment bis zu gewissem Grade dadurch aufgehoben
werden, dass es ganz oder theilweise ausgeschaltet
wird. Dies ist dadurch möglich, dass an Stelle der
vom Willen geleiteten die automatische (rein mecha-
nische) Bewegung gesetzt wird^). Die letztere aber
tritt ein, wenn es gelingt, die Kräfteausgabe bei der
Arbeit so zu regulieren, dass sie in einem gewissen
Gleichmass erfolgt und dass Beginn und Ende einer
Bewegung immer zwischen denselben räumlichen und
zeitlichen Grenzen liegen. Durch die in den gleichen
Intervallen erfolgende und gleich starke Bewegung
desselben Muskels wird das hervorgebracht, was wir
I) Vgl. WUNDT, System <ier Philosophie, S. 584 f.
Uebung nennen; die einmal in Thätigkeit gesetzte, in
bestimmten zeitlichen und dynamischen Massverhält-
nissen wirkende körperliche Funktion setzt sich me-
chanisch fort, ohne eine neue Willensbethätigung zu
erfordern, bis sie durch das Eingreifen eines ver-
änderten Willensentschlusses gehemmt, unter Um-
ständen auch beschleunigt oder verlangsamt wird.
Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass Arbeiten
um so mehr ermüden, je geringer die Uebung ist,
mit der sie vollzogen werden. Ihre Begründung
findet sie wohl darin, dass das Mass der aufzuwen-
denden Energie in der Regel bald zu gross, bald zu
klein bemessen wird und darum ein unwirthschaft-
licher Kräfteverbrauch stattfindet. Alle Uebung ist
Anpassung; die Muskelbewegungen werden an eine
Regel gebunden; ihr Stärkegrad wechselt nicht in
unsicherem Tasten; die Ruhepunkte und Erholungs-
momente zwischen den einzelnen Bewegungen werden
mit der Kraftausgabe in Einklang gebracht und in
ihrer Zeitdauer ebenso bestimmt, wie es die Be-
wegungen selbst sind.
Nun haben wir für die Zeitdauer einer Bewegung
keine unmittelbare Wahrnehmung und kein absolutes
Mass; wohl aber wissen wir, dass eine Bewegung
sich um so leichter gleichmässig gestalten lässt, je
kürzer sie währt. Die Messung wird hierbei erheb-
lich dadurch erleichtert, dass jede Arbeitsbewegung
sich aus mindestens zwei Elementen zusammensetzt,
einem stärkeren und einem schwächeren: Hebung
und Senkung, Stoss und Zug, Streckung und Ein-
ziehung u. s. w. Sie erscheint dadurch in sich ge-
gliedert, und dies hat zur Folge, dass die regelmässige
Wiederkehr gleich . starker und in den gleichen Zeit-
grenzen verlaufender Bewegungen uns immer als
Rhythmus entgegentreten muss.
Daßs der nach festem Massverhältniss geregelte
Gang gleichmässig sich fortsetzender Arbeiten in der
That die Tendenz hat, sich rhythmisch zu gestalten,
gelangt uns am meisten zum Bewusstsein bei den
zahlreichen Verrichtungen, bei welchen die Berüh-
rung des Werkzeugs mit dem Stoff einen Ton ab-
giebt und wo wir aus den lauten, in gleichen Zwi-
schenräumen auf einander folgenden Schlägen oder
Stössen ebensowohl auf die gleiche Stärke der sie
hervorbringenden Klraft, als auf das gleiche Zeit-
(und Raum-)Mass der sie begleitenden Bewegungen
schliessen müssen. Der Schmied, der Schlosser, der
Klempner, der Kessler lassen den Hammer in glei-
chem Takte auf das Metall niederfallen; der Tischler
lässt die Stösse des Hobels, der Säge, der Raspel,
der Ziehklinge in gleichen Zeitabschnitten auf ein-
ander folgen, und wer kennt nicht den eigenartigen
I^uf des Schusterhammers, der Flachsbreche, des
Weberschiffchens, der Zimmermannsaxt, der Pflaster-
ramme, des Steinmetz-Meisseis!
Diese Beispiele Hessen sich noch ausserordent-
lich vermehren. Namentlich findet sich im Bereiche
der haus- und landwirthschaftlichen Verrichtungen
eine ganze Reihe von solchen, in welchen irgend ein
Ton den Takt der Arbeit markiert. Dieser Ton fallt
in der Regel ans Ende der einzelnen Arbeitsbewegung,
und es ist kein Zweifel, dass das Festhalten eines
gleichen Zeitmasses der Bewegung dadurch erleichtert
wird. Er ist das Kennzeichen des Arbeits-Rhythmus ;
aber er ist an sich kein Ton-Rhythmus. Dieser ent-
steht erst, wenn die Töne in Stärke und Höhe oder
Dauer sich differenzieren, und es geht dann dem
Arbeits-Rhythmus ein Ton-Rhythmus korrespondie-
rend zur Seite.
Auch solche Rhythmen begleiten manche Ar-
beiten. Wenn die Magd den Boden schruppt, er-
giebt das Hin- und Herziehen des Schruppers Töne
von wechselnder Starke. Ebenso erzeugt das Aus-
holen und Einschlagen der Sense beim Grasmähen
verschieden starke imd verschieden lange Geräusche.
Aehnlich beim Hin- und Herwerfen des Weberschiff-
chens, wo die verschiedene Kraft der rechten und
linken Hand oder die Absicht des Arbeiters ver-
schiedene Tone hervorbringt, denen in regelmässigem
Wechsel das Treten der Schäfte sich beimischt. Der
Küfer erzeugt beim Antreiben der Fassreife durch
Hammerschläge von wechselnder Stärke eine Art
Melodie, und der Fleischerbursche bringt mit seinen
Hackmessern ganze Trommelmärsche zu Stande. Ja
selbst bei sehr wenig dafür geeignet scheinenden
Arbeiten, wie dem Worfeln des Getreides, dem Atif-
laden von Sand, lässt sich ein solcher Ton-Rhythmus
beobachten (Einstossen der Schaufel, Wegschleudern
und Auffallen der Getreide- oder Sandkörner).
Natürlich ist der Ton-Rhythmus in allen diesen
Fällen nichts Selbständiges, sondern wird durch den
Rhythmus der Arbeit bedingt. Dennoch darf nicht
bezweifelt werden, dass auch der Ton-Rhythmus seine
Bedeutung für die Intensität der Arbeit hat. Nicht
nur dass er das Festhalten eines gleichen Zeitmasses
der Bewegung unterstützt ; er übt auch zugleich durch
das ihm innewohnende musikalische Element eine in-
citative Wirkung aus und unterstellt die Arbeit selbst
der Kontrole aller derjenigen, die ihren Schall ver-
nehmen können. Man wird also sagen können, dass
der Ton-Rhythmus die Arbeit erleichtert und fördert.
Dies erkennt man am besten an solchen Fällen,
wo die Einzelarbeit zwar einen einfachen Schall er-
giebt, die Arbeitsbewegung aber selbst sich weder
in Theilbewegungen zerlegen noch auch wegen des
dabei erforderlichen Kraftaufwandes in kurzen Zeit-
abschnitten wiederholen lässt. Der einzelne Arbeiter
ist hier immer in Versuchung, nach jedeni Stoss oder
Schlag sich eine Ruhepause zu gönnen, und er verliert
dadurch das Gleichmass der Bewegungen. Dagegen
kann eine Regulierung der letzteren dadurch herbei-
geführt werden, dass ein zweiter oder dritter Arbeiter
hinzugezogen und mit dessen Hilfe ein kürzerer Takt
erzielt wird*). Jeder Arbeiter bleibt für sich selb-
ständig, nur dass er seine Bewegungen nach denen
seines Genossen einrichtet. Es handelt sich also nicht
darum, dass die Grösse der Arbeitsaufgabe eine Ver-
doppelung oder Verdreifachung der Kräfte erfordert,
sondern nur darum, dass die Einzelkraft einen be-
stimmten Rhythmus der Bewegung nicht festzuhalten
im Stande ist.
Beispiele bieten sich am häufigsten bei Schlag-
und Stampfbewegnngen. Der einzelne Schmied,
welcher die glühende Niete in zwei zu verbindende
Eisenstücke einzutreiben hat, vermag den schweren,
mit beiden Händen zu lenkenden Hammer nicht so
regelmässig zu führen, dass die Schläge in gleichen
Zeitabschnitten auf einander folgen, Hebung und
Senkung des Hammers lassen sich auch nicht so von
I) Unter Umständen kann auch schon die zweite Hand diesen
Dienst thun, z. B. beim Melken, wo der Schall der fallenden Milch
im Eimer den Takt markiert.
einander trennen, wie etwa bei der Bewegung einer
Säge der Vor- und Rückstoss, sodass die eine Be-
wegung in zwei kürzere Abschnitte zerlegt wäre.
Denn der erhobene Hammer findet in der Luft keinen
Ruhepunkt. Wird jedoch ein zweiter Arbeiter zu
Hilfe genommen, so ergiebt sich sofort ein kürzerer
Takt. Beide müssen ihre Bewegungen dergestalt
einrichten, dass, wenn der Hammer des Einen den
Kopf der Niete trifft, der Hammer des Andern in
der Luft den höchsten Punkt erreicht hat; sie dürfen
sich nicht auf ihrem Wege treffen. Jeder vollzieht
die ganze Bewegung mit der gleichen Schnelligkeit;
für jeden aber wird sie auch durch den Taktschall
des Andern in zwei kürzere Abschnitte zerlegt. Zu-
gleich aber tritt eine wenn auch noch so leise Ver-
schiedenheit der Töne der beiden Hämmer hervor,
mag dieselbe durch die verschiedene Stellung der
Arbeitenden, die verschiedene Hubhöhe des Werk-
zeugs oder die verschiedene Energie, mit der es ge-
führt wird, hervorgerufen sein. Damit gesellt sich
auch hier zum Arbeits-Rhythmus der Ton-Rhythmus.
Der gleiche Vorgang lässt sich beim »Zuschlagen«
in jeder Dorfschmiede beobachten^), beim Behauen
eines Stammes durch zwei Zimmerleute, beim Bläuen
der Leinwand oder dem Ausklopfen der Teppiche
durch zwei Mägde. Das bekannteste Beispiel aber
ist das Dreschen mit dem Flegel, bei welchem der
richtige Takt erst durch das Zusammenwirken von
drei oder vier Arbeitern erzielt wird. Und wer hat
I) Schon von Virgil, Georg. IV, 174 f. beschrieben:
Uli inter sese
magna vi brachia tollunt
In numerum versantque tenaci forcipe ferrum.
noch nicht das Einrammen von Pflastersteinen be-
obachtet, bei welchem im Anfange ein gewisses
Probieren sich bemerkbar macht, bis alle das rechte
Mass der Bewegimg gefunden haben, und die schweren
Eisenrammen alle in gleichen Zeitfristen niederfallen.
In diesen Fällen kann die Aufbietung eines
zweiten oder dritten Arbeiters an sich den Effekt
der Kraftaufwendung des Einzelnen nur verdoppeln
oder verdreifachen ; aber dennoch hat diese einfachste
Art der Arbeitsgemeinschaft auch eine Steigenmg der
Produktivität zur Folge, indem sie die Kraftausgabe
und die Ruhepausen für jeden gleichmässig regelt.
Der Einzelne lässt die Hände sinken oder verlang-
samt doch das Tempo der Bewegungen, wenn er müde
wird. Die gemeinsame Arbeit regt zum Wetteifer
an^); keiner will an Kraft und Ausdauer hinter dem
andern zurückstehen, und überdies tönt der laute
Pulsschlag der Arbeit in die Ohren der Nachbarn,
deren Spott bei zu häufiger Unterbrechung oder zu
lässigem Gange der Schläge nicht zu säumen pflegt.
Noch deutlicher tritt dieser Zwang für den
schwächeren Arbeiter, es dem stärkeren gleich zu
thim, in solchen Fällen hervor, wo die Arbeiter
reihenweise gruppiert auftreten und das Fortschreiten
der Arbeit des Einen von der Thätigkeit des Andern
abhängig ist. In einer Reihe von Mähern, welche
auf der Wiese stehen, muss jeder Einzelne gleich-
mässig seine Schwade bewältigen, wenn er seinen
Nachmann nicht aufhalten oder fürchten will, von
dessen Sense getroffen zu werden. In einer Kette
i) Sehr schön beobachtet von Homer, Od. 6, 92, wo Nausikaa
und ihre Mägde mit den Füssen Wäsche stampfen: atslßov iv ß6-
d'QOioi d'otog egida ngowigovaai.
von Handlangern, welche einander die Ziegelsteine
für einen Bau zureichen oder -werfen, muss jeder
Folgende gleich rasch abnehmen, wenn er nicht die
ganze Arbeit ins Stocken bringen und fürchten will,
dass die Steine des Nachbars, die er mit den Händen
auffangen soll, seine Schienbeine treffen oder beim
Werfen in die Höhe die unten Stehenden verletzen.
Dieses gegenseitige Anpassen ruft somit auch
bei Arbeiten, welche sich lautlos vollziehen, einen
gleichgemessenen Rhythmus in den Bewegungen
hervor und wird damit zu einem disciplinierenden
Element von der allergrössten Bedeutung, insbe-
sondere für unqualificierte Thätigkeiten, wie sie auf
primitiven Stufen der Wirthschaft überwiegen. Zu
seiner höchsten Ausbildung gelangt dasselbe bei den
taktischen Bewegungen des Heeres, wo es immer
darauf ankommt, eine Vielheit von Menschen zur
vollkommenen Einheit der Kraftentfaltung zu erziehen,
und wo jedes Verfehlen des Tempo durch einen
Einzelnen die Gesammtwirkung beeinträchtigt.
So hoch man auch den Werth der eben ange-
führten Unterstützungsmittel des Rhythmus der Arbeit
schätzen mag, man darf darum nicht glauben, dass
der Rhythmus fehle, wo eine Dauerarbeit sich ge-
räuschlos oder ohne den Zwang gegenseitiger An-
passung vollzieht. Man beobachte das Stricken, das
Nähen mit der Hand, das Säen, das Heuwenden, das
Schneiden des Korns mit der Sichel, das Umgraben
des Bodens mit dem Spaten, das Falzen der Bogen
in einer Buchbinderei, das Ablegen des Satzes in
einer Druckerei, das Geldzählen des Kassiers in einem
Bankgeschäft — überall wird man das Gleichmass
der Bewegungen, überall das Streben erkennen,
kompliciertere oder längere Bewegungen in einfache
oder kurze Abschnitte zu zerlegen und die aufge-
wendete Kraft der geforderten Leistung genau an-
zupassen. Selbst wenn wir eine Reihe gleicher
Buchstaben oder Zahlen schreiben, verfallen wir un-
willkürlich in diesen Rhythmus der Bewegungen, und
die Leistungen unserer Hand werden damit immer
gleichartiger.
Wir können darnach die Tendenz zu rhythmischer
Bewegung für alle Arbeitsverrichtungen in Anspruch
nehmen, die sich gleichmässig wiederholen. Solche
Arbeiten sind aber zugleich auch die ermüdendsten,
weil sie anhaltend die gleiche Körperhaltung be-
dingen und denselben Muskel fortgesetzt in gleicher '
Weise in Anspruch nehmen, während wechselnde
Thätigkeiten, weil sie eine wechselnde Haltung des
Körpers erlauben und verschiedene Muskeln bean-
spruchen, für jeden immer wieder kürzere oder längere
Erholimgspausen bringen. Sicher regelt bei jenen
das Gleichmass der Bewegimg den Kräfteverbrauch
in der denkbar sparsamsten Weise.
Weiter kann auf die physiologische Seite unseres
Gegenstandes hier nicht eingegangen werden. Dem
Laien legt sich der Gedanke von selbst nahe, den
schon Aristoteles ausgesprochen hat mit den Worten,
dass der Rhythmus unserer Natur gemäss sei. Die
Lungen- und Herzthätigkeit, die Bewegung der Beine
imd Arme beim Gehen vollziehen sich unter gewöhn-
lichen Umständen rhjrthmisch oder haben doch eine
Tendenz dies zu thun, und es wäre möglich, dass
schon die Regelung der Athmung eine rhythmische Ge-
staltvmg fortgesetzter gleichartiger Muskelbewegnng
erforderte.
Wie dem sein magr, sicher ist, dass der nackte
M^ch eme grössere Neignn^ und Leich^^erSr
^yt^chen Körperbewegung ^ als der ^Lt
foj^":5enden .^eit Jr^Se^^"^
schon aus dem Grunde, weü bei den Xat^^ölkem
dxe rohe Muskelkraft der Hände und Füsse^el^l^
unendlich langer Zeit zu leisten hat, was bei^ „^
vollkon^neren Werkzeugen in wenigen Minu^ ^
^^elhgt wird. Wir müssten Zum sch^v^t
vornherein amiehmen. dass der Rhythmus der Arbeit
bei den Naturvölkern verbreiteter sein werde 1
unter den Kulturvölkern, auch wenn wir nicht zaW
reiche und zuverlässige Zeugen dafür besässen
Schon der alte Kulturhistoriker Mkiners " fasst
sem Urtheü über den ^ musikalischen ^^^^
der Neger dahin zusammen: >Sie mögend*
tanzen, singen, spielen oder arbeiten, so th^ ^^
anes nach dem Takt, den die dümmsten Neger oC
aUen Unterschied viel genauer beobachten. Ss unse^
1 Tt'k "t ^°'^^'"*^^^ °-^ Wer BeobacZr
und Uebmig»).. Der engüsche Reisende Dooghtv^
bemerkt von den Arabem, dass sie das Stampfen
der Kaffeebohnen un Mörser »in rhythmischer Weise
bewerkstelligen, wie aU ihre Arbeit.. M^ BucHNEK-n
spricht von dem »taktmässigen Lärm der Tana
klöppek, der für ein polynesisches Dorf »ebemsö
1) Ueber die Natnr der afrikanischen Neger im Götting. histor
Mag. VI, 3, 1790.
* nistor.
2) Travels in
Arabia deserta I, S. 244; vgl. D, S. 358 £
3) Reise durch den SüUen Oceon, S. 245.- -gl. RatL\ a. O
If 0< 222. ^
charakteristisch und stimmungsvoll sei, wie bei uns
auf den Dörfern im Herbste das Dreschen«. Bei der
Bereitung der Kawa muss das Axispressen der ge-
kauten Wurzeln »unter gewissen gesetzmässigen
Bewegungen der Arme geschehen, worauf noch
immer grosses Gewicht gelegt wird«^). »In Harar
lockern die Galla neben der Arbeit mit dem Pfluge
in der Weise den Boden, dass sie ihn mit einem
zwei Meter langen Holzstocke, der mit einem Eisen-
stücke oder Stein am oberen Ende beschwert ist,
zunächst anstechen oder aufreissen und dann mit
einem Karste die Schollen zerdrücken oder mit
einem Holzspaten das Erdreich weiter lockern. Die
Arbeit geht in der Art von Statten, dass je vier
Personen sich neben einander stellen und in gleich-
massigem Takte zusammen je ein Stück Erde mit
den Karsten so lange aufbrechen, bis das Feld auf-
gestochen ist^).« Endlich schildert ein französischer
Bericht^) die Aussaat des Reises auf Madagascar
folgendermassen: »Die Malgaschen gebrauchen den
Pflug nicht, sondern begnügen sich damit, den
Boden mit einem Spaten umzugraben. Die Bestellung
des Landes ist Sache der Frauen und Mädchen.
Sie rücken in einer Reihe über das Feld vor, in
der Hand einen zugespitzten Stock, mit welchem sie
kleine Gruben auswerfen. In diese Gruben legen
sie je einige Reiskörner und scharren sie dann mit
dem Fusse zu. Diese Verrichtung wird mit ziemlich
1) Buchner a. a. O. S. 209.
2) Paulitschke, Ethnographie Nordost-Afrikas (Berlin 1893), I>
S. 216.
3) Les Colonies fran9aises (1889 bei Gelegenheit der Weltaus-
stellung erschienen) I, S. 309. ,
grosser Regelmassigkeit und in einem sehr scharf
hervortretenden Rhythmus vollzogen, was diesen
Frauen das Aussehen einer Truppe von Tänzerinnen
gibt.«
Sehen wir hier den Arbeitsrhythmus selbst bei
solchen Verrichtungen beobachtet, wo man ihn gar
nicht vermuthen möchte, so wird es einer weitem
Häufung von Zeugnissen nicht bedürfen, um darzu-
thun, dass das rhythmische Element in der Arbeit
der Naturvölker ausserordentlich verbreitet ist. Nur
drei Beispiele seien noch angeführt, welche die oben
erwähnte Herbeiführung des Rhythmus durch Zu-
sammenwirken mehrerer Personen besonders an-
schaulich zeigen.
Der englische Missionar Mariner^) schildert die
Bereitung des Rindenstoffes Gnatuh auf den Tonga-
Inseln folgendermassen: »Das Schlagen (der vorher
in Wasser aufgeweichten Rinde) geschieht mit einem
Schlägel, der einen Fuss lang und einen Fuss dick,
auf der einen Seite glatt und auf der anderen ge-
kerbt ist. Der Bast, welcher 2—5 Fuss lang und
I — 3 Zoll breit ist, wird auf einen hölzernen, 6 Fuss
langen und 9 Zoll breiten und dicken Balken gelegt,
der durch Stücke Holz an jedem Ende ungefähr
einen Zoll hoch über den Boden erhoben ist, sodass
er ein wenig schwankt. Zwei oder drei Frauen
sitzen gewöhnlich an demselben Balken, jede legt
i) Nachrichten über die Tonga-Insehi (Bertuch'sche Bibliothek XX),
S. 522. Die gleiche Technik findet sich auf zahlreichen andern Süd-
see-Inseln (vgl. Les Colonies fran9aises, IV p. 79. 340); femer in
Madagaskar (Sibree, Madag. S. 238), in Uganda (Kollmann, Der
Nordwesten unserer ostafr. Kolonie, S. 22) und sonst in Osta£rika:
LiviNGSTONK, Letzte Reise I, S. 191.
ihren Bast quer über denselben, und während sie
ihn mit der rechten Hand schlägt, bewegt sie den-
selben mit der linken hin und her. Zuerst wird die
gekerbte Seite des Schlägels angewandt und dann
die glatte. Sie schlagen gewöhnlich nach dem
Takte. Früh am Morgen bei stiller Luft klingt das
Gnatuh-Schlagen gar hübsch, indem manche Töne
aus der Nähe erschallen, andere sich in der Feme
verlieren, einige rasch aufeinander folgen, andere
langsamer, alle aber äusserst regelmässig. Ist die
eine Hand müde, so nimmt man den Schlägel schnell
in die andere, ohne dass dadurch der Takt unter-
brochen würde«.
Dieselbe Technik findet sich in der entwickelten
Indigofarberei des Sudans. Ueberall in den Städten
hört man nach der Versicherung der Reisenden^)
den ganzen Tag ein regelmässiges Klopfen, das
dazu dient, die gefärbten Gewänder zu glätten. »Im
Schatten eines Grasdaches sitzen einige Männer und
klopfen im Takt, wie bei uns die Strassenpflasterer,
mit einem walzenförmigen Holzklöppel ein frisch
gefärbtes trockenes Gewand auf einem glatten
Baumstamme, um ihm den nöthigen Glanz und die
gewünschte Glätte zu verleihen. Denn eine neue
Indigotobe blitzt und blinkt wie lackiertes Lederzeug.«
LiviNGSTONE^ erzählt über das Enthülsen des
Getreides bei den Völkern Ostafrikas: »Das Getreide
wird mit einer sechs Fuss langen und ungefähr vier
1) Passarge, Adamaua, S. 82, mit Abbildung. G. Rohlfs in
Petermanns Mittheilungen, Ergänzungsheft Nr. 34, S. 57. Derselbe,
Land und Volk in Afrika, S. 73. Staudinger, Im Herzen der Haussa-
länder, S. 583.
2) Neue Missionsreisen, übers, von J. E. A. Martin, II, S. 267.
Zoll dicken Keule in einem grossen hölzernen Mörser
gestossen, der dem altägyptischen gleich ist. Das
Stossen wird von zwei oder sogar drei Frauen in
einem einzigen Mörser vollzogen. Jede giebt, ehe
sie einen Schlag thut, dem Körper einen Schub
nach oben, um, Kraft in den Stoss zu legen, und
sie halten genau Takt, sodass nie zwei Keulen in
demselben Augenblick im Mörser sind. Das gemessene
thud, thud, thud, und die bei ihrer lebhaften Arbeit
stehenden Frauen sind von einem gedeihlichen afri-
kanischen Dorfe unzertrennliche Erscheinungen. Mit
Hilfe von ein wenig Wasser wird durch die Wirkung
des Stossens die harte äussere Schale oder Hülse
des Getreides entfernt und das Korn für den Mühl-
stein bereit gemacht.«^)
Solche Fälle gemeinsamer Arbeit im Takte
werden wir im weiteren Verlaufe dieser Unter-
suchung bei Naturvölkern noch mehr nachzuweisen
Veranlassung haben. Vielfach sind die Gelegen-
heiten dazu (hölzerne Stampftröge, Reibsteine, in
Fels eingehauene Vertiefungen) an öffentlicher Stelle
angebracht^), oder sie vollziehen sich in Gemeinde-
1) Aehnlich vollzieht sich das Reisstampfen bei den Malayen:
Ratzel, Völkerkunde I, S. 393 und die Tafel bei S« 391 ; das Stampfen
der ausgepressten Mandiokwurzel bei den Buschnegem in Guyana:
JOEST, Ethnographisches u. Verwandtes aus Guyana S. 60 u. Taf. III;
das Stampfen der Durra bei den Galla: Paulitschke, a. a. O.
Taf. XIX.
2) Vgl. Ratzel, Völkerkunde 11, S. 265. 304. G. Rohlfs sah
auf der Benue-Insel Loko eine öffentliche Mehlreibbank, aus Thon
und sieben Steinen bestehend, worauf die Bassa-Frauen morgens und
abends ihr Mehl reiben: Ergänzungsheft zu Petermann* s geogr. Mitth.
Nr. I34, S. 78. lieber öffentliche Steinmörser bei den Indianern:
Hünter,
Manners and customs of the Indian tribes (London 1870),
häusem, wie noch jetzt in manchen Gegenden
Deutschlands die Dörfer ihre »Brechplätze« haben.
Diese Oeffentlichkeit der Arbeit, welche auch für
alle Thätigkeit auf dem Felde von selbst gegeben
ist, übt einen ähnlichen erzieherischen Einfluss wie
ihr Taktschall und Tonrhythmus: die Benutzimg der
Mörser u. s. w. durch verschiedene Familien muss
in einer bestimmten Zeitordnung erfolgen; ihre
Herstellung und Instandhaltung fordert die Theil-
nähme aller. Es ist ähnlich wie beim Flurzwang,
der erst die Feldbenutzung in feste Regeln bringt
und die Willkür des Einzelnen in der Gestaltung
seines wirthschaftlichen Lebens einschränkt.
Immer aber bleibt der laute gleichgemessene
Schall der Tagesarbeit das bezeichnende Merkmal
friedlichen sesshaften Zusammenlebens der Menschen.
Wie der Dreitakt des Dreschflegels zu dem in
winterlicher Ruhe daliegenden deutschen Dorfe, so
gehört das regelmässige Klopfen der Färber zur
sudanesischen Stadt, der laute Schall des Tapa-
schlägels zur Niederlassung des Südseeinsulaners,
der dumpfe Ton der Reisstampfe zum Campong der
Malayen, der Gleichklang des hölzernen Getreide-
mörsers zum Negerdorfe, das helle Läuten des
Kaffeemörsers und das schwerfällige Geräusch der
Handmühle zum Zeltdorfe der Beduinen. Und so
hat unter einfachen landwirthschaftlichen Betriebs-
verhältnissen fast jede Jahreszeit ihr besonderes
Arbeitsgeräusch, jede Arbeit ihre eigne Musik. Im
Spätherbste singt in unsem Dörfern die Flachsbreche
p. 269.
Abbot, Primitive Industrie (Publ. of the Peabody Academie
of Science, Salem Mass. 1881), p. 150. 151.
ihr munteres Lied; im Winter mischt sich in den
Ton des Dreschflegels auf der Tenne der aus dem
Stall daneben kommende kurz abgebrochene dumpfe
Schall des Futterstössers ; im Frühjahr erklingt von
der Rasenbleiche her das lautklatschende Schlagen
der von kräftigen Händen geführten Bläuel, mit
denen die Leinwand am Bache bearbeitet wird; im
Sommer erschallt aus jedem Hofe das Dengeln der
Sensen, aus jeder Wiese und jedem Kornfeld der
scharfe Strich des Wetzsteines, der von kräftiger
Hand über Sichel und Sense geführt wird. Wenn
die Propheten des alten Testaments^) in prägnanter
Weise den Untergang einer Stadt bezeichnen wollen,
i, so lassen sie die Stimme der Mühle verstummen
und das Lied des Keltertreters. Und wenn auf dem
Lande die Stille des Sonntags als wahrer Friede
empfunden wird, so rührt es nicht am wenigsten
daher, dass dann der gewohnte Schall der Arbeit
.V schweigt, der hier den Kampf ums Dasein bezeichnet.
I) Jerem.
25, 10. Apoc. 18, 22. Jes. 16, 10. Jerem. 48, 33. Vgl.
DouGHTY,
Travels in Arabia deserta, II, S. 179; The dull rumour of
the running
millstones is as it were a comfortable voice of food in an
Arabian
villäge, when in the long sunny hours there is often none
other human
sound.
Wo zwar eine rhythmenbildende Regulierung
der Arbeit möglich ist, die letztere aber keinen
eigentlichen Taktschall ergiebt, wird dieser oft durch
künstliche Mittel hervorgerufen. In erster Linie
dient dazu die menschliche Stimme. So erzählt der
Engländer Speke^) von den Wamanda: »Einen ge- . ^
meinschaftlichen Kriegsruf haben sie nicht; aber
bei jeder neuen Bewegung erhebt der Einzelne
einen lauten Schrei«. Noch häufiger finden wir
solche Ausrufe beim Zusammenarbeiten mehrerer,
wo dieselben freilich auch noch die Bedeutung ^^
haben, den Moment der gemeinsamen Kraftauf-
bietung zu markieren, z. B. das Hopp, Hopla beim
Lastenheben, das Hoiho der Schiff leute beim Auf-
winden des Ankers, das Zählen: Eins, Zwei, Drei!^
Diese Rufe nähern sich bereits dem eigentlichen
Kommando, wie es überall da nöthig ist, wo das
gleichzeitige Zusammenwirken mehrerer erforderlich
1) Die Expeditionen Burtons und Spekes, bearbeitet von K. Andree
(Jena l86l), S. 309.
2) Das Abzählen der Bewegungen findet sich übrigens auch bei
der Einzelarbeit. Vielleicht steht die merkwürdige Abschleifung der
drei ersten Zahlwörter nicht ausserhalb jedes Zusammenhangs mit dieser
Art der Verwendung ; denn zum Taktieren eignen sich kurzgesprochene
einsilbige Wörter am besten.
ist. Es sei nur erinnert an das >Holz her!« der
Zimmerleute, das wir beim Aufschlagen eines Bau-
werkes vernehmen.
An die Stelle der menschlichen Stimme kann
in solchen Fällen auch ein Instrument treten, durch
welches sich ein Ton hervorbringen lässt. Die
Malayen rudern nach dem Schlage des Tamtam;
die alten Griechen liebten nach dem Takt der Flöte
zu rudern und benutzten dieses Instrument auch bei
mancherlei anderen Arbeiten^); ja die Etrusker
sollen nach demselben ihre Bewegungen ebensowohl
beim Kneten des Brotteiges als beim Faustkampf
und Geissein eingerichtet haben*). Das verbreitetste
und für diesen Zweck wirksamste Musikinstrument
ist unstreitig die Trommel, die sich bei primitiven
Völkern überall und in der reichsten Mannigfaltig-
keit der Formen findet. Ostafrikanischen Träger-
schaaren marschieren wol im Gänsemarsch nach den
Schlägen der Kesselpauke; oft hängt jeder einzelne
Elfenbeinträger an seinen Elephantenzahn eine
Glocke und eine kleinere an das Bein*). Hier tritt
zu dem Moment des Rhythmus, der durch das
Hintereinanderschreiten der Träger von selbst ge-
geben ist, der belebende Einfluss, den die Musik'
an sich auf die Kräfte ausübt, das Wohlgefallen am
Tone selbst.
Und dies ist ein ausserordentlich wichtiges
Moment für eine Reihe von Beobachtungen, zu
denen wir uns nunmehr wenden, und welche alle
uns den Gesang in allerengster Verbindung mit der
1) Pausan. IV, 27, 7. V, 7, 10. Plutarch, Lys. 15.
2) Alkimos bei Athen. XII, 518 b. IV, 154 a.
3) Burton und Speke, a. a. O. S. 178 u. 543.
Arbeit zeigen, einerlei, ob diese für sich schon
einen Taktschall ergibt oder nicht. Diese Beobach-
tungen erstrecken sich über eine so grosse Zahl
von Völkern und Kulturstufen, dass man schlechthin
sagen kann: sie gelten für die ganze Menschheit,
wenn sie auch je nach der Charakteranlage bei
dem einen Volke sich häufiger machen lassen als bei
den andern^). Von manchen Völkern, wie namentlich
den Negern und den Malayen, kann man geradezu
sagen, dass bei ihnen jede körperliche Thätigkeit
mit Gesang begleitet wird, und auch bei den
heutigen Kultumationen finden wir noch zahlreiche
Reste dieser Gewohnheit.
Es liegt ausserordentlich nahe anzunehmen, dass
diese musikalische Begleitung der Arbeit nicht bloss
bestimmt sei, das Festhalten des Arbeitsrhythmus
zu unterstützen, sondern dass die numerische und
melodische Gliederung der Töne geradezu mass-
gebend werde für das Zeitmass der Arbeitsbe-
wegnngen. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr
hat sich, von einigen später zu erwähnenden Fällen
der Arbeitsgemeinschaft abgesehen, die Tonfolge
I) Insbesondere sollen die Indianer eine Ausnahme machen. So
schreibt K. von den Steinen a. a. O. S. 57 über die Bakairi: »Ihr
Temperament ist weniger beweglich und die ganze Lebensauffassung
weniger sonnig als bei den Kindern der Südsee; die Mädchen tanzen
nicht im Mondschein, und die Mähner singen nicht auf der Kanufahrt.«
Aber bald darauf (S. 62 f.) erzählt er von einem Angehörigen jenes
Stammes, dass er »sang, seinen Korb flechtend und mit einem Fusse
leise den Takt tretend . . . Leider verstehe ich den Text nicht und leider
noch weniger die Noten; ich kann nur angeben, dass der Rhythmus
sehr stark hervorgehoben wurde und dass man, wenn der Alte sang,
eine ganze Gesellschaft zu hören meinte, wie sie im Kreise lief und
stampfte.«
durchaus den Körperbewegungen in ihrer Zeitdauer
anzupassen und thatsächlich angepasst. Vor allem
hat die ganze Erscheinung mit der grösseren oder
geringeren musikalischen Veranlagung eines Volkes
nichts zu schaffen.
Dies haben auch die Musiker, wo sie diesen
Dingen Aufmerksamkeit geschenkt haben, leicht er-
kannt*). Die Melodie jener Gesänge ist durchaus
Nebensache, ebenso wie der Text, der manchmal
bloss aus sinnlosen Worten und Ausrufen besteht,
die sich in eintönigster Weise bis zum Ueberdruss
wiederholen. Was ihnen Bedeutung giebt, ist der
Rhythmus, und ein neuerer Musikschriftsteller *) meint
— in naiver Umkehrung des wahren Sachverhalts — ,
es gebe »thatsächlich manche Völker, die an diesem
einen Faktor der Musik {dem Rhythmus) fast aus-
schliesslich Gefallen finden, bei denen die Musik
wesentlich im Händeklatschen, dem taktmässigen
Bearbeiten resonierender Gegenstände, in rhythmischer
Wiederholung eines und desselben Tones etc. be-
steht«. Aber um ein blosses ästhetisches Gefallen
handelt es sich hier sicher nicht. Das rhythmische
Element wohnt weder der Musik noch der Sprache
ursprünglich inne; es kommt von aussen und ent-
stammt der Körperbewegung, welche der Gesang
zu begleiten bestimmt ist, und ohne welche er über-
haupt nicht vorkommt. Darum hat jede Arbeit,
jedes Spiel, jeder Thua sein besonderes Lied, das
I) Vgl. i. Ji. einen AuImiii. der AUg. musikaliscben Zeihiiig, Jhg.
1814, S. 501) (>Ueb{>r ÜU- .Miisili einiger wilder und halbknltivirter
Völker*).
1} K. HAfiK.s. Uditi .iiv Musik einiger Naturvölker (Aaslralier,
Uelaneder, Po1ynfsi»-rt- Jinml.uu' tSgi, S. 6.
bei keiner anderen Gelegenheit gesungen wird, und
da die Massverhältnisse der Körperbewegung bei
verschiedenen Individuen verschieden sind, so hat
bei manchen Naturvölkern jedermann seinen eignen
Gesang, über dessen Besitz er eifersüchtig wacht ^).
Es darf uns nicht wundem, dass die Reisenden,
welche bei Völkern von niederer Gesittungsstufe
diese Dinge beobachteten, sie mit den Vorstellungen,
welche sie aus unserer Kulturwelt mitbrachten, ver-
mischten, und dies um so mehr, je häufiger neben
ihnen schon Bildungen secundärer und tertiärer Natur
auftraten. So sehen wir sie denn bald auf die musi-
kalische, bald auf die poetische Seite mehr Gewicht
legen. Worin sie aber alle übereinstimmen, ist die
Thatsache, dass es überall für die verschiedenen
Verrichtungen des täglichen Lebens charakteristische
Gesänge giebt, und dass der Zusammenhang der letz-
teren mit der Arbeit um so schärfer hervortritt, je
tiefer die Entwicklungsstufe des betreflFenden VoU
kes isL
Es wird unter diesen Umständen am gerathensten
sein, zunächst eine Anzahl dieser Berichte^ im Wort-
laut anzuführen.
>Die Aegypter halten sich für ein ganz be-
1) Vgl. E. Grosse, Die Anfange 4er Kunst, S. 263 f.
2) Manches hat schon O. Böckel in der gehaltvollen Einleitung
ZU seinem Buche »D. Volkslieder aus Oberhessen« (Marburg 1885),
S. LIXiT. zusammengestellt. Ihm gebührt das Verdienst, unter den
Neuem zuerst auf die Wichtigkeit der Arbeitsgesänge für die Geschichte
des Volksliedes hingewiesen zu haben. Einzelnes findet man auch in
dem Aufsatze von G. Simmel, ^^Psychologische und ethnologische Stu-
dien über Musik«, Ztschr. f. Völkerpsychologie u. Sprachw. XIH (1882),
besonders S. 291 f. Beide Arbeiten sind mir erst nach dem Erscheinen
der I. Aufl. dieser Studie bekannt geworden.
untrer ^:ien:
sonders musikalisch beg-abtes Volk, und in der That
w^rd es dem Reisenden sofort auffallen^ wie viel
er sing'en hört. D«r Aegypter singt^ wenn er in
sich versunken auf seinen Fersen hockt oder auf einer
Strohmatte ausgestreckt am Boden liegr. wenn er
hinter seinem Esel herspringt, wenn er Mörtel und
Steine am Baug-erüste emportragt, hei der Feldarbeit
und beim Rudern: er singt ailein oder in Gesellschaft
und betrachtet den Gresang als eine wesentliche
Stärkung bei seiner Arbeit und als einen Gmiuss
in seiner Ruhe. Es fehlt diesen Liedern eigentlich
die Melodie: sie werden alle in bestimmtem Rvth-
mus . . . durch die Nase gesungen und zwar so, dass
unter sechs bis acht Haupttönen vom Säng'er beliebig-
gewechselt wird, je nachdem gerade seine Seelen-
stimmung ist. Der Charakter dieser so entstandenen
Melodie ist sehr monoton und tllr ein europäisches
Ohr ohne Wohlklang.^ ^"^
Von den Ostafrikanern berichten Burton und
Speke-*): >Sie haben an der Harmonie ihre Freude.
Der Fischer singt zum Ruderschlag, der Träger,
wenn er seine Last schleppt, die Frau, wenn sie ihr
Kom zermalmt. v< Ueber die Ussukuma «am Südufer
des Victoria Xyanza) erzählt P. Kollmann ^: »Bei
allen Arbeiten ist es üblich, dass gesimgen wird.
Trugen die an der Station Muanza beschäftigten
Leute Steine oder Gras, so lief stets ein Mann längs,
vor oder hinter dem Zug, der unter tzmzartigen Be-
wegungen vorsang, worauf dann der ganze Zug ein-
1)
BÄDEKER's Aegypten I, S. 24.
2) a. a. O.
S. 330.
3) Der Nordwesten unserer ostafrikanischen Kolonie ^Berlin 1898),
S. 117.
fiel. Bei grosser Anzahl von Leuten erklangen diese
Lieder trotz ihrer Einförmigkeit melodisch, oft mit
einer etwas melancholischen Klangfarbe.« In seinen
Mittheilimgen über die Sotho-Neger schreibt der
Missionar K. Endemann ^): »Bei dem Gefallen an
Musik ist es natürlich, dass auch viel gesimgen wird.
Der einzelne Arbeiter singt gern bei seiner Arbeit.
Arbeiten in Gesellschaft, die sich im Takt ausführen
lassen, werden oft mit Gesang begleitet. Zum Tanze
wird inuner gesungen. Die Weise, die der Einzel-
gesang hat, ist gewöhnlich so beschaffen, dass sie
in der Höhe anfangt und regellos in die Tiefe geht.
Der Text ist dann ein beliebig ersonnener. Zum
Tanze wird im Chor gesungen, ebenso bei im Takt
ausgeführten Arbeiten. Daneben gibt es auch Solo-
gesänge mit Begleitung, die besonders auf den k;fqro
beim Fellgerben ^), Karossnähen, Korbflechten u. dgl.
Arbeiten zur Aufführung kommen. Die Textzeilen
werden vom Solosänger willkürlich eingetheilt; oft
fängt er in der Mitte an und bringt erst hernach
den Anfang des Stückes. Auch die einzelnen Zeilen
werden noch in Stücke auseinander gerissen; oft
1) Ztschr. f. Ethnographie VI (1874) S. 30.
2) Darüber berichtet der Verfasser an anderer Stelle (S. 26) : ^Das-
Gerben der Felle geschieht, soweit ich es beobachtet habe, auf folgende
Weise: Grosse Felle, von Rindern z. B., die man zu Karossen ver-
arbeiten will, werden frisch oder eingeweicht glatt auf der Erde aus-
gespannt und mit langen Dornen als Speilem befestigt. Ist das Fell
getrocknet, so wird es mit dem Dächsei gerauhet, um Fett und Fleisch-
theile zu entfernen. Dann wird es mit Fett eingeschmiert und mit den
Händen weich gerieben und geknetet. Zu letzterem Behufe sitzt eine
ganze Gesellschaft um das Fell herum, von der jeder Theilnehmer
seines Ortes daran arbeitet, was gern taktmässig unter lustigem Ge-
sänge ge schiebt.
wird eine mehrmals hintereinander wiederholt. Die
Begleitung macht erst die Einleitung mit dya Ö6 6,
dya Ö6 6, oder ha
öö ho ho ho ho ho o ho ho oder
ähnlich. Mitunter werden zwei begleitende Chöre
gebildet, von denen der eine die Cadenz in tiefem
Tone anfangt, worauf der zweite in höherm Tone
einsetzt. Dies geschieht einigemal hintereinander.
Dann fangt der Solosänger an; währenddem singt
die Begleitung fort. Zwischen jeder Pause des Solo-
sängers bildet die fortsingende Begleitung gleichsam
das Zwischenspiel. Beginnt eine neue Strophe, so
setzt der Solosänger oft in anderem Tone ein; dies
wird dann von der Begleitung ebenfalls befolgt.
Von Harmonie ist dabei nicht die Rede. Die Auf-
zeichnung der Weisen ist schwierig, da die Sotho-
Tonleiter nur ganze Töne hat, dazu jedesmal wieder
anders gesungen wird als vorher.«
Ein berühmter französischer Reisender des 1 7. Jahr-
himderts^) macht bei Besprechimg der Mingrelier fol-
gende Bemerkung: »Da diese Völker über alle Be-
griffe träge und weichlich sind, so feuern sie sich bei
der Arbeit dadurch an, dass sie stark singen und
brüllen, womit sie sich gegenseitig betäuben. Es ist
wahr, dass es eine im ganzen Orient fast allgemeine
Gewohnheit ist, sich durch Gesang zur Arbeit zu er-
muntern. Dass dies ebensowohl von der Trägheit
des Geistes als von der Weichlichkeit des Körpers
kommt, sieht man daran, dass diese Gewohnheit um
so stärker wird, je weiter man nach Süden kommt.
In Indien z. B. könnten die Schiffer kein Tau an-
i) Voyages du
Chevalier Chardin en Perse et autres lieux de
POrient. Nouvelle Edition par L. Langles. (Paris 181 1), I p. 160.
ziehen oder auch nur anfassen ohne zu singen. Die
Kameele und Ochsen sind daran gewöhnt, mit Ge-
sang geleitet zu werden, und je nachdem ihre Last
schwer ist, muss man stärker und anhaltender singen.
Ueber die Bewohner der Molukken sagt
W. JoEST^): »Die Leute singen und tanzen nicht nur
unermüdlich bei ihren oft zwei- und dreimal 24 Stun-
den dauernden geselligen Zusammenkünften, auch
jede im Wald, auf dem Felde u. s. w. in Gemein-
schaft unternommene Arbeit wird von Gesang be-
gleitet. Die Träger, die den nicht immer leichten
Reisenden im Tragsessel durch den Wald oder über
schmale und schlüpfrige Bergpfade schleppen, singen,
auch wenn ihnen der Schweiss am ganzen Körper
herabläuft, unermüdlich, trotz Last und Hitze, ebenso
die Ruderer.» Damit stimmt Freycinet*) überein,
der von den Timoresen sagt: »Wenn sie arbeiten,
singen sie fast ohne Unterlass, besonders dann, wenn
die Beschäftigung das Zusammenwirken mehrerer
Individuen und eine gewisse Gleichzeitigkeit des
Handelns erfordert, z. B. beim Rudern einer Pirogue,
beim gemeinsamen Tragen schwerer Lasten, beim
Stampfen des Reises, ebenso aber auch um sich gegen-
seitig bei der Arbeit zu ermuntern.« An einer an-
dern Stelle^ vergleicht derselbe Reisende diese Ar-
beitsgesänge mit den Tanzliedern und betont, dass
für jede Arbeitsart die Sangweise eine besondere
und immer dieselbe ist. Ebenso beobachtete der
1) »Malayische Lieder und Tänze aus Ambon und den Uliase«
im Internat. Archiv f. Ethnographie V, S. 4.
2) Voyage autour
du monde I, 665, citiert bei Simmel a. a. O.
3) PÄRON et
Freycinet, Voyage de d^couvertes aux terres au-
strales (Paris 1824) p. 60. 67.
Arbeit und Rhythmus. 4
schon genannte W. Joest bei den Buschnegem in
Guyana, dass »gemeinschaftliche Arbeiten, wie Ru-
dern, das Fällen und Heben schwerer Bäume u. s. w.
stets mit Gesang begleitet werden.«^)
Nicht minder ausgeprägt ist diese Gewohnheit
bei den Südsee-Insulanern. Von den Bewohnern
Taheiti's erzählt der englische Missionar Ellis^: »Ihre
Lieder waren meist historische Balladen, die in ihrem
Charakter sich nach dem Gegenstande änderten, den
sie behandelten. Sie waren erstaunlich zahlreich
und jeder Lebensperiode und jeder Gesellschafts-
klasse angepasst. Den Kindern wurden diese Ubus,
wie ^ie genannt wurden, zeitig gelehrt, und sie fan-
den grosse Freude darin, sie herzusagen. . . . Sie
hatten ein Lied für den Fischer, ein anderes für den
Bootzimmerer, ein Lied beim Umhauen eines Baumes
zu singen, ein Lied, wenn das Boot ins Wasser ge-
lassen wurde.« . . . Auch »die Maori singen zu jeder
Arbeit, jedem Tanze, beim Rudern, beim Spiele,
beim Auszug in den Krieg.«»)
Es Hessen sich diese Zeugnisse noch vermehren.
Ich muss mich damit begnügen, noch drei anzu-
führen, die sich auf uns näher liegende Gebiete be-
ziehen. Das Eine ist von Hamann*) und lautet: »Es
giebt in Curland und Li vi and Striche, wo man
das undeutsche Volk bei aller Arbeit singen hört;
1) Joest, Ethnographisches u. Verw. aus Guyana, S. 67.
2)
Polynesian Researches IV.
3) Ratzel, Völkerkunde I, S. 180.
4) Kreuzzüge eines Philologen (Schriften, herausg. v. F. Roth,
II, S. 304), angeführt in Herders »Stimmen der Völker«, wo sich
Aehnliches mehr findet. Vgl. auch H. Neus, Ehstnische Volkslieder
(Reval 1850), Einleitung.
aber nur eine Kadenz von wenig Tönen, die viel
Aehnlichkeit mit einem Metro hat. Sollte unter
ihnen ein Dichter aufstehen, so würden alle seine
Verse nach diesem Masstab ihrer Stimmen sein.
So ward Homers monotonisches Metrum sein durch-
gängiges Silbenmass.«
Annette von Droste-hülshoff^) berichtet aus dem
niedersächsischen Gebiete: »Obwohl sich keiner aus-
gezeichneten Singorgane erfreuend, sind die Pader-
borner doch überaus gesangliebend; überall, in
Spinnstuben, auf dem Felde hört man sie quinke-
lieren und pfeifen; sie haben ihre eigenen Spinn-,
ihre Acker-, Flachsbrech- und -rauflieder; das letzte
ist ein schlimmes Spottlied, das sie nach dem Takte
des (Flachs-)Raufens jedem Vorübergehenden aus
dem Stegreif zusingen.« In der Einleitung einer vor
wenigen Jahren erschienenen Sammlung nassauischer
Volkslieder heisst es: »Mit Gesang ziehen die Schnitter
hinaus und wieder zurück; mit Gesang briugen sie
das letzte Fuder der Feldfrucht ein; singend wird
auch die letzte Garbe ausgedroschen. Das Lied
begleitet die Mädchen in den Wald zum Beeren-
sammeln, ebenso zu denjenigen häuslichen Verrich-
tungen, welche sie unter Mithülfe ihrer Genossinnen
I) Letzte Gaben, 261, citirt bei Reifferscheid , Westfälische
Volkslieder, S. 188. — Mit ganz ähnlichen Worten schildert E. Schatz-
MAYR in der Ztschr. d. Vereins für Volkskunde III (1893) die Sanges-
lust der ladinisch sprechenden Friauler. »Dem Furlaner ist Lied und
Gesang Lebensbedürfhiss : von früh morgens bis spät abends, bei der
Arbeit auf dem Felde und in der Werkstatt, auf der Wanderschaft
nnd daheim in Haus und Garten hört man ihn singen. Mehr noch
die Furlanerinnen. Einzeln und in Chören, in Feld und Wald, in den
Spinnereien, auf den Wegen und Steigen, nach dem Vesperläuten er-
schallen ihre mehr oder minder fröhlichen Gesänge (villotte).«
4*
vornehmen, wie z. B. das Honigkochen, Bohnen-
schneiden, FlachsrefFen, Wollewaschen, und wo sich
das ganze Dorf zu gemeinsamer Arbeit zusammen-
findet, z. B. bei der Schafschur, erklingen unausge-
setzt fröhliche Weisen.«^)
Weniger bekannt ist, dass auch die alten
Griechen neben ihren kunstmässigen Liedern der-
artige volksthümliche Gesänge kannten. Wie ver-
breitet und alltäglich sie waren, geht daraus hervor,
dass es für sie je nach der Arbeit, zu der sie ge-
hörten, uralte Namen gab {[^aiog^ tov^og^ ^LtvsQörjgj
sCktvog), welche schon die Alexandriner nicht mehr
recht zu deuten wussten.^ So kannte man besondere
Weisen für das Komschneiden, das Stampfen der
Gerstenkörner*), das Getreidemahlen auf der Hand-
mühle, das Treten der Trauben beim Keltern*), das
Wollspinnen, das Weben, femer Lieder der Wasser-
schöpfer, der Seiler^), der Bader, der Färber, der
Wächter, der Hirten, der Taglöhner, die ins Feld
hinausziehen^).
Die letztgenannten Beispiele mögen immerhin
Fälle betreffen, wie sie auch bei uns noch sehr
häufig vorkommen, wo ein Volkslied zur Arbeit ge-
sungen wird, ohne dass es zu derselben eine andere
Beziehung hätte, als die des angenehmen Zeitver-
treibs bei einer einförmigen, das Denken nicht be-
1) E. H. Wolfram, Nass. Volkslieder, Berlin 1894, S. 13.
2) Vgl. das interessante Fragment des Tryphon bei Athen.
XIV, S. 6i8d.
3) Tttiaömbv
fiiXog nach Pollux IV, 55.
4) inLXi/jVLov fi^Xog: Athen. V, S. 199*.
5) Aristoph. Frösche 1297 und dazu d. Schol.
6} Vgl. auch Bergk, Griech. Litteraturgeschichte I, S. 352 f.
sonders in Anspruch nehmenden Verrichtung. Dass
der Gesang auch in diesem Falle die Arbeit er-
leichtert, ist schon in alter Zeit beobachtet und aus-
gesprochen worden^). Aber die Mehrzahl jener Ge-
sänge gehört doch zu Arbeiten, die an sich von
ausgeprägt rhythmischer Natur sind. Dass hier das
Verhältniss ein anderes ist, dass eine gewisse Ab-
hängigkeit in den Massverhältnissen zwischen Arbeits-
bewegung und Gesang besteht, ist unverkennbar.
Welches ist aber von beiden Elementen das mass-
gebende? Wir werden nach den vorausgegangenen
Erörterungen kein Bedenken tragen dürfen, der
Arbeit die leitende Rolle zuzutheilen. Die Gesänge
werden durch den rhythmischen Verlauf der Arbeit
hervorgerufen und passen sich dem Tempo derselben
an. Bergk hat darum gewiss Recht, wenn er sich
den Gesang der Wasserschöpfer vorstellt als »ein
eintöniges Wiederholen von Naturlauten, welche die
gleichförmige Bewegung des Arbeiters begleiteten«.
Noch heute schöpfen die Beduinen das Wasser für
ihr Vieh »zu dem Takt des Brunnenliedes, das man
an allen Brunnen in den Wüsten Syriens und Meso-
potamiens hört«.^ ViLLOTEAu fand den gleichen Ge-
sang bei den ägyptischen Wasserschöpfern und hat
denselben sogar in Noten gesetzt^); aber er hat ge-
wiss Unrecht, wenn er meint, jene Leute »verrichteten
alle ihre Bewegungen beim Wasserschöpfen nach
1) Zeugnisse bei Böckel a. a. O., S. LXIf.
2) Sachau, Reise in Syrien u. Mesopotamien (Leipzig 1883) S. 115.
3) Abhandlung über die Musik des alten Aegyptens (aus der De-
scription de PEgypte übersetzt), Leipzig 1821, S. 86f. Anm. — Ebenso
singen bei den Tamulen die Brunnentreter : Graul, Reise in Ostindien
rv, S. 199.
dem Takte der ihnen eigenen Lieder«. Vielmehr
sind die Lieder, wie die Noten ersehen lassen, in
ihrem Zeitmass den Bewegungen des Schöpfenden
angepasst.
Der deutlichste Beweis für die rhythmische Un-
selbständigkeit dieser Gesänge liegt aber wohl darin,
dass, wenn sie sich von der Arbeit loslösen, zu der
sie gehören, künstliche Hilfsmittel nöthig sind, um
ihnen den Rhythmus zu verleihen, sei es Stampfen
mit den Füssen, Händeklatschen oder ein Schall-
instrument. Bei den Somäl und Danäkil »begleitet
Musik den Gesang nur in seltenen Fällen, und dann
ist es nur das Tantam-Schlagen der Trommel, der
Klang der Darbuka oder das Rasseln mit einer
Holzklapper, das lediglich den Zweck hat, den Takt-
schlag zu verstärken. Das letztere ist besonders der
Fall bei dem Hochzeitsgesang der südlichen Somäl
oder dem Gerär, dem Liede vom Kameelrücken,
wenn man sich entschliesst die Thiere einmal zu
reiten.«^)
»Bei den Bewohnern der Andamanen beziehen
sich die Stoffe der Gesänge auf die alltäglichen Be-
schäftigungen, Jagd, Kampf, Bootbau etc. Musik
und Rhythmus entsprechen nicht der Stimmung, die
das Lied wiedergeben soll. Jeder von ihnen com-
ponirt seine eigene Weise, und es gilt als Bruch
der Etikette, die Melodie eines Anderen zu singen,
hauptsächlich die eines Verstorbenen. . . Als Be-
gleitung des Tanzes und Gesanges ist Händeklappen
üblich, sowie das Schlagen der Pukuta, eines Klang-
brettes, das, im Boden befestigt, mit dem Fusse
I) Paulitschkk,
a. a. O. S. 250.
rhythmisch geschlagen wird. Ein besonderer Effekt
kommt dadurch zu Stande, dass plötzlich der Gesang
abbricht und dann nur das rhythmische Schlagen
der Pukuta zu vernehmen ist.«^)
Diese Beispiele, denen sich viele andere anreihen
Hessen, zeigen klar, dass der Gesang jener primi-
tiven Völker eines metrischen Regulators bedarf.
Als solcher ist aber offenbar nicht in letzter Linie
der Schall anzusehen, der von der Trommel, der
Pukuta oder den klatschenden Händen, den stampfen-
den Füssen ausgeht, sondern die rhythmische Körper-
bewegung, welche diesen Schall hervorruft. Der
Bewegungsrhythmus ist also die Ursache des rhyth-
mischen Verlaufs der Sprachlaute, und wir dürfen
vorläufig annehmen, dass letzterer ohne ersteren
nicht möglich ist. —
Ich habe mich in diesem Kapitel absichtlich auf
Beobachtungen beschränkt, welche die weite Ver-
breitung und den universellen Charakter der Arbeits-
gesänge bezeugen, ohne auf die besonderen Verrich-
tungen näher einzugehen, zu denen [sie gesungen
werden. Diese aber können wieder von sehr ver-
schiedener Art sein, und es wird schon der besseren
Uebersicht wegen nöthig sein, sie mit Rücksicht
auf die Rolle, die der Gesang dabei spielt, in eine
bestimmte Ordnung zu bringen. Der Arbeitsgesang
muss sich aber verschieden gestalten und verschieden
wirken, je nachdem die Arbeit von einer einzelnen
Person selbständig oder von einer Gemeinschaft von
Menschen in gegenseitiger Abhängigkeit verrichtet
I) Hagen, a. a.
O. S. 20 f.
wird. Wir können darnach zunächst zwischen Einzel-
arbeit und Gemeinschaftsarbeit unterscheiden.
Die Einzelarbeit wird überall da als vorhanden
anzunehmen sein, wo ein Arbeiter unabhängig von
andern seine Bewegungen gestaltet, was nicht aus-
schliesst, dass er mit andern zusammen in demselben
Räume sein Werk verrichtet. Sie wird also bei
einer Mehrzahl von Spinnerinnen in einer Spinnstube,
deren jede für sich ihre Spindel dreht oder ihr Spinn-
rad in Bewegung setzt, ebenso gegeben sein, wie
bei einer einzeln für sich thätigen Frau. Begleitet
Gesang die Arbeit, so wird er sich allerdings bei
einer Mehrzahl von gesellig arbeitenden Personen
zum Chorgesang gestalten, und es werden auch die
Arbeitsbewegungen dem entsprechend bei Verschie-
denen gleichartig im Rhythmus verlaufen. Aber
wir werden doch auch in solchen Fällen so lange
von Einzelarbeit zu reden haben, als jedem Arbeiter
sein besonderes Arbeitspensum obliegt, dessen Be-
wältigung er selbständig vollzieht.
Anders liegt der Fall bei der Gemeinschafts-
arbeit^), bei welcher mehrere zur Bewältigung einer
Arbeitsaufgabe zusammenwirken müssen. Hier lässt
sich ein abgesondertes Arbeitspensum für den Ein-
zelnen aus der Gesamtleistung gar nicht auslösen.
Die Aufgabe als Ganzes verlangt Arbeitshäufung,
d. h. die Gemeinschaft einer Mehrzahl gleichzeitig
und gleichartig arbeitender Personen. Diese Arbeits-
gemeinschaft kann durch technische oder wirthschaft-
liche Rücksichten gefordert werden.
I) Ueber die Arbeitsgemeinschaft und ihre Arten habe ich aus-
führlicher in meiner Entstehung der Volkswirthschaft, 2. Aufl., S. 256 £F.
gehandelt.
Im ersteren Falle ist die Arbeit des Einzelnen
für sich allein, wenn auch nicht immer unmöglich,
so doch unergiebig oder völlig wirkungslos. Ent-
weder verlangt sie eine wechselweise Kraftaufbietung
mehrerer zur Herstellung des nothwendigen Arbeits-
rhythmus: Arbeiten im Wechseltakt (oben S. 29f.),
oder sie erfordert gleichzeitige Kraftaufbietung aller
Betheiligten: Arbeiten im Gleichtakt. Immer
aber ist der einzelne Arbeiter in den Massverhält-
nissen seiner Bewegung nicht frei, sondern an seine
Genossen gebunden. Die Gesänge sind in diesen
Fällen entweder reine Chorgesänge oder Wechsel-
gesänge; bei letzteren ist der Vorsänger zugleich
auch Vorarbeiter. Sie unterstützen das technisch
nothwendige Gleichmass der Bewegungen und ge-
stalten sich bei den Arbeiten im Gleichtakt geradezu
wie ein fortgesetztes Kommando.
Im zweiten Falle sind es hauptsächlich die durch
Witterungsgefahren, Furcht vor Kapitalverlusten und
dergl. gegebenen Rücksichten, welche zur Aufbietung
einer grösseren Arbeiterzahl bei solchen Arbeitsauf-
gaben zwingen, die auch der Einzelne bewältigen
könnte, aber nur in unverhältnissmässig langer Zeit
und oft zum Schaden des Produkts (Ernte, Mauerbau,
Schneeschaufeln, Erdarbeiten etc.). Die technische
Natur der Arbeit nöthigt hier nicht dazu, dass alle
Arbeiter sich in demselben Tempo bewegen, und in
der Regel werden unter unseren Kulturverhältnissen
die Einzelnen (z. B. die verschiedenen Maurer an
einem Bau) bald rasch, bald langsam arbeiten. Aber
auf andern Stufen der wirthschaftlichen Entwicklung
ist nachweisbar auch hier der Gesang als Mittel an-
gewendet worden und wird heute noch angewendet.
um ein volles Gleichmass der Arbeitsbewegiingen
bei allen Mitwirkenden künstlich herbeizufuhren.
Die hierher gehörigen Fälle bieten nicht bloss Inter-
esse für die vorliegende Untersuchung; sie sind auch
socialgeschichtlich von der grössten Bedeutung, in-
dem sie mit den Einrichtungen der Bittarbeit und
der Frohnarbeit eng zusammenhängen. Immer aber
erscheint hier der Arbeitsgesang nicht technisch
durch die Arbeitsart bedingt, sondern er wird zum
Mittel für die Zusammenfassung grösserer Menschen-
massen und für die Steigerung ihrer Arbeitsintensität.
Dies berechtigt uns, diese Art von Fällen für sich
ausführlicher in einem besonderen Kapitel (V) zu
behandeln.
Wir würden dann die Arbeitsgesänge, soweit
sie auf rein technischer Grundlage erwachsen sind,
in drei Gruppen zu sondern haben, die sich an die
drei Arbeitsarten : Einzelarbeit (einschliesslich der
geselligen Arbeit), Arbeit im Wechseltakt, Arbeit
im Gleichtakt anzuschliessen hätten. Die ganze
Unterscheidung verfolgt nur den Zweck, das im
nächsten Kapitel vorzulegende reichhaltige Material
einigermassen übersichtlich zu gruppieren. Scharfe
Grenzlinien sind dabei nicht zu ziehen, da meist
unsere Quellen sich auf die technischen Eigenthüm-
lichkeiten der betreffenden Arbeitsprocesse nicht ein-
lassen. Bei der Mittheilung von Arbeitsgesängen
hat das Bestreben obgewaltet, alle Texte, welche
für die Zwecke dieser Untersuchung wichtig sind
oder für diejenigen Fächer wichtig werden könnten,
denen die weitere Verfolgung der Sache obliegt, im
Wortlaut vorzulegen, wo aber für ein Volk mehrere
derselben Arbeitsart angehörige Beispiele zur Ver-
fugnng standen, das bezeichnendste auszuwählen, die
Fundstellen der übrigen jedoch in den Noten nach-
zuweisen. Vollständigkeit ist natüriich hier mit
der schwachen Kraft eines Einzelnen nicht zu erzielen.
Bei Texten, die noch nirgends gedruckt oder doch
an schwer erreichbaren Stellen zerstreut sind, habe
ich alles gegeben, was in meinen Händen war.
Ueberall ist darauf gehalten worden, dass der Nach-
weis für den specifischen Charakter der Lieder als
Arbeitsgesänge geliefert werden konnte ; wo der letz-
tere nur zu vermuthen war, sind bloss Nachweisungen
in den Anmerkungen gegeben worden. Soweit als
möglich sind von fremdsprachigen Stücken neben
einer dem Originale sich möglichst anschliessenden
Uebersetzung auch Proben in der Ursprache abge-
druckt. Melodien Hessen sich leider nicht überall,
wo es wünschenswerth gewesen wäre, beschaffen.
Unter allen Arbeiten, welche der Haushalt primi-
tiver Völker erfordert, giebt es kaum eine lang-
wierigere und einförmigere als das Mahlen der
Getreidekörner mittels der Handmühle. Ursprüng-
lich blos ein festliegender, oben ebener oder etwas
ausgehöhlter Steinblock, auf welchem ein zweiter
Stein von dem arbeitenden Menschen mit pressender
Kraft vor- und rückwärts bewegt wird^), erfordert
dieses wenig ausgiebige Werkzeug die Aufbietung
erheblicher Körperkraft und erzwingt von selbst eine
rhythmische Bewegung der Arme und des Ober-
körpers. Auch die spätere bei den Griechen und
Römern und noch heute im Orient gebräuchliche
Form der Handmühle, bei welcher der obere Stein
durch eine Handhabe in kreisende Bewegnag gesetzt
wird^, verlangte noch so mühselige Arbeit, dass sie
geradezu als Strafmittel gegen widerspenstige Sklaven
benutzt werden konnte.
1) Besclireibung in Livingstones Missionsreisen (übers, von
Martin), II, S. 268. Vgl. Lippert, Die Kulturgeschichte in einz. Haupt-
stücken I, S. 47. Abbildung auch bei Ratzel, a. a. O. IT, S. 70.
2) Abbildung bei Niebuhr, Reise in Arabien I, Taf. 1 7 A. Ploss,
Das Weib in der Natur u. Völkerkunde (4. Aufl.) II, S. 425.
Die Mühlenlieder werden darum als besonders
reiner Typus des Arbeitstaktliedes an die Spitze
dieser Aufzählung gestellt werden dürfen. Zugleich
können sie als die zeitlich und räumlich verbreitetste
Form dieser Gesänge gelten.
Schon das alte Testament erwähnt das >Lied
der Müllerin«, und zu den ehrwürdigsten Resten der
griechischen Volkspoesie dürfen gewiss jene drei
Verschen aus Lesbos gerechnet werden, die uns
Plutarch^) aufbewahrt hat:
Nr. I.
"Jlsij fivXor, &Xst * ^ Mahle, Mülile, mahle !
Tial yccQ Ihrtocyibs aXei, Denn auch Pittakos mahlte,
iuydlag MvtLXdvag ßaCiXavcav. Des grossen Mytilene Beherrscher.
Die Verse entziehen sich den metrischen Regeln
der Alten, wahrscheinlich weil sie ganz der Bewe-
gung des Mahlsteins folgten, und es mögen tausend
ähnliche bei bestimmtem Anlass im alten Hellas ent-
standen und wieder verschwunden sein. Jedenfalls
zeigt die häufige Erwähnung der snifiiikLOL ipSaC ihre
weite Verbreitung, wie sie auch beweist, dass sie sich
für das Empfinden der Griechen als eine besondere
Liedergattung von ausgesprochener Eigenart aus der
Masse ähnlicher volksthümlicher Gesänge heraus-
. hoben. Bekannt ist auch der Grottasang aus der
Edda. König Prodi lässt Fenja und Menja als Mägde
zur Mühle führen:
Nr. 2.
Sie Hessen erknirschen die knarrende Mühle:
^Lass uns richten die Kasten und regen die Steine;
Denn noch mehr zu mahlen den Mädchen befahl er.«
I) Sept.
sap. conv. c. 14. Bergk, poetae lyr. p. 1035.
62 Vierter
Theil:
Sie drehten rüstig die rollenden Steine
Und sangen in Schlaf das Gesinde Prodis;
Da nahm beim Mahlen Menja das Wort:
>Wir mahlen Gold; die Mühle des Glücks
Macht Frodi reich an funkelnden Schätzen;
Im Reichthnm sitz' er, mhe auf Daunen,
Erwache vergnügt! Dann ist wohl gemahlen« u. s. w. *).
Besonders reich entwickelt findet sich diese Gat-
tung von Arbeitsgesängen in Litauen, in den russi-
schen Ostseeprovinzen und in Finnland, wo sich das
Mahlen auf der Handmühle bis zum Anfange dieses
Jahrhunderts in verkehrsarmen Gegenden erhalten
hat. Zunächst sei ein litauisches Müllerinnenliedchen
mitgetheilt,. das in seinen Eingangsworten lebhaft
an das altgriechische Beispiel aus Lesbos erinnert^.
Nr. 3.
1. Rauschet, rauschet, 3. Warum verfielst du,
Ihr Mühlensteine! O zarter Jüngling,
Mich dünkt, nicht mahlt' ich alleine. Auf mich armselig Mägdlein?
2. Alleine mahlt' ich, 4. Du wusstest ja wohl,
Alleine sang ich, O Herzensjüngling,
Alleine dreht' ich die Quirdel. Dass ich im Hof nicht sitzet
5. Bis an die Kniee
Hinein in Sümpfe,
Bis an die Achseln
Hinein ins Wasser . . .
Armselig meine Tage!
1) Die Edda übers, von H. Gering, S. 377 f.
2) Dainos oder Litthauische Volkslieder, herausg. von L. J. Rhesa,
Berlin 1843, S. 37 ff. Mit einigen Abweichungen auch bei Nessel-
mann, Litt. Volkslieder, S. 242 f. Die erste Strophe lautet im Urtext:
Uzkit üzkit,
Mano gimates,
Dingos, ne wienä malü.
Viel zahlreicher, aber inhaltlich weniger ent-
wickelt sind die vorliegenden lettischen Mühlen-
liedchen. Es sind, wie überhaupt die Volkslieder
dieses Stammes, meist kurze Strophen von je vier
achtsilbigen trochäisch gemessenen Versen. Ich lasse
einige derselben folgen^). Das erste (Nr. 4) ist einer
geraubten Braut in den Mund gelegt, welche die
Aufforderimg ihrer Angehörigen zur Rückkehr ins
Vaterhaus zurückweist mit der Begründung, dass sie
zu Hause hart habe arbeiten müssen. Auch das
zweite (Nr. 5) geht auf die Lage der verheirateten
Frau, während sich die drei folgenden (Nr. 6 — 8)
eher auf Mädchen zu beziehen scheinen. Das letzte
(Nr. 8) zeigt insofern eine Eigenthümlichkeit, als aus
ihm hervorgeht, dass nicht immer die Mahlerin selbst
den Gesang anstimmte.
Nr. 4.
Es neeefchu, es newaru, Nein, ich geh* nicht; (denn) ich kann nicht r
Jus man pari darijät; Ihr habt Unrecht mir gethan;
Pntej' manio wainadlinis Staubig wurde mir mein Kränzlein
Dfeemu mibias galinei. An dem Ende (eures) Mehlsacks;
Sadil' manis gredfeninis Abgerieben ist mein Ringlein,
Grütu dfeemu ritinot; Als die Mühl* ich mühsam drehte.
Es neeefchu, es newaru, Nein, ich geh' nicht; (denn) ich kann nicht,.
Jus man pari darijät. Ihr habt Unrecht mir gethan.
Nr. 5.
Sah nicht recht, im Dunkeln mahlend,
Wer zur Kammer eingetreten.
I) Nr. 4 aus A., E. und A. Bielenstein, Studien aus dem Ge-
biet der lettischen. Archäologie, Ethnographie u. Mythologie (S.-A. a.
d. Magazin der lettisch litter. Gesellsch.) Riga 1896, S. 65; Nr. 5 — &
aus Ulmann, Lettische Volkslieder, Riga 1874, Nr. 77. 198. 197. 235^
Andere bei Sprogis, Pamjatniki S. 263.
5 4 Vierter Theil:
War*s ein MeMdieb, oder war es
Eine andre Mahlerin?
War kein Mehldieb, der hereintrat,
War auch keine Mahlerin;
Nein, es war die Schwiegermutter,
Eine weisse Haube bringend.
Nr. 6. Nr. 7.
Also sprach der junge Roggen, Keinen kümmert's, keinem schadet's,
Als er in die Mühle einging : Wenn ich mahl' vor Sonnenaufgang ;
Wo ist meine Mahlerin? Meine Nachtruh', meine Arbeit,
Ungeschmücket ist die Mühle. Beide sind mein Eigenthum.
Nr. 8.
In die Mahlstub' gingen Mädchen,
Mich, die Kleine, nahmen mit sie;
Sollte nicht beim Mahlen helfen,
Lieder sollt' ich ihnen singen.
Auch sonst spielt der Gesang zur Handmühle
in den Volksliedern der Letten eine grosse Rolle.
Der Bursche, welcher auf die Brautsuche auszieht,
bindet sein Rösslein an, um hinter der Mauer auf
den Gesang der Mädchen in der Mahlkammer zu
lauschen. Es ist ihm gerathen worden, nur eine gute
Sängerin auszuwählen, da eine solche auch fleissig sei.
Die Mädchen hinwieder klagen über die harte Arbeit,
den rauhen Mühlstein. Dieser Zug klingt auch in nach-
folgendem estnischen Gesänge wieder, dem ein-
zigen, der sich hat auffinden lassen. Der Herausgeber^)
hat freilich alles gethan, um die wahre Natur dieses
schönen Liedes zu verdunkeln. Er überschreibt es
»Mahlknecht«, obwohl das Stück als käsfikiwwi laul,
d. h. Lied zur Handmühle, bezeichnet .ist. Der Ein-
I) H. Neus, Ehstnische Volkslieder, Reval 1850, S. 227. Die
Stropheneintheilung ist von mir; Str. 3 fehlt eine Zeile.
gang wird mit Vorstellungen von Zauberwirkungen
in Verbindung gebracht, die an der Mühle haften
sollen. Aber es geht alles sehr natürlich zu. Das
mahlende Weib vergleicht das Geräusch der Mühle
mit dem Brausen des Meeres, an dessen Uferfelsen
der Mühlstein gebrochen ist, den Meeressand mit
dem Malzschrot, das auf der Mühle gemahlen wird.
Wäre der Stein doch im Meere geblieben, der für
die Mahlerin zur Marter wird! Der Mühsal des
Mahlens wird dann echt poetisch in der Schluss-
strophe die Freude an dem Gebräu gegenüberge-
stellt, das aus dem Erzeugniss der Mühle bereitet
wird.
Nr. 9.
1. Ma laulan merre mumikßlt, i. Her sing ich ein Meer aus Trümmern,
Merre kalda kalladelt, Meeres Felsen vor aus Fischen,
Merre äred ädikaks, Meeres Ufer um zu Essig,
Merre liwa linnakliA, Meeres Sand hervor aus Malze,
Merre .puud puna kiwwiks! Meeres Holz zum rothen Steine!
2. Kiwwikene, allikene, 2. Mühlensteinchen , graues Steinchen,
Eks sa woinud merres mür- Konntest du im Meer nicht dröh-
rada, nen,
Merre kaldas kaswada, Mit dem Fels des Meeres wachsen,
Merre liwas ligutada. Dich im Sand des Meers nicht
» drehen,
Enne kui meie kamberisfe. Eh'r als hier in unsrer Kammer?
3. Kiwwi mo käed kullutab, 3. Mir zerschrammt der Stein die Hände,
Kiwwi riib rikkub rinda, Greift des Steines Staub die Brust an,
Kiwwi witfa wilib formi, Feilt des Steines Reif die Finger,
Kässipu käed kullutab ! Schrammt das Treibeholz die Hände !
4. Jahwa, jahwa, kiwwikene, 4. Mahle, mahle, stolzes Steinchen,
Umalaid ja linnaklid! Mahle du denn Malz und Hopfen!
Siis ma kutfun kumale Dann will beim Gebräu' ich rufen,
Siis ma oiskan oUele Dann will ich beim Ahle jauchzen,
Siis ma kaijun kaljale! Dann will ich beim Kofent kreischen.
Der den Esten nahe verwandte Stamm der
Finnen hatte das Glück, schon im vorigen Jahr-
hundert, als die Handmühle noch in vielen Theilen
des Landes im Gebrauche war, in IL G. Porthan
einen verstandnissvollen Erforscher seiner Volksdich-
tung zu finden. Dieser veröffentlichte 1766 — 1778 in
mehreren Theilen seine Dissertatio de poesi fennica^),
in der er den Mühlengesängen einen besonderen
Abschnitt widmet, was sie schon deshalb verdienen,
weil sie unter dem Namen Jauho-Runot eine
eigene Grruppe der von Frauen und Madchen ge-
dichteten Runen bilden. Besonders verbreitet waren
sie in den Provinzen Savolax, Karelen und Kajane-
borg, wo es noch vielfach an Wassermühlen fehlte,
und die Frauen während des Winters darum oft den
ganzen Tag die Handmühle drehen mussten. Die
Lieder, welche sie dabei sangen, waren zum Theil
althergebracht; aber noch immer floss der Born
poetischer Neuschöpfimg, der in Finnland unter dem
Landvolk bis auf die Gegenwart nicjit versiegt ist.
Die Gesänge werden in getragener Weise und zwar
immer von der- oder denjenigen gesungen, welche
den Mühlstein drehen, während die übrigen einfach
zuhören. Der Inhalt ist sehr manichfaltig, meist
ernsten Charakters; bald episch, bald lyrisch, oft
satyrisch. Die Liebe spielt jedenfalls auch in ihnen
eine grosse Rolle; doch sei es für Männer schwer,
I) Wieder abgedruckt in Henrici Gabrielis PüRTHAN opera se-
lecta, vol. III, p. 303 — 381. Auszugsweise übersetzt auch bei Jos.
AcERBi, Reise durch Schweden und Finnland, aus dem Engl, über-
setzt von Ch. Weiland, Berlin 1803 (Magazin von merkw. neuen
Reisebeschreibungen Bd. XXVI), S. 242 ff. und F. RÜHS, Finnland
u. s. Bewohner, Leipzig 1809, S. 329 ff.
versichert Porthan, Texte der letzteren Art zu be-
kommen; höchstens könne man sie alten Frauen bei
festlichen Gelegenheiten herauslocken. Ich theile
im Folgenden drei derselben mit, die besonders
charakteristisch sind; man ist natürlich bei der Aus-
wahl auf solche Stücke beschränkt, die sich durch
den Inhalt sofort als Mühlengesänge ausweisen oder
von dem Herausgeber als solche bezeichnet werden,
während viele bei der Mühle gedichtete und ge-
sungene Lieder in den Sammlungen stehen mögen,
denen man später ihren Ursprung nicht mehr ansieht.
Nr. 10.»)
Janliüos sinä kiwoinen, Mahle, du mein Steinchen, mahle,
Hywä paasi pauhailko, Gute Felsenscheibe, rausche,
Somerinen souwatelko, Dreh* dich selber, kiesgeback'ne *),
Minun jauhin wuorollani, Mir zum Mahlen zugewälzet:
Bman sormin soutamata, Dass dich nicht die Finger drehen,
Käden puuta käändämätä, Nicht die Hand den HolzgrifF treiben,
Peukalon palajamata! Nicht der Daumen kreisen müsse.
Nr. XI.«)
Vordem gab man nach der Sitte Einem matten Pferd zu fressen,
Einem müden Ross zu trinken, Einer fleiss'gen Magd zu essen.
i) Nach Porthan a. a. O. S. 372, nach dessen lateinischer Ueber-
setzung die hier gegebene deutsche verfasst ist. Ein längeres, in
den Anüetngszeilen diesem nahezu gleichlautendes Lied findet man in
>Kanteletar, Die Volkslyrik der Finnen«. Ins Deutsche übertragen
von Hermann Paul, Helsingfors 1882, S. 87 f. Diese vortreffliche
Uebertragung vereinigt die besten Lieder der berühmten Sammlung
von Elias Lönnrot.
2) Wörtlich nach
Porthan: e glarea concrete (seil, lapis molaris)
remigato.
3) Paul a. a. O., S. 88 f. Das Original hat natürlich keine End-
reime. Der Vers ist der in der finnischen, wie in der estnischen,
lettischen und litauischen Poesie allgemeine trochäische Vierfiisrler
5*
Mit des Vaters Mühlstein mahlt' ich, Drehst dich unter Jammertönen?
Wie im Laub die Winde wehen; Was bedeutet dein Greächze,
Doch der Fremden Mühle mahl' ich Was dein Schnarren und dein
Schwer, als müsst' ich Berge drehen. * Stöhnen?
Warum klagst du, böser Mühl- Meinst, dass ich zu wenig thäte,
stein, Möchtest, dass ich flinker drehte?
Nicht doch! dich wird's wenig kümmern,
Keinen Stein wird es erbarmen,
Wenn vor Arbeit ich vergehe.
Wenn die Kräfte mir versagen.
Wenn ich sterben muss, ich Arme,
Wenn sie mich zu Grabe tragen.
Nr. 12.1)
Meinem Jakob mahl' ich (einsam),
Treib' die Mühle meinem Lahmfiiss ;
Aber mir mahlt Jakob nimmer,
Treibt der Krummfuss nicht die Mühle,
Stösst den Stein nicht, dass er tönet.
Gut ist's zwar, dem Lahmfuss eigen.
Glück, des Hinkers Frau zu sein.
Denn der Krummfuss nähret reichlich
Mich mit Fischen aus dem Wasser,
Und man schleppt ihn nicht zum Kriege,
Nicht zum Kampf wird er gefordert.
Wol als Greisin (einst) noch mahl' ich,
Lass' die Mühl verschimmelt*) rauschen;
Mir mahlt keine Schwiegertochter,
Dreht die Mühle keine Sohnsfrau.
(Runometer) mit starker Anwendung der Alliteration und freier Be-
handlung des ersten Fusses.
i) Aus dem Lateinischen bei Porthan, S. 368 — 370 von mir ins
Deutsche übertragen mit Benutzung der (nicht metrischen) Uebersetzung
von RÜHS a. a. O., S. 334 fF. Paul, S. 162 f. giebt das Lied in stark
abweichender Fassung.
2) Porthan übersetzt: »situ aures obducta«, h. e« aetate iam
ultra iuveniles
annos provecta.
O, wenn mein Vertrauter käme,
Mir vorhergeseh'n erschiene,
Würd' bald einen Kuss ihm bieten,
Meinen Mund würd' ich ihm reichen.
Doch nichts hör* ich vom Geliebten;
Drum quält abends mich die Sehnsucht;
Mehr noch leid* ich, geh* zur Ruh* ich,
Und (die Nacht ist mir verdriesslich.
Neu erwach* ich voller Kummer;
Meine Hand greift dann in's Leere,
Meine Rechte hascht nur Täuschung.
Wie sollt' mich mein Loos nicht reuen!
Früh* empfind* ich die Beschwerde,
Treib* die andern ich zur Arbeit,
Und am Abend sie vereinend,
Einsam selbst die Nacht verbringend
In dem gattenleeren Bette.
Kein Gefahrte ist vorhanden.
Der mir sanft die Seite streichle.
Der mich unterm Arme kitzle.
Weh! nicht hört man den Geliebten
Vor dem Hause lauten Schalles
Holz zerspalten auf dem Platze,
Scheiter klaftern bei der Thüre,
Unterm Fenster sich verweilend.
Komm, o Freund, zu meinem Lager,
Lenke zu mir deine Schritte.
Doch nicht heftig schrei* nach dir ich:
Sicher wird Natur dich treiben,
Dich dein Blut bald zu mir führen.
Dann, wenn du zu mir zurückkommst:
Nahe, nahe, meine Freude!
Eng umschling* mich, du mein Herzchen!
Wie nahe das erste dieser Lieder inhaltlich dem
vorhergehenden estnischen steht, ist leicht zu er-
kennen. Das zweite spiegelt die Gedanken eines
dienenden Mädchens wieder. Das dritte enthält die
beweglichen Klagen einer kinderlosen Ehefrau, deren
verkrüppelter Mann längere Zeit auf Fischfang* ab-
wesend ist. Das Lied zeigt eine ganz merkwürdige
Aetmlichkeit mit eüiem Gesänge aus Tripolis, dessen
Entstehung auf eine Waizen mahlende Frau zurück-
geführt wird, die seit neun Jahren mit einem kranken
Manne verheiratet war.^)
Damit gelangen wir zu denjenigen Landern, in
welchen noch heute die Handmühle üblich und
mit ihr der Mühlengesang lebendige Thatsache ist.
Die zahlreichsten Zeugnisse liegen aus Afrika vor,
wo meist noch der primitive Reibstein im Ge-
brauch ist. W. Junker^ berichtet: »Eine Anzahl
Frauen begleitet regelmässig die Araberzüge in den
Negerländem, und da nur ein Theil der Sklavinnen
ihren Herren folgt, sieht man da genau, wie unver-
hältnissmässig die Frauen durch die Arbeit der Mehl-
bereitung, ja schon während des Marsches durch das
Schleppen der schweren Mahlsteine, überbürdet sind.
Oft genug hörte und sah ich die Mädchen noch tief
in der Nacht vor ihrer Murhaka kauern und unter
zitterndem, schwermüthigem Gesang, tief Athem
holend das Mehl reiben. Oft erheben sie sich auch
mitten in der Nacht vom Lager und gehen an die
Arbeit; denn ihre Herren und deren Diener wollen
ja frühmorgens ihre Kisra oder Assida essen; der
kommende Tag aber ist wieder der mühevollen Reise
geweiht. — Die regelmässige Ernährung von drei
Dienern erfordert beiläufig die Arbeitskraft eines
Mädchens.« Auch der Missionar Kraft ^ erzählt von
i) Stumme, Tripolitamsch-tunesische Beduinenlieder (Leipzig 1894),
S« 60.
2) Reisen in Afrika H, S. 2i6f.
3) Bei Andree a. a. O., S. 504.
den Frauen der Danäkil: »Oft hört man sie in der
Nacht, wenn sie Getreide zwischen Steinen zerreiben,
melodisch singen und guten Takt halten.« Der eng-
lische Reisende Felkin theilt folgenden Gesang mit,
den er im östlichen Sudan von den kommahlenden
Frauen eines Abends vernahm:
Nr. 13.
Schafft und mahlt flink; denn die Dschellabah sind stark,
Und arbeiten wir nicht, so schlagen sie mit Stöcken,
Und haben sie keine Stöcke, so schiessen sie mit Flinten;
Schafft und mahlet aus aller Kraft ! ^)
ScHWEiNFURTH^ fand bei den Kredj unter dem
Komreservoir eines Dorfaltesten eine Art öffentlicher
Mahlstätte zwischen den Pfählen hergerichtet, an
welcher vier Sklavinnen unter taktmässigem Gesänge
dem Geschäft des Kornmahlens oblagen. Auch Wiss-
mann ^) beobachtete bei den Bassonge zwei Frauen, die
im Freien unter schattigen Ölpalmen singend das
Reiben der Hirse besorgten. Ebenso vereinigen sich
bei den Bassutos oft mehrere Frauen zu gemeinsamem
Mahlen; »ihr Gesang schliesst sich genau dem takt-
mässigen Klingen der Ringe an, die sie an den
Armen tragen.«*) Endlich berichtet Livingstone^) von
einem Gesänge, den die kommahlenden Batusifrauen
auf seine eigene Reise gedichtet hatten und der also
lautete :
1) Citiert bei Ratzel, Völkerkunde 11, S. 429. Die Dschellabali
sind Sklavenhändler und Sklavenjäger.
2) Im Herzen von Afrika II, S. 393 f.
3) Unter deutscher Flagge quer durch Afrika-, S. 120.
4) Casalis, Les
Bassoutos (Paris 1856), S. 150.
5) Letzte Reise II, S. 222.
Nr. 14.
Oh, der Marsch des Bwanamokoln nach Katanga,
Oh, der Marsch nach Katanga nnd znrnck nach Udjiji!
Oh, oh, oh!
Auch in den weiten Landern Asiens ist die Hand-
mühle noch viel im Gebrauch, und zwar noch jetzt
in derselben Form, wie sie schon im alten Testament
vorkommt. In der Regel drehen zwei Frauen an
einer Mühle zusammen; ihr Tagewerk beginnt schon
am frühen Morgen, in zahlreichen Familien bereits
um drei Uhr. In wohlhabenden Häusern haben Skla-
vinnen oder gemiethete Frauen, die von Haus zu
Haus gehen, dieses Geschäft zu verrichten.^) Ueber-
all wird dabei gesungen; Mühlenlieder aber sind nur
bekannt geworden aus Britisch-Ostindien, wo sie ein
fleissiger Sammler, Georg A. Gierson im Distrikt
Bihar der Präsidentschaft Bengalen mit Hilfe eines
angesehenen Eingeborenen ermittelt hat. Sie sind
aus dem Munde von Frauen aufgezeichnet zusammen
mit zahlreichen ähnlichen Liedern, die von Frauen
aller Stände gesungen werden. Die Gesänge zur
Mühle bilden unter diesen Frauenliedem, ähnlich wie
in Finnland, eine besondere Gruppe, die man jat'sar
nennt (jat, Mühle, jat'sar, wörtlich: Mühlenhaus). Sie
sind im östlichen Bhojpuri-Dialekt abgefasst und
genau so wiedergegeben, wie sie gesungen werden.
Sie bieten desshalb gewisse metrische Unregelmässig-
keiten, die der Herausgeber darauf zurückfuhrt, dass
sie lange Zeit mündlich fortgepflanzt wurden, und
I) Näheres
bei Ross C. Houghton, Women of the Orient (Cin-
cinnati 1877), S. 359 ff. Vgl. auch Wellsted, Reisen in Arabien I,
S. 248 f.
dass dabei die Melodie den einzigen Anhaltspunkt
für das Gedächtniss bildete. »Man kann jede belle-
bige Zahl von Silben, kurz oder lang, in eine Zeile
zusammenpacken, so lange das Bedürfniss des musi-
kalischen Ictus befriedigt ist«. Mühlenlieder sind in
der Sammlung im Ganzen vier^). Das erste derselben
hat nicht weniger als dreissig Strophen. Es enthält
eine unter den Indern sehr populäre Romanze, in
der von einem Rajputenweib erzählt wird, das sich
lieber tötete, als dass es die Frau eines muhammeda-
nischen Eroberers wurde. Das zweite, unten mit-
getheilte, ist eine Klage über die Abwesenheit des
Geliebten. Das dritte schildert die nächtliche Be-
gegnung einer verheirateten Frau mit einem Konigs-
sohn, dem sie sich nicht ergeben will. Im letzten
endlich wird eine rührende Legende erzählt von Basti
Singhs Frau, zu der der ältere Bruder ihres Gatten
in sträflicher Liebe entbrannt war. Er ermordet den
Bruder auf der Jagd; um dem Toten die gebühren-
den Ehren zu erweisen, willfahrt die Frau scheinbar
den Bitten des Mörders; er führt sie vor die Leiche;
aber das Feuer der Gattenliebe ist so gross, dass
von ihrem Busen Flammen ausgehen, die den Scheiter-
haufen in Brand setzen und mit dem Leichnam auch
die Witwe als Sati verzehren. Das Lied ist von
wunderbarer Schönheit und dramatischer Lebendig-
keit. Es kann hier nur das kleinste der vier Stücke
in einer von A. Conrady freundlichst besorgten Trans-
scription ^) und in einer nach der englischen Ueber-
1) VeröfFentliclit sind die 3 ersten im Journal of the R. Asiatic
Society of Great Britain and Ireland, new series, Vol. XVI, p. 238 —
246, das letzte ebendaselbst Vol. XVIII, p. 242 — 247.
2) Bemerkungen Conrady's: c = tsch, j = dsch; h hinter
Setzung von mir verfassten Uebertragnng mitgetheilt
werden.
Nr. 15.
Refrain: Gahiri nadiyä agami bah^ rama paniya
piyä calale moränga desavä, biharelä räma chatiyä.
1. Jaum hama janitom e 15bliiyä jdiba re bid^savä
piyä ke pa^tavä S lobbiya acarä cbipaitom.
2. Daba röv^ cakav? cakaiyä
bicbobava kaile
räma balamü.
3. Mumba töra
bäve e lobbiyä suruja ke jÖtiyä
amkhi töra bave e
lobbiya amava k^ pbariya.
4. Naka töra bäve
e lobbiyä sugava ke tbSravä
bbabum töra bäve
e lobbiyä cadbala kamaniyä
5. Atba töra bäve
e 15bbiyä katarala panavä
öra töra bäve ^
lobbiyä kari kari mocbiyä.
6. Bambi töra
bave e lobbiyä sobarana somtavä
pöta töra bäve e
lobbiyä puraini patavä.
7. Pitbi töra
bäve e lobbiyä dbobiya ke patavä
göra töra bäve e
lÖbbiyä kerava k? tbumbavä.
Uebersetzung.
Refrain: Der Fluss ist tief, und das Wasser fliesst bodenlos. Mein
Geliebter ist binweg zu den Morangs, und mein Busen ist ausein-
andergerissen.
I. Hätte ich gewusst, o du Habsücbtiger, dass du geben wolltest zu
einem fernen Lande, so bätte icb dein Reisekleid unter meinem
Gewände verborgen.
einem Consonanten bezeicbnet ibn als aspirirten; o, e und die Dipb-
tbonge sind immer lang, ausser wenn " darüber; ^ bezeicbnet, dass ein
ursprünglicb oder durcb Position langer Vokal dem Metrum zuliebe
verkürzt ist. — Es ist nicbt angegeben, ob die in der Umgangs spracbe
jetzt verstummten auslautenden -a in diesen Volksliedern nocb ausge-
sprocben werden; es ist aber zu vermuten, weil es in der bengaliseben
und in der altem Bibari-Poesie der Fall ist, und weil z. B. soba-
rana in Str. 6* unzweifelbaft so und nicbt sobarna, wie in der Um-
gangsspracbe gelesen werden muss.
2. Die Chakwa-Ente *) und ihr Männchen klagen auf dem See, und
Ah Kam, mein Geliebter, hat mich verlassen.
3. O Habsüchtiger, dein Gesicht ist wie die Strahlen der Sonne, und
deine Augen sind gross wie eine gespaltene Mangofrucht.
4. Deine Nase ist wie ein Papageienschnabel und deine Augenbrauen
wie ein gespannter Bogen.
5. Deine Lippen sind roth wie beschnittener Betel, und dein Schnurrbart
ist steif.
6. Deine Arme sind wie goldne Stäbe, und dein Magen ist wie ein
Lotusblatt.
7. Dein Rücken ist gl^tt wie eines Wäschers Brett, und deine Beine
sind (schlank) wie ein Platanenstamm *).
Um zu zeigen, dass auch der neuen Welt diese
Mühlengesänge nicht ganz fremd sind, setze ich noch
folgende Stelle hierher aus dem Berichte des Leut-
nants G. M. Wheeler über eine im J. 1874 ausgeführte
Reise nach Neu-Mexiko und Colorado*). Sie be-
zieht sich auf das Indianerdorf San Juan, am Rio
Grande, etwas oberhalb der Mündung des Rio de
Chama gelegen. »Abends durch die Strassen des
Dorfes schlendernd, wurde ich auf ein höchst mono-
tones Singen aufmerksam, das fast aus jedem Hause
drang. Die zur Thüre hinaufführende Leiter erstei-
gend, fand ich die Hausmutter beschäftigt, Korn zu
mahlen, wozu ein breiter Mahlstein und ein steinernes
Pistill diente. Um die rhythmischen Bewegungen
der Arme im richtigen Takt zu halten, hatte der
1) Von diesem Vogel (anas casarca) geht die Sage, dass das
Weibchen ganze Nächte über die erzwungene Trennung von seinem
Männchen klage.
2) Dazu bemerkt der Herausgeber: »These similes, which seem
absurd
enough in a translation, are perfectly natural to a Hindu mind^C.
3) Aus Petermann*s geogr. Mittheilungen XXI (1875) S. 449.
Hausvater mit den Söhnen diesen Gesang angestimmt.
Ich ersehe aus den Beschreibungen Castafleda's, der
die frühesten Streifzüge der spanischen Heere in
Neu-Mexiko beschrieb, dass damals die Sitte eb'enso
herrschte wie heutzutage.«
Inhaltlich zeigen alle diese Gesänge einen ge-
meinsamen Charakterzug: sie knüpfen an die Lage
der Arbeitenden an; sie enthalten Gelegenheitspoesie
— hierin sehr unähnlich den »Müllerliedem« der mo-
dernen Goldschnitt-Lyrik, welche allgemeine Gefühle
zum Ausdruck bringen und selbstverständlich auch
in formaler Beziehung mit dem Rhythmus des Mah-
lens nichts zu thun haben. Die Wind- und Wasser-
mühle erfordert überhaupt kein rhythmisches Arbeiten.
Auch bei den verschiedenen Formen der Handmühle
sind verschiedene Körperbewegungen nöthig, und
vermuthlich wird sich das auch in dem Rhythmus
der dazu gehörigen Gesänge ausgesprochen haben.
Gedichtet sind sie unzweifelhaft von den arbeitenden
Frauen und Mädchen selbst; von mehreren wird aus-
drücklich bezeugt, dass sie improvisiert wurden. Alles
Leid und aller Kummer, bisweilen aber auch die
Freude imd der Stolz des Frauenlebens ist in ihnen
zu beobachten; sehr häufig bricht ein tiefer Groll
auf das Marterwerkzeug durch, das die Dichterinnen
zur Hervorbringung der lebenspendenden Nahrung
handhaben müssen. Wer fände sich dabei nicht er-
innert an die Klage der mahlenden Sklavin im Hause
des Odysseus, die der heimgekehrte Dulder in der
ersten Nacht vernahm, die er unter dem heimatlichen
Dache zubrachte ! ^) Epische Stoffe treten nur in In-
I) Homer Od. XX, 105 ff.
dien hervor; auch hier sind sie nicht rein erzählend,
sondern in lebendiger dramatischer Form behandelt,
und, was die Hauptsache, sie dienen zur Verherr-
lichung tugendhafter Heldinnen der Vergangenheit,
die unter den Frauen ihres Landes nicht minder ge-
feiert scheinen, als die Helden des Schwertes unter
den Männern.
Wie das Mahlen und die weitere Verwendung
der Brotfrucht, so sind auch die mancherlei Ver-
richtungen, welche sich an die Gewinnung und Ver-
arbeitung der Spinnstoffe, des Flachses, des Hanfes
und der Wolle knüpfen, vorzugsweise Frauenarbeit.
Demgemäss finden wir auch hier zahlreiche Arbeits-
gesänge. Insbesondere ist der Flachs, an den die
Volkssitte auf allen Stufen seiner Entwicklung bis
zur fertigen Leinwand so viele sinnige und aber-
gläubische Bräuche geheftet hat, auch ein Liebling
der Arbeitspoesie. Neunmal lässt ihn das Sprich-
wort durch des Menschen Hand gehen: beim Bauen
(Säen), beim Reissen (Ernten), beim Riffeln oder
Reffen, beim Zetteln oder Streuen, beim Heben
(Wiedereinsammeln), beim Brechen, beim Schwingen,
beim Spinnen und zuletzt beim Weben. Dabei sind
noch einige wichtige Arbeiten vergessen, wie das
Rösten, Dörren, Reiben, Hecheln. Die Mehrzahl
dieser Arbeiten ist zum rhythmischen Vollzug ge-
eignet. Dennoch ist es bedenklich, unter den vielen
in deutschen und andern Volksliedersammlungen um-
gehenden Flachsliedem bestimmte für das Säen oder
Ernten der Pflanze in Anspruch zu nehmen. Manche
scheinen Tanzlieder zu sein, die bei den um das Flachs-
feld von den Mädchen und Frauen ausgeführten
Reigentänzen gesungen wurden^). Als Probe seien
einige kurze lettische Lieder mitgetheilt^.
Nr. 16.
Flachs mein Brüderchen mir säte;
Sass die Schwägerin am Raine,
Sagt die Schwägerin da sitzend:
)>Leindotter ist dort aufgegangen,
Leindotter ist dort aufgegangen,
Aber guter Flachs nicht«.
Nr. 17.
Wachs' und blühe, du mein Flachsfeld,
Nicht verlanget mich nach Silber!
Leg' ich an mein weisses Hemde,
Glänzt es ja wie reines Silber.
Nr. 18.
Keiner hat doch so ein Leben,
Wie dem Flachs ein Leben eigen,
Man raufl ihm heraus die Haare,
Weiter haut man ihm den Kopf ab.
Taucht ihn dann in Wasser unter
Und zerbricht ihm seine Knochen
Endlich zwischen dreien Hölzern.
Ebenso schwer wird es sein, dem folgenden in
Deutschland weit verbreiteten Liede^ eine bestimmte
Stelle bei den zahlreichen Arbeiten des Flachsbaus
anzuweisen. In Schlesien wird es gar als Tanzlied
i) Ueber diese, sowie die sonstigen beim Flachsbau üblichen
Gebräuche vgl. E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde, S. 224 fF.
R. Andree, Braunschweiger Volkskunde, S. 165 ff.
2) Nr. 16 und 18 aus der Sammlung von Bielenstein (Nr. 4073/4)
freundlichst für mich übersetzt von A. Leskien; Nr. 17 bei Ulmann
Nr. 193.
3) Abgedruckt bei Simrock, Die deutschen Volkslieder, Nr. 265.
gesungen, wenn von Mann und Frau um Fastnacht
getanzt wird, »damit der Flachs gedeihe«.
Nr. ig.
1. Wenn der Flachs gesäet ist, 4. Und wenn der Flachs gebunden
So will er auch gejätet sein. ist,
Lieber Mann, So will er auch gerefFet*) sein.
Jätet dann. Lieber Mann,
So seh* ich meine Freude dran. Reffet dann.
Ich kann JFlachs sä'n. So seh' ich meine Freude dran.
^ TT j j -c-i T. '"4, ^ Icli kann Flachs sä*n.
2. Und wenn der Flachs gejätet
ist, 5. Und wenn der Flachs gereffet ist,.
So will er auch gerupfet sein. So will er auch ins Wasser hinein»
Lieber Mann, Lieber Mann,
Rupfet dann. Wässert ihn dann.
So seh* ich meine Freude dran. So seh* ich meine Freude dran»
Ich kann Flachs sä'n. Ich kann Flachs sä'n.
3. Und wenn der Flachs gerupfet 6. Und wenn der Flachs gewässert
ist, ist.
So will er auch gebunden sein. So will er auch gewaschen sein»
Lieber Mann, Lieber Mann,
Bindet dann. Wascht ihn dann.
So seh* ich meine Freude dran. So seh* ich meine Freude dran»
Ich kann Flachs sä*n. Ich kann Flachs sä'n.
Das Lied verfolgt die weitere Behandlung des
Flachses nicht, wahrscheinlich weil diese Frauensache
ist. Unter den hier genannten Arbeiten ist zunächst
das Jäten durch ein kleines Lied vom Niederrhein
vertreten, wie folgt ^).
1) SiMROCK, dem das Lied nur handschriftlich vorlag, lässt drucken r
geraffet.
2) Erk-Böhme, Deutscher Liederhort, III, Nr. 1566. Der Her-
ausgeber bezeichnet das Lied als »Fragment eines Flachsarbeiter-
gesanges« und meint, es sei zum Reffen gesungen worden. Aber er
wie andere Sammler halten die verschiedenen Arbeiten der Flachs-
gewinnung nicht auseinander. Die Frage, was mit dem Maulwurf
So
Nicht zu schneQ.
Wat dood eer met da Moll? wat dood eer met da
Moll? Wat dood eer met da Tal -sehe Moll? viv-la viv- la
Tal-sche Moll? Wat dood eer met da Moll?
Der reife Flachs wird mit den Wurzeln ans der
Erde gerauft. Man nennt dies Raufen, Rupfen,
Reissen oder Ziehen. Dabei werden von den
Rauferinnen mancherlei Scherze mit den Vorüber-
gehenden verübt; insbesondere werden sie in der
Weise angesungen, dass ihre Namen mit denjenigen
von Mädchen aus dem Dorfe in Verbindung gebracht
werden. Leider aber werden diese Lieder in den
Volksliedersammlungen ^) nicht geschieden von den-
jenigen, welche beim Reffen (Reppen, Ribben,
Riffeln) angestimmt zu werden pflegen; ja es werden
(Moll) im Flachsfeld (Tals ist eine besondere Art langen Flachses)
iu geschehen habe, konnte nur beim Jäten angeworfen werden. Für
dieselbe Verrichtung möchte ich das Lied Nr. 1565 bei Böhme in
Anspruch nehmen.
I) Am vollständigsten bei Reifferscheid , Westf. Volkslieder
Nr. 47 — 52, Anhang Nr. 18 — 20 und Anmerkungen S. 188 ff.; femer
Erk-Böhme, Nr. 1 560 ff. WoESTE, Volksüberlieferungen in der Graf-
schaft Mark S. 29 ff. u. in Frommann's D. Mundarten ni, S. 557 ff.
Jahrbuch des Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung, Jhg. 1877,
S. 152 ff. Firmenich, Deutschlands Völkerstimmen I, S. 268.
selbst Brechlieder darunter gemischt. Unter dem
Reffen versteht man das Abstreifen der grünen
Samenknoten des nach Hause gebrachten Flachses,
was mittels eiserner in die Balken der Scheunen-
wände eingelassener Kämme (Riffeln) geschieht,
durch die die Flachsstengel handvollweise hin-
durchgezogen werden. In der Regel versammeln
sich dabei die Burschen und Mädchen des Dorfes
zu freiwilliger Hülfeleistung, und die Lieder, welche
sie zu dem taktmässigen Surren des Kammes an-
stimmen, tragen den Charakter ausgelassener Neckerei.
Aber sie schliessen sich unmittelbar dem Rhythmus
des Reflfens an, oft mit unverkennbarer Nachahmung
des Kammschwirrens in den meist sinnlosen Re-
frains.
Nr. 21. (Bökendorf, Kr. Höxter).
Selur rasch.
I . He, he,Ferndin ick weit di wol Ein'n ! De Quin-ke de quank, de
Vo-gel de sang, dat Johr is
2. Usen Christian, den neimst du
wol gern?
:^De Quinke de
quank,
He is mi to
lang,
Krigt mir unner de Bank.«
Juchhei, lat en gähn!
3. Den N. N. den neimst du wol
gern?
»De Quinke de
quank
He is mi to
dick.
He hedd kein Geschick.«
Juchhei, lat en gahnJ
Bücher, Arbeit und Rhythmus.
lang. Juch-hei, lat en gähn!
4. Den N. N. den neimst du wol
gern?
»De Quinke de
quank.
He is mi to
arm,
Dat Gott erbarm!«
Juchhei, lat en gahnl
5. Den N. N. den neimst du wol
gern?
»De Quinke de
quank,
De il mi to grot.
De fritt mi mein Brot.«
Juchhei, lat en gahnl
6
Leider lieg'en keine näheren Angaben über die
Art vor, wie das Lied g-esimgen wird. OflFenbar
aber ist dasselbe als Wechselgesang- zwischen dem
Chor und der angesungenen Dirne zu denken. Der
Chor singt von jeder Strophe die erste und die letzte
Zeüe, die Dirne das übrige. Das Ganze scheiat nnr
dann recht verstandlich, wenn man sich den Gresang'
im Freien, etwa bei der Flachsernte, angestinmit
denkt, so oft ein bekannter Bm-sche vorübergeht,
der dann von den Sängerinnen einem der anwesenden
Madchen angetragen wird^).
Mr.
Maisig bewegt.
(Soest.)
1. Wat schwemmt op t-sen Dm - ke?*) hm, hm!
2. Wei satt denn dar .in - ne? hm, hm!
3. Wei leip denn dar - um - me? hm, hm!
WoU
Ma-
Franz
1. nur sn - ne
hoal-Ie Tan > ne. Na - na, ha ha!
2. ria Klein satt dar - in - ne. Na - na, ha ha!
3. Wer - ner leip dar - um - me. Na - na, ha ha !
Nachsatz.
4. Nia loat ns mal öwwemimmeln').Hei jnch-hei! Franz
5. Wat salle für eine wn-ier *) hebben? Hei jnch-hei ! So-phie
1) Darauf scheint mir auch eine bei Reifferscheed a. a. O.,
S. 188 mitgetheilte Bemerkimg von Annette von Droste- Halshoff hin-
zudeuten. Wahrscheinlicti gehört auch hierher das litauische Lied bei
Nesselmann, S. 142 und Bartsch, H, S. 191.
2) Teiche. 3) überrumpehi, überfallen. 4) wieder.
4. Wer-ner hätt sui- neDeum*)verkumpelt*).Hei juch-hei!
5. Mül-ler sall't söl - ber sinn. Rummel-dum-dei !
Nach dem Absingen der drei Anfangsstrophen wird Franz Werner
gefragt: :>Magst diu sei luien« (lieben)? Antwortet er: »Ja!«, so fragen
sie ihn: »Wat söw vui hebben?« (Was sollen wir haben?) Nun ver-
spricht er ihnen etwas, entweder eine Pimpelnutt oder einen Appel.
Sagt er aber: »Nein!«, so lassen sie ihn öwwerrummeln mit Absingen
des Nachsatzes.
Lebhaft.
Nr. 23. (Bökendorf.)
We sali dat Muhlken mahlen? Ve- der lipp und dei! Dat
4^ r r r r I ri
^- 1 ^' ^ 8^= 8 ^
sali woU u - se Hinrich don. Ei ja, ve - der
(Zögernd)
lipp un dei! Ei ja, der Lie - ben sind twei!
2. We sali dat Siebken halen?
Veder lipp un
dei!
Dat sal wol use Kalrinken don.
Ei ja, veder lipp un dei!
Ei ja, der Lieben sind twei!
Nr. 24. (Haiingen bei Menden.)
I. Ik här *ne Piäpermüele sniu- Wer da, wer da?
wen*) Tummel di mal na Gänsima!
Fidderlirum van der lipp un
dal! 2. »Bai ^)
salder danoppe malen?«
Hange buawen *) Kösters Hiuse Fidderlirum u. s. f.
I) seine Dirne. 2) veräussert, in eines andern Gewalt gegeben.
3) Ich höre eine PfefFehnühle schnauben. 4) hoch ober. 8) wer.
6*
3. Witten Tüens') sal der oppe malen.
Fidderlimm n. s. f.
4. >Bai sal 'me dan derbei helpen?4:
Fidderlimm n. s. f.
5. Swatten Feike*) sal iäm helpen.
Fidderlimm n. s. f.
Nr. 25. (Körne bei Dortmund.)
Knötken briekt boven af. Wat hev eck di dann don,
Kloven, groven! Dat du was heme gohn?
Klörken Schulten well nu heme
gohn, >Dat well eck di wnl seggen:
Jo heme gohnl Du löfst alle Derens noh,
Klörken kann so nette danzen Un wenn du dat net loten wus,
Un so lise gohn. Dann maut eck -heme gohn,
O du, min leve Klörken, Jo heme gohn!«
Nr. 26. (Körne.)»)
Boven an de Kökendör*),
Rem sen jo
jo!
Do kämmt de leckere Schluckes^) dör,
Do seih eck
noh.
Midden
unner de Luken,
Rem sen jo
jo!
Do sitt de fulen Pucken!
Unnen an de Fülle,
Do krast se em Mülle,
Rem sen jo
jo!
Du Lecker, du Lecker, huho!
i) Antonius Witte.
2) Sophie Schwarz.
3) Ich gebe dieses und das vorhergehende Liedchen, wie sie mir
1872 von der Tochter eines Hofbesitzers in Körne aufgeschrieben
worden sind. Woeste theilt a. a, O. eine längere und in mehreren
Punkten von dieser abweichende Fassung mit.
4) Küchenthüre,
5) Schlucker.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 85
Nr. 27. (Gegend von Lüdenscheid.)
Lat de Riepe fart
gan,
Ränzeriaria!
De Banner maut süfs mautig stan,
Ränzeriaria !
Alle diese und die noch sonst vorliegenden west-
fälischen RefFgesänge tragen einen gemeinsamen Zug.
Einzelne Theile derselben werden improvisiert, oder
es werden doch an bestimmten Stellen die Namen
anwesender Personen eingesetzt. Hie imd da wird
der Text von einem Vorsänger vorgetragen, und der
Chor fallt nur beim Refrain ein; oft gestalten sich
die Lieder auch zu Wechselgesängen zwischen RefiFem
und Bindern oder Binderinnen. So in einem der
beiden vom . Niederrhein bekannt gewordenen RefF-
gesänge, die übrigens Volkslieder erzählender Art
sind, welche auch in andern Theilen Deutschlands,
unabhängig von der Flachsarbeit, gesungen werden^).
Die Melodie des einen ist nach Tonart und Rhyth-
mus sehr alterthümlich. Das Lied wird in der Weise
vorgetragen, dass jede Zeile immer erst von einzelnen
Vorsängern gesungen, dann aber von der ganzen
Gesellschaft wiederholt wird.
Auf das Reffen folgt das Rösten des Flachses,
indem derselbe in Wasser eingelegt oder auf Stop-
peln oder Wiesen der Witterung ausgesetzt wird.
Nach der Wiedereinsammlung beginnt das Brechen,
I) Zwei Beispiele bei H. Zurmühlen, Niederrheinische Volks-
lieder (Leipzig 1879) Nr. 16 und 113. Zu dem ersten (»Doa sau en
jong Maad freug opstoan«) vgl. Erk-Böhme I, S. 435 f., zum zweiten
(»In Oesteriek do steet eenen Boom«) daselbst I, S. 472. Vgl. Jhb,
d. Ver. f. niederd. Sprachforschung, Jhg. 1877, S. 154.
86
Vierter Theü:
Das bei dieser Arbeit benutzte hölzerne Gerät (Breche
oder Brake) besteht aus einem festen TheUe, der
Lade, welche aus mehreren gleichlaufenden Schienen
zusammengefügt ist, in deren Spalten ein einarmiger,
an einem Ende um einen Zapfen drehbarer, am andern
mit einer Handhabe versehener Hebel passt. Die
trockenen Flachs- (oder Hanf-)Stengel werden hand-
vollweise auf die Lade gelegt und durch die Abwärts-
bewegimg des Hebels mehrfach geknickt, wodurch
die holzigen Bestandtheile von dem Baste getrennt
werden. Das taktmassige Aufschlagen des Hebels
auf die Lade ergiebt einen lauten Klang, der, wenn
mehrere Brecherinnen beisammen sitzen, sich zu einem
sehr lebendigen Rhythmus gestaltet. Dabei werden
den Refifliedem ähnliche Gesänge angestimmt, mit
denen die Brecherinnen einander necken. Die folgen-
den beiden Beispiele ^) stammen aus dem Kuhländchen
(Mähren).
Nr. 28.
f#4f-j.i j'-JT^gn; f. i r f: f, i
I . Fritz Steff der steht hübsch fei - ne ; er trägt a schwarzbrauns
i
1
.S:
^
Hü - te - lein, das Hut - lein steht ihm bra - ve; die
^^m
aüa
Sien die
(Rosina)
hat ihn ger - ne.
I) Kretzschmer, D.Volkslieder, I Nr. 242 n. 241, auch abge-
druckt bei BÖHME, ni, Nr. 1558 f. Auch das dort unter Nr, 1561
stehende Stück aus Soest ist zweifellos ein Brech-, kein Refflied.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
87
2. Was würde dem nicht brave stehn?
Weil er a braver Junggesell is,
A braver nnd a feiner:
Die Siene is schon seine.
Nr. 2g.
I« £i, mei liebes Malchen hie,
Jetz is die Reih an dir!
'S is eben an der Zeit.
Ich weiss, dein feiner Knecht
Er wart't of dich allein;
Er will dich eba hon.
2. Er wird schon wegen deiner
An braunen Standpalz anhjin.
A brauner Standpalz
Das is a edle Zier.
Ei, mei liebe Frische Lies,
Jetz is die Reih an dir!
In beiden Liedern ziehen die brechenden Mäd-
chen einander mit bestimmten Liebhabern auf; das
zweite verräth zugleich, dass alle reihum diesen
Scherz über sich mussten ergehen lassen. Dass auch
in andern Landern bei der Breche gesungen wird,
zeigt besonders das folgende estnische Lied^).
Nr. 30.
I . Lahme koio, kolgi rahwas, i . Gehn wir heim, du Volk der Breche,
Koio, kolgi moifarahwas!
Karro, meil käinud kamberisfa
Metfa ol
käind honeesfa,
PiUand mahha pima
püttid,
Kallutanud köre
kimud.
Hakkame koio minnema!
2. Ku on tousnud, koit on
wäljas :
Koddokorjajad küUasfa,
Perreröwijad perresfa,
Lastetahtijad tallusfa!
Touske ülles, nored piad,
Touske, linno
lougutama,
Kannepida kolkimaie!
Heim des Hermhofs Volk der Breche !
Kam ein Bär uns in die Kammer,
Kam in's Haus der Petz des Holzes,
Schlug herab der Milch die Schalen,
Warf der Sahne Wannen nieder.
Lasst uns heim zu gehn beginnen!
2. Mond ist auf, der Morgen dämmert:
Hausausräumer sind im Dorfe,
Beim Gesind Gesindeplündrer,
In dem Hause Kinderheischende!
Auf, erhebt euch, junge Mädchen!.
Auf denn, um den Flachs zu schwin-
gen,
Um den llanf aJsbäl^ zu brechen.
I) Nkus, Ehstnische Volkslieder, S. 446.
SS Vierter Theil:
Allem Anscheine nach sind hier zwei verschie-
dene Lieder zusammengeschweisst, und zwar enthalt
der zweite Theil eine AnfForderung^ an die trag-en
Madchen zum Aufstehen vor dem Aufbruch zur Breche,
der andere eine Einladung- zum Xachhausegehen,
nachdem das Tagewerk vollendet ist. Jedesmal ist
das Verlangen in scherzhafter Weise durch ein mög-
lichst schreckliches Ereigniss begründet.
Ueberall aber zeigen die Gesänge dieser Gruppe
einen heiteren Charakter, der sich stellenweise bis
zur Ausgelassenheit steigert. Sie bilden darin einen
scharfen Gegensatz zu der vorausgehenden Gruppe
der Mühlengesange, deren Grundzug tiefer Ernst und
bewegliche Klage bilden. Die Arbeiten beider Grup-
pen sind gleich mühsam, und beidemale sind es Frauen,
die sie verrichten. Aber die Mahlarbeit wiederholt
sich jeden Tag; sie ist einsame Arbeit, gewohnlich
in geschlossenen Raimien; die Bereitung der Spinn-
stoffe dauert dagegen immer nur kurze Zeit; sie voll-
zieht sich meist imter Arbeitsgemeinschaft Vieler
in freier Luft, und wo dies nicht der Fall ist, wie
beim Reffen, nehmen beide Geschlechter daran Theil,
während die Thätigkeit an der Handmühle ausschliess-
lich den Frauen obliegt.
Spinnlieder werden mehrfach von griechischen
Schriftstellern erwähnt^), und Virgil^ lässt die Ne-
1) Eurip.
Ion. 195. 206, Theokrit. XXVII, 74.
2) Georg. IV, 435. Weitere Stellen der Alten bei Grothe,
Bilder zur Geschichte vom Spinnen, Weben, Nähen. 2. Aufl. (Berlin
1875), S. 288.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 3q
reiden beim Spinnen von der Liebe des Ares und
der Aphrodite singen. Bekannt ist auch der Gesang*
der Parzen in CatuUs Epithalamium Pelei et The-
tidos^), der mit dem Refrain:
Currite, ducentes subtemina, currite, fusi!
gewiss an volksthümliche Spinnlieder anknüpft. Aller-
dings geben diese durch das Medium der antiken
Kunstpoesie uns zugekommenen Nachrichten keine
richtige Vorstellung von Form und Inhalt der im
wirklichen Leben von den Sklavinnen zur Spindel
gesungenen Lieder. Sie bezeugen nur die Sitte,
welche unter ähnlichen Zuständen sich auch heute
noch findet. So erzählt Mungo Park von einer Ne-
gerfrau, die ihm einst in grosser Noth Aufnahme
gewährte, dann aber, nachdem sie ihm Erfrischungen
gereicht und ihm eine Ruhestätte bereitet, ihre Mäd-
chen wieder zum Baumwollspinnen rief, was sie einen
grossen Theil der Nacht fortsetzten. »Sie erleich-
terten sich die Arbeit durch Gesang. Eins der Lieder
war offenbar improvisiert; denn ich war selbst der
Gegenstand. Es ward von einem der jungen Weiber
gesungen, während die andern in einer Art Chor
einfielen. Die Melodie war lieblich und klagend,
und die Worte, genau übersetzt, waren diese:
Nr. 31.
Die Winde sausten, der Regen fiel,
Der arme Weisse, so müd und schwach,
Sass nieder unter unsres Baumes Dach!
Er hat kein Weib, dass sie Korn ihm mahle.
Keine Mutter füllt ihm mit Milch die Schale,
l) Carm.
64, 306 sqq.
90
Vierter Xheil:
Chor: O schenket dem weissen Mann Erbannen,
Nicht Weib noch Matter sorgt für den Armen ').
Dass es sich hier um Arbeitstaktlieder handeln
muss, wird man leicht einsehen, wenn man sich das
Spinnen mit der Spindel vergegenwärtigt. Die Spindel
»tanzt«, d. h. sie bewegt sich selber rhythmisch,
während die zahlreichen in unsem Volksliedersamm-
lungen enthaltenen Spinnlieder ^, weil sie zum Spinn-
rad gesungen werden, höchstens dem Tritt des Fusses
sich anbequemen können, der das Rad in Bewegung
setzt. Dass sie das aber thatsächlich thim, dafür
liegen mehrere für uns nicht unwichtige Beweise
vor. Der westfälische Hofbauer, der in seiner
Stube Kinder und Dienstboten am Spinnrad um sich
versammelt, sagt darüber: »Sobald ich merke, dass
die Räder weniger lustig schnurren, so schlage ich
ein lustiges Lied vor, und Sie sollten mal hören, wie
munter gleich beim Singen die Spinnräder wieder
werden und den Bass dazu sxunmen.« Eins dieser
Lieder möge hier folgen^..
Nr. 32.
I. Blinne Jost, de badd' 'ne Deeren, Bringen to den rechten Stand,
De woll he von Harten geren De von Gott ist toerkannt.
i) Nach der Uebersetzung von Talvj, Versuch einer geschichtl.
Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen mit einer Ueber-
sicht der Lieder aussereuropäischer Völkerschaften, S. 88. Das eng-
lische
Original (The Life and Travels of Mungo Park, p. 155) bietet
die Worte nicht in metrischer Fassung.
2) Beispiele bei Erk-Böhme m, S. 400 f. Simrock, D. Volks-
lieder Nr. 266 fF. Erlach, IV S. 151 f. Mittler, S. 584 flF.
3) Aus H. Hartmann, Bilder aus Westfalen (Osnabrück 1871),
S. 207, Dort noch zwei andere. Die drei Lieder sind aus dem nörd-
lichen Theile des Fürstenthums Osnabrück (Neuenkirchen-Damme).
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. gi
2. Klecks de Schriever de wörd Twe ole Küssen, eenen Pohl;
ropen, Segge ji Lue, war dat nich veel.
He kam mit den Schriewtüg ^ R^ppeLPappel hett de Pape,
P * He kam mit de Mönkeskappe,
Un he schrew wol in den Breef, -v^ 1 1 xr 4. • x. ^
* Nam en old Katgissenbook,
Wat de Beeren mit e kreeg: ^ 4. j i. t.
** Gew se
een — twe — dree tohop.
3. Eenen Pott un eenen Schief, 6. Abens güng de Hochtied an, •
Sess Paar Lepels, krumm und Frölick wören Fni' und Mann,
scheef, Frölick wören alle Gäste,
Eenen Rock, sess Elen wiet; Dre bradeHerink was dat Beste.
O, wat fröde sick dat Lüt!
7. »Jösken schmeck es to, wo söte!«
4. Eenen Kist un eenen Schrank, >Dunerhal, et is je Kriede!<
Eene Tunnen to *n Schwine- »Junge, et is je Brannewin
drank. Und en Klütken Sucker drin.^C
8. Use Hans, nu
duU un vull,
Küsst sin Gretken, dat nich wuU,
Bats! kreg he en up de Schnute:
»Jess'-Mar*-Josep, min Aug* is ute!«
Dieses Lied kennzeichnet eine grosse Gruppe
von Volksliedern, die man gewöhnlich als Bettel-
hochzeiten ^) bezeichnet. Sie haben in der Art der
Aufzählung eine gewisse Verwandtschaft mit einer
andern Liedergruppe, die sich unter dem Namen
Zählgeschichten in den Liedersammlungen findet
und die nachweisbar in den Spinnstuben ihren Ur-
isprung hat, ja hier mit der Arbeit aufs engste
zusammenhängt. Der erste, der diesen naiven Er-
zeugnissen der Volksdichtung Beachtung geschenkt
hat, J. Gr. Meinert^), sagt, man bediene sich der-
selben in den Rockenstuben, »um den Wetteifer an-
1) Vgl. Erk-Böhme, n, Nr. 887 — 890. Mittler Nr. 920 f.
2) Alte teutsche Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens
(Wien u. Hamburg 18 17), S. 442. Ueber andere Spinn -Wettspiele
der Spinnstuben: Ztschr. d. Ver. für Volkskunde VIII, S. 215 f.
92
Vierter Theil:
zuregen, in soviel Zeit, als zum Vortrage einer Reim-
zeile erforderlich ist, einen Faden abzuspinnen, und
diese nach jenen zu zählen. Geschickte Spinner
brii^en es dahin, die längste Strophe abzusingen
und abzuspinnen, ehe andere mit Einem Faden und
Einer Reimzeile oder einer kurzen Strophe fertig
geworden. Man muss gestehen, dass sich der Fleiss
in dieser Handarbeit keinen edleren Massstab wählen
konnte.« £s liegt eine ziemlich grosse Zahl dieser
Zählgeschichten vor*); die fönende gehört zu den
bekannteren.
Nr. 33-
i>1 »u( dem srl-bi-gcn Baum? Ein WTin-der-scliö-ni
i Wi Mkineit 3, a. O,, S. gr. 193. 221. 249;
¦41-1748 (nicht auch Nr. jijoff.); Eiiij.cH
t; ERK und IKUEK, Heft IV, Nr. 40 a. VI
uk, VolkJ. Nr. 384 f. 389—398: Wnnderliom
Xsi-bn-fisunpen bei RJJFFKRSCHEID, S. 176 ff.
iH tjeili-rn findet sich äbrigens bei den ver-
K> i^l iilwl anceitendele Gelehrsamkeit, wenn
»US der Nacbahmnng eines jüdischen Oster-
i.!l hrr»ulcilfn. — Mehr in den Kinderlieder-
, l>. Kinderbuch Xr. 943—953: Böhme, D.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. g2
So vielmal wiederholt, als nötig wird. 1 D.S.
Ast. Ast auf dem Baum, Baum auf der Haid.
3. Was ist an demselbigen Ast? 4. Was ist auf dem selbigen Zweig?
Ein wunderschöner Zweig. Ein wunderschönes Nest.
Zweig an dem Ast, Nest auf dem Zweig,
Ast an dem Baum, Zweig auf dem Ast,
Baum auf der Haid — Ast an dem Baum,
Droben auf grünender Haid, Baum auf der Haid —
Da steht ein schöner Birnbaum, Droben auf grünender Haid u.s. f.
Schöner Birnbaum trägt Laub.
In dem Nest ist sodann ein Ei, in dem Ei ein
Vogel, an dem Vogel eine Feder, aus der Feder wird
ein Bett und so fort ins Unendliche. Jede folgende
Strophe nimmt alle vorhergehenden in sich auf und
wird infolge dessen immer länger und immer schwerer
ohne Fehler zu wiederholen. Es gehören hierher
ferner die Zählgeschichten vom Jockei, den der Bauer
zum Haferschneiden (in Schwaben zum Bimschütteln)
ausschickt, vom Jäger, der den Hasen schiessen soll,
vom Topf, der ein Loch hat, von dem Zubehör eines
Kittels, aber auch diejenigen vom Vetter Michel in
der Lämmergass, der sich eine Fiedel, dann eine
Flöte, Harfe etc. macht, »Laurentia, liebe Laurentia
mein« u. s. w. Die meisten dieser reimlosen Gesänge
sind jetzt zu Kinderliedem geworden. Ich beschränke
mich darauf, hier noch ein Stück mitzutheilen, das
von D. H. Sanders ausdrücklich als »plattdeutsches
Spinnlied« veröffentlicht worden ist ^), aber in den deut-
schen Volksliedersammlungen, wie es scheint, sich
i) Das Volksleben der Neugriechen, S. 139. Vgl. auch DiT-
FURTH a. a. O. Nr. 398; Erk und Irmer Heft VI Nr. 7,
94
Vierter Theü:
in dieser Form nicht findet. Es genüget, die letzte
Strophe hierherzusetzen, die alle 12 andern in sich
schliesst.
Nr. 34.
As ick enst en Hfiswirt wir, Rodbost — het min Oss,
Köft ick mir ein Gör (Kind): Sett bit to — het min Ko,
Schit vor de Dor — het min Gör, Trippeltrin — het min Schwin,
Lusepung — het min Juig, Trippeltrap — het min Schap,
Dicklyw — het min Wyw, Träderand — het min Gant,
Spinnichgim — het min Dim, Kngeldan — het min Han,
Donichrecht — het min Knecht, Tiridirin — sett bett in.
Wittstlrt — het min Pird,
Die meisten sogenannten Spinnlieder unserer
Volksliedersammlungen sind wegen ihrer morali-
sierenden Tendenz verdachtig. Nur wenige schlagen
einen frischen, scherzhaften Ton, an imd diese stim-
men mit den genannten beiden Gruppen der Bettel-
hochzeiten und der Zahlgeschichten insofern überein,
als in ihnen ebenfalls die Aufzählung eine grosse
Rolle spielt. Dahin gehört vor allem das oft ab-
gedruckte »Spinn, spinn, meine hebe Tochter«^), in
I) Es findet sich u. a. bei Böhme n, S. 640; £rk mid Irmer,
m Nr. 51; Simrck;k Nr. 266; Ditfurth Nr. 171. Femer gehört
hierher: >0 Moder, ich well en Ding han« bei Simrock Nr. 230 und
das reizende Lied von der gefälligen Hausfrau bei Meinert, S. 184 f.
(^IiTTLER Nr. 1085). — Man könnte auch daran denken, die zahl-
reichen Lieder >von eitel unmöglichen Dingende (Erk- Böhme III
Nr. 1090 — II 17) hierher zu ziehen. Dieselben nehmen in der Regel
bäuerliche Verhältnisse zur Voraussetzung und sind überdies als
Wechselgesänge zwischen Burschen und Mädchen gedacht. Auch
lassen sie sich ins Unendliche fortgesetzt denken, bieten somit der
Improvisation den weitesten Spielraum. Zur Veranschaulichung setze
ich die beiden ersten Strophen eines der bekanntesten dieser Lieder
hierher.
I. Ich weiss ein fein brauns Mägdelein,
Wollt* Gott, sie wäre meine;
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. gc
dem die Mutter dem Mädchen zuerst ein Paar Schuhe^
Strümpfe, dann ein Kleid verspricht: immer kann sie
nicht spinnen ; der Finger thut ihr weh, bis die Mutter
schliesslich einen Mann verheisst.
Ja, ja, meine liebe Mutter,
Der steht mir wol an!
Ich kann auch schon spinnen,
Es schmerzt mich kein Finger
Und thut und thut und thut mir nicht weh.
Der Ursprung dieser seltsamen Gebilde der Ar-
beitspoesie liegt in der Einrichtung, die sich unter
dem Namen Spinnstube, Kunkelstube, Rockenstube,.
Lichtstube in ganz Deutschland findet und die sich
auch ausserhalb unseres Vaterlandes von der Bre-
tagne bis zum Himalaya nachweisen lässt^). Burschen
und Mädchen versammeln sich hier in grösserer Zahl
zu gemeinsamer Abendarbeit. Es werden Lieder an-
gestimmt, in der Regel singt Einer oder Eine der
Anwesenden vor, während die übrigen mit dem Kehr-
reim einfallen. Die Partie des Vorsängers besteht
nun bei den hier geschilderten Spinnstubenliedem
Sie müsste mir von Haferstroh
Wol spinnen weisse Seiden.
2. »Und sollt' ich dir von Haferstroh
Wol spinnen weisse Seiden,
So musst du mir von eichem Laub
Zwei Purpurkleider schneiden.
Dagegen gehören die ähnlich angebauten Räthsellieder und Wett-
Streitlieder (Erk-Böhme HI Nr. io6i — 1080) der Sphäre des ritter-
lichen und bürgerlichen Lebens an.
I) Vgl. BÖCKEL a. a. O. S. CXXIII iF. und meine Entstehung d.
Volksw. S. 260 ff. Ueber die entsprechende Einrichtung der Schokas
in den Vorbergen des Himalaya: Landor, Auf verbotenen Wegen..
Reisen und Abenteuer in Tibet (Lpz. 1898), S. 89 ff.
gö Vierter Theil:
immer nur in einer oder zwei Zeilen; in dem Masse
aber als der Gesang weiter vorrückt, wachsen die
Kehrreime an, wird also die Partie des Chores grösser
und verwickelter, gewinnt der Vorsänger mehr Spiel-
raum zur Erfindung neuer Variationen des bekannten
Textes. Da nun jeder in die Rolle des Vorsängers
eintreten kann, und diese Lieder eigentlich keinen
Abschluss haben, so regen sie, ebenso wie zum Wett-
eifer im Spinnen, so auch zum Wetteifer in der Im-
provisation an, und daraus erklären sich die vieler-
lei Lesarten, welche unsere Sammlungen für die
Texte gerade dieser Lieder bieten.
Bei den Wenden in der Lausitz >hat jede Spinn-
stube ihre Vorsängerin (zanosefka, kantorka), welche
die Lieder anfangt und überhaupt den Gesang leitet.
Sie muss daher einen guten Vorrat von Texten
und Melodien im Kopfe haben. Ihr Amt ist ein
ehrenvolles; denn auf das Singen halten die wen-
dischen Mädchen sehr viel, und die meiste Zeit wird
an den Spinnabenden damit ausgefüllt. Daher hört
man auch vor Beginn der Spinnzeit öfters fragen:
Was für neue Lieder werden wir nun hören? An-
gelegentlich erkundigt man sich bei Mägden, welche
von andern Orten angezogen sind, ob sie viele Lieder
und vielleicht hier noch unbekannte wüssten^).«
Auch bei den Letten giebt es in den Spinn-
stuben besondere Vorsänger, die dafür von den Mäd-
chen besonders schöne Handschuhe zum Lohne er-
halten^).
1) Haupt und Schmaler, Volkslieder der Wenden in der Ober-
nnd Nieder-Lausitz (Grimma 184 1/3) II, S. 220.
2) A., E. u. H. BiELENSTEiN, Studien, S. 161, vgl. S. 157.
T „
Die verschiedenen A^len der Arbeitsgesänge. g*T
Texte von Spinnstubenliedern aus nichtdeutschen
Ländern sind mir wenig vorgekommen. Nur aus
Serbien sind zwei romanzenartige Stücke bekannt, die
zweifellos auf die Spinnstube (Moba) zurückgehen^).
Ausserdem liegen einige lettische Vierzeiler vor. In
einem werden die Burschen aufgefordert Lichtspäne
zu spalten, damit die Spinnerinnen sehen können; in
einem andern wird die Faulheit und Schläfrigkeit
der Mädchen gegeisselt. Das letztere Motiv kehrt
öfter wieder, u. a. auch in folgendem neugriechischen
Liedchen ^:
Nr. 35.
K' iyo) yvid'o}, triXvy' dt^a^to nivvs fiijvas, nivt* icdqdxticCj
nivxB fifjvug, Ttivt' ScSgccx^Lal nörs td 'yvB6* 17 xat'jx^i/T] ;
'. - .1
Uebersetzung.
Meine bösen Schwägerinnen schelten immerfort mich träge.
Und ich spinne und ich wickle in fünf Monden voll fünf Rocken,
In fünf Monden voll fünf Rocken.. Wann spann ich das sonst, ich
Arme?
Weit weniger wissen wir über den Gesang beim
Weben. Es liegft das wohl darin begründet, dass
diese Thätigkeit sich viel schwerer in Gesellschaft
ausüben lässt, und wenn wir auch Nachrichten be-
sitzen, nach denen die Sklavinnen der Alten in den
Webstuben und die unfreien und hörigen Weiber
in den Frauenhausern der mittelalterlichen Fronhöfe
gesungen haben, so gelten doch diese Unterhaltungen
als einfaltig und keiner Beachtung werth^). Frei-
lich wurde das Weben auch von freien Frauen ge-
1) Gerhard, Wila, I, S. 123 und 395 f.
2) Sanders a. a. O., .§, 104 f.
3) Vgl. BöCKEL a. a. O. S. CXXVII.
Bücher, Arbeit und Rhythmus.
g8 Vierter Theil:
Übt. Der taktmassige Gang des Schiffleins wie auch
die Langwier^keit und Einförmigkeit der Arbeit
mussten zum Singen einladen. Schon Homer lässt
die webenden Gottinnen ihr Werk mit Gesang be-
gleiten*). Von den Gefährten der Odysseus singt er;
Jetzo gestellt an der Pforte der ringellockigen Göttin,
Hörten sie Kirke daheim; sie sang mit melodischer Stimme,
Webend ein grosses Gewand, ein nnsterbliches, so wie mit Anmnth
Göttinnen feines Gewirk nnd wimdervoUes bereiten.
ViRGiL *) schildert ims das Bauemieben am Win-
terabend: der Mann schnitzt Lichtspäne;
Interea longum
cantn solata laborem
Arguto coninnx percurrit pectine telas.
Das Lied tröstet- über die lange Arbeit hinweg;
es stärkt die Geduld des arbeitenden Weibes, die
bei dem langsamen Fortschreiten des Werkes zu er-
lahmen droht; aber der Webstuhl mischt seinen
scharfen Klang darein: die menschliche Stimme und
der Schlag des Webekammes gehören zusammen; sie
bewegen sich in gleichem Zeitmass*).
Aus neuerer Zeit liegen nur zwei litauische
Weberinnenlieder vor,*) von denen das folgende in
seinem Inhalt lebhaft an die Mühlengesänge eriimert»
i) Od. V, 6i f. X, 221 fF. Vgl. auch das Lied der webenden
Walküren: Maurer, Bekehrung des norw. Stammes I, 555.
2) Georg. I, 291
ff.
3) Vgl. Tibull.
II, I, 65 :
Atque aliqua
adsiduae textrix operata Minervae
Cantat, et adplauso tela sonat latere.
• •
4) Nesselmann a. a. O., S. 231. 243. Bartsch, Dainu Balsai,
S. 164 f. . . . . ,
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
99
Nr. 36.
g
iS-
t
t
i
I. Als ich noch hat - te zwei lie - be Schwe-stem,
m
i
m
Die bei - de We - be - rin - nen;
2. Als beide webten
Die feine Leinwand
Auf neuen Webestühlen;
3. Die Stühle klappten,
Die Kämme blitzten,
Da sangen beide lieblich:
4. »O schweiget stille,
Ihr reichen Leute,
Von uns, den beiden Armen!
8. In meine Stelle
Dingt ihr ein Mädchen,
Müsst theuem Lohn bezahlen.
9, Wenn fort ich ziehe
An hundert Meilen,
Wohl über Meer und Seen,
10. Wohl über Meere
Und See und Wasser,
Da wächst ein* grüne Linde.
5. Wenn fort ich ziehe ii. Die Linde wachset.
Aus diesem Dorfe, Die Blätter grünen.
Da lass ich euch ein Räumlein. Der Wipfel schwanket leise.
6. Wenn fort ich ziehe, 12. Ach Gott, ach wehe,
Ausfuhr' das Kästlein, Du liebes Gottchen,
Da lass ich euch ein Plätzchen. Wie elend meine Tage!
7. Säet nicht Rauten
An Kästleins Stelle,
Noch pflücket oder jätet.
13. Elender wohl noch
Als Meeresfischlein
Im Grunde der Gewässer!«
Eine interessante Uebertragung der Spinnstuben-
sitten finden wir bei den Spitzenklöpplerinnen
im sächsischen Erzgebirge. Auch diese besitzen
Zählreime, die benutzt werden, »um den Fleiss der
Arbeitenden anzuspornen, indem nach den Taktver-
hältnissen der Verse die Nadeln gesteckt werden.*
7*
lOO Vierter Theil:
Es liegen ihrer nicht weniger als neun vor^), grossten-
theils Zählgeschichten, alle von reizender Naivetat,
in vielem an die Kinderlieder erinnernd. Ich theile
eine Probe mit:
Nr. 37.
Ihr Tecbt'r, gibt zc Rocken,*) Kocht en gut'n Hierschbrei:
Macbt II Ehln Borten, Drei Mann'l Eier nei,
Im Zwelfe wied'r ehdmm. E halb Niess'l Butt'r nei;
Hat I geschlagen, Wer rächt geklipp'lt bot,
Hat 2 geschlagen, Ka d d'rbei sei.
D*r Fuchs ging ins Kraut,
. . , De grinn Blett'r fross 'r raus.
Hat 12 geschlagen. De gdln liess *r lieng —
Sunntig is Mantigs Brud'r Ihr Klipp'lmäd, lasst eich net be-
Dienstig lieng m*r im Lud'r, trieng.
De Mittwoch is de Woch halb aus, De Ebl is knimp,
*n Darscbtig sei kane Bort'n im De Schär ist stump,
Haus, Wenn Klipp'hnad'n fäblt nocb e
'n Frettig gibt de Mutt'r aus, lang'r Strump").
n Sunnobnd wied'r ei. Sogt a, wie viel?
Dies geschieht; darnach gedenkt die Sprecherin jedem der Mäd-
chen ein Geschenk als Belohnung ihres Fleisses zu:
Du krist en Rock,
Du krist en Hut,
Du krist e Ticb'l u. s. w. u. s. w.
Die Reime scheinen in einer zwischen Singen
und Sprechen die Mitte haltenden Art recitiert zu
i) Volkslieder aus dem Erzgebirge. Ges. u. herausg. von Dr.
Alfked Müller. 2. Aufl. Annaberg 1891, S. 214 — 225. — Nr. 5
(S. 218 f.) entspricht dem oben unter Nr. 34 mitgetbeilten Spinnstuben-
liede.
2) »Dieser Ausdruck wird noch allgemein gebraucht, wenn Frauen
oder Mädchen mit der Arbeit zu Besuch gehen, obwohl das Spinnen
nicht mehr geübt wird.« Anmerkung des Herausgebers.
3) D. h. ein langes Ende an ihrer »Zahl«.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. loi
werden, ähnlich wie die meisten Kinderlieder. Es
ist das der einzige mir bekannte Fall, dass eine ent-
wickelte Hausindustrie Arbeitsgesänge aus der Lebens-
weise der geschlossenen Hauswirthschaft mit hinüber
genommen hat — um so bemerkenswerther, als die
dürftige Lage der Klöpplerinnen dem Frohsinn nur
sehr wenig Raum zu bieten scheint.^)
Verwandt mit denTextilarbeiten ist das Flechten
von Schnüren, Matten, Körben, Gelassen, und es
gehört, wie jene, zu den am meisten Geduld er-
fordernden Verrichtungen. Wir finden darum auch
hier das Arbeitslied^, obwohl wir uns den Rhythmus
dieser Arbeit kaum vorzustellen vermögen. Als Probe
sei ein kleines serbisches Lied mitgetheilt, welches
in einer vorliegenden Uebersetzung^) »Die Schnur-
flechterin« überschrieben ist.
Nr. 38.
Sitzt das Mädchen auf der Höhe,
Auf der Höhe, in der Weite,
Drehet Seide, Schnüre flicht sie;
Aber zu den Schnüren spricht sie:
»Wenn ich wüsste, o, mein Schnürchen,.
Dass dich einst ein Jüngling trüge,
Wollt* ich Seide in dich flechten.
Wollte dich mit Gold durchwinden
Und dich schön mit Perlen zieren.
1) Auch sonst spielt der »Klöppelsack« eine gewisse Rolle im
erzgebirgischen Volksliede. Man vergleiche in der angef. Sammlung-
die S. 88. 115. 120. 154, Nr. 95. S. 155, Nr. 99.
2) Unzweifelhaft bezeugt bei v. d. Steinen, a. a. O. S. 62 (vgl.
oben S. 42). Ein Lied der Korbflechterinnen »in malayischer Form«
bei A. V. Chamisso, Gedichte (7. Aufl. Leipz. 1843), S. 140. — Auch
das von Gerhard, Wila II, S. 167 übersetzte serbische Volkslied
scheint als Gesang der Mattenflechterinnen au^efasst werden zu müssen.
3) Talvj (Fräulein v. Jacob), Volkslieder der Serben, II, S. 23.
102 Vierter Theil:
Aber wüsst' ich, o mein Sclmürcben,
Dass dich einst ein Alter trage.
Wollt' ich dich mit Bast durchflechten.
Wollte Riedgras in dich winden
Und mit Nesseln dich ?erzieren.4'
Dieses Liedchen tragt insofern das Gepräge des
Arbeitsliedes, als es von der Arbeit hinüberführt zu
der Anwendung ihres Erzeugnisses, also — ähnlich
wie mehrere noch anzuführende Beispiele — Ge-
danken der Arbeitenden wiedergibt, die mit ihrer
Thatigkeit zusammenhängen.
Dass auch in der Hauswirthschaft mancherlei
rhythmisch und unter Tongeräuschen verlaufende Ar-
beiten vorkommen, wurde bereits im zweiten Kapitel
erwähnt. Auch hierbei finden sich einige hübsche
Beispiele von Arbeitsgesängen. In Arabien singt
der Sklave zu der Musik, die er mit dem Mörser
beim Kaffeestossen vollführt^), und aus Bengalen
wird uns ein kleines Liedchen mitgetheilt^), das die
gleiche Thatsache beim Auskratzen eines Messing-
kessels bezeugt.
Nr. 39.
Die Schöne sitzt beim Reinigen des Kessels und singt ein Lied
(zu der Musik, die sie macht) auf dem Tiegel.
(Sie singt:) »Alles, was mein Mann verdient bei seiner Arbeit,
verzehre ich allein in Betel.«;
Der Herausgeber bezieht das Liedchen auf die
Sitte, dass die in Indien so häufigen Wanderarbeiter
1) Wkllsted,
Reise I, S. 48. •
2) Durch
Grierson im Journal of the R. Asiatic Society XVIII,
S. 227.
ihren Verdienst nach Hause senden, der dort nicht
immer richtig verwendet werdje, meint aber, es könne
^uch verstanden wercjen^, der Mann sende so wenig,
dass es nur zum Kaufen von Betel reiche.
Ziemlich häufig sind Lieder der Wäscherinnen,
die beim Bläuen gesimgen werden, d.h. beim Klopfen
der nassen Wäsche mittels eines breiten, mit Stiel
versehenen Holzes. Das gleiche Instrument und die
gleiche Verrichtung finden sich auch in einzelnen
Gegenden bei der Flachsarbeit, beim Klopfen von
Fleisch, Stockfischen u. s. w. (vgl. oben S. 36 f.). Ein
kurzes französisches Bläuellied steht in einem be-
kannten Roman E. Zola's.^) Es lautet:
Nr. 40.
Pan,
pan.
Margot au lavoir
Pan,
pan
! ä coups de
battoir
Pan,
pan
! va laver son
coeur
Pan,
pan!
toüt noir de
do'uleur
Bei den Litauern bildet ein beliebtes Volkslieder-
motiv das am Ufer waschende Mädchen, dem sein
Kränzlein ins Wasser fällt. Der Geüebte erscheint,
um es zu holen und ertrinkt^ Die Lieder sind zu
lang, um mitgetheilt werden zu können; nur von
einem mag die Melodie hier stehen:
Ziemlich schnell.
Nr. 41.
1
i
An dem Mee-re, an dem Haf-fe, Wuschen einst drei Mäd-ehen,
i) L'Assommoir,
S. 35.
2) Bartsch, Dainu Balsai, Nr. 307 — 309. Nesselmann, Nr- 83 f.
I04
Vierter Theil:
IhfifiU^i'f ?-
£flr. r i'^'^J^
Tra, tra ral-la ral-la-la. Wuschen einst drei Mädchen.
In einem ähnlichen bulgarischen Liede^) fallt
das Madchen, das am Donaunfer die Leinwand mit
einem goldneh Bläuel schlagt, selbst in den Fluss;
Vater mid Mutter wagen nicht es zu retten, wohl
aber der Liebste. Scherzhaft fasst die Sache fol-
gendes lettische Liedchen :^
Nr. 42.
Hände froren mir und Füsse,
Wäsche klopfend an der Düna,
Warf das Klopfholz in die Dana,
Eilte selber zu den Brüdern,
Eilte selber zu den Brüdern,
Hand* und Füsse zu erwärmen.
Während das französische Beispiel schon im Wort-
laut den engen Anschluss an die Arbeit verräth und
dieser noch obendrein durch den Gebrauch sicher ge-
stellt ist, den der Dichter davon machen lässt (eine
Wäscherin prügelt eine andere nach dem Takte
dieses Liedes), kann bei dem lettischen nur aus dem
Inhalt die Verwendung des Liedes erschlossen werden,
da der Herausgeber und Uebersetzer keinerlei Er-
klärung darüber giebt. Aehnkch steht es mit zwei
kleinen hier folgenden Melkliedern^, nur dass
diese durch das nachfolgende, im Inhalt sehr ähn-
liche deutsche Stück*) genugsam gesichert erscheinen.
1) A. DozON,
Chansons populaires bulgares (Paris 1875), S. 98
u. 288.
2) Ulmann, Lettische Volkslieder, Xr. 195.
3) Ulmann a. a. O., Nr. 211. 212.
4) Aus der Ztschr, des Vereins für Volkskunde VI (1896), S. 325.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
105
Nr. 43. (Lettisch.)
a. Kühlein, du mein buntgeschecktes,
Wonach brülltest du am Abend?
Sehntest du nach goldnem Stall dich
Oder nach der Silberkrippe?
>Nicht nach goldnem Stalle brüllt' ich,
Auch nicht nach der Silberkrippe;
Aber faul ist meine Wirthin,
Wollt' nicht kommen, mich zu melken«.
b. Geh nun in den Stall, mein Kühlein,
Freier sind herangeritten,
Lass mir Zeit, dass ich erhorche.
Ob die Mutter mich versprochen.
Nr. 44. (Aus dem obem Kainachthal in Steiermark.)
Gedehnt.
i
s
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3
Kueh sa! Kuehsa I mein hel-me-te ^) Kueh! wer wird dich denn
1
m
ö
^^
5
mel-chen, wann ich hei-ra-ten thue? Dort drob'n auf d'r
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ö
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^
Lei - ten, dort steht a' klaa'-ner Bue, der wird dich schon
1
^=^
^=fa
« #
-u.-s.~f.-
^
^
mel-chen, wann ih hei - ra - ten thue.
Die Liedchen sind von rührender Innigkeit, und
wenn von dem letzten uns berichtet wird, es diene
Vgl. auch Jahrb. d. Ver, f. niederd. Sprachforschung, Jhg. 1878,
S. 87*
I) Weissköpfig,
lo6 Vierter Theil:
>zur BeruhigTing der Kuh beim Melken«, so mögen
wir das gerne glauben, lieber jedenfalls, als die
Wunderwirkung, welche dem nachfolgenden est-
nischen Gesänge von gelehrter Seite zugeschrieben
wird. Das Liedchen wird nämlich beim Buttern
gesungen.^)
Nr. 45.
Kokko, kokko, korekenne! Rinne, Rahmchen, rinn' zusammen!
Taewaft tulgo, kirko mingo, Komm's vom Himmel, geh's zur Kirche,
Möda männa mütta mätta. Längs dem Quirle tipti tapti,
Laua peäle lattakida, Auf des Bordes ebne Schüsseln,
Leiwa peäle liistakida! Auf der Senmieln saubre Schnitte!
Kokko, kokko, korekenne! Rinne, Rähmchen, rinn zusammen!
Der Herausgeber erklärt diesen Gesang für einen
Zauberspruch. »Wollen beim Buttern die Fetttheile
der Milch sich nicht vereinigen, wird der Spruch
über das Butterfass gesprochen; hilft das nicht, wird
es mit Ruthen gestrichen.« Er folgt darin der Sitte
der Sammler, die alles Volksthümliche, was sie nicht
erklären können, unter den Hauptnenner des Aber-
glaubens bringen. Wer den iangwierigen Vorgang
des Butterns nach der alten Weise kennt und die
dem rhythmischen Geräusch des geschlagenen Rahmes
entsprechende Tonmalerei des estnischen Textes be-
achtet, wird keinen Augenblick Bedenken tragen,
unser Liedchen als echten Arbeitsgesang in Anspruch
zu nehmen.
Von den Gesängen der Wasserschöpfer, welche
noch heute allgemein an den Brunnen in Syrien und
Mesopotamien gesungen werden (S. 53), hat sich leider
I) Neus, Ehstnische Volkslieder, S. 443. »Die Ehsten wie die
Letten scheiden die Butter nach deutscher Art durch Schlagen oder
Quirlen«: Petri, Ehstland und die Ehsten, II, S. 223 f.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 107
ein neueres Beispiel nicht auffinden lassen. Dagegen
besitzen wir aller Wahrscheinlichkeit nach noch den
Text eines uralten Brunnenliedes der Israeliten, ein-
geschaltet in ein Verzeichniss der Lagerplätze dieses
Volkes bei seinem Zuge um das Land Moab^). Bei
dem Orte Be'^r (Brunnen) heisst es dort: »Das ist
der Brunnen, den Jahwe meinte, als er Mose befahl:
Versammle das Volk, damit ich ihnen Wasser gebe.
Damals sangen die Israeliten folgendes Lied:
Nr. 46.
Quill auf, o Brunnen!
Singt ihm zu!
Du Brunnen, den Fürsten' gruben,
Den die Edelsten des Volkes aushöhlten
Mit dem Scepter, mit ihren Stäben.«
Offenbar handelt es sich um eine sehr volks-
thümliche Weise, deren Entstehung die Ueberlieferung
an den berühmtesten Brunnen anknüpfte, den man
kannte. Möglicher Weise stellen die beiden ersten
Zeilen einen Refrain dar, mit dem die Bnmnengesänge
zu beginnen pflegten. Auch heute noch bestehen
derartige Liedchen oft nur aus einem Satze oder
aus einer Aneinanderreihung von sinnlosen Lauten,
welche die Beobachter meist der Aufzeichnung nicht
werth fanden. Ein sehr bezeichnendes Beispiel dieser
Gattung hat Emil Schmidt 2) aus Südindien auf-
gezeichnet. Es ist ein Gesang der Arbeiter, welche
1) Num. 21, 16 — 18. BuDDE will (in den Actes du X® Congr^s
intern, des Orientalistes (1894) Sect. II, 'S. 13 ff.) in dem Liedchen
eine Art Weihegesang bei der symbolischen Besitzergreifung eines
^runnens erblicken.
2) Reise nacjh Südindien. S. 193.
durch Treträder das Wasser aus den abgedämmten
Reisfeldern aasschöpfen und klingt wie:
\
Pulla pdlla iii-3
- dar
Während diese eintönige Weise in Indien von
Iklämiem und Frauen im Chor gesungen wird tind
darum vielleicht richtiger in unserer dritten Gruppe
untergebracht worden wäre, sind die Älelodien der
ägyptischen Wasserschöpfer unzweifelhaft EinzeU
gesänge. Hier einige, welche Vn,LOTEÄU bei Esneh
und Kenneh aufzeichnete*):
Nr. 48.
Das Schöpfen geschieht mittels eines an einem
wagerechten Balken befestigten Hebebaums, der an
einem Ende ein Gewicht, am andern ein Gefass trägt.
»Mit diesem Gefasse wird das Wasser ungefähr acht
Fuss hoch in einen zu dessen Aufnahme ausgehöhlten
Trog in die Höhe gezogen« und dann auf das zu
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. lOQ
bewässernde Land geleitet.^) Offenbar ist diese primi-
tive Maschinerie uralt, die Arbeit unendlich mühe-
voll und einförmig.
Der grösste Theil der bis jetzt mitgetheilten
Arbeitsgesänge gehört nicht der Stoffgewinnung,
sondern der Bearbeitung und Veredelung von Roh-
stoffen in der bäuerlichen Haushaltung an — meist
sehr einförmigen und langwierigen Verrichtungen.
Es liegt von vornherein die Vermuthung nahe, dass
die Stellen, wo sich in der entwickelten Volkswirth-
schaft solche Verrichtungen in grosser Menge an-
sammeln, also die Berufsgebiete der Handwerker,
zugleich auch bevorzugte Stätten des Arbeitsgesanges
sein werden. Erkennt doch schon das Kinderlied
den rhythmischen Gang der Werkzeuge bei den ver-
schiedenen Gewerbetreibenden dadurch an, dass es
die jedem eigenthümlichen Arbeitsgeräusche in Worten
nachahmt:
Schuster sagt: Ke Quarkbnit mag ich ni.
Schneider „ O hätt' ich's, o hätt' ich's!
Tischler „
Do host's, do host's!
Stellmacher „ Mich worgt's, mich worgt's.
Schmied: „ Trenk druf! Trenk dnif ! *)
1) Beschreibung und Abbildung bei E. W. Lane, Sitten und
Gebräuche der heutigen Egypter, übers, v. Zenker, II, S. 158.
2) BÖHME , Deutsches Kinderlied und Kinderspiel , S. 229 f. Im
Ostfriesischen heisst es: S nid er segt: Dor hangt *n Stück Spek!
jSchomaker: 'k wil der nix van hebben. Wever: Smiet mi *t
man heer! Diskler: Dor hest, dor hest! — offenbar von den Stör-
^rbeitem im Bauernhause. Vgl. son^t noch Simroce, Kinderbuch,
Nr. 422 ff. Rochholz, Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel
aus der Schweiz, S. I92ff. .
l lo Vierter Theil:
Es muss dämm anfTallen, dass sich unter den
zahlreichen Handwerksliedem, welche die Sammlungen
enthalten*), nur ausserordentlich wenig* hierher Ein-
schlagendes findet. Der grosste Theil dieser Lieder
gehört der spateren Zunftzeit an und nimmt sich
nach Form und Inhalt in unerfreulicher Weise ver-
zopft aus. Abgesehen ist dabei natürlich von den
Spottliedem auf einzelne Handwerke und von den
G-esellenliedem, in welchen ein frischerer Ton herrscht
und die auch ihrer Entstehungszeit nach weiter zurückr
liegen. Unter diesen Umstanden ist es sehr be-
merkenswerth, dass von den wenigen Handwerksr
gesangen, die als Arbeitslieder allenfalls in Anspruch
genommen werden können, die meisten dem Wände Tt
gewerbe angehören. Mehrere recht alterthümliche
Scheerenschleiferlieder, ein Kesslerlied und auch wol
verschiedene Schomsteinfegerlieder gehören hierher.^)
Nr. 49.' (Scheerenschleifer.)
I. Es kommt ein fremder Schleifer daher,
Schleifer daher,
Er schleift die Messer und die Scheer.
Messer und Scheer,
Messer nnd Scheer.
Bsch, bsch, bsch!
1) Z. B. O. Schade, Deutsche Handwerkslieder (Leipzig 1865);
Erlach, Die Volkslieder der Deutschen I, S. 462 — 511; Erk-Böhmb
III Nr. 1628— 1640.
2) Die Schleiferlieder bei Schade, 232 ff. Erk II, Nr. 87 — 90.
BÖHME III, Nr. 1640; das Kesslerlied bei Schade, S. 244; Schom-
steinfegerlied bei Böhme III, Nr. 1639. Wolfram, Nassauische Volksl.
Nr. 372. Erlach II, S. 16. — Ein kabylisches Scheerenschleiferlied
bei SwOBODA, Musikgeschichte I, S. 127.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
2. )^ Junge, geh das Dorf hinein.
Da wird etwas zu schleifen sein.4C
Messer und Scheer etc*
3. »Ich bin schon lange drin gewest
In dem alten Rattennest.«
Messer und Scheer etc.
4. »Junge, geh, hol Wasser her!
Dass wir schleifen Messer und Scheer.«
Messer und Scheer etc.
5. »Junge, geh, hol Branntewein !«
Der erste Schluck soll deine sein.«
Messer und Scheer etc.
III
Nr. 50. (Kupferschmied und Kessler.)
Guten Tag, mein lieber Kupferschmied,
Tru ni di
rallerallera !
»Schön Dank, mein lieber Kessler!«
Und wenn du willst mein Schwager sein,
Tru ru di
rallerallera!
So heirat* meine Schwester.
Von stehenden Handwerken bieten, soweit ich
sehen kann, nur die Schmiede und die Böttcher Aehn-
liches. Ein schwerlich über das 17. Jahrhundert zu«
ruckreichendes Schmiedegesellenlied ist wegen seines
wechselnden Rhythmus besonders bemerkenswerth.^)
Nr. 51.
I. Wohlauf, Gesellen,
Macht widerprellen,
Vom Eisen, das hitzt,
An euren Stellen
Des Amboss Schwellen,
Dass donnert und blitzt.
2. Ja, lasst un^ schmieden
Und wacker glüden
Mit richtigem Schlag!
Uns ist beschieden
Ganz zu ermüden
Bis um den Mittag.
i) Aeltester Druck in M. Abeles' Vivat oder sogenannte künst-
liche Unordnung, 4. Theil. Nürnberg 1673, bei Erlach I, S. 506.
112
Vierter Thcil:
3. Anf, ihr Gesellen,
Dass beim Erhellen
Des Himmels geschwind
Bei Hammenallen
Aus nnsem Zellen
Das Liedlein beginnt.
Die Hähne horchen
Beim frühen Morgen
Und haben nns Dank!
Indem wir sorgen.
Um nicht zu borgen
Kost, Kleider nnd Trank.
Offenbar entspricht hier jede betonte Silbe einem
Schlage auf das glühende Eisen, jede unbetonte dem
leichten Aufhüpfen des Hammers auf dem Amboss.
Noch künstlicher ist eine andere poetische Nach-
bildung der Schmiederhythmen aus derselben Zeit,
von der wenigstens die erste Strophe hier stehen
mag, wenn es sich auch schwerlich um einen Gesang
handelt^):
Wenn jetzt die Schmieder zusammen geloffen
Und angefangen, das Eisen zu klopfen.
Kein solcher Gesang kommt auf die Bahn,
Wie diese Burschen heben an.
Mit Streichen im Dutzend einander sie trutzen,
Keiner der letzte wül sein,
Sie schlagen eins Schiagens und thuen den zwagen
Der leiser schlägt darein.
Manichfaltig, gestaltig, gewaltig
Die Hämmer hoch fliegen, das Eisen zu biegen.
Die Zangen erlangen und fangen die Stangen
Und werfen's in die Kohlen, dass klinget, widerspringet.
Inmitten der Hitzen, das glitzet, widerspritzet —
Und also das Eisen tauglich wird.
Auch an das niederdeutsche Studentenlied »En
Grofsmid sat in goder Roh« mag erinnert sein mit
seinem bezeichnenden Refrain: »Sieh düt, sieh dat,
sieh do!« oder, wie er in einer hochdeutschen Fas-
I) Erlach I, S.
500 fF,
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 1 1 ^
sung lautet: »Siditze, sidatze, sidomm!«^) Ebenso
charakteristisch ist der Refrain eines Böttcherliedes ^ :
Fassbinder,
Wo sind sie?
Hier sind sie.
Lasst euch hören!
Aber es handelt sich hier um ein Herbergslied,
das bei der Gesellenauflage gesungen wurde. Bei
dem letzten Satze »wird nach dem Takte geklatscht,
wie wenn Reifen eingeschlagen werden«. Das Lied
ist offenbar nicht aus der Böttcherwerkstätte in die
Herberge umgezogen, sondern hier entstanden und
lässt sich nur mit den Studentenliedern vergleichen,
die mit ähnlicher Begleitung gesungen werden. Ein
Arbeitsgesang ist es zweifellos nicht. Diesen wird
man überhaupt kaum in den Werkstätten zu finden
hoffen dürfen. Gesungen wird dort gewiss; aber es
sind gewöhnlich Volkslieder allgemeinen Inhalts, die
g-erade sich dem Rhythmus einer bestimmten Arbeit
anpassen lassen, oder solche, die bloss^ zur Unter-
haltung dienen.^) Bemerkt zu werden verdient jeden-
1) Erk-Böhme, ni Nr. 1698. Wolfram, Nr. 79,
2) Schade, Handwerkslieder S. 7. Es kann hier auch noch des
Kefrains in dem bekannten Spottliede auf die Leineweber (»Die Leine-
weber haben eine saubere Zunft«) gedacht werden.
3) Meine Erkundigungen nach speciellen Texten, die zu be-
stimmten Verrichtungen gesungen werden, haben kein weiteres Er-
gebniss geliefert, als die Mittheilung, dass die Schlosser beim Feilen
«in Lied anzustimmen pflegten, dessen erste Strophe so lautet:
In jener Mühle ist bekannt
Da hauste Kilian,
Der Teufelsmüller nur genannt,
Das war, das war ein böser Mann:
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 8
114
Vierter Theil:
falls, dass die wenigen in diesem Abschnitt auf-
geführten Beispiele von Handwerksliedem, die etwa
als specifische Arbeitstaktlieder angesehen werden
können, solchen Gewerben angehören, deren Thätig-
keit sich öffentlich vollzieht. Auch die Dorfschmiede
kann heute ja noch, wie schon zur Zeit des Hesiod,
als eine Art öffentlichen Ortes bezeichnet werden.
Auf die Rammlieder der Zimmerleute, die wir noch
kennen lernen werden, trifft das Gleiche zu. Im All-
gemeinen aber scheint sich zu ergeben, dass in der
Wirthschaftssphäre, der das Handwerk angehört, der
eigentliche Arbeitsgesang abstirbt. Mindestens suchen
wir ihn da auch bei solchen Verrichtungen vergebens,
bei denen ihn primitive Völker später uns zeigen
werden.
Haben wir im letzten Abschnitt gefunden, dass
der Arbeitsgesang im berufsmässig entwickelten Ge-
werbe kaum eine Stätte hat, so gilt dies auch von
der berufsmässigen Landwirthschaft unserer Kultur-
länder. Damit ist aber nicht gesagt, dass er über-
haupt beim Feldbau fehlte. Im Gegentheil werden
wir im nächsten Kapitel finden, dass er bei den ver-
schiedensten Arbeiten von der Ackerbestellung bis
zur Ernte vorkommt. Freilich erscheint er hier nur
im Zusammenhang mit bestimmten Formen der land-
wirthschaftlichen Technik und der Agrarverfassung;
aber es dürfte doch gerathen sein, alles was uns an Ar-
Er mordete zum Zeitvertreib
Zuletzt sogar sein eignes Weib.
Der Text findet sich, soweit ich sehe, in keiner unserer sonst so
weitherzigen Volksliedersammlungen, verdient es wol auch nicht.
beitsgesängen aus dem Gebiete des eigentlichen
Ackerbaus bekannt ist, dort zusammen zu behandeln.
An dieser Stelle sollen nur wenige Lieder mit-
getheilt werden, die sich an die Gewinnung einiger
zur Bereitung von Getränken dienender pflanzlicher
Erzeugnisse knüpfen. In erster Linie steht hier der
Hopfen. Bei der Ernte desselben werden bekannt-
lich die Ranken am Boden abgeschnitten, darauf mit
den Stangen ausgehoben und umgelegt. Das Pflücken
des Hopfens geschieht dann entweder sofort auf dem
Felde oder zu Hause, wohin die Ranken, nachdem
sie von den Stangen abgelöst worden sind, gebracht
werden. In beidenFällen ist grosse Eile nothwendig. Man
verwendet deshalb immer zahlreiche Arbeiter, meist
Frauen und Kinder. Bei dieser Beschäftignng werden
in den Gegenden, wo der Hopfenbau regelmässig
betrieben wird, besondere Lieder gesungen, die zu
den anmuthigsten Schöpfungen der Arbeitspoesie
gehören. Das erste der nachfolgenden Beispiele^)
gehört dem deutschen, die beiden folgenden dem let-
tischen^ und die zwei letzten^) dem litauischen Sprach-
gebiete an.
Nr. 52. (Deutsch, aus Böhmen.)
Lustig.
i
--mn
r
¥
¦^
2
I. Jetzt fahr'n wir ü - bem See, ü - bem See; jetzt
1) Hruschka und Toischer, Deutsche Volkslieder aus Böhmen
(Prag 1891), S. 257. Erk-Böhme III, Nr. 1737.
2) Ulmann a. a. O., Nr. 228 f.
3) Nesselmann Litt. Volkslieder Nr. 256 (ähnlich Nr. 265) und
Nr. 403 (ähnlich Nr. 320).
8*
Wnr - zel, kein Rn - dec war nicht
2. [: Und als wix drüber war"!!,
wieder war*!!,
Und als wir drüber — :| war"!!,
Da sangen alle Voglein,
Vöglein, Vöglein, Voglein,
Da sangen alle VÖglein.
Der helle Tag brach — :| an.
3. |: Die Magd die kehrt das Haas
Die Magd die kehrt das — :|
Hans;
Und was sie in dem Kehraus
fand,
Kehraus , Kebrans , Kehrans
Und was si
Das theUt \
1 dem Kehraus
Knecht.
L
. 1: Die Frau erwischt den Strang
von der Wand,
Die Frau erwischt den — :|
Strang,
Und schlug der armen Dienst-
Dien stmagd , Dien stmagd. Dien st -
Und schlag der armen Diensl-
Den Besen aus der — :| Hand.
. |: Der Jäger rief ins Hom,
wieder Ilom,
Der Jäger rief ins — :| Hom
Da blasen alle Jäger,
Jäger, Jäger. Jäger,
Da blasen alle Jäger,
Ein jeder in sein — :| Hom.
. I : Das Liedlein das ist aus,
Das Liedlein das ist — :{ ans.
Und ver das Lied nicht singen
Singen, singen, singen kann, .
Und \rer das Lied nicht singen
Der zahl' ein halb Fass , — ;[
Wei
I) Ein Theil der Strophen dieses Liedes wird auch als Kinder-
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
117
Nr. 53. (Lettisch.)
Hinterm Berge sät* ich Gerste,
Dass der Hopfen es nicht merke;
Aber pfiffig ist der Hopfen,
Steigt auf einen Baum und lauert.
Nr. 54. (Lettisch.)
Ach du Hopfen, struwelköpf ger,
Was verübtest du am Männlein!?
Männlein stolpert auf dem Wege,
Hin und her die Mütze schwenkend.
Nr. 55.
1. Du Hopfen, ei taduja,
Du Schleicher, ei taduja,
2. Wo wuchsest du, taduja?
Wo wardst du gross, taduja?
3. Auf Vaters Beet, taduja,
Wohl hinterm Zaun, taduja.
4. Komm Schwesterlein, taduja.
Wir pflücken ab den Hopfen,
5. Wir pflücken ab den Hopfen,
Wir brauen gelben Alus.
(Litauisch.)
6. Wir brauen gelben Alus,
Wir laden ein den Vater. —
7.* Der Vater hat im Rausche
Versagt die liebe Tochter.
8. Dem Vater nach dem Rausche
That leid es um die Tochter.
9. Kehr,Tochter, heim vom Wege;
Die Rauten pfleg im Garten.
10. Versagt kehr ich nicht wieder,
Gepflückt grünt nicht die Raute.
Tadireli taduja.
Du grüne Raute taduja!
Nr. 56.
I. Und was sagte denn der Hopfen, 2. Und was sagte denn der Hopfen,
Kriechend aus der Erde?
Era ritamta,
Faladroti
kumferta!
Wirst du mich nicht gut auf-
binden,
Keim' ich auf der Erde.
Auf der Stange rankend?
Era ritamta,
Faladroti
kumferta!
Wenn du mich nicht zeitig ab-
pflückst.
Werde ich verstäuben.
lied beim Pfanderspiel gesungen. Vgl. Simrock, Volkslieder S. 109,
Kinderbuch S. 213; Böhme, Kinderlied u. Kinderspiel, S. 671.
ii8
Vierter Theü:
3, Und was sagte denn der Hopfen,
Anf dem Speicher liegend?
Era ritamta,
Faladroti
komferta!
Wirst du mich nicht fleissig
rühren.
Werde ich Terschimmebi.
4. Und was sagte denn der Hopfen,
In dem Kessel kochend?
Era ritamta,
Faladroti
kumferta!
Wirst du mich nicht gut be-
decken.
Werde ich verdampfen.
5. Und was sagte denn der Hopfen,
In dem Fasse liegend?
Era ritamta,
Faladroti
kumferta!
Wenn du mich nicht fest ver-
spundest.
Werde ich nicht schmackhaft.
6. Und was sagte denn der Hopfen,
In dem Glase stehend?
Era ritamta,
Faladroti
kumferta!
Wenn du mich nicht wirst be-
zwingoi.
Werde ich dich wälzen.
Dass am Rhein bei der Weinlese gesungen
wird, ist bekannt. Von einem Arbeiten im Takte
wird dabei jedoch nicht die Rede sein können. Es
würde darum keine Veranlassung vorliegen, das fol-
gende Necklied der Winzerinnen hier mitzutheilen,
zeigte dasselbe nicht eine unverkennbare Verwandt-
schaft mit den Gesängen, die zur Flachsarbeit ge-
hören. Das Lied ist 1819 von Hoffmann von Fallers-
LEBEN in Kessenich bei Bonn aufgezeichnet worden ^).
Nr. 57.
I. Die Trauben, die wir schnei- 2. Hie ist sich einer, der Adam
den,
|: Und die sind dürre; :|
Wann wolPn wir Jungfer
Liesche
Wol zur Kirchen führe?
Hei ! die Trauben die sind dürre.
heisst,
: Und der ist wilde; :|
Er führt ein silbernes Kärst-
chen
In seinem Schilde.
Hei! der Schelme der ist wilde.
I) Erk-Böhme, HI, Nr. 1557. Str. i, Zeile 2 ist in der That
dürre, nicht thüre zu lesen, wie Böhme glaubt. Die Trauben(stengel)
sind dürr, und es ist darum Zeit sie zu schneiden; auch für Jungfer
L. ist es Zeit zu heiraten.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. hq
3. Er ist so wilde nicht,
|: Er wird auch wiedrum zahm. :|
Er nahm sich Jungfer Lies che
In seine Arme lang:
Hei! die Zeit fiel ihm nicht lang!
Wie mit diesem Winzerinnenliede wird es sich
wahrscheinlich auch mit einem nicht weniger als
dreissig Strophen langen Gesänge der chinesischen
Theepflückerinnen verhalten, der in englischer
Uebersetzung vorliegt^). Der Thee erfordert vom
Pflücken bis er versandtfertig ist, so viele und um-
ständliche Arbeiten, dass sich ohne persönliche Be-
obachtung nicht sagen lässt, ob etwa eine derselben
in einem bestimmten Rhythmus vollzogen wird. Das
Lied beschäftigt sich allerdings vorzugsweise mit dem
Pflücken der Theeblätter, gedenkt aber auch der
sich daran anschliessenden Arbeiten des Röstens und
Rollens, die ebenfalls meist von Frauen verrichtet
werden. Es mag genügen, wenn hier die ersten
Strophen mitgetheilt werden.
Nr. 58.
1. Unser Haus liegt inmitten von zehntausend Hügeln,
Wo nord- und südwärts vom Dorf der Thee in Fülle wächst.
Von Chinse nach Kuhyii unablässig gehetzt,
Muss ich jeden Morgen früh aufstehn, meine Theearbeit zu thun.
2. Mich ankleidend, wenn kaum der Tag dämmert, das Haar nur
halb geordnet.
Nehm' ich meinen Korb und trete hinaus in den dicken Nebel.
Kleine Mädchen und ehrbare Frauen gehn Hand in Hand den
Weg entlang
I)
HOUGHTON, Women of the Orient, p. 355 — 359, der sich
wieder auf »Middle Kingdom« from Chinese Repository, Vol. VIII
p. 196 beruft.
120 Vierter Theü:
Und fragen mich: >Welchen Abhang des Snnglo klimmst du heute
empor ?4:
3. Trüb ist der Himmel, und düstres Zwielicht deckt der Berge Spitzen;
Die bethauten Blatter und dunklen Knospen sind nicht leicht zu
pflücken.
Wir wissen nicht, für wen — seinen Durst zu stillen —
Wir uns plagen und arbeiten und täglich, je zu zweien, gehen
müssen.
4. Paarweise gesellt, uns wechselseitig helfend, ergreifen wir die
Theezweige
Und treiben mit leisen Worten einander an: )>Zaudre nicht,
Auf dass nicht an der Zweigspitze die Knospe noch zu alt wird
Und nicht mit dem Morgen der rieselnde weiche Regen kommt .k
5. Wir haben jetzt genug gepflückt; hoch am Zweig sind nur noch
spärlich Blätter;
Wir haben« unsre Körbe bis zum Rand gefüllt und reden vom
Heimgehn.
Lachend ziehn wir dahin, da geht gerade am Teich
Ein Paar heiiger Wildenten auf und fliegt nach verschiedener Rich-
tung davon.
6. Dieser Teich hat klares Wasser, und tief wächst dort der Lotus,
Wie Münzen rund sind seine kleinen Blätter und erst halb auf-
geblüht;
Zum vorspringenden Rand gehend bei einer klaren und seichten
Stelle
Versuche ich mit meinen Blicken zu ergründen, wie jetzt mein
Antlitz ausschaut.
7. Mein Lockenhaar ist arg zerzaust, mein Antlitz ganz entstellt.
In wessen Hause lebt die Dirne, so garstig wie 'ne Sklavin?
Das kommt davon, dass jeden Tag den Thee ich pflücken muss,
Dass Regenschauer und Windeswehn die Reize mir verdorben.
Das Lied bietet in seinem weiteten Verlauf noch
einige hübsche Scenen aus dem Leben der Pflückerin,
in denen ihr die Witterung arg mitspielt; in die
Aeusserungen weiblicher Eitelkeit mischt sich mehr»
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. i 2 l
fach die Sorge, den besten Thee auf den Markt zu
bringen; dann folgen wieder Klagen über das müh-
selige Leben — kurz echte Mädchenpoesie. Auch
der Schi-king, der ja manche volksthümliche Stücke
enthält, hat uns aus dem 12. vorchristlichen Jahr-
hundert ein Lied der Wegerichpflückerinnen
aufbewahrt, das hier noch zugleich mit der Ueber-
setzung von Victor von Strauss folgen mag.^)
Nr. 59.
1. Thsäi thsäi feu-i, i. Pflücket, pflücket Wegerich,
pok-yßn, thsäi tsi; Eija zu und pflücket ihn!
thsäi thsäi föu-i, Pflücket, pflücket Wegerich,
pok-yfin, yeü tsi. Eija zu, ihr rücket ihn.
2. Thsäi thsäi f(§u-i, 2. Pflücket, pflücket Wegerich,
pok-yßn, tot tsi; Eija zu, ergreifet ihn!
thsäi thsäi föu-i. Pflücket, pflücket Wegerich,
pok-y6n, luot tsi. Eija zu, entstreifet ihn!
3. Thsäi thsäi fSu-i, 3. Pflücket, pflücket Wegerich,
pok-yßn, kiet tsi; Eija zu, nun packt ihn ein!
thsäi thsäi f&u-i. Pflücket, pflücket Wegerich
pok-y6n, hiet tsi. Eija zu, nun sackt ihn ein!
Alle diese Lieder knüpfen an die Verrichtung
des Pflückens an, wo es sich darum handelt, Blätter,
Blüten oder Früchte einzeln mit den Fingern von
der Pflanze zu entfernen und einzusammeln. Obwohl
an sich diese Technik rhythmischer Gestaltung nicht
unzugänglich sein würde, so erscheint es doch bei
den ständig wechselnden Umständen, unter denen
die Gewinnung jener Pflanzentheile erfolgt, schwer
I) Den chinesischen Text verdanke ich der Freundlichkeit meines
Kollegen A. Conrady; die Uebersetzung findet sich bei Strauss,
s. 73.
122 Vierter Theil:
denkbar, dass in den hier genannten Fällen längere
Zeit taktmässig gearbeitet werde. Als Arbeitsgesänge
im weiteren Sinne werden wir trotzdem diese Lieder
anzusehen haben.
Der Gegenstand dieser Untersuchung bietet dem
Forscher so viel des Unbegreiflichen und Wunder-
baren, dass man den Thatsachen oft nur mit Wider-
streben folgt. Dies gilt insbesondere von dieser
letzten Gruppe von Gesängen, in der ich recht Ver-
schiedenartiges, aber doch zur Sache Gehöriges zu-
sammenstelle, ohne, mangels eigener Beobachtung,
im Stande zu sein, den Zusammenhang zwischen ge-
sungenem Worte und Körperbewegung irgendwie
zu veranschaulichen. Man wird sich aber das Be-
reich dieser Gesänge bei den Naturvölkern nicht
leicht zu gross vorstellen können.
An erster Stelle erwähne ich das Tättowieren,
das überall auf den Inseln der Südsee mit Gesang
begleitet zu werden scheint. Beispiele solcher Ge-
sänge liegen allerdings bloss aus Samoa^) und Neusee-
land^ vor. Die Maori haben ein besonderes Lied
beim Tättowieren eines Mannes und ein eben solches
beim Tättowieren eines Mädchens. Das erstere lautet
in Uebersetzung :
1) Ztscjir. f. Ethnologie XXVIH (1896), S. 562 f. der Verhand-
lungen.
2) Reise der Fregatte Novara, III. Abth. Ethnographie, S. 50 f.,
a.uch abgedruckt bei R.M.Werner, Lyrik und Lyriker, S. 129 f.
und Ploss, Das Weib (4. Aufl.) I, S. 97 f.
Nr. 60.
Wir sitzen da beisammen Das junge Laub der Warawara.
Und schmausen zusammen; Ich bin der Meister
"Wir blicken an die Zeichen Eurer herrlichen Zeichen!
Auf den Augen, auf der Nase Den Mann, der dich gut bezahlt,
Tuteta wa*s, Tättowier* recht zierlich;
Die sich schlängeln hin und her. Den Mann, der dich nicht bezahlt.
Gleich den Füssen der Eidechse. Diesen zeichne nicht schön!
Stich ihn mit dem Meissel Mataora's ! Lass' ertönen das Brummen !
Sei nicht so sehnsüchtig, Steh* auf, Tangaroa!
Dass die Frauen dich schauen, Heb* dich, Tangaroa!
Dass sie pflücken möchten
Das Tättowier-Instrument ist ein Stab mit einem
Ast-Endchen, in welchem ein zugespitzter Knochen-
splitter befestigt ist. Der auf den letzteren aufge-
strichene Farbstoff wird durch Schläge, die mit einem
hölzernen Hammer auf den Stab geführt werden, in
die Haut hineingetrieben. Ob die Schläge in takt-
mässiger Weise erfolgen, lässt sich natürlich ohne
eigene Beobachtung nicht sagen. Unmöglich ist
es nicht.
Weitere Nachrichten besagen, dass die Papuas
besondere Gesänge bei der Beschneidung^) und
die Danäkil ein eignes Lied für die durch kundige
Frauen verrichtete Infibulation^) besitzen. Es
muss freilich dahingestellt bleiben, welchen Charakter
diese Gesänge tragen. Wir wissen zu wenig von
den Vorgängen, denen sie entsprechen und den dabei
stattfindenden Ceremonien. Aber wie viele kennen
heute bei ims noch die wahre Natur der Wiegen-
lieder^), die sich so eng an die Schaukelbewegung
1) Hagen, a. a. O. S. 14. — Vgl. Paulitschke, II, S. 212.
2) Paulitschke, a. a. O. S. 175.
3) Beispiele bei Erk-Böhme, D. Liederhort III, S. 579 fF.
der Wiege anschmiegen, welche die Mutter mit dem
Fusse tritt oder mit der Hand bewegt! Sicher aber
liegt die Neigung, jede länger dauernde Thätigkeit
rhythmisch zu gestalten, jede Verrichtung mit Ge-
sang zu begleiten, so sehr in der Natur primitiver
Völker, dass sie jedem Beobachter auffcdlen musste,
der dafür ein Auge hat. Als Mackay 1877 in Ost-
afrika einen Weg und eine Brücke baute, schrieb
er über das Benehmen seiner eingeborenen Ar-
beiter^):
»In dem waldfreien Lande vertheilen sich meine
Leute mehr, und manchmal bleiben da oder dort
einige zurück, um einen riesigen Affenbrotbaum zu
fallen, an dem die Werkzeuge fast zu Schanden
werden. Aber wenn man ins Dickicht einbricht,
sind alle beisammen, und sie feuern sich gegenseitig
durch Gesang an, der entweder keinen oder nur
wenig Sinn hat^. Eins dieser Liedchen, das man
sich wohl zu meiner besonderen Erbauung ausgedacht
hat, lautet:
Nr. 61.
Eh, eh, msungu mbaya
Tu katti miti
Tu ende Ulaya,
welches umschrieben so viel bedeutet als: »O, ist
der weisse Mann nicht sehr bös, dass er die Bäume
i) a. a. O. S.
50.
2) Aehnlich
Ch. M. Doughty, Travels in Arabia deserta (I, p.459);
>The
loud chant of Beduins at labour is but some stave of three or
four words
in cadence, with another answering in rime, being words
which first
happen to their minds, and often with little sense; and
when they
have sung a couplet somewhile, they will take up a new.
— And this
is a shepherd's rime which he made of me in the
booths: »yä
Khalil! zey el-til«, »O Khalil! sib to the elephant.«
abschneidet, um einen Weg zu machen, damit die
Engländer kommen können!«
Also auch hier eine ausserordentliche Leichtig-
keit der Improvisation, wie sie schon bei den Mühlen-
und Spinnliedchen hervortrat; auch hier die nahe
Beziehung des Inhalts auf die eben vorliegende Ar-
beitsaufgabe — nicht wie bei den Volks- und Kunst-
liedern, welche heute unter den Kulturvölkern meist
zur Arbeit gesungen werden, die Wiedergabe eines
feststehenden, der Arbeitssphäre fremden Liederinhalts
in einer rhythmisch und melodisch selbständigen Form.
Alle echten Arbeitsgesänge — das wird festgehalten
werden müssen — sind in ihrem Rhythmus durch
die Arbeit bestimmt, können aber durch das Tempo,
in dem sie gesungen werden, auf den Gang der Ar-
beit zurückwirken. Wie diese Einwirkung sich psy-
chisch und physiologisch vollzieht, mag dahingestellt
bleiben; sicher ist, dass sie stattfindet, und erfahrungs-
gemäss beschränkt sie sich gar nicht einmal auf den
Menschen, sondern dehnt sich auch auf Thiere aus.
Wie das Tempo der Musik oder des Gesangs einer
marschierenden Truppe sich mittheilt, so lernen auch
die Cavallerie- und Circuspferde nach demselben ihre
Gangart richten, und die Araber haben eine eigene
Liedergattung für den Gang der Kameele (Hadu)^)
i) Esquisse
historique de la Musique Arabe aux temps anciens etc.
par Alexandre
Chiästrano witsch, Cologne 1863, S. 12: Les r6cits
Ugendaires dn
peuple arabe disent que les premiers chants furent
ceux du cHamelier
excitant la marche des chameaux. Ces chants,
tous mod^l^s ä
peu pr^s sur le mfime rythm«, transmis d*6poque en
^poque, ont une
origine commune qui remonte jusqu'ä Modhar^ Pun
des pöres des
tribus arabes. Voici ce que dit la legende: Modbar,
fils de Nizar,
fils de Mädd, fils d'Aduan, avait une voix d'un timbre
126 Vierter Theil:
und eine andere für den der Pferde (Zindali)^). >Je
nachdem (dort der Klameeltreiber, hier) der Reiter
dieselben singt, d. h- ob in langsamem oder beschleu-
nigtem Tempo, richtet das Thier seine Gangart ein.«
In letzter Zeit hat man Untersuchung-en angestellt
über den Einfluss, welchen die Musik auf die ver-
schiedenen Thierarten eines zoologischen Gartens
ausübt. Die meisten Volker, welche der Thierzucht
grossere Aufmerksamkeit widmen, zweifeln an einem
solchen Einflüsse nicht. Die mongolischen Nomaden-
stamme glauben sogar, Kameele, die ihre Jungen
nicht säugen wollen, durch Geigenspiel zu ihrer
melodieux et
d'une douceur incompaiable. Un jonr, ^tant en voyage,
il tomba du haut
de sa montnre et se cassa le bras. La douleur lui
arracha des cris
et des plaintes: Ttya! yadah! ya! yadahla r6petait-il
en g^missant,
c'est ä-dire: >ali! mon bras! ah! mon bras!<c II y avait
dans Pintonation
de sa voix, dans la modnlation de sa plainte comme un
charme qui agit
sur les chameaux et rendlt leur course plus rapide et
leur mouvement
plus doux. Des ce jour, les chameliers adopt^rent les
modulations de la
plainte de Modhar ponr exciter leurs chameaux.
Leur cri r6pet6
dans cette sorte de chant: hadia! hadia! rappelle,
dit-on, les cris
de Modhar blesse: i>ya! yadah! ya! yadah !<(. — Le
chant des
chameliers s'appelle en arabe Houdd, le chamelier qui
excite le chameau
se nomme Hädi. n y en a de celebres, et dans
le Kitab-el-Aghani
on cite, comme Tun des plus fameux, celui du
Calife
Al-Mansour. — Du chant du chamelier modifie naquit le chant
funibre, appel^
Nouh (lamentation). Pendant longtemps, les peuples
de la Mecque et
des contr^es voisines ne connurent gu^re que ces
deux esp^ces de chants. — Ein Beispiel bei Talvj a. a. O. S. 53.
Vgl. auch M. Hartmann, Metrum und Rhythmus. Die Entstehung
der arabischen Versmasse (Giessen 1896), S. 13 ff. — Die Somali
singen auch »uralte Lieder, wenn die Kameele beladen oder getränkt
werden.« Paulitschke, a. a. O. II, S. 288. — Vgl. noch Cruri,
Sca Nile,
the desert and Nigritia, p. 330.
I) H. Stumme. TripoUtanisch-tunesische Beduinenlieder (Leipzig
1894), S. 54.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 127
mütterlichen Pflicht zurückführen zu können^). Bei
den alten Aegyptern sang der Hirte seinen Schafen,
wenn er sie nach Landessitte hinter dem Sämann
her über die noch nassen Felder trieb, damit sie
den Samen mit ihren Füssen in den Schlamm träten^.
Eines der Liedchen ist uns erhalten und lautet:
Nr. 62.
Euer Hirt ist im Wasser bei den Fischen;
Er spricht mit dem Wels, er begrüsst sich mit dem Hecht.
Westen! euer Hirt ist ein Hirt vom Westen.
Der Hirte scheint sich selbst zu verspotten, sa
im Wasser waten zu müssen, wo ihm die Fische
Guten Tag sagen. Ein anderes Liedchen, das in
mehreren Fassungen auf uns gekommen ist, singt
der Treiber den Ochsen vor, wenn er sie auf der
Tenne in die Runde treibt, damit sie das Getreide
mit ihren Füssen dreschen.
Nr. 63.
Drescht für euch, drescht für euch!
Ihr Ochsen drescht für euch!
Drescht für euch das Stroh zum Futter
Und das Korn für eure Herren!
Gönnt euch keine Ruhe!
Es ist ja heute kühl.
Auch in Madeira wird den Ochsen gesungen,,
wenn sie zum Austreten der Körner über die Dresch-
tenne getrieben werden. Der Gesang ist weithin
vernehmbar und hat etwas ungemein Feierliches.^)
1) Pallas, Sammlungen histor. Nachrichten über die mongolischen
Völkerschaften I, S. 265.
2) Ermann, Aegypten und ägyptisches Leben im Alterthum,.
S. 515 f. Dort auch die Dreschliedchen.
3) Mündliche Mittheilung.
128
Vierter Theil:
Ohne diesen Dingen allzu grossen Werth beizu-
legen, möchte ich doch in ihrem Zusanunenhang eine
Anzahl Lieder mittheilen, die nach Form und Inhalt
ein besonderes Interesse beanspruchen. Es sind Ge-
sänge der japanischen Mago oder Führer von
Packpferden, deren Texte und Uebersetzung ich der
oft bewährten Gefälligkeit meines Kollegen A. Conrady
verdanke ^).
Nr. 64.
Ise wa Tsu-de motsu,
Tsu wa Ise-de
motsu,
Owari Nagoya wa
Shiro-de motsu.
Was ist Ise ohne Tsu,
Was ist Tsu ohne Isie,
Was ist Nagoya in Owari
ohne sein Schloss?
Nr. 65. (Provinz
Jdzu.)
Fuji-no atama-ga
tsun moyeni;
Najo-ni kemari-ga
tsun moyeni?
Mishima
jiorö-shu-ni
Garara uchikomi.
Kogare ojiattara
tsun moyetä.
Shion gaye
dö dö!
Der Gipfel des Fuji brennt.
Warum brennt der Rauch?
Weil man die Dirnen von Mishima
alle hineingeworfen hat.
Wenn sie in Liebe brennen werden,
wird (der Fuji) in Flammen brennen.
Shion gaye,
dö dö!
Nr. 66.
Yombe näää
Shinon dara
yeee
Osandonä,
Madzu ii
asesa-nete ita kara;
lyo! nabe-no
meshiya sugite,
tsutsubüshitäää
yeee.
(Provinz Suruga.)
Guten Abend, na
als ich leise hineinschlich, ye,
zum Dienstmädchen,
schlief sie erst festj
lyo ! Der Reis im Kessel war zuviel,
und sie schlief fest.
i) Sie stammen von einem in Leipzig z. Z. Medizin studierenden
Japaner, Herrn Hideo Ixeda, nach dessen Mittheilungen sie Herr
Emil Stenzel, ein Schüler des Herrn Professors Conrady, nieder-
geschrieben hat.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 12Q
Nr. 67. (Provinz
Totomi.)
Uraga
o-chiomatsu-no kakaa wä,
Takoyo !
Chiä azesa! tako
dato omoshuruye;
liakken
mannaka-ni ashidarake.
Shion gaye dö dö!
Wenn ich die Frau des O-Chiömatsu *) betrachte,
Takoyo!
Chiä azesa! sieht sie aus wie ein Tintenfisch.
Acht Ken in der Mitte (messen) die Füsse allein.
Shion gaye
dö dö!
Nr. 68.
Uraga
shione wa Hamana-no hashi-yö yeee,
Ima wa
tatayeteee,
Otomo senu
yo eee,
döu döu!
Mein Charakter gleicht der Brücke des Hamana;
jetzt ist sie längst abgebrochen,
und kein Geräusch wird mehr vernommen,
döu, döu!
Nr. 6g.
Takai yama-kara tanisoko mireba yeee,
Oman kawai-ya nuno sarasu näyeeci döu dÖu!
Wenn ich von dem hohen Berge in den Thalgrund schaue, yeee!
Wie lieblich ist Oman! Sie bleicht das Leinen, näyeee etc.
Ob diese Liedchen als Marschlieder für die Pferde-
führer selbst anzusehen sind, ob sie einen Einfluss
auf den Gang der Pferde ausüben sollen, muss un-
entschieden bleiben. Ebenso soll an die deutschen
Fuhrmannslieder, denen man in den Sammlungen
ziemlich häufig begegnet^, bloss erinnert werden.
i) Name eines der Diener.
2) Z. B. Erk- BÖHME III, Nr. 1572 ff.; Erlach II, S. 549, 557 j
Des Knaben Wunderhom (neue Ausg.) II, S. 653.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 9
ISO
Vierter Theil:
Die Veränderung der Verkehrsverhaltnisse erschwert
uns das Verständniss dieser Dinge ungemein. Immer-
hin möchte ich wenigstens eine kleine Probe geben.
Sie stammt aus der deutschen Sprachinsel Gott-
schee in Krain, deren Bevölkerung in Sprache und
Sitte so viel Alterthümliches bewahrt hat^).
Nr. 70.
TcHhi, tschihi, main Praune (Branner), hoda ho,
Nocli haint brsclit (wirst) dn ahoime (daheim) shain.
Noch haint brscht du ahoime shain, daho,
Pai main dar jungn Kroinarin,
Terala, terala,
terala, teho,
Toderala, terala,
terala, teho!
Die im Wechseltakt sich vollziehenden Arbeiten
gehen, soweit wir sie zu überschauen vermögen,,
sämtlich auf Schlag- und Stampfbewegungen zurück^
Sie ergeben deshalb von selbst einen mehr oder
minder lauten Taktschall, und da sich mindestens
zwei Arbeitskräfte an ihnen betheiligen müssen, auch
einen Tonrhythmus von incitativer Wirkung. Sie
scheinen also der weiteren Unterstützung durch die
menschliche Stimme nicht zu bedürfen. Dennoch
finden sich auch hier Arbeitsgesänge; es wird
also die Arbeit durch einen doppelten Tonrhythmus
unterstützt: den des Arbeitsgeräusches und den des
Gesanges, und da beide sich in Einklang befinden
müssen, so sind die hierher gehörigen Lieder von
ganz besonderem Interesse. Leider ist ihre Zahl
i) A. Hauffen, Die deutsche Sprachinsel Gottschee, S. 377 f- /
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. i xi
sehr gering, und noch spärlicher sind die Nach-
richten über ihre Anwendung.
Dreschgesänge darf man natürlich nur da
suchen, wo das Dreschen mittels eines Stockes oder
Flegels erfolgt. Da die Alten das Getreide meist
durch Thiere austreten Hessen oder sich des Dresch-
schlittens bedienten, so wird man bei ihnen, den
Dreschtakt nicht zu finden hoffen ^)w Das Gleiche
gilt von den nordasiatischen Ländern und Aegypten.
Dagegen ist er den ostafrikanischen Völkern durch-
aus geläufig. »Bei den Galla versammeln sich die
Bewohner eines Dorfes auf dem Druschplatze, um
gemeinsam unter Absingung von melodischen; zum
Druschtakte passenden Liedern die Durrarispen aus-
zudrfeschen und das Getreide zu reutem* Gegen
Sonnenuntergang findet man da in der Trockenzeit
in der Regel die ganze Dorfbewohnerschaft, und
von weitem vernimmt man den Taktschlag und den
Choralgesang der Arbeitenden^)«.
Auf der Banda-Insel Letti »wird das Dreschen
in ganz eigenthümlicher Weise vorgenomriien. Die
Aehren werden auf eine Matte geschüttet, und alle,
die dem Besitzer anverwandt und zugethan sind,
tanzen auf der lieben Gottesgabe bei Trommelschall
herum, bis die Kömer von den Hülsen befreit sind.«^)
Aber dieser Vorgang steht nicht vereinzelt. Bei
den Esten wurde noch im Anfange dieses Jahr-
hunderts das Sommergetreide, nachdem es in der
Riege auf künstlichem Wege gedörrt worden war.
•» I) Vgl. jedoch Mager STEDT, Bilder aus der rööa. Ländwirth-
schaft V, S. 244. 315.
2) Paulitschke, a. a. O. I, S. 134. 217. '
3) Jacobsen, Reise in der Inselwelt des Banda-Meeres , S.- 136.
9*
132
Vierter Theü:
auf der Tenne ausgebreitet und durch Pferde oder
Menschen ausgetreten. Die letzteren »stellten dabei
einen taktmassigen Tanz und Gresang an«.^) Der
Roggen wurde nicht mit Flegeln, sondern mit dicken
krummen Prügeln, die in einen stumpfen * Winkel
gebogen sind, gedroschen. Die Arbeit war wegen
des vorausgegangenen Dörrens nicht schwer, sodass
selbst Kinder von 14 Jahren dabei helfen konnten.
Aehnlich werden wir uns den Vorgang bei den
benachbarten Litauern zu denken haben. Hier
finden wir denn auch ein sehr eigenthümliches Dresch-
lied ^, das sich aus den zahlreichen Volksliedern
dieses Stammes schon dadurch heraushebt, dass es
in daktylischem Metrum gehalten ist, während sonst
trochäische und iambische Masse fast ausschliess-
lich gebraucht werden. Auch die Melodie stützt die
Annahme, dass wir es hier mit einem echten Arbeits-
taktliede zu thun haben.
Allegro.
Nr. 71.
^
^
^
z
^^
Leu - te, steht auf, denn die Uhr ist schon drei ! Fas - set die
Hur-tig! schon rief uns das Hah-nen-ge-schrei ; Fut-ter T)e-
i
i
^
^
^r--ir
^-
^
h:
Fle - ge - lein früh ! 1 -d -l • • j • • t^t v v
1- i. j ir- 1- i Run-n - ger sind sie im Nacn-ba • ren-
geh -ret das Vieh. J ^
1) J. Ch. Petri, Ehstland und die Ehsten (Gotha 1804), II,
S. 209 — 213. A. W. HuPEL, Topogr. Nachrichten von Lief- u. Ehst-
land (Riga 1777), II, S. 295.
2) Bartsch, Dainu Balsai Nr. 306.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
133
i
^
;
y n J- j- J'
haus: Hört ihr? sie dre- sehen die Ger -ste schon ^us.
^N
^-^-^i=^;-=jM J^ ; jd j
Klipp klapp klapp, klipp klapp klapp, klipp klapp klapp, klapp !
2. Unser Geschäft ist von alters bekannt,
Baute doch Adam das Feld.
Hat ja, geleitet von göttlicher Hand,
Fleissig den Acker bestellt.
Sieht auch der Städter gleich vornehm darein,
Kümmere uns gar nicht, gedroschen muss sein,
Klipp klapp etc.
3. Gingen nicht Herden von Thieren zu Grund,
Wenn wir nicht füttern das Vieh?
Blieben die Feinen, die Städter, gesund.
Wenn wir nicht dreschen für sie?
"Wehe, du Städter, wie stand* es um dich,
"Wenn wir nicht säen und dreschen für dich!
Klipp klapp etc.
4. Unser Herr Amtmann weiss leichteren Rath,
"Wie er zu Geld kommen soll:
Quälet uns Bauern von frühe bis spat.
Sparet das Säckchen sich voll;
Schreiber und "Wachtmeister machens ihm nach.
So auch der Schulze — o wehe der Plag!
Klipp klapp etc.
Auch beim Enthülsen des Getreides, das im
alten Aegypten wie im heutigen Central- und Ost-
afrika, bei den Malayen wie bei den Chinesen von
zwei Arbeitern oder Arbeiterinnen durch Stampfen
der Körner in einem Mörser vorgenommen wird,
dürfen wir ähnliche Gesänge erwarten. In der That
wurden solche Gesänge beobachtet: zunächst bei den
134
Vierter Theil:
Wasegua^), wo von Frauen und Mädchen der Mais in
steinernen Trögen gestampft wird, ferner in Bornu,
wo G. Rohlfs im Hause eines Grossen die Weiber
Korn stampfen sah, »nach Art der Neger den Takt
der Stösse mit Gesang begleitend«.^ Endlich er-
zählt Wissmann^ von der Zubereitung des Gingü-
baöls durch die Weiber der Lunda: »Die entschalten
Erdnüsse werden in einen Holzmörser gethan und
kleingestampft; dann kommt Wasser hinzu, und vier
Weiber bearbeiten mit staunenswerther Geduld das
Gemisch zu einem Brei, indem sie unausgesetzt mit
grossen, an ihren Enden verstärkten Stöcken die
Mischung kneten. Wenn das Verfahren stundenlang
fortgesetzt ist, sammeln sich die Oelabsonderungen
an der Oberfläche und werden nach und nach von
dort abgeschöpft . . . Nur das weibliche Geschlecht
unterzieht sich der Arbeit der Oelerzeugnng, die mit
Gesang begleitet wird, und kein Mann darf dabei
zugegen sein, weil dessen Anwesenheit den Erfolg
vereiteln soll.«
Auch bei den Chinesen spielt der Gesang beim
Stampfen eine grosse Rolle*), wie überhaupt bei
i) Kallenberg, Auf dem Kriegspfad gegen die Massai, S. 103.
2) Ergänzungsheft Nr. 34 zu Petermann's Mittheilungen, S. 36.
3) Wissmann, Wolf etc. Im Innern Afrikas (Lpz. 1888), S. 62 f.
4) CoNRADY theilt mir darüber Folgendes mit: »Die Chinesen
pflegten das Stampfen des Getreides im Mörser mit Gesang oder allerlei
Rufen zu begleiten oder, wie sie es richtig nennen, zu unterstützen.
Das zeigt folgendes Verbot des Ritualbuches Li-ki (I, l, IV, 43; cf.
Legge,
Sacred books of theEast XXVII, 89): lün y^u sang, c*üng
put sidng »wenn eine Trauerfeierlichkeit in der Nachbarschaft ist,
soll man das Stampfen im Mörser nicht (mit der Stimme) unterstützen
(sidng).« Hierzu bemerkt der eine Commentar: »sidng bedeutet:
durch Töne einander antreibend helfen; die mit dem Stampfen im
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. -i^e
allen ostasiatischen Völkern, bei denen der Reis das
Hauptnahrungsmittel bildet. Liedertexte aber liegen
weder aus Afrika noch aus China vor. Es hat sich
überhaupt nur ein Beispiel eines solchen auffinden
lassen, bestehend in einer längeren Improvisation,
die beim Enthülsen von Reis zu Seul in Korea ge-
sungen und von dem Uebersetzer des französischen
Kommissariats aufgezeichnet wurde. Leider liegt nur
eine französische Uebertragung des Textes vor. ^) Sie
schliesst mit den folgenden als Refrain zu betrach-
tenden Ausrufen:
Ei, ei ya, ei ei hei, ei ya ya, ei ya, hei yul
aus denen sich der anapästische Stampfrhythmus mit
seinen spondeischen Nachschlägen beim Aufhören
deutlich erkennen lässt.^
Aus derselben Quelle stammt der Text . eines
Mörser beschäftigten Menschen stossen nämlich Rufe aus (oder : singen ;
das betr. Wort kann beides bedeuten), um das Stampfen zu unter-
stützen«, und ein anderer (den das Tsi-tien s. v. sidng citiert):
)>sidng bedeutet einen Laut, durch den man einander hilft, einen Ruf
(oder : Gesang), durch den man das Stampfen im Mörser unterstützt, etwa
"wie die Leute, die etwas Schweres ziehen, a-hü rufen« (a-hü nach
GiLES Chin.-engl.
dict. I, Nr. 4761; sonst y6-hü, tsd-hü).«
1) M. CouRANT,
Bibliographie Cor^enne, I, p. 250.
2) Es verdient hier mindestens Erwähnung, dass wenigstens der
Refrain eines deutschen Stampfliedes erhalten ist, und zwar in
einem jener »geistlichen Ringeltänze«, die man im 16, Jahrhundert
den weltlichen Tanzmelodien unterlegte. Er lautet: »So stampen wir
die Hirse!« Bei der grossen Bedeutung, welche die Hirse in älterer
Zeit für die Volksemährung hatte, darf angenommen werden, dass auch
bei uns die Stampftechnik allgemein verbreitet gewesen ist. Schade,
dass uns jener Refrain erst sozusagen in tertiärer Form zugekommen
ist, durch Vermittlung des Tanzliedes und des geistlichen Liedes.
Bemerkt zu werden verdient die charakteristische Singweise. Man
findet sie bei Erk-Böhme H, S. 717.
136 Vierter Theil:
zweiten ähnlichen Gesanges, der ebenfalls in Seul
beim Stampfen der Erde zur Fundamentierung
eines Hauses von den Arbeitern gesungen wurde«
Der Herausgeber^) bemerkt dazu, >dass der Gesang
zwar in koreanischer Sprache abgefasst sei, aber viele
Anspielungen auf chinesische Dinge enthalte. Er
besteht aus imregelmassigen Strophen, von denen
jede einen kürzeren oder längeren Satz enthält und
die durch 8 — 10 sinnlose Silben von einander ge-
trennt sind. Die letzteren haben imitativen Cha^
rakter. Niedergeschrieben wurde der Gesang nach
dem Diktat von Arbeitern, die 1890 beim Bau des
Kommissariats in Seid beschäftigt waren.« Da der
Text inhaltlich für unseren Gegenstand von grosser
Bedeutung ist, lasse ich ihn hier trotz seiner Länge
in möglichst getreuer Uebersetzung folgen:
Nr. 72.
»Der Tag ist lang, und es ist sehr heiss; die Zeit der Rast ist
noch entfernt; wir spüren keine Kraft mehr in uns; wir haben Hunger.
Wie können wir unsem Arbeitstag vollenden?
Lasst uns schnell schlagen und rasch die Stöcke heben, den Boden
zu stampfen!
O o, y ri, hei hei ya!
ha ha, hei yo, hei hei!
Haben wir diesen Abend fünfzig dicke Sabeken empfangen, so
werden wir Reis, Holz, Oel und Tabak kaufen; dann bleibt uns keine
Sabeke mehr, um Zukost zu kaufen , die man zum Reis isst. Was
sollen wir da thun? Wie dem sei, wir müssen die Stöcke heben und
stark schlagen.
Wenn die Bambusblätter vom Winde bewegt werden, sollte man
den Lärm von hunderttausend Menschen zu hören meinen.
Die Nenuphar-Blüten, vom Regen benetzt, sind so schön wie
dreitausend königliche Sklavinnen, wenn sie sich baden.
I) M.
CouRANT, a. a. O., S. 244 ff.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge, i^y
In dem Ku-uel-Gebirge wird das Gras im Frühling wieder grün.
Von dem Lusthaus O-kyeng strahlt am Abend das Licht def
Sonne roth.
Der Stein da unten ist der Ort, wo Kang Htai Kong den Fisch
fing. Während der ersten vierundzwanzig Jahre seines Lebens lebte
er in Armut: jeden Tag trug er seinen Binsenhut auf dem Haupte
und hieng seine Angel in das Wasser, welche weder Schnur noch
Haken hatte; so wartete er auf die Ankunft des Kaisers Mun-rang.
Wir dagegen müssen arbeiten und warten auch.
Letztes Jahr war das Wetter gut, die Ernte reichlich; der Regen
fiel zu rechter Zeit, und der Wind war günstig. Dieses Jahr wird
ebenso gut werden; wenn die Ernte schön ist, werden wir uns satt
essen können, und unsere Bäuche werden sich füllen; unsem Rücken,
werden wir warm halten, und wir werden überglücklich sein.
Lasst uns mit vereinten Kräften stampfen und unsere Stöcke
beben; lasst uns stark und schnell stampfen!
Als man baute die Terrasse Kim-hpo-tai im Bezirk Kang-neung,
das Lusthaus Sam-il-hpo im Bezirk Ko-syeng, das Bonzen-Kloster
Nak-sang im Bezirk Yeng-yang, den Kiosk Yen-koang in der Stadt
Hpyeng-yang, hätte sich's verlohnt dahin zu gehen, um zu sehen, ob
die damaligen Arbeiter den Boden ebenso stampften wie wir. Lasst
uns die Stöcke heben; lasst uns die hohen Stellen tapfer stampfen.
Gemüse essen, frisches Wasser trinken, schlafen mit dem Arm
unter dem Kopfe — das sind Vorrechte der grossen Herren (das
heisst der glücklichen Leute, die nicht arbeiten und nach Herzenslust
essen, trinken und schlafen können); darum lasst uns Gemüse essen,
Wasser trinken und den Boden stampfen (das wird uns Geld ver-
schaffen und uns in den Stand setzen, auch grosse Herren zu werden).
Lasst uns die Stöcke heben und tapfer zustossen!
Wo gehn denn alle Sabeken hin? Gewiss kommen sie nicht zu
uns; vielleicht haben sie den Weg nach unsem Häusern vergessen.
Heute Abend werden fünfzig dicke Sabeken in unsem Geldbeutel
ÜEillen, so schnell wie der Blitz. Lasst uns die Stöcke heben, lasst
uns zustossen und die Erhöhungen ebnen!
Da unten, wo zwischen den Weiden ein Lusthaus steht, ergötzen
sich die Schützen und die Tänzerinnen und machen Musik.
Kameraden, das Wetter ist heute schön; wir werden die Erde
gut stampfen.
Hei, hei y ri, hei, hei ya!
1^8 Merter Thefl:
Wir gellen auf und ab; an Stellen, wo es zn tief ist, klopfen
wir leise; Stellen, die zu boch sind, ebnen wir mit sehr starkem
Schlag.
Hei, hei y ri, hei, hei ja!
Wir verdienen nnr dritthalb Kandarin *) den Tag: können wir
davon unsere Familie ernähren?
O o, hei hei ya!
Als nnsre Eltern nns anferzogen,
hei, hei j ri
Hessen sie ans die chinesischen Buchstaben lernen, in der Hofihong,
dass wir später Beamte würden; ja, sie lehrten uns alle Tage; aber
wir hatten keine Fähigkeiten, und die Lehren haben uns nichts genützt.
hei, hei j ri!
So sind wir Arbeiter geworden und verkaufen unsre Lieder für fünfzig
dicke Sabeken.
hei, hei y ri, hei ya!
Stampfen wir heute die Erde gut, so werden wir sie morgen noch
besser stampfen (weü wir uns dann mehr an diese Arbeit gewohnt
haben);
hei, hei y ril
arbeiten wir morgen besser, vielleicht giebt dann der Herr uns eine
Belohnung. Giebt er sie uns oder giebt er sie nicht — wir müssen hoch
die Stöcke heben und sehr stark aufstossen,
o o, y ri, hei
ya!
Unterdessen müssen wir unsre Taschentücher auf die Köpfe
legen*), die schweren Stöcke heben, unsre Lenden schütteln uud die
Erhöhungen stampfen. Lasst uns stampfen, stampfen!
Man sagt, dass I-Htai-paik, der viel zu trinken liebte, als er alt
geworden war, einen Walfisch bestieg und zum Himmel fuhr.
Ham-Sin '), welcher der berühmteste Mann der ganzen Welt war,
war in seiner Jugend sehr arm und sprach die Vorübergehenden um
ein Almosen an.
i) 2*/, ligatures = 25 Sabeken.
2) Zum Schutze gegen die Sonne.
3) Feldherr und Staatsmann, f 196 v. Chr.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. i2q
"Wie könnten kleine Leute, wie wir, ihr Lob singen?
y o tscha, y o
tscha!
Lasst uns tapfer stampfen!
Ol ha; hei, hei y rij
hei, hei ya, ha ha, hei yo;
hei ei, hei; hei, hei yu;
hei, hei o ya!
Ja, ja, wir arbeiten alle Tage; deshalb haben wir nicht bemerkt,
wie die Zeit vergeht. Ist heute nicht der 8. des vierten Mondes
(Buddha-Fest)? Da wir nicht das Gebirge mit den zehntausend Gipfeln
ersteigen können, zu wandeln im Schatten der wieder ergrünenden
Bäume, um uns auf der Schaukel zu ergötzen, und da wir noch nicht
einmal eine Tasse schlechten Weins getrunken haben, sind wir nicht
wahrhaft unglücklich?
Diesen Abend, wenn wir 2*/^ Kandarin empfangen, werden wir
dann zum Weinwirth gehen, oder nicht?
Das wäre eine wahre Verschwendung; man darf also nicht daran
denken; wir werden unser Geld behalten fUr unsem Haushalt.
Hei, hei yu; hei, hei ya, ya; hei, hei yu!
Schmetterlinge, Schmetterlinge ! Lasst uns in die blauen Berge ziehen !
Getigerte Schmetterlinge! Kommt mit uns! Wenn die Nacht uns
auf dem Wege überrascht, werden wir uns in den blühenden Lust-
bainen niederlegen.
Wohlan! wenn die Blüten gefallen sind, werden wir im Schatten
der Bäume schlafen.
Wir haben mit unsem Pferden einen Blumenteppich überschritten;
jeder Schritt unserer Reitthiere, der die Blumen niedertrat, hat daraus
Wohlgerüche hervorgelockt.
Hei yu, hei yu, ei, hei ya; ha ha, hei yo! Kameraden! o y
tscha, ha tscha, ha, hei yu, hei ya, o ho, tscho yo tscha, tscho yo
tscha, lasst uns die Stöcke heben, erheben!«
(»Der Gesang endet mit einer langen Reihe von derartigen Aus-
rufen, die im Chor von allen Arbeitern wiederholt werden.«)
Es macht ganz den Eindruck, als ob der Theil
dieses schier endlosen Gesanges, welcher von der
Lage der Arbeiter handelt, eigens für die Franzosen
eingefügt worden wäre, welche den Text aufschrieben.
I40
Vaertcx Tbeü;
Mog^licher Weise ist sogar alles bis anf den sinn-
losen Refrain Improvisation. Leider hat der Heraus-
geber keine näheren Erläuterungen g-eg^ben. Aber
täuscht nicht alles, so haben wir ein Produkt der-
selben Gattung vor uns, welche die folgende von
Herrn Dr* Haxs Stumme mir freundlichst gemachte
Mittheilmig zeigt:
>Das Feststampfen des Pflasters oder Rammen
des Grundes wird in Tunis von Schwarzen besorgt,
die ihre Arbeit unter begleitendem Gesang aus-
fuhren. Sie haben einen Vorsänger, der ganz kurze
Verse mit zwei Hebungen impro\'isiert. Beim Ge-
sänge eines solchen Verses heben die Leute ihre
Handrammen empor, die sie mit dem, den Refrain
zum vorhergehenden Verse bildenden und richtig
den Rhythmus- und Melodie Verhältnissen angepass-
ten Ausruf äjä (;> wohlan*) niederfallen lassen. So
kann man z. B. Folgendes hören:
i
Vorsänger.
Nr. 73.
Arbeiter. V
^
w
Dügg err - zä - ma! ä - ja! u - dügg err - zä - ma!
Stoss mit der Ramme ! Los denn ! Und stoss mit der Kamme !
ä - ja ! ä - ja !
sl - di ! ä - ja ! a' - ti - ni si - gdr - ro !
Los denn ! He, mein Herr ! Los denn ! Gieb mir eine Cigarrette !
$
A.
V. 3
V.
iS
X
ä - ja! ä - ja
Los denn ! He,
ma - da - ma! ä •
ja! thäbb ed-
Ma - da - me ! Los denn ! Willst du
$
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 14,1
A.
^
du les tau - wa?
ä - ja! etc.
jetzt spazieren gehen? Los denn! u. s. w.
Wie in den beiden Gesängen aus Korea und« in
dem litauischen Drescherliede schliesst sich auch hier
der Refrain an das Arbeitsgeräusch an, und wenn
man nach den wenigen uns vorliegenden Beispielen
urtheilen darf, so bildet ein solcher oft wiederholter,
meist sinnloser Ausruf den ursprünglichen und bei
den meisten allein fest bleibenden Bestandtheil der
Gesänge dieser Gattung. Der übrige Text ist Im-
provisation; nur in dem Dreschliede, das einer ent-
wickelteren Kultur angehört, liegt wohl ein über-
lieferter Wortlaut vor. Immerhin muss bemerkt werden,
dass alle Beobachter des litauischen Volkslebens die
grosse Leichtigkeit hervorheben, mit der die bäuer-
liche Bevölkerung neue Dainos bildet, und dass auch
das hier mitgetheilte Lied in der letzten Strophe
deutliche Anzeichen des Gelegenheitsgedichtes auf-
weist.
Schliesslich muss noch erwähnt werden, dass das
Feststampfen des Bodens mit Holzschlägeln, wie es
bei uns nur etwa noch an Scheünentennen und beim
Asphaltieren geübt wird, bei allen Halbkulturvölkern
eine grosse Rolle im Haushalt spielt. Aus dem west-
lichen Sudan liegt darüber folgende Schilderung
vor:^) »Der Boden des Hauses oder der Hütte (in Loko)
wird möglichst geebnet; darauf kommt eine Lage
Lehm oder Thon, welcher festgeklopft wird. Diese
I) Staudinger, Im Herzen der Haussalander (2. Aufl.), S. 65 f.
U2
Vierter Theil:
dient als Untergrund für eine zweite Schicht von
demselben Material, welches mit Kies und Steinen
vermischt wird. Auch diese Lage wird wiederum
durch tagelanges Klopfen und Reiben mit flachen
Holzschlägeln zu einer cementartigen Glätte und
Festigkeit bearbeitet . . . Die Arbeit des Fussboden-
klopfens wird von Frauen und Mädchen imter der
Aufsicht der obersten Frau ausgeführt. Taktmässiger
Gesang, oft auch noch Trommelspiel, begleitet das
Werk.«
Während bei den bis jetzt besprochenen Arbeits-
gesängen das unterhaltende und ermunternde Element
bei allem Anschluss an den Arbeitsrhythmus deut-
lich hervortritt,, finden wir bei der Arbeit im Gleich-
takte dem gesungenen Worte eine ganz andere Rolle
zugetheilt. Hier ist seine Aufgabe in erster Linie
die, alle Mitarbeitenden zu gleichzeitiger und gleich-
artiger Kraftaufbietung zu veranlassen, ja erst zu
befähigen.
In sämtlichen hierher gehörigen Fällen handelt
es sich um die Bewegung einer schweren Last, zu
deren Bewältigung eine Mehrzahl von Personen er-
forderlich ist. Die Thätigkeiten, welche dabei er-
forderlich sind, können im Tragen, Ziehen oder
Rudern bestehen. Das Ziehen kann wieder eine
wagerechte oder eine senkrechte Bewegung be-
zwecken. Demnach' würden sich für diesen Abschnitt
vier Arten von Arbeitsgesängen ergeben: ;;
1) beim Heben oder Tragen von Lasten,
2) beim Emporziehen von Lasten,
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 145
3) beim Fortziehen oder Schieben schwere^ Gegen-
stände,
4) beim Rudern.
Indessen lassen sich diese Thätigkeiten und die
Arbeiter, welche sie verrichten, oft nicht scharf von
einander scheiden. Das Gleiche gilt auch von den
dazu gehörigen Gesängen, von denen uns oft nur
berichtet wird, dass sie bei gemeinsamer gleich-
zeitiger Kraftaufbietung angestimmt werden. Wir
werden desshalb bei der. ersten Gruppe zugleich eine
Anzahl solcher allgemeiner Nachrichten zusammen-
stellen.
Wenn die Lhoosai, ein Gebirgsvölkchen an
der Grenze zwischen Indien und Barma, eine Last
tragen öder Bäume im Walde roden, stossen sie fort-
während in abgemessenen Zwischenräumen alle zu-
sammen den Ruf: hau! hau! aus; ohne diesen Ton
behaupten sie nicht arbeiten zu können. ^) Einen
ähnlichen Ruf (hü oder ahu). haben die Chinesen
schon seit sehr alter Zeit beim Fällien und Heben
von Baumstämmen.^ Bei den Javanern singt man.
1) Lewin,
Wild races of South -eastem India, London 1876,
S. 271 (cit. bei Böckel a. a. O.). ' -
2) CONRADY theilt mir darüber Folgendes mit: Beim Fällen und
Aufheben von Bäumen gaben sich die chinesischen Arbeiter das Signal
zur taktmässigen Bewegung durch den Ruf hü oder a-hü (ye-hü),
und zwar kann man ihn dort tausend, ja vielleicht dritthalbtausend
Jahre verfolgen. In einem Liede des Shiking (11 , i , V , 2) aus dem
12. Jahrh. v. Chr., heisst tsi fat muk hü-hü. »Man fällt die Bäume
(unter den einander antwortenden Rufen) hü-hü<(. (v. Strauss 1. c. 261
nicht ganz correct: »man fället Holz und stöhnt dabei). Dies inter-
pretiert Hoai-nam-tsi (nach dem Citat im Tst-tien s. v. hü) im 2. Jahrh*
144
Vierter Theil:
wenn ein Baumstamm gehoben oder nach einem
Flusse geschleift werden soU^):
Nr. 74.
Einer: öleleh djähö!
Alle: djähöe!
Diese Wörter sind sinnlos. Auch aus Japan
liegt ein Beispiel eines Lastträgergesanges vor, der
aus lauter Ausrufen besteht:
Nr. 75.
Hö hbiyo hö hoyo,
ye korä sassa!
hö ho yoi yoi,
ye kora sassa!
Der Gesang wird angestimmt, wenn die Träger
eilen. Die Japaner haben für solche Taktlieder, die
bloss aus sinnlosen Ausrufen bestehen und bei allerlei
gemeinsamen Arbeiten gesungen werden, sogar einen
eignen Namen: Kiyari — ein Beweis, dass sie sehr
häufig vorkommen.^
Bei einer Fahrt auf dem Benue schieben die
schwarzen Schiffer den auf den Grund gerathenen
V. Chr.: Wenn heutzutage die Leute einen grossen Baum (oder:
Balken) in die Hohe heben, so rufen die Vordersten aus a-hü (yi-hü)
und die Hintersten antworten ebenfalls (d. h. rufen dasselbe); dies
ist der Ruf, um etwas Schweres zu heben und die Kraft anzufeuern«,
und Cü-hT (Ts'i-tien a. a. O.) erklärt im 12. Jahrh. unserer Zeitrech-
nung dies hü- hü als den »Ton einer Menschenmenge bei gemein-
samer Kraftanstrengung«.
i) Miltheilung des Herrn Emil Stenzel an Herrn Professor
CONRADY.
2) Mittheilungen von Conrady. Er verweist noch auf Hkpburn,
Japan.
-engl. Dict. s. v. Kiyari: the song of persons uniting their
strength to
do anything, as lifting, pulling etc.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. '^45
Dampfer »mit Singen und taktmässigem Heiho ! in
das tiefe Fahrwasser zurück«.^) Im Hafen von Zan-.
zibar sah Richaio) Böhm^ »Sklaven, die zu zwei
unter eigenthümlichem Wechselgesang schwere Lasten
schleppten«. Näheres berichtet Stanley^ über diese
Leute: »In der Stadt Zanzibar hört man zu allen
Stunden Neger-Hamals (Lastträger) zu zweien beim
Transport von Säcken, Kisten u. dgl. eine Art von
monotoner Melodie singen, durch die sie sich gegen-
seitig aufmuntern und nach der sie marschieren, wenn
sie sich barfüssig durch die Strassen bewegen. Man
kann diese Leute in kurzer Zeit leicht als alte Be-
kannte an der Konsequenz erkennen, mit welcher
sie ihre Melodien singen. Mehrmals des Tages habe
ich dasselbe Paar imter den Fenstern des Konsulats
vorbeigehen und immer dieselbe Melodie mit den
gleichen Worten wiederholen hören. Mancher würde
diese Lieder wohl für albern halten; aber für mich
haben sie einen gewissen Reiz, und ich halte sie für
vollständig zweckentsprechend.«
Einen Schritt weiter führt uns ein Bericht über
Beobachtungen, welche bei der Ausräumung eines
verschütteten ägyptischen Tempels in der Oase Dachel
gemacht wurden*). Auch hier sangen die Arbeiter
bei jeder noch so kleinen gemeinschaftlichen Kjraft-
äusserung. »Hierbei macht stets einer derselben,
gewöhnlich einer der Aelteren, den Vorsänger, während
1) Passarge, Adamaua, S. 351.
2) Von Sansibar zum Tanganjika (Leipzig 1888), S. 7.
3) Wie ich Livingstone fand I, S. 18,
4) Zeitschr. der Ges. für Erdkunde zu Berlin IX (1874) S. 303.
305 f.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 10
1^6 Vierter Theil:
die anderen ihren eintönigen Refrain dazu geben.
Je nach den Umständen erfindet der Sänger irgend
eine Phrase, welche bei etwaiger poetischer Bega-
bung gelegentlich von Zeit zu Zeit durch eine andere
ersetzt wird und die alsdann auch einen anderen
Refrain bedingt. Meistens hat dieser Gesang einen
religiösen Charakter, oder er bedeutet gegenseitige
Aufforderung zur fleissigen Arbeit, und gewöhnlich
wird ein und dieselbe Phrase sehr häufig, mitunter
wohl fünfzigmal, wiederholt.« Der Berichterstatter
erzählt dann weiter, wie einmal auch er selbst als
Leiter der Ausgrabungen in den Gesängen bedacht
wurde, natürlich in Verbindung mit einer Extra-
belohnung, die man von ihm erwartete, ein ander-
mal auch ein deutscher Botaniker, der in der Ge-
gend bekannt war. Es wurde also hier bereits ein
Theil des Gesanges improvisiert, und derselbe hatte
in der Regel einen bestimmten Inhalt.
Eine stehende Erscheinung sind diese Gesänge
bei den Kuli, jener armen Menschenklasse, die
überall im Bereiche des indischen Oceans und in
Ostasien die Arbeiten von Tagelöhnern, Lastträgern
und dgl. verrichtet. Ellis^) hörte ihre einförmigen
Weisen in Port Louis auf Mauritius beim Entladen
der Schiffe, und Jacobsen^ fand sie selbst in den
kleinsten Häfen des Bandameeres. In Indien sind
sie genauer beobachtet und zum Theil, unmittelbar
wie sie bei der Arbeit gesungen wurden, aufgezeich-
net worden, sodass uns eine zutreffende Vorstellung
i) Three
visits to Madagascar (London 1858) S. 53,
2) a. a.
O., S. 180.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. iaj
ermöglicht ist^). Die Kuli theilen sich gfewöhnlich
in Rotten (gangs), die zusammen eine Arbeit über-
nehmen. »In der Regel singt ein Mitglied vor, imd
die übrigen fallen im Chor ein. Auf Schiffen ist
jedoch der Vorsänger immer der gleiche imd wird
zur Belohnung für die Ermunterung, die er durch
seinen Gesang den übrigen angedeihen lässt, von
schwerer Muskelanstrengung befreit. Sonst wechselt
man in den Kuli-Gangs mit dem Vorsingen ab, so-
dass jeder Mann ein vollständiges Lied liefert. Na-
türlich kommt es vor, dass einer oder der andere
nicht singen kann und sich nie über den Chor er-
hebt; aber das sind Ausnahmen von der Regel.
Manche von den Gesängen werden in langen Zeilen
langsam wiederholt: diese wendet man an, wo die
Arbelt grosse, in verhältnissmässig langen Zwischen-
räumen erforderliche Kraftaufbietung nöthig macht.
Andere dagegen sind darauf eingerichtet, rasche,
aber weniger starke Kraftäusserung zu begleiten.
Diese Arbeitsgesänge (labor songs) sind Aeusserungen
einer ungebildeten Volksklasse, und ihr Dialekt ist
den Indem aus angesehenen Kasten beinahe unver-
ständlich. Die erste der folgenden Proben ist ein
lustiges Opfer für Pillaiyar, der als Gott des Bauches
bekannt ist und mit seinem eigentlichen Namen Ga-
nesa heisst. Er wird allgemein als Gott des gün-
stigen Zufalls, als Beseitiger von Schwierigkeiten
verehrt, besonders in den unteren Klassen. Man
stellt ihn mit einem Elephantenhaupte und einem
Ungeheuern Magen dar. Ganesa steht in naher
I) Das
Folgende nach Charles E. Gover, The Folk- Songs of
Southern
India (London 1872), S. 180 ff.
10*
148
Vierter Theil:
Verbindung mit Saraswati, der Göttin des Lernens,
insofern als er nur solche Schwierigkeiten beseitigt,
die nicht mit Hülfe tüchtiger Kenntnisse überwunden
werden können. Die Volksmythologie macht beide
Gottheiten zu Geschwistern.«
Nr. 76.
1. Pillaiyar stets gut Glück euch bracht'
Und Saraswati "Witz.
Ho, ho! schafft hart!*)
Der Gott war, eh man Häuser macht'.*)
O ebne unsem Weg!
Ho, ho! schafft hart!
2. Eh Arbeit war, warst du — kein Traum!
Pillaiyar, ebne Bahn!
Dort unter dem Baaanenbaum
Bet' ich Pillaiyar an.
3. Goldfüss'ger Gott, stets schwebe mir
Vor Augen deine Huld!
Pillaiyar, Gott, begegn* ich dir,
Wie zahl* ich meine Schuld?
4. Werd' nehmen grüne Linsen, gut
Mit zehn Pfund Reis gemischt,
Oelsaat auch — wie sie duften thut,
Wenn man den Reis auflischt!
5. Nehm' Zuckerrohr 'nen Haufen dann,
Dick wie des Schäfers Stab —
Ein Wasserhebwerk wol gewann,
Dem solche Stang* man gab. ^)
i) Der Refrain wiederholt sich durch das ganze Lied alle zwei
Zeilen.
2) Die Uebersetzung ist hier und Str. 2, Z, i tinsicher. Ich
habe unter den beiden vom Herausgeber vorgeschlagenen Erklärungen
diejenige gewählt, welche den einfachsten Sinn ergibt. Es wäre danach
anzunehmen, dass das Lied beim Hausbau gesungen wurde.
3) D, h. das Zuckerrohr soll so dick sein wie ein Stab, mit
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. iaq
6. Pflück dann 'ne Jackfrncht, gross und schwer,
Grad von dem tiefsten Ast*),
Den Guavabaum ich auch entleer'
Der übersüssen Last.
7. Dies bring ich dir. Hab noch im Sinn
Zu pflücken grünes Laub;
Den Nordhang aufwärts st6hn im Grün
Platanen, wie ich glaub*,
8. Und auf der Südseit* prächtig prangt
Des Teakbaums spitzes Laub;
Die Blüte, die am Felsen hangt.
Ich mit der Leiter raub* ;
9. Mit Haken und mit Messer scheer*
Ich Knospen voll und rar.
Bald blühn sie auf und schmücken sehr
Manch pechschwarz Lockenhaar.
Nr. 77.
1. An jedem Mann ein Weibchen klebt;
Sie hängt an ihm, so lang er lebt.
Yo ho! Hebt*) o!
2. Zwei Theil nimmt sie von unserm Lohn
Und nähme gern noch mehr davon.
Yo ho! Hebt o!
3. Wenn wir nichts geben, einmal bloss,
Ist ihre Wuth ganz grenzenlos.
Yo ho! Hebt o!
dem man Vieh treibt, oder wie eine Stange, an die man ein Gefass
hängt, um das Wasser emporzuheben.
1) Wo die schönsten Früchte hängen«
2) Im Englischen heave. Vielleicht soll das Wort aber auch im
Sinne von heave ahead (vorwärts ! drauf los !) verstanden werden. Der
Herausgeber bemerkt bei einem ähnlichen Gesang, der Ruf des Chores
laute Yelli! — ein korruptes Wort, das bedeuten solle: work hard
oder well.
150
Vierter Theil:
4. Kaum dämmert's, treibt sie uns hinaus,
Schläft selbst zwei Stunden, noch zu Haus.
Yo ho! Hebt o!
5. Mit Schupp* und Stang den ganzen Tag —
Kein Essen bringt sie — welche Plag'l
Yo ho! Hebt o!
6. Wie schwitzen wir bis in die Nacht,
Indess für Putz sie Schulden macht!
Yo ho! Hebt o!
7. Wir quälen uns wie arme Hund*;
Sie arbeit*t höchstens eine Stund*.
Yo ho! Hebt o!
8. Zum Essen haben wir kaum Zeit;
Sie macht auf ihrem Sitz sich breit.
Yo ho! Hebt o!
9. Wohin sich unser Lohn verliert.
Kein Mann das je erfahren wird.
Yo ho! Hebt o!
10. Die Brust uns Seil und Stang' zerbricht;
Sie schlampt und kehrt daran sich nicht.
Yo ho! Hebt o!
11. Wir leiden Noth stets und Gefahr;
Sie kämmt und ölt ihr kohlschwarz Haar.
Yo ho! Hebt o!
12. Vor Hitz* und Müh* wir fast vergehn;
Zum Scheuem ist ihr Kleid zu schön.
Yo ho! Hebt o!
13. Wie karg ist unsrer Mühe Preis!
Zu Haus ihr Mund ist voll von Reis.
Yo ho! Hebt o!
14. Wir ruh*n — der Herr entlohnt uns nicht;
: Sie keifl, bis neu der Tag anbricht.
Yo ho! Hebt o!
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. jcj
15. Wie seltsam ist des Schicksals Schluss;
Die Arbeit uns, ihr den Genuss!
Yo ho! Hebt o!
Nr. 78.
I. Der Lohn ist klein! 2. Der milde Mann,
Yo ho! Hebt ho! Ist er uns hold,
O güt'ger Herr! Hilft uns auch dann
Yo ho! Hebt ho! Zu höherm Sold.
All im Verein 3, Sein(e) Herrlichkeit
Yo ho! Hebt ho! Hört unsre Bitt'
Erflehn wir mehr. Und theilt uns Leut*
Yo ho! Hebt ho! Was Gutes mit.
Der letzte dieser Gesänge schloss sich — offen-
bar in Rechnung auf die Freigebigkeit des Zuhörers
— unmittelbar an einen anderen weit längeren im
gleichen Versmasse an, der desshalb merkwürdig ist,
weil er die Geschichte des Sündenfalls imd der Erlö-
sung nach christlicher Auffassimg erzählt. Die Kuli-
schaar, welche ihn sang, bestand nur zu einem Drittel
aus Christen, und der Sammler hatte den Eindruck,
dass der Text ohne Rücksicht auf seinen Inhalt aus-
wendig gelernt war, weil die kurzen Verszeilen sich
für eine in raschem Takte verlaufende Arbeit eig-
neten. Aber bei der Art, wie die Gesänge vor-
getragen werden, genügte es offenbar, dass der Vor-
sänger ein Christ war; denn der Chor sang nur den
Refrain. Auch an das Ende dieses halbreligiösen
Gesangs sind ein paar Strophen über den Lohn an-
gehängt. Der Sänger fragt, warum man mit der
Arbeit so eilen wolle? Sie seien Tagelöhner, ihr
Lohn hoch genug, imi sie am Leben zu erhalten;
würden sie heute fertig, so hätten sie morgen nichts
zu thun.
152
Vierter Theil:
Das merkwürdigste Stück der Sammlung ist
aber ein Tanzlied der Bajaderen, das die Kuli
für ihre Arbeit angenommen hatten. Der Heraus-
geber meint, es sei unter ihnen entstanden, etwa in
einem Gefühl der Reaktion, das den Arbeiter vom
Glück der Faulen träumen und den Hungrigen in
der Vorstellung üppiger Mahlzeiten schwelgen lasse.
Dem scheint mir jedoch der ganze Inhalt des tief
empfundenen Liedes zu widersprechen, namentlich
aber die zu dem Ganzen nicht passende Schluss-
strophe. Nimmt man an, dass nur diese letztere
unter den Arbeitern entstanden ist, während die
übrigen vier Strophen einen wirklichen Bajaderen-
gesang darstellen, so wird das Ganze verständlich.
Wir hätten dann hier einen Fall, wo ein Gesang aus
der Sphäre des Spiels in die der Arbeit übergetreten
ist; wir werden später auch die entgegengesetzte
Erscheinung kennen lernen.
Nr. 79.
1. Von dem Ganges sie tragen das Wasser herbei
In dem Messinggefass.
Hebt oh! Hebt oh!
Meine Füsse ich wusch, als ein Tanzmädchen frei.
Wischt* mit Seide sie ab.
Hebt oh! Hebt oh!
2. Lasst uns treten vereint vor Madavans*) Altar:
Lasst uns beten zu ihm!
Bringen wir unsre Blüten dem Göttlichen dar,
Leuchtet neu uns die Freud*.
i) Abgekürzt aus Mahadevan, der grosse Gott, ein gewöhnlicher
Beiname des Siva. — Der Refrain der l. Strophe wird natürlich auch
in dieser und den folgenden Strophen wiederholt.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. jc^
3. Welche Wonne geht über der Liebenden Lust?
Und dies all ist für uns !
O, ihr Mädchen, mir schwillt wie der Pfauhenn' die Brust,
Bin zum Tanze gebor'n.
4. Welche Freude, geboren zu sein für den Tanz!
Und was wünsch* ich mir mehr?
Welche Lust das Gefühl: ich kann mehr als im Glanz
Selbst der Fürst auf dem Thron. —
5. Will lieber noch sein nur ein Klumpen von Thon
Als nur so eine Dim',
Denn ein Töpfer macht doch ein Geschirr noch davon,
Und das nützt doch zu was.
Auch in Japan hat die den indischen Kuli ent-
sprechende Arbeiterklasse, dort Nin-soku genannt^
neben den Kiyari der Träger eigentliche Arbeits-
lieder. Ich bin in der Lage zwei kleinere Stücke
hier mitzutheilen, die freilich nicht ganz leicht zu
erklären sind.^)
Nr. 80.
Fune wa, nääa
Oite-ni ho kakete hashiru, nän ye;
Hayaku, sää! Atsuta-ni
tomaritaya.
Aye! Hachibei
doshita mmad^mo nöndakä? ^
Nändaka hara-ne.
ä, dökkoi!
dökkoi!
Uebersetzung.
Das Schiflf — näää
fahrt mit günstigem Wind und aufgespannten Segeln — nän ye!
Rasch — sää! — in Atsuta möchte ich rasten.
Ay6I Was hast du gemacht, Hachibei? hast wol gar ein Pferd ver-
schluckt?
Was es ist, weiss ich nicht.
ä, dökkoi, dökkoi!
I) Text und Uebersetzung von Nr. 80, 81 u. 83 erhielt ich wieder
durch die Freundlichkeit Conrady's (vgl. Anm. zur S. 128).
"54
Vierter Theil:
Nr. 8z.
Koi-no omo-ni
onäää
Tsundara
Omma-ni ikuda aro
yara shine nukui.
nanayeee !
Uebersetzung.
Wenn man der Liebe schwere Last
aufhäuft
auf ein Pferd, wie viel (Pferde) man brauchen wird, das ist schwer
zu sagen.
Nanayeee !
Eine besondere Klasse der Kuli bilden die
Palankin träger. Ueber die ganze Einrichtung
berichtet Emil Schmidt^): »Der Palki ist ein kräf-
tiger langviereckiger Holzrahmen, von dem nach
vom und hinten je eine lange, runde, am freien Ende
etwas aufgebogene Tragstange abgeht^. In dem
Rahmen ist ein schmaler Stuhl mit Schattenverdeck
angebracht. Von den Stangen hängen an kurzen
Schnüren dicke Baumwollkissen als Schulterpolster
für die Träger herab, die paarweise die Stange auf
der entgegengesetzten Schulter tragen, indem der
Hintermann seinen einen Arm auf den Rücken des
Anderen auflegt; die beiden Männer jedes Paares
Stämmen sich schräg gegen einander, um grösseren
Widerstand gegen seitliche Bewegung zu erzielen;
alle fünf Minuten wird die Schulter, alle fünfzehn
bis zwanzig Minuten die Träger selbst gewechselt.
Das Tempo des Marsches ist sehr rasch, etwa so,
wie der Laufschritt der italienischen Bersaglieri; da-
i) Reise nach Südindien, S. iiof.
2) Abbildungen bei Grierson, Bihar Peasant Life, S. 45 ff.
Die verscliiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
3^55
bei wird gern ein rhythmischer Gesang- von nur ein
bis zwei immer wiederholten Takten angestimmt*
Meine Träger sangen immer eine der folgenden
Weisen:
Nr. 82.
Damahaha ho ho!
damahaha ho ho! damahaha etc.
etc»
E
4?^^
1
J^i i i^i i
t
\l. . I ¦ ¦ ¦ I
t
i
mahaha ngö
ehe om etc.
mahaha ng6 etc.
mahaha ng6 etc.
oder <
^^ß
r
etc. oder <
s^
Li
^
etc.
eh etc. maha maha
etc.
ng6 mahaha ho ng6
etc.
oder i
etc.
maha maha etc.
Die Worte sind sinnlos; das sind aber die Marsch-
lieder dieser Leute nicht überall. »Die Palankin-
I<6 Vierter Theil:
träger«, erzählt Gover^), der Sammler der oben mit-
getheilten Kulilieder, »sind grosse Sänger, sehr da-
rauf erpicht, sich an geizigen Reisenden dadurch zu
rächen, dass sie auf diese Verse improvisieren, in
denen sie allerlei Betrachtungen anstellen über die
körperlichen und sittlichen Eigenthümlichkeiten ihrer
Passagiere und der nächsten weiblichen Verwandten
derselben. Da nur wenige Europäer ihre Mundart
verstehen, so gehen ihnen diese Angriffe fast immer
straflos hin. Ich erinnere mich eines stämmigen.
Herrn, der Träger für eine Gebirgsreise gemiethet
hatte, aber entweder so schlecht bei Kasse oder so
wenig freigebig war, dass er ihnen in Anbetracht
seines ungewöhnlichen Gewichts nicht ein ordent-
liches Trinkgeld versprochen hatte. Unglücklicher-
weise verstand er gut die tamulische Volkssprache.
Kaum waren sie recht in den Bergen, so fing sein
Leid an. Meile auf Meile wurde ein neues Spottbild
von ihm entworfen. Es ging gegen die Würde,
Einsprache zu erheben; aber es ging auch über
menschliche Kraft, geduldig zuzuhören. Der Rei-
sende schäumte vor Wuth. Er. befahl ihnen still zu
sein — er wolle schlafen. Sie gehorchten für eine
Weile; dann brach wieder die eintönige Klage her-
vor gegen das widrige Schicksal, das sie zwang,
»einen Berg auf einen Berg zu tragen«. Sie er-
reichten ihr Ziel, aber nicht in der Weise, wie sie
erwarteten. Der Reisende wollte nicht zahlen und
konnte auch ihre beleidigenden Anspielungen nicht
einstecken. Als sie noch eine gute Strecke vom
I) a. a. O. S. i8i. Vgl. auch Graul, Reise in Ostindien, V,
S. 76.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. icy
Ziele entfernt waren, beschloss er, die Träger zu ent-
lassen und sich seinen eigenen Beinen anzuvertrauen.
Stundenlang nachher langte ein erschöpfter Fuss-
gänger auf der Höhe an — ein trauriges Opfer dra-
vidischer Stegreifdichtung.«
Auch aus Japan liegt mir ein Gesang der Sänf-
tenträger (Oi-wake) vor, den ich hier folgen lasse«
Nr. 83.
Hakone hachi ri
wa, na!
Mina-de mo
kosu-ga, nä!
Kosu-ni kosarenu.
Oi gawa!
Uebersetzung.
Nach Hakone [ein Berg] sind acht Meilen, na!
Und wenn man mit einem Pferde (das Gebirg) überschreiten will, nä!
Kann man's nicht überschreiten.
Oi gawa ! *)
Das gleiche Beförderungsmittel findet sich in
Hinterindien ^ , in Madagaskar (Filansana)^) und in
We^tafrika (Tipoya). Ueber letzteres berichtet Pogge*) :
»Das Tempo einer Tipoya auf der Reise ist sehr rasch ;
die Träger legen y^ bis eine deutsche Meile in der
Stunde zurück. Die Träger lieben auf der Reise zu
singen oder begnügen sich damit, unartikulierte,
bestialische Töne auszustossen, oder aber sie gehen
still ihres Weges.«
i) Ausruf und zugleich Name eines Flusses.
2) Les Colonies
fran9aises III, S. 249. 341.
3) SiBREE, Madagaskar, S. 194 fF. Keller, Ostafr. Inseln, S. 104.
4) Im Reiche der Muata Jamwo, S. 21.
158 Vierter Theil:
In erster Linie gehören hierher Arbeiten, bei
denen eine Last mittels eines Seiles von Meh-
reren emporgezogen werden soll und wo es
darauf ankommt, dass alle auf den gleichen Ruck
anziehen. Eines der schönsten Beispiele dieser Art
finden wir in Aristophanes »Frieden«, wo die Griechen
die in einer Grube verborgene Eirene mit einem
Seile emporziehen sollen. Ich will hier nur eine
kurze Stelle des sehr charakteristischen Chorliedes
anführen, das sich wahrscheinlich an bekannte Ge-
sänge anlehnte, die bei solchen Gelegenheiten auf
den Strassen Athens oder in den Häfen zu hören
waren.
Nr. 84.
"Ays VW, ays nag'
xal [ir]v byiov 'axiv i]8ri.
iirj VW &V&116V, &Xl' insv-
TSlvoaiiBV OCvdQLtlmTSQOV.
'^dri *axl tovt' instvo.
m elcc v^v, m sla
n&g.
a sloc, sla, ala,
sloc, sla, sla.
a sla, sla, sla, sla, sla nag. ^)
In vielen süddeutschen Städten gab es im Mittel-
alter eine Zunft der Wein- oder Fasszieher (Schrö-
ter), welche das Aufziehen der Weinfasser aus den
Kellern, das Beladen der Wagen und ähnliche Ar-
beiten besorgten. Diese Thätigkeit war ausser-
ordentlich mühsam; bedurfte man doch bisweilen 16
Weinzieher, um ein Fass emporzubringen ^. Zu dieser
1) Aristoph. Friede V. 512 — 519; vgl. schon von V. 453 ab.
2) Vgl. das Citat bei Schmeller, Wörterbuch II, Sp. 1106.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
159
Arbeit gehört folgender, nach Zeit und Ursprungsort
leider nicht genau bestimmbarer Gesang^):
Nr. 85. (Vass ziehen in Osterreich.)
So, Bodenknecht,
Hört zu al,
wie ein geschal
wir doch han,
so wir gan
und vass ziehen wollen,
so ruf wir nnsem gesellen:
kombt mit mir!
nembt mit geschir:
wagen-leiter,
kampf-leiter,
Schemel, die gar hohen schemel,
die geis-schemel, die böck-schemel,
halt uns entgegen recht!
gib her den Durchzug allein!
die peilhaken ") her!
So, Themel,*)
leich uns her den Dremel*),
dass man das vass recht ruck,.
nit zuck!
So, Gegenknecht, bücke dich!
schau auf dich!
halt an dich!
Das vass ligt auf dem höhel.
tragt mit euch her auch die klein- Zu! zu! zeuch hin! schau, dass
fädrige seil —
dreiling-, halbfüdring-seil ! —
vierzig eimer zeucht man damit.
Also mit spaten!
lauft und bringt spaten:
nebinger! *)
und versperr
uns das vass schir!
es bleib!
leg an die seil!
stet gleich an!
Nun, wolan!
in Gottes namen!
zieht alle gleich!
Ho! ha! ho!
halt fest, ir lieben gesellen!
halt fest!
2. Pars.
So, Gleseris, schmir die leiter bass,
dass es nem ein end!
1) Abgedr. im Katalog der in der Kreis- und Stadtbibliothek ,
dem städtischen Archive und der Bibliothek des histor. Vereins zu
Augsburg befindlichen Musikwerke, bearbeitet von H. M. Schletterer
(Beilage zu den Monatsheften för Musikgeschichte 1878) S. 154 ff.
2) Der Bohrer.
3) peil, das Spundloch.
4) Demmel? Nach Schmeller, Wörterb. I, 509 Prasser,
Schlemmer.
5) Knüttel, wohl die Hebestange.
l6o Vierter Theil:
Greift alle an behend!
Ho se hin! io ha!
Lieben gesellen, noch ein kleins!
Io se hin! zieht alle gleich!
Halt fest die Leiter an, dass nit weich;
das vass ruck um, herbass, dass gleich liegt!
Nun ligts gleich;
rucks hinter sich!
So ligt es recht!
So, Wagenknecht, nim hin das vass,
hüt sein bass!
ich gib dirs ganz in dein Gewalt.
Gott behüt uns jung und alt!
Die verbreitetste Spezies dieser Liedergattung-,
welche wir in Deutschland besitzen, sind die Zug-
schlägel-Reime, Rammer- oder Pilottenlieder.
Sie werden beim Einrammen von Pfählen (Pilotten)
mittels der Zugramme (bayrisch Hay oder Heye) ge-
sungen, um die Momente des gemeinsamen Anziehens
für die Arbeiter zu markieren. Die Zugramme be-
steht aus einem schweren Klotz (Bär, Litz), der von
8 — 12 Arbeitern mittels einer auf einem Gerüste be-
festigten Rolle durch Seile aufgezogen und bei einer
gewissen Hubhöhe losgelassen wird, um durch sein
Fallgewicht den zu rammenden Pfahl oder Baum-
stamm in die Erde zu treiben. Die Zugschlägelreime
finden sich durch ganz Deutschland, vom Lech und
der Donau bis zur Nord- und Ostsee, am meisten
natürlich in sumpfigen Niederungen, wie in Holland,
wo die Häuser auf Pfählen gebaut werden. Sie
werden entweder im Chor oder bloss von einem
Vorsänger gesungen, wobei die Andern an gewissen
Stellen einfallen. Nach der bayierischen Tagelöhner-
Ordnung von 1729 gebühren einem gemeinen Arbeiter
bei Wasserbauten 13 Kreuzer, demjenigen aber, so
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
I6l
beym Hayschlag-en vorsingt, 14 Kreuzer als Tag-
lohn ^). Da die ganze, recht schwerfallige Einrichtung
in Gefahr ist, durch die Dampframme verdrängt zu
werden und da sich die wenigen gedruckten Pilotten-
lieder alle an schwer zugänglichen Stellen finden, so
will ich hier zusammenstellen, was mir davon bekannt
geworden ist.
Nr. 86. (Bayerische Zugschlägel-Reime*).
Ey ja na" wider auf!
Und ziehhts na" wider a*!
Und gel, mer lieb Gespa*,
Und gel, mer li^e Bursch,
Schau, wi^ das Schiegal duscht^),
Schau, wie das Schiegal gallt
A* 'n Beergngen und & 'n Wald
Und dade bei der Au
Und bey de schöTn Jungfrau.
Bist gar e* schöne Zier,
Geh he^r und zoihh mit mier!
1 leihh enk ja mefn Strik,
KiTst ziehhe'-r-a' demit.
Mier war e* ja schcT fael,
en ied^ hat sein Thael;
a* *n Sael so hänge*ts dra".
Äfft*) ziehhr halt mier a",
Äfft ziehhe halt mier auf,
e" Boisal rast mS drauf!
Hammer e" Boisal grast't
Und hamm^r e~ Boisal dmacht,
letz schla'me wide * drauf
Und ziehhe" brav houch auf.
Er stet ja ef de* Kamp*),
De weist 'n sovel gwandt,
De weist 'n na' de Raes,
Wal e* den Weg net waes,
Wal e' den Weg net kennt.
Hat eem de Schlägl 'brennt.
Er feilt e6m. auf sefn Kopf;
Is gar. en arme* Tropff,
Is gar en arm^ Kee*n.*)
Er get ja ei~ di Ee'n.
1) Nach ScHMELLKR, B. Wörterbuch I, Sp. 1021.
2) Nach SCHMFXLER, Die Mundarten Bayerns, S. 526 ff. Das
Stück steht unter den Ostlech-Dialekten ohne nähere Bezeichnung der
Herkunft. >Jeder Vers ist für die Arbeiter das Signal zum gemein-
schaftlichen Anziehen«.
3) schallt.
4) hernach.
5) Der eiserne Ring, der den oberen Theil eines einzurammenden
Pfahles umfasst und aus der Bahn des Zugschlägel-Gerüstes (aus der
Kais) nicht weichen lässt. Schmfxler, Wörterb. I, 1251.
6) Kern = Kerl? Vgl. Schmeller, Wörterb. I, Sp. 1293.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. II
l62
Vierter Theil:
Er get ja ei" das Kotit. ')
Das ZiShhe das thuSt nout,
Thiiet si' kaen^ spam,
Nemts *n na' recht ei' d* Arm,
Äfft macht er uns recht warm,
Äfft macht '^r uns recht ha^s,
A ja die büÄhe' Ga^s.
Äfft ziehh^ halt mier auf,
Äfft ßllt er e^m brav drauf»
Äfft fHlt ^r e^m brav drei*.
S^'n Rastn thü^m^ schrejT.
Nr. 87. (Frankfurter Pilottenlied. *)
I, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9!
Der Pfahl muss hinein
Durch Felsen und Stein,
Durch Wasser und Sand,
Dem König ins Land,
Dem Kaiser ins Reich.
Drum, Brüder, zieht allzugleich!
Ich seh* ein*n, der zieht nicht!
Ich seh* ein*n, der mag nicht!
Ich könnt ihn euch nenne;
Ihr werd*t ihn wohl kenne;
Ich bild' mir ihn ein:
Es muss der August^ wohl sein!
Warum zieht er denn jetzt?
Weil*s geht auf die letzt* ! *)
Hoch auf!
Einen darauf!
Einen aufs Haupt!
Einen oben auf den Pfahl!
Einen daneben!
Wir wollen ihm noch fünf geben!
I, 2, 3» 4» 5!
Festgesetzt!
Diess ist der letzt*!
Nr. 88. (Ein anderes.)
Hoch auf mit der Litz!
Es donnert und blitzt.
Es blitzt, es kracht!
Der Schlingel steht da und lacht!
Es ist der dumm Erbfeind*),
1) Den Koth.
2) Aus Battenberg, Die alte und die neue Peterskirche zu
Frankfurt a. M. (Lpz. u. Frkf. 1895), S. 224 f. Der Verf. bemerkt
zur ersten Zeile : »Bei jeder dieser Ziffern ziehen die Leute an und lassen
das Gewicht fallen. Dann fallt es je bei dem betonten Worte der
nächstfolgenden Verse«.
3) Mit dem Namen wird natürlich beliebig gewechselt.
4) Auf den Schluss los.
5) Der dumme Erbfeind ist nach Battenberg der Teufel, welcher
das Werk der Bauhandwerker in der Sage so oft stört. Hier macht er
die Pilotten rund, d. h. er zersplittert sie am Kopfende und hindert
damit die Wirkung des Schlages.
Die verschiedeneü Arten der Arbeitsgesänge. 163
Hat Haare wie ein Pudelhund,
Macht aUe Pilotten rund.
Hoch auf!
Einen drauf!
Einen daneben!
Wollen ihm noch zehn geben!
I, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10.
Hoch auf, und lasst ihn stehn ! ^)
Nr. 8g. (Lied der Bremer Zimmerleute.')
Fertig überall?
Hoch den Bär, hoch up und dal!
Von haben up den Pal!
Je höher dat he geit.
Je beter dat he fleit!
So geit he
got;
So fleit he
got.
Denn teit de Pal
Ok immer dal.
Hoch in de Luft!
Den Pal in de Gruft!
Hoch in den Scheer,
Dem Zuschauer zur Ehr!
Ein'n zuletzt!
Hoch up und setzt!
Nr. go. (Ostfriesisches Rammerlied. ^)
Twe Mantjes
pumpen. Leg up de Scho!
Hog up de
Klumpen*), Pastor steit up de Kansel
I) Ausser diesen beiden Liedern theilt Battenberg noch ein
drittes mit. Es ist ein in Nassau und Hessen sehr verbreitetes Volks-
lied , das auch von den Soldaten gern als Marschlied gesungen wird.
Abgedruckt bei Erk- Böhme, Deutscher Liederhort HI, Nr. 1388.
Wolfram, Nass. Volkslieder, Nr. 416. Lew alter, D. Volkslieder
aus Niederhessen IV Nr. 14.
• 2) Nach einer schriftlichen Mittheilung des Herrn Dr. E. Dünzel-
MANN in Bremen, vermittelt durch Herrn Dr. J. Plenge.
3) Angezeichnet durch Herrn Pastor Lüpke,
4) Holzschuh.
II*
164
Vierter THeil:
Un preekt der to.
Wo hoger dat he geit,
Wo deper dat he sleit.
Hog an de Steern!
Dat het de Meister gem.
Nr. gi. (Ein anderes. ')
*
fTr-^~r~rrrmrr:-r
Trekt mit al - le Man ! Lat't jo dar nich sür bi
y r-ii | j J' j J'p.i J' i r f i r- ^
warn,
wenn der 6k for'n mal en pund an - hangd.
pT^rifr^^f^^
r f, I r 1 J' l J 1'-^
S6t, wo he
geid,
sßt, wo he
sleid! Wo ho-gerdathe
j > f i
J'i J j'i-g ga ^j j] r- n
geid, wo be
- ter dat he sleid ! H6g in de Top, de
|t^H-g^
h:
^^£3\r^~i
Päl wol up sin Kop! H6g in de Rul! Stok-fis mit
I) Aufgezeichnet in Nordemey und veröffentlicht in der Ztschr.
d. Ver. für Volkskunde, VII (1897), S. 437. Der Text nach den Ver-
besserungen von C. Djrksen (ebendaselbst VIII, S. 96) mit einer
kleinen Abweichung. Der Sinn ist: Zieht zusammen alle Mann!
Lasst's euch nicht sauer dabei werden, wenn auch jetzt einmal ein
Gewicht daran hängt. Seht, wie er (der Rammblock) geht; seht,
wie er schlägt! Je höher er geht, um so besser er schlägt. Hoch
in die Spitze, dem Pfahl wol auf den Kopf! Hoch in die Rolle
(über die das Zugseil läuft)! Stockfisch mit Steckrüben (r), Kartoffeln
dazu: gute Schmauserei! Ich will dir noch einen Spass erzählen;
das soll jedem wohl gefallen. (Hier fehlt offenbar ein Stück.) Hoch
in die Scheren (die Winkel, welche die in der Spitze zusammen-
laufenden Stützen des Rammbockes bilden) ; das hat der Meister
gern! Hoch um die Wette, und dann nochmal eingesetzt!»*
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
165
Knul, Erd-ap-pels dar • bi. 'n go*de Knape
Erd-ap-pels dar • bi^
'n go * de Knape-
L^1±J_JL
9 ,tM
m
*k wil di noch en Späs fer^teln, dat sal elk wol
1
i
nJ-lr i JMJ 'j'^
god ge • faln. Hög in de Sehern, dat hed de Meister
*=ii
y ri^-i- J iff^i=?|j J'r nri ^
g^m. Hög in de Wed, un dannoch'nmälin • set!
¦Nr.. 92. (Ein drittes.*)
I. Hoifho! Nu man to! Bort') up mit alle Mann!
Fat hum wiss^) un holt hum fast;
Denn kamt he £eller ^) an !
Loat hum
fiem*)! Soo geit he god!
Haut hum up sien hoge Höd! (Schlag,)
Bumsfallera! dar was he ja!
Dat firste Krös*) verdaut!
i) Aufgezeichnet von Herrn Lehrer Sundermann, der dieises
Lied 1896 bei den Hafenbauten in Norden singen hörte und a. a. O.
S. 440 veröffentlichte. Nach Herrn Sundermann pflegt der Witz des
Vorrammers für den Inhalt der Lieder entscheidend zu sein. >Ist
der ein Mann, der Sinn dafür hat, bringt er alles Mögliche und Un-
mögliche über die Bauverhältnisse, Verpflegung, Löhnung, über Per-
sönlichkeiten u. s. w. scherzend in- die Verse, hinein ; ist' er unbegabt,
so hört man wenig oder- gar -nichts. Als 1850 bei "Errichtung einer
ZoHniedalage in Norden gerammt wurde, hatte ein Vocrammer, der
ein )»gliel8oher4C (glatter, gewandter) Kopf war, allerlei Stddtklatsch und
MßgisliBtszänkereien vorgenommen.«
2) hebt. — 3) fesst ihn sicher. — .4) schneller. — 5) lasst ihn
schiessen. — * 6) Kanne (Mass).
i66
Vierter Theil:
1
2. Her mit d*Fless *) un her mit*t Gless,
De't 6relk mit uns m^iit»
Wat wult du, Bar, dar achter stän?
Kumm mit dat Fatt'man her vandän!
Dat Fatt, dat Fatt — dat Fatt hett Natt,
Dat Natt, dat Natt — wel*) mag noch wat? (Schla£^,)
Bumsfallera! dar was he ja!
. . , All wer*) en Krös an d' Kant.
Nr. 93. (Rammerliedchen aus Westpreussen. *)
Hi, hopp!
Aufn Kopp!
Noch einmal
Op en dal! "
Nr. 94. (Russisches Rammerlied. '^)
Vorsänger. \
i>-t— #^
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N— N
^
^^^
Hy,
pe-6x-Ta npH-HH-HaHcx, 3a Ay - ÖHHym-iey xsa-
Chor.
<'^WW ;
ww>V i;p
laficA. 9h,
Ay-ÖH-Hymica, yxHCM'b! 3h, se - Jie - naji ca-
Uh-^ ' U ^
'"^
3Öi
ua
nofiAeT%.no;iAepHeM'b,noAJepHeM'b, ^a yx - - Hein»!
i) Flasche. — 2) wer. — 3) wieder.
4) Mitgetheilt von Herrn stud. A. Gottschewski , der es von
polnischen Erdarbeitern in Löbau gehört hat. . .
5) Der Text dieses vielgesungenen liedes findet sich in der
Sammlung CoJiOByaEKO (Nachtigal) von M. Lkderle (St. Petersburg 1891),
' S. 156. Die Melodie hatte Herr stud. Jos. Boujanski die Freund-
lichkeit für mich niederzuschreiben. Das Lied wird übrigens auch
. bei andern gemeinsamen Arbeiten angestimmt. Es ist durch wandernde
russische Sängergesellschaften auch bei uns bekannt geworden.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 15?
1. Hy, peÖJiTa, npHHHMafic«, i. Nun, ihr Bursche, angefangen,
3a AyÖHHyniKy XBaiaHCJi. An das Knüppelchen gegangen!
d&, Ay^HHymEa, yxneMi, Ei, du Knüppelchen, uchnem!
3fi, sejeHafl caHa nofiACn» I Ei, das grüne wird schon selber gehn.
nouepHeMi, uOM^pHCMi! Nun ziehet! Nun ziehet!
Jifik yxHCM'b! Und uchnem!
2. Hynca, npHMeMCA aa A'^^jio, 2. Vorwärts, lasst das Ding anfangen,
Hto6i oho y HaCb ksljAäO. Dass wir bald in Zug gelangen !
3h, Ay^HHymKa, yxHCM'b! Ei, du Knüppelchen, etc.
3. Hynca, npHMeMca mu 3. Vorwärts, greifen wir vereint an!
ApyKHO,
nqcKOp«£ OKOH^HTL HyacHO. Früher tritt das Ende ein dann.
3i, AyÖHHyniEa,
yinem! Ei, du Knüppelchen,
etc.
4. Hy, pe6flTa, ne s^BaHie, -^ 4. Nun, ihr Bursche, müsst nicht träumen,
PasOMi ApysKHO HanepaHTe. Drängt noch einmal an, nicht säumen!
3h, ^^yÖHHyniKa, yxHein! Ei, du Knüppelchen, etc.
5. Hy, TflHH, peÖjrra, cir&io, 5. Nun, ihr Bursche, tapfer. ziehet,
?To6i pa6oTa-TO KHir&ia. Dass die Arbeit uns erglühet!
3fi, Ay^HHyniKa, yxECMi! Ei, du Knüppelchen, etc.
6. Bu TXHHie nocHJibH'i^e, 6. Stärker ziehet jetzt, ihr Brüder!
OnycKaHTe Bpasi ApysH'i^e. AU' zusammen senket nieder!
3h, AyÖBHymKa, yxHeM'b! Ei, du Knüppelchen, uchnem!
3h, seJieHaii cana noHAerb! Ei, das grüne wird schon selber gehn.
IIoucpHeH'b, uojißfiuewb, Nun ziehet, nun ziehet!
jifi, yxHearB! Und uchnem!
Auch in Japan wird beim Einrammen von Pfählen
oder Steinen gesungen oder wenigstens durch laute
Ausrufe das Zeichen zum gemeinschaftlichen Anziehen
gegeben^). Zwei derartige »Eirdarbeiter-Lieder« (Jizuki-
I) y>An einer andern Stelle, wo eine Brücke erbaut werden sollte,
rammte man mit grossen Rammblöcken unter ungeheurem Lärm und
einem Chaos unartikulierter Laute Pfähle ein«: Spiess, Die preuss. Ex-
pedition nach Ostasien während der Jahre 1860 — 62, S. 166. Der-
selbe berichtet S. 154: »Kein Gesang ist (in Yokohama) in meine
i68
Vierter. Theil:
Uta) sind neuerdings bekannt geworden.^) Sie sind
sehr kurz, zeigen aber darin eine gewisse Verwandt-
schaft mit dem oben mitgetheilten koreanischen
Stampfgesang, dass sie an die Arbeiten Betrach-
tungen aus Natur und Menschenleben anknüpfen.
Sie lauten:
Nr. 95.
Ondotori: Der Vorarbeiter singt:
Kimi gSL ta to, Lasst uns unsere Felder bearbeiten,
.Waga ta wo narase, Die Haine ausbessern!
Aze narase!
Ninsoku:
Tani no nagare de
Käme asobu.
Ondotori:
Ugoki naki,
Shitatsu, iwane
no
Futo-bashira!
Hiwo tatsuru yo
no
Tameshi nari!
Chor der Arbeiter:
Dort im murmelnden Thalbach
Vergnügt sich die Schildkröte.
Nr. 96.
Der Vorarbeiter:
Unbeweglicher,
Im Boden unerschütterlicher,
Felsenfester, dicker Pfeiler!
Wie wir uns in der Welt fortbringen,
Wird unsere Prüfung sein.
Ninsoku: Chor der Arbeiter:
Miwo tatsuru yo no Wie wir uns in der Welt fortbringen.
Tameshi nari keri! Wird unsere Prüfung sein.
Der Sinn der letzten Zeilen wäre nach dem
Herausgeber: Wie es beim Hausbau die Hauptsache
ist, die Aussenpfeiler fest zu setzen, so soll auch bei
Ohren geklungen, und das lärmende Rufen der japanischen Lastträger
oder Zimmerleute, die beim Einrammen von Pfählen ein betäuben-
des Chorgeschrei, außtimmen, vermag für diesen Mangel nicht zu
entscliädigen.«
I) Nippon Gakfifu. Japanische Volkslieder, gesammelt und für
das Klavier bearbeitet von Rudolf Dittrich. Zwei Helle. Leipzig
(Breitkopf & Härtel) 1894/5. Heft I Nr. i und Heft 11 Nr. 9.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
169
uns Menschen die grundlegende Erziehung eine
gute sein, damit wir in der Welt ein gutes Fort-
kommen finden.
Aehnliche Gesänge werden überall von den
Schiffern beim Aufwinden der Anker und beim
Hissen der Segel gesungen. Die ältesten Bei-
spiele, welche ich kenne, sind aus Schottland, wo
sie ein patriotischer Mann um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts mit andern Schifferrufen und Volksliedern
aufzeichnete.^) Ich lasse zwei derselben hier folgen:
Nr. .97. (Beim Aufwinden des Ankers.)
Veyra veyra,
Windet all*, windet
gentil
gallandis,
edle
Recken!
Veynde, i
see hym,
Windet! ich seh
' ihn,
pourbossa
!
(Das Wort ist nicht sicher erklärt.)
Hail al ande ane,
Holt, air und ein,
hail hym 1
iip til us!
holt ihn auf zu
uns!
Nr. 97». (Beim
Hissen der Segel.)
Heisau !
Hisset allM
thair,
thair!
da, da!
vorsa!
(?)
Yallou hayr.
Gelbes Haar,
von!
Wau!
hips bayr!
Hüften bar!
Ane lang draucht
! Langer Zug!
Til hym al.
Zu ihm all.
Mair maucht!
Mehr Kraft.'
viddefullis
al.
Galgenvögel
all,
Yong blude,
Junges Blut,
grit and smal,
gross und klein.
mair müde!
Mehr Muth!
ane and al,
ein und all,
False flasche.
Falsches Fleisch,
heisau !
hisset !
ly a bak!
Lieg' dahinten!
Nou mak fast
Nun macht fest die
Lang suak,
Langer Ruck,
the theyrs!
Schooten !
that, that
dass, dass
i) Sie finden sich eingeschoben in eine politische Schrift aus dem
J. 1549:
»The Complaynt of Scotlande^:, re-edited by James A. H.
MXTRRAT,
London 1872 (Early English Test Society, Extra Series,
Nr. XVII), p. 40 iF. und Introduction p. LXIXif. Ich verdanke die
JCenntniss dieser Stellen dem freundlichen Interesse, das Herr Dr. Al.
IJO
Vierter Theil:
Jede Zeile wurde beim Gesänge wiederholt; ein-
zelne Stellen werden noch heute in der englischen
Marine gesungen. Wie nahe verwandt damit die
folgenden beiden Beispiele aus Helgoland sind, er-
giebt sich von selbst.
Nr. g8.
(Skepperled om det Soel ap to wenn.^)
i
^
His em up,
hu • ro, jol - ley! Hol em up, hu-
Tille in Glasgow an diesen Studien von ihrer ersten VeröfFenttichung
an genommen hat.
i) Erk-Böhme III, Nr. 1502. :>Beide Lieder sind erst langsam,
faul, geduldig, am Ende munter und vergnügt zu singen.4: Vgl. dort
auch das Danziger Schiffsjungenlied (Nr. 1501), das beim Ablaufen des
Schiffes vom Stapel gesungen wird. — Gesang beim Hissen auf einer
indischen Dali im Hafen von Bagamoyo : ; R. Böhm , Von Sansibar
zum Tanganjika, S. 13. — Griechische Matrosenlieder: Sanders a.a.O.
S. 107 und Fauriel, Neugriech. Volkslieder H, S. 12 f. Spanische:
Cabellero, Ausgew. Werke (Paderborn 1862), XVI, S. 55 f. Die
meisten in den deutschen Volksliedersammlungen stehenden Matrosen-
lieder (z. B. Erk-Böhme III, Nr. 1505 ff".) sind keine Arbeitslieder. —
Nach einer Aussage des Herrn Steuermanns K. A. Wilke , des
Herausgebers einer Sammlung »Gedichte und Lieder für Schiffer«
(Hamburg 1884), würden zwar von den deutschen Schiffern bei der
Arbeit .noch zahlreiche Lieder gesungen; es seien dies aber in der
Regel bekannte Volkslieder mit allerlei nicht gerade reinlichen Varianten
und Einschiebseln. Sie würden »schleppend und ruck - und tritt-
weise nach dem Takt der Arbeit« gesungen. Da aber das Treideln
und Mastrichten nicht mehr wie früher gehandhabt werde, so seien
sie im Einschlafen begriffen. Als ein Lied, das beim Treideln ge-
sungen worden sei, bezeichnet er das bekannte:
Es wollt* ein Mädchen Wasser hol'n
An einem kühlen Brunnen,
Hi, ha, heirassa!
An einem kühlen Brunnen.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
171
ro,
jol-ley! His em up, hu - ro
i
^ ^^
m
Ho, ho!
K K
-w r-
. his em
for de Krön, jol - ley!
Nr. 98*.
(Om det Anker ap to wenn.)
Heav em up,
huro jolley!
Hol em upi
huro, jolley!
Heav em up
met dem. huro, jolley!
Up met em
huro, jolley!
Daran mögen in Uebersetzung ^) zwei Lieder an-
geschlossen werden, welche von den FlussschifFem,
die auf dem Indus fahren, ebenfalls beim Ein- und
Aufziehen der Segel gesungen werden.
Nr. gg.
Zieht, o ziehet!
Hebt die Schultern,
Stemmt die Füsse!
Das Boot will segeln.
Braucht alle Kraft!
Mit Gottes Gnade,
Mit der Heiligen Hülfe:
*S ist ein wackres Boot —
Der Steilermann ist ein Krieger. Das Wasser ist tief —
Der Mast ist hoch.
Schlagt die Trommel,
Der Hafen ist da.
Es kommt glücklich durch
Vt)m Shach
Acbar
Durch Gottes Gnade!
Vgl. Erlach, Volkslieder H, S. 153 und Simrock, Die deutschen
Volkslieder, S. 96. Beim Mastrichten soll das nicht minder be-
kannte :^Als ich einmal am Sommertag^: (Erk und Irmer, Deutsche
Volkslieder, Heft 2, Nr. 64) gesungen werden und ein ähnliches beim
Hissen. Im Ganzen machen diese zu Arbeitsgesängen umgemodelten
Volkslieder den Eindruck der Entartung.
I) Nach
Talvj a. a. O. S. 35 f., wo auf Burnes, Narrative of a
Voyage on the Indus, London 1834, p. 54. verwiesen wird.
1^2 Vierter Theil:
Nr. ZOO.
Heil, Peer Putta!*) Wer hat die Welt gesehn?
Heil, Stadt Tatta! Das Wasser ist süss.
Zieht zusammen, Zieht alle auf einmal!
Freudig ziehet! Der Hafen ist gut,
Der Hafen ist klein. Belutschen das Volk,
Sieh den Thurm im Hafen! Gott hats uns gezeigt,
Das Land ist Gottes. Mit Gott wir kamen.
Die Neuseeländer haben eine Art von Gesängen,
die sie Toto-waka nennen^. »Obgleich ohne musi-
kalischen Werth, entsprechen diese Gesänge doch
in wunderbarer Weise dem Zwecke, für den sie be-
stimmt sind, nämlich eine Anzahl Personen in den
Stand zu setzen, beim Schleppen schwerer Holz-
stämme oder von Kanoes über Land eine gleich-
zeitige Kraftäusserung auszuüben. Wer die Gesänge
der Matrosen beim Entladen eines Schiffes oder beim
gemeinsamen Ziehen an einem Tau gehört hat, wird
die Art, wie sie gesungen werden, völlig verstehen.
Diese Gesänge bewegen sich in sehr verschiedenem
Zeitmass, je nachdem schwere oder leichte Lasten
zu ziehen sind. Wird bergan geschleift, so wird der
Vers aus langen Wörtern gebildet, von denen jedes
ebenso schwer imd mühselig aus dem Munde der
Ziehenden zu kommen scheint, wie sie über den
Boden vorrücken. Aber wenn das Hindemiss über-
1) Shah Peer ist ein Schutzheiliger der Sinden; Putta wahr-
scheinlich einer seiner Beinamen.
2) £d.
Shortland, Tradition s and Superstitions of the New Zea-
landers
(London 1856), p. 162 — 165.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. ij^
wunden ist und ihre Bewegungen freier und rascher
werden, wird ein anderer Takt angewendet, gebildet
aus einer Folge von kurzen Silben.«
»Die ersten fünf Zeilen des folgenden Beispiels
bilden einen Gesang, den man Puhwa oder Hari
nennt. Er ist bestimmt, von einer einzigen Stimme
gesungen zu werden, um das Zeichen zu geben, dass
man sich zum Ziehen anschickt. Dann folgt der
Toto-waka, dessen Verse abwechselnd gesungen
werden — einer von dem Vorsänger, während die
Zieher Athem holen, die Antwort von allen, welche
gerade zusammen ziehen.«
Nr. zoz.
Puhwa oder Hari.
Toia Tainui, te Arawa, Zieht, o Tainui ^), zieht die Arawa *),
Kia tapotu ki te moana. Sie vom Stapel zu lassen aufs Meer.
Koia i hirihara te mata- Sicher schoss nieder der Donner-
watitiri takataka-tumai keil, hierherzu fallend
I taku rangi tapu. Auf meinen heiligen Tag.
Toto-waka.
Vorsänger: Ka tangi te kiwi. Es schreit der Kiwi.')
Alle: Kiwi. {Kurzer, rascher Zug!) Kiwi.
Vorsänger: Ka tangi te moho. Es schreit der Moho. ')
Alle: Moho. Moho.
Vorsänger: Ka tangi te tieke. Es schreit der Tieke. ')
Alle: Tieke. Tieke.
Vorsänger: He poho anake. Nur ein Bauch. «.
Alle: To tikoko, tikoko ! (Anhaltender Gabelt ihn auf, gabelt ihn !
Vorsänger: Haere i te ara! [.Zu£^,) Haltet den Weg eini
Alle: Tikoko! (Starker Zug,) Gabelt ihn auf!
Vorsänger: Ko te tau-rua te rangi. Es istheute das zweite Jahr.
I) Stammname. 2) Name eines Bootes. 3) Namen von
Vögeln.
174
Vierter Theil:
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Ko te hao-tane.
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Homai me kawe. '
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Me kawe kiwhea? <
Alle: Kauaea! .
Vorsänger: A-ki te take.
Alle: Take no tu.* (Langer Zug,)
Vorsänger: E hau!
Alle: Toia! {Langer Zug.)
Vorsänger: Hau riri!
Alle: Toia!
Vorsänger: Toia ake te take!
Alle: Take no tu.
Haiti u^d dann neuer Anlauf,
Vorsänger: Koia rimu h'aere! •
Alle: Kauaea! (Starker ZftgJ.
Vorsänger: Totara
haere!
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Pukatea haere!
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Homai te tu!
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Homai te maro!
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Kia whitikia!
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Taku takapu.
Alle: Kauaea!
Vorsänger: Hihi, e!
Alle: Haha, e!
Vorsänger: Pipi,
e!
Alle: Tata e!
Vorsänger:
Apitia!
Alle: Ha! (Kurzer rascher Zug.)
Munter, Leute!
Es ist der Menschenfanger.
Munter, Leute!
Macht Platz hier und
[schleppt es!
Munter, • Leute !
Aber wohin es schleppen?
Munter,. Leute!
Ah, die Wurzel!
Wurzel von Tu.
O Wind!
Zieht hinweg!
Rasender Wind!
Zieht «hinweg!
Zieht die Wurzel abwärts \
Wurzel von Tu.
Also, geh' weiter, Rimu ! ^)
Munter, Leute!
Geh weiter, Totara! *)
Munter, Leute!
Geh weiter, Pukatea! *)
Munter, Leute!
Gieb mir den Tu!
Munter, Leute!
Gieb mir den Maro!
Munter, Leute!
Straif anziehen!
Munter, Leute!
Mein Bauch.
Munter, Leute!
Drei lange Silben y_ um tu bezeichnen, dass .
ein langes starkes , Anziehen , nöthig ist,- um-
eine Unebenheit des Bodens zu .überwinden.
Zusammen!
Ha!
i) Namen von Waldbäumen, die zum Bau von Kanoes benutzt
werden.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
175
Vorsänger:
Apitia!
Alle: Ha!
Vorsänger: Ko te here!
Alle: Ha!
Vorsänger: Ko te here!
Alle: Ha!
Vorsänger: Ko te
timata!
Alle: E-ko te
tikoko pohue.
Vorsänger: E-ko
te aitanga a mata.
Alle: E-ko te
aitanga a te
hoe-manuka.
Damit treten die Leute hitvweg. Dann
neuer Anlauf,
Vorsänger: Ko au, ko au.
Alle: Hitaue! (Langer Zug,)
Vorsänger: Mate ko te hanga.
Alle: Hitaue!
Vorsänger: Turuki, turuki!
Alle: Paneke, paneke!
Vorsänger: Oioi te toki!
Alle: Kauaea!
Vorsänger; Takitakina!
Alle: Ja!
Vorsänger: He tikaokao.
Alle: He
taraho.
Vorsänger: He parera.
Alle: Ke, ke, ke, ke!
Vorsänger: He parera. '
Alle: Ke, ke, ke, ke!
Zusammen ! -
Ha!
Den Strick!
Ha!
Den Strick!
Ha!
Und den Speer!
Ah ! und die Pohue-Gabel.
Ah! und das Feuerstein-
Kind.
Ah ! und das Kind des
Manuka-Ruder
s .
eine Pause, und darauf
Ich bin*s, ich bin's.
Ein langer Zug!
Das Ding ist tot.
Ein langer Zug!
Rutsch fort, rutsch fort!
Schlüpf zu, schlüpf zu!
Schwingt die Axt!
Munter, Leute!
Zieht's hinaus!
Also!
Es ist ein Hahn.
Es ist ein Taraho. ')
Es ist eine Ente.
Quak, quak, quak, quak
Es ist eine Ente.
Quak, quak, quak, quak!
Aus der alten Welt gehören hierher die Gesänge
der Schiffszieher, welche an den meisten schiffbaren
Flüssen, wo die Aufwärtsbewegung der Fahrzeuge
mittels Menschenkraft erfolgte (Treideln), gebräuch-
lich waren, sich aber manchmal auch da finden, wo
man sich der Leinpferde zu diesem Zwecke bediente.
I) Namen eines Vogels.
176
Vierter Theil:
Die primitivste Form stellt folgende Notenskizze des
Gesangs der sog. Boomätscher an der oberen Elbe
dar, wie er noch vor einem Menschenalter in Dres-
den gehört werden konnte^).
Nr. Z02.
ä
i
Pf
^
*^= ö>
Hi-i bei-i ho-o
bei; hi-i bei-i ho-o bei!
Der Berichterstatter bemerkt dazu: »Dieser *Ge-
sang' ist eigentlich als solcher nicht zu bezeichnen.
Er bestand nur aus dem immerfort wiederholten: hi-
bei, hobei! Auf die Silben hi und ho wurde be-
sonderer Nachdruck gelegt, hierbei jedesmal der
rechte Fuss vorgesetzt und der Stock (eine Art
Bergstock) eingestemmt, wodurch das Nachziehen
des linken Fusses, bez. das Fortschreiten unterstützt
wurde.«
Nicht minder eintönig ist ein Gesang der Boot-
zieher in China, den G. Kreitner^ am Han-Flusse
aufgezeichnet hat. Ihrer acht schleppten mittels
eines aus Bambubast geflochtenen Strickes mühsam
das Boot bei heftigem Nordwind. »Es schien fast
eine Arbeit der Verzweiflung zu sein, die sie da
verrichteten. Mit so stark vorgebeugtem Ober-
körper, dass die Brust nahezu den Boden berührte,
kämpften sie gegen die Gewalt des Sturmes, welcher
das Schiff flussabwärts drängte. Die Füsse der Schiffer
gruben sich in den weichen Boden ein, und die starke
1) Mittheilungen des Vereins für sächsische Volkskunde 1899,
N. 9, S. 15 f.
2) Im fernen Osten (Wien 1881), S. 402.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
177
Brust keuchte krampfhaft unter dem Drucke des um-
gewundenen Seiles, welches sich tief in das Fleisch
einschnitt. Jetzt erreichten sie einen am Ufer ein-
getriebenen Baumstamm, woran sie das Seil be-
festigen. Nach einigen Minuten sauer verdienter
Rast beginnt die Arbeit von Neuem. Sie singen
einen SchifFergesang. In dumpfer, matt und matter
werdender Vibration dringen die abgerissenen Töne
zu uns«:
Nr. 103.
^^
^^
"^
'^-
p=t=#j
*
±:t:
^
Bekannt sind auch die Gesänge der Burlaken,
welche auf der Wolga die grossen Getreideschiffe
fortbewegen. Ich gebe das folgende Beispiel im
Stimmensatz, wie es mir von einem meiner Hörer
mitgetheilt worden ist^).
Nr. Z04.
du yx-uewb, ji,& sfi yx-ueMi! E - me pa-a-SHirb
' ^'=M=F=^
F= ^ r r M
'1 j J. ^i A
^
j j j
Vi ^
^
I) Herrn Jos. BoujANSKi. Der Text bei Lederle a.a.O. S. 153.
Uebersetzung von Herrn Dr. Mich. Gannuschkin.
BOcHBR, Arbeit und Rbythmns. 12
178
Aa e-n^e pa-soKi!
^
s
Vierter Theil:
Fa - 30 - BbeMt
MH 6e - pe - e - 3y,
^ p^
i
sö
^
i i
jFine, f
^
£
f
S
pa-so-BbeMi
MH Ky - Apx - x-By - k), Afi, Aa-Aa, an - Aa!
^
g
£
^
^
rf
^
r
^
H h
afi Aa - Aa
au Aa-
I
fc
^E^
3
r
rf^ - tr^
^
scendo.
Da capo al fine.
'm
Uebersetzung:
Sehr laut:
£iy uchnem! ei, uclinem!
Noch einmalchen, — noch einmal!
Etwas leiser:
£i, uchnem! ei, uchnem!
Noch einmalchen, — noch einmal!
Wickeln wir nun ab die Birke,
Wickeln wir nun ab die lock'ge!
Ai da — da! ai
da! ai da — da! ai dal
Wickeln wir nun ab die lock'ge!
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. lyn
Ganz leise:
Ei, uchnem! ei, uchnem!
Noch einmalchen, — noch einmal!
Ei, uchnem! ei, uchnem!
Auch die Hohenauer, d. h. die Schiffleute,
welche die grossen Schiffszüge (Hohenauen) auf dem
Inn und der Donau beförderten, hatten ihre eigen-
artigen Gesänge. Es liegt folgende Nachbildung
vor, die offenbar der Wirklichkeit sehr nahe kommen
musste \
Nr. 105.
Hagenauer, schlaget ein, alles Geschlecht
der Schiffknecht;
schnalzt zusammen, schreit und sprecht:
Ho ho ho, reidt an, reidt an!
Ho ho ho, dauch an, dauch an!
Jodl dauch an, Jodl dauch an!
Ho, dauch an, mein Steuer-Mann!
Thut Ehr beweisen der Wunder-Hagenau !
Die Rueder niedersenckt und grüesset dise Fraw!
Dein Gemüeth und Hertze wendt, den schönen Ort anschaw!
Den Schiif-Leuthn ist sie gewogn,
unser Liebe Fraw von Pogn.
Jodl dauch an, Jodl dauch an,
nur fein dapifer angezogn!
Zum Schluss muss noch des Fischfangs ge-
dacht werden, soweit er mit grossen Netzen erfolgt,
die an Seilen von zahlreichen Menschen durch das
Wasser gezogen werden. In Neuseeland haben diese
Netze oft eine Länge von tausend Ellen und bedür-
fen beim Gebrauch Hunderte von Händen^. In
1) Im »Azwinischen Bogen« des Abtes Dominik (Straubing 1679),
angeführt bei Schmeller, Bayr. Wörterbuch, I, Sp. 1043.
2) Ratzel, Völkerkunde, I, S. 234. Shortland a. a. O.,
S. 211.
12*
l8o Vierter Theil:
Arabien beobachtete Wellsted, dass dreissig bis vier-
zig Männer zugleich an Seilen solche Netze ans Land
zogen ^). Die gleiche Weise des Fischfangs übten
die alten Aegypter^. So dürfen wir denn auch hier-
bei Arbeitsgesänge erwarten, welche in diese Gruppe
gehören. In der That berichtet schon Diodor^ von
den Ichthyophagen, dass sie bei ihrer Arbeit sich
gegenseitig durch unartikulierte Gesänge {&vdQd'Qotg
Adatg) ermuntern, und Freycinet*) theilt aus Neu-
Südwales einen Gesang der Frauen beim Fischfang
mit, der in anschaulicher Tonmalerei das Aufwinden
der Netze anzudeuten scheint:
Nr. io6.
Adagio.
|3;^frTV^^^^^^fe g g ^ir?j ^
Ein Text ist nicht vorhanden; wahrscheinlich
besteht er, wie in vielen ähnlichen Fällen, aus sinn-
losen Lauten, welche die Beobachter der Aufzeich-
nung nicht werth fanden.
Von allen dieser Gattung angehörigen Gesängen
erfreuen sich wohl die Bootgesänge oder Ruder-
1) Reise in Arabien, I, S. 132.
2) Ermann, Aegypten, S. 326.
3) III, 16. Fischfang mit Gong- und Tamtam-Begleitung in China:
Krkitner a. a. O., S. 396.
4) Voyage autour du monde, citiert bei K. Hagen a. a. O.,
Taf. III. — Dagegen gehört das litauische Liedchen bei Bartsch
a. a. O., S. 168 wohl nicht hierher. Das Gleiche gilt von dem
Fischerliedchen aus Rügen bei Erk-Böhme, III, Nr. 1504.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. ^ßl
lieder der weitesten Verbreitung. Erfordert doch
das Rudern, wenn es von mehreren geschieht, inuner
ein genau gleichzeitiges Heben und Eintauchen der
Ruder, damit das Fahrzeug nicht aus der Richtung
geworfen und die Bewegungen des einen Arbeiters
nicht durch die des andern gehindert werden.
So finden wir denn überall, wo Ruderschiffe
gebraucht werden, künstliche Mittel angewendet, um
das Takthalten zu unterstützen. Bald sind es blosse
Zischlaute und Rufe der Ruderer selbst^), bald das
Kommando eines besonderen Rudermeisters (des
xsk€v0Ti]g bei den Griechen, hortator oder pausarius
bei den Römern), der dabei wohl den Takthammer
(portisculus) zu Hilfe nimmt ^, bald Schläge auf einen
laut schallenden Gegenstand^, bald die Weisen eines
Spielmanns (auf den Kriegsschiffen der Griechen des
TQiriQccvXrjg) oder einer ganzen Musikbande, wie im
indischen Archipel.
Ueber das Schiffswesen der christlichen Strand-
alfuren des südlichen Seram berichtet Joest*): )>Die
1) So bei den Japanern: Spiess a. a. O. S. 149.
2) Non.
151, 19. Sen. Ep. 56, 5. Mart. III, 67, 4. Rutil. I,
470. Daneben scheint aber doch auch von den Ruderern gesungen
worden zu sein, wie aus einem zuerst von Dümmler in Haupts Ztschr.
f. d. Alterth. XVII, S. 523 veröffentlichten »celeuma« hervorgeht, mit
dem Refrain: Heia naheia heleia naheia naheia heleia! Vgl. Rh.
Mus. f. PhU. N. F. XXXII, S. 523 und Bährens, Anal. Catull.
p. 70. Neues Archiv d. Gesellsch. f. d. Geschichtskunde, VI, 190.
3) Sittliche und natürliche Geschichte von Tunkin (Leipzig 1779)
S. 142: »Auf den Schiffen der Mandarine geschieht das Manoeuvre
nach dem Schall zweier kleinen Stöcke von einem klingenden Holz
oder einer Glocke mit dem Schwengel, wonach sich die Gleichheit
der Bewegung der Matrosen richtet.<(
4) Verh. der Berliner Anthrop. Ges. 1882, S. 83 und Intern.
Archiv f. Ethnogr. V, S. 4. — Bei den Wasserfesten in Cambodga
l82 Vierter Theil:
Orem-baai, grosse flachgehende Boote, nur aus zu-
sammengenähtem und geflochtenem Holze, Bambu
und Rottan bestehend, werden von i6 — 20 Mann
gerudert; in der Mitte des Bootes ist aus E^mbu
und Palmblättem eine Hütte für den Reisenden er-
richtet. Eine Fahrt in solchem Fahrzeuge würde zu
den angenehmsten der Welt gehören, wenn das
musikalische Gefühl bei diesen Leuten nicht in sol-
chem Masse ausgebildet wäre, dass sie einfach nicht
im Stande sind, ohne Musik zu rudern. Darum
thronen oben auf der erwähnten Hütte, wenige Zoll
über dem Kopf des Reisenden, drei oder mindestens
zwei Künstler, die mit nervenerschütternder Enei"gie
eine Trommel und ein Gong bearbeiten, mit denen
sie die Gesänge der Ruderer begleiten. Tag und
Nacht dröhnt ihr Daktylus; man glaubt anfangs taub
oder mindestens rasend zu werden, zumal wenn die
glühenden Sonnenstrahlen, mit doppelter Gewalt vom
Meere zurückgeworfen, sich auf dem Dach der mu-
sikalischen Hütte concentrieren; nach wenigen Stun-
den gewöhnt man sich indess auch hieran und schläft
dann ganz gut, trotz des unharmonischen Getöses.«
Auch an der Maclayküste in Neu-Guinea rudert man
mit Gesang und Trommelschlag^).
Viel verbreiteter ist aber jedenfalls der Ruder-
les pirogues
luttent de vitesse au son du tamtam: Les Colonies fran-
9aises, III, p. 126. — Von dem kleinen Strandvölkchen der Liven am
Rigaischen Meerbusen, das sich hauptsächlich vom Fischfang ernährt,
berichtet ein finnischer Beobachter (Sitzungsberichte der gelehrten est-
nischen Gesellschaft zu Dorpat 1889, S. 98): »In ruhigen Sommer-
nächten, wo ein längeres Verbleiben auf der See angezeigt erscheint,
begleitet ein Musicus die Berufsarbeiter zur See, und beim Klange der
Musik wird die Arbeit zum Spiel.«
I) Fjnsch, Samoafahrten , S. 131.
Die verscWedenen Arten der Arbeitsgesänge. 183
gesang ohne Musikbegleitung. Es mag dahingestellt
bleiben, ob er bei den alten Griechen üblich war^);
sicher nachgewiesen ist derselbe bei nordamerika-
nischen Indianern^, bei den FlussschifFem in Kasch-
mir^), im ganzen ostindischen Archipel, bei den An-
namiten*), und auf zahlreichen Inseln und Insel-
gruppen der Südsee. So auf den Palau-Inseln^), der
Neu-Britannia-Gruppe^),
in Tongatabu, Samoa''), Viti®),
Neu-Seeland.
Ueber letzteres erzählt der Missionar Nicholas^):
>Die Neuseeländer haben die Gewohnheit, in der
Arbeit des Ruderns sich nach einem gewissen Takte
gegenseitig aufzumuntern und zu erheitern, je nach-
dem die Tiefe des Wassers bald diese, bald jene
Art des Ruderns nöthig macht, indem sie alle zu-
gleich sich die Worte Tohihah hiohah, itokih itokih!
zurufen, mit welchen Worten theils das langsame,
theils das schnelle Rudern anbefohlen wird. Dies
geschieht mit der methodischsten Genauigkeit, und
ihr Takthalten im Rudern ist wirklich bewunderns-
würdig.«
1) Vgl. Becker, Charikles I, S. 212 und die Erklärer zu Aristoph.
Fröschen 207 ff. und Xenophon, Hell. V, i, 8.
2) Baker, Ueber die Musik der nordamerikan.Wilden, Nr. XXXIX
der Notenbeilagen, S. 75. Siehe den Anhang. Vgl. auch The Poetical
Works of
Thomas Moore, p. 181 (A Canadian boat-song).
3) V. HÜGEL, Kaschmir und das Reich der Siek, I, S. 295. H, 410.
4) Ehlers, Im Sattel durch Indo-China 11, S. 104.
5) Semper, a. a.
O., S. 93.
6) Parkinson, Im Bismarck- Archipel, S. 150.
7) Vgl. den Anhang und die Notenbeilagen bei Hagen, Ueber
die Musik einiger Naturvölker. Hamburg 1892.
8) M. Büchner, Reise durch den Stillen Ocean, S. 281.
9) Reise nach und in Neuseeland, S. 166. Vgl. M. Buchner
a. a. O. S. 150.
184 Vierter Theil:
Genaueres berichtet E. Shortland^). Nach ihm
bilden die Bootgesänge eine besondere Gruppe der
Arbeitsgesänge der Neuseeländer, die den Namen
Toitoi-waka oder Tukiwaka führt. >Auf den langen
Küegs-Kanoes stehen zwei Sänger (Kaituki) auf
Gerüsten, die in gleicher Höhe mit den Seitenborden
des Bootes angebracht sind, das eine beim Bug, das
andere beim Hiütertheil. Zu ihrem Gesang schwingen
sie im Takt eine ihrer heimischen Waffen, die sie
in der Hand halten, gerade wie der Leiter eines
Orchesters den Bogen seiner Violine schwingt. Bald
singen sie abwechselnde Verse, einander antwortend^
bald beide zusammen dasselbe. Dabei wird der
Takt ausserordentlich gut beobachtet. Ich habe
fünfzig oder sechzig Ruder genau in demselben
Augenblick ins Wasser tauchen sehen, ohne dass das
Auge einen Unterschied unter ihnen bemerken konnte.
Häufig bringen die Sänger aus dem Stegreif Scherze
in diese Gesänge oder berühren andere Angelegen^
heiten, um Heiterkeit hervorzubringen und die Mann-
schaft zu ermuntern und zu ermuthigen.« Short-
land theilt den folgenden Text eines Tukiwaka mit:
Nr. 107.
Tena toia! Nun ziehet!
Tena pehia! Nun drücket!
Tena tukia! Nun haltet Takt!
Tena tiaia! Nun taucht ein!
Tena kia mau! Nun haltet an!
Tena kia u! Nun seit fest!
Hoe, hoe atu! Stosst, stosst hinweg!
Runga, runga atu! Aufwärts, aufwärts hinweg!
Waipa atu! Nach Waipa hinweg!
I) a. a. O., S.
167 ff.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.
185
Tena toia!
£ hara te puhi o
tana
waka.
Te oreore.
Te oreore.
Toia!
Toia!
Tiaia!
He tuki!
He pehi!
Werohia !
Kia ngoto.
He kukumel
Ae, ae!
He pehi!
Tena tiaia!
Ane pehia!
Koroheke ki te whana.
Tishaua !
Ki te whana.
Tangohia !
He piko!
Tango mai!
He rae!
Waiho atu!
Toia!
Toia!
Nun ziehet!
Die Federn seines Bootes sind nicht werth
angesehen zu werden.
Der rasche (Ruder-)Schlag !
Der rasche Schlag!
Ziehet !
Ziehet !
Taucht ein !
Stimmt an einen Sang!
Einen Schub!
Stecht hinein (in das Wasser)!
Mag es tief sein.
Ein langer Zug!
Ja, ja!
Ein Schub!
Nun taucht es ein!
Schiebt es hin, so schwer es ist!
Da stösst ein alter Mann heraus.
Blickt munter!
Da stösst er heraus.
Weiter !
Eine Krümmung (des Flusses)!
Ueberwindet sie!
Eine Landspitze!
Lasst sie hinter euch!
Stösst ab!
Stösst ab!
Ausser diesen Tukiwaka giebt es noch eine
zweite Art von Bootgesängen (Haka), die von allen
Ruderern im Chor gesungen werden. Von diesen
giebt folgendes Beispiel eine Anschauung:
Haere nga wahie
Ki Maketu te kai ai.
£ timu ana,
Ki te kai mata ma
puku.
Toia!
Nr. 108.
Geh, Brennholz! [bekommen.
Wir werden in Maketu Fleisch zu essen
Es ist Ebbezeit, [verhelfen»
Uns zu einem Bauchvoll Magerileisch zu
Stösst ab!
l86 Vierter Theil;
Nicht minder ausgebildet treten die Ruder-
gesänge bei den Negervölkern in Afrika auf. G.
RoHLFs^) fand sie bei den Akkra-Negem an der Gold-
küste und den Kakanda am mittleren Niger, »denen
es ganz unmöglich ist, ihr Kanoe weiter zu stossen,
ohne jeden Stoss mit Gesang zu begleiten.«. M. Büch-
ner^ schildert eine Kanoefahrt der Dualla in Ka-
merun mit begeisterten Worten. »Vollständig be-
mannt taucht das leichte Fahrzeug so tief ein, dass
ausser den zierlich verjüngten Enden, welche höher
emporragen, nur ein ganz schmaler Bord noch trocken
bleibt, und man sieht von dem Körper desselben
eigentlich weiter nichts als die taktmässig arbeitende
Doppelreihe der Insassen (50 — 60), wie sie ihre spitzen
Ruder ins Wasser stechen oder in kräftigem Bogen
wieder emporheben. In der Mitte steht aufrecht der
Kommandant mit irgend einem alterthümlichen bi-
zarren Federschmuck auf dem Haupte, wie es früher
Sitte gewesen, und vor ihm sitzt der eifrig häm-
mernde Trommler. Die Ruderer begleiten den Takt
ihrer Arbeit mit einem kriegerischen Gesang; lustig
flattern die Fahnen im Winde, und die ganze selt-
same Erscheinung schneidet durch die Wellen, wie
ein märchenhaftes Ungetüm.« Livingstone^ und
Stanley*) erzählen Aehnliches vom mittleren Kongo,
dem Tanganyika-See und der Küste von Zanzibar.
i) Land und Volk in Afrika, S. 45.
2) Kamerun, S. 36.
3) Letzte Reise, S. 6.
4) Durch den dunkeln Welttheü II, S. 68. 282 f. Wie ich
LiviNGSTONE fand II, S. 190 f. Vgl. Kollmann, Der Nordwesten
unserer ostafrikanischen Kolonien, S. 14. 88. Hqlub a. a. O., II,
S. 152.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 187
Als Stanley's Leute auf seiner Reise zur Aufsuchung*
Livingstone's bei der Abfahrt von Udschidschi hörten,
dass es sich um Antritt des Rückwegs handelte,
waren sie troh erregt. »Sie stimmten den Freuden-
gesang der Zanzibarer Bootsleute an, welcher mit
dem begeisterten Chorgesang endigt:
Kinan de re re Kitunga.
So ruderten sie denn wie Tolle daher, bis sie
vor reiner Erschöpfung genöthigt waren, auszuruhen,
während der Schweiss stromweise an ihnen herab-
floss. Sowie sie ausgeruht hatten, machten sie sich
wieder an ihre Ruder und stimmten den Gesang der
Mrima an:
O Mama, re de mi
Ky,
der sie bald wieder zu grossen Anstrengungen an-
spornte. Durch diese energischen ruckweisen An-
strengungen, sowie durch Gesang und Gelächter,
Gestöhne und Geschrei gaben unsere schwitzenden
und keuchenden Leute ihrem freudigen Gefühl über
den Gedanken Ausdruck, dass wir heimkehrten und
dass auf der Route, die ich nach Unyanyembe er-
wählt, durchaus keine Gefahr zu fürchten sei:
Wir sind den Wahha entgangen, ha, ha!
Die Wavinza werden uns nicht mehr plagen, oh! oh!
Mionvu bekommt kein Tuch mehr von uns, hy, hy!
Und Kiala wird nimmer uns wiedersehen, he, he!
schrieen sie mit wildem Gelächter und führten dabei
wuchtige Streiche mit den Rudern, welche die alten
ungelenken Boote vom Vordersteven bis zum Spiegel
erbeben Hessen.« Die letzten Zeilen waren impro-
visiert und spielten auf Vorgänge an, die sie auf
der Hinreise mit erlebt hatten.
l88 Vierter Theil:
Improvisierter Kanoegesänge gedenken auch die
Kenner Madagaskars^) bei ihren Schilderungen des
dortigen Flussverkehrs. »Einer der Ruderer trägt
ein Recitativ vor, das sich nicht selten auf eben
erst Erlebtes bezieht und sehr oft auch zierliche
Schmeicheleien für den Europäer enthält, in dessen
Dienst sie gerade stehen. Seine Freigebigkeit, sein
Reichthum und Aehnliches wird gerühmt, und an
diese Lobeserhebungen die Frage geknüpft, ob es
nicht an dem nächsten Anhaltepunkte Rindfleisch,
Reis und andere Speisen geben werde. In regel-
mässigen Zwischenräumen fallen die andern im Chore
ein, oft nur mit einem Refrain von wenigen Worten^
wie z. B. mit dem beliebten:
He! mioi va?
O, giebt es etwas? In einem dieser Gesänge schil-
dert der Chor die Stadt Tamatave als einen Ort^
wo man viel Geld verthun könne, während das Re-
citativ alle Dörfer auf dem Wege von Tamatave
nach der Hauptstadt der Reihe nach durchgeht und
mit einer Schilderung des nördlichen Eingangs des
Palastes von Antananarivo schliesst.«
Gleiches beobachtete Jacobsen^ auf der Seefahrt
imBanda-Meer. »Die Ruderer suchten sich auf der
mehrstündigen Fahrt durch Gesang anzufeuern und
bei uns die Gebelaune zu erwecken. Irgend einer
hob z. B. an: ^Der Herr hat viel Arrak und wird
ims davon geben', worauf der Chor die Zeile wieder-
holte. Da aber der Herr keinen Arrak gab, hiess
1) J. SiiREE, Madagaskar (Leipzig i88i), S. 197 f. Keller, Die
ostafrikanischen Inseln (Berlin 1898), S. 105.
2) Reise in die Inselwelt des Banda-Meeres, S. 96 f. 180.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. jgg
es weiter: *Der Herr hat viel Tabak, er wird uns
davon geben', und so ging es fort und fort mit dem
Herzählen aller Herrlichkeiten — ein Gebrauch, der
im ganzen Archipel bis zu den Arrow-Inseln wahr-
genommen werden kann.«
Die Japaner haben auch für die Ruderlieder
einen eignen Namen (Fune-nori-uta). Ich bin in den
Stand gesetzt, zwei Proben mitzutheilen.
Nr. log.
Sumida gawa>ni wa Auf dem Sumidafluss
Ki-no ha-wo nagas'; Lass' ich Baumblätter schwimmen;
Watasha nushi yue Deinetwegen
Na-wo nagas'. Lass' ich meinen (guten) Namen schwimmen.
Oichöng! gichöng! Gichong! gichong!
Nr. HO.
Itagomashima-no Unter der Schiffsmatte
Makomo naka-ni Bei Itagomashima
Ayame saku-to wa; Blüht eine Schwertlilie;
Nikurashiyal Ist das nicht scheusslich?
Nirgends aber sind diese Gesänge so entwickelt
wie inAegypten bei den Nilschiffern, die nicht nur
für jede Arbeit, sondern fast für jedes Ereigniss in
ihrem Berufsleben eine besondere Weise haben : eine
beim Rudern, eine beim Segelwechsel, eine andere,
wenn das Boot auf den Sand gerathen ist, oder wenn
sie es ziehen müssen, und diese Lieder wechseln
noch, je nachdem es sich um Berg- und Thalfahrt,
Arbeit am Morgen, Mittag, Abend oder in der Nacht
handelt*). Sie werden von dem Rais, der auch selbst
2) VoUständigste Sammlung bei Jos. H. Cru&i, Sea Nile, the
Desert and
Nigritia: Travels in Company with Capt. Peel 1851 — 1852.
igo
Vierter Theil:
mitrudert, vorgesungen, von der Mannschaft aufge-
nommen und enden meist mit oft wiederholten Aus-
rufen. Da es richtiger schien, alle diese dem gleichen
Berufe angehörigen Gesänge in ihrer Zusammen-
gehörigkeit vorzulegen, so sind sie in den Anhang
verwiesen worden.
Zum Beweise, dass auch das moderne Europa
solcher Gesänge nicht ganz entbehrt, füge ich zum
Schluss noch folgende beiden Stücke bei.
Nr. III. (Barkarole der illyrischen Küstenschiffer. ^)
1 . Pisombo, Pisombo ! *)
Der Himmel ist hell, das Wetter ist blau,
Es wehen die Lüftchen so sanft und lau,
Der Mond erhebet sich wolkenleer.
Nicht zauset der Sturm die Segel mehr.
Pisombo, Pisombo!
2. Pisombo,
Pisombo!
Nehmt eure Ruder nur flink zur Hand,
Und rudert rüstig und rudert gewandt!
Habt ihr's zum weisslichen Schaum gebracht.
Sind wir in Ragusa noch heute Nacht.
Pisombo, Pisombo!
3. Pisombo,
Pisombo!
Zur Rechten vom Strande nur hingelenkt,
Dass uns kein böser Pirat bedrängt!
Sie haben Flinten im langen Boot
Und scharfe Säbel und machen Noth.
Pisombo, Pisombo!
London 1853, S. 307 ff. Vgl. auch Kiesewetter, Die Musik der
Araber, Taf. XX, Nr. 21 und Ratzel, Völkerkunde 11, 427.
1) Aus Gerhard, Wila H, S. 138 f.
2) »Ein Wort ohne Bedeutung. Die illyrischen Matrosen singen
es beständig, wenn sie rudern, um die Bewegung der Ruder darnach
zu richten.«
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. j g i
4. Pisombo, Pisombo!
Sind bei der Kapelle des Stephan schon;
Sankt Stephan ist unser SchifFspatron.
Sankt Stephan, send' uns günstigen Wind,
Weil wir vom Rudern ermüdet sind!
Pisombo, Pisombo!
5. Pisombo,
Pisombo!
Das schöne Schiff, wie fliegt es dahin!
Ich gab* es — so wahr ich ein Seemann bin
Nicht für die Caracke *), die Wellen staucht,
Und sieben Tage zum Wenden braucht.
Pisombo, Pisombo!
Nr. 112. (Gesang
der Kohleuschiffer auf dem Tyne. *)
As I came
thro' Sandgate ^), thro* Sandgate, thro' Sandgate,.
As I came
thro* Sandgate I heard a lassie sing:
Weel (well)
may the keel row, the keel row, the keel row,
Weel may
the keel row, that my lad is in.
He wears a
blue bonnet, a blue bonnet, a blue bonnet,
He wears a
blue bonnet, and a dimple in his chin;
And weel
may the keel row, the keel row, the keel row.
And weel may the keel row, that my lad is in. *)
Die grosse Mehrzahl der Gesänge dieser Gruppe
trägt unverkennbar ein sehr alterthümliches Gepräge ;
ja wir sind mit den ursprünglichsten derselben bis zu
1) Ein grosses Lastschiff.
2) G. Schwabe, Ztschr. f. Völkerpsychologie und Sprachwissen-
schaft, n (1862) S. 565 f.
3) So heisst eine Strasse in Newcastle.
4) >Die Keels werden wie unsere Spreekähne mittels langer Stangen
fortbewegt, gegen die sich die Keelmen mit der Brust anstemmen,,
während sie den Kahn mit den Füssen vorwärts treten. Bewegt sich
der obige Vers nicht so bedächtig dahin wie ein schwer beladener
Keel? Er bedarf gar keiner Melodie, er hat sie schon in sich.«
192 Vierter Theil:
•den einfachsten Naturlauten zurückgelangt, von denen
nach allgemeiner Annahme die menschliche Sprache
ausgegangen ist. Das hau hau der Lhoosai, das yo
ho! und ho ho! der indischen Kuli, das hu hu! ahu!
der Chinesen, das vä, sä, aye, onaaa! der Japaner,
das haha e! hihi e! der Neuseeländer, das haha,
hihi, hehe\ der schwarzen Bootsleute auf dem Tan-
ganyika, das hihi beii, hoho beii\ der Boomätscher
an der Elbe, das ai da, da\ der Burlaken an der
Wolga sind Laute, wie sie immer ynd überall die
:gepresste Brust bei rascher, schwerer Kraftaufbietung
ausstösst, sinnlos, unwillkürlich, und doch mit dem
Gefühle der Erleichterung. Sie sind zugleich das
Zeichen des Zusammenwirkens, das mit einem Ruck
•die zerstreuten Kräfte vieler schwacher Einzelnen
zur Riesengewalt zusammenrafft, und sie kehren des-
halb, wenn auch in verschiedenartigster Figuration,
als Kehrreime in den meisten Gesängen dieser Gruppe
wieder: in dem djahoe der Javanen, dem mahaha
hoho, mahaha ngo\ der indischen und dem Oi ga'wa\
•der japanischen Sänftenträger,^ in dem fröhlichen hi
hopp \ der Rammer, dem huro joley ! der Helgoländer,
dem pisofnbo\ der Dalmatier, dem eilenden gichong,
gichong\ der Ruderer in Japan, wie in dem schwer-
falligen, aus der Tiefe der Seele aufstöhnenden ei
uchnem\ der russischen Schiffszieher. Viele dieser
Laute werden sich durch Jahrhunderte hindurch fort-
gepflanzt haben wie das £?a, Bio, des Aristophanes
sich noch in dem ^a kdöa und ia fioka der heutigen
griechischen Schiffer wiederfindet.^) Manche Gesänge
dieser Gruppe sind wenig über diese Naturlaute
I) Vgl. BöCKEL a.
a. O. S. LXII.
Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. ig^
hinausgewachsen, wie z. B. die SchifFerlieder aus
Helgoland; in andern sind sie mit sinnvollen Worten
verbunden oder durch solche ersetzt, wie bei dem
hoch auf! einen drauf! der Rammergesänge; wieder
in andern sind sie nur noch als Rudimente zu er-
kennen.
Sie gleichen darin den Gesängen der vorigen
Gruppe, während die zur Einzelarbeit gesungenen
Lieder nur ganz vereinzelt ähnliche Elemente auf-
weisen. Aber von den Refrains der Gesänge zur
Wechseltakt-Arbeit unterscheiden sich diese Aus-
rufe doch auch wieder; jene schliessen sich an das
Arbeitsgeräusch an und ahmen dessen Tonfall nach,
während diese ein geordnetes Zusammenwirken Aller
ermöglichen wollen und daneben incitativen Charak-
ter zu haben scheinen. Denn die meisten dieser
Arbeiten ergeben für sich keinen Tonrhythmus, und
darum genügt z. B. den Ruderern aus Seram der
Gesang allein nicht, um Takt zu halten; es müssen
Trommel und Gong hinzukommen. Aber im Ganzen
würde man doch wohl irren, wenn man annähme,
dass in diesen Fällen die Rhythmisierung der Arbeit
lediglich durch rhythmisch gegliederte Worte und
Musik bewirkt werde; vielmehr unterstützen die-
selben bloss den durch die technischen Voraus-
setzungen der Arbeitsaufgabe gegebenen Bewegungs-
rhythmus und haben sich in der Abfolge der Töne
den gleichen Bedingungen zu fügen wie dieser.
Im Ganzen überwiegen die Gesänge mit einem
längeren sinnvollen Worttext. Der grösste Theil
dieses Textes scheint — wenigstens in den vor-
liegenden Beispielen — ein feststehender zu sein;
höchstens dass einzelne Stellen (Namen u. dgl.) nach
BÜCHER) Arbeit und Rhythmus. I3
194
Vierter Theil:
Ort und Gelegenheit geändert werden. Im Inhalt
zeigen sie eine Anzahl gemeinsamer Züge:
1. sie fordern, dem Verlauf der Arbeit folgend,
zu gleichzeitiger vereinter Kraftaufbietung auf;
2. sie suchen die Genossen durch Spott und
Tadel, durch Hinweis auf die gute Meinung der Zu-
schauer anzuspornen;
3. sie geben die Gedanken der Zusammenwir-
kenden über die Arbeit und ihren Fortgang, das
Werkzeug und das Werk wieder, äussern Freude
oder Unbehagen, Klagen über grosse Mühsal und
schlechten Lohn«
Dazwischen finden sich mancherlei andere, lyrische
und selbst epische Elemente; im Ganzen sind diese
aber doch weit spärlicher vertreten als bei den Ge-
sängen der beiden andern Gruppen. Die Sänger
werden immer wieder auf die Arbeit selbst zurück-
geführt, deren wechselnder Verlauf ihre ganze Auf-
merksamkeit verlangt und deren gedeihliches Fort-
schreiten die Zusammenfassung aller Kräfte erfordert,
während bei der Einzelarbeit und der Arbeit im
Wechseltakt die Gedanken abschweifen mögen, wenn
einmal der passende Rhythmus der Körperbewegung
erzielt ist und die Thätigkeit automatisch ihren Fort-
gang nimmt.
Ueberall, wo eine sehr grosse Zahl von Men-
schen zu gleichem Thun sich zusammenfindet, macht
sich das Bedürfniss eines geordneten, gleichmässigen
Vorgehens unabweisbar geltend, auch wenn jeder
Einzelne für sich im Stande wäre, das Ziel, das er
sich gesteckt hat, zu erreichen. Der Gesang erweist
sich hierbei als ordnende Macht, wie als ein Mittel
der Ermunterung und Erfrischung. In fast instink-
tiver Empfindung bricht er desshalb hervor, und willig
fügt sich die Masse seiner Herrschaft. Jeder strebt
sich nach seinem Takte zu bewegen, und der un-
geordnete Haufe wird damit von selbst zu einem
einheitlich handelnden Körper.
Besonders anschaulich zeigt sich dies da, wo die
Hauptarbeitsleistung in der Fortbewegung des eignen
Körpers von Ort zu Ort besteht. Ich will bei den
Marschliedern nicht verweilen. Es giebt ihrer
eine ungeheuere Zahl von den ehrwürdigen Emba-
terien der Griechen bis zu den modernsten Soldaten-
liedern. Ihre Art und Wirkung sind allgemein be-
kannt. Nur das mag hervorgehoben werden, dass
sich schon bei den Naturvölkern Taktschritt mit
13*
igö
Fünfter Theil:
Gesang ganz allgemein findet, und dass die Marsch-
lieder vielfach sehr primitive Form aufweisen. Der
Zustand der Wege bedingt dabei die Fortbewegung
im Gänsemarsch.
Massengesang giebt der Arbeit etwas Feierliches.
Der Auszug zum Kriege oder zur Jagd gleicht bei
vielen Naturvölkern einem Festzuge; ihr Taktschritt
geht oft fast unvermittelt in den Tanz über. Statt
vieler vorliegender Zeugnisse nur eine kurze Schil-
derung^): »Gesang begleitet bei den Bassutos die
meisten militärischen Bewegungen; er gilt na-
mentlich als unerlässlich für den Marsch. Gewöhn-
licher Schritt, Geschwindschritt, Lauf, Sturmlauf,
alle haben ihre eigenthümlichen Sangweisen. Wenn
die Truppen beim Vorrücken gegen den Feind durch
die Weiler ihres Stammes marschieren, machen sie vor
der Thüre der durch ihre Tapferkeit ausgezeichneten
Personen Halt und führen einen Waffentanz aus. Es
ist di«s eine Aufforderung an die Kriegstüchtigkeit
des also Geehrten, eine Einladung, sich ihnen anzu-
schliessen. Selten geht der Tanz zu Ende, ohne dass
man den Herrn der Wohnung in die Mitte des to-
benden Klreises sich stürzen sähe, vollständig bewaff-
net und seine Lanze schwingend, als ob er bereits
auf dem Schlachtfelde wäre. Ein wildes Hurrah er-
tönt von allen Seiten; dann ein tiefes Stillschweigen:
die Linien schliessen sich wieder, und der Zug geht
weiter, indem er eine ernste und schwermüthige
Melodie anstimmt.«
Bei der Jagd bildet der Auszug in das Jagd-
gebiet und die Rückkehr mit der Beute einen Haupt-
i) Casalis, Les
Bassoutos p. 351 f.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten, igy
theil der ganzen Arbeit. Beides erfolgt ebenfalls unter
Gesang oder Trommelschlag, manchmal noch mit
Betheiligung der Frauen^). Auch die letzteren haben
ihre Marschgesänge für sich, z. B. beim Tragen
von Holz, Wasserholen u. dgl. Bei den Bantustämmen
scheinen sogar die jungen Mädchen in diesen Gesängen
besonders unterrichtet zu werden^), und »es gehört
zu den charakteristischen Scenen des Zululebens, wie
die Weiber in langen Reihen und mit einförmigem
Gesang jeden Morgen und Abend nach dem um-
zäunten Platze ziehen, wo die Soldaten ihre Mahle
halten, jede einen grossen Topf Bier auf dem Kopfe*)«.
Hier ist auch der Karawanengesang der afri-
kanischen Trägerschaaren zu erwähnen. R. Böhm*)
bezeichnet eine solche Karawane als eine »endlose
im Gänsemarsch wandernde Reihe von Schwarzen, die
unter rhythmischem Gesang und mannigfachem Ge-
schrei ihre schweren mattenverpackten Lasten
durch die Wildniss schleppen«. Nach Pogge^) besteht
dieser Gesang darin, »dass einer der Träger sehr rasch
und unverständlich einige Worte ausstösst, worauf
die ganze Trägerkolonne im Chor einstimmt.« Der
Eindruck, den er hervorruft, ist oft von den Reisen-
den geschildert worden^).
Auch bei uns haben sich merkwürdige Reste
1) BüRTON und Speke, Exped. (von Andree), S. 335. 359-
2) HOLUB,
a. a. O. I, S. 483.
3) Ratzel, Völkerkunde II, S. 123; vgl. auch S. 64.
4) Von Sansibar zum Tanganyika, S. 19.
5) Im Reiche des Muata Jamwo, S. 14. 64. 77. 127.
6) Stanley, Durch den dunkeln Welttbeil II, S. 103. A. v. T.
in der »Tägl. Rundschau« vom 26. Jan. 1897, S. 94. Kallenberg
a. a. O. S. 56. 197. BuRTON und Speke a. a. O., S. 178. 218.
Iq8 Fünfter Theil:
alter Wanderlieder erhalten. Das merkwürdigste ist
wohl das Auswanderungslied der Niederländer,
das vermuthlich auf die Zeiten zurückgeht, als sie
die slavischen Gebiete im Osten besiedelten, aber
noch heute in Holland bei Dienstbotenumzügen ge-
sungen wird:
Naer Oostland willen wy ryden,
Naer
Oostland willen wy mee,
AI over die groene Heiden,
Daer isser een betere stee. ^"i
Hierher gehören weiter die zahlreichen Wander-
lieder der Handwerksburschen und der fahrenden
Leute überhaupt^, namentlich aber die alten Wall-
fahrts- und Prozessionslieder^). Unter beiden
Gruppen sind wahre Perlen volksthümlicher Dich-
tung und ergreifend einfacher Sangesweise.
Zeigen diese Beispiele, wie der Gesang Menschen-
massen, die sich zufallig und vorübergehend in einem
gemeinsamen Wegeziele zusammengefunden haben,
bei Erreichung desselben fördert, so muss dies noch
in viel höherem Masse der Fall sein, wo eine sociale
Pflicht sie bei einer wirklichen Arbeit vereint auf-
treten lässt. Eine solche Pflicht entspringt bei einer
sehr grossen Zahl von Völkern aus dem Verhältniss
der Dorfnachbarschaft. Bei Feldarbeiten, beim Haus-
bau und gewissen häuslichen Verrichtungen, die keinen
Aufschub erleiden, werden freiwillige Hilfskräfte zur
i) BÖHME, Altdeutsches Liederbuch Nr. i86.
2) BÖHME a. a. O. Nr. 252 — 266. Erk und Böhme, Liederhort,
Nr. 1592 — 1614.
3) BÖHME, Altdeutsches Liederbuch Nr. 568 — 570. 573 — 580.
Erk und Böhme, Nr. 2019. 2075 fF. 2082. 2087. 2091. Hauffen,
Die Sprachinsel Gottschee, S. 197 f.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. igg
Unterstützung von den Nachbarn erbeten; an die
Arbeit schliesst sich in der Regel eine festliche Be-
wirthung im Hause des »Arbeitgebers« an^). Beruht
diese Bittarbeit bei den gewöhnlichen Dorfgenossen
auf Gegenseitigkeit, so wird sie dem Häuptlinge
gegenüber leicht zum Dienste oder zur Frohnde,
wie sie ähnlich von ihm auch für öffentliche Lei-
stungen in Anspruch genommen wird. Ohnehin ist
es einleuchtend, dass von den reicheren Dorfgenossen
bei jenen freiwilligen Arbeitsgemeinschaften mehr
empfangen als geleistet wird, und dass bei ein-
getretener Ungleichheit des Grundeigenthums daraus
leicht auch diesen gegenüber eine Frohnpflicht ent-
springen kann.
Wie dem sei, sicherer und wichtiger für unsere
Untersuchung ist, dass in vielen Ländern, wo wir
der Einrichtung der Bitt- und Frohnarbeit begegnen,
dem Gesänge eine Rolle zuertheilt ist, die unser
höchstes Erstaunen hervorruft. Wir sehen da selbst
solche Arbeiten, namentlich bei der Feldbestellung
und Ernte, aber auch beim Haus- und Festungsbau,
unter dem Einflüsse des Gesanges oder sonstiger mu-
sikalischer Begleitung sich taktmässig gestalten, bei
denen wir es technisch kaum für möglich halten.
Es wird zweckmässig sein, zunächst die Zeugnisse
dafür zusammenzustellen. Da es sich um eine erste
Sammlung handelt, so wird es genügen, den Stoff
nach ethnographischen Gesichtspunkten zu ordnen,
dabei aber auch den noch wenig bekannten Sitten
der Bittarbeit einige Beachtung zu schenken.
i) Mehr darüber in meiner Entstehung der Volkswirthschaft,
S. 258 ff.
200 Fünfter Theil:
I. Afrikanische Völker.
»Die Bassutos versammeln sich jedes Jahr, um
die Felder, welche für den persönlichen Unterhalt
ihres Häuptlings und seiner Hauptfrau bestimmt sind,
umzugraben und zu säen. Es ist ein merkwürdiger
Anblick, wenn bei dieser Gelegenheit Hunderte von
Schwarzen in schnurgerader Linie ihre Hacken mit
vollkommener Regelmässigkeit zugleich heben und
senken. Die Luft erschallt von Gesängen, welche
die Arbeiter unterstützen und sie befähigen sollen,
Takt zu halten. Der Häuptling macht sich's ge-
wöhnlich zur Pflicht, dabei gegenwärtig zu sein, und
sorgt dafür, dass einige fette Ochsen für die Arbeiter
geschlachtet und zubereitet werden. Alle Klassen
wenden das gleiche Verfahren an, um ihre Arbeiten
zu erleichtern und zu beschleunigen; nur beruht das-
selbe bei den gewöhnlichen Leuten auf Gegenseitig-
keit^).«
Die den Bassutos verwandten Sotho-Neger
haben die gleiche Einrichtung-). »Häuptlinge oder
reiche Leute bestellen ein Aufgebot von Ackerleuten,
welche in Reih und Glied hacken und säen. Zum
Tanze wird im Chore gesungen; ebenso bei den
im Takte ausgeführten Arbeiten« (vgl. S. 47). Der
Berichterstatter theilt zwei dieser Gesänge mit, von
denen der erste beim Umhacken des Ackers, der
zweite beim Bau eines Vorhofs für den Häuptling
gesungen wird.
1) Casalis a. a. O. p. 171; dazu die Illustration. Letztere auch
bei G. Gerland, Atlas der Ethnographie (Leipzig 1876), Taf. 22 Nr. 25,
2) Mittheilungen des Missionars K. Endemamn in d. Ztsch. f.
Ethnologie VI (1874), S. 27. 30. 61. 63.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 201
Nr. 113. (Beim Hacken.)
Ma inama, inaraa! Bücke dich, bücke dich!
O^! ö a inamalo;i;a; O, er (sie) richtet sich auf;
Mmaa;i;oe ke mol6i oa thuri. Seine (ihre) Mutter ist eine Hexe»
Nr. 114. (Baugesang.)
A ee ea ee ea ^e ^e, ea. ee ee, ea ee, a ee,
Ea ee ee, ea ee ^e,
Ea ee ee, ea ee
?e;
Ma. laku a
k;|^oro, €, re a;|rela k;|fOsi
Re a;i;ela
k;|;osi u. s. w.
Uebersetzung:
Stangen des Hofs, ja, wir bau*n für den Häuptling;
Wir bau'n für den Häuptling u. s. w. .
Auch die Zubereitung der Häute wird bei den
Bantustämmen durch freiwillige Arbeitsgemeinschaf-
ten besorgt. Ueber das dabei geübte Verfahren
liegen mehrere ausführliche Beschreibungen vor^).
Ich setze die lustige Schilderung des französischen
Missionars Casalis hierher: »Ein ungewöhnlicher Lärm
ruft uns in das Dorf zurück ; es ist ein vielstimmiges
Grunzen und Glucksen, vermischt mit schrillen
Schreien, deren Misstöne einem vollkommenen Rhyth«
mus untergeordnet sind. Man meint einen Chor von
Bären, Wildschweinen und Affen zu hören. Dieser
ganze Heidenlärm hat zum Mittelpunkt eine Ochsen«
haut, welche weich genug gemacht werden soll, um sich
dem Körper eines Zweifüsslers anzuschmiegen. Ein
Dutzend Männer in hockender Stellung fassen sie
bald hier, bald da an, reiben sie zwischen ihren
I) Endemann a. a. O., S. 26. — Holub, Sieben Jahre in Süd-
afrika n, S. 378. — Casalis, S. 140 ff. Vgl. auch oben 8.47»
Anm. 2.
202 Fünfter Theil:
Händen, quetschen, kneten sie mit solcher Schnellig-
keit, theilen ihr so seltsame Bewegungen mit, dass
sie sich unter der Misshandlung, die ihr widerfahrt,
zu beleben scheint. Jede Kraftäusserung, jede Dreh-
ung ist begleitet von einem jener seltsamen Töne,
von denen wir uns keine Rechenschaft geben können ;
jß mehr das* Werk vorschreitet, um so mehr nehmen
sie an Kraft und Schnelligkeit zu : bald steigern sie
sich zu wahrer Raserei. Der Lärm, die hinreissende
Gewalt des Rhythmus scheinen den Arbeitern den
Verstand zu benehmen; die Einen drücken ihrem
Rücken die anmuthigen Bewegungen der Gazelle
auf, andere stürzen sich mit der Wuth des Löwen
auf ihre Beute, noch andere ergötzen sich mit den
Enden der Haut wie die Katze mit einer Maus.
Plötzlich hört der Lärm auf; der Mantel ist so weich
wie ein Handschuh; man trägt ihn mit einem Tri-
umphgeschrei davon, und die Lärmmacher stärken
sich an einigen Krügen Bier, der einzigen Belohnung,
welche sie erwarten.«
Man denkt sich nichts Sonderliches dabei, wenn
man bei Pausanias liest, dass Messene unter böo-
tischem und argivischem Flötenspiele erbaut und be-
festigt worden sei, oder wenn Plutarch erzählt, dass
Lysander die Mauern von Athen unter Musikbeglei-
tung habe niederreissen lassen. In vorgeschritteneren
Theilen Afrikas herrscht nun aber heute noch die
gleiche Sitte, speziell im westlichen Sudan. Ein
Reisender^) erzählt: »Die Städte und Niederlassungen,
welche wir auf unserem Wege passierten, waren zum
Schutze gegen äussere Feinde mit Wall und Graben
i) StaüDINGER, Im Herzen der Haussaländer, S. 238.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 203
umgeben. Die Mauern befanden sich meist in gutem
Zustande. Wo dies nicht der Fall war, arbeiteten Freie
und Sklaven unter dem belebenden Schalle der
Trommel und Aufsicht mehrerer Grossen an der
Ausbesserung der Schäden.« Ein anderer^) berichtet:
»Vor dem Hause des Kaiga-ma war grosse Musik,
um die Leute anzufeuern, die an der Stadtmauer
arbeiteten, welche der Sultan beträchtlich erhöhen
liess. Die Musik bestand aus zwei Arten Harfen
mit fünf Saiten, die mit den Händen gegriffen wurden,
aus zwei langen hölzernen Trompeten, die abwechselnd
geblasen wurden, aus einer kleinen, mit Leder über-
zogenen Kürbisschale, in welcher kleine Steinchen
waren, endlich aus einer grossen Trommel. Man
kann sich denken, welche Musik aus diesen Instru-
menten in ihrem Zusammenwirken hervorging. Ein
Greis sass daneben und begleitete diesen Höllenlärm
mit einem Liede.«
Die Franzosen haben sich beim Bau der Eisen-
bahn, welche den Senegal mit dem Niger verbinden
soll, diese Sitte nutzbar gemacht, indem sie den
schwarzen Eingeborenen, die sie bei den Erdarbeiten
beschäftigen, eine Bande ihrer heimischen Spielleute
beigeben, die durch ihre Musik und ihren Gesang
die grabenden und schaufelnden Landsleute zu unter-
halten haben. Die letzteren sollen, wenn man dem
Berichterstatter einer Pariser illustrierten Zeitung^)
glauben darf, mit derselben feurigen Phantasie, mit
der sie früher die Räubereien und Blutthaten ihres
i) G. ROHLFS in Petermann's Mitth.., Erg.-Heft 34, S. 15.
2) L*niustration Nr. 2929 (15. April 1899), S. 236 f., mit Ab-
bildung, auf der zwei Männer mit Saiteninstrumenten und einer mit
der Flöte zu sehen sind.
204
Fünfter TheU:
Häuptlings Samory besangen, jetzt die Lokomotive,
den Schienenweg und die wunderbare Schnelligkeit
des modernen Verkehrs preisen.
2. Chinesen und andere Ostasiaten.
Den zuletzt erwähnten Gebrauch hatten auch
die Chinesen und übten ihn bei ihren Staatsfrohnden
in grosser Ausdehnung. A. Conrady theilt mir da-
rüber folgendes mit: »Die Chinesen, die sich über-
haupt des Werthes rhythmischer Begleitung der Arbeit
wohl bewusst waren, gebrauchten schon in sehr
alter Zeit die Trommel oder Pauke (und zwar eine
besondere Art von 12 Fuss Länge, die Kaö-kü), um
die staatlichen Frohnarbeiten zu regulieren, zu
denen u. A. die grossen Jagden, der Deich-, Stadt-
mauer- und Palastbau gehörten. Der älteste Beleg
dafür ist wohl eine Vorschrift des Ritualbuches
Cen-li (vom Ende des 12. Jahrh. v. Chr.)^); sie lautet:
i kaö-kü kü yik-ssi* »mit der Kaö-ku feuert man
die Frohnarbeiten an.« Sie wird zwar nur auf die
Jagdfrohnden bezogen^), aber wohl irrthümlich; denn
mehrere andere Zeugnisse beweisen, dass man sie
bei allen Frohnarbeiten angewendet hat. So sagt
dasSung-shu (5. Jahr. n. Chr.)^) geradezu: »Bei allen
strategischen Unternehmungen und Frohnarbeiten
schlägt man sie (die kaö-kü); heutzutage nennt man
das hiä-kao«, und ein Beispiel ihres Gebrauches
bei den Baufrohnden giebt folgende Strophe aus
1) Ceu-li K. III
fol. 32*.
2) In einem mir nicht zugänglichen Commentar, dem £. Biox,
Le Tcheou-li I,
265 folgt.
3) Nach dem Pei-wen-yün-fu s. v. kaö, hiä-kaö.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 205
einem ebenfalls noch vom Ende des 12. vorchristlichen
Jahrhunderts stammenden Liede des Shi-king^), die
zugleich ein anschauliches Bild des Treibens bei einem
Palastbau giebt:
kiü ci ztng-zlng, )>Lehm schleppten ganze Scharen her,
tok ci kuäng-kuäng, und warfen ein und lärmten sehr,
cuk ci teng-teng, und stampften fest, wie Der so Der,
siok ci p'6ng-p*6ng, und putzten glatt die Kreuz und Quer,
pek tu kiäi hing, Manch* Hundert Wand* erstand umher,
kaö-kü fut sing. Die Grosspauk* überklang's nicht mehr. *)
Bei diesen Frohnarbeiten scheint man auch ge-
sungen zu haben. Eigentliche Taktlieder sind mir
allerdings nicht bekannt; aber man darf wohl die
beiden folgenden Lieder hierherziehen , die das
Tso-öuen überliefert hat^). Sie sind von Arbeitern
1) III, I,
in, 6 (v. Strauss, Shi-king S. 396).
2) Wörtlich: >Sie brachten die Erde in Körben alle; sie warfen
sie in die Rahmen unter Rufen; sie stampften sie teng-teng; die
Mauer klang p*£ng-p'dng (wenn man daran klopfte, um sie auf ihre
Festigkeit zu prüfen); fünftausend Ellen (Mauer) stiegen gleichzeitig
empor, (sodass) die kaö-kü nicht übertönen konnte^: (das Geräusch der
emsig und freudig Arbeitenden). — Die Commentare citieren dazu
jene Stelle aus dem Ceu-li, und einer bemerkt (mit charakteristischer
Umkehrung des Sachverhalts): ^Die Leute des Alterthums wollten
nicht, dass das Volk bei den Frohnarbeiten zu hastig und eifrig sei;
deshalb gebrauchten sie die grosse Trommel (kaö-kü), um grössere
Langsamkeit zu erzielen«, und ein Anderer: »Durch die Frohnarbeiten
strengte man das Volk an; deshalb wollte man seine Arbeit ver-
langsamen, indem man sie (taktmässig) regulierte.« Immerhin kommen
aber beide darauf hinaus, dass die Trommel dazu da war, den Takt
der Arbeit anzugeben, wie sie das nach der Vorschrift des Ceu-li
{K. III fol. 31a), auch bei der Musik zu thun hatte.
3) J. Legge,
Chin. Class. V, i, 289;
V, 2, 475 u. IV, 1, Proleg.
20, 21.
2o6 Fünfter
Theil:
an Staatsbauten gesungen worden und offenbar Im-
provisationen.
Das erste stammt vom J. 745 v. Chr. und ver-
spottet den Feldherm Hoa Yuen, der aus einer ver-
lorenen Schlacht wohlbehalten zurückgekehrt war und
dann die Oberaufsicht über ihre Arbeit hatte. Es lautet :
Nr. 115.
C*ing-c^ ngeu yuet: Die Bauleute sangen;
Hän k'l muk, Mit glotzenden Augen
pö k'i fuk, und dickem Bauch,
k'i kiap li' fuk. aber ohne sein Büffelkoller kam er zurück.
iü säi, iü säi, Seinen Bart hat er noch, seinen Bart hat er noch,
k'i kiap fuk läi! aber sein Koller wegwarf er doch!
Hoa Yuen antwortete:
Ni^n tsek yhu p*i, Die Ochsen haben Felle,
sT-ssi* sang to, Rhinocerosse giebt's noch viel,
k'i kiap tsek nö? was schadet*s denn, dass ich mein Koller wegwarf ?
Yik-zin yuet: Einer der Frohnarbeiter sagte:
Ts'üng k'i yeü p'i, Mögen sie auch noch Felle haben,
tan ts'it "ok-hö? aber wo ist die rote Bemalung?
Das zweite Lied, vom J. 633 v. Chr., ist eine
Beschwerde der Arbeiter, dass sie gegen das Herkom-
men in der Zeit ihrer Feldarbeiten bei einem Thurmbau
frohnen müssen; der Mann, von dem sie Hülfe er-
warten, ist ein Beamter, der dem Fürsten von dieser
Anordnung abgerathen hatte.
Nr. 116.
Tsik-men ci sik Der Weisse am Tsih-Thor
sit hing Dgö yik; Legt' auf uns diese Frohn!
yip-cüng ci k'im Der Schwarze am Markte,
sit wei ngö sim. Der brächt' uns davon.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 207
Auch bei Feldarbeiten, die in Gemeinschaft aus-
geführt werden, ist der Arbeitsgesang aus Ostasien
mehrfach bezeugt. Im westlichen China sah ein
neuerer Reisender^) »auf den Paddyfeldern häufig
zwanzig und mehr Männer und Knaben in einer
Reihe vorrücken, fast knietief in Schlamm und Wasser,,
indem sie mit ihren Zehen das Unkraut von den
Wurzeln der jungen Schösslinge entfernten und die
letzteren in den Grund festtraten. Ein rauschender
Chorgesang begleitete unablässig diese Arbeit.« Die
Tibetaner haben eine besondere Art von Volks-
gesang, die sieThongskad oder Pfluggesang nennen.
»Er wird besonders bei Feldarbeiten ausgeführt.
Doch kommt er auch beim Tragen von Lasten zur
Verwendung, und hat auch, je nach der Arbeit, ver-
schiedene Benennungen. So z. B. heisst er auch
Slaso, Erleichterung. Da die Ausführenden fast
immer ganz ungebildete Leute sind, kann man von
ihren Improvisationen nicht viel erwarten, und in
der That zeigen die Verse, wenn der Melodie ent-
kleidet, nicht die geringste Spur von Kunstleistung.
.... Der Thongskad wie der Slaso werden nur selten
von einem Einzelnen zur Ausführung gebracht ; fast
immer betheiligen sich zwei Leute oder zwei Gruppen
von Leuten am Gesang, und ein Wechselgesang tritt
in die Erscheinung. Aus dem folgenden Beispiel,
welches. eine der gewöhnlichsten Thongskad-Melodien
enthält, ist klar ersichtlich, dass darin die ersten
Versuche zu einer künstlerischen Formierung der
i)
Alexander Hosie, Three years in western China (London
1 890), S.
1 65 f. ; vgl. Bridgman im Journal of the North China branch
of the
Royal Asiatic Society, III (1859), p. 285.
:2o8
Fünfter Theil:
Musik hervortreten. Es ist die erste grobe Anwen-
dung vom Kontrapunkte. Man kennt ja hier, wie
^s auch im älteren Europa der Fall war, keine andere
Begleitung volksthümlicher Weisen, als dcis Aushalten
¦des tiefen Grundtones oder Accords. Man denke
nur an den Dudelsack und die Begleitsaiten indischer
Instrumente. Um nun diesen Grund- oder Begleitton
zu schaffen, hielt immer einer der Sänger den End-
ton seiner Zeile aus, während sein Kamerad neu
einsetzte.«^)
Nr. 117.
Erster Sänger.
^^
f=^
-?5?-
Gek*, mein Ochs, und spu - te
dich;
1
y:
^
jtzt
• —
Zweiter Sänger.
i
igt
es
¦yy
:s
bist ja so lang in den Ber-
hast von den schön sten Bln-men
gezehrt !
Vi.
B
u
Si
^m
22:
-Tg-
]
gen
gewesen, bist du denn nicht stark geworden ?
Geh*, mein Ochs, und spute dich!
Bist ja so lang in den Bergen gewesen,
Hast Tag für Tag von den schönsten Blumen gezehrt;
Bist du denn nicht stark geworden?
Komm, vorwärts nun!
Du bist ja doch wie des Tigers Kind;
Dem Löwen gleichst du an Kraft;
Zieh' doch den leichten Pflug!
I) H. Franke im »Globus« Bd. LXXV, S. 238 ff. Vgl. unten
Nr, 142.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 20Q
Diese Strophe enthält nach der Aussage des
Herausgebers die Grundgedanken, welche in den
meisten »Pfluggesängen« wiederkehren und in die
sich die Improvisationen einfügen.
In Kaschmir wird das Setzen der Safran-Zwiebel
»imter langgezogenen melancholischen, aber nicht un-
schönen Gesängen« vollzogen^), und auch bei den
indischen Bergstämmen an der Grenze Barma's
werden die meisten Arbeiten in der bei ihnen üb-
lichen Waldfeldwirthschaft (joom) mit Gesang be-
gleitet^. Endlich beobachtete Jacobsen*) auf der
Banda-Insel Kissar die Art, wie die Eingeborenen
den schwarzen Boden für die Bestellung vorbereiteten.
»Wir sahen sie in langen Reihen neben einander
stehen und hörten weithin ihren Gesang. Sobald
das Stichwort fiel, wendeten sie mit einem höchst
dürftigen Pfahl, der unserm Brecheisen ähnelt, die
Erde um, gewiss eine mühselige Art von Pflügen.
Ein Aufseher schien diese Frohnarbeit zu leiten.
Die Leute waren nur mit einem Schamgurt und
einem schlechten Hute bekleidet. Ersteres Kleidungs-
stück hatte aber auch, wie uns gesagt wurde, den
Zweck, durch feste Schnürung das Hungergefühl zu
dämpfen — eine sinnige Massregel, die Arbeitszeit
nicht durch Frühstückspausen zu verkürzen. Allent-
halben hallte das monotone Singen über die Felder.«
i) Ehlers, An indischen Fürstenhöfen (Berlin 1894), I, S. 128.
2) Lewin,
Wild races of South -eastem India, p. 31 ff. 123 ff.
188. Freiwillige Arbeitsgemeinschaft bei der Ernte: S. 145 f. 204 f.
Frohnden für den Dorfvorsteher: S. 252.
3) Reise in die Inselwelt des Banda - Meeres , S. 117 f. — Auf
Bomeo geschieht der Hausbau durch Bittarbeit mit Gongbegleitung:
Journal of the Anthropological Institute of Gr. Br. XXIII, S. 161.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 14
^lO Fünfter Theil:
3. Georgien
Viel tiefer als die dürftigen Notizen der Reisenden
führen uns in diese Dinge ein die Mittheilungen eines
meiner Hörer, Herrn stud. cam. Ph. Gogitschayschwili,
der in seiner Heimat sie selbst erlebt und seine
Beobachtungen noch durch Anfragen bei seinen Lands^
leuten ergänzt hat. Sie beziehen sich auf Georgien,
wo noch heute die Bittarbeit sehr häufig vorkommt.
»Letztere besteht darin, dass sich auf Einladung die
näheren und entfernteren Nachbarn vereinigen und
die nöthigen Arbeiten für den, der sie eingeladen
hat, unentgeltlich verrichten. Besonders sind es solche
Arbeiten, welche keinen Aufschub dulden, z. B. die
Weinlese, das Säen des Mais, das Reinigen des-
selben von Unkraut durch Hacken, das Einernten
des Mais und das Schälen der Kolben, das Säen
und Schneiden des Walzens, das Fällen des Holzes
und die Abfuhr desselben aus dem Walde. Der
Wirth, für den die Arbeit verrichtet wird, giebt den
Helfern zweimal des Tages ein warmes Essen, das
von den Frauen auf das Feld gebracht wird: Vor-
mittags gegen 11 und Nachmittags zwischen 3 imd
4 Uhr. Mit dem Untergange der Sonne wird die Arbeit
eingestellt, und man zieht unter Gesang nach dem
Hause des Wirthes, wo noch ein gemeinsames Abend-
essen eingenommen wird. Dass der Gastgeber schon
aus Furcht vor übler Nachrede bestrebt ist, dabei
sein Bestes zu leisten, braucht kaum hervorgehoben
zu werden. Wein wird zwar zu jeder Mahlzeit ge-
trunken; aber Völlerei kommt bei diesen Gelegen-
heiten nur höchst selten vor. Nach dem Abend-
essen gehen die Helfer mit ihren Hacken, oder was
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenbalten. 2 1 1
sie sonst an Arbeitsgerät haben, in ihre Häuser
heim.«
»Die Arbeiten auf dem Felde werden in der
Regel unter Gesang ausgeführt; ja es giebt einige
Verrichtungen, mit denen der Gesang immer ver-
bunden ist. Dazu gehört vor allem das Hacken
des Mais. In ganz Westgeorgien (Imerethi) wird
vorzugsweise Mais gebaut. Er wird zweimal in ver-
schiedenen Zeiträumen vom Unkraut gereinigt. Die
Bittarbeit nennt man georgisch Nadi xmd den
Gesang, der bei derselben (besonders aber bei der
Hackarbeit auf den Maisfeldern) gesungen wird,
Naduri. Naduri wird sehr laut und kräftig ge-
sungen, sodass man ihn sehr weit hören kann. Der
französische Reisende Gamba, der in den zwanziger
Jahren dieses Jahrhunderts Georgien bereist hat,
fragt erstaunt, wie die Lungen dieser Leute einen
solchen Gesang und dazu eine so schwere Arbeit
so lange Zeit aushalten könnten. ^) Der ganze Gesang
besteht aus sinnlosen Ausrufen wie »io opa, opapa
opa, io opa, io
io, opa io«; ein eigentlicher Lieder-
text ist dabei gewöhnlich nicht vorhanden. Man
fangt in der Regel mit einem langsamen Tempo an,
sodass der Gesang^rhythmus mit der Bewegung der
Hacken bei gewöhnlicher Kraftanstrengung über-
einstimmt. Aber je weiter man kommt, um so
I) Voyage dans la
Russie m^dionale (Pam 1826) I, p. 287;
A r^oqne de la
moisson et de la vendange, leurs filles et Icnn
femmes xivalisent
avec les hommes d'ardeur ponr le travail, et ce
travail est
toujours anim^ par nn cliant et des cris qui les ezcitent
les uns les
autres. J'ai 6te t6moin de leur Emulation et j'ai eu de
la peine ä
concevoir comment lenr corps, et surtout leur poitrine,
ne se
ressentoient pas d'une double fatigue si longtemps prolong^e.
14*
212 Fünfter Theil:
schneller wird der Gesang und zugleich um so
lebendiger und rascher die Arbeit. Die letztere
ist ziemlich anstrengend; aber die Arbeiter merken
während des Gesangs keine Müdigkeit. Ich habe
bestimmt beobachtet, dass am Ende des Gesangs
viel rascher gearbeitet wird, als am Anfang. Freilich
ist es unmöglich, eine solche Anstrengung lange
Zeit auszuhalten, und wenn der Gesang die höchste
Schnelligkeit erreicht hat, hört er auf. Es folgt
eine bald kürzere, bald längere Pause, während
welcher mit gewöhnlicher Schnelligkeit gearbeitet
wird, oder vielleicht etwas langsamer als gewöhnlich,
bis der Gesang von neuem anhebt.«
Von den drei nachfolgenden beim Maishacken
üblichen Naduri versucht der erste den ganzen Verlauf
des Gesangs und damit der Arbeit zu veranschau-
lichen. Die gesamte Arbeitsgesellschaft hat man
sich für den Gesang in zwei Gruppen oder Chöre
getheilt zu denken. Zuerst singt die erste Gruppe
dreistimmig eine Zeile (A), jede Stimme mit ver-
schiedener Artikulation. Dann wiederholt die andere
Gruppe diese Zeile in der gleichen Weise. Hierauf
singt etwas rascher der erste Theil der Sänger die
zweite Zeile (B) mit neuer Artikulation für jede
Stimme; nachher der zweite Theil dasselbe, und so
die fünf Zeilen (A — E) hindurch, die ebenso viele
Schnelligkeitsgrade der Arbeit bezeichnen. Nun wird
im allgemeinen Chor gesimgen, entweder die Arti-
kulation E oder die kleine Liedstrophe, worauf noch
drei Doppelzeilen (F — H) mit blosser Artikulation
von je einem Halbchor vorgetragen werden.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 213
A^ n.
ni.
Nr. 118.
(Imerethi, speciell in Guria.)
Erster Halbchor:
I. Stimme: Hoaa, oaa, ioa, haa, hooa!
O, io, io, io,
io, io, io!
»
»
Jo, o o o o o, io
o o o o o!
B
Wiederholt vom zweiten Halbchor.
I. Stimme: Oü,
oa, ha, ha, ha, hoa!
n. „ Jo, io, io,
io, io, io, io, io!
im. „ Joo, ioo,
100, ioo, ioo, ioö!
D
I. Stimme: £i,
oaa, hoaa, hoa!
n. „ Jo, io, io,
io, io!
m. „ Jooo,
iooo, iooo!
I. Stimme:
He, he, he, heaa, 000!
n. „ Jo, io, io,
io, io, io!
III. „ Jo, 00. 000000!
Alle zusammen:
I. Stimme: Odilei, oida, odilei oida!
E^k II. „ Jo, io,
io, uo, io, uo!
m. „ Jo, .io, io,
io, io, io !
Statt der Artikulation singt auch wohl die
IL Stimme im Falsett folgende Strophe, während die
andern beiden Stimmen ihr Jodeln fortsetzen:
Aba, Nado,
mogwechmare!
Da mouswith
thochi tschkhara!
Napirebi
gawitanoth,
Thorem msei
gadiara.
Wohlauf, Nadi, hilf uns!
Rührt die Hacken schnell!
Machen wir die Furchen fertig,
Sonne sinkt sonst schnell hinab.
I. Stimme: Ei, oa, aai, 000, ioo, eio, ioopa!
II. „ Obaw
delaw, obaw delaw, obaw delaw!
IIl. „ O,
000000000...
Schneller :
I. Stimme: Jo,
io, io, io, io, io, io, io, io, io!
G^ II. „ Jo, io,
io, io, io, io, io, io, io, io!
III. ,, Oooooooooo!
214
Fünfter Theil:
Sehr schnell:
I. Stimme: Jo,
io, opa, io, io, io, io, io, io» io, io !
II. ff Opa, opa,
io, opa, nela^), nela, nelal
III. „
Oooooooooooooo!
it
1.
Stiipxne.
2. Stimme.
Nr. iig. (Kharthli und Kachethi.)
Langsam.
(2. Stimme beginnt.)
y*' f, r fit. ^' t- r
3. Stimme.
Wthoch-nofh da wthoch-noth- ssi • min - di,
Ha-cken, ha • cken wir den Mais,
^^
(i. Stimme.)
jjj|^j'jjj-j|
mer-me ka - nis
mkaz mo- wa - o.
Später kommt des Ma-hens Stunde.
he
ri - la - Io -
m
¦^-
he,
he
wthoch-noth
- ssi -min-di,
|JilL_- L
*
^
Wthoch-noth da wthoch-noth ssi-min-dida
Ha - cken, ha - cken wir den Mais,
a
f^^-f -4^ i^Li=J
wa - la - la • li
wthoch-noth ssi - min - di
I) langsam!
Die Anwendung des ArbeiUgesanges zum Zusammenhalten. 2 1 5
i-1
i?-£/lf p~y^
^fe
mer-me ka - nis
mkazmo-wa- o. mer-me ka - nis
Spä - ter kommt des Mä • hens Stnn-de.
m
^^
m
t=^
-I — U—l
ho
wa • la - la • li
j t ^- ^_
;? ;j I i. ^_ m
s
mkaz mo - wa -o
he-ris-ha-ru-la
lo, bi-tscho-
Bur-sche
'M r f f_f.
m
X
(2. Stimme.)
fe^
ho
wa
fc^^ r c r f I f^
^
(lebhaft.)
ra - la - li '
tha - ru - le - da ha - ri la - lo
"74 . l V -^
5
I
^^
ä
^rs
I
wai - wa-ra - lo
- ho !
^
' " ¦
j
e^
¦Ä»-
v^
2 1 6 Fünfter TheU :
Nr. I20. (Kachethi. *)
1. Ssimindsa thochna dawuzkoth,
Erthchmatli dawdsachoth muschuri,
Egeb maschin dagwawizkdes,
Rom glechni warth ubeduri.
BitschebOy waris warale waralali araleo!
2. Marto tschwenthwis ar wmuscliaobth,
S'chwissiz gwmarthebs ssamsachuri,
Batoni gwkaws, warth ssazkali,
Upatrono,
ubeduri! etc.
3. Kwela thawschi gwitschatschunebs,
Garesche da
schinauri;
Zchelsa mizas
uchwad albobs
Ophli tschwengan monazuri etc.
4. Tschwenis dschaphith monakwani
S'chwasthan midis ssasrdo puri.
Schin zolschwils schimschili gwiklaws,
Magram win miugdos kuri? etc.
5. Mathsa Ssasrdos s'chwa itazebs,
Stiris zoli
medsudsuri,
Schimschilisgan rdse uschreba,
Dtziwis schwili
ussussuri! etc.
Uebersetzung.
1. Rein'gen wir den Mais von Unkraut,
Singen all das Lied der Arbeit!
Dann vielleicht wir auch vergessen,
Dass wir sind armsel'ge Bauern.
Burschen! waris warale wai*alali araleo;
2. Nicht für uns nur sind wir thätig,
Andern sind wir Dienste Schuldig!
I) Das Lied findet sich auch in einer georgischen Liedersamm«
lung, die unter dem Titel Ssalamuri (Flöte) mit Noten von S. J. TsCHCHlK-
Wadse, Tiflis 1896, erschienen ist (Nr. 26).
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenbalten. 2 1 7
Herren baben wir, wir Armen,
Wir sind elend und unglücklieb. etc.
3. Jedermann scblägt auf den Kopf uns,
Der Einbeim'scbe wie der Fremde;
Unser Scbweiss erweicbt die Erde,
Heiss uns von der Stime tropfend, etc.
4. Unsrer Hände Werk, der Waizen,
Unsre Nabrung gebt zu Andern.
Weib und Kind zu Hause bungem;
Aber wer soll für sie sorgen? etc.
5. Ibre Nabrung nimmt ein Andrer;
Tbränen weint die junge Mutter;
Ibre Brust versiegt vom Hunger,
Und es scbreit der scbwacbe Säugling, etc.
Dieser ergreifende Gesang stammt ohne Zweifel
noch aus der Zeit der Leibeigenschaft. Auf die
heutige Bittarbeit passt er nicht, scheint aber noch
immer dabei gesungen zu werden — ein Beweis, dass
in den Augen des Volkes sich äusserlich die Frohn-
arbeit von der nachbarlichen Hilfeleistung wenig
unterscheidet. Aus derselben Zeit scheinen zwei
kleinere Naduri erhalten zu sein, die keiner be-
stimmten Arbeitsart zugeschrieben werden und die
ich hier anschliesse. Beide kommen aus Ostgeorgien. ^)
Der erste ist ein gewöhnlicher Stossseufzer ; sein
Schwerpunkt liegt im Refrain. Der zweite schildert,
wie der Arme glaubt, dass der Reiche über ihn
denke. Mais essen in Ostgeorgien nur die armen
Leute, »Maisesser« ist geradezu ein Schimpfwort.
I) Ssalamuri Nr.
28 und 16.
2i8 Fünfter TheU:
Nr. 131.
Muscha unda muschaobdesso.
Der Arbeiter muss viel arbeiten.
Ari arale, ari
araleo!
Nr. 122.
Ssazkalsa kazsa win miszems Wer wird Wein den Armen geben
Aghebis ghames ghwinossa? An dem Vorabend der Fasten?
Tschadi tscbamos da zkali swas, Mais mnss (er) essen, Wasser
[trinken,
Dazwes da daidsinossa? Niederlegen sieb nnd schlafen.
Von den Gesängen beim Maishacken unterscheiden
sich diejenigen bei der Waizenernte und beim
Grasmähen nur dadurch, dass eine successive Be-
schleunigung des Gesangs- und Arbeitstempos hier
nicht wahrzunehmen ist. Beide Arbeiten werden mit
der Sichel ausgeführt. Die Sense zum Grrasmähen
hat erst vor noch nicht langer Zeit in Georgien
Eingang gefunden und ist noch jetzt keineswegs all-
gemein verbreitet. »Bei der Waizenernte steht auf
jeder Furche ein Arbeiter, in der Mitte der Reihe
der Vorarbeiter. Dieser ist zugleich der beste
Schnitter. Er hebt den Gesang an imd giebt durch
ihn das Kommando. Der Gesang lässt sich als
Rhjrthmus gebend für die Arbeit ansehen. Der Vor-
arbeiter (Erste) beginnt ihn mit einem lauten: »Hoop!«;
die Andern wiederholen: >Hoop!«. Dann singt der
Vorarbeiter einen Vers des Liedes (z.B. von Nr. 124:
»Du, Bursche, Asamburier!«). Das wiederholen die
Andern. Der Vorarbeiter singt dann wieder »Hoop!«
und die Andern desgleichen. Hierauf folgt die Fort-
setzung des Liedes (»Es klang so weit die Stimme
dein«) und wieder »Hoopl hoop!« Das »Hoop« wird
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2 IQ
bis zu viermal wiederholt^) »Bei jedem >Hoop« oder
einer ihm entsprechenden Zeile des Liedes führt der
Schnitter eine Bewegung mit der Sichel aus und
behalt dabei den geschnittenen Waizen so lange in
der linken Hand, bis diese ihn nicht mehr halten
kann. Dann wird er auf die Erde gelegt und später
von den hinterher kommenden Arbeitern in Garben
gebimden.« Sind die Sicheln stimipf geworden, so
macht man eine Pause. Es werden die Wetzsteine
hervorgeholt, und das Schleifen geschieht wieder
taktmässig unter Begleitung eines besonderen Ge-
sanges, der imter Nr. 125 abgedruckt ist.
Nr. 123. (Ostgeorgien.)
1 . Bidscho, puri schemossula, i . Waizenemte ist's, ihr Burschen ;
Ghelaws, bsinaws okhrospherad. Golden wogt und blitzt der
Acker.
Aralale waralali, aralale eri Aralale waralali, aralale eri
ereloo !
ereloo !
2. Uphlis thwali schig trialebs, 2. Gottes Segen liegt darinnen,
Modith nacheth, thn ar gdsche- Kommt und seht , wenn ihr's
rath! etc. nicht glaubet! etc.
3. Schig nu tschawtzwawthi zodwa 3. Stehn ihn lassen wäre Sünde!
ans,
Nu gawchdebith tschwen ghwthis Das macht' uns zu Gottes-
mterad. etc. Feinden, etc.
4. Namglebs piri gawulessoth! 4. Lasset uns die Sichel schärfen!
Gadawikhzeth mthlath ssim- Dann gehn auf wir im Gesänge.
gherath. etc.
I) Richtiger wäre vielleicht zu sagen, dass die Worte des
Liedes nicht gesungen, sondern gesprochen werden, ein ganzer Vers
ziemlich so scbneU wie ein >Hoop4: alleiu.
220
Fünfter Theil:
5. Moimko da gailetza,
Dailoza scheni
chwawi! etc.
5. Schon gemäht ist nnd ge-
droschen,
Deine Fülle sei gesegnet, etc.
6.- Marzwali hgaws schindis kurkas, 6. Kömer gross wie Mispel-
steine,
Ssathesle da dassaphkhwawi. Saatgut und zum Mahlen
etc. Kömer! etc.
7. Kwelas ekwis dschars, dscha- 7. Allen wird es voll genügen,
maaths,
Eknrthcheba mkwdars ssaph- Auch dem Toten ^) wird sein
lawi. etc.
Antheil. etc.
8. Dschalabobaz
Gamodsgheba,
Ar mogikwdes
tschemi thawi,
Aralale waralali, aralale eri
ereloo !
8. Satt wird die Familie werden.
Ich schwör' es bei meiner Seele.
Aralale waralali,
aralali eri
ereloo !
Nr. 124. Karthli und Kachethi.)
I. Sehen, bidscho, Asamburelo,
Scheni chma
tschamodioda.
Scheni namgHssa
dschnali
Zkal gaghma
gamodioda.
I. Du, Bursche,
Asamburier *),
Es klang so weit die Stimme
dein.
Und deiner Sichel Klirren hat
Jenseit des Flusses man gehört.
2. Asambureli momkali 2. Den Schnitter aus Asamburi
Me mowkal Utharelmao. Hab' ich Utharier') ausgestochen.
»Arza sehen mohkal, arza me, »Nicht du, nicht ich besiegte ihn,
Mindorma mohkla gdselmao.4: Das lange Feld ermüd(e)te ihn<:.
3. Zkal gaghmaurma gogoma 3. Vom andern Ufer gab die Maid
Tschikhila dagwikhnia tschwen. Ein Zeichen mit dem Schleier.
1) Bezieht sich auf die Sitte, auch den Verstorbenen an gewissen
Feiertagen (besonders Weihnachten, Ostern, Mariae Himmelfahrt) einen
Antheil von den Speisen zu bringen, der am Grabe niedergelegt wird,
nachdem er vom Popen geweiht worden ist. Diese Spenden fallen dann
z. Th. dem Geistlichen, z. Th. den Armen zu.
2) Asamburi und Uthari, Landschaften in Ostgeorgien.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2 21
Is ikhith mohkla ssurwilma, Die Sehnsucht tödtete sie dort,
Tschwen akheth zagwrakh- Und uns drückt hier sie nieder,
zia tschwen.
1. Stinmie.
2. Stimnie.
3. Stimme.
Nr. 125. (Kharthli.)
Langsam.
(i. Stimme.)
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Brü - der, denn die Si - chel ! Reif schon «steht jetzt
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I. |: Schärfet I Brüder, denn die
Sichel!:]
Reif schon steht jetzt da der
Waizcn.
Delao!
2. |:Dscherhopumdawagugunoth,:| 2. |: Wollen nun erst »Hopum«
singen, :|
Da mere hariarali! Dann auch lustig >Hariarali<!
3. |: Wera hchedaw tschwens me- 3. [: Sieh doch heute unsem Ersten, :|
thaurs, :|
Rogora chtis, guli uchurs. Wie er springt mit heissen
Wangen,
4. [: Ra fsiamith da fsicharbith :[ 4. |: Und wie er mit Lust und
Freuden :|
Schehkurebs damziphebuls purs! Auf die reiche Ernte schauet!
5. |: Methauro» dagwazale, : 5. [: Gieb uns, Erster, Zeit zum
Trinken, :j
Dscher es kan2i gamozale! Trink zuerst aus diesem Hörnet
6. {: Mere gnachaw, raz bidschi 6. |: Wollen sehn, was du far'n
char, :| Bursche :|
Namgali daatriale. Und wie du die Sichel schwingest.
Ausser bei den hier genannten Arbeiten wird auch
beim Säen gesungen. Improvisationen werden häufig
in die Gesänge eingefügt, besonders um vorbei-«
gehende Mädchen zu necken.
224
Fünfter Theil:
4. Südslaven.
•
Bei den Serben heisst die Bittarbeit Moba,
in einigen Gegenden auch Porno 6 (Hilfe), bei den
Bulgaren Tluka oder Tlaka. Sie wird in Anspruch
genommen beim Hausbau, bei der Getreideernte, beim
Pflügen, seltener beim Grasmähen, Maishacken, der
Pflaumenemte, der Weinlese, manchmal auch beim
Spinnen und Weben. Oft wählt man dafür Familien-
feiertage aus, an welchen die erbetenen freiwilligen
Hilfskräfte in der eigenen Wirthschaft nicht arbeiten
dürfen. Dagegen sind die Sonn- und allgemeinen
Festtage ausgeschlossen. Zur Moba gehen gewöhn-
lich nur jüngere Leute: Burschen, Mädchen und junge
Frauen; sie kleiden sich in ihre Festtagsgewänder.
Singend zieht man am Morgen aus und am Abend
heim; auf dem Felde wird ebenfalls gesungen; ja
die Erntelieder heissen in Serbien geradezu Moben-
lieder. Eine solche freiwillige Arbeitsgemeinschaft
zählt oft dreissig und mehr Köpfe. Freunde aus
fremden Dörfern nehmen bisweilen auch daran Theil
und bringen junge Mädchen und Frauen mit. »Die
Moba versammelt sich gewöhnlich in der Zeit, in der
man nicht fastet, und der Hausherr muss sie aufs
glänzendste bewirthen; daher können auch nur Wohl-
habende die Moba aufnehmen.« In Bulgarien und
in der Herzegowina kommt sie jedoch bisweilen auch
ungerufen und ohne den Anspruch auf Bewirthimg,
wenn Witwen oder Arbeitsunfähige nicht im Stande
sind, ihr Feld selbst abzuernten. Sonst wird nach
^ethaner Arbeit bis spät in die Nacht hinein im
Hause des Bauern, der die Moba eingeladen hat,
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2^e
gesungen und getanzt^). Ich lasse einige Moben-
lieder nach der Uebersetzung von W. Gerhard^ hier
folgen.
Nr. 127.
Lustig zur Arbeit, o rüstige Schnitter!
Winken dort unten euch Wasser und Mädchen.
Kühl ist das Wasser, und jung ist das Mädchen:
Trinket das Wasser, und liebet das Mädchen!
Nr. 128.
Rührt euch, muntre Schnitter; 's winkt der Quersack,
Hirsenbrot, beschimmeltes, ist drinnen;
Rühret euch! Es nahet schon der Abend
Und das 'Mahl vom kratzen Ziegenbocke.
Nr. 129.
Rührt euch, Helfer *) ; denn der Abend winket !
Dass das Schnittermädchen wir erringen,
Ob auch Mutter spricht, sie sei noch schwächlich,
Ihre Füsschen taugten nicht für Socken,
Ihre kleinen Finger nicht für Ringe,
Ihre zarten Wangen nicht zum Küssen.
Nr. 130.
Junges Mädchen hat geflucht der Gerste:
»O du Gerste, schöne Gottesgabe!
Möchte dich wohl schneiden, doch nicht essen:
Swaten-Rosse *) sollen dich verzehren !«
1) Vgl. Krauss, Sitte und Brauch der Südslaven, S. 151 f. Vuk
Karadschitsch in s. serb. - deutschen Wörterbuch s. v. moba.
GrdjI(5 BJELOKOS16, Iz naroda i o narodu, S. 1 54. J. Jwantschoff,
Primitive Formen des Gewerbebetriebs in Bulgarien (Leipzig 1896),
S. 43 f.
2) Wila. Serbische Volkslieder und Heldenmärchen. 2 Bde.
Leipzig 1828, I,
S. 22 — 26.
3) Im serbischen Text steht moba. Gerhard übersetzt »Fröhner«,
was eine ganz falsche Anschauung giebt»
4) Swaten sind die Hochzeitsgäste, die zu Pferde die Braut im
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 15
226 Fünfter Theil:
Nr. 131.
Knab' und Mädchen schnitten um die Wette;
Dreiundzwanzig Garben schnitt der Knabe,
Vierundzwanzig aber schnitt das Mädchen.
Als sie bei dem Abendessen waren.
Trinkt der Knabe dreiundzwanzig Gläser,
Und das Mädchen trinket vierundzwanzig.
Aber als der Morgen angebrochen,
Kann der Bursche nicht das Haupt erheben.
Und das Mädchen sitzet schon und sticket.
Nr. 13 a.
Mädchen schlief auf Wurzeln der Berberitze ;
Kam eine Herde mit zwei jungen Hirten,
Ruhig vorbei zog einer, nicht der andre;
Spricht zum Mädchen.: >£rwach% o schönes Mädchen!
Wollen dort hinunter ins goldnis Feld gehn
Und den Waizen um die Wette schneiden!
Wenn du gewinnst, so geh' ich dir die Heide,
Doch Übertreff' ich dich, wirst da mein Weibchen.4C
Stand sie auf, hing über die Schnker die Sichel,
Ging mit dem Hirten das goldne Feld hinunter;
Schnitten den Waizen vom Morgen bis zum Abend;
Neun geliebte Brüder banden dem Mädchen
Und dem Burschen neun getreue Gefährten.
Schnitt das Mädchen dreihundertunddrei Garben,.
Und der Bursche nur zweihundertundzweie.
Spricht hierauf das Mädchen: »Hirt*, o höre!
Gieb die Herde mir, ich hab' gewonnen I^c
Ihr entgegnet der junge Schäfer bittend :
>>Wozu. brauchst du, Mädchen, soviel Schafe,
Da du doch kein Gras hast, sie zu weiden
Und kein kühles Wasser, sie zu tränken.
Auch nicht Schatten, wo sie ruhen könnten ?i^
Hause ihrer Eltern abholen. — Das Lied erinnert an das deutsche:
»Ich ess' nicht gerne Gerste, Steh auch nicht gern früh auf.« EbK"
BÖHMS, II, Nr. 920.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenbalten. 227
Da erwiedert das Mädcben: »Hör, o Knabe!
Feld besitz* icb wohl, die Herde zu weiden :
Sei mein feines Haar ihr grüne Wiese!
Wasser hab* icb aucb, die Herde zu tränken,
Meine scbwarzen Augen sind klare Quellen,
Schatten geben meine Augenbräuncben.«
Nr. 133.
»Gott sei Dank, dem Einzgen, dass am Sonntag
Christen mir den Waizen schneiden müssen !<:
Und drei Wolken schweben über'm Felde:
Erste Wolke Donnerer Elias,
Zweite Wolke flammende Maria,
Dritte Wolke heil'ger Pantelemon. ^)
Heü'ger Pantelemon ruft entrüstet:
»Wirf den Donner, Donnerer Efias !
Sohleudre Feuer, flammende Maria!
Und ich Pantelemon sende Stürme.«
Drauf versetzt die flammende Maria:
»Donn're nicht, o Donnerer Elias !
Keinen Sturmwind sende, Pantelemon!
Keine Flamme schleudr' auch ich Maria,
Weil die Türken nicht den Christen glauben^
Und die Frucht nicht auf den Werittag wartet.«
1) Serbisch für Pantaleon. Der Tag des h. Elias fallt auf den
20., der der Maria Magdalena auf den 22. und der des Pantaleon
auf den 28. Juli, also alle drei in die kritische Zeit der Ernte. Die
Heiligen treten nach Art heidnischer Wind-, Wolken- und Wetter-
götter auf. Der stürmische Pantaleon wiE im Zorn gegen den Türken,
der am Sonntag arbeiten läsBt, durch Grewitter und Sturm die- Ernte
venäehten^ aber die milde Maria beschwichtigt seinen Zorn; yi»ien.n die
Türken würden, den Christen nicht glauben, dass wiv das Getreide
vernichtet hätten, und die reife Frucht wartet nicht bis zum Werktage.«
2) In der Uebersetzung. von Kappeb. lautet diese Zeile: »Denn
dem Türken kann der Christ nicht trauen.«
IS*
228 Fünfter Theü:
Nr. 134.
Lass, o Gebieter, nun uns nach Hause gehn!
Unsre Höfe liegen weit, weit durch Wälder hin.
"Wer eine alte Mutter hat, sorgt die Mutter um ihn;
Wer ein kleines Knäbchen hat, weint das Kind sich ab;
Wer einen jungen Gatten hat, der wird ausgeschmält.
Die beiden letzten Lieder wollen auf die Ver-
hältnisse der Moba nicht recht passen. Wie es
scheint, hatte dieselbe unter den Türken den Cha-
rakter der Zwangsarbeit angenommen, für die sie
selbst den Sonntag in Anspruch nahmen, an dem
die Christen für sich nicht arbeiteten. Gerhard über-
schreibt das letzte Lied geradezu : »An den Gutsherrn«.
In ausgedehnter Weise macht heute der Dorfipriester
von der Moba Gebrauch, dessen Wirthschaft oft nur
durch die Bittarbeit im Gang erhalten wird.
Eine eigenthümliche Uebertragimg der bei der
Bittarbeit herrschenden Sitten auf die Lohnarbeit
findet man in Bulgarien. Aus den Balkandörfem
ziehen alljährlich zahlreiche Schnitter und Schnitte-
rinnen zur Zeit der Ernte in die rumelische Ebene,
besonders in die Gegend von Philippopel. Sie wan-
dern aber nicht einzeln, sondern meistens gehen
sämtliche Leute aus einem Dorfe oder aus mehreren
benachbarten Dörfern zusammen unter der Führung
eines Obmanns (Dragoman), der die Arbeiter an-
wirbt, mit den Gutsbesitzern an Ort und Stelle ein
Gedinge schliesst und den Verdienst unter die Theil-
nehmer vertheilt. Während der Wanderung und bei
der Arbeit wird regelmässig zur Sackpfeife gesungen.
Am Feierabend werden unter Gesang die heimischen
Tanzreigen und Spiele aufgeführt, oft bis tief in die
Nacht hinein. Ja selbst auf der staubigen Land-
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 220
Strasse sieht man an den Rastplätzen die wandern-
den Mädchen ihre Reigen tanzen, »um sich von den
Strapazen des Marsches zu erholen.«^)
Nicht minder eigenthümlich ist die Fortbildung,
welche die Bittarbeit in der Teppichweberei er-
fahren hat. Die Anfertigung kunstvoller Teppiche
(Kilim) wird am ganzen Nordabhang des Balkan vom
südöstlichen Serbien bis zum Pontus im Hauswerk
betrieben. Die Teppiche werden entweder durch
die Producenten selbst im Wanderhandel oder durch
Verleger verkauft. Letztere finden sich hauptsäch-
lich in Pirot in Serbien und im bulgarischen Cipro-
vica. »An Teppichen grossen Formats arbeiten oft
gleichzeitig vier bis sechs Frauen und Mädchen.
Giebt es deren nicht so viel im ganzen Hause, so
helfen die Nachbarn gegen eine Entschädigung von
4 — 6 Piastern pro Tag. Im Winter wird bei Licht
bis zur späten Nachtstunde emsig geschafft. Die
Arbeiterinnen sitzen auf einer langen Holzbank dicht
neben einander; jede webt den ihr durch die Haus-
frau zugewiesenen Streifen von unten nach oben.
Mädchen im zartesten Alter bewegen gleich den Er-
wachsenen ihre verschiedenfarbigen Schützen und
die Festschlagkämme mit unglaublicher Flinkheit und
Kraft.« ^ Dabei wird viel im Chor gesungen, und
zwar so, dass alle in demselben Räume anwesenden
Personen ihre Bewegungen beim Weben nach dem
Rhythmus des Gesanges richten. Leider ist mir nur
i) JWANTSCHOFF a. a. O., S. 69 fF. DozoN, Chansons pop,
Bulgares p. XVI.
2) Kanitz, Donaubulgarien und der Balkan, II, S. 295 fF. Jwant-
SCHOFF a. a. O. S. 60 ff. Damyanoff, Der Hausierhandel und das
Marktwesen in Bulgarien, S. 1 8 ff.
2 so
Fünfter TheU:
der Anfang eines solchen Liedes, und zwar aus der
Stadt Pirot selbst, mitgetheilt worden.^) Es lautet:
Put putnje bezridjance, Es reist ein Handelsmann,
Nigde selo ne nahodi; Kein Dorf findet er;
Malko projde, selo najde. Ging etwas weiter, &nd ein Dorf.
U seloto nikoj nema, In dem Dorfe gab es niemanden,
Samo ima stara baba, Nur giebt es eine alte Frau,
Stara baba, stara luma! Alte Frau, alte Pest!
•
Das Lied soll noch einige weitere Verse enthalten.
Wie es scheint, nimmt es Bezug auf Erlebnisse eines
Wanderhändlers. Die Lieder dieser Gattung werden
immer nur in der Jahreszeit der betreffenden Arbeit
gesungen, also hier im Winter, wo allein Teppiche
gemacht werden. »Verlangt man von einem Bauem-
burschen oder Mädchen, dass sie ein Erntelied singen,
so wird man immer die Antwort bekommen, es sei
eine Schande, ein solches Lied zu singen, wenn nicht
die Zeit dafür sei« — jedenfalls ein Beweis, wie fest
diese Lieder an die Arbeit gebunden sind.
5. Russen.
In Russland heisst die Bittarbeit Toloka. Sie
findet sich hier in grosser Ausdehnung von Weiss-
russland bis weit hinein nach Sibirien^. Sie wird
1) Briefliche Mittheilungen des Herrn Dr. M. V. Smiljanic in
Belgrad.
2) Schilderungen findet man bei Schein. Materialien zum Stu-
dium der Sitten und Sprache der russischen Bevölkerung des Nord*
Westens, St. Petersburg 1887 (russ.), I*, S. 201 f. und in den von der
kaiserl. Geogr. Gesellschaft herausgegebenen Ethnographischen Unter-
suchungen, Xm (1892), S. 234 fF. (Gouv. Tomsk) und S. 238 (Gouv.
Pensa). — Ueber die mit der Toloka zusammenhängenden Emte-
bräuche:
Ralston, The Songs of the Russian People, p. 250.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 23 1
namentlich in Anbruch genommen bei der sommer-
lichen Bearbeitung des Brachfeldes, insbesondere zum
Düngerfahren, femer in der Heu- und Gretreideemte,
beim Kohlhacken, beim Fällen des Holzes und der
Abfuhr desselben aus dem Walde, beim Bau und
der Ausbesserung der Häuser, von den Frauen bei
der Flachsarbeit, beim Spinnen und selbst beim
Scheuem des Hauses. Am verbreitetsten dst die
Mistfuhr-Toloka. In manchen Gegenden, wo über*-
haupt der Acker gar nicht gedüngt wird, kann diese
Arbeit nicht eigentlich zum Ackerbau gerechnet
werden. Es handelt sich mu* darum, den Dünger-
haufen auf dem Hofe loszuwerden, und die Nachbarn
werden dabei zu Hülfe gebeten, um der schmutzigen
Arbeit bald überhoben zu sein. Die Toloka wird
gern auf einen Sonn- oder Festtag verlegt, nament-
Hch dann, wenn zwei Feiertage hintereinander liegen.
Natürlich kommt sie den Reichern am meisten zu
Gute; aber die Bauern leisten diese Arbeit gern;
viele würden sich beleidigt fühlen, wenn sie dazu
nicht eingeladen würden. Zur Zeit der Ernte sind
oft von mehreren Personen desselben Hausstandes
die eine bei diesem, die andere bei jenem auf Bitt-
arbeit. Für Viele hat schon die Lust und Fröhlich-
keit bei der Arbeit, die Aussicht auf eine reichliche
Bewirthimg und namentlich auf Schnaps Verlockendes
genug. Ueberdies werden die Eingeladenen nicht
als Arbeiter, sondern als Gäste betrachtet. Bei den
Mordwinen gilt es als unerlässliche Höflichkeitspflicht,
sich zum Essen und Trinken nöthigen zu lassen. Drei
Mahlzeiten werden gegeben; das Abendessen artet
oft in ein arges Trinkgelage aus, und der Wirth
wird nachher am meisten gelobt, bei dem die grösste
^32
Fünfter TheU:
Zahl der Gäste betrunken gewesen ist. Manchmal
wird auch getanzt.
Gesungen wird überall bei der Toloka. Die
Lieder sitid entweder kurze Strophen, welche auf
den zu erwartenden Schnaps Bezug nehmen, oder
allgemeine Volkslieder. Ich darf mich darum wohl
damit begnügen, zwei derselben hier wiederzugeben,
weil diese besonderen Arbeiten zugeschrieben werden.
Ob sie als Arbeitsgesänge im strengen Sinne gelten
dürfen, lasse ich dahingestellt.
Nr. 135. (Gouv. Tula.*)
Beim Kohlhacken.
SL
KOjninisH lerny,
£[ oropoA'b
roposy,
Sl sanycxy
cassy,
H caasy
Kanycry,
Caasy
ÖUHHLsyE),
PasBecejiHHBKyjD
:
Th poAHCB,
MOJi KanycTa,
M 6«jia H
BHJia
M CO TWLOWb
poBHa!
Ax'b
peÖJiTa, BH peöflia,
y^ajEHe mojioauh!
KoMy HaÄOÖHO
Kanyciy,
UpHXOAH EO
MH« ToproBaib,
A n 6yAy
npoAaBaib!
Tjifi HH
33JULCE uopeueicb,
SamejCb vb A^Bm
bi oropo^'b;
Owb Kanycxy
He lopryert,
CaMi na
A^BymKy cmotphte»,
Owb na
A^ByniKy rjAAHTb,
3%pH0
xonerb uojao6wrb,
Pfahlchen ich behaue,
Zäune meinen Garten ein,
Will nun Kohl ansetzen,
Kohl ich setzen will,
Setze rechten weissen;
Recht vergnüglich sei er!
Du mein Kohl, nun wachse üppig,
Werde weiss und köpfig,
Wie der Zaun an Höhe.
Oh, ihr Burschen, oh, ihr Burschen,
Braves tapfres, junges Volk!
Wer von euch Kohl brauchen kann,
Komm' zu mir zum Handel her.
Und ich will ihn halten feil.
Plötzlich kommt ein junger Bursch,
Tritt in Mädchens Garten ein.
Aber Kohl will er nicht kaufen,
Schauet nur das Mädchen an,
Sieht das Mädchen immer an;
Möchte ihre Liebe gern,
i) Schein, Russische Volkslieder (russ.) I, S. 404. Dieses Lied
hatte A. Leskien die Güte für mich zu übersetzen.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 233
3a ce6n ee
ctohobetb.
KaÖH BOiDinsa
6iua,
Ho^esaTB Apysssa
BS^jia;
Hepeat
BOjnoiincy ciynjii),
HOHCBaTb
APySKSa B03BMy.
Mh cnajm,
Ho^eBajin,
BApyrs
npocHyjmcA, z&pa,
Ilopa
MHJiOMy CO ABopa.
KaiTb Ha
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BAOBHHoä!
Kam ^yHAma BAOBHHa,
^fbwb se Jiy^me
ona mcha?
Qua yMsubH^i
rjA^nTb,
IIoy^iHB^H
roBopHrb.
Möcht* sie gerne für sich selbst.
Hätt* ich nur den Willen frei,
Nahm* den Liebsten ich zur Nacht;
Doch was kehr* ich mich daran,
Nehm* den Liebsten mir zur Nacht.
So wir schliefen durch die Nacht,
Wachten auf — schon Morgenroth !
Der Liebste muss vom Hofe fort.
Auf der Strasse liegt weisser Schnee,
Da seh* ich dem Liebsten nach,
Wohin er gegangen ist
Und so schnell gelaufen ist,
Längs der grossen Strasse hin.
Zu der Witwe Dunjascha!
Wie, die Witwe Dunjascha,
Ist sie besser denn als ich?
Sie blickt zärtlicher als ich.
Redet feiner auch als ich.
Nr. 136. *) (Weissrussland.)
Beim Mähen der Sommerfrucht.
Auf dem Berge mäht* ich Gerste,
Band sie nicht in Garben;
Den ich treulich liebte.
Sagt* ihm nicht die Wahrheit.
Dann werd* ich die Garben binden,
Wenn der Mond am Himmel;
Dann werd* ich die Wahrheit sagen.
Wenn er heim mich führet.
Mädchen ging hinaus zum Thore,
Mancherlei im Sinne,
Folgt ihm nach der junge Bursche,
Spielte auf der Fiedel.
^Du mein Mädchen, schönes Mädchen,
Willst du mich verachten?
Wirst noch einmal deinen Hochmut
Vor mir brechen müssen.
I) Schein, Materialien. I^ S. 259.
234 Fünfter Theil:
Deine blonden Zopfe werden
Mir zu Füssen liegen;
Deine schönen blonden Zöpfe
Werden losgebunden;
Viele Thränchen, viele Thränchen
Wirst du noch vergiessen.
6. Esten und Letten.
Ein Reisender, der im vorigen Jahrhundert die
russischen Ostseeprovinzen besuchte, erzahlt: »Wie
ich unterwegens in der Erntezeit die Schnitter im
Felde antraf, horte ich allenthalben ein wüstes Gre-
sänge, welches diese Leute bei ihrer Arbeit trieben,
und vernahm von einem Prediger, dass es noch alte
heydnische Lieder ohne Reimen wären, die man
ihnen nicht abgewöhnen könnte^).« Von mehreren
andern ist uns überliefert, dass die Gutsbesitzer in
der Ernte ihre leibeigenen Bauern oft zu Hunderten
zugleich aufgeboten hätten, und dass sie zu ihrer
Ermunterung beim Schneiden des Getreides den
Dudelsack hätten blasen lassen^. Einer dieser Be-
richterstatter schildert den Vorgang etwas ausführ-
licher: »Es gewährt einen gar seltsamen Anblick, wie
die schneidenden Schwadronen zusehends allmählich
immer weiter rücken, der Dudelsack als die Feld-
musik hinterdrein, und auf beiden Seiten jene Heer-
führer (die beiden Aufseher über die Frohnarbeiter,
der Kubjas und der Schilter) mit dem Kommando-
1) Herder, Werke Bd. XXV, S. 391 ff., der dabei »Weber*s
veränd. Russland« S. 70 citiert, das mir nicht zu Gebote steht.
2) Petri, Neuestes Gemähide von Lief- und £hstland, S. 438 f.
Petri, Ehstland und die Ehsten (Gotha 1802) S. 215. Vgl. auch
S. 27 und 171. HuPEL, Topogr. Nachr. von Lief- u. Ehstland, II, S. 290
und Wieland's Teutscher Merkur 1788, S. 416.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 235
Stabe in der Hand. Die Schnitter halten es für eine
grosse Schande, wenn der Sackpfeifer hurtige Stücke
zu blasen anfangt, weil dies ein Zeichen der Lang-
samkeit im Arbeiten ist; daher gehet es auch, so
lange der Dudelsack pfeift, ohne Absetzen in einem
fort wie nach dem Takte ^); schweigt hingegen jener,
so halten auch diese inne, und die Sichel scheint
ihnen in der Hand zu ermatten. Ist nun dergestalt
auf den Hofsfeldem alles geschnitten, so wird ein
Tag zum Amtefest angesetzt Man nennt diesen Tag
in der Ehstnischen Sprache Talkus^, und er ist
einer der frohesten im ganzen Jahre für die armen
Bauern. Manchmal geben auch wohlhabende Bauern
ihren Schnittern einen Talkus.«
Die Frohnarbeit hat also hier ganz ähnliche
Formen, wie die Bittarbeit bei den slavischen Stäm-
men, imd es tritt bei ihr auch die gleiche Benennung
auf, wie dort. Vor allem findet sie in grosser Ge-
sellschaft statt, und es wird dabei gesungen. An
1) An einer andern Stelle (Ehstland, S. 172) sagt Petri gerade-
zu, die Leute ^schnitten nach dem Takte«.
2) Nach Petri soll das Wort Talkus einen für geleistete Arbeit
anstatt des Lohnes oder zur Ermunterung gegebenen Bauemschmaus
bedeuten. Doch fügt er hinzu, ein Talkus werde bisweilen auch nach
andern Arbeiten, z. B. nach der Heuernte oder beim Reinigen der
Wiesen, abgehalten. Im Lettischen kommt Talks und Talka vor.
Merkel, Die Letten S. 97 erklärt es mit ^Gesammtarbeit bei der
Frohnde.« Es bedarf kaum der Auseinandersetzung, dass diese Worte,
wie das litauische talka, gleichen Ursprungs und gleicher Bedeutung
sind wie das russische toloka und das südslavische tluka, tlaka.
Dass bei den Esten das Wort an dem haften bleibt, was von der
alten Bittarbeit unter der Leibeigen schafl allein noch übrig war, dem
Emteschmaus, darf nicht Wunder nehmen; es ist ebenso bei den
Weissrussen:
Ralston, The Songs of the Russian People (London
1872), p. 250.
236 Fünfter Theil:
Stelle des Gesangs, durch den die Fröhner das
Tempo ihrer Arbeit selbst bestimmen, benutzte der
Gutsherr, um die Arbeit zu beschleunigen, das Lieb-
lingsinstrument der Esten, den Dudelsack, durch den
der Arbeitstakt vom Aufseher reguliert werden konnte.
Die Vertheidiger der damaligen Zustände halten es
für nöthig, den Gutsherrn gegen den Vorwurf in
Schutz zu nehmen, dass er damit die Arbeitskraft
der Leute über Gebühr zu seinem Vortheile ausnutze*
Noch viel grösser als bei der Getreideernte waren
die aufgebotenen Arbeiterschaaren bei der Heuernte,
wo selbst die kleinen Kinder (die Fingerlangen, wie
es in dem Liede Nr. 140 heisst) aufgeboten wurden.
Klagen über die Härte der Herren und über die
Aufseher, welche zu rascherer Arbeit trieben, sind
namentlich in den estnischen Volksliedern nicht
selten.
Unter den Arten der Gesellschaftsarbeit, bei
welchen gesungen wurde, stehen durch die vorliegen-
den Berichte völlig sicher: der Komschnitt, das
Mähen und das Wenden des Heues. Bei den Letten
wird auch während der Düngerfahrt gesungen, und es
sind verschiedene Liedchen dafür bekannt; aber der
Herausgeber bemerkt, dass die Weiber sie in den
Pausen sängen, nachdem der angefahrene Dünger
auf dem Felde ausgebreitet sei und neue Fuhren
noch nicht angelangt wären ^). Endlich vernehmen
wir, dass die Esten beim Pfluge sängen: >einer singt
vor, der andere nach 2).« Obwohl darnach der Cha-
rakter dieser Gesänge nicht sicher steht, so ist doch
1) BlELENSTEIN a. E. O. S. 324.
2) Teutscher Merkur, 1788, S. 416.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 237
ein kleines dahin gehöriges Stück (Nr. 142) unter
die nachfolgenden Beispiele^) aufgenommen worden.
A. Estnisch.
a. Schnitterlieder.
Nr. 137.
Scheine, scheine Sonne,
Klar nnd heiter sei die Witterung,
Scheine, dass wir ohne Tuch heiss werden.
Treib mit deiner Wärme das Linnen, auseinander
Und mache Schweiss ohne Kleider. *)
Scheine, Sonne, auf den Perg
Und auf die silbernen Korallen :
Die Hitze verderbe den Perg nicht,
Das helle Wetter die bunten Korallen nicht!
Scheine nicht auf die Deutschen,
Scheine immer auf uns!
Leikage, öed töslifed!
Ma tuUen nurme
leikamaie,
Minna lamin laia
wälja,
Kül ma pöimin
pitka pöldo,
Minna waene ostet' orja,
Ostet' oija, peästet* päwa,
Kinni
kihlatud fullane!
Ikka pean minna
minnema,
Nr. 138.
Schneidet, rüstige Schwestern ihr!
Auf das Feld komm ich zu
schneiden,
Fälle die weite Fläche nieder,
Ernte ab den langen Acker,
Arme Magd ich, kaufgeknechtet,
Kaufgeknechtet, sonnenselig,
Festgefesselte Dienerin!
Immer muss ich, immer gehen,
i) Nr. 137 und 140 nach dem Teutschen Merkur von 1787, III,
3. 243 f. (veröffentlicht von einem Herrn von Schlegel), Nr. 138,
I39i 141 ^nd 142 aus Neus, Estn. Volkslieder, S. 217 ff. 337 und
222. Die lettischen Stücke sind der Sammlung von Bielenstein ent-
nommen und von A. Leskien übersetzt. Es sind die Nr. 4065. 4064.
4061. 4059.
2) Der ganze Anzug der Estin beim Komschnitt bestand aus
einem leinenen Hemde, das über der Hüfte mit einem Bande gegürtet
war, dem Kop^utz (Perg) und einer Korallenl^ette um den Hals.
238
Fünfter Theü:
Ikka pean ees ollema:
Tulli tvlda taewadesda^
Wallas
wilima warwadesda!
Enne päwa leikan
parmo,
Leikan parmo, leikan
kakß.
Perre tüttar
pitka, laiska,
Ta maggab wota
wodtdesüs,
Linna alla, teine
peäle.
Ku tal paistab
koppelisfe,
Pääw tal paistab
peälusfelle,
Siis on motte
pöUal miana:
:^Seppakenne, poifikenne,
Te mul tinnafe lirbi,
Walla wafkne warrekenne.
Ma lall' pöllnl leikamaie
Keskelt kero kaerokesfi,
Nurme ot£a.
odrakesH,
Nasfe peäl
naepekesfi;
Ei jätta
libled likumaie,
Egga korke köikumaie!«
Perremecs, perremeliliike,
Perrenaene, naefokenne!
Argo olgo meli
pahlia,
Südda armas
liaig«emba,
Et jäi päida
peäle pöllo,
Södile
fealabboda:
Kül tuUeb homme
ufi päwa,
Tunnahomme teine ufi !
Siis a'an
hanned otfimaie,
Pörfokesfed poimimaie,
Immer mnss ich die erste s^n,
Strömt aucli Feuer von den Himmeln,
Fiel ein Regen wie von Flegeln.
Schon vor Tag schneid' ich ein
Mandel,
Schneid* ein Mandel, schneide
zweie.
•
Lang und trag des Hauswirths
Tochter
Schläft des Gürtels bar in Betten,
LimxeB oben^ Linnen unten.
Sieht der Mond ihr a«f die Matten,
Sieht die Sonn' ihr auf die Schlaf-
statt,
Fällt's ihr ein aufs Feld zu gehen:
»Liebes Schmiedchen, liebes Knäb-
chen,
Mach von Zixnie mir die Sichel,
Giess ein GrifFchen dran von
Messing.
Auf das Feld geh ich zu schneiden»
Mitten drin den dichten Hafer,
An des Ackers Rand die Gerste,
Auf dem Felsenriff die Rübchen;
Nicht lass' ich die Acheln flattern-,
Auch nicht einen ECalm üch wiegen W
Nr. 139.
Herr des Hauses, o Herrriein,
Frau des Hauses, o Fräuelein,
Wollt nicht werden wirren Sinnes,
Nicht das liebe Herz- verleid* each's,
Stehn noch Aehren auf dem Acker,
Auf dem Felde Schwcineschwäaz-
chen:
Naht ein neuer Tag doch morgen,
Neu ein andrer übermoiigen!
Dann zum Suchen send* ich Gänse,
Ferkelchen darauf zur Ernte,
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 239
Kalkunid kabbaldamaie. Indische Hühner schweren Schrittes.
Anni nokkib nokkallana, Pickt die Gans mit ihrem Schnabel,
Pörfas poimib pölwilista, Erntet das Ferkel auf den Fersen,
Sigga furella fuulla, Mit dem mächtigen Maul das
Schwein,
Wanna ligga watfulista, Auf dem Bauch die alte Bache,
Kulti tuhnib kummuliste : Auf dem Wanste wühlt der Eber:
Siis fawad otfa ommetigi! Dann sind endlich sie doch zu
Ende.
b. Beim Heuen.
Nr. 140.
So lange ist der Heuschlag schon,
Als das Heu ungemäht ist,
So lange gehn die Schwaden wohl an,
Bis die Spreu ist aufgenommen.
Bis die Saden abgeharkt sind,
"Wenn der Schober noch nicht gemacht ist.
Ach, besser ist das Leben im Abgrund,
Glücklicher das Unglück in der Hölle,
ATs auf unserm Hofe zu sein.
Vor Sonnenaufgang wird schon gearbeitet,
Im Mondenlicht ein Heuschober geschlagen;
Nach Sonnenuntergang wurde geschnitten.
Die Ochsen frassen im Joch,
Die armen Wallachen angespannt,
Die Arbeiter stehen auf Zaunstecken^
Die kleinen Helfersazbeiter auf spitzigen Pflöcken.
Herr der weissen Flur,
Frau mit der goldnen Krone,
Junge Herr^i. mit sübemen Ringen!
Steiget auf den Stuhl,
Gehet auf den Saal,
Blickt auf das arme Volk,
Wie es erbärmlich geplagt wird.
Wie die Kleinen gepeinigt werden.
Die Fingerlangen bei der Arbeit gescholten,
Und die Wenigen zerstreut werden!
240
Fünfter Theil:
Nr. 141.
Nicht ich kreise bei der Kühle,
Noch auch kreisch' ich in dem
Thaue,
Noch auch dröhn' ich durch die
Dürre I
In der Kühle kreist die Sense,
In dem Thaue kreischt das
Eisen,
Durch die Dürre dröhnt die Sichel !
Sieh* die Sens*, ein zornig Eisen,
Gar ein treulos gleissend Eisen,
Ein gekrümmtes Ackereisen,
Diese nahm das Blut dem Bruder,
Roth dem Preiselbeerenblättchen,
Meinem einz'gen Freund die Farbe.
Blutlos nun das Brüderchen,
Ohne Roth das Beerenblättchen,
Farblos blieb des Hauses Hühnchen.
Wart*, wart*, Bruder, nun, nun
Bruder !
Flieht der Sommer, folgt der Herbst
nach.
Kehrt der Kaufinann ein im
Dorfe,
Bei der Flur der Ladenbursche,
Kauf ich Ahl* um eine Denge,
Meth in eines Eies Schale,
Schweinefleisch ein schönes Quent-
chen,
Butter auch für einen Ferding,
Speise, tränke meinen Bruder,
Leit* in*s Kühl* ihn hin zum
Schlafen,
Führ ihn in ein frisches Zimmer,
Senk* in*s Kissen ihn zum Schlafen :
Dann kommt Brüderchen zu Blute,
Beerenblättchen dann zu Röthe,
Färb* erhält des Hauses Hühnchen.
c. Beim Pflügen.
Nr. 142.
O, o, meiner raschen Rinder,
Dieses raschesten Paars der Rinder!
Stiegen brüllend das Berglein an.
Springend zu des Sprudels Tränke,
Schreiend an des Ackers Furche;
Erz aufwarfen des Pfluges Führer,
Zinn entrollte der Rinder Hörnern,
Gold aufgruben des Pfluges Stangen!
B. Lettisch.
a. Bei der Roggenernte.
Nr. 143.
Roggenähre steht so stolz da:
Nun wird sich mein Rücken biegen;
Die Anwendung der Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 24 1
Bieg* dich selber, Roggenähre,
Nicht wird sich mein Rücken biegen.
Nr. 144.
Schnarre, Schnarrwachteichen *)
In den Roggenhalmen,
Wachtelchen in der Kette!
Schneide, Brüderchen, ins Brot;
Der Neider mag in den Stein schneiden.
b. Bei der Heuernte.
Nr. 145.
Schön die Wiese, abgemähet,
Schöner noch, wenn abgeharket;
Doch weit besser macht es doch sich,
Wenn das Heu im Schober stehet.
Nr. 146.
Bienchen bittet schön den Mäher,
Auf der £rd' sich niederlassend,
Dass vom weissen Klee am Rande
Er ein Büschel übrig lasse.
Die hier mitgetheilten estnischen Arbeitsgesänge
unterscheiden sich wesentlich von den georgischen,
stimmen aber mit den russischen und einem Theile
der serbischen darin überein, dass sie Frauenlieder
sind. Sie schildern das Empfinden der Frau bei der
Arbeit. Bei Nr. 137 ist dies sofort klar. Nr. 138
beklagt in der vorderen Hälfte das Loos der armen
Schnitterin und stellt ihrem Fleisse in der zweiten
Hälfte die Trägheit der Töchter wohlhabender Bauern
gegenüber. Nr. 139 soll den Besitzer des Ackers
l) greesch, greesnite — ein nicht übersetzbares Wortspiel, greest
bedeutet )>schnarren«, aber auch »knirschen« und »schneiden« (von der
Sichel). Leskien.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 16
i
242
Fünfter
Theü:
nach dem Schnitt begütigen. Die Schnitterin hat
schlechte Arbeit gemacht; auf dem Acker sind Aehren
stehen geblieben; da wird auf das Vieh vertröstet,
das auf der Weide über die Stoppeln gehen und
Nachernte halten wird. Nr. 140 beklagt die harte
Frohnarbeit und fordert die Gutshermfamilie auf,
doch einmal selbst zu schauen, wie des arme Volk
geplagt werde. In Nr. 141 verspottet das Mädchen
den jungen Mäher, der sich leicht verwundet hat,
mit dem bei den Esten so charakteristischen über-
treibenden Humor, der auch in dem kleinen Pflüger-
liede (Nr. 142) seine Purzelbäume schlägt. Die lang-
samen und trägen Pflugthiere sollen so mächtig
arbeiten, dass die Pflugschar einen Schatz aufwühlt.^)
In den kleinen lettischen Liedern überwiegt die
sinnige Naturbetrachtung, welche sich bei der Arbeit
einstellt; auf die Mühe des Arbeitens wird nur in
gutmüthig scherzender Weise Bezug genommen.
Auch die Nachbarstämme der Esten und Letten,
Finnen und Litauer, kennen die Bittarbeit und
haben für sie den gleichen Namen wie jene.^ Bei
den Finnen kommt sie besonders für die Holzarbeit
zur Anwendung, namentlich für das HeimschaflFen
grosser Baumstämme aus dem Walde; bei den Li-
tauern für jede grössere landwirthschaftliche Arbeit,
namentlich die Heuernte und das Flachsbrechen.
7. Aus deutschem Sprachgebiet.
In Deutschland hat sich die Bittarbeit, soweit
sich das jetzt übersehen lässt, nur noch bei land-
i) Man vergleiche oben Nr. 117.
2) Finnisch tdlkoo, litauisch talka.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 243
wirthschaftlichen Nebenarbeiten, wie der Zubereitung
des Flachses, dem Bohnenschnitt u. dgl. erhalten;
beim Feldbau ist sie verschwunden. Aber auch in
diesem muss sie früher nicht selten vorgekommen
sein. In Bayern hiessen die für die Ernte zugebetenen
Helfer Bittschnitter; ^) für ihre Lieder wurde im
Mittelalter derselbe Ausdruck gebraucht wie für die
Ruderlieder (celeimia); es scheint daraus der Schluss
gezogen werden zu dürfen, dass beide Arten von
Gesängen in gleichem Verhältniss zur Arbeit standen.
In Amberg wurde 1554 die Verordnung erlassen,
>dass kein Burger seine ßchnitter und Arbeiter
mehr mit Drumeln, Pfeiffen und Saitenspieln herein
in die Stat und daraus fürn und folgend Abendtänz
mit ihnen anfangen und halten soll.« In einem
bayreuthischen Ausschreiben von 1652 wird gerügt^
»dass an Sonn- und Feyertägen sowohl bey hellem
Tag als nächtlicher Weile und Mondenscheine Bitt-
schnidter, meistentheils von ledigem Gesinde, ange-
stellt werden, denen man nach vollbrachter Arbeit
Essen und Trinken geben und einen Tanz halten
muss.« Dies genügt, um zu zeigen, dass hierbei
dieselben Sitten üblich waren wie bei der serbischen
Moba und der russischen Toloka.
Erntelieder, besonders Schnitterlieder sind in
den deutschen Volksliedersammlungen ziemlich häu-
fig^; manche von ihnen verrathen durch ihre dick
aufgetragene MoraP), dass sie jedenfalls keine Ar-
1) SCHMELLER, Bayerisches Wörterbuch II, Sp. 586 f.
2) Vgl. Firmreich, a. a. O. III, S. 631. 687. 693. Böhme, Alt-
deutsches Liederbuch S. 277. Erk- Böhme I, Nr. 123 f. III, Nr. 2152.
1555-
3) Vgl. z.
B. Frommann*s Mundarten I, S. 283.
16*
244
Fünfter Theil:
beitsgesänge sind ; andere wieder sind volksthümlicher.
ScHMELLER bringt die bayerischen Schnadahüpfeln
{Schnitterhüpflein ?) mit den Bittschnittem in Verbin-
dung und sieht in ihnen Begleitweisen zum Schnitter-
tanze. Ist seine Erklärung richtig, so könnten es
ebensogut Scherzlieder sein, die beim Getreideschnitt
gesungen wurden. Aus der Grafschaft Mark hören
wir, dass die Ernte mit einem Wechselgesang zwischen
dem Mäher und dem Mädchen begonnen habe. »Im
Zürichgau arbeitete das Geschnitt wohl nach der
Musik eines Geigers, und dem nicht Schritt halten-
den wurde zum Spott ein Fulacher (Faulacker), ein
kleiner Getreidezipfel, zurückgelassen^).« Im braun-
schweigischen Kreise Isenhagen erscheinen am letzten
Erntetage »die Musikanten schon am Vormittage auf
dem zum Abmähen bestimmten Felde, wo unter den
Klängen der Musik imd bei fröhlichem Jauchzen die
letzten Schwaden gemäht werden. Selbst diejenigen
Bauern, die schon früher mit ihrem Roggenmähen
hätten fertig sein können, lassen noch einen Rest
desselben stehen, damit er am Tage des Erntefestes
unter den Klängen der Musik abgebracht werden
könne ^.« Das alles scheint auf künstliche Unter-
stützung taktmässigen Arbeitens durch Gesang und
Musik auch auf deutschem Boden hinzudeuten.
Die Sitten der Bittarbeit geben sich in den
durch ganz Deutschland verbreiteten Emtebräuchen
unschwer zu erkennen, und das Gleiche trifft auch
auf die Frohnarbeit zu. In einem Weisthum aus dem
17. Jahrhundert für das den Rittern von Hohenstein
1) Beide Notizen aus E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde, S. 231.
2) Ztschr. d. Ver. f. Volkskunde, VI (1896), S. 372.
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 245
gehörige Dorf Lindschied im Taunus^) heisst es:
Wenn die Junker ihr Korn schneiden lassen, so
»sollen sie einen Pfeifer haben, der den Schnittern
pfeife, und wann die Sonne noch baumeshoch steht,
so sollen sie tanzen bis es Nacht wird«, und man
soll ihnen gesundes Essen und Trinken geben.
Nur ein echtes Arbeitslied, das seinem ganzen
Gehalt und seiner Form nach dieser Gruppe zuge-
wiesen werden muss, kann mitgetheilt werden. Es
ist ein sehr alterthümliches Lied, das die Gottschee-
erinnen beim Hirsejäten anstimmen, ein Wechsel-
gesang zwischen dem Chor und einer Vorsängerin^).
Der Chor beginnt und lässt sich vor jeder neuen
Strophe wieder vernehmen; die Vorsängerin trägt
einen Text vor, der mit den in der dortigen Gegend
üblichen Marienliedem nahezu übereinstimmt: »Der
Gesang geht immer eintönig in der Tonica fort und
hört darin, nach vorhergegangenem unteren halben
Ton, auch auf.«
Nr. 147.
Chor.
De bochtl schlüget haier in inshrm waude.
Got, gib
insch haier a guetes jaer,
In bainparge unt in hirschpodn!
Vorsängerin:
I. Shi trit bol auhin af proitn 'bak,
Af proitn bak, af schmuein schtaik.
1) Grimm, Weisth. IV, S. 576, § 5.
2) Veröffentlicht von Schröer in den Sitzungsberichten der
philos.-histor. Cl. der Wiener Akademie, LX (1868), S. 274 f. und
Hauffkn, Die deutsche Sprachinsel Gottschee, S. 196.
I
L
Fünfter Tlieil:
m bochtl schlüget u. s. w.
(Ebenso vor jeder der folEendea Strophen.)
Vorsängerin:
2. Af schmufln schtaik, af hoachn park,
Af tioachn
park, in roashaingnSrtn.
3. Bos belt
shai täSn in roashnguEitn?
Sbai belt pracbn geliScbtS reaablain.
4. GSliEchtai roashn piachSt shai,
G^iSchtai kranzlain nlacbtSt shai.
5. Zbai hent ir di kranzlain gi^iScbt?
Zum hailign kraizS belt shai shE hengn.
6. Bu belt shai hin mitm hailign kraiz?
Zum gotscbbak shean, ins himliaich.
Uebert
ragnng.
Chor:
Die Wachtel schlaget heuer in unserm Felde.
Gott, gleb uns heuer ein gutes Jahr,
In Weinbergen und in Hirscnfeldem I
Vor.«i,ge,i«i
I. Sie tritt wohl hinauf auf breiten Weg,
Auf breiten Weg, auf schmalen Steig.
Chor:
Die Wachtel schlaget u. s. w.
Auf schmalen Steig, auf hoben Berg,
Auf hohen Berg, in (den) Rosengarten
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 247
5. WoÄU sind ihr die Kränzlein licht?
An*s heiPge Kreuz wollt* sie sie hängen.
6. Wo wollt* sie hin mit dem heiligen Kreuz?
Zum Gottesweg schön, ins Himmelreich.
Schlussbemerkung.
Unser Ueberblick, so dürftig er bei dem Mangel
jeder Vorarbeit ausfallen musste, hat uns den Ar-
beitsgesang in einer ganz neuen Rolle gezeigt: als
Regulator der Massenarbeit. Und zwar ist er uns
in dieser Eigenschaft an so vielen Stellen der alten
Welt entgegengetreten, dass die einzelnen Erschei-
nungen das Seltsame, das sie auf den ersten Anblick
für uns haben mussten, schliesslich verloren haben,
und dass wir nunmehr in groben Zügen einen grossen
weltgeschichtlichen Entwicklungsprozess der Arbeits-
gemeinschaft vor uns sehen, durch den wie ein
rother Faden sich ein psychophysisches Element hin-
durchzieht, das wir an dieser Stelle am wenigsten
erwartet hätten. Anfangs bloss ein Mittel der Selbst-
zucht, durch das freiwillige Arbeiterscharen sich
zusammenhalten und ermuntern, wird der Arbeits-
gesang oder an seiner Stelle rhythmisch wirkende
Musik später zu einem Behelf herrschaftlicher Dis-
ciplin, den der afrikanische Häuptling anwendet wie
der chinesische Mandarin und der baltische Grund-
herr. Auch im Inhalt der Gesänge vollziehen sich
deutliche Wandelungen. Drückt der Bittarbeiter
seine Freude aus über die reiche Ernte, scherzt er
mit den Mitarbeitern, oder giebt seiner Liebessehnsucht
Ausdruck, so athmet der Gesang des Fröhners oft
bitteren Hass gegen seine Unterdrücker oder ergeht
sich in beweglichen Klagen über das eigene Elend.
248 Fünfter Theil:
In den meisten Fällen gehen die Gesänge noch von
der Arbeit selbst aus; aber in manchen sind doch
auch die Beziehungen zu ihr sehr entfernte, oder es
sind solche überhaupt nicht vorhanden. Die ver-
schiedenen Nationen weisen darin erhebliche Unter-
schiede auf. Doch würde es zu weit führen, hier
darauf einzugehen, wie denn überhaupt bei der
Lückenhaftigkeit des Stoffes allgemeine Schlüsse nur
mit grosser Vorsicht gezogen werden dürfen.
Nur einen Gesichtspunkt können wir wohl noch
einen Schritt weiter verfolgen. Haben sich Arbeits-
gesang und Instrumentalmusik bei der Frohnarbeit
als Disciplinarmittel erwiesen, so mussten sie bei der
Sklavenarbeit erst recht Bedeutung gewinnen. Skla-
ven faulenzen, wenn sie nicht beaufsichtigt werden; sie
müssen truppweise beschäftigt werden, weil sonst
die Kosten der Beaufsichtigung zu gross würden.
Taktmässiger Vollzug der Arbeit, wo er möglich war,
empfahl sich hier durch die Erwägung von selbst,
dass dabei keiner zurückbleiben konnte ^). Den Alten
war es nichts Ungewohntes, dass bei Massenarbeiten
der Takt durch die Flöte angegeben wurde ^, und
wenn der römische Satiriker uns berichtet, in dem
Hause des reichen Trimalchio sei alle Sklavenarbeit
unter Gesang verrichtet worden^), sodass man sich
1) Im Frühjahr 1895 konnte man auf den Berliner Rieselfeldern
die Sträflinge von Rummelsburg die Grasflächen nach dem Kommando
des Aufsehers im Takte abharken sehen.
2) Vgl. oben S. 42 f.
3) Petron. Sat. 31. — Dass schon die Griechen die Vortheile
rhythmisierter Massenarbeit wohl erkannten, zeigt Xenoph. Oec. VIII, 8,
wo es u. a. heisst (§ 8): Siä rt Sh äXXo aXvnoi icXkr^koig slölv ol
ifiTfXiovtsg ?) didtL iv td^si ^ihv xa-dTjvrof t , iv td^si de jtgovsvovüLV,
iv ra|£t d' icvaitCntoveiv^ iv xd^H d* iiißaivovßt, %al i%ßaivovaLv;
Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2 49
unter einen Pantomimen-Chor hätte versetzt glauben
können, so liegt darin ja gewiss eine ungeheuerliche
Uebertreibung; aber ohne thatsächlichen Hintergrund
ist doch auch eine solche nicht denkbar. Ueber
Arbeitsgesänge der Ackersklaven vermögen wir nichts
Sicheres festzustellen^); sie werden ebensowenig ge-
fehlt haben, wie bei den Negern der amerikanischen
Kolonien. Fanden doch die Alten es selbstverständ-
lich, dass zu jeder schweren Arbeit im Freien ge-
sungen werde ^.
LiviNGSTONE^ macht einmal mit Beziehung auf
das Personal der Karawanenzüge arabischer Kauf-
leute in Ostafrika die Bemerkung: »Die Kllänge der
Trommel und des Kuduhomes scheinen eine Art von
Korpsgeist in solchen wachzurufen, welche einmal
Sklaven gewesen sind.« Sie sind unter den übrigen
herauszuerkennen. Das sagt Alles.
1) Wallon,
Histoire de Pesclavage dans Pantiquit^, I, p. 456.
2) Theocrit, X,
56; j^gri iiox^s^vrag iv aXio} &vS(fas asiSsiv.
3) Letzte Reise,
I, S. 290.
Unsere Untersuchung hat uns wiederholt auf die
Thatsache geführt, dass in den Frühzeiten mensch-
licher Kulturentwicklung Arbeit und Spiel sich nicht
von einander scheiden. Das umfassende Thatsachen-
material, welches die beiden letzten Kapitel uns vor
Augen gestellt haben, zeigt uns eine Gestaltung der
Arbeit, bei welcher ebenso der nützliche Zweck der-
selben, als die von ihr unzertrennlichen Unlustmomente
in den Hintergrund gedrängt, dafür aber ein doppeltes
Lustmoment eingeschoben erscheint: rhythmische
Körperbewegung und ermunternder Gesang oder
Musik. Mehrfach traten Erscheinungen auf, wie die
tanzartigen Bewegungen bei der Feldbestellung und
beim Austreten der Getreidekömer (S. 36 und 131),
die auch einem für diese Dinge noch wenig ge-
schärften Auge den Unterschied zwischen Arbeit und
Spiel fast aufgehoben sein Hessen.
Diese Feststellungen könnten es als überflüssig
erscheinen lassen, den Thatsachen noch besonders
nachzuforschen, welche jenseits der Grenzen der
Arbeit in unserem heutigen Begriffe liegen. Aber
es hat für den weiteren Gang dieser Untersuchung
doch einige Bedeutung, darzulegen, dass auch bei
denjenigen Thätigkeiten, welche wir heute nicht zur
Arbeit rechnen, sobald sie längere Zeit fortgesetzt
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 5 I
werden, rhythmische Bewegung mit Gesang oder
rhythmisch wirkender Instrumentalbegleitung ausser-
ordentlich häufig auftritt, bei Naturvölkern so häufig,
dass man diese Verbindung als Regel bezeichnen
muss. Wenn wir nun diesen Thätigkeiten in dem
gegenwärtigen Kapitel noch nachgehen, so kann es
sich dabei nicht um die Frage handeln, ob Körper-
bewegung ohne Gesangs- oder Instrumentalbegleitung
unter primitiven Zuständen überhaupt vorkommt.
Ich halte d^ für ausgemacht. Auch bei den Arbeiten,
für die besondere Gesänge bestehen, wird nicht
immer und fortwährend gesungen. Es kann sich nur
um die Frage handeln, ob Gesang und Musik unter
primitiven Zuständen ohne rhythmische Körperbe-
wegung, also völlig selbständig, zu finden sind, und
dies lässt sich nur dann entscheiden, wenn wir die
Gelegenheiten möglichst genau feststellen, bei denen
überhaupt gesungen wird.
Zu diesen gehört in erster Linie der Tanz. Ueber
den Tanz bei den Naturvölkern ist unendlich viel
geschrieben worden. Jeder, auch der oberflächlichste
Reisende hat ihn beobachtet und mehr oder minder
ausführlich geschildert. Dass er stets mit Musik
oder Gesang verbunden ist, unterliegt keinem Zweifel.
Ja, diese Verbindung erscheint beim Tanze noch
weit inniger als bei der Arbeit; haben doch manche
Völker für Tanz und Gesang nur einen sprachlichen
Ausdruck^): Der Tanz ist in viel ausgesprochenerer
Weise rhythmische Körperbewegung als die Arbeit.
Er ist dies von Haus aus und immer, während die
I) M. Buchner, Reise durch den St. Ocean, S. 143. Paulitschke,
a. a. O. n, S. 217. Ehrenberg, Ztschr. f. Ethnologie 1887, S. 33.
K. V. D. Steinen, a, a. O., S. 267.
252
Sechster Theil:
Arbeit nur unter der Voraussetzung gleichmässiger
Dauer — und auch da nicht immer — sich rhyth-
misch zu gestalten vermag.
Man hat sich viele Mühe gegeben einen den
Tänzen der Naturvölker zu Grunde liegenden Ge-
danken herauszufinden, bis jetzt freilich vergeblich.
Denn die Tänze werden bei den verschiedenartigsten
Gelegenheiten ausgeführt, bei Freude sowohl als
Trauer, vor und nach der Jagd oder dem Fischfang,
wenn diese Arbeiten eine Beute ergeben und ebenso,
wenn es nicht der Fall ist, bei der Hochzeit, beim
Krieg, bei Mondwechsel, bei der Gottesverehrung,
aber auch ohne jede äussere Veranlassung. Man
kann darum nicht einmal mit einiger Zuversicht be-
haupten, dass der Tanz irgend eine Art der gemüth-
lichen Erregung zum Ausdruck bringen oder eine
solche hervorrufen solle, dass er der blossen »Lust
an der Entladung der erregten Gefühle« entspringe.
Denn es steht doch ziemlich fest, dass er nicht bloss
den Mitwirkenden Freude und Erregung verursacht,
sondern ebenso den Zuschauenden, dass den aller-
grösstenTheil der Tänze primitiverVölker rhythmisierte
Nachahmungen von Vorgängen des Menschen- und
Thierlebens bilden, also Aufführungen, deren rhyth-
mische Gestaltung auf Andere wirken, ihnen Freude
machen, den Aufführenden selbst aber Ehre bringen
soll. Es gilt dies besonders von den Solotänzen,
die neben den Reigentänzen schon sehr früh auftreten.
So betrachtet würde der Tanz der Naturvölker wirth-
schaftlich ebenso gut als Arbeit aufgefasst werden
können, wie etwa die Produktionen des Balletkorps
auf unsern Theatern, und wir hätten keine Ursache,
ihm in diesem Zusammenhang eine besondere Be-
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 253
handlung zu widmen. Der an anderer Stelle (S. 152)
mitgetheilte Bajaderengesang wäre dann auch vom
Standpimkte der Tänzerinnen, die ihn erfunden haben
müssen, als Arbeitsgesang anzusehen, nicht bloss von
demjenigen der Kuli, die ihn sich aneigneten.
Aber manches spricht doch auch gegen diese
Auffassung. Vor allem muss darauf hingewiesen
werden, dass beim Tanze doch allgemein der Rhyth-
mus als etwas frei Erfundenes angesehen wird, während
er bei der Arbeit sich, wie wir annehmen müssen,
aus unserer inneren Körperconstitution und aus den
technischen Voraussetzungen der Leistung mit Noth-
wendigkeit ergiebt, bez. aus der Anwendung des
ökonomischen Prinzips auf die menschliche Thätig-
keit von selbst folgt. Ferner wäre zu beachten, dass
der Tanz, bei welchem Anlass er auch zuerst her-
vorgetreten sein mag, doch jedenfalls nicht der Lebens-
nothdurft entsprungen sein kann, wie die Arbeit.
Endlich kann nicht übersehen werden, dass viele
Tänze der Naturvölker nichts anderes sind als be-
wusste Nachbildungen bekannter Arbeitsvorgänge
(Bootbau, Jagd, Fischfang, Krieg, Ernte). Bei diesen
mimischen Aufführungen muss also doch nothwendig
die Arbeit früher vorhanden gewesen sein als der
Tanz, und so wenig wir geneigt sind, in dieser Unter-
suchung einen Unterschied zwischen Arbeit und
anderweiter menschlicher Thätigkeit gelten zu lassen,
so müssen wir doch in diesem Falle, wo die Natur-
völker selbst beide Thätigkeiten als gegensätzlich
empfinden, einen solchen Unterschied annehmen.
Wir kommen also damit nicht zum Ziel. Aber
vielleicht können wir uns von einer anderen Seite
demselben nähern. Der Tanz der Naturvölker ist
254
Sechster Theil:
nicht, wie unser Tanz, bloss Beweg^ung der Füsse.
Es giebt Tänze, die im Stehen und im Sitzen aus-
geführt werden, das letzte namentlich bei den Süd-
seeinsulanem ; die javanischen Tänzerinnen gebrauchen
fast nur die Hände und Finger; viele orientalische
Tänze sind Knie- und Hüftenbewegungen; der Ober-
körper, der Kopf, kurz alle einer eigenthümlichen
Bewegung fähigen Körpertheile werden in Anspruch
genommen. Wir müssen also sagen, dass der Tanz
dieser Völker rhythmische Körperbewegung schlecht-
hin ist, sein Ziel rhythmische Darstellung solcher
Vorgänge und Handlungen, die an und für sich nicht
rhythmisch verlaufen oder rhythmische Figuration
solcher Thätigkeiten, bei denen auch im gemeinen
Leben der Rhythmus nicht fehlt. Es wird also der
rhythmisch sich bewegende menschliche Körper im
Tanze zum künstlerischen Ausdrucksmittel, und die
in der menschlichen Natur liegende Neigung zu
rhythmischer Gestaltung der Bewegungen findet im
Tanze ihre höchste Vollendung, indem es ihr gelingt,
ästhetische Wirkungen zu erzielen. Hat man die
Poesie als die Plastik des Innenlebens bezeichnet,
so wird der Tanz der Naturvölker zu einer Plastik
des Aussenlebens, nachdem das letztere das gei-
stige Centrum des Menschen passiert hat. Damit
ist gegeben, dass neben dem mimetischen Elemente
der Tanz auch begleitende Gefühle zum Ausdrucke
bringen kann und muss. Immer aber ist es bei den
Naturvölkern die gesamte, in bestimmten Massver-
hältnissen verlaufende, auf das Wohlgefallen der Zu-
schauer berechnete Körperbewegung, die in untrenn-
barer Verbindung mit Gesang und Musik das Wesen
des Tanzes ausmacht. Dies entspricht auch der Auf-
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 255
fassung der Griechen, bei denen die Orchestik die
Kunst der Gebärden und Bewegungen überhaupt ist
und Poesie und dramatische Darstellung mitumfasst^).
Wir können hier nicht tiefer auf den Gegenstand
eingehen. Es muss zum Beleg des Gesagten genügen,
dass beispielsweise eine Schilderung hier wiederge-
geben wird. »Die Tänze der Ostjaken«, berichtet
P. S. Pallas^), »welche keine geringe Uebung, Fer-
tigkeit und Anstrengung erfordern und den Tänzern
Seh weiss genug auspressen, stellen theils ihr Ver-
fahren bei der Jagd verschiedener Thiere oder Vögel
und beim Fischfang, theils das Betragen, die ver-
schiedenen Posituren und Gänge der ansehnlichsten
Thiere und Vögel, theils auch satyrische Nachah-
mungen ihrer Nachbarn, alles nach dem passlichsten
musikalischen Takt vor, welchen der Spieler, nach
den verschiedenen Vorstellungen des Tänzers, oft
abwechselt. So habe ich zum Exempel die Zobel-
jagd, die Sitten des Kranichs, des Elennthieres, den
Flug imd Raub des Mäusefalken, das Betragen der
russischen Weiber beim Waschen am Fluss und an-
dere noch lustigere Handlungen auf eine überaus
possierliche und lächerliche Art vorstellen gesehen.
Am mühsamsten hat mir die Vorstellung des Kra-
nichs geschienen, da der Tänzer sich niedersitzend
unter einem Pelze verbirgt, dessen Zipfel er um einen
langen Stock befestigt, auf welchem oben ein Kra-
nichskopf vorgestellt wird, und solchergestalt auf
den Hacken sitzend oder doch ganz gebückt tanzen
1) Krause, Gymnastik und Agonistik der Hellenen (Leipzig
1841). — M.
Emmanuel, La danse grecque antique (Paris 1896).
2) Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reichs
(1772/73), in» S. Ö4f.
256 Sechster Theil:
und mit dem Stock alle Bewegungen des Kranichs
nachahmen muss. Bei den Vorstellungen des Elenn-
thiers muss die Musik die verschiedenen Bewegungen
des Thieres, wenn es im Schritt, im Trott oder im
Lauf geht, ausdrücken und die Pausen vorstellen,
die das Thier macht, um sich nach dem Jäger um-
zusehen. Man sollte kaum so viel Künstliches imd
Wohlausgesonnenes bei einer so rohen Nation ver-
muthen, Ihre liebsten Vorstellungen sind die saty-
rischen Tänze, so wie es auch ihre beste Ergötzlich-
keit ist, in den selbstersonnenen Liedern diesen
oder jenen durchzuhecheln; obschon sie auch sonst,
wenn sie trunken und lustig sind, alles, was ihnen
nur einfallt, aus dem Stegreif in einen Gesang
bringen.«
In der That wird man der grossen Bedeutung,
welche der Tanz im Leben der Naturvölker behaup-
tet, nie gerecht werden, wenn man das Hauptge-
wicht darauf legt, dass er die Tänzer selbst in einen
sich fortwährend steigernden Grad der Erregung ver-
setzt, die sich schon äusserlich dadurch zu erkennen
giebt, dass das Tempo ihrer Bewegungen und damit
auch des sie begleitenden Gesanges immer mehr be-
schleunigt wird und schliesslich in wahre Raserei
ausartet. Diese Folge rhythmischer Körperbewe-
gungen ist auch gewissen Arbeiten nicht fremd, wie
wir an dem Beispiel der georgischen Maishacker
(S. 212) sehen konnten. Zum weiteren Beleg theile ich
nachstehend die Singweisen zweier ägjrptischen Fe-
lachenlieder mit, die bei der Arbeit gesungen werden^).
i) Aus SwoBODA, Musikgeschichte I, S. 158. A. DE LA FAge,
dessen Histoire
de la musique et de la danse (Paris 1844) sie S.
entnimmt, »weist auf eine musikalische Absonderlichkeit hin, welche
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.
257
Die besondere Arbeitsart, zu der sie gehören, ist
leider nicht angegeben.
Nr. 148.
Gemässigte Bewegung.
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Sehr lebhafte und starke Bewegung.
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Langsamere aber noch starke Bewegung.
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Nr. 149.
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darin besteht, dass Tagelöhner im heutigen Aegypten bei der Arbeit
die Dauer ihrer körperlichen Bewegungen mit dem wechselnden Zeit-
werthe desselben Tones in Einklang bringen, den sie beharrlich, aber
ohne Grazie immer wieder singen.« Das Verhältniss ist natürlich ge-
rade umgekehrt.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 17
258
Sechster Theil:
^^^^
So wenig der Lustwerth, den fortgesetzte starke
rhythmische Bewegungen für den Ausführenden haben,
zu bestreiten sein wird, so wird doch nun für die in
gleicher Weise gestaltete Arbeit dasselbe in Anspruch
genommen werden dürfen, wie für den Tanz, und es
wäre damit der am Schlüsse des ersten Kapitels ge-
forderte Nachweis geliefert. Soweit die Arbeit sich
rhythmisch gestalten lässt, trennt sie vom Tanze kein
Artunterschied mehr, sondern nur ein Gradunter-
schied. Und auch darin wären beide verwandt, dass
wie bei der Arbeit, so auch beim Tanze ein ausser
der Thätigkeit selbst liegender Erfolg erstrebt wird:
die Ergötzung, die Bewunderung der Genossen. End-
lich muss die »socialisierende Wirkung«, die dem
Massentanze der Naturvölker zugeschrieben worden
ist^), mit Entschiedenheit auch ihrer Massenarbeit
zugesprochen werden. . ^
Nicht selten tritt der Tanz noch dadurch in ein
eigenthümliches Verhältniss zur Arbeit, dass er die
Einleitung oder den Schluss eines grösseren Werkes
bildet, indem dabei dieses selbst noch einmal in fi-
guriert rhythmischer Weise vorgeführt wird. So
beim Fischfang, der Jagd, dem Hausbau, dem Boot-
zimmem, besonders aber bei der Ernte. Ein Ueber-
rest dieser Sitte sind unsere Schnittertänze beim
i) Grosse a. a.
O. S. 219.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 259
Erntefeste. Bei vielen Völkern führen die Weiber,
während die Männer auf einer Jagd oder einem Kriegs-
zuge abwesend sind, zu Hause einen Tanz auf, der sich
auf die Unternehmung bezieht, indem sie damit ihren
innem Antheil am glücklichen Gelingen derselben
zum Ausdruck bringen.
Ja es finden sich noch seltsamere Verbindungen
zwischen Tanz und Arbeit. Wir haben oben (S. 46)
bereits erfahren, dass bei den Ussukuma eine Art
Vorsänger den lasttragenden Leuten etwas vortanzt.
Im Hafen von Maskat fand Wellsted (1835) ein
grosses Lastschiff, dessen Mannschaft aus etwa 150
Persem, Arabern, Belutschen, Armeniern und Negern
bestand. Die letzteren waren in der Mehrzahl. »Zur
Ermunterung und Belustigung bei der Arbeit wählen
sie etwa zehn aus ihrer Mitte, die den übrigen etwas
vorsingen. Ein Bursche mit einer scharfen Tenor-
stimme leitet gewöhnlich den Gesang; seine Kame-
raden stimmen in einem tiefen Bass ein und begleiten
den Gesang mit einigen rohen Instrumenten und
einem wilden malerischen Tanze. Jene Instrumente
sind ganz kunstlos; eins gleicht dem Tamtam Hin-
dustans, ein anderes dem Tamburin der Europäer,
und wenn sie kein solches Instrument zur Hand
haben, schlagen sie wohl auf einer ihrer kupfernen
Essschüsseln den Takt. Einem Europäer klingen
diese Misstöne freilich nicht wie Musik; aber für
diese Afrikaner haben sie etwas unbeschreiblich Auf-
regendes«^). Eine ähnliche Erscheinung beobachtete
Jacobsen^) in einem Hafen der Key-Inseln auf dem
^
1) Wellsted*s Reisen in Arabien I, S. 25.
2) Reise in die Inselwelt des Banda-Meeres, S. 170 fF.
17'
26o Sechster Theil:
grossen Boote eines Radjah: »Rechts und links sehen
wir je zwanzig Ruder sich im Takte bewegen und
zwar derart, dass je zehn Ruderer auf der Bank im
Boot sitzen, während zehn andere von dem Oberdeck
aus ihre beträchtlich längeren Riemen schwingen.
Verwunderlich erscheinen uns allerdings einige bunt-
gekleidete Tänzer, die auf dem Vorderdeck am Steven
zum Klange des Gongs und einiger Trommeln ihren
Klewang schwingen und ihren Oberkörper hin und
her wiegen.« Derselbe Beobachter fand aber später
in Timorlaut ein Häuptlingsgrab in Gestalt einer
Prau, die auf ihrem Verdeck eine tanzende Holz-
puppe, einen Gong- und einen Trommelschläger
trug^) — ein Beweis, dass es sich um eine stehende
Einrichtung handelt.
Die Tanzgesänge unterscheiden sich in ihren
Eigenschaften von den Arbeitsgesängen nicht. Wie
diese bestehen sie oft nur in einem unablässig wieder-
holten »ho ho ho!« oder »hu hu hui«, oder es wird
ein einziger kurzer Satz immer wieder angestimmt.
Diese Ausrufe oder Sätze werden dann mit einem
eigentlichen Text versehen, der sich zwischen sie
einschiebt und den sie als Kehrreim immer wieder
unterbrechen. In der Regel stimmt der Chorführer
den Gesang an und giebt damit das Zeichen zum
Beginne der Aufführung; nicht selten führen dann
die verschiedenen Glieder des Tanzreigens den Ge-
sang als Wechselgesang weiter; oft betheiligen sich
auch die umherstehenden oder sitzenden Frauen mit
Gesang und Händeklatschen an der Aufführung; fast
immer aber findet der Rhythmus der Bewegungen
i) a. a. O. S. 209 und Abbildung S. 210.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.
261
nicht bloss am Gesang eine Unterstützung, sondern
mit diesem auch Halt und Mass in dem Schall der
stampfenden Füsse und dem Klatschen der Hände.
Das letztere kann auch durch Zusammenschlagen
der Waffen, Patschen mit den Händen auf die
Schenkel, Klappern von Schallhölzern oder den Ton
eines Schlaginstruments ersetzt werden. Wie sich
ein solches »Ensemble« musikalisch ausnimmt, zeigt
folgende Tanzweise ^) der Barabra (in der Nähe der
Nilkatarakte) :
Erster Chor.
Nr. 150.
' ^.r^-idriLtilr -^ ^ \^SiUif\f^:^=^^=m
Zweiter Chor.
^^
i
i=T
i
r-iMr-T
m
Rhythmus der Hände.
.j^ju — U j] j u j:
-(5>-
inj Uli
Rhythmus der Füsse.
J A' IJ ^i
lM-ii4
Was den Inhalt der Tanzgesänge betrifft, so
lässt sich allgemein nur sagen, dass das Lied nur
bisweilen mit einer Aufforderung Bezug nimmt auf
die Bewegungen der Tanzenden, dass aber regel-
mässig der darzustellende Vorgang wenigstens be-
rührt wird. Oft wird er auch lebhaft und ausführ-
lich geschildert; aber es ist das durchaus nicht immer
nöthig, da eine ausgebildete konventionelle Gebärden-
sprache den Zuschauem keinen Zweifel über die
I) Aus Ambros, Geschichte der Musik I^ S. 549 f.
26 2 Sechster Theil:
Bedeutung der Aufführung lässt. Improvisationen
sind in den Tanzgesängen ebenso häufige wenn nicht
häufiger, wie in den Arbeitsgesängen. Ein völliger
Irrthum ist die Annahme, dass die Tanzlieder der
Naturvölker wesentlich lyrischer Natur seien. Epische
Elemente sind ihnen durchaus nicht fremd. Als
Probe sei hier der Gesang mitgetheilt, der unter
Trommelschlag bei dem Abschiedstanze gesungen
wurde, welchen in Unyanyembe Eingeborene und
Träger Stanley zu Ehren aufführten^).
Nr. 151.
Chorführer: Oh, oh, oh! Der weisse Mann geht nach Hause.
Chor: Oh, oh, oh! er geht nach Hause.
Er geht nach Hause, oh, oh, oh!
Chorführer:In das glückliche Eiland auf dem Meere,
"Wo es Perlen giebt in Menge. Oh, oh, oh!
Chor: Oh, oh, oh! Wo es Perlen giebt in Menge.
Oh, oh, oh!
Chorführer: Während Singiri (der Karawanenfiihrer) uns zurückge-
halten hat, oh, so lange
Von unsrer Heimat, so lange; oh, oh, oh!
Chor: Von unsrer Heimat, oh, oh, oh
Oh, oh, oh!
Chorführer: Und wir hatten gar kein Essen so sehr lange Zeit.
Wir sind halb verhungert, oh, sehr lange Zeit!
Bana Singiri!
Chor: Sehr lange Zeit, oh, oh, oh!
Bana Singiri,
Singiri!
Singiri! oh,
Singiri!
Chorführer: Mirambo ist in den Krieg gezogen,
Zu kämpfen gegen die Araber;
Die Araber und die Wangwana
Sind fort, Mirambo zu bekämpfen.
i) Stanley, Wie ich Livingstone fand, H, S. 240 f.; über die
Improvisation S. 173.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 263
Chor: . Oh, oh, oh! Mirambo zu bekämpfen.
Oh, Mirambo!
Mirambo!
Oh, Mirambo zu bekämpfen!
Chorführer: Aber der weisse Mann wird uns erfreuen;
Er geht nach Hause! Denn er geht nach Hause,
Und er wird uns erfreuen! Seh — seh — seh!
Chor: Der weisse Mann wird uns erfreuen. Seh — seh — seh!
Seh — sch-h-h — sch-h-h-h-h-h !
Um-m — um — um-m-m — seh!
Stanley versichert, dass er diesen Gesang «wegen
seiner merkwürdigen epischen Schönheit, rhythmischen
Vortrefflichkeit und gewaltigen Leidenschaft als eines
der wunderbarsten Erzeugnisse der chorliebenden
Kinder Unyamwezi's« wörtlich wiedergegeben habe.
Bezeichnender noch sind die Tanzgesänge der
Faröer, in welchen Stoffe aus der nordischen My-
thologie und Heroen weit, Legenden, Elfenmärchen,
ja selbst aus Dänemark herübergekommene Ritter-
romanzen abgehandelt werden. »Von Weihnachten
bis zu Fassnacht ist* die eigentliche Tanzzeit; aber
auch ausserdem wird an Feiertagen und bei fest-
lichen Gelegenheiten getanzt. Man braucht keine
Instrumentalmusik; man tanzt nach Gesang. Bald
ist der, bald jener Vorsänger, und alle, die singen
können, stimmen wenigstens in den Kehrreim mit
ein. Der Tanz besteht darin, dass Männer und Weiber
sich wech^lsweise bei den Händen halten und drei
taktmässige Schritte vor- oder seitwärts thun, dann
balancieren oder einen Augenblick stille stehen; wer
diese Bewegungen nicht genau beobachtet, stört
sogleich den ganzen Tanz. Die Aufgabe des Ge-
sanges ist nicht allein, die Schritte zu regulieren,
wie andere Tanzmusik, sondern auch durch seinen
Inhalt gewisse Gefühle zu wecken. Man kann an
264 Sechster Theil:
der Tanzenden Betragen leicht merken, dass sie nicht
gleichgültig dem Gesänge zuhören; sie lassen sich's
vielmehr angelegen sein, den jedesmaligen Inhalt der
Lieder durch Mienen und Gebärden auszudrücken«^).
Als Probe sei der Anfang des Sigurdsliedes hier
mitgetheilt:
Vorsänger:
1. Wollet ihr mir nun hören zu,
Und lauschen meinem Singen:
Ich will von mächtigen Königen
Euch eine Kunde bringen.
Kehrreim:
Grani') trägt das Gold aus der Haide,
Sigurd schwinget das Schwert in Freude,
Den Wurm, den hat er bezwungen.
Und Grani trägt Gold aus der Haide.
Vorsänger:
2. Sigmundur, der König,
Er war eines Jarls Sohn gut, u. s. w.
LuKiAN giebt in seinem Dialog über die Tanz-
kunst eine lange Aufzählung der Gegenstände, welche
die Griechen in ihren Tänzen darzustellen pflegten.
Dieselbe 'umfasst die ganze Götter- und Heldensage,
und wir erkennen daraus, dass nichts aus diesem Ge-
biete der Orchestik fremd blieb; aber die Freude an
rhythmischer Bewegung reichte weit über den Tanz
hinaus: auch die meisten Bewegungsspiele (z. B.
Ballspiel, Stelzenlaufen, Radschlagen) und die gymna-
stischen Uebungen der Palästra wurden in rhyth-
mischer Weise mit Flöten- oder Gesangbegleitung
1) Talvj, Versuch, S. 191 ff.
2) Sigurd's Ross.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 265
ausgeführt.^) Und Aehnliches begegnet uns ander-
wärts. Die Neuseeländer haben »ein Ballspiel, in
welchem besonders die Mädchen geübt sind. Der
schön verzierte Ball ist an einem langen Bindfaden
befestigt. Mit einer Hand hält man den Faden, mit
der andern wird der Ball wiederholt und in ver-
schiedener Richtung fortgeschnellt, immer aber im
Takt und nach dem Tonfall eines gleichzeitig ge-
sungenen Liedes.«^ Ein anderes Spiel haben die
Knaben, das sie Poroteteke nennen. »Mehrere
ordnen sich in eine Reihe; plötzlich auf ein ge-
gebenes Zeichen stellen sie sich auf den Kopf und
bewegen dann ihre Beine in der Luft, indem sie
mit den Fersen gegen das Hintertheil schlagen nach
dem Takte eines von allen angestimmten Gesanges.
Es ist eine Art Kriegstanz auf dem Kopfe, der so
lächerlich aussieht, dass niemand, der ihn sah, sich
vor Lachen fassen konnte.«^)
Besonders interessant sind die Schaukellieder.
Schon bei den alten Griechen gab es besondere
Schaukelgesänge, die von den Frauen am Eoren-
feste gesungen wurden und die Athenaeus^) in
einer Reihe mit den Arbeitsgesängen nennt. Aller-
dings handelte es sich dabei um das Schaukeln von
Wachsfiguren, die an Bäumen aufgehängt waren.
Spielgesänge zur Brettschaukel singen noch heute
die serbischen Mädchen^) und namentlich die Estinnen.
1) Emmanuel
a. a. O. S. 275 fF.
2)
Shortland, Traditions, p. 160.
3)
Shortland a. a. O., S. 157.
4) XrV p. 618«; vgl. Preller, Gr. Mythologie I», S. 526.
5) Ein serbisches Schaukellied findet man bei Gerhard I, S. 73 f.
266 Sechster Theil:
Schon im vorigen Jahrhundert schrieb ein Reisender^):
»Die Schaukel ist ein Lieblingszeitvertreib der Ehsten.
Jung und Alt kommt da zusammen; der Vater freut
sich seiner Söhne, die Mutter ihrer Töchter. Man
redet von Neuigkeiten und bringt etwas Speise mit,
weil man an einem Feiertage die mehrste Zeit des
Nachmittags und den ganzen Abend hier bleibt.
Wer was hat, theilt dem, der nichts hat, mit.« »Bei
jedem Dorfe, bei den meisten Krügen imd auch
selbst auf manchen adlichen Höfen findet sich eine
Schaukel. Sie ruht oder hängt zwischen zwei Pfosten
von Holz, und es können sich ihrer zwei bis drei
darauf schaukeln. Das Mädchen setzt sich auf den
hölzernen Sitz, und der Bursche tritt so darauf, dass
jenes sich zwischen den Füssen des. letzteren be-
findet; durch die Bewegung der Kniee und An-
strengung des ganzen Körpers bringt er den Sitz
in solchen Schwung, dass er sich nebst dem Mädchen
rund um die Achse, und oft mehrmals, herum-
schlendert.«^ Meistens jedoch halten die Burschen
bei der Schaukel nicht lange aus; sie ist wesentlich
ein Vergnügen der Mädchen. Bei den estnischen
Setud (im Gouv. Pleskau) werden die Schaukeln nur
zu Ostern auf dem Dorfwege errichtet und nach
•
Pfingsten wieder auseinandergenommen. »Es exi-
stieren specielle Schaukellieder, die in dieser Zeit
gesungen werden. Eine Vorsängerin beginnt die
Zeile ; beim letzten Wort fallt die übrige Gesell-
schaft ein und wiederholt die Zeile. Unterdessen
legt sich die Vorsängerin einen neuen Vers bereit.
1) Teutscher Merkur vom Jahr 1787, IJI, S. 248 f.
2) Petri, Ehstland und die Ehsten, S. 251 f.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 267
Da die Dörfer einander recht nahe sind, so hört
man zuweilen von vier bis fünf Stellen Stimmen
herüberschallen«. ^) »Die zahlreichen Schaukellieder
(kikelaulud) nehmen auch fremde Stoffe in sich auf
und scheinen mitunter eine Art Berauschung zu
athmen.«^ Ich theile drei Proben mit:
Nr. 152.
Dorfes "Weiber, kommt zur Schaukel !
Bringet Hühner mit, bringt Eier,
Bringet brütende Gänse,
Bringet Enten paarweise,
Bringt Füsse der Schwimmvögel,
Kommt zur Schake zu schwenken.
Schiebt die Kinder in die "Wiege,
Der Vater wird die Kinder schon säugen.
Ich ging zur Scliake zu schwenken,
Fand da viele schwarze Strümpfe,
Von Annen zwei bunte Bänder,
Von Lise städtisches Garn,
Von des Kubjas Tochter goldne Tressen,
Von einer armen "Waise unechte Tressen. *)
Nr. 153.
Höher schwinge dich, o Schaukel,
Höher auf und für und fürder,
Dass ich leuchte fern ins Land hin,
"Weit nach Weissenstein hin leuchte.
In des Städtchens Gasse glänze.
Mir der Kranz bis Pemau leuchte,
1) Sitzungsberichte der Gelehrten Estn. Gesellschaft, 1894, S. 89.
Vgl. HUPEL, Topogr. Nachr., H, S. 159.
2) Neüs , Esthnische Volkslieder 362 ff. Von den hier abge-
druckten Stücken stammt Nr. 152 aus dem :^Teutschen Merkur^
S. 249 f. ; die beiden andern aus der Sammlung von Neus.
3) Diese und andere Sachen hatten die Mädchen, weil sie sich
so wild schaukelten, verloren.
Z6S Sechster Theil:
Seine Bänder bis nach Deutschland,
Mir das Kleid bis Kurland leuchte :
Dass der Knabe komm' aus Polen,
Der Beweibte nah' aus Narwa
Ob der Klarheit meines Kranzes,
Ob dem Blinken meines Bandes,
Ob des goldnen Kleides Glanzstoff.
"Wer bringt mir den Kranz aus Pemau?
Vater bringt den Kranz aus Pemau.
Wer bringt Stiefeln mir aus Deutschland?
Mutter Stiefeln mir aus Deutschland.
Wer bringt mir das Kleid aus Kurland?
Bruder mir das Kleid aus Kurland.
Höher schwinge dich, o Schaukel !
Schiffe, Schaukel, jenem Lande zu.
Wo die Hähne Goldes trinken,
Hähne Goldes, Hühner Lahnes,
Gänse Silbers, des glänzenden,
Feine Vögelchen Pfennige !
Nr. 154.
Lasst mich nieder, ich bitte sehr!
Lasst ihr nicht, so bitt' ich nimmer,
Wiege willig bis zum Abend,
Schaukle bis zum schönen Morgen,
Singe bis zum Tage selber!
Melkt die Föhre wohl die Färse,
Führt die Hasel wohl die Herde,
Tränkt der Blondkopf traun das Kälbchen,
Führt zur Feme fort die Herde!
Auf der Herde Steig, was fand sie?
Auf der Herde Steig ein Hühnchen,
Hob und trug es heim zur Mutter.
In die Truhe that's die Mutter,
Unter'm Deckel aufzuwachsen.
So erwuchs ein Sachsenfräulein,
Der erschienen drei der Freier,
Fünf und sechs der Krüge Weines,
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 260
Kallewingen, zweie, dreier
Der des Mondes, der der Sonne
Und der dritt' ein Spross der Sterne.
Sie doch versteht es, sie entgegnet:
»Nein, ich gehe nicht zum Monde,
Nein, ich gehe nicht zur Sonne;
Gehe zu der Sterne Sprossen.
Bald ja scheint der Mond im Schimmer;
Bald ja scheint die Sonne sengend.«
In den Saal lud man den Stern ein,
Stellte vor ihn hin die Speisen
In der silberschönen Schüssel
In dem Kelch von edlem Golde.
Der Eingang des letzte» dieser Gesänge wird
vielen Schaukelliedern vorgesetzt, um sie einem
vorausgegangenen anzureihen. Der zweite Theil
nimmt auf die finnische Göttersage Bezug. Kalle-
wingen sind die Söhne Kallewi's, des Riesen, des
im Meere treibenden Gottes Wäinämöinen. Die
Jungfrau, die aus dem Hühnchen entsteht, ist die
göttliche Salme, welche sich mit dem ebenbürtigen
Sterne vermählt. Uebrigens' sollen die Finnen selbst
ähnliche Schaukellieder besitzen, wie denn auch das
sonntägliche Vergnügen bei der Schaukel unter ihnen
ganz in den gleichen Formen sich bewegt, wie unter
den Esten. ^)
Die estnischen Mädchen haben noch eine ganze
Anzahl Gesellschaftsspiele und zu ihnen eigenthüm-
liche Singweisen. ^ Auch hierbei handelt es sich
um Bewegungen im Takte; doch würde es zu weit
1) Neus a. a. O. S. 363 und mündliche Mittheilungen von Herrn
Mag. Hugo Palander.
2) Neus a. a. O., S. 382 — 389 theilt allein zu acht derselben die
Lieder mit. — Die Gesellschaftsspiele der Südslaven sind in der Regel
mit Reigentänzen verbunden: Krauss a. a. O. S. 142 ff.
270
Sechster Theil:
führen, darauf näher einzugehen, da sie ohne ge-
nauere Schilderung des Vorganges nicht verständ-
lich sind.
Wie in den Tanz, so geht die Arbeit nicht
selten unmittelbar auch in solche Spiele über. Es
mag genügen, zwei Beispiele anzuführen. Das erste
betrifft das Halmspiel in Serbien. Ist die Moba
beim Kornschneiden mit einem Acker fertig, so
nimmt einer der Schnitter so viel Halme in eine
Hand, als Mädchen da sind. Jedes Mädchen und
jeder Bursche fasst an einem Ende einen Halm an.
Dann lässt jener die Halme los, und nun müssen
sich diejenigen küssen, die an demselben Halme
angefasst haben. Dabei wird folgendes Lied ge-
sungen:
Nr. 155.
Lass uns greifen an den Halm, zarten, zartesten!
Dass wir sehen, welches Paar, welches Paar sich küsst.
Greifet an den zarten Halm, zarten, zartesten!
Dass wir sehen, wem das Glück freundlich lachen wird.
Dem was Altes, dem was Junges, wie das Glück es schenkt!
Sei's was Altes, sei*s was Junges, küssen werd* ich*s doch.
Die sich gar nicht küssen wollen, die erschlage Gott!
Töte sie die heilige Paraskewia!
Thue nun dich auf, o Hand; halte länger nicht!
Die an einen Halm gefasst, diese küssen sich!*)
Das zweite ist das Sichelwerfen der Esten.
»Um zu sehen, wer von den ledigen Schnitterinnen
zuerst werde Braut werden, treten sie, gewöhnlich
nach Beendigung des Roggenschnittes, singend zu-
sammen, beugen sich, wie beim Schnitt, mit den
Köpfen zur Erde und werfen die Sicheln über die
I) Gerhard
a. a. O. H, S. 25.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 7 1
Schulter rückwärts. Diejenige, deren Sichel sich
am weitesten entfernt hat, wird für die Glückliche
gehalten.« Eines der hierbei gesungenen Lieder lautet:
Nr. 156.
Sirrife, ßrrife, firpikenne. Sause denn, sause denn, Sichelchen,
KeUife, kellife, köwwera rauda! Klirre denn, klirre denn, krummer
Stahl !
Kes fe nieift mehhele lähhab, Wer von uns zum Manne wallet,
Se firpi eli mingo! Deren Sichel dringe weitest;
Kes fe meid koio jääb. Wer von uns zu Haus muss harren,
Se firpi mahha waiogo ! Deren Sichel sinke nieder ! ')
Mit diesem Liedchen stossen wir bereits an
das Gebiet der Zaubersprüche, Beschwörungs-
formeln, Heilsegen, auf dem das gebundene, stark
rhythmisch vorgetragene, geraunte oder gesungene
Wort die bedeutendste Rolle spielt. Aber das Wort
allein ist nicht kräftig genug, um die erhoffte Wir-
kung zu erzeugen. Die Herbeiziehung übernatür-
licher Kräfte kann überall nur durch Vermittlung
besonders vorgeschriebener symbolischer Handlungen
und Bewegungen erfolgen; viele der letzteren ver-
rathen auf den ersten Blick rhythmischen Charakter:
Streichung des erkrankten Gliedes, Umwickelung mit
einem Faden, Besprengen und sonstige Bewegungen
mit einer Zaubemithe, Hammer- und Axtschläge,
Nachahmung eigentlicher Arbeitsbewegungen. Allein
dieses ganze in der sog. folkloristischen Litteratur
einen so breiten Raum einnehmende Gebiet liegt doch
einer ernsthaften wissenschaftlichen Forschung zu
wenig offen. ^ Nur das eine können wir deutlich
1) Neüs a. a. O., S. 74.
2) Ich wenigstens fühle mich nicht im Stande, dieses schwierige
272
Sechster Theil:
wahrnehmen, dass überall bei den Naturvölkern die
Schamanen^ Priester, Zauberer, Medizinmänner, oder
wie sie sonst heissen, ihr eigenes Handwerkszeug,
ihre rituellen Gesänge und Tänze besitzen, dass
Lärminstrumente, Masken und Maskentänze bei ihren
Produktionen die grösste Rolle spielen, und dass
diese letzteren doch wohl auch von unserem Stand-
punkte aus unter den Begriff der Arbeit fallen.
Wenn nun aber schon bei der gemeinen Arbeit des
täglichen Lebens Gesang und rhythmische Bewegung
unzertrennlich verbunden sind, wenn hier offenkundig
diese Verbindung in zahlreichen Fällen das Werk
forderte, so miisste es uns fast Wunder nehmen,
wenn man nicht in dem Wortrhythmus selbst ein
Moment des Gelingens, eine Art Zauber erblickt
und ihn auch da dem Bewegungsrhythmus gesellt
hätte, wo man das mit natürlichen Mitteln Unvoll-
bringbare vollbringen wollte.
Statt langer Auseinandersetzungen möge die Er-
zählung eines Missionars^) über die Art, wie man in
Madagaskar Kranke kuriert, das veranschaulichen.
»Zweimal am Tage wird ein Tanz aufgeführt. Die
ödy oder Hauszauber werden in den Hof gebracht
und nebst einem Silberthaler auf den hölzernen
Reismörser gelegt. Hierüber breitet man eine Matte
und setzt dann die in wunderlicher Weise geschmück-
ten Kranken auf das Ganze . . . Dann wurden die
Trommeln und Bambusen, die einheimischen Guitarren
oder Banjos bearbeitet und die Flöten geblasen:
Gebiet in grösserem Umfange hier hereinzuziehen. Einiges hat der
Recensent der i. Aufl. im »Literar. Centralblatt« , 1897 Nr. 15 bei-
gebracht.
I) SiBREE, Madagaskar, S. 232.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 273
alle Einwohner des Dorfes bildeten einen Kreis
um die Kranken und klatschten fortwährend in die
Hände, während die Frauen und Mädchen ein ein-
töniges Lied sangen. Nun begann eine für diese
Gelegenheit erwählte Frau von vornehmem Range
einen Tanz aufzuführen, während eine andere, die
hinter den Kranken sass, unaufhörlich mit einem
Beile gegen einen alten, an einem Stricke hängenden
Spaten schlug und auf diese Weise dicht neben
ihren Ohren ein entsetzliches Getöse vollführte. Man
glaubt hierdurch den ängatra (den bösen Geist, von
dem die Kranken besessen sind), in einen der Tan-
zenden zu treiben. Die beiden Kranken sassen voll-
kommen regungslos, während die Trommeln lauter
und immer lauter erschallten und immer mehr Hände
und Stimmen sich an dem Klatschen und dem Ge-
sänge betheiligten, der zuletzt in ein gellendes
Kreischen ausartete: da sah ich plötzlich zu meinem
grössten Erstaunen die beiden kranken Mädchen auf-
springen und in dem Kreise der Musicierenden herum-
tanzen. Diese Aufführungen werden zwei-, manchmal
auch dreimal an einem Tage veranstaltet, und wenn
trotzdem die Genesung der Kranken nicht bald er-
folgen will, wendet man sich an die Wahrsager, die
allerhand Erklärungen und Entschuldigungen dafür
anzugeben wissen, z. B. dass nicht genug Rindfleisch
oder Rum verabfolgt worden, oder dass die tan-
zenden Personen von nicht genügend hohem Range
gewesen seien.«
Das ist ungefähr das Bild aller Exorcismen bei
den Naturvölkern: immer handelt es sich darum,
durch Lärminstrumente, Tanz und besonders kräf-
tige, dem Sänger selbst oft unverständliche Worte
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 18
274 Sechster Theil:
die übernatürliche Kraft zu bannen. Auch im Kultus
der Götter, bei Familienfesten (Hochzeit, Be-
schneidung, Totenfeier) ist die Verbindung von Ge-
sang mit Tanz und feierlichem Taktschritt ganz ge-
wöhnlich. Die Lieder der Klageweiber enthalten
meist nur in den Kehrreimen Ueberliefertes und
werden sonst improvisiert. Aehnlich steht es mit
den Leistungen berufsmässiger Sänger. Nach Living-
stone's Tode erschien bei der Leiche ein einhei-
mischer Totenbeklager. »Er trug die bei diesen
Gelegenheiten üblichen Zierraten, bestehend aus
aufgereihten Samenkapseln, an denen kleine klir-
rende Steinchen befestigt sind, führte einen Tanz aus
und sang dabei mit tiefer klagender Stimme:
Nr. 157.
L^lo kwa Eng^r^s^, Heute starb der Engländer,
Muana sisi oa könda; Der andres Haar hatte als wir:
Tu kamb* tamb .Eng6r6s6 ! Kommt herbei und seht den Eng-
länder !
Als diese Aufführung beendet war, zogen sich
der Leidklagende imd sein Sohn mit einem angemes-
senen Geschenk von Perlen zurück.«^)
Auch bei Musik- und Gesangsaufführungen, die
lediglich der Unterhaltung dienen sollen, fehlt dieses
Bewegungselement nicht. Bei den Stämmen am
Victoria - Nyanza besitzt jeder grössere Herrscher
seine Kapelle von Trommlern, Hom- und Flöten-
bläsern, welche auf Befehl ihrer Gebieter öfter auch
Europäern ihre Kunststücke vormachen. Kollmann ^
schildert eine derartige Aufführung: »Einmal avan-
i) Waller, Livingstones letzte Reise II, S. 377.
2) Der Nordwesten unserer ostafr. Kolonie, S. 69.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 7 S
eierte eine Kapelle schon von weitem mit Musik
vom See aus. Genau im Takt sprangen, krochen
förmlich auf dem Boden und tanzten die Leute
heran. In wilden Sprüngen, oft mit beiden ge-
schlossenen Beinen zugleich, einzeln und im Trupp,
dabei ihre geschmeidigen Körper zeigend, näherten
sich die Spieler immer mehr und mehr. Dann
machten sie plötzlich Kehrt, später wieder Front,
stets dabei die Füsse genau im Takte auf die Erde
stampfend. Bei allen diesen Bewegungen werden
fortgesetzt die Flöten oder Homer geblasen wie auch
die Trommeln gerührt. Den Lärm vermehren noch
kleine eiserne Schellen mit Eisenkugeln darin, die
um die Beine gebunden werden und noch dazu dienen,
den Takt genau anzugeben. Bei mir angelangt, musi-
cierte die Kapelle, die immer noch in einem Glied
dastand, unverdrossen weiter. Ab und zu sprang
einer aus der Reihe näher heran imd gab einige
Solotänze und Sprünge zum Besten; dann tanzte er
wieder an seinen alten Platz zurück . . . Um die
Kapelle herum steht die gaflfende Menge, und die
meisten können sich nicht versagen, selbst mit zu
dem Konzert zu tanzen. Ich sah zwei Weiber, die
die tollsten Sprünge und Verbeugungen riskierten,
wiewohl sie etwa halbjährige Kinder auf dem Rücken
trugen, die ihrerseits nun ebenfalls alle Bewegungen
ihrer vergnügungssüchtigen Mütter nothgedrungen
mitmachen mussten, ohne dass eines derselben einen
Laut der Misstimmung von sich gegeben hätte. Ein-
mal beobachtete ich auch, dass die Musikanten zur
Flötenmusik Lieder sangen, alles unter taktmässigem
Stampfen mit den Füssen. Die Mitglieder solcher
Kapellen sind Musiker von Beruf.«
18*
2 70 Sechster Theil:
Noch eigenartiger tritt rfas Bewegungs-Element
in nachfolgender Erzählung Emin Pascha's^) hervor:
»Ein Sänger macht mir sodann seinen Besuch, Vom
Felle langhaariger Ussoga- Ziegen hat er sich einen
stattlichen schwarzweissen Hängebart zurecht ge-
macht, der ihm den Mund halb verdeckt und nur
dumpf zu sprechen erlaubt. Nachdem er sich im
Kreise der Zuschauer niedergelassen, beginnt er mit
kundiger Hand die Laute zu schlagen, eine sieben-
saitige Guitarre. Schwirrend folgen sich die Töne
eines kleinen Vorspiels, aus dem in einförmiger
Rhythmik eine Art Recitativ sich entwickelt, des
weissen Fremdlings Glasperlenschätze und seine Frei-
gebigkeit preisend. Bemerkenswerth ist die genaue
Takteinhaltung in Gesang und Spiel. Wie der
Gesang sich hebt, so beginnt nun ein regelmässiges
Auf- und Niederbeugen des grossen Bartes, und es
nimmt sich wirklich drollig aus, wenn der Sänger,
seinen Kopf rechts oder links zur Schulter nieder-
beugend, den Bart zur Guitarre tanzend lässt. Als
Haupteffekt aber, der stets unauslöschliches Gelächter
hervorruft, beugt er den Kopf ganz nach dem Rücken
zu so, dass die Bartspitze gerade in die Luft starrt,
und lässt in dieser Stellung ein lang anhaltendes
gurgelndes Rrrr ertönen, zu dem der Bart schwingt.«
Diese Erzählung erinnert an die Art, wie die
finnischen Bauern nach dem Berichte Porthan's^
1) »Reisen in Aequatorial- Afrika« in Petermann's Mitth. XXIV
<i878), S.
370.
2) Opera selecta, HI, p. 364 sq. und RÜHS, Finnland, S. 327 f.
Der Vorsänger beginnt den Gesang; ist er bis etwa zur dritten Silbe
vom Ende des Verses gelangt, so fallt der Helfer ein, weil er aus
dem Zusammenhange und dem Metrum das kommende Wort leicht
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 277
ihre Gesänge vortragen. Es singen immer, auch
in grösserer Gesellschaft, nur zwei: der Vorsänger
und der Helfer. Bei Gesängen aus dem Stegreif
ist der erstere zugleich der Dichter. Beide sitzen
entweder nahe neben einander oder einander gegen-
über, sodass sie sich die rechte Hand reichen können,
die sie auf die aneinander stossendeh Kniee stützen.
»Während des Singens bewegen sie langsam den
Oberkörper, gleichsam als ob sie einander mit den
Köpfen berühren wollten, und machen ein ernstes,
nachdenkliches Gesicht.« Andere Beobachter^ be-
zeichnen diese Bewegung als ein »stetes Vor- und
Rückwärtsbeugen.« Es ist eine Art feierlichen Cere-
moniells, das als uralt gilt. Zu bemerken ist dabei
noch, dass diese finnischen Sänger nicht zum Zwecke
des Erwerbs auftreten, wie es in den beiden vorher-
gehenden Fällen der Fall war.
Eins aber scheint aus diesen Beispielen zu er-
hellen. Wie es ursprünglich keine Dichtung giebt,
die nicht gesungen wird, so giebt es keinen Gesang,
der nicht mit irgend einer Art der Körperbewegung
begleitet würde, mag diese nun durch eine Arbeit,
einen Tanz, ein sonstiges Bewegungsspiel oder durch
das Schlagen eines Instruments oder durch willkür-
lich ersonnenen Gebrauch der Gliedmassen herbei-
errathen kann; der Helfer wiederholt darauf mit etwas verändertem
Ton den Vers allein, gleich als wenn er seine Zustimmung gäbe.
Unterdessen schweigt der Vorsänger, bis jener wieder zum letzten
Fusse kommt, den sie zusammen absingen. Dann setzt er den folgen-
den Vers aUein hinzu, bis der Helfer wieder einfallt. Die Zeit, die
dieser ihn ablöst, verwendet der Stegreifdichter dazu, auf die Fort-
setzung zu denken.
2) H. Paul, Kanteletar, Einleitung S. VIII.
2*7 8 Sechster Theil:
geführt sein. Selbst der Australier, der im Busch
bei seinem Feuer sitzt, begleitet sein eintöniges Lied
dadurch, dass er den Bumerang gegen die Keule
schlägt ^). Oft, wenn an schonen Abenden auf Neu-
seeland Burschen und Mädchen zu gemeinsamem
Gesänge sich versammeln, >kann man sie in einer
Reihe sitzen sehen, das Haar mit Federn geschmückt
und das Gesicht mit rothem Ocker und Holzkohle
beschmiert. Die besten Stimmen beginnen und en-
digen den Vers; aber der Refrain wird vom ganzen
Chor herausgeschrieen, der zugleich eine Art musi-
kalischer Begleitung dadurch bewirkt, dass eine Hand
auf die Brust klatscht, während die andere in die
Höhe 'gehoben und in Schwingungen versetzt wird,
was für das Auge denselben Eindruck macht, wie
der Triller in der Musik für das Ohr,«^ »Machen
die Nilschiffe abends Station, so setzen sich die
Schiffleute (deren Arbeitslieder unser Anhang wieder-
giebt) am Ufer im Kreise auf den Erdboden nieder
und führen händeklatschend ihren Gesang aus, wäh-
rend einer mitten im Kreise tanzt.« ^)
Somit bleibt bei diesen Völkern auch in den
Momenten der Ruhe der Gesang, wenn er lediglich
der Erholung und Unterhaltung dient, an die Körper-
bewegung gebunden; beide bilden eine untrenn-
bare Einheit. Ohne rhythmische Körperbewegung
kommt der Gesang bei diesen Völkern überhaupt
nicht vor.
Aber diese Erscheinung beschränkt sich nicht
1) LuMHOLTZ, Unter Menschenfressern, S. 200 f.
2)
Shortland a. a. O., S. 169.
3) Ambros, Geschichte der Musik, I*, S. lOi. Vgl. Anhang,
Nr. 192.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 7Q
auf die Naturvölker; sie ragt noch in unsere euro-
päische Kulturwelt hinein, wo immer neben der
Kunstdichtung sich eine eigentliche Volksdichtung
auf breiterer Grundlage erhalten hat. In dem
Vorwort einer Sammlung von Uebersetzungen spa-
nischer Volkslieder^) ist zu lesen: »Tanzen, Singen
und Spielen gehört beim spanischen Volke
durchgängig zusammen. Man tanzt nicht , ohne
ein Lied dazu zu singen und ein Instrument zu
spielen; man hört kein Lied und kein Instrument,
ohne dem Körper die flüchtige Bewegung des Rhyth-
mus zu geben. Weil aber Tanzen, Singen und Spie-
len zu gleicher Zeit geübt werden, so liegt darin
auch eine Schranke dieser Belustigungen: der*Tanz
wird kein wildes Springen, das Lied kein Geschrei;
die begleitende Musik bleibt einfach (roh, wenn man
will), seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden. Meist
tanzen im eigentlichen Nationaltanze die Geschlechter
getrennt; die betreffenden Paare beziehen sich in
ihren Bewegungen auf einander, doch ohne die lei-
seste gegenseitige leibliche Berührung, da die Hände
mit Tamburin oder Castaghetten beschäftigt sind.
Dies ist der nationale Tanz in Spanien, die nationale
Lust am Rhythmus der Bewegung. Der Spanier
findet dies alles so rein, so erlaubt, so natürlich, dass
er dem Tanze sogar im Gottesdienste einen Raum
gewährt. Bei den Knabentänzen, welche unter dem
Namen der Seises in der Kathedrale zu Sevilla
während der Octave nach Mariae Empfangniss, in
der Carnevalszeit und am Frohnleichnamsfeste vor
dem Hauptaltare zu Ehren der Jungfrau Maria auf-
I) HosÄus, Spanische Volkslieder u. Volksreime, Vorwort, S. X f.
28o Sechster Theil:
geführt werden, erschallen zu den von den tanzenden
Kindern gesungenen geistlichen Sarabanden die
Castagnetten, und ebenso arbeitet Dudelsack, Tam-
burin und Zambamba, wenn in der Woche vor Weih-
nachten in den Kirchen die Musik der Hirten von
Bethlehem aufgeführt wird.« Die Gabe der Impro-
visation ist bei diesen spanischen Volkstänzen noch
fortgesetzt rege.
Aehnlich sind bei den Neugriechen »Tanz und
Poesie unzertrennlich verbunden. Der neugriechische
Tanz hat überhaupt etwas von dem mimischen Ele-
ment der alten Orchestik bewahrt. Jede Provinz hat
ihren eigenthümlichen mimischen Tanz. Alle diese
Tänze haben ihre eigenen Weisen und Gesänge, mit
denen sie seit undenklichen Zeiten verbunden sind.
Daneben entstehen aber manche neue Lieder, Weisen
und Tänze. Nie tritt ein solcher neuer Tanz ohne
ein neues Lied auf, dessen mimischen Theil er aus-
macht; nie wird eins gesondert von dem andern aus-
geführt, imd beides sinkt gemeinschaftlich wieder in
Vergessenheit.«^) Dasselbe Hesse sich von den Al-
banesen und Bulgaren sagen. Die Brüder Miladinow,
welche eine grosse Sammlung bulgarischer Volkslieder
herausgegeben haben, nennen den Tanz geradezu
die »Schule, in welcher sich die nationale Poesie
ausgebildet hat.« Dieser Ausdruck lässt sich ohne
grosse Einschränkung auf alle europäischen Völker
übertragen.
Es liegt nicht in meiner Aufgabe, die Spuren
des Bewegungsgesanges bis in die litterarische Zeit
der Dichtung hinein zu verfolgen, so reizvoll es an
I) Fauriel, Neugriechische Volkslieder, Einleitung S. LVII.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.
281
sich für den Litterarhistoriker sein möchte; für uns
heisst es auch hier: »Der Buchstabe tötet.« Viel dank-
barer wird es für uns sein, das lebendige Wort auf-
zusuchen, und zwar da, wo es in der europäischen Civi-
lisation fast allein noch seine alte Kraft erhalten hat,
im Kinder lied. Wir bedienen uns da desselben
Mittels, das die Völkerkunde so oft mit Erfolg an-
gewendet hat. Um das Denken und Treiben kultur-
armer Menschenrassen zu verstehen, flüchtet sie zu
dem Leben des Kindes. In diesem aber finden wir
Gesang mit rhythmischer Bewegung fast überall un-
trennbar verbunden. Wenn die Mutter die Wiege
in Bewegung setzt oder den Säugling auf dem Arme
schaukelt, singt sie:
Nr. 158.
^T g ^ .
^^
Schlaf, Kind - eben schlati Dein Va - ter hüt't die
I
^i~J--^
!sz=!s=
?
^ — Ü— f
Schaf; dei - ne Mut - ter hüt*t die Läm - me - lein ;
i
mm.
^:
^ ä
Schlaf mein sü - sses En - ge - lein!
Das Kind wirkt hier sozusagen passiv im Rhyth-
mus des Gesanges mit, indem sich die von den Ar-
men der Mutter ausgehende schaukelnde Bewegung
seinem Körper mittheilt, und ebenso geschieht es,
wenn der Vater den Knaben auf dem Knie reiten
lässt und eines der bekannten Hopp-hopp-Liedchen
anstimmt. Aber auch unter den zahlreichen Kose-
282 Sechster Theil:
liedchen sind viele von rhythmischen Bewegungen
unzertrennlich. In erster Linie die Händeklatsch-
verschen, z. B.
Nr. 159.
Bitsche, batsche Kuchen!
Der Bäcker hat gerufen.
Wer will gute Kuchen backen.
Der muss haben sieben Sachen:
Eier und Schmalz,
Butter und Salz,
Milch und Mehl,
Safran macht den Kuchen gehl.
Femer der Singsang beim Streicheln über das Ge-
sicht oder über die Hand (»Da hast 'nen Thaler« u. s. w.),
beim Berühren verschiedener Körpertheile des Kindes,
wobei diese benannt werden, beim Fingerspiel:
Nr. 160.
Das ist der Daumen,
Der schüttelt die Pflaumen,
Der liest sie auf.
Der trägt sie heim.
Und der klein' Spitzbub isst sie all' allein!
Besonders charakteristisch sind die Heilsprüche,
die gesungen werden, wenn das Kind sich gestossen
hat, und zwar unter rhythmischem Streichen der
schmerzenden Stelle:
Nr. 161.
Heile, heile, Segen !
Drei Tage Regen,
Drei Tage Schnee,
Thut's dem Kindchen nimmer weh!
Wenn die Kinder grösser werden und selbstän-
dig zu spielen beginnen, kommt ihre Neigung, Körper-
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.
283
bewegungen mit Gesang zu begleiten, erst recht
zur Geltung. Jean Paul hat einmal das Spiel die
Arbeit des Kindes genannt; aber es giebt einzelne
Spiele, die der Arbeit der Erwachserven besonders
ähnlich sind, und bei diesen lassen sich denn auch
Arbeitstaktlieder von typischer Reinheit nachweisen.
Am verbreitetsten sind die Bastlöselieder (Huppen-
lieder), welche zum Klopfen der Rinde bei der An-
fertigung von Weidenflöten gesungen werden. Hier
zwei Beispiele, das erste aus Westfalen^), das zweite
nach mündlicher Ueberlieferung aus Nassau.
Nr. 162.
m
ä
Säpp-ken, Säpp-ken Sun-ner-hot, dat Wa-ter lep da-
^
^
5
4 j^ 4
run-ner ut; de Mo-der was de Pa-pe, de kan dat Säpp-ken
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ma - ken. Da kam de In - se Kat - ten an nn
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nahm de Mo'er dat Säpp-ken af un lep dor-met to
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3
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4 — #
Hol - te, to Hol - te. Säpp-ken, wult du no nich af, ik
i
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i
5
-^^
ho - we di dre -
mol'n Kopp af, Kopp af, Kopp af.
l) Aus der Vierteljahrsschr. f. Musikwissenschaft, VIII, S. 509 f.
284 Sechster Theil:
Nr. 163.
Saft, Saft Weideholz!
Der Bäcker hat en* junge Wolf;
Werft en in de Grawe,
Fressen *n die junge Rawe.
Mudder, geb mer einen Pfennig!
»Was willst de mit dem Pfennig du*?«
Nadelche kafe!
»Was willst de mit dem Nadelche du*?«
Seckelche nahe!
»Was willst de mit dem Seckelche du*?«
Steinercher lese!
»Was willst de mit de Steinercher du*?«
Vögelche werfe!
»Was willst de mit dem Vögelche du*?«
Brore, sore!
Vögelche ufF 'em Owe!
Pfeifche muss gerore.
Vögelche ufPm Dach!
Dass das Pfeifche wulle, wuUe krach'!
Dieser Gesang wird unter starker Hervorhebung
des Rhythmus vorgetragen. Jeder betonten Silbe
entspricht ein Schlag auf das Stück Weidenzweig,
dessen Rinde gelöst werden soll. Besonders be-
merkenswerth ist das absteigende Metrum in der
Rede des Kindes gegenüber dem aufsteigenden in
den Fragen der Mutter, sowie das Ausfallen der bei-
den unbetonten Silben in der ersten Zeile ^).
Aehnliche Liedchen werden in Ostfriesland beim
B eiern gesungen, wobei der Klöppel der Kirchen-
glocke von Schulknaben mit der Hand an die Wan-
i) Weitere Beispiele von Bastlöseliedern bei Firmenich a. a. O.,
I, S. 121. 131. 230. 295. 352. 426. 442. II, S. 102. 561. III, S. 175.
Ztschr. für Volkskunde IV, S. 74 ff. VI, S. 99 f. SiMROCK, D. Kinder-
buch Nr. 648 — 660.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 285
dung'der Glocke angeschlagen wird. Folgende beiden
Proben verdanke ich freundlicher Mittheilung ^):
Nr. 164.
Bim, bam, beierlot!
»Wel ist der döt?«
Jan Pokken
mit sien krümme Stokken!
»Wel sal hum begrafen?«
De Ranken un de
Raven.
»Wel sal hum verlüden?«
Janmann mit sien Buden.
»Wel sal hum versingen?«
De Mester mit al sien Kinner.
»Wel sal hum verpreken?«
Pastor mit sien Deken.
Nr. 165.
Hund in 't Tau, Hund in 't Tau,
Mesterohm schlöpt noch by sien Frau.
Wenn zwei Mädchen in der Schweiz gemeinsam
ein Seil auf und ab schwingen, während ein drittes
darüber springt, (Seilgumpen), so singen sie:
Nr. 166.
Stümperli,
Gümperli, Rumbisbumb,
Chum, mer hänt en Seiligump I *)
Wenn die Kinder im Spätsommer und Herbst
schaarenweise in den Wald ziehen, um Heidelbeeren
oder Haselnüsse zu pflücken, Bucheckern und Eicheln
zu lesen, auch wohl beim Ährenlesen auf dem Felde,
1) Die erste von Herrn Pastor W. Lüpkes in Marienhafe, die
zweite von Herrn Dr. Ch. J. Klumker.
2) Rochholz, Alemannisches Kinderlied u. Kinderspiel aus der
Schweiz, S. 456.
286
Sechster Theil:
pflegen sie in manchen Gegenden Deutschlands Lied-
chen zu singen, die den Ernteliedern der Erwachsenen
verwandt sind^). Sie werden besonders beim Hinaus-
gehen und auf dem Heimwege angestimmt. Als
Probe lasse ich ein in Sachsen bekanntes Heidelbeer-
liedchen folgen.
Nr. 167.
^^
5
^
s
I
Heedelbeer'n ! Heedelbeer'n ! Wer will mir das denn verwehren,
w
^
^ — K
^
1
^
^
dass ich schrei-e Hee - del- bee-ren ? Heedelbeer'n ! Heedelbeer*n !
Man kann hier schon fast von wirklicher Kinder-
arbeit sprechen. Ebenso in einem von Holub^ er-
wähnten Falle, in dem Betschuanenkinder von 6 bis
10 Jahren den Lehm, welchen ihre Mütter zum Ueber-
schmieren der Wände brauchten, unter monotonem
Gesänge mit den Füssen stampften. Da^s Kinder die
Arbeiten Erwachsener gern nachahmen, besonders
solche von rhythmischem Verlauf, ist bekannt. Ich
führe dafür die Bewegungen des Säens und des Holz-
sägens an, welche imter Gesang ausgeführt werden^).
Viel zahlreicher und über die ganze Welt verbreitet
sind die Ringelreihen- und Tanzspiele, die sich zu
rhythmischen Aufführungen ganzer Geschichten und
Märchen gestalten und in denen sich die Grund-
elemente des Tanzes der Naturvölker noch täglich
1) Beispiele bei Böhme, Kinderlied, S. 190—198 (Nr. 940—974
und 976).
2) Sieben Jahre in Südafrika, I, S. 459.
3) BÖHME a. a. O., S. 216 f. 118 f.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 287
vor unsem Augen wiederholen. Sie finden sich in
allen Abstufungen vom einfachen Umzugslied und
Reigentanz mit gleichmässigem Singsang bis zur
ausgeführten Pantomime mit je nach den nöthigen
Körperbewegungen wechselndem Rhythmus und dem
entsprechendem Gesang^). Wer kennt nicht das
Nachahmungsspiel von dem Bauer, der seinen Samen
ausstreut oder von den sieben Söhnen Adams?
Sie machten alle so wie ich:
Mit dem Fingerchen tip, tip, tip,
Mit dem Köpfchen nick nick nick,
Mit den Fässchen trab trab trab,
Mit den Händchen klapp klapp klapp!
Das lebt alles und bewegt sich alles von selbst
im Rhythmus. Sogar die einfachen Abzählreime
entbehren dieses Elementes nicht, indem dabei der
Arm und Finger bei jeder Zahl oder jedem Verse
die Streck- und Einziehbewegung ausführt.
Um über die Vortragsweise der Kinderlieder
auch ein Wort zu sagen, so wird wohl die Mehrzahl
derselben halbsingend recitiert; viele aber werden
auch wirklich gesungen. So namentlich die Ringel-
reigen- und ähnliche Spieltexte. Erst in neuester
Zeit hat man den Melodien einige Aufmerksamkeit
geschenkt^. Der naturwüchsige Kindergesang kennt
i) Es kann auf diese Dinge ohne genaue Beschreibungen der
einzelnen Spiele nicht eingegangen werden. Der Kürze halber ver-
weise ich auf das zweite Buch von Böhmens Kinderlied und Kinder-
spiel und die ähnUchen Sammlungen.
2) Hübsche Melodien mit Spielbeschreibungen bei J. Lewaltkr^
Deutsche Volkslieder, in Niederhessen gesammelt (2. Aufl. Kassel 1896)
und bei BÖHME a. a. O. Dort auch die nachfolgende Beurtheilung
der Musik: Einleitung S. LIV fF.
288
Sechster Theil:
eigentlich nur eine Melodie. »Diese geht aus Dur,
hat Zweivierteltakt und ist die beständige Wieder-
holung eines Motivs von zwei Takten. Die Stimme
bewegt sich gewöhnlich länger auf einem Tone fort,
welcher bald die Quinte, bald der Grundton ist, be-
rührt zur Abwechslung den Obemachbarton, geht
auf den Anfangston zurück und sucht einen Ruhe-
punkt auf der Terz, mit welcher auch vielfach das
Stückchen geschlossen wird, wenn es nicht am
Schlüsse bis zum Grund abwärts geht. Auf jede
Silbe wird nur ein Ton gesungen. Weil das Vers-
mass der Kinderlieder gewöhnlich trochäisch ist, so
beginnt die Musik mit dem Volltakte. Wo iambische
Verse den Auftakt fordern, wird dieser dadurch her-
gestellt, dass die Unterquarte dem Grundton voran-
gesetzt wird oder der Grundton vor der Oberquinte
hergeht. Bei überzähligen Silben wird eine Viertel-
note in Achtel aufgelöst; wo eine Silbe fehlt, werden
zwei Noten zusammengezogen. Muss des Textes
wegen eine grössere Note in zwei kleinere zerlegt
werden, so geschieht's stets auf der schweren Note.«
Hier ein einfaches Beispiel^):
Nr. i68.
i
b
^mm
ft
=?
p=
IHat eins ge-schla-gen, kommt im - mer noch nicht.
Hat zwei ge-schla-gen, kommt im - mer noch nicht
:l
Hat
i) Das bekannte Kinderlied: »Das böse Thier«. Die Kinder
ziehen paarweise oder in einer Reihe dahin und singen diesen Ge-
sang. Eines der Mitspielenden lauert als wildes Thier in einem Ver-
steck. Bei »zwölf« stürzt es auf die unter Geschrei sich Zerstreuen-
den los und sucht eins davon zu fangen, welches dann an seiner
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.
289
i
i:
zehn ge-schla-gen, da ruckt* s! Hat elf ge-schla-gen, da
A A
^H-"^=q i
^=i-
^
^
zuckt's !
Hat zwölf ge - schla-gen, da kommt*s!
So einfach das ist, so wird sich doch nicht ver-
kennen lassen, dass unser Kinderlied unter der fort-
währenden Einwirkung der Kindergärten, der Schule
und des Gesangs der Erwachsenen steht und aus
diesen Quellen manche melodische Elemente auf-
nehmen konnte, die ursprünglich dem Bewegungs-
gesange fremd waren. Wir dürfen uns darum nicht
wundern, wenn die Gesänge derjenigen Naturvölker,
die man als die niedrigststehenden anzusehen pflegt,
ein noch einfacheres Gepräge aufweisen, indem das
Musikalische in ihnen sich fast ganz auf den Rhyth-
mus beschränkt.
Am genauesten sind in dieser Richtung die
Mincopie auf den Andamanen erforscht^). Sie haben
eigentlich nur eine Weise, einerlei, wovon der Ge-
sang handelt. Hauptgegenstände des letzteren sind
die täglichen Arbeiten: Bootbau, Anfertigung eines
Bogens, die Jagd auf Schweine, das Schiessen von
Fischen, das Spiessen von Schildkröten. Religiöse
Gesänge giebt es ebensowenig als Ammen- und
Liebeslieder. Musik, Rhythmus, Accent und Into-
Stelle wildes Thier wird. Böhme a. a. O. S. 563 f. Vgl. oben
Nr. 37.
I) M. V.
Portmann im Journal of the R. Asiatic Society of
Gr. Br. XX (1888), S. 181 ff. Das Folgende ist aus dieser Arbeit
meist wörtlich ausgezogen.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. I9
390
Sechster Theil:
nation sind kein Kennzeichen für den Inhalt eines
Gesanges, und wer die Sprache nicht versteht, könnte
nicht wissen, ob ein Lied von einem Gefecht, einer
Jagd oder der Anfertigung eines Bootes handelt.
Der englische Beobachter hat eine Reihe dieser
Gesänge in unserer Notenschrift aufgezeichnet. Ob-
wohl nach seiner Aussage der Stimmumfang der
Andamanesen, Männer und Frauen, gewöhnlich eine
Oktave erreicht, so bestehen doch jene Gesänge
sämtlich in der rhythmischen Aneinanderreihung ein
und desselben Tones. Manchmal erscheint derselbe
allerdings etwas erhöht oder vermindert; allein diese
Nachbartöne weichen vom Grundton (meistens e) nur
um je einen Viertelton ab^). Die einzigen Elemente,
welche für den Aufbau einer Melodie zur Verfügung
stehen, wären daher:
^aAJTr'i
Man darf fragen, ob Singweisen, die sich in so
ausserordentlich engen Grenzen bewegen, noch als
Melodien bezeichnet werden können, ob sie nicht
vielmehr für sich schon als ausschliesslich rhyth-
mische Gebilde angesehen werden müssen. Aber
für sich allein kommt der Gesang bei den Andama-
nesen überhaupt nicht vor. Er wird entweder zur
I) Portmann notiert an einigen Stellen sogar Verschiebungen
um einen Achtelton. Für das Gehör eines musikalischen Europäers
ist schon eine Hebung oder Senkung um einen Viertelton schwer
fassbar. Da der Verfasser an anderer Stelle sagt, »das Ohr der An-
damanesen sei nicht scharf genug, um kleine musikalische Intervalle
zu unterscheiden«, so liegt ein unerklärlicher Widerspruch vor.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 201
Arbeit oder zum Tanze vorgetragen; dort bildet er
mit der Arbeitsbewegung und dem Arbeitsgeräusch
eine rhythmische Einheit; hier wirkt er mit dem Tanz-
schritt, dem Klatschen der Hände und dem Schall
der Pukuta^) zusammen — lauter streng rhythmischen
Bestandtheilen, in deren Vereinigung . kleine Ab-
weichungen der Stimme verschwinden müssen.
Obwohl die Andamanesen zu jeder Beschäftigung
singen, so ist doch der Tanz ihre einzige wirklich
musikalische Aufführung. Er wird bei jedem wich-
tigeren Ereigniss in ihrem Leben veranstaltet, nach
einer erfolgreichen Jagd, bei den Trauer- und Weihe-
ceremonien, beim Besuch von Freunden u. s. w. Ihr
Haupttanz, der in jeder grösseren Niederlassung fast
alle Abend aufgeführt wird, vollzieht sich in folgen-
der Weise. An einem Ende des wohl gereinigten
Tanzplatzes stellt sich der Leiter des Ganzen mit
der Pukuta auf, einem unten etwas ausgehöhlten
schildartigen Brette, das vor ihm am Boden auf einem
untergeschobenen Steine liegt. Eine Anzahl Frauen
sitzt in einer Reihe zu seiner Linken und ein Haufe
Männer hinter und rechts von ihm. Statt der Frauen
oder neben ihnen nehmen auch Kinder an der Auf-
führung Theil. Die Tänzer stehen oder sitzen am
andern Ende des Platzes. Der Leiter beginnt als
Vorsänger den Gesang ; an einer bestimmten Stelle fallt
der Chor ein, und damit beginnt auch der Tanz. Die
Frauen sitzen aufrecht, die Beine vor sich ausge-
streckt und etwas oberhalb der Knöchel gekreuzt;
mit der einen offenen Hand, die sie mit der andern
i) Vgl. oben S. 54 f. Dieses Schallholz * ist übrigens das einzige
musikalische Instrument der Mincopie.
19*
292
Sechster Theil:
am Gelenk halten, klatschen sie auf die innere Seite
der Schenkel, während die nicht am Tanze bethei-
ligten Männer die Hände im Takte zusammenschlagen.
Der Leiter schlägt die Pukuta mit einem Fusse, bez.
mit der Ferse desselben. Wie sich das Ganze mu-
sikalisch ausnimmt, zeigt folgendes Beispiel.
Solo.
Nr. 169.
^
F=5=iE
^
p
ä
Ik ngät köpa löka t^ - tän oi - tan
i
f=ll!
i lf I i t-
I It f
^m
uch - obd
dön klchal dö, uch 6ba
d.
I
Kinderstimmen.
^^
¥==
I
Weiberstimmen.
li^^
t
Männerstimmen.
grig
m
^
: ^ ^ \ f \
k f lif^=y
V V , V
PÖ
o
CO
i
Uch-öba - dd
Tanzschritt.
kö d6dd oh! oh! oh!
Uch-öba-
w==
s^
«0
B
^
Pukuta- Schläge , Händeklatschen.
% — ^
m
^
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.
293
Dieser Gesang ist das Werk eines Mannes Na-
mens WoiCHELA vom Stamme der Aka Jawai; er
schildert, wie der Dichter einen Bogen machte, und
zwar ganz allein. Er lautet in Uebersetzung :
Vorsänger: Ihr habt das nicht gemacht; ich machte es.
Ich, ich, ich machte es.
Chor: Ich, ich, ich machte es.
Wie dieser, so bestehen alle bekanntgewordenen
Andamanesen-Gesänge nur aus zwei oder drei kurzen
Sätzen^). Der letzte Satz ist meist der inhaltlich
I) Einige weitere Proben mögen hier noch stehen (bezeichnet
nach den Nummern Portmann*s): Nr. 6. Solo: Maia Poro sah
von meinem Boote aus eine fette Schildkröte im Wasser und schoss
ihr in das Auge. Poro lachte, als er sie in das Auge schoss.
Chor:
Poro lachte etc. — Nr. 7. Solo: Am Ende des Tages gingen wir
langsam (durch den Wald nach Hause) und hörten den Schall von
einem Kanoe, das gezimmert wurde. Chor: Wir gingen langsam.
294
Sechster Theil:
wichtigste; er wird auch allein vom Chor als Refrain
aufgenommen und nach Belieben wiederholt. Während
nun der Vorsänger, der zugleich der Dichter und
Komponist des Gesanges ist, sich nach Aussage des
Beobachters etwcis frei im Takte bewegt, geht der
Chor immer im festen Rhythmus des Zweiviertel-
taktes. Männer und Kinder singen beim Refrain
die Töne des Solos unisono mit, während die Frauen
dazu die oberen Quintenparallelen anstimmen. Die
Pukuta ertönt bei jedem Viertel (J J), und das Stam-
pfen der Tänzer (J J^ J^) begleitet das Ganze. Ist
man des Refrains müde, so wird oft noch ein eignes
Finale angehängt, das aus lauter sinnlosen Ausrufen
besteht und bei den verschiedenen Stämmen kon-
ventionell zu sein scheint, z. B.
Vorsänger:
Obe date are a!
Chor: Te
are are a!
Damit endet der Gesang; es folgt eine Pause,
in der nur die Pukutaschläge und das rhythmische
Stampfen zu hören sind; das letztere wird immer
rascher und wilder, indem es aus dem J ^ ^ \J ^ ^
in das S'J'I'J'WJ'J'I'j' übergeht und nach
wenigen Takten gänzlich aufhört.
Wir haben somit in den Tanzaufführungen der
Mincopie ein vierfach zusammengesetztes rhythmisches
Gefüge: Tanzbewegung, Pukutaschlag , Händeklat-
schen und Gesangsstimmen, die sich wieder in Män-
— Nr. 8 (Lied einer Frau). Solo: Ich richtete das Steuer und liess
das Boot in die See, und dann brachte ich es zurück. Chor: Dann
brachte ich es zurück. Nr. 9. Solo: Ich zimmre unten am Vorder-
theil eines Bootes; ich zimmre an einem Boote. Chor: Ich zimmre
an einem Boote.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 205
ner-, Frauen- und Kinderstimmen gliedern. Alle diese
Elemente wirken akustisch; bei drei von ihnen aber
sind die Töne nur Folgeerscheinungen von rhyth-
mischen Körperbewegungen: beim Schall der Tanz-
füsse, bei dem Klappern der Pukuta und beim Klat-
schen der Hände. Dass aber die Körperbewegungen
die Grundlage des Ganzen sind, geht klar aus dem
vom Beobachter hervorgehobenen Gegensatze des
Solos zuxn. Chorgesang hervor. Die Zeitverhältnisse
des Solos sind unsicher; »nur der Chor bewegt sich
streng im Takte;« denn jenes beginnt ohne Beglei-
tung; dieser aber ist gebunden an die festen Masse
rhythmischer Gliederbewegung ^). Wir erkennen da-
ran, dass der Gesang dieser Völkchen das einzige
musikalische Merkmal, auf das er Anspruch erheben
darf, den Rhythmus, nicht aus sich selbst besitzt,
dass er überhaupt noch nicht zu selbständigem Da-
sein gelangt ist.
Dies zeigt sich auch in der Art, wie der Gesang
entsteht und wie er die Sprache behandelt. »Jeder
Andamanese dichtet und komponiert Gesänge. Von
einem Manne oder einer Frau, die das nicht ver-
möchten, würde man wenig halten. Selbst kleine
Kinder sind dazu im Stande. Wer einen Gesang
für den Abendtanz komponieren will, thut das bei
einer Arbeit, die ihn nicht aufregt oder zerstreut.
I) Aehnliche Verhältnisse scheinen bei den Gesängen der Australier
obzuwalten, von denen Lumholtz a. a. O. S. 59 und 199 zwei längere
Proben mittheilt, darunter ein Korriborritanzlied. Beide Gesänge be-
ginnen mit einem melodisch bewegteren Eingang, gehen aber nach
kurzer Zeit in ein andauerndes rhythmisches Gebrumme auf demselben
Tone über. Der Berichterstatter bemerkt auch hier : »Die Eingeborenen
haben weniger Gehör für Melodie als für Takt.«
2q6 Sechster Theil:
indem er es so lange damit versucht, bis er zufrieden
und die Weise ihm geläufig ist.« Ist so das Lied
bei der Körperbewegung entstanden, so trägt es der
Komponist des Abends auf dem öffentlichen Tanz-
platze vor, ist dabei aber anfangs etwas unsicher,
bis nach wenigen Takten die gewohnte Begleitung
einsetzt. »Dem Rhythmus zu Liebe verändern und
kürzen die Andamanesen die Worte ihrer Sprache,
sodass man fast sagen kann, sie besässen eine eigene
Dichtersprache.« Nach einem andern Beobachter
wäre es »nichts Seltenes, dass der Dichter eines
neuen Liedes sowohl die Sänger als das Publikum
erst in gewöhnlicher Sprache über den Sinn auf-
klären muss.« Auch das wäre unerklärlich, wenn
der Gesang ein selbständiges sprachliches Gebilde
wäre, wird aber völlig verständlich, wenn wir ihn
einem der Sprache fremden rhythmischen Gesetze
untergeordnet denken.
Dieselben Eigenthümlichkeiten weisen die Ge-
sangsaufführungen anderer tiefstehender Völker auf.
Auf den Inhalt scheint ihnen wenig anzukommen;
sie wissen oft selbst nicht anzugeben, was sie singen.
Entweder werden Wörter und Sätze im Liede an-
einandergereiht, die keinen Sinn ergeben, oder es
werden sinnlose Naturlaute immer von neuem wieder-
holt. Australische Stämme sollen Lieder von andern
Stämmen übernehmen, deren Sprache sie gar nicht
verstehen. Aber auch, wo der Gesang einen sinn-
vollen Inhalt erlangt, erhebt derselbe sich selten
über das Nächstliegende: die Leiden und Freuden
des Dichters und seine unmittelbaren Erlebnisse.
Das formale Element, auf das die Naturvölker darnach
allein Werth legen, ist jedoch nicht die Melodie.
Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2Q7
Ihre Gesänge sind monoton, fast melodienlos; auch
die entwickelteren unter ihnen erreichen fast nie
den Tonumfang einer Oktave, und ebenso vermisst
man bei ihnen das harmonische Element. Alle Be-
obachter weisen vielmehr darauf hin, dass bei ihnen
allein dem Rhythmus Bedeutung beigelegt, dieser
aber auch mit aller Stärke hervorgehoben wird^).
Ueberall aber treten diese Gesänge in Verbindung
mit Körperbewegungen auf, an die sie sich anlehnen.
So hat uns das Zurückgehen auf die unterste
unsrer Beobachtung noch zugängliche Stufe socialen
Daseins dasselbe gelehrt, wie das Hinabsteigen in
die Kinderwelt: die unzertrennliche Verbindung des
Gesanges mit dem Bewegungsrhythmus des mensch-
lichen Körpers, und nachdem wir die gleiche Ver-
bindung in zahlreichen Fällen auch bei Völkern
höherer Gesittungsstufen kennen gelernt haben, ver-
liert die merkwürdige Vereinigung von Arbeit und
Gesang das Befremdliche, das sie für den ersten An-
I) Vgl. oben S. 44. 47 f. Ratzel a. a. O. I, S. 465. Manches
hierher Gehörige hat Grosse, Die Anfänge der Kunst, S, 236 fF. und
S. 270 fF. zusammengestellt. Derselbe irrt nur darin, dass er die Ge-
sänge der »Wilden« wesentlich als Träger von Melodien, also als
musikalische Leistungen, betrachtet wissen will, während die von ihm
citierten Gewährsmänner allein die rhythmische Seite betonen. So
Eyre (Discoveries in Central Australia II, 229): »Viele Australier
können nicht einmal über den Sinn der Lieder ihrer eigenen Heimat
Auskunft geben, und ich bin geneigt anzunehmen, dass die Erklä-
rungen, welche sie liefern, im Allgemeinen sehr unvollkommen sind,
da man auf das Mass und die Quantität der Silben ein weit
grösseres Gewicht zu legen scheint als auf den Sinn«. Und
ein anderer Berichterstatter schreibt : »In allen Korriborriliedem wieder-
holen und versetzen sie die Worte, indem sie offenbar reinen Unsinn
singen, um den Rhythmus zu variieren oder einzuhalten«
(Barlow, Joum. Anthrop. Inst. II, 174).
J
2q8 Sechster Theil: Gesang mit anderer Körperbewegung.
blick hatte und tritt in einen grossen Zusammenhang.
Die Gesamtheit der rhythmischen Bethätigungen des
Menschen, die in unserer Kulturwelt jede für sich
ihr selbständiges Dasein haben und scheinbar eignen
Gesetzen folgen, stellt sich uns, je weiter wir zurück-
gehen, um so mehr als eine Einheit dar, die auf der
festen Grundlage der anatomischen und physiolo-
gischen Verhältnisse unseres Körpers beruht. Diese
Einheit ist über den blossen Mechanismus der auto-
matischen Bewegung hoch emporgehoben durch das
poetisch-musikalische Begleitelement, das sie zwar
missen kann, das aber selbst zu einem Eigendasein
noch nicht gelangt ist.
Unsere Untersuchung hat uns Körperbewegung,
Musik und Dichtung in engster wechselseitiger Ver-
bindung gezeigt. Wie sind sie ursprünglich zu-
sammengekommen? Waren diese drei Elemente vor-
her, jedes für sich unabhängig vom andern sein
Sonderdasein führend, wie in unserer heutigen Kul-
turwelt, bereits vorhanden und erscheinen hier nur
zufallig mit einander verbunden? Oder sind sie etwa
alle drei zusammen entstanden und nur später durch
einen langsamen Differenzierungsprozess von einander
getrennt worden? Und wenn dies der Fall ist,
welches von den drei Elementen bildet in ihrer ur-
sprünglichen Vereinigung den Kern, an den die
andern sich anschliessen?
Wenn wir diese Fragen zu beantworten versuchen,
so können wir von der Thatsache ausgehen, die all-
gemein anerkannt wird, dass nämlich Poesie und
Musik ursprünglich nie getrennt vorkommen. Poesie
ist regelmässig auch Gesang; Wort und Weise ent-
stehen zugleich mit einander; keins kann ohne das
andere bestehen. Nun wissen wir bereits, dass das
Wesentliche an diesem Doppelgebilde, dem Gesang,
für die Naturvölker sein Rhythmus ist. Woher
stammt dieser?
302
Siebenter Theil:
und da ihnen ähnliche Laute gerade in den ur-
wüchsigsten unserer Arbeitsgesänge das Grundele-
ment bilden, so liegt die Vermuthung nahe, dass
diese Gesänge, bez. ihre Refrains nur als Figuration
jener von der Arbeit unzertrennlichen Naturlaute
anzusehen sind.
Der erste Schritt, den der primitive Mensch bei
seiner Arbeit in der Richtung des Gesanges gethan
hat, hätte also nicht darin bestanden, dass er sinn-
volle Worte nach einem bestimmten Gesetze des
Silbenfalls aneinander reihte, um damit Gedanken
und Gefühle zu einem ihm wohlgefälligen und andern
verständlichen Ausdrucke zu bringen, sondern darin,
dass er jene halbthierischen Laute variierte und sie
in einer bestimmten, dem Gang der Arbeit sich
anpassenden Abfolge aneinanderreihte, um das Ge-
fühl der Erleichterung, das ihm an und für sich jene
Laute gewähren, zu verstärken, vielleicht es zum
positiven Lustgefühle zu steigern. Er baute seine
ersten Arbeitsgesänge aus demselben UrstofF, aus
dem die Sprache ihre Worte bildete, den einfachen
Naturlauten. So entstanden Gesänge, wie sie oben
noch mehrfach mitgetheilt werden konnten (Nr. 74, 75
Entstehungsgrund hat? Der hart arbeitende Mensch pflegt auf der
Akme der einzelnen Muskelspannung eine Inspirationspause zu machen,
indem er durch einen Muskelverschluss der Stimmritze die gespannte
Luft in der Lunge am EntweicTien hindert. Mit der Erschlaffung des
arbeitenden Muskels wird dann zumeist die Glottis ^durch einen Ex-
spirationsstoss gesprengt' und es kommt durch Schwingen der Stimm-
bänder zu einer sogenannten tönenden Exspiration. Diese äussert sich
je nachdem als ein offener Vokal a, aoh, höh! oder als ein dumpfer
Vokal mit einem Lippenverschluss-Consonanten als Endung: uff^ up!
Es wäre Sache des Versuchs, ob auf diesen Laut die Körperstellung
— gebückt, aufrecht u. s. w. — von massgebendem Einfluss ist.«
Der Ursprung der Poesie und Musik. 303
118), die lediglich aus sinnlosen Lautreihen bestehen
und bei deren Vortrag allein die musikalische Wir-
kung, der Tonrhythmus, als Unterstützungsmittel des
Bewegungsrhythmus in Betracht kommt.
Der nächste Fortschritt hätte dann darin be-
standen, dass man einfache Sätze zwischen jene
Lautreihen einschob. Aber die ungelenke Sprache
wollte sich der Einspannung in ein rhythmisches
Gesetz nicht sofort fügen, und so wurde sie verge-
waltigt. Man wich von der gewöhnlichen Art des
Sprechens ab, liess Silben ausfallen und zog andere
auseinander. So entstanden jene besonderen Dichter-
sprachen neben der Sprache des gewöhnlichen Lebens,
wie wir eine bei denMincopie gefunden haben (S. 296),
wo der Dichter-Komponist sein Lied erst durch eine
Erklärung verständlich machen muss. Aber als Kehr-
reime dauern jene sinnlosen Lautreihen noch sehr
viel länger fort und schieben sich ohne Rücksicht
auf den Inhalt der Gesänge überall ein, in epische
wie in lyrische Stücke. Insbesondere spielen sie beim
Wechselgesang der Arbeitsgemeinschaften eine grosse
Rolle, wo nur der Vorsänger einen wirklichen Text
giebt, der Chor sich aber auf Wiederholungen und
den Refrain beschränkt. Dieser ist also das Feste, Ur-
sprüngliche; der Text aber wird improvisiert, und so
entsteht mit jeder neuen Arbeit eine neue Variation
des alten Gesangs.
Schliesslich emancipiert man sich auch noch von
diesen Kehrreimen, und der Arbeitsgesang wird ganz
und gar zur dichterischen Schöpfung. Aber auch die
entwickeltsten Beispiele desselben erscheinen noch —
mit wenigen Ausnahmen — eng mit der Arbeit selbst
verbunden. Fast alle knüpfen stofflich an die Arbeit
304
Siebenter Theil:
oder die sie begleitenden Umstände an, oder bringen
Gefühle und Empfindungen der Arbeitenden zum Aus-
druck. Auch wo sie unter dem Einfluss der allge-
meinen Kulturentwicklung über diesen Vorstellungs-
kreis hinausgreifen, kann kein Zweifel sein, dass sie
mit und bei der Arbeit entstanden sein müssen.
Noch immer handelt es sich nicht um fixierte Texte.
Ueberall erscheint nur der durch die Arbeit gegebene
Rhythmus als das Feste; er haftet so sicher im Ge-
dächtniss der,Menschen, wie sich ihre Glieder durch
fortgesetzte Uebung dem einfachen Gang der Arbeit
angepasst haben. Der Inhalt dagegen ist wandelbar;
er wird durch Zeit und Gelegenheit immer wieder
von neuem gegeben. Daher die von den Beobach-
tern überall mit Staunen bemerkte Leichtigkeit der
Improvisation, in die der Fremde selbst mit hinein-
gezogen wird und die auf jedes neue Ereigniss sich
einen neuen Vers zu machen weiss. Und hier voll-
zieht sich wieder etwas Ahnliches, wie auf der vor-
ausgegangenen Stufe. »Fast alle Völker, die den
improvisierten Gesang als Volkslied pflegen, verfügen
über einen Schatz von allgemein bekannten Versen,
die den eisernen Bestandtheil aller Improvisationen
bilden und den dichterisch weniger Begabten als
Zuflucht dienen.«^) An diesen Bestand hat auch der
begnadete Dichter anzuknüpfen, und das einzig Dau-
ernde, was er schaffen kann, besteht darin, ihn zu
vermehren.
So ist die Arbeit selbst eine Quelle und ein
Tragwerk, zunächst künstlerischer Sprachgestaltung
und weiterhin auch urwüchsiger, volksthümlicher Poe-
I) H. Franke im »Globus« LXXV, S. 238.
Der Ursprung der Poesie und Musik. .•105
sie. Während Tausende der vom Augenblick ge-
borenen Cantilenen rasch wieder verschwanden, wie
sie gekommen waren, vermochte besonders Gelunge-
nes sich länger zu erhalten, ^e jenes griechische
Mühlenliedchen, welches die Erinnerung fortpflanzte,
dass auch Pittakos einst sich der harten Arbeit des
Mahlens unterzogen hatte. So entstanden traditio-
nelle Liedertexte, die auch von ändern in ihrem
ganzen Umfang bei der gleichen Arbeit gesungen
wurden. Aber die Improvisation verschwindet da-
neben nicht vollständig. Hat sie sich doch selbst
bei uns in den landschaftlich oder lokal überlieferten
Flachsreff- und Brechliedem der Bauern insofern er-
halten, als dort die Namen der jedesmal angesunge-
nen Personen in den fixierten Text eingefügt und
ihre Attribute nach den Umständen geändert werden.
Wir kommen damit zu der Entscheidung, dass
Arbeit, Musik und Dichtung auf der primitiven Stufe
ihrer Entwicklung in eins verschmolzen gewesen
sein müssen, dass aber das Grundelement dieser
Dreieinheit die Arbeit gebildet hat, während die
beiden andern nur accessorische Bedeutung haben.
Was sie verbindet, ist das gemeinsame Merkmal des
Rhythmus, das in der älteren Musik wie in der äl-
teren Poesie als das Wesentliche erscheint, bei der
Arbeit aber nur unter bestimmten, in primitiven
Wirthschaftsverhältnissen allerdings weit verbreiteten
Voraussetzimgen auftritt.
Damit hat uns unsere Untersuchung auf einen
Punkt geführt, an den bei ihrem Beginne nicht ge-
dacht werden konnte, dem aber auch jetzt nicht mehr
auszuweichen ist: auf die alte Räthselfrage nach dem
Ursprung der Poesie. Ich glaube nicht, die meinem
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 20
2o6 Siebenter Theil:
Fache gesteckten Grenzen zu überschreiten, wenn
ich auf diese Frage eine Antwort wage, die vor den
bis jetzt versuchten Lösungen wenigstens den einen
Vorzug hat, dass sie keine blosse Hypothese, sondern
den Schlusssatz einer auf empirischem Wege gewon-
nenen lückenlosen Beweiskette bildet. Meine Ant-
wort lautet aber nicht, wie man vielleicht erwarten
wird, schlechthin: Der Ursprung der Poesie ist in
der Arbeit zu suchen. Denn die Naturvölker — es
kann das nicht oft genug wiederholt werden — kennen
unseren Begriff der Arbeit in seinem technisch- wirth-
schaftlichen und berufsmässig-ethisqhen Sinne über-
haupt nicht, und es müsste darum zu Missverständ-
nissen führen, wenn ihnen zugeschrieben würde, was
sie nicht besitzen konnten. Was wir Arbeit nennen:
die Körperbewegung, welche ein ausser ihr liegendes
nützliches Ergebniss hat, fallt bei ihnen noch zu-
sammen mit jeder andern Art der Bewegung, auch
derjenigen, deren Zweck in ihr selbst oder in den
begleitenden Umständen liegt. Wir werden darum,
um nicht gegen den Sprachgebrauch zu Verstössen,
sagen müssen: es ist die energische rhythmische
Körperbewegung, die zur Entstehung der Poesie ge-
führt hat, insbesondere diejenige Bewegung, welche
wir Arbeit nennen. Es gilt dies aber ebensowohl
von der formellen als von der materiellen Seite der
Poesie.
In Beziehung auf die materielle Seite lehrt uns
schon eine flüchtige Durchmusterung der oben mit-
getheilten Arbeitsgesänge, dass in ihnen alle Haupt-
gattungen der Dichtung vertreten sind. Allerdings
herrscht die Lyrik vor; dazwischen finden sich aber
auch epische Stücke, und das dramatische Element
Der Ursprung der Poesie und Musik. ¦207
ist Überall zu erkennen, wo bei Arbeiten im Gleich-
takt ein Vorarbeiter (Vorsänger) mit seinen Gehilfen
(dem Chor) im Gesänge wechselt. Doch ist auf diese
Unterscheidungen bei dem* embryonalen Zustande
der Arbeitspoesie kein allzu grosses Gewicht zu
legen ^).
Wenden wir uns darum sofort zu der formellen
Seite unserer Frage als der bei weitem wichtigeren,
so leuchtet sofort ein, dass bei der Arbeit die rhyth-
mische Reihe den gleichen Ablauf aufweist wie bei
der Poesie. Ihre Einheit bildet dort die einzelne
Xörperbewegnng ; für den Dichter ist sie durch den
Versfuss gegeben. Nun wissen wir bereits (S. 26),
dass jede einzelne Arbeitsbewegung etwas Zusammen-
gesetztes ist: Hebung und Senkung, Einziehung und
Streckung des Glieds oder Werkzeugs (Zusammen-
ziehung und Ausdehnung des Muskels), entsprechend
der Arsis und Thesis beim Versfusse — allerdings
nur im antiken Sinne dieser Ausdrücke, der bekannt-
lich dem Sprachgebrauche der neueren Metrik ent-
gegengesetzt ist. Nim könnte man daran denken,
die Analogie dieser beiderseitigen rhythmischen Ein-
heiten zu einander in direkte Beziehung zu setzen,
dergestalt, dass man annähme, es habe die Körper-
bewegung selbst den Anläss geboten ihre Massver-
hältnisse auf die sie begleitenden Laute oder Worte
zu übertragen, indem man den Wortictus immer mit
dem Moment der höchsten Muskelanstrengung habe
zusammenfallen lassen.
In der That wird sich bei der Begleitung eines
Arbeitsvorgangs durch Gesang das gegenseitige Ver-
I) Vgl. auch Grosse, a. a. O., S. 225.
20*
oo8 Siebenter Theil:
hältniss von Körperbewegung und Liedertext in
manchen Fällen so gestaltet haben (z. B. bei dem
lesbischen Mühlenliedchen). Aber der blosse Be-
wegungsrhythmus und der Sprachrhythmus sind doch
durch eine zu grosse Kluft von einander geschieden,
als dass man den einen unmittelbar aus dem andern
entstanden denken könnte. Vielmehr ist eine Brücke
zwischen ihnen zu suchen, und wir finden diese in
den im zweiten Kapitel (S. 28) schon erwähnten
Tönen, welche viele Arbeiten bei der Berührung
des Werkzeugs oder Körpergliedes mit dem Stoffe
von selbst ergeben. Die Wirkung dieser Arbeits-
geräusche, soweit sie rhythmischen Verlauf von sich
aus haben oder durch das Zusammenwirken mehrerer
Arbeiter erhalten, ist zweifellos eine musikalische.
Sie regen unwillkürlich zur vocalen Nachahmung an,
wie wir noch an unseren Kinderliedern beobachten
können, welche das Klappern der Dreschflegel und
die verschiedenen Handwerksgeräusche in Worten
nachbilden^), ebenso aber auch an den volksthüm-
lichen Texten, welche in manchen Gegenden dem
Klange desjenigen Musikinstrumentes untergelegt
werden, das in seiner Wirkiing den Arbeitsgeräuschen
am meisten verwandt ist, der Trommel^. Aehnlich
1) Zahlreiche Beispiele bei Böhme, Deutsches Kinderlied und
Kinderspiel S. 229 ff. Vgl. oben S. 109.
2) Bei BÖHME a. a. O. S. 233 ff. und Erk- Böhme, Deutscher
Liederhort III, S. 597, sind Proben mitgetheilt, von denen folgende
hier Abdruck verdienen:
I. Oesterreichischer Zapfenstreich.
Gehts ham, gehts ham, ihr Lumpenhiind,
Ihr fresst dem Kaiser 's Brot umsunst!
Gehts ham, gehts harn, gehts ham!
Der Ursprung der Poesie und Musik. 30O
werden wir uns auch die Anregung denken müssen,
welche von den Tonrhythmen vielgeübter Arbeiten
ausgegangen ist und den Naturmenschen veranlasst
hat, sie mit der Stimme nachzubilden, und es wird
nun nur noch darauf ankommen, solche Tonrhythmen
nachzuweisen, deren einfachste Glieder den gewöhn-
lichsten Massen der Verse entsprechen. Wir können
dies hier nur in allgemeinster Weise thun.
Alle Arbeit beginnt mit dem Gebrauch der
menschlichen Gliedmassen, der Arme und Beine,
bez. Hände und Füsse, die sich, wie wir wissen,
schon von Natur rhythmisch bewegen. Und zwar
gebraucht der nackte, waffen- und werkzeuglose
Mensch fast ebenso häufig die Füsse zu seiner Ar-
beit, als die Hände, weil er bei jenen die ganze
Schwere des Körpers die Muskelkraft des Beines
verstärken lassen kann. Ich erinnere an die Häufig-
keit des Stampfens oder Tretens bei älteren Arbeits-
processen: das Treten der Wäsche in der Grube bei
2. Preussischer Zapfenstreich.
Putzt mir nicht mit Hammerschlag,
Putzt mir nicht mit Sand!
Mit Kreide, mit Kreide!
Sonst kommt der Herr Sergeant!
3. Französischer Appell.
Kam'rad komm, Kam'rad komm !
Kam'rad komm mit Sack und Pack!
Kommst du nicht, so hol ich dich.
So kommst du in Prison.
Vergl. auch das berühmte Trommellied der deutschen Landsknechte
über die Schlacht bei Pavia : Vilmar, Handbüchlein für Freunde des
deutschen Volksliedes (2. Aufl. Marburg 1868), S. 45 f. u. Wolfram,.
Nass. Volkslieder Nr. 19..
3IO
Siebenter Tbeil:
Homer, das Stampfen der Aehren beim Dreschen,
der Tücher beim Walken, der Felle beim Gerben,
der Trauben beim Keltern, das Kneten des Teiges
mit den Füssen beim Backen, des Thones bei der
Arbeit des Töpfers, des Lehmes beim Ziegelstreichen ^).
Die ersten Werkzeuge sind Stein und Keule,
jener zum Schlagen, Reiben und Stossen, diese bald
als Schlägel, bald als Stampfe dienend. Zwei Steine,
von denen einer auf dem andern mit pressender Kraft
bewegt wird, geben die älteste Form der Mühle, ein
festliegender in Verbindung mit einem beweglichen
Steine Amboss und Hammer, die Keule in Verbin-
dung mit einem ausgehöhlten Stück Baumstamm
oder einem vertieften Steine den Mörser, das Haupt-
gerät des primitiven Haushalts.
So gelangen wir zu den Grundformen der Ar-
beitsbewegung: Schlagen, Stampfen, pressendes Rei-
ben (Schaben, Schleifen, Quetschen). Nur die zwei
ersteren sind in ihrem Zeitmass durch den kurz ab-
gebrochenen Schall, den sie erzeugen, und durch den
räumlichen Verlauf der Bewegung scharf genug ab-
gegrenzt, um bei ihrer rhythmischen Gestaltung von
selbst eine musikalische Wirkung zu erzeugen. Kommt
hier die menschliche Stimme hinzu, so braucht sie in
Hebung und Senkung, in Dehnung und Kürzung des
Lautes nur dem Schall der Arbeit selbst zu folgen
oder ihn zu begleiten. Wir werden also unser Augen-
merk auf diese Stampf- und Schlagrhythmen zu rich-
i) > Jeder regt nicht nur die ileissigen Hände, sondern häufig
auch die Füsse,* die früh gelernt haben das Werk der Hände zu unter-
stützen.« Jagor, Ostindisches Handwerk und Gewerbe, S. 9. Viele
Beispiele bei Andree, »Der Fuss als Greiforgan« in s. »Ethnogr.
Parallelen u. Vergleichen« (Lpz. 1889), S. 228 ff.
Der Ursprung der Poesie und Musik. ^ 1 1
ten haben, und in der That finden wir hier leicht die
einfachsten Metren der Alten wieder.
Der lambus und Trochäus sind Stampfmasse: ein
schwach und ein stark auftretender Fuss; der Spon-
deus ist ein Schlagmetrum, überall leicht zu erkennen,
wo zwei Hände im Takte klopfen; Daktylus und
Anapäst sind Hammermetren, noch heute in jeder
Dorfschmiede zu beobachten, wo der Arbeiter
einem Schlage auf das glühende Eisen zwei
kurze Vor- oder Nachschläge auf den Amboss vor-
ausgehen oder folgen lässt^). Der Schmied nennt
das »den Hammer singen lassen«. Endlich kann man,
wenn man noch weiter gehen will, die drei Päo-
nischen Füsse auf jeder Dreschtenne oder auf den
Strassen unserer Städte beobachten, wo immer drei
Steintreiber mit Handrammen im Takt die Pflaster-
steine einstampfen. Je nach der verschiedenen Kraft-
aufwendung der Einzelnen, bez. der Fallhöhe der
eisernen Rammen kommt bald der Creticus, bald der
Bacchius bald der Antibacchius zu Stande.
Soviel bloss zur Veranschaulichung. Es soll mit
dieser Darstellung nicht gesagt werden, dass die
betreffenden Metren gerade so entstanden sein müssten
und nicht auch aus anderen ähnlichen Arbeitsvor-
gängen, bez. -Geräuschen entstanden sein könnten.
Jedenfalls dürfte es sich lohnen, wenn von kundiger
Seite dieser Weg einmal weiter verfolgt würde. Nur
darf man nicht erwarten, dass sich auf demselben
sofort alle Räthsel der antiken oder irgend einer
I) Es ergiebt sich von selbst, dass, wenn diese Vor- oder Nach-
schläge einmal unterlassen werden, ebenfalls der Spondeus, bez. Mo-
lossus herauskommen muss.
? 1 2 Siebenter Theil :
andern Metrik lösen werden. Man darf hier eben
nicht vergessen, dass alle ältere Poesie nur gesangs-
weise vorgetragen wurde, wobei das Sprachmaterial
nur zu leicht vergewaltigt wurde, dass aber die Vers-
kunst, einmal vorhanden, ihre eigenen Bahnen ver-
folgt, sobald das Gedicht von Musik und Körper-
bewegung sich losgelöst hat und genügend selb-
ständig geworden ist, um sein Sonderdasein zu
führen.
Dieser Loslösungsprocess ist an einzelnen Stellen
seiner Bahn noch ziemlich gut zu erkennen. Aber
er vollzieht sich viel langsamer, als man auf den
ersten Blick anzunehmen geneigt sein wird; er voll-
zieht sich auch nicht bei allen Gattungen der Dich-
tung gleich leicht und vollständig. Am schwersten
bei der dramatischen, die wir desshalb auch zuerst
betrachten.
Erinnern wir uns zunächst wieder, dass bei
der desultorischen Veranlagung des Naturmenschen
für ihn eine scharfe Scheidung zwischen Arbeit und
Spiel oder sonstiger Thätigkeit nicht besteht, so
werden wir verstehen, dass beide sehr leicht in
einander übergehen konnten. Die Malinke und Bam-
bara im westlichen Sudan bearbeiten ihre Felder,
wie die meisten Völker Afrikas, mit einer kurz-
stieligen Hacke. Alle stehen in einer Reihe, Männer
und Frauen, tief herabgebückt, und munter schreitet
so die Arbeit vom Morgen bis zum Abend voran,
fast ohne Ruhepause. Die Frauen verlassen das
Feld etwas früher als die Männer, um die Abend-
mahlzeit zu Hause zu bereiten. Kommen die Männer
zurück, so gehen manchmal die Frauen ihnen ent-
gegen, und alle zusammen ziehen singend, tanzend
Der Ursprung der Poesie und Musik. 313
und mit den Händen den Takt schlagend in das
Dorf ein, voraus ein paar Tamtam- und Flötenspieler^).
Ahnliche Scenen spielen sich überall bei der Rück-
kehr von der Jagd, vom Fischfang, von einem Kriegs-
zug ab, und wie hier die Arbeit unmittelbar in Spiel,
Gesang und Tanz ausläuft, so werden wir uns auch
nicht wundem können, dass vielfach der Arbeits-
gesang auf andere Lebensverhältnisse übertragen
wird, dass er den Zwecken der geselligen Unterhal-
tung, der Festfeier, ja der Gottes Verehrung dient.
Aber so fest ist noch der Zusammenhang zwischen
Körperbewegung und gebundener Rede, dass das
Lied nicht für sich bestehen kann. Es nimmt viel-
mehr die Arbeitsbewegungen mit sich, gestaltet ihre
rhythmisch-künstlerische Seite weiter aus, während
die wirthschaftlich-technische verkümmert, und so ent-
stehen jene weitverbreiteten pantomimischen Tänze,
deren beste man für werth hält, auch im Dienste der
Götter verwendet zu werden.
So hatten die Neuseeländer nach der Erzählung
des englischen Missionars J. L. Nicholas^) einen Ge-
sang, den sie beim Pflanzen der Bataten zu singen
pflegten. Dieser Gesang, berichtet er, »beschreibt
die Verwüstung von einem sich erhebenden heftigen
Ostwind. Dieser Wind vernichtet der armen Insu-
laner Bataten. Sie pflanzen sie von neuem, und da
sie nun glücklicher damit sind, so äussern sie beim
Ausnehmen derselben ihre Freude mit den Worten:
Ah kikil ah kiki! ah kikil »Esset nun zu! esset nun
zu! esset nun zu!« welches der Schluss des Gesanges
1) Les Colonies
fran9aises V, p. 305 f.
2) Reise nach u. in Neuseeland, a. a. O. S. 46 f.
314
Siebenter Theil:
ist.« Der Missionar fügt dann weiter hinzu, dass
dieser Gesang auch bei allen Festen der Maori ge-
sungen werde. »Gewohnlich ist er (dann) von Tanz
begleitet, und die Attitüden und Bewegungen steilen
das ganze Verfahren des Pflanzens sowohl als des
Ausgrabens der Bataten vor.« Ich theile hier den
Text des Gesanges, wie ihn Nicholas wieder-
giebt, mit:
Nr. 170.
MäränghT tähöw nämackäh üteeäh
mitühu nihuni
Mytängbo hö wy üteeäh närtäckö thöwhy
Nartäcko thöwhy
He-äh-äh, üteeäh-üteeah-üteeäh,
He-äh-äh
cärmothü
Hg-äh-äh
cärmothü
He-äh-äh
tätäpT
Tärhäh
tätäpär-tätäpar-tätäpär.
He-äh-äh
tennä tönäh
He-äh-äh
Kl-e-äh
tennä tönäh
He-äh-äh-tennä
tönäh
He-äh-äh
kiki, he-äh-äh kiki
Ah-äh kiki,
äh kiki, äh kikl!
Wie man sieht, ist der Rhythmus ein ausser-
ordentlich wechselnder, stellenweise sehr bewegter,
an die verschiedenen Arbeitsverrichtungen von der
Saat bis zur Ernte der Lieblingsfrucht sich an-
schmiegender. Ein anderer ähnlicher Gesang schil-
dert einen Mann, der ein Boot baut, von den Fein-
den dabei überrascht, verfolgt und erschlagen wird.
Er ist reines Tanzlied, scheint aber ursprünglich auch
ein Arbeitsgesang der Bootzimmerer gewesen zu sein.
In beiden Fällen kommen zur spielenden Wiedergabe
der Arbeitsvorgänge im Tanze noch andere drama-
Der Ursprung der Poesie und Musik. 5 1 e
tische Momente, und man erkennt leicht die Anfange
des Weges, der zur Ausbildung einer eigentlichen
dramatischen Dichtung führen kann.
Noch einfacher gestaltet sich die Uebertragung
solcher Arbeitsgesänge in den Kultus da, wo die
Arbeit sich auf einem Gebiete bewegt, das einer
bestimmten Gottheit heilig ist. Es kann dann nicht
fehlen, dass diese Gottheit in den Liedern, die zur
täglichen Arbeit gesungen werden, genannt und ge-
priesen wird. Aber auch umgekehrt wird die Ar-
beit selbst, die man im gewöhnlichen Leben zur
Nothdurft und im Schweisse seines Angesichts ver-
richtet, in festlicher Aufführung zu Ehren des Gottes
symbolisch wiederholt und mit ihr der sie beglei-
tende Gesang, wobei der letztere allmählich die
Kunst form annimmt. So ist jenes altgriechische
Schnitterlied mit dem Refrain
nXsiarov oiXov tsL, ovXov isl
geradezu zu einem Hymnus auf Demeter ausgestaltet
worden^), und eine ähnliche Uebertragung scheint
bei den Festen der ackerbauenden. Indianer statt-
gefunden zu haben. »Das Erntefest der Irokesen
wird alljährlich zur Zeit des Reifwerdens des Mais
wiederholt. Es sind im Ganzen 89 Lieder, die von
zwei Sängern und stets in derselben Ordnung ge-
sungen werden. Die Aufführung dauert ßY^ — 4 Stun-
den mit einer längeren Pause und trägt einen gottes-
dienstlichen Charakter.« ^) Die Feste, welche sich an
die verschiedenen Arbeiten des Ackerbaus anknüpfen.
1) Athen.
XIV p. 618^.
2) Th. Baker, Ueber die Musik der nordamerikanischen Wilden
(Leipzig 1882), S. 59.
^ 1 6 • Siebenter Theil :
sind ein Gemeingut aller Völker^); feierliche Auf-
züge, mimischer Tanz und Gesang sind ihnen ge-
meinsam und geben Gelegenheit zu symbolischer
Wiederholung jener Arbeiten und der ihnen eige-
nen Gesänge, die so von selbst zu Kultgesängen
werden^.
Aber ausser dieser symbolischen Wiedergabe
alltäglicher Arbeiten erfordert der Dienst der Götter
noch andere, die ihm eigens gewidmet sind. Man
braucht nur an das Weben des Peplos der Pallas
Athene durch attische Jungfrauen zu denken, an das
Mahlen des Mehls zu den Opferkuchen und Aehn-
liches^), wobei rhythmische Bewegung^) und Gesang
eine Hauptrolle spielten. Viel reicher noch ist dieses
Element im indischen Kultus^) entwickelt. Ich er-
innere hier nur an die Somalieder des Rig-Veda,
welche das ganze Arbeitsverfahren vom Sammeln
des Krauts bis zum Stossen und Auspressen desselben
begleiten. So wird z. B. (I, 28) der Mörser ange-
redet:
Wenn du in jedem Hause auch,
O Mörsereben, wirst angeschirrt,
So töne doch am hellsten hier,
Gleichwie der Sieger Paukenschlag.
I) Vgl. Mannhardt, Mythologische Forschungen, Kap. I (Lity-
erses). Preller, Griech. Mythologie I, S. 601. Rom. Myth. S. 406 f.
Ratzel, Völkerkunde I, 296. 394. 571.
2)' Man vergleiche die Aussagen der Alten über die Entstehung
der bukolischen Dichtung: Bucolici Graeci ed. Ahrens, p. i sq.
3) Vgl. z.
B. Aristoph. Lysistr. 641 ff.
4) Deren gedenkt z. B. mit Bezug auf das Mahlen des Opfer-
mehls ein frgm. adesp. Anthol., S. 1047 Nr. 21 (Bergk):
xai TtaxvöTisXiig ccXst'glg ngbg ^ivXriv 'KLVovy.ivri.
5) Vgl. Hili.ebrandt, Das altindische Neu- und Vollmondsopfer,
Jena 1879. Schwab, Das altindische Tbieropfer, Erlangen 1886.
Der Ursprung der Poesie und Musik. ^17
Und dir, o Mörserkeule, weht
Der Wind vor deinem Angesicht;
Dem Indra presse nun zum Trunk
Den Soma aus, o Mörser du!
Und darauf die beiden Pressplatten:
Die opfernd reichlich Kraft verleihn,
Sie sperren weit den Rachen auf.
Wie Rosse, welche Kräuter kau'n.
Ihr Bretter, presset beide heut'
Dem Indra süssen Somasaft,
Durch hohe Presser ihr erhöht!
Nimm, was noch in der Schale bleibt.
Den Soma giesse auf das Sieb,
Und bring ihn in den Lederschlauch! *)
Wie man sieht, folgt das Lied genau den ein-
zelnen Arbeitsverrichtungen, die sich bei der heiligen
Handlung ergaben, und das Gleiche lässt sich bei
den Agni-Liedem beobachten, wo die Erzeugung des
Reibfeuers und das ganze Opfer-^Ritual in seinem
Verlaufe anschaulich geschildert wird.
Und so scheint ein grosser Theil der religiösen
Dichtung sich ursprünglich eng an die rituellen Be-
wegungen angeschlossen zu haben, welche der Dienst
der Götter erforderte, an die »Arbeit« der Priester
und Kultgenossen; ja rhythmische Bewegung des
Körpers und begleitender Gesang verschmelzen auf
dieser Stufe der Entwicklung so sehr in eins, dass
sie bei den Griechen mit einem Worte (jioksci^ aus-
gedrückt werden^). Die grosse Rolle, welche der
1) Nach der Uebersetzung von H. Grassmann, II, S. 28.
2) K. O. MÜLLER, Gesch. der griech. Litteratur I, S. 37. Vgl.
das attische Priestergeschlecht der Eumolpiden: Preller, a. a. O. I,
615 und oben S. 251.
3i8 Siebenter Theil:
Tanz und der feierliche Taktschritt in ihrem älteren
Kultus spielte, die mancherlei symbolischen, von
Chorgesängen begleiteten Handlungen, welche nicht
bloss den Dienst der Demeter, sondern auch den
des Dionysos kennzeichneten, brauchen hier nicht
weiter geschildert zu werden. Aber daran muss er-
innert werden, dass vielfach im täglichen Leben
Arbeit und Kultus fast unmerklich in einander über-
gingen. Am schönsten ist dies in der Homerischen
Erzählung von der Weinlese ausgedrückt, die auf
dem Schilde des Achilleus abgebildet war: ein Fuss-
pfad führt zu dem Rebgarten; darauf tragen mun-
tere Jungfrauen und Jünglinge die süsse Frucht in
geflochtenen Körben, in ihrer Mitte ein Knabe, der
die Phorminx spielt und dazu mit zarter Stimme ein
schönes Linoslied singt; »jene aber folgen im Tanz-
schritt, alle zugleich mit den Füssen stampfend, amter
Gesang und Jauchzen.«^)
Fast alle Arbeiten, welche mit dem Weinbau in
Beziehung stehen, haben ihre besonderen Lieder bei
den Altena, und viele gewiss auch ihren eignen
Rhythmus, sodass TibuU in doppeltem Sinne Recht
haben dürfte, wenn er vom Weine sagt^):
nie liquor docuit
voces inflectere cautu,
Movit et ad
certos nescia membra modos.
Die bekannteste dieser Arbeiten ist das Treten
der gelesenen Trauben in der Kelterkufe, das in der
Regel von mehreren Männern mit nackten Füssen
1) II. i8, 561—572.
2) Reiche Stellen Sammlung bei Magerstedt, Der Weinbau der
Römer (Bilder aus der röm. Landw.), S. 183 fF.
3) El. I, 7, 37
f.
Der Ursprung der Poesie und Musik. 2 ig
geschah, und das schon im alten Testament häufig
erwähnt wird^). Israeliten wie Griechen und Römer
kannten dazu gehörige Lieder [i^ik'i^via ^ikri).
Tbv iisXavdxQOiva ßdTQVv
TocXccQOLg (f^QOVTSg ävdgsg
fiera nocQ^ivav
in' io^Kov,
narcc Xrivbv Sh
ßaX6vtsg,
^ovov agasveg
narovaiv
araq)vlriv^
Xvovtsg olvovy
^iya xbv d'sbv
HQorovvrsg
iniXrivioiaiv
viivoig,
iQcctbv nid'OLg
ögannsg
viov ig iiovrot Bd%%ov' xrX. *)
Das laute Stampfen der Keltertreter erscheint
dem Dichter hier geradezu als ein Preisen des Gottes
neben ihren Gesängen, von deren muthwilligem Inhalt
die weiter folgenden Verse eine Vorstellung geben.
Man wird zugeben müssen, dass es hier einen Unter-
schied zwischen der unter lautem Gesang sich rhyth-
misch vollziehenden Tagesarbeit und der symbolischen
Darstellung derselben bei der Festfeier des Dionysos
kaum noch giebt^). Als Vermittler zwischen beiden
tritt auch hier der Tanz ein, von dem sich die Fuss-
arbeit der Keltertreter ja kaum unterscheidet*).
1) Z. B. Jerem. 25, 30. 48, 33. Aehnlich war das Verfahren bei
der Oelgewinnung. Vgl. Magerstedt, Die Obstbaumzuclit der Römer,
S. 263.
2) Anacreont. 58 (Bergk, S. 833).
3) Es ist uns bei Athen. V, p. 199* die Schilderung eines Fest-
zugs erhalten, welchen Ptolemaios Philadelphos in Alexandria ver-
anstaltete. Dort heisst es u. a. : h^f^g biX%bxo aXXr] xBtqdyf.v%Xog ^if]-
Tiog nrix&v stuoai, nXdtog ixxaidfxor, vnb icvdg&v r^ianoaCov' iq>'
^g Tiocrsa'KSvaaro Xrivbg nrix&v s^noat, Tsaadgcavy nXdxog nsvrsHaiSs'Ka,
nXi/JQrig, aragwXijg. incctovv Sh k^rjyiovra adrvQOi, ngbg avXbv aöov-
zsg fiiXog iniXtiviov icpsLari/jyLSL d' a'brotg öSiXrivog ntX.
4) LONGUS, Past. II, 36 erwähnt die iittXrivLog ÖQX'fl^'^S der
S20
Siebenter Theil:
Einmal in die höhere Lebenssphäre der Fest-
verherrlichung eingetreten, erfahrt das natürlich aus
der Arbeit erwachsene Dreigebilde von Körperbe-
wegung, Musik und Dichtung eine rein künstlerische
Ausgestaltung. Dieselbe zeigt sich wohl zunächst
in der reicheren Figuration der Körperbewegungen,
dann in der gehaltvolleren Art der Liedertexte und
ihrer Melodien. Schliesslich wird das, was früher
die blosse Nachahmung einer Arbeitsverrichtung war,
zur Darstellung eines ganzen Menschenschicksals, das
die blosse Mimik des tanzenden Chores nicht mehr
völlig zu veranschaulichen vermag. Es tritt der
Schauspieler hinzu, oder vielleicht richtiger gesagt:
der Vorsänger wird zum Schauspieler, und so ent-
steht das attische Drama. Immer aber bleiben in
ihm die Chöre der Hauptbestandtheil der Tragödie
und Komödie, wenn auch ihre Tänze und Lieder
sich differenzieren^).
Wer die ältere Geschichte des antiken Dramas
verstehen will, wird die mimischen Tänze der heu-
tigen Naturvölker oder das Theaterwesen der Ost-
asiaten studieren müssen. Auf Schritt und Tritt
wird er sich auf die rhythmisierte Körperbewegung
zurückgeführt sehen, die an Arbeitsvorgänge anknüpft ;
ja, wenn wir einer Versicherung des Livius*) trauen
dürfen, so wäre auch die altitalische Komödie aus
tuskischen Tänzen entsprungen, die zuerst bloss mit
Hirten und Bauern. Seneca Ep. 15, 4 spricht von dem saltus saliaris
aut fullonius, findet also, dass die Bewegungen bei dem altehrwürdigen
tripudium der Salier mit den Arbeit'sbewegungen der Walker identisch
sind.
I) Vgl. K. O. MÜLLER, Gesch. d. griech. Litteratur II, S. 29 ff.
2) vn, 2.
Der Ursprung der Poesie und Musik. ^21
Flötenbegleitung, aber ohne Text aufgeführt wurden
und mit denen später die römischen Saat- und Ernte-
gesänge verbunden worden wären ^). Wir hätten
dann hier das erste Beispiel einer zeitweisen Los-
lösung des Gesanges von der Körperbewegung und
könnten uns dadurch belehren lassen, dass das Drama
in erster Linie ein mimisches, nicht ein poetisches
Gebilde ist.
Aber die Nachricht des Livius ist unsicher, und
so wird im Ganzen festzuhalten sein, dass die dra?-
matische Dichtung alle drei Elemente der rhythmi-
schen gesangbegleiteten Arbeit zunächst künstlerisch
weitergebildet hat. Dass ihre Trennung erst in hi-
i) Auf alle Fälle knüpft die Entstehung des nationalrömischen
Dramas an ländliche Feste und Aufführungen an. Vgl. Teuffel,
Gesch. d. röm. Litteratur § 3 — 9. Ribbeck, Gesch. d. röm. Dichtung,
I, S. 8 fF. Die römischen Dichter (vgl. TibuU, I, 51 fF,, Lucret. V,
1390 fF., Hör. Ep. II, I, 140 fF.) betrachteten es als ausgemacht, dass
alle Poesie zuerst bei den Bauern und Hirten entstanden sei. — Von
den mancherlei Vermuthungen , die über das älteste römische Vers-
mass und die Entstehung seines Namens- (versus Satumius) vorgebracht
worden sind, scheint mir die schon von den Alten vertretene, welche
es mit dem Saatgott Satumus in Verbindung bringt, allein haltbar.
Vielleicht ist versus Saturnius nicht sowohl der Vers des Saatgottes,
xds der Vers des Säers. Dass das Komsäen eine rhythmische Arbeit
ist, weiss schon Plinius, N. H. XVIII, 54, und er schreibt geradezu
vor, dass die Hand mit dem Schritte des rechten Fusses gleiches
Zeitmass bevbachte, oder, wie man bei uns sagt, über das rechte Bein
werfe. Während also die erste Bewegung des Sämanns darin besteht,
dass der linke Fuss antritt und die rechte Hand in den Sack greift,
hat er bei der zweiten gleichzeitig mit dem rechten Fuss vorzuschreiten
und den Samen auszuwerfen. Dies bedingt ein stärkeres Auflreten
des rechten Fusses. Das alles würde mit dem Metrum
vortrefFlich stimmen. Noch heute wird in Italien beim Säen gesungen.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 21
32 2 Siebenter Theil:
storischer Zeit sich vollzogen hat, ist bekannt. Voll-
ständig ist sie nie durchgeführt worden. Ja wir
haben in dem Musikdrama Richard Wagners eine
Wiederanknüpfung an die ältesten Stadien dieser
Entwicklung erlebt, die auch darin sich als »Renais-
sance« zu erkennen giebt, dass sie rhythmische Ge-
staltung der Bewegungen der Schauspieler-Sänger
verlangt.
Etwas anders vollzieht sich die Verselbständi-
gnng der lyrischen und der epischen Dichtung. Da
die älteren Arbeitsgesänge keinen feststehenden Text
haben, sondern je nach Zeit und Gelegenheit impro-
visiert werden, so kann das Gedicht selbst auch zu-
nächst noch keine selbständige Existenz gewinnen.
Vielmehr ist es der musikalische Theil des alten
Arbeitsprozesses, der erst zu einem Sonderdasein
gelangt: die Melodie. Eine solche textlose Melodie
verzeichnet z. B. Hagen ^) aus Upolu mit der Be-
merkung: »Der Text des Gesanges wird improvisiert
und bezieht sich auf jüngst stattgefundene Ereig-
nisse.« Es ist also auch bei dieser freigewordenen
Melodie das Wort mit der Weise durchaus nicht
solidarisch, und das ist lange so geblieben. Spuren
dieses Zustandes finden ^ich sogar noch bei vielen
unserer älteren Volkslieder, die »nach bekannter
Melodie« gedichtet sind.
Mit der Feststellung dieser Thatsache finden wir
uns unversehens vor eine neue Aufgabe gestellt.
Denn nun ist es unmöglich, dem ewig wandelbaren
Theile der alten dreigliedrigen Verbindung, der Dich-
tung, für sich nachzugehen. Es wird vielmehr noth-
I) a. a. O. Taf. XI, 5 und S. 24.
Der Ursprung der Poesie und Musik. x2Z
wendig, uns zuvörderst an das einzig Festbleibende,
die Melodie, zu halten, und damit stehen wie vor der
Frage nach der Entstehung der Musik. Bei ihrer
Beantwortung kann ich mich sehr kurz fassen^).
Wir wissen bereits, dass die Geräusche vieler
rhythmisch verlaufenden Arbeiten von sich aus mu-
sikalisch wirken. Ebenso steht vollkommen fest, dass
die Naturvölker an der Musik allein den Rhythmus
schätzen, während sie für die verschiedene Tonhöhe
und für Harmonie keine Empfindung haben ^). Um
also in ihrem Sinne jene Arbeitsgeräusche zur Höhe
von Kunstgebilden zu erheben, kam es offenbar nur
darauf an, die Töne, welche das Werkzeug bei der
Berührung mit dem Stoffe abgab, zu verstärken und
zu veredeln, ihren Rhythmus mannigfaltiger und dem
Gefühlsausdruck angemessener zu gestalten.
Natürlich mussten zu diesem Zwecke die Arbeits-
werkzeuge, zu welchen wir auch die Waffen zu
rechnen haben, sich differenzieren: Es mussten ahn-
liehe Vorrichtungen, wie sie bei der Arbeit bestan-
den, hergestellt und dabei versucht werden, die
Schallwirkung nach Tonstärke und Klangfarbe zu
vervollkommnen. Es lag nahe, dass man sich dabei
in erster Linie an die Schlagrhythmen und Schlag-
werkzeuge hielt, bei denen die erstrebte Art der
musikalischen Wirkung am ausgesprochensten her-
vortritt und bei denen überdies der Spielmann ähn-
liche rhythmische Körperbewegungen auszuführen
hat, wie bei der Arbeit. So entstanden aus Arbeits-
1) Dies um so mehr, als ich bezüglich der seitherigen Ansichten
auf das betreffende Kapitel bei Grosse, Anfange der Kunst, S. 265 fF.,
verweisen kann.
2) Grosse a. a. O., S. 270 f.
21*
324
Siebenter Theil:
instrumenten Musikinstrumente, und es ist ausser-
ordentlich bezeichnend, dass unter ihnen die mehr
rhythmischen als tonischen Schlaginstrumente am
frühesten auftreten und noch heute bei den Natur-
völkern am weitesten verbreitet imd am beliebtesten
sind. -So vor allem Trommel und Pauke, Gong und
Tamtam, Schallhölzer und -Stöcke, Klappern und
Rasseln der verschiedensten Art^). Die Trommel,
bez. Pauke, ist für manche Naturvölker das einzige
musikalische Instrument geblieben; sie muss desshalb
auch bei der Frage nach der Entstehung der Musik
vor allen andern Instrumenten ins Auge gefasst
werden. Aber gerade bei ihr kann der hier ange-
nommene Zusammenhang nicht einen Augenblick
zweifelhaft sein; denn sie trägt in ihrer Form die
Spuren ihres Ursprungs noch deutlich an sich. Sie
ist nichts anderes als der mit einem Fell überspannte
hölzerne Getreidemörser, dessen weite Verbreitung
über die bewohnte Erde wir bereits kennen gelernt
haben, bei einzelnen Völkern auch ein ähnlich vor-
gerichteter Topf ^). Die primitiven Saiteninstrumente
1) Ueber die Musikinstrumente der Naturvölker findet man manches
bei Ratzel, Völkerkunde I, 80. 179 ff. 205 f. 369 f. 418 f. 464. 466.
636. 687 f., einiges auch bei Grosse a. a. O., S. 274 ff. Letzterer
fasst S. 277 die charakteristischen Züge der primitiven Musik folgender-
massen zusammen: »Auf der untersten Kulturstufe überwiegt die
Vocalmusik über die Instrumentalmusik. Beide bewegen sich nur in
kurzen einstimmigen Melodien. Polyphonie und Symphonie sind un-
bekannt. Von den beiden Faktoren der Melodie ist der Rhythmus
vorherrschend entwickelt, während die Harmonie sehr mangelhaft aus-
gebildet ist. In dieser letzten Beziehung unterscheiden sich die pri-
mitiven Melodien von den unseren — abgesehen von der Verschieden-
heit der Intervalle — erstens durch die geringe Mannigfaltigkeit der
Töne und zweitens durch das Schwanken der Tonhöhe.«
2) So bei den Nilschiffem die Darabukka: Junker's Reisen in
Der Ursprung der Poesie und Musik. 225
sind dem Bogen nachgebildet, der bekanntlich nicht
bloss als Waffe sondern auch als eigentliches Werk-
zeug gebraucht wird. Sie sind, soweit ich sehe,
überall ursprünglich ebenfalls Schlaginstrumente —
ich erinnere an das Plektron der Griechen — ; das
Reissen der Saiten und das Streichen derselben sind
offenbar spätere Erfindungen^). Die Blasinstrumente
scheinen durchweg jüngeren Ursprungs zu sein.
Uebrigens treten sie bei den Naturvölkern sehr zu-
rück; am häufigsten sind die vorzugsweise rhythmisch
wirkende Flöte und die Rohrpfeife. Bei den alten
Griechen noch war bekanntlich die Flöte in erster
Linie Taktierungs- und Begleitungsinstrument ^).
Man darf natürlich nicht erwarten, auf dem hier
angedeuteten Wege die Entstehung sämtlicher Arten
von Musikinstrumenten zu erklären^). Einmal von
Afrika, I, S. 175, Anm. 2. Die Trommel der B^ssutos n*est autre
chose, qu'une
calebasse ou un pot d*argile recouvert d'une peau for-
tement tendue:
Gas ALIS a. a. O., p. 156.
1) Anderer Ansicht scheint E. B. Tylor, Einleitung in das Stu-
dium der Anthropologie und Civilisation , übers, von G. Siebert,
S. 352 f. — Eine Uebergangsstufe zwischen Arbeits- und Musikinstru-
ment scheint die Pukuta der Mincopies (oben S. 291) zu bezeichnen.
2) Nachträglich finde ich die hier vorgetragene Ansicht über die
Entstehung der Musik schon in dem griechischen Mythos von den
Daktylen ausgesprochen, die man »für die Erfinder des musikalischen
Klangs und des Taktes hielt, wozu die Kunst der Schmiede von selbst
Anleitung gab, daher die Daktylen für die Lehrer des Paris in der
Musik galten^:. Preller, Gr. Mythol. I, 519. — Wie sehr die
Schlaginstrumente bei den Griechen den ganzen Charakter der Musik
bestimmten, zeigt der Gebrauch der Wörter %QOvet,v (-» 7i6nr£iv) und
TiQOvaig für musicieren überhaupt. Man sagte tlqovblv a'bXov, yigifi-
ßaXoi^, qpö^jtityyof, Tiv&dQav, Xvqocv etc. und nannte jedes auf einem
Instrument vorgetragene Tonstück yiQOViia oder yigova^a, z. B. hqov-
\Loixa xa iv aifXriti^fjy aalniatiTtd bei Poll. 7, 88. 4, 84.
3) Diesen und den folgenden Satz scheint K. Groos übersehen
7 26 Siebenter Theil:
(Jpr Arbeit emancipiert, kann die Musik auch in der
Wahl ihrer technischen Mittel freier verfahren, und
bei den europäischen Kulturvölkern blickt sie ja auf
eine Entwicklung voi> mehreren Jahrtausenden zu-
rück. Nur die erste Loslösung von der Arbeit sollte
gezeigt werden, und wenn wir den dafür gefundenen
Weg weiter verfolgen, so erkennen wir leicht, dass
mit der Umgestaltung des Arbeitsgeräts zum Musik-
instrument noch lange keine selbständige Instrumen-
talmusik gegeben war. Denn einerseits ergeben die
blossen Schlaginstrumente keine volle ästhetische
zu haben, wenn er in dem (mir erst während des Druckes bekannt
gewordenen) Buche: »Die Spiele der Menschen« S. 59 behauptet, ich
hätte meine Ansicht über die Entstehung der Musikinstrumente ge-
ändert. Seine Behauptung gründet G. auf eine ihm von mir gelegent-
lich geschriebene — Postkarte, in der ich ihm für eine auf diesen
Gegenstand bezügliche litterarische Zusendung gedankt hatte. Ich
hatte dort, wenn ich mich recht erinnere, wiederholt, was in obigen
beiden Sätzen schon in der i. Aufl. zu lesen war, dass nicht alle
Musikinstrumente aus Arbeitsinstrumenten hergeleitet werden könnten,
sondern bloss die ältesten, bei allen Naturvölkern ohne Ausnahme
sich findenden. Für mich ist überhaupt die Frage nach dem Ursprung
der Instrumente nebensächlich. Was nützt mir die Trompete, wenn
ich sie nicht blasen kann? Es handelt sich um den Ursprung der
Musik. Und da ist Groos bei seiner H5rpothese, welche die Er-
findung der Instrumente auf spielerisches Experimentieren zurückführt,
den Beweis schuldig geblieben, wie die Wilden dazu kamen, auf den
glücklich erfundenen »Schallerzeugem« ästhetisch wirkende Tonfolgen
hervorzubringen. Welche Erfindung ginge nicht aufs Experimentieren
zurück? — Einen zweiten Versuch, mich mit mir selbst in Wider-
spruch zu setzen, macht Groos S. 58, Anmerkung. Dort führt er
eine Stelle aus der 2. Aufl. meiner »Entstehung der Volkswirthschaft«,
in der ich die Grundanschauung des vorliegenden Buches über die Arbeit
der Naturvölker tiefer zu fundieren gesucht habe, als Beweis dafär an,
dass ich »inzwischen meine Ansicht wesentlich modificiert« hätte. Eine
recht billige Art der Kritik!
Der Ursprung der Poesie und Musik. 227
Wirkung, anderseits war damit, dass die alten Ar-
beitsmelodien keinen festen Wortinhalt hatten, nicht
gesagt, dass sie nunmehr ohne Wortbegleitung über-
haupt zum künstlerischen Vortrag gelangen konnten.
Der Gesang bleibt vielmehr nach wie vor die Grund-
lage des neuen Kunstgebildes; die mit eigens dafür ge-
schaffenen Werkzeugen hervorgebrachte Musik weist
ihm Mass und Gang an; aber diesen empfangt sie
doch selbst wieder nur von den rhythmischen Arm-
bewegungen, welche nöthig sind, die Instrumente zu
schlagen, und überdies begleitet beide auch noch
die durch den Tanz in das Gebiet der Kunst er-
hobene taktmässige Körperbewegung, die mit den
Armbewegungen der Spielleute korrespondiert und
mit diesen die Ursache des das Ganze zusammen-
haltenden Rhythmus wird.
Am deutlichsten ist dies in der Entwicklung der
Lyrik zu erkennen. Ihre Sondergeschichte beginnt
überall, wo wir sie weit genug zurückverfolgen können,
mit der volksthümlichen Form des Tanzliedes, das
sich aus der dritten Gattung unsrer Arbeitslieder
entwickelt hat, zunächst so, dass die Körperbewe-
gungen der Tanzenden und das begleitende Musik-
instrument den Rhythmus ergeben, dem der aus dem
Stegreif hinzugefügte Liedertext zu folgen hat^). Die
Bewegungen der Stimmen empfangen ihr Mass von
I) Beispiele solcher Improvisation beim Tanze, Talvj a. a. O.,
S. 60 f. und namentlich in der reichen Sammlung von Joest, Intern.
Archiv f. Ethnogr. V. — Vgl. auch Passarge, Adamaua, S. 476:
»Die Haussa und Fulbe Adamaua* s hatten je eine Melodie, welche sie
stundenlang mit grosser Ausdauer sangen. Der improvisierte Text
war dabei die Hauptsache«. Die beiden nationalen Tanzmelodien sind
a. a. O. S. 477 mitgetheilt.
328 Siebenter Tbeil:
den Bewegungen des Körpers und werden aufs in-
nigste mit ihnen verflochten^). Nicht selten wird
schon auf dieser Stufe die Ausübung des Tanzes zu
einem Berufe, und damit ist weiter gegeben, dass
die Erfindung neuer Tanzweisen und Liedertexte an
Einzelne übergeht. Die zweite Stufe der Entwick-
lung zeigt uns den vom Tanze abgelösten musik-
begleiteten Gesang. Der musikalische Sinn hat sich
inzwischen genugsam entwickelt, um selbständig die
Ueberlieferung vorhandener und die Schaffung neuer
Melodien zu bewerkstelligen. Aber das Wort ist
mit der Weise noch aufs engste verbunden, jedoch
so, dass die letztere den festeren Bestandtheil aus-
macht. Sie wird durch ein Instrument angegeben,
oder es wird wenigstens mit den Händen der Takt
zu dem Gesänge geschlagen. Die Gabe der Impro-
visation ist noch immer sehr rege^). Sänger und
Dichter sind also noch eine Person; aber nur den
begnadeten unter ihnen gelingt die Erfindung eigner
Melodien. Die dritte Stufe beginnt mit dem Weg-
fallen der musikalischen Begleitung. Die lyrische
Dichtung bringt immer noch Lieder hervor; aber sie
werden von einzelnen zu bekannten Melodien ge-
dichtet und gehen dann in den allgemeinen Gebrauch
über. Es ist die Periode des Volksliedes in dem
Sinne, in welchem dieser Ausdruck gewöhnlich ver-
standen wird. Erst die vierte Stufe ergiebt die
1) lieber den Tanz der Buschmänner, Ratzel, Völkerkunde I,
S. 688.
2) Beispiele bei Talvj a. a. O. aus Indien S. 18, Afghanistan
S. 25. 41, Persien S. 26; aus Tibet: Landor a. a. O. S. 91; aus
dem Sudan: R. Semon, Mitth. d. afrikan. Gesellschaft in Deutschland,
V, S. 31.
Der Ursprung der Poesie und Musik. 320
eigentliche lyrische Kunstpoesie; es vollzieht sich
eine Scheidung: auf der einen Seite entsteht das
reine (melodienlose, bloss auf dem Wortrhythmus
beruhende) Gedicht, die »gebundene Rede«, auf
der andern die reine (der Worterklärung entwachsene
Instrumental-)Musik^). Damit trennt sich vom Dich-
ter der Componist und von beiden oft wieder der
Recitator und der ausübende Musiker. Die Arbeits-
theilung wird so weit geführt als möglich. Mit der
Sonderexistenz von lyrischer Poesie und Musik ist
die Möglichkeit auch einer Sonderentwicklung beider
gegeben; jede vervollkommnet für sich ihre Technik
und nutzt die ihr eigenthümlichen Mittel euifs äus-
serste aus; schliesslich gelangen sie zu Gestaltungen,
welche kaum mehr die frühere Gemeinschaft ahnen
lassen.
Minder deutlich ist der Entwicklungsgang der
epischen Poesiezu erkennen. Zwar haben sich
in den im vierten und fünften Kapitel mitgetheilten
Arbeitsgesängen Beispiele erzählender Dichtung nach-
weisen lassen. Ein chinesisches Weberinnenlied, das
i) Die ganze vierstufige Entwicklung ist in typischer "Weise in
der Geschichte der griechischen Lyrik zu erkennen. Die erste Stufe
wird durch die chorische Dichtung repräsentiert mit ihren Hymnen,
Paianen» Dithyramben, Prosodien, Parthenien, Hyporchemen u. s. w.,
welche sich alle den rhythmischen Forderungen des Reigentanzes an-
passen. Daneben als Repräsentantin der zweiten Stufe die melische
Lyrik, die bloss unter Musikbegleitung gesungen wird. Beide ge-
langen bei den Griechen früh zur Kunstform, während sie anderwärts
nur in volksthümlicher Weise sich ausgestalten. Es folgt in der Ent-
wicklung das bloss gesungene Lied (ohne Begleitung) und weiterhin
auf der einen Seite die selbständige Musik {ipili] a^Xriaigy ipiXt} xt-
d'dgteig), auf der andern die bloss gesprochene Dichtung {ipiXrj
noiriaig).
330
Siebenter Theil:
sogar in seinen Eingangsworten den Ton des Weber-
schiffchens nachahmt, berichtet von den Thaten einer
kriegerischen Jungfrau^); auf denFaröem singt man
die Heldenlieder in den Spinnstuben und zum Reigen-
tanze ^, und Ahnliches finden wir auch bei den Al-
ten^. Aber bis zur Stufe des Tanzliedes lässt sich
von einer epischen Dichtung eigentlich nicht sprechen,
oder vielmehr ihre Entwicklung fallt bis dahin mit
derjenigen des Dramas zusammen. Dann trennen
sich ihre Wege. Das Drama bildet das orchestisch-
mimetische Element weiter aus; das Epos streift die-
ses allmählich ab. Wo uns die sogenannten Helden-
lieder zuerst als eine besondere Gattung entgegen-
treten, werden sie nur noch gesungen {aoLS^^ bei
Homer), und zwar in der Regel unter Begleitung
eines Musikinstruments (z. B. der Phorminx bei
Homer, der Gusla bei den Südslawen, der Balalaika
bei den Kirgisen), oft vom ganzen Stamme in der
Weise der Volkslieder (oben S. 50), nicht selten aber
auch von berufsmässigen Sängern, die um Lohn ihr
Gewerbe üben*). Sie sind aber auch hier von der
1) Talvj a. a. O., S. 38 fF. — Vgl. oben S. 73. 85. Anm. i.
136 ff.
2) Vgl. oben S. 264 und Hammershaimb's Faer0sk Anthologie
(1891) I, S. 42 f. Ztschr. d. Ver. f. Volkskunde in (1893) S. 292.
3) Vgl. oben S. 88 f. und Bergk, Griech. Litteraturgeschichte I,
s. 349.
4) Um ausser den Homerischen Aöden noch einige Beispiele an-
zuführen, verweise ich auf Talvj a. a. O., S. 17 (Inder), 26 (Afghanen),
29 (Kalmücken), 33 (Kurden), 87 (Mandingo); femer Casalis a. a. O.
S. 158 (Bassutos), Wissmann, Wolf etc.. Im Innern Afrikas, S. 253.
Stanley, Durch den dunkeln Welttheil II, S. 506. Mehreres auch
bei Bruchmann, Poetik, S. 150 ff. — Dass die Zwischenstufe des epi-
schen Tanzliedes hier ausgeschlossen werden musste, liegt auf der
Der Ursprung der Poesie und Musik. ß7i
Körperbewegung noch nicht völlig frei (vgl. oben
S. 2 76 f.), und es ist kaum mehr zu bezweifeln, dass
sie noch auf der Stufe des Tanzliedes ebenso innig
mit ihr zusammenhingen wie die dramatischen und
die lyrischen Gesänge. Das alles erweist die Epik —
ganz im Gegensatze zu der herrschenden Auffassung
— entwickelungsgeschichtlich als eine jüngere poe-
tische Formation. Ihre weitere Geschichte ist be-
kannt. Sie hat sich vom musikalischen Vortrag
völlig frei gemacht, sobald sie schriftlich fixiert wer-
den konnte, und damit ist auch eine Konsolidation
des Inhalts Hand in Hand und die Liedform völlig
verloren gegangen. —
Unsere Darstellung hat einen Entwicklungsgang
offen gelegt, der vom Zusammengesetzten zum Ein-
fachen führt. Wie aus dem Einfachen wieder ein
Zusammengesetztes wird, nachdem Musik und Poesie
dem Gängelbande der Körperbewegung entwachsen
Hand; wo es vorkommt, ist es als Vorstufe des Dramas aufzufassen.
Immerhin will ich wenigstens ein Zeugniss für diese Stufe hier an-
fuhren. »Die Indianer kommen zu Zeiten auch in der Absicht zu-
sammen, ihre kriegerischen Thaten durchzuerzahlen , welches halb
singend oder in einer Art von Recitativ geschieht. Der älteste unter
den Kriegern erzählt zuerst; dann folgen die übrigen dem Alter nach
in der Reihe , und dazu schlägt die Trommel immerfort, um gleichsam
die Erzählung noch mehr in die Wirklichkeit zu versetzen. Nachdem
ein jeder, wie ihn die Reihe traf, eine kurze Erzählung vorgetragen
hat, £ängen sie wieder in eben der Ordnung an und fahren in einer
Art von abwechselndem Gesänge in der Runde fort, bis ein jeder mit
seiner Erzählung zu Ende ist.« Wie aus dem Zusammenhang hervor-
geht, findet die Recitation zum Tanze statt. Jos. Heckewelder's
Nachricht von der Geschichte, den Sitten und Gebräuchen der india-
nischen Völkerschaften, welche ehemals Pennsylvanien und die be-
nachbarten Staaten bewohnten, übers, v. F. Hesse, Göttingen 1821,
s. 333.
332 Siebenter Theil:
sind, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Es
gehört das in die Geschichte dieser Künste. Wenn
aber in der selbständigen künstlerischen Ausgestal-
tung von Musik und Poesie das, was anfanglich als
das Wesentliche erschien, in den Hintergrund treten,
und später aufgenommene Elemente jetzt wichtiger
erscheinen können, wenn jede von beiden Künsten
einem ihrer eignen Natur angehörigen Entwicklungs-
gesetze zu folgen scheint, wenn wir heute rhythmi-
sierte Rede nicht für sich schon Poesie und rhyth-
misierten Schall nicht Musik nennen, so hat das
darin seinen Grund, dass unser ästhetisches Empfin-
den im Laufe der Kulturentwicklung Wandlungen
erfährt, deren Tragweite man sich einigermassen
wird zur Anschauung gebracht haben, wenn man an
den Geschmacks Wechsel denkt, der sich oft in der
kurzen Spanne Zeit einer einzigen Generation voll-
zieht. Von dem gebundenen Rhythmus des alten,
dem vollen Leben angehörenden und dem Leben
dienenden Arbeits-, Spiel- und Tanzgesanges bis zu
der freien Bewegung des modernen, am Schreib-
tische ersonnenen Gedichtes, das nur gelesen oder
im besten Falle deklamiert wird, für sich aber voll-
kommen ausreicht, um uns ästhetischen Genuss zu
verschaffen, ist ein ungeheurer Weg, den auch unter
den Kulturnationen nur der Gebildete ganz zurück-
gelegt hat. Die grosse Masse des Volkes dagegen
geniesst auch heute noch die Poesie nur im Liede;
sein ästhetisches Empfinden bedarf noch stärkerer
Reizmittel und kann durch die »poetische Schönheit«
allein gar nicht oder nur in sehr schwachem Masse
hervorgerufen werden. Und Aehnliches gilt von der
musikalischen Komposition.
Der Ursprung der Poesie und Musik. 972
Das scheint mir von denjenigen übersehen worden
zu sein, welche von den ästhetischen Kategorien der
Kulturvölker ausgehend den Weg zum Ursprung der
Poesie und Musik zu finden versucht haben, und
darum haben ihre Konstruktionen auch so wenig
befriedigt^). Ich halte es nicht für meine Aufgabe,
auf Aufstellungen dieser Art hier näher einzugehen,
zumal da sie von dem eigentlichen Felde meiner
wissenschaftlichen Arbeit weit ab führen.
Dagegen möchte ich noch mit einigen Worten
einer Einwendung begegnen, die gegen den von mir
verfolgten Weg wohl erhoben werden kann und die
der eigenthümlichen psychisch -physischen Doppel-
natur desjenigen Elements, das ich in den Vorder-
grund gestellt habe, des Rhythmus, entnommen ist.
Jedermann weiss, wie stark rhythmische Musik
auf unsere motorischen Nerven einwirkt, wie sie
Bewegungen des Kopfes, der Arme, der Füsse her-
vorruft, oder wie wenigstens in diesen Gliedern ein
starker Drang empfunden wird, Marsch- oder Tanz-
musik mit Körperbewegimgen zu begleiten. So grosse
Fortschritte nun auch die psychologische Analyse
der rhythmischen Gefühle durch die bahnbrechenden
Untersuchungen von W. Wundt^) gemacht hat, so
1) Man vergleiche z. B. das lange Kapitel über den Ursprung
der Poesie in W. Scherer's Poetik S. 73 — Ii8 und die auf dem
.einzig zuverlässigen Wege der ethnographischen Forschung gewonnenen
Ergebnisse von Grosse, Anfange der Kunst, S. 222 — 264. Der erstere
sieht u. a. in dem Erotischen ein »Urmoment der Poesie« ; der letztere
konstatiert (S. 233), dass in der Poesie der Naturvölker das Erotische
überhaupt kaum vorkommt. Leider hat Grosse der formalen Seite
des Gegenstandes zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und darum
können seine Untersuchungen in diesem Kapitel auch nicht befriedigen.
2) Vgl. insbesondere dessen Physiologische Psychologie II *,
334
Siebenter Theil:
scheint es doch nicht gelungen zu sein, auf physio-
logischem Gebiete gleich sichere Ergebnisse zu er-
zielen. Vor allem scheint noch die Brücke vollstän-
dig verborgen zu sein, welche psychische und or-
ganische Wirkungen des Rhythmus mit einander
verbindet^).
Unter diesen Umständen bleibt der Vermuthimg
auf unserem Gebiete noch ein weites Feld, und dies
um so mehr, als auch nach tder psychischen Seite
der Rhythmus der Körperbewegimg weniger ein-
gehend untersucht zu sein scheint als der Musik-
und Sprachrhythmus. Insbesondere könnte man auf
den Gedanken kommen, dass an dem letzteren das
rhythmische Gefühl der Menschen sich zuerst ent-
wickelt habe und darnach für die Erleichterung der
Arbeit in der Weise ausgenutzt worden sei, wie wir
oben gesehen haben ^). Es würde dann der ganze
S. 84 ff. 280 ff. und Grundriss der Psychologie, S. lyofF. 174 ff. I95f.;
ausserdem Meumann^ Untersuchungen zijr Psychologie und Aesthetik
des Rhythmus, Leipzig 1894.
i) Vgl. Meumann a. a. O., S. 23 ff.
2) So namentlich die Musikschriftsteller, welche dem Arbeitsrhyth-
mus Beachtung geschenkt haben, und die Aesthetiker. Vgl. z. B.
Hennigk, Grundriss der Geschichte der Musik bei den Völkern des
Alterthums (Dresden 1837), S. 14 f. und R. Benedix, Das Wesen
des deutschen Rhythmus , S. 9 f. Besonders aber sind die Schrift-
steller der sog. Musico-Medizin , welche in den dreissiger und vier-
ziger Jahren blühte, diesem Gesichtspunkte nachgegangen. Vgl. z. B.
P. J. Schneider, Die Musik und Poesie nach ihren Wirkungen
historisch-kritisch dargestellt (System einer medizinischen Musik), Bonn
1835, Theil I, S. 324: »Betrachten wir die Wirkung, welche der
Rhythmus auf den Körper äussert, so ist offenbar, dass er, wenn das
Willensvermögen auf die Muskelbewegung geringen Einfluss geäussert
hat, specifisch auf die Muskelnerven und auf den ganzen Körper ein-
wirke, indem die Erfahrung lehrt, dass von Krämpfen begleitete Be-
Der Ursprung der Poesie und Musik. ^35
Gang der Entwicklung in einer der unsrigen genau
entgegengesetzten Weise zu konstruieren sein.
Allein dem widerspricht in erster Linie der Um-
stand, dass auch ohne die Unterstützung des Ton-
rhythmus unsere Körperbewegungen bei gleichmässig
fortgesetzten Arbeiten sich von selbst rhythmisch
gestalten^). Sodann müsste doch auch die Entstehung
wegungen bei Anwendung von Musik und bei Schmälerung des Willens
sich nach Melodie und Taktordnung richten; ja, jene sollen sogar zu-
weilen gleich, im Falle rhythmische Folge gänzlich fehlt, unterdrückt
werden. Der Rhythmus also, kann man sicher behaupten, ist kein
Produkt der Kunst, sondern ein in unserem tiefsten Seyn urgründ-
liches Wesen. Ihn selbst schaffen können wir nicht; er liegt in der
animalischen Natur, gleichsam ein Atom unseres Grundstoffes . . .
Nur da, wo die Natur einfacher Mechanik das Spiel der Einbildungs-
kraft nicht hemmt, wo also das Urmenschliche dem Naturmenschen
näher liegt, kann der Rhythmus seine Anwendung finden. — Die
Schuhputzer, Haarkräusler, Kornschnitter, Spinner und Weber, alle
Hand- und Fussarbeiter , die den Körper anstrengen, ohne den Geist
zu beschäftigen, suchen und finden Hülfe beim Rhythmus; oder viel-
mehr allen diesen bietet er, ohne dass sie wissen wie, seine unver-
ächtliche Hülfe an. Ich bin überzeugt, dass in Fabriken und Manu-
fakturen wenigstens ein Sechstel durch rhythmische Beihilfe gewonnen
wird, sei es durch den ermunternden Rhythmus der Volkslieder, oder
selbst durch die Regelfolge in den fortrückenden Bewegungen der
verschiedenen Manipulationen.« Vgl. E. Hanslick, Vom Musikalisch»
Schönen (7. Aufl.), S. 119 f.
i) Es könnte auch auf die Entwicklung des Kindes hingewiesen
werden, dieWuNDT, Grundriss der Psychologie, S. 344f., so schildert:
»In den ersten Lebensmonaten beginnt es (das Spiel des K.) als Er-
zeugung rhythmischer Bewegungen der eigenen Glieder, der Arme und
Beine, die dann auch auf äussere Gegenstände, mit Vorliebe nament-
lich auf schallerregende oder auf lebhaft gefärbte, übertragen werden.
In ihrem Ursprung sind diese Bewegungen offenbar Triebäusserungen,
die durch bestimmte Empfindungsreize ausgelöst werden und deren
zweckmässige Coordination auf vererbten Anlagen des centralen Nerven-
systems beruht. Die rhythmische Ordnung der Bewegungen, sowie
336
Siebenter Theil:
des sprachlichen und musikalischen Rhythmus bei
dieser Hypothese selbst wieder erklärt werden. Und
endlich scheint es falsch, das entwickelte rhythmische
Gefühl des Kulturmenschen, das sich allerdings vor-
zugsweise am sprachlichen und musikalischen Rhyth-
mus ausbildet, auf die Anfange des Menschenge-
schlechts zu übertragen.
Gewiss wird der poetische und musikalische Rhyth-
mus, so lang er besteht, die Seelen der Menschen
bezaubert haben. »Der Rhythmus ist ein Zwang«,
sagt Fr. Nietzsche^) in einer sehr interessanten Aus-
führung über den Ursprung der Poesie; »er erzeugt
eine imüberwindliche Lust nachzugeben, mit einzu-
stimmen; nicht nur der Schritt der Füsse, auch die
Seele selber geht dem Takte nach — wahrscheinlich,
so schloss man, auch die Seele der Götter ! Man
versuchte sie . also durch den Rhythmus zu zwingen
und eine Gewalt über sie auszuüben.« Aber diese
zwingende Gewalt wohnt doch auch dem blossen
Rhythmus der Körperbewegung inne, wo irgend bei
einem Naturvolk die Gemüther im Tanze sich bis
zur Raserei aufregen und kein anderer Ton zu ver-
nehmen ist als der Schall der Füsse und etwa noch
das Klatschen der Hände. Gewiss finden Wechsel-
wirkungen zwischen dem Rhythmus der Töne und
demjenigen der Körperbewegungen statt, die durch
das psychische Centrum vermittelt werden, und die
Rückwirkungen des musikalischen Rhythmus auf den
menschlichen Organismus haben im Verlaufe der
der von ihnen hervorgerufenen Gefühls- und Schalleindrücke, erzeugt
dann aber sichtlich Lustgefühle, die sehr bald die willkürliche Wieder»
holung solcher Bewegungen veranlassen.« Vgl. auch oben S. 300.
I) Die fröhliche Wissenschaft (Leipzig 1887), S. 105.
*,
Der Ursprung der Poesie und Musik. 9 57
oben geschilderten Entwicklung ohne Zweifel an Be-
deutung gewonnen. Damit ist aber über die Prio-
rität der einen oder der andern Rhythmusart nicht
das Geringste entschieden.
Bei jeder derartigen Untersuchung wird ja
immer der Ausgangspunkt mehr oder weniger will-
kürlich gewählt werden können. Für die Beurtheilung
des wissenschaftlichen Werthes einer Theorie wird
es aber immer darauf ankommen, auf welchem Wege
die grösste Zahl von Erscheinungen zutreffend er-
klärt werden kann. Unter diesem Gesichtspunkte
möchte auch der Inhalt des vorstehenden Kapitels
gewürdigt werden.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 22
Was die Völker bei ihrer Arbeit singen, hat
dieses Buch auf vielen Seiten gezeigt. Was sie aber
singen, das denken und dichten sie auch bei der
Arbeit. Darüber kann nach den zahlreichen mit-
getheilten Proben und den Berichten der Beobachter
kein Zweifel bestehen: die Arbeitenden selbst sind
auch die Dichter ihrer Arbeitsgesänge. Manche der
letzteren sind unmittelbar bei der Arbeit entstanden
in dem Augenblicke, als sie von unsern Berichter-
stattern beobachtet wurden; andere hängen minde-
stens so fest an der Thätigkeit, zu der sie gesungen
werden, dass sie gar nicht losgelöst von ihr gedacht
werden können. Nur ganz vereinzelt ist einmal ein
allgemeines Volkslied in die Arbeitssphäre einge-
drungen, und dies auch nur bei Völkern von vor-
geschrittener Entwicklung. Weit zahlreicher aber
müssen die Fälle sein, in welchen bei der Arbeit
entstandene Gesänge erst zu Tanz- und Kultliedem
und dann zu allgemeinen Volksliedern geworden sind.
Auf diesem Wege werden naturgemäss viele die auf
die Arbeit Bezug nehmenden Stellen durch Ab-
schleifung verloren haben; sie sind darum aus den
überlieferten Volksliederbeständen heute nicht mehr
auszusondern.
Frauenarbeit und Frauendichtung. 7 2q
Ist die Beweisführung des letzten Kapitels richtig,
so haben wir in den Arbeitsgesängen den Nieder-
schlag des ältesten und ursprünglichsten poetischen
Schaffens der Völker zu erblicken. Es müssen dem-
nach diese Gesänge bei ihrer engen Beziehung zur
materiellen Arbeit noch die Ordnung dieser Arbeit
im Haushalt der Völker widerspiegeln. Schon das
sechste Kapitel bot uns Gelegenheit, ein Stück dieser
Ordnung, das Ethnographen und Nationalökonomen
bis dahin fast ganz unbeachtet gelassen haben, und
das hinter der Stufe der Sklaverei und Leibeigen-
schaft weit zurückliegt, in helles Licht zu setzen:
die Bittarbeit.
Aber die Bittarbeit tritt im Leben dieser Völker
immer nur bei besonderen Gelegenheiten auf; sie
will ausserordentlichem Bedürfniss genügen, dem die
schwachen Kräfte des einzelnen Hausstandes nicht
gewachsen sind. Die Arbeitsaufgaben dagegen,
welche in jedem Hause Tag für Tag in gleicher
Weise wiederkehren, werden von ihr nicht berührt.
Für sie hat ein anderer Theil der älteren Social-
ordnung ausschlaggebende Bedeutung: die Verthei-
lung der zur Befriedigung des Hausbedarfs noth-
wendigen Arbeit auf die beiden Geschlechter.
Längst war bekannt, dass auf den älteren Stufen
der gesellschaftlichen Entwicklung ein grosser Theil
der produktiven Arbeit den Frauen obgelegen hat
und dass im Laufe des Kulturfortschritts eine Ver-
schiebung stattgefunden hat, dergestalt, dass der
Mann nach und nach alle Theile der Produktion
übernommen hat, während der Frau nur die Rege-
lung des Konsums in der Haushaltung geblieben ist.
Aber das jener alten Arbeits vertheilung zu Grunde
22*
340
Achter Theil:
liegende Princip ist doch erst in letzter Zeit aufge-
hellt worden. Es besteht in der Hauptsache darin,
dass der Frau alle Arbeit zufällt, die mit der Ge-
winnung und Verwendung der PflanzenstoflFe zu-
sammenhängt, auch die Herstellung der dabei nö-
thigen Vorrichtungen und Gefässe, dem Manne
Jagd, Fischfang, Viehzucht und ebenfalls die Be-
schaffung der dazu erforderlichen Waffen und Werk-
zeuge^).
In das Arbeitsgebiet der Frau fielen somit von
vom herein verschiedene sehr langwierige und müh-
same Arbeitsprocesse, wie das Stampfen und Mahlen
des Getreides, das Backen des Brotes, die Zuberei-
tung von Speisen und Getränken, die Töpferei, die
Verarbeitung der SpinnstoflFe. Ein grosser Theil
dieser Thätigkeiten erfordert schon aus technischen
Gründen rhythmische Gestaltung, während das Ar-
beitsgebiet, auf dem der einzelne Mann wirkt, dazu
viel weniger Gelegenheit bietet. Dazu kommt, dass
auf früher Entwicklungsstufe die Frauen gesellig bei
den Hütten oder in den Feldern arbeiten, während
der Mann einsam im Walde das Wild beschleicht.
Daraus lässt sich ganz allgemein schliessen, dass die
Frau früh in viel umfassenderem Masse auch lieder-
schaffend thätig geworden sein muss als der Mann.
Unsere Sammlung von Arbeitsgesängen kann
allerdings zur Erhärtung dieser Annahme wenig bei-
tragen. Es ist das aber nicht auffallig. Denn da diese
Sammlung vorzugsweise aus litterarischen Quellen
zu schöpfen hatte, so müssen in ihr die Kultur- und
Halbkulturvölker in weit umfassenderem Masse ver-
I) Vgl. meine Entstehung der Volkswirthschaft ^2. Aufl.), S. 36 fF.
Frauenarbeit und Frauendichtung. xaX
treten sein, als die Naturvölker. Dazu kommt die
grosse Abgeschlossenheit des weiblichen Geschlechtes
bei vielen hier* in Betracht gezogenen Nationen, die
der Sammlung und Aufzeichnung der Frauenlieder,
zumal durch Fremde, fast unüberwindliche Schwie-
rigkeiten bereitet^). Dennoch sind unter den 70
Liedertexten unsrer Sammlung, die zur Einzelarbeit
gesungen werden, nicht weniger als fünfzig poetische
Schöpfungen arbeitender Frauen; die zu Gleichtakt-
und Wechseltaktarbeit gehörigen sind naturgemäss
fast ausschliesslich Männerlieder, während die zur
Regulierung der Massenarbeit gesungenen Texte des
fünften Kapitels, soweit ihr Gedankeninhalt einen
Rückschluss auf die Urheber gestattet, sich ziemlich
gleichmässig auf beide Geschlechter vertheilen mögen.
Auch unter den Tanz- und Spielliedem sind hervor-
ragende Beispiele der Frauendichtung, und die Kin-
derlieder werden sicher bei allen Völkern bis auf
einen ganz geringen Theil ebendaher stammen, woher
das Kind seine erste Nahrung erhält.
Dass die Frauen bei den meisten primitiven Völ-
kern fleissig singen, wird durch zahlreiche Zeugnisse
bestätigt. Bei den Mincopie hat jede Frau ebenso
gut ihr eignes, von ihr selbst komponiertes Lied, wie
jeder Mann^). Bei den Indianern in Neu-Californien
hatten ebenfalls die Weiber ihre besonderen Gesänge
und ihre eigene Art zu tanzen ^. Bei den Koluschen,
1) Vgl. oben S. 66 f. und 72. Grierson bemerkt ausdrücklich,
dass er die von ihm veröffentlichten indischen Frauenlieder ohne die
Hülfe eines angesehenen Eingeborenen nicht hätte sammeln können.
2) Journal
of the R. Asiatic Society of Gr. Br., XX, p. 184.
3) G. H. VON Langsdorff, Bemerkungen auf einer Reise um
die Welt (Frankfurt a. M. 18 12), II, S. 169.
342
Achter Theil:
WO der Tanz allein den 'Männern zukommt, »ersetzen
die Frauen die Stelle der Musikanten und singen,
meist im Dreiachteltakt, eine nicht • unharmonische
Melodie«.^) Auf den Fidschi-Inseln singen Männer
aus den höheren Ständen nie, sondern nur Frauen
und Kinder; auf den Radak-Inseln werden die Ge-
sänge, obwohl sie sich ausschliesslich auf Krieg und
Seefahrt beziehen, von den Weibern vorgetragen.
Auf Lukunor (Karolinen- Archipel) gab es Lieder, die
nur von Frauen und andere, die nur von Männern
gesungen werden durften. Die Australier lassen sich
durch die Gesänge ihrer Weiber zu den leidenschaft-
lichsten Handlungen anstacheln^. Die Spott- und
Schimpflieder der Hottentottinnen sind berüchtigt.
Singen ist auf dieser Stufe überall gleichbedeu-
tend mit dichten und komponieren. Dass in Afrika
die Negerinnen bei ihrer Arbeit Gesänge improvi-
sieren, haben mehrere Reisende bezeugt, die von
ihnen besungen worden waren (S. 7 1 f. 89). Auf den
Molukken singen nach Joest die Mädchen so gut ihre
Tanzlieder aus dem Stegreif wie die jungen Männer.
In Kamschatka sind die Frauen die Dichterinnen und
Kompohistinnen, und von den Botokuden wird aus-
drücklich bezeugt, dass sich die Weiber wie die Er-
findung neuer Worte, so auch diejenige neuer Lieder
und Klagegesänge angelegen sein Hessen. Selbst
bei Indern und Chinesen, Arabern und Kabylen giebt
es eigene Frauenlieder, die nur unter den Frauen
entstanden sein können, ausschliesslich von ihnen
gesungen, von Geschlecht zu Geschlecht übertragen
1) a. a. O. n, S. 98.
2) Diese und ähnliche Notizen mehr bei Simmel in der Ztschr.
f. Völkerpsychologie u. Sprachwissenschaft, XIII, S. 282 f.
Frauenarbeit und Frauendichtung. ¦342
und von begabten Sängerinnen durch poetische Neu-
produktion vermehrt werden^).
Vieles spricht dafür, dass diese weibliche Rich-
tung der Volkspoesie unmittelbar an den Arbeits-
gesang anknüpft und in ihm fortgesetzt ihren Mittel-
punkt behält. Aber der Arbeitsgesang nimmt unter
den Frauen sehr leicht einen Charakter an, der dem
des Zauberspruchs nahe verwandt ist. Mason beob-
achtete eine Pueblo- Indianerin, welche die ganze
Zeit, während sie einen Topf aus Thon formte, mit
ihrer Stimme das Klingen eines gutgebrannten Ge-
fasses nachahmte, um ihr Werk vor dem Misslingen
und dem Bersten beim Brennen zu bewahren. Von
einem andern Stamme derselben Gegend, der zu den
fortgeschritteneren gehört, den Zufli, wird berichtet,
dass ihre Frauen zu jeder Arbeit, die sie verrichten,
eigne Lieder dichten. »Die Gesänge , welche sie
singen, wenn sie ihr Korn, ihre Bohnen oder Melo-
nen pflanzen, sollen das Wachsen dieser Pflanzen
befördern. Wenn sie bei ihrer steinernen Backmulde
knieen, um Brot zu bereiten, stimmen sie einen Ge-
sang an, der viele kleine Nachahmungen des Ge-
räusches enthält, das der Mahlstein verursacht. Sie
haben dabei den Gedanken, dass das Gerät unter
solchen Umständen besser seinen Dienst thun wird.
Ahnlich denken sie aber auch, wenn sie ihren Kleinen
etwas vorsingen. Ihren Säugling nennt die Mutter
ihren kleinen Mann und spricht von allem, was sie
i) Reiche Stellensammlung bei Böckel, Deutsche Volkslieder aus
Oberhessen, S. CLII— CLVII. Vgl. auch O. T. Mason, Womans
share in primitive culture (London 1895), chap. VIII. IX und Scherer
im Anzeiger für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur I, S. 204.
344
Achter Theil:
hofft, dass er künftig thun und werden soll, indem
sie glaubt, dies sei zu seinem Wachsen und Gedeihen
nothwendig,« ^)
Gleiche Bedeutung scheinen die Tänze und Tanz-
gesänge zu haben, welche bei vielen Naturvölkern
die Weiber im Dorfe aufführen, wenn ihre Männer
in den Krieg oder zur Jagd ausgezogen sind. Sie
sollen den Männern Glück bringen, ihnen den Sieg
oder reiche Beute und gesunde Heimkehr sichern,
sie vor bösem Zauber bewahren. Kehren endlich
die Ausgezogenen wieder heim, so ziehen ihnen die
Frauen mit Gesängen und im Tanzschritt entgegen.
Ihr Lied ertönt jetzt zum Preise der tapfern Thaten
der Ihrigen.
Nirgends ist diese Sitte so schön bezeugt wie
im alten Testament. Als nach dem Auszug der Is-
raeliten das Meer die nachfolgenden Ägypter ver-
schlungen hatte, »nahm die Prophetin Mirjam, Aarons
Schwester, die Pauke zur Hand, und alle Weiber
zogen hinter ihr drein mit Pauken und im Reigen.
Mirjam aber sang ihnen vor:
Singt Jahwe ein Lied! Denn hoch erhaben ist er,
Rosse und Reiter hat er ins Meer gestürzt.«*)
Jephtha erblickt nach seinem Siege über die
Ammoniter bei der Heimkehr zuerst seine Tochter, die
ihm »mit Pauken und im Reigentanze« entgegen-
kommt^. Den Riesenbezwinger David empfangen
sogar aus allen Städten Israels die Frauen im Reigen
i) Mason, a. a. O. S. 176; dort auch zwei sehr bezeichnende
Kinderlieder.
2) II. Mos. 15, 20 f.
3) Richter 11, 34.
Frauenarbeit und Frauendiclitung. ^45
und singen das Lied, das den König Saul so sehr
erbittert^). Grössere Reste solcher Siegesgesänge
der Frauen sind uns im Deboraliede erhalten, dessen
letzter Theil auch . inhaltlich seinen Ursprung deut-
lich zum Ausdruck bringt^).
Diese Erscheinung steht nicht vereinzelt. Im
frühem Mittelalter sangen in Deutschland wie in
England, in Frankreich und Portugal die Frauen
Lieder zum Reigentanze, in denen Zeitereignisse be-
handelt und Männer des Tages gerühmt oder ver-
spottet wurden^). Karl der Grosse untersagt den
Klosterfrauen, Mädchenlieder (winileodes) zu schreiben
und zuschicken^); in Frankreich gab es eine beson-
dere Gattung erzählender Lieder, die chansons ä
toile, welche von Mädchen und Frauen bei Hand-
arbeiten gesungen wurden; in England sang man
Balladen beim Spinnen und Wasserholen. Noch
heute feiern auf den Palau-Inseln die Mädchen den
Sieg über den toten Feind, sowie Lebende, denen
sie wohlwollen, durch besondere Lieder^).
Verwandt mit den Sieges- und Heldenliedern
sind die Totenklagen, die fast bei allen Völkern der
Erde den Frauen obliegen. Es werden die Vorzüge
des Verstorbenen und seine ruhmvollen Thaten in
die Klage über den Verlust desselben verwoben.
Der Gesang muss seiner Natur nach immer wieder
1) Sam. I, i8, 6. 29, 5.
2) Richter 5. Vgl. das oben S. 73 und 77 über die epischen
Lieder indischer Frauen Bemerkte.
3) Die Zeugnisse hat Böckel a. a. O. , S. CLVI f. zusammen-
gestellt.
4) Wackernagel, Gesch. der deutschen Litteratur, II, S. 47 f.
5) Semper, Die Palau-Inseln, S. 213. 314 ff.
140 Achter Theil:
von neuem gedichtet werden, wenn auch wohl regel-
mässig alte Weisen und alte Kehrreime dabei mit-
benutzt werden. Früh treten gemiethete Klagefrauen
auf, die statt der Nachbarinnen und Verwandten es
übernehmen, das Lob des Toten zu singen. Der
jüdische Prophet^) spricht von den »des Wehgesangs
kundigen Weibern«, von denen eine die andere ein
Klagelied lehre. Bei Griechen und Römern wurden
diese Gesänge unter Flötenspiel vorgetragen, und
die ganze Trauerversammlung stimmte in den Kehr-
reim ein*). Allerdings genügten diese einfachen Er-
zeugnisse weiblicher Dichtung dem verfeinerten Ge-
schmacke einer fortgeschrittenen Zeit nicht mehr,
und das Wort naenia wurde in der spätem römischen
Zeit geradezu als Bezeichnung einer einfaltigen Lob-
rede gebraucht. Es liegt aber doch darin zugleich
ein Beweis, dass diese Gesänge keinen feststehenden
Text hatten.
Noch jetzt sollen in Corsica die , Lieder der
Frauen auf ermordete Angehörige wesentlich dazu
beitragen, die Blutrache immer wieder von neuem
anzufachen^). Auch im Leben des modernen Grie-
chenlands spielen die Myriologia der Frauen noch
immer eine grosse Rolle. »Sie sind ihrer Natur oder
ihrem Ursprünge nach immer Improvisationen und
werden in den Augenblicken des frischen Schmerzes
1) Jerem. 9, 16 — 19.
2) Vgl. Hermann, Griech. Privatalterthümer § 39, 15. Teuffel,
Gesch. d. röm. Litt. § 72. Ribbeck, Gesch. d. röm. Dichtung, I,
S. 7 f. Marquardt, Das Privatleben der Römer, S. 352.
3) Gregorovius,
Corsica, I, S. 148. — Improvisation von Trauer-
gesängen in Verbindung mit Tänzen in Neu-Seeland: Shortland
a. a. O., S. 148 f.
Frauenarbeit und Frauendichtung. ^aj
und der ungeschwächten Trauer gedichtet. Zwar
giebt es auch . für diese Lieder hergebrachte Formeln
und Gemeinplätze in Einleitungen, Uebergängen und
Schlüssen ; aber die Verschiedenheit des Todesfalles,
des Verstorbenen und des Verhältnisses der Sängerin
zu demselben macht doch jedes zu einer neuen und
eigenen Improvisation. Sie werden in dem gewöhn-
lichen Liederversmasse gedichtet, und ihre Weise,
zwar in einzelnen Stellen variierend, bleibt doch im
Allgemeinen dieselbe — eine klagende Melodie, lang-
sam fortschreitend und in hohen Tönen ausgehend,
gleichsam wie in dem Aufkreischen des Schmerzes.
Es ist eine merkwürdige Erscheinung, schüchterne
und ganz unwissende Frauen in dem ersten Anfalle
des Schmerzes zu Dichterinnen werden zu sehen . . .
Es bedarf indessen wohl kaum der Erwähnung, dass
nicht alle griechischen Frauen in gleichem Grade
diese wunderbare Gabe besitzen. Einige von ihnen
sind durch ihre myriologische Begeisterung berühmt
und werden daher gewöhnlich eingeladen, das Ab-
schiedslied an den Todten zu singen. Eine solche
Myriologistin gilt in Griechenland so viel, wie in
Italien ein ausgezeichneter Improvisator. Auch lassen
die griechischen Weiber es nicht an Uebungen und
Vorbereitungen zu ihrem traurigen poetischen Amte
fehlen und singen oft unter einander bei ihren
Feldarbeiten Klagelieder auf eingebildete Todes-
falle, sey es nun, dass sie einen Nachbar oder einen
Freund bejammern, oder auch in Bildern spielen,
indem sie den Verlust einer Blume, eines Vogels,
eines Lammes zum Gegenstande ihrer Verse machen.
— Die meisten Myriologien verfliegen als Improvi-
sationen, und die Dichterinnen selbst bleiben ihrer
348 Achter Theil:
nicht mächtig, wenn die Begeisterung des Schmerzes
sie verlassen hat.«^)
Aber die schöpferische poetische Thätigkeit der
Frauen beschränkt sich nicht auf die Klagegesänge;
sie erstreckt sich vielmehr auf alles, was in das
Leben des Weibes tiefer eingreift. Insbesondere sind
bei vielen Völkern (vielleicht bei allen) die Weisen,
welche die Hochzeitsgebräuche begleiten, ihre Auf-
gabe, und auch unter den Resten alter deutscher
Volksdichtung hat sich manches dieser Art erhalten.
Beispielsweise sei an die merkwürdigen Lieder zum
Kranzbinden erinnert, die sich den Arbeitsgesängen
nähern oder vielleicht als Uebertragung derselben
in die Sphäre des Festes betrachtet werden müssen^).
Bei den Tanzliedern wetteifert wenigstens das weib-
liche Geschlecht mit dem männlichen; viele Lieder
zu Gesellschaftsspielen gehören ihm allein an.
Was Fauriel von den Neugriechen sagt, dass sie
den Frauen ȟberhaupt einen grossen Theil der
schönsten und rührendsten Stücke aus allen Gat-
tungen der Volkspoesie verdanken«^), das gilt noch
von vielen andern Völkern, auch in Europa. So zu-
nächst von den Serben und Bulgaren. In der
vollständigsten mir bekannten Sammlung von Ueber-
setzungen serbischer Volkslieder kommen auf 164
1) C. Fauriel, Neugriech. Volkslieder, S. LXIV ff. Dort auch
ein sehr bezeichnendes Beispiel.
2) Sehr alterthümliches Beispiel aus Gottschee bei Hauffen,
S. 339f. Andere Hochzeitslieder bei Erk-Böhme, III, Nr. 1275 ff.
Wolfram, Nass. Volkslieder, Nr. 265^.
3) Vgl. Ueber anmuthige Improvisationen zum Reigentanze bei
Königsbesuchen in den Dörfern berichtet Ross, Wanderungen in
Griechenland, II, S. 119. 189 f.
Frauenarbeit und Frauendichtung. ^dQ
Frauenlieder nur 7 1 Heldenlieder, die von Gusle-
spielem gesungen zu werden pflegen, womit freilich
nicht gesagt ist, dass sie alle von Männern gedich-
tet sind, während von den Frauenliedem mir völlig
festzustehen scheint, dass sie von Frauen ersonnen
sind, wie sie auch nur von ihnen gesungen werden.
Noch bedeutender scheint der Antheil dichtender
Frauen an dem Volksliederbestande der Bulgaren
zu sein. Einer der besten Kenner des letzteren^)
schreibt geradezu gewisse Eigenthümlichkeiten in
Form und Inhalt der Lieder demJJmstande zu, dass
die Frauen in der Volksdichtung tonangebend sind,
wie sie denn auch am meisten dazu beitragen, diesen
Schatz der Nation zu erhalten. Werkowitsch hat
nicht weniger als 270 unter den 335 Nummern
seiner Sammlung bulgarischer Volkslieder aus dem
Munde einer einzigen Frau in Seres niedergeschrieben,
und die Brüder Miladinow verdanken einem Mädchen
in ihrer Heimat 150 Liedertexte.
Wie hier, so weist auch bei den jungen Völkern
des Nordens der Volksliederschatz die deutlichen
Spuren der Frauendichtung auf. Unter den wunder-
bar vollendeten Volksliedern der Finnen bilden die
Mädchen^, Frauen-, Braut- und Hochzeitslieder eine
ganz hervorragende Gruppe. In der Auswahl, welche
H. Paul aus Elias Lönnrots Kanteletar in deutscher
Sprache veröffentlicht hat, befinden sich, wenn wir
die kleinen Gruppen der Fabeln und Beschwörungs-
runen unberücksichtigt lassen:
1) DozoN a. a. O., Vorrede, p. XVII f.
350
Achter Theil:
1. Mädchenlieder 88
2. Braut- und Hochzeitslieder 26
3. Frauenlieder 18
4. Wiegen- und Kinderlieder 17
5. Sängerlieder 20
6. Männerlieder 31
7. Hirten- und Jagdlieder 27
8. Balladen 8
9. Gedichte vermischten Inheilts 59
Zusammen 294
Auch wenn wir nur die vier ersten Gruppen für
die Frauen in Anspruch nehmen, so würde ihr An-
theil an dem ganzen Bestände den der Männer be-
reits überwiegen. Aber unter den Liedern der beiden
letzten Gruppen geht zweifellos auch noch ein nicht
unerheblicher Theil auf Dichterinnen zurück.
Noch weit ausgesprochener ist dieser weibliche
Charakter der Volkspoesie bei den Esten. Schon
HuPEL^) schreibt (1777): »Der Gesang gehört eigent-
lich den Weibspersonen zu. Auf Hochzeiten sind
besondere Weiber zum singen; doch stimmen auch
Mannspersonen mit ein, sobald Getränke die Freude
allgemein machen. Bey der Feldarbeit, bey ihren
Spielen u. dgl. hört man nur die Dirnen durch ihre
schreyenden Gesänge allgemeine Zufriedenheit ver-
breiten.« Noch Neus (1850) bezweifelt nicht, »dass
das weibliche Geschlecht viele der schönsten Lieder
ursprünglich gedichtet hat«, obwohl zu seiner Zeit
der urwüchsige Volksgesang schon stark in den Hin-
tergrund gedrängt war. Auf Hochzeiten und Kind-
i) Nachrichten, II, S. 133 u. 158 f.; vgl. auch Petri, Ehstland,
S. 67 f. und Neus, Einleitung, S. XIII.
Frauenarbeit und Frauen dichtung. ^ej
taufen pflegten sich die weiblichen Theilnehmer so-
gleich in zwei Chöre zu theilen; der eine sang eine
Zeile vor, der andere wiederholte sie. Neue Lieder
wurden von Einzelnen improvisiert. »Solche Lieder
darf nur Einer einmal vorsingen und dann wieder
von neuem anstimmen, so wiederholt sie der ganze
Haufe. Sie sind oft voll der beissendsten Spötte-
reien, darin sie vorzüglich die Deutschen nicht ver-
schonen und bisweilen auch den Hochzeitsvater mit-
nehmen, wenn er sich beim Hochzeitsschmause zu
sparsam oder knauserig finden lässt.«
Von den Letten berichtet Merkel^) das Gleiche*
»Bei den Letten ist die Dichtkunst auf die Kunkel
gefallen . . . Finster, verschlossen und schweigend
thut Jüngling und Mann seine Arbeit. Nie erhebt
sich sein Herz bis zum Hochtönen der Freude; er
müsste denn so betrunken seyn, dass er sich selbst
nicht kennte. Die Mädchen hingegen, in süssen
Träumen hinter ihrer Herde hinschleichend, besingen
diese und jeden Gegenstand, der sich ihnen darbeut.
Kein Wanderer kommt unbeverselt vorbey. Man
kann leicht denken, dass sie vorzüglich auf den Hoch-
zeiten glänzen. Ich habe sie zuweilen Impromptus
absingen hören, deren caustisches Salz von einem
Kästner entlehnt schien.«
Auch die litauischen Volksliedersammlungen
sind stark mit Elementen durchsetzt, die sich nur
aus einer selbstschöpferischen Betheiligung des weib-
lichen Geschlechtes an der Dichtung erklären lassen.
Die Zartheit und Innigkeit des Empfindens, das Be-
wegen im engen Gedankenkreise des bäuerlichen
i) Die Letten, S. 62, Anm. 14.
352
Achter Theil:
Hauses, die Schilderung der Mädchenträume, der
Vorbereitung zur Hochzeit, des schmerzvollen Ab-
schieds der Tochter vom Mütterlein, der kalten
Fremde, wo rohe Gatten, zornige Schwiegermütter,
neidische Schwägerinnen die Neuvermählte ängstigen,
— alles dieses weist die Mehrzahl der Dainos ent-
schieden den Frauen zu. »Das litauische Volkslied«,
sagt Ch. Bartsch^), »ist durchweg lyrisch, mit sehr
geringen Ansätzen zu epischer Darstellung und ist
— seinem wesentlichen Inhalte nach — eine von
Mädchen und Frauen gemachte poetische Ab-
spiegelung des litauischen Bauemiebens, bei der
eine frauenhafte Empfindsamkeit, eine innige Ver-
schwisterung mit der imigebenden Natur und eine
Unmittelbarkeit und Naivetät in der Ausdrucksweise
herrscht, wie sie in jeder Kunstdichtung als höchstes
Ziel der Lyrik aufgestellt und doch von den genialsten
Dichtern nur selten erreicht wird.«
Bei Esten, Letten und Litauern scheint auch
heute noch die Gabe der Improvisation unter den
Frauen und Mädchen nicht völlig erloschen zu sein.
Die gedruckten Volksliedersammlungen derselben
bestehen freilich wohl nur aus überlieferten Texten.
Aber es muss doch nach dem Gesagten von grossem
Interesse sein, festzustellen, wie weit dieser Nieder-
schlag des poetischen Schaffens der Vergangenheit
mit Liedern durchsetzt ist, die mit einer gewissen
Sicherheit als Erzeugnisse der Frauendichtung in
Anspruch genommen werden können. Ich habe da-
raufhin sämtliche Stücke in je einer grösseren mir
i) Dainu Balsai, Einleitung S. XXV f. Vgl. auch das Vorwort
zu NesselmaNx\, Lit. Volkslieder und Tetzner, Dainos (Reclam*s
Universal-Bibliothek 3694).
K
Frauenarbeit und Frauendichtung. ^e»
vorliegenden Sammlung von estnischen, lettischen
und litauischen Volksliedern^) durchgenommen, solche
Lieder als unbestimmbar ausgeschieden, welche rein
erzählender Natur sind und über Geschlecht oder
Lebensstellung des Dichters keinerlei Auskunft geben*
Die übrigen wurden in Männer- und Frauenlieder
geschieden, je nachdem der Inhalt konkrete Merk-
male bot, die auf einen Sänger oder eine Sängerin
hinwiesen. Ueberall wurde sorgfaltig vermieden,
aus der in den Liedern sich aussprechenden Gefühls-
weise auf das eine oder das andere Geschlecht zu
schliessen. Dadurch hoffe ich aus diesem statistischen
Verfahren die Momente der Unsicherheit nach Mög-
lichkeit ausgeschlossen zu haben. Um jedoch ein
Kontroimittel zu haben, wurde auf mein Ersuchen
von anderer Seite eine zweite Sammlung litauischer
Volkslieder nach den gleichen Grundsätzen ausge-
zählt und da diese Kontroizählung im Resultat von
der meinigen nur um ein Procent abwich, so darf
ich für das Ergebniss wohl einen gewissen Grad von
Zuverlässigkeit in Anspruch nehmen. Unter den be-
handelten Volksliedern waren:
Nationalität:
Männer- Frauen- unbe- über-
lieder lieder stimmbar haupt
Estnisch 64 ^58 36 258
Lettisch 114 314 84 512
Litauisch 177 206 49 432
Zusammen 355 678 . 169 1202
i) Es sind die oft erwähnten Sammlungen von Neus, Ulmann
und Nesselmann. Ausgeschieden wurden von den estnischen Liedern
ulle Kinderlieder» Zählgeschichten und Räthsellieder.
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 23
354
Achter Theil:
Nationalität:
Männer-
lieder
Frauen-
lieder
unbe-
stimmbar
über-
haupt
/o
/o
/o
/o
Estnisch
24.8
61.2
14.0
100.^
Lettisch
22.3
61.3
16.^
100.0
Litauisch
•
41-0
47-7
11.3
lOO.Q
Zusammen 29.5
564
14.1
100.0
Es würden darnach bei Esten und Letten die
Frauenlieder verhältnissmässig etwas stärker vertre-
ten sein als bei den Litauern, und selbst wenn wir
alle nicht nach dem Geschlecht der Urheber be-
stimmbaren Texte den Männern zuweisen wollten, so
würden auf den Antheil des weiblichen Geschlechtes
immer noch über drei Fünftel des ganzen Bestandes
entfallen. Wenn wir dagegen diesen unsicheren Be-
standtheil gänzlich ausscheiden, so kommen von je
hundert der übrigen Lieder auf das weibliche Ge-
schlecht bei den Letten 73.3, bei den Esten yo.g und
bei den Litauern immer noch 53.3.
Alle drei Völker verdanken also, wie die Finnen
und die Südslaven, den überwiegenden Theil ihres
Volksgesanges den Frauen. Und zwar den einfachen
Frauen des Volkes, die Tag für Tag des Lebens kleine
Sorgen tragen und auf deren Schultern auch im mo-
dernen Bauernhause, wenigstens dieser Länder, noch
ein grosser Theil der güterschaffenden Arbeit ruht.
Darüber kann kein Zweifel bestehen: Bauernmädchen
und gewöhnliche Dienstboten ^) haben in diesen sämt-
I) Die Dienstbotenlieder bilden eine auch inhaltlich sehr
interessante Gruppe unter den estnischen und finnischen Volksliedern.
Vgl. Neus a. a. O. S. 204 ff. Paul, Kanteletar, S. 82 ff. Das
folgende Gedicht daselbst, S. 93. — Dass übrigens ähnliche Lieder
Frauenarbeit und Frauendichtung. ^ee
lieh einem augenblicklichen Impuls oder einer zu-
falligen Gelegenheit entsprungenen Liedern eine
Kraft des dichterischen Empfindens bewiesen, die
unsere höchste Bewunderung erregen muss. Man
lese nur folgende Zeilen aus der Dichtung eines fin-
nischen Bauemmädchens:
Böses hör' ich alle Tage,
Bin in aller Leute Munde,
Alle hassen mich im Dorfe,
Lästern mich zu jeder Stunde.
Doch je mehr sie mich verleumden,
Tückisch mich zu schmähen wagen,
Desto stolzer will ich scheinen,
Will den Kopf noch höher tragen;
Will dem edlen Rosse gleichen.
Keck und muthig vorwärts schreiten.
Aber kam' man, mich zu loben.
Mir ein rühmend Wort zu sagen.
Wollt* ich still den Nacken beugen.
Tief die Augen niederschlagen.
»Wer lehrte die Magd die alltäglichen Wahr-
nehmungen in so poetische Formen kleiden?« fragt
erstaunt der Uebersetzer dieser Lieder, denen die
bleichsüchtige Damenpoesie unserer Kulturvölker
nichts an die Seite zu stellen hat. Wer unserer
Darstellung mit etwelchem Verständniss gefolgt ist,
dem wird die Antwort nicht schwer fallen.
Nicht auf den steilen Höhen der Gesellschaft ist
auch heute noch selbst bei uns gelegentlich unter der arbeitenden
Klasse entstehen, beweist das schweizerische Spottlied : >Die Fabrikante
z* Dideldum« bei Tobler, Schweiz. Volkslieder I, S. 159 und ein
anderes Arbeiterlied aus Nassau über schlechten Verdienst beim Eisen-
bahnbau: Wolfram, Nass. Volkslieder Nr. 374.
23*
3^6 Achter Theih Frauenarbeit und Franendichtung.
der Dichtung Quell entsprungen, sondern aus den
Tiefen der reinen und starken Volksseele ist er her-
vorgequollen. Frauen haben über ihm gewaltet, und
wie die Kulturmenschheit ihrer Arbeit viel des Be-
sten verdankt, was sie besitzt, so ist auch ihr Denken
und Dichten eingewoben in den geistigen Schatz,
der von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wird.
Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Spuren der
Frauendichtung weiter zu verfolgen in dem geistigen
Leben der Völker. Sind sie auch vielfach verschüt-
tet durch die nachfolgende Periode der Männerpoesie,
die in dem Masse die Herrschaft zu erlangen scheint,
als auch die materielle Produktion an die Männer
übergeht, so lassen sie sich doch bei einer Reihe
von Völkern bis tief in die litterarische Zeit hinein
verfolgen^).
I) Einiges Rohmaterial hat Bruchmann, Poetik, S. 58 ff. zusam-
mengestellt — freilich nur unter dem Gesichtspunkte der Kuriosität.
Unsere Untersuchung hat eine Reihe von Fäden
blossgelegt, deren Enden in der heutigen Welt weit
auseinanderliegen, deren Anfange aber in dem Masse,
als man sie weiter zurückverfolgt, einander sich nähern
und schliesslich allein einem Punkte zusammenlaufen.
Dieser Punkt liegt hart an der Grenze des Gebietes,
wo pfadloses Dunkel die Urgeschichte der Mensch-
heit deckt, und wenn wir von diesem Schnittpunkte
aus die zurückgelegten Wege noch einmal mit den
Augen des Geistes durch die Jahrtausende hindurch
verfolgen, so erkennen wir, dass wir es mit einem
socialen Evolutionsprozess zu thun haben, der nach
der sachlichen Seite als Differenzierung und Inte-
gration, nach der persönlichen als Arbeitsvereinigung
und Arbeitstheilung betrachtet werden kann.
An jenem Convergenzpunkte erblicken wir die
Arbeit noch ungeschieden von Kunst und Spiel. Es
giebt nur eine Art der menschlichen Thätigkeit,
welche Arbeit, Spiel und Kunst in sich verschmilzt.
In dieser ursprünglichen Einheit der geistig-körper-
lichen Thätigkeit des Menschen erkennen wir bereits
die spätere wirthschaftlich-technische Arbeit, die
Hauptformen des Spiels und alle Künste, sowohl die-
jenigen der Bewegung als auch diejenigen der Ruhe,
in ihren Keimpunkten eingeschlossen, und wenn wir
unsere Begriffe auf diesen Zustand übertragen wollen,
so müssen wir sagen: die Künste der Bewegung
(Musik, Tanz, Dichtkunst) treten beim Vollzug der
Arbeit mit zu Tage, und die Künste der Ruhe (Bild-
nerei, Malerei) erscheinen in den Ergebnissen der
Arbeit — wenn auch oft nur in der Gestalt der
Ornamentik — verkörpert^). Diesem allem aber fehlt
noch das wirthschaftliche Moment. Es ist reine, in-
stinktive Lebensbethätigung.
Das Band, welches diese, nach unserem Em-
pfinden so verschiedenartigen Elemente zusammen-
hält, ist der Rhythmus: die geordnete Gliederung
der Bewegungen in ihrem zeitlichen Verlauf. Der
Rhythmus entspringt dem organischen Wesen des
Menschen. Alle natürliche Bethätignng des thie-
rischen Körpers scheint er als das regulierende Ele-
ment sparsamsten Kräfteverbrauchs zu beherrschen.
Das trabende Pferd und das beladene Kameel be-
wegen sich ebenso rhythmisch wie der rudernde
Schiffer und der hämmernde Schmied. Der Rhyth-
mus erweckt Lustgefühle; er ist darum nicht bloss
eine Erleichterung der Arbeit, sondern auch eine
der Quellen des ästhetischen Gefallens und dasjenige
Element der Kunst, für das allen Menschen ohne
i) Vgl. oben S. 15. — Nach Grosse a. a. O. S. 142 ff. findet
sich in der Ornamentik der Naturvölker das »Princip der rhythmischen
Anordnung^: in grösster Ausdehnung vor. Dasselbe würde somit nicht
bloss die verschiedenen hier behandelten Elemente der Thätigkeit
dieser Volker beherrschen, sondern sich auch auf die Produkte dieser
Thätigkeit übertragen. Doch würde es zu weit führen, hier diesem
Gesichtspunkte nachzugehen.
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. ^^q
Unterschied der Gesittung eine Empfindung inne-
wohnt. Durch ihn scheint in der Jugendzeit des
menschlichen Geschlechts das ökonomische Princip
instinktiv zur Geltung zu kommen, welches (nach
Schäffle) uns befiehlt, möglichst viel Leben und
Lebensgenuss mit möglichst geringer Aufopferung
an Lebenskraft und Lebenslust zu erstreben.
Schon die alten Philosophen sind auf diese uni-
versale Bedeutung des Rhythmus aufmerksam ge-
worden. Platon leitet ihn aus der Natur des Men-
schen ab, indem er auf die Freude der Jugend an
lärmender Bewegung hinweist. Die übrigen Lebe-
wesen hätten keine Empfindung für die Ordnung in
den Bewegungen, die man als Rhythmus und Har-
monie bezeichne; den Menschen aber sei diese mit
Lust verbundene Empfindung von den Göttern ver-
liehen, welche am Tanze Antheil hätten (den Musen,
ApoUon und Dionysos). Durch jene Lust erweckten
die Götter in uns die Neigung zur Bewegung und
zum Tanze, und verbänden durch Gesänge und Tanz-
reigen die Menschen mit einander^). Aristoteles
unterscheidet einen dreifachen Rhythmus: einen
Rhythmus der Gestalten (öxrjfian^öfiEvog), der sich in
den Bewegungen des Tanzes zu erkennen giebt,
einen Rhythmus der Töne, der zusammen mit der
Harmonie im Liede zum Ausdruck gelangt, und einen
I) Platon bringt an der betr. Stelle (Ges. II, 653 D ff.) das Wort
XOQOS sogar in etymologischen Zusammenhang mit x^Q^* — ' ^^^ ^™
letzten Satze ausgesprochene socialisierende Seite des Tanzes findet
sich in wirkungsvollster Weise rhetorisch verwerthet bei Xenoph.,
Hell. II, 4, 20 — ein Beweis, dass es sich um eine für die Griechen
anerkannte Wahrheit handelte. — Vgl. auch Cicero de or. III, 51, 197:
Nihil est tam cognatum mentibus nostris quam numeri atque voces.
•aÖO Neunter Theil:
Rhythmus der Rede, dessen Theile die Metra sind.
Auch ihm ist der Rhythmus etwas der menschlichen
Natur Entsprechendes {xatä q)v6i,v) oder Verwandtes
(övyyevdg). Mit der Harmonie zusammen bewirkt er
das Lustgefühl, das wir bei der Musik empfinden;
im Verein mit der Nachahmung und der Harmonie,
die ebenfalls angeboren sind, hat er die Menschen
von selbst zur Erfindung der Poesie geführt^).
Die Griechen legten desshalb dem Element der
formalen Gliederung in der Musik eine hohe Be-
deutung für die Erziehung der Jugend bei. Rhyth-
mus und Harmonie sollten die menschliche Seele
erfüllen und das ganze Leben durchdringen, weil sie
tüchtig zum Reden und Handeln machen*). Aber
1) Aristot. Poet. c. 4 und Polit. Vin, 5 — 7. — Mein verehrter
College O. Immisch macht mich auf eine interessante Stelle in den
Arist. ProbL p. 920^ 29 fF, aufmerksam, in welcher die Frage erörtert
"wird, ob der Rhythmus und überhaupt das musikalische Gefühl an-
gewöhnt oder angeboren seien, und in der sich auch ein Hinweis auf
den Rhythmus der Arbeit findet. Ich setze die Stelle desshalb hier»
her: /Jiä xi QV^fitp %ocl {iiXu nal oXtog rcctg aviKpavlaig x^^QOvai
Ttdvtes; ri ort taig xam q)vaLv mvqasaL x'^^Q^i^^'^ Tiatcc q)vaLv; ori-
fislov d^, tä Ttccidlcc s'bd'vg yevo^isva x^^Q^*''^ ccinoCg. diä Sh t6
^d'og tQonoLg ^isX&v x^^QO^isv. (vd'iim Sh x^'^i'QOii'Sv dUc t6 yvmQi\i.ov
TLul tstocy^iivov icQid'nbv ^x^lv xal hlvsIv rm&g vsrayuivovg' oliisto-
xiqa yccQ 7} tsrccyiiivri nivrioig (pvaeL tfjg ictayitov, mors ticcl ncctcc
tpvaiv \LaXXov. ari^stov dh^ Ttovovvrsg yccQ xal nlvovTsg xccl iad'i-
ovrsg rsTccyiiiva a&^ofiev xal aij^o^sv tiiv tpvaiv xal xriv dvvcciiiVy
axaxxK 8h qj^sigofiev xal i^Lara^sv ccbrrjv. ccl yäg vöaoL rf}g Toi>
Gm^ccTog o'i) xatcc qjvaiv td^sag xtvrjastg slaiv. öviitpavia de %aL-
QO^iev, ort HQ&aig ictL X6yov ^;i;({vrcöi/ ivavxLav Ttgbg aXXriXcc. 6 [ihv
ovv Xoyog rd^i^g, rjv q)vasL rjSv. tb ds tls'kqccii^vov tov Sixgcitov
^av rjÖLOV, äXXtog rs ticiv ala9'ritbv ov &iiq)olv totv &xqolv i^ Haov
rriv dvvaftfcv ^x^^ ^^ '^V cviKpavia 6 Xoyog.
2) Plat. Protag. p. 326 B: xal rovg Qvd'iiovg ts xofl rag oiQfio-
viocg ScvccyTtd^ovaiv olTistovad'aL tatg ijyvxcctg x&v naldav, ivcc i7fie-
f
I
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 36 1
nicht minder schätzten sie den Rhythmus der Körper-
bewegung, den sie als Ausdruck feiner Bildung und
sittlicher Selbstzucht ansahen. Den von Musik
und Gesang begleiteten Tanz, als die vollkommenste
Ausprägung des Rhythmus, betrachteten sie als eine
religiöse Handlung; ihm zu Ehren waren die my-
thischen Figuren der Kureten und Korybanten ent-
standen; er ist an der Entwicklung der poetischen
Litteratur des alten Hellas in hervorragendem Masse
betheiligt, und bis in späte Zeiten hinein hat er eine
nicht unwichtige sociale und politische Rolle ge-
spielt. Bei den Thessalern war das Amt des »Vor-
tänzers« eine hohe staatliche Würde, und die kriege-
rischen Erfolge der Lakedämonier schrieb man nicht in
letzter Linie der durch die orchestischen Uebungen der
Jugend erzielten Disciplin zu. Die Alten hatten
darum auch ein ausserordentlich feines Gefühl für
den Rhythmus der Körperbewegungen und der
Sprache und Hessen Verstösse gegen beides im The-
ater nicht leicht ungerügt^). Aber sie haben auch
schon den Begriff des Rhythmus auf ursprünglich
ihm fern liegende Gebiete übertragen, wie nament-
lich auf Werke der Kunst und selbst des Handwerks^.
Rhythmisch war ihnen schliesslich alles in richtigen
Verhältnissen Gegliederte und durch seine innere
QCiTSQoL T£ mot xal s{}Qvd'^6tSQ0t> Tial svaQ^oarorSQOi^ yLyvöiisvot
XQTjatiiot &6IV slg t6 Xiyuv ts xal TtgaTTSiv n&g yäg 6 ßlog toij
Scvd'QODTtov sijQvd'nLag xofl svccQ[i06rlccs dsttat.
1) Cic. Parad. 3,
2, 26: histrio si paulum se movit extra nume-
rum aut si versus
pronuntiatus est syllaba una brevior aut longior,
exsibilatur,
exploditur. Cf. Or. 51, 173.
2) Vgl. z.
B. Xenoph. Mem. III, lO, 10. Piaton Polit. in, 400.
413®. Diod.
Sic. I, 97.
V
«52 Neunter Theil:
Ordnung Wohlgefällige. Der Rhythmus war ihnen
ein Princip, welches das Weltall durchdringt, gleich-
zeitig entstanden — wie uns Lukian in seiner Schrift
über den Tanz erzählt — mit dem alten orphischen
Eros, der das uranfängliche Chaos ordnete und den
»Reigen der Sterne« in Bewegung setzte.
Der heutigen Menschheit muss diese Auffassung
fremdartig vorkommen. In unserer Erziehung spielt
der Rhythmus keine Rolle mehr; bei den Körper-
bewegungen wird er kaum beachtet, und selbst in
der Tonkunst ist er so sehr hinter Melodie und Har-
monie zurückgetreten, dass sogar Musikgelehrte Miene
machen, ihm nur eine Nebenrolle zuzuerkennen^).
Allerdings beobachten wir noch den Einfluss, den
ein frischer Militärmarsch oder eine lustige Tanz-
weise auf die ermüdeten Glieder ausüben, wie sie
gleichsam die Muskeln straffer zu spannen, die ver-
lorene Kraft wieder zu bringen, den Geist zu er-
muntern und die Stimmung zu heben scheinen. Wir
empfinden, dass unrhythmische Geräusche uns nach
kurzer Zeit unerträglich werden; aber an unrhyth-
mischen Bewegungen nehmen wir kaum noch An-
stoss; das Tanzen erscheint uns als eine bedeutungs-
lose konventionelle Belustigung*, und ein politischer
Redner, der wie jener Athener seine Zuhörer als
seine »Mittänzer« anreden wollte, würde sich dem
Gelächter aussetzen.
Diese Umkehr der Anschauungen scheint mir
nicht in letzter Linie mit der tiefgreifenden Verän-
derung unserer Lebensbedingungen und speciell
I) Vgl. z. B. E. Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen (7. Aufl.)
S. 161 ff.
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 363
unserer Arbeitsweise zusammenzuhängen, insbeson-
dere aber mit dem Einfluss, den der Gebrauch künst-
licher Arbeitsinstrumente auf die Haltung und Be-
wegung des Körpers ausübt.
Versetzen wir uns einen Augenblick auf den
Anfangs- und Ausgangspunkt aller wirthschaftlichen
Thätigkeit, den Zustand des rohen Naturvolkes, zu-
rück, so erblicken wir auf der einen Seite den be-
dürftigen Menschen mit den ihm angeborenen, noch
unentwickelten Körper- und Geisteskräften, auf der
anderen" Seite die äussere Natur, aus der er ver-
mittelst der Arbeit die Mittel zu seiner Bedürfniss-
befriedigung heranzuholen hat. Alle Arbeit richtet
sich auf Orts- oder Formveränderung an den Dingen
der Aussenwelt. Zu ihrer Ausführung stehen dem
Menschen zunächst nur seine Gliedmassen zur Ver-
fügung, die er entsprechend der anatomisch-physio-
logischen Naturanlage seines Körpers bewegt und
so auf den Stoff wirken lässt. Diese Einwirkung
ist eine unmittelbare; es giebt keinerlei künstliche
Hilfsmittel, durch welche eine Umsetzung der Mus-
kelbewegungen stattfinden könnte. Kraftaufwendung
und Kraftwirkung sind im besten Falle einander
gleich, da kraftersparende mechanische Vorrichtungen
noch unbekannt sind.
Unter diesen Umständen ist die Orts- und Form-
veränderung der Dinge ein äusserst mühsames, lang-
wieriges Geschäft, da sie nur durch direkte Einwir-
kung der Arme, der Hände, der Füsse, der Nägel,
der Zähne auf den Stoff bewerkstelligt werden kann.
Aber zugleich ist auch jede Arbeitsbewegung eine
vollkommen willkürliche, lediglich durch die natür-
lichen mechanischen Hilfsmittel des Körpers bedingte.
^64 Xcnnter Tbeil:
Mit Xoth wendigkeit muss darum die übergrosse Menge
der Arbeitsvorgänge sich von selbst rhythmisch ge-
stalten.
Auch die Erfindung der ersten Werkzeuge ändert
an diesem Zustand nur wenig. Denn sie sind zu-
nächst nur eine Vervollkommnung der Gliedmassen
in derjenigen Eigenschaft, welche für den Arbeits-
prozess am wichtigsten ist*). Der Hammer ist eine
härtere und unempfindliche Faust, die Feile, die
Schabmuschel, das Grabscheit treten an Stelle der
Fingernägel, die Ruderschaufel ist nur eine verbrei-
terte hohle Hand, die Mörserkeule ersetzt den stam-
pfenden Fuss, der Reibstein die pressende Handfläche.
Das Werkzeug wird zwar zwischen den menschlichen
Körper und den Stoff eingeschoben; aber die Be-
wegungen des ersteren wirken noch immer unmittel-
bar auf den letzteren; der arbeitende Mensch regu-
liert diese Bewegungen noch immer selbständig; sie
sind durchaus in seinen Willen gestellt; ihr räum-
liches Ausgreifen, ihre Dauer, ihre Schnelligkeit sind
lediglich durch seine Körperkonstitution, seine tech-
nische Einsicht, seine Stimmung bedingt. Keine
äussere Macht erzwingt sie.
Die ganze Gestaltung des Arbeitsverfahrens ist
sonach durchaus individuell. Selbst das Werkzeug
wird gleichsam zu einem Theil des Individuums, wie
wir noch heute bei der gewöhnlichen Handarbeit
beobachten können, wo jeder mit der eigenen Schau-
fel oder Hacke, dem eignen Beil oder Schlägel am
I) Vgl. Rau, Grundsätze der Volkswirthschaftslehre I, § 125».
M. Chevalier, Die heutige Industrie, ihre Fortschritte und die Vor-
aussetzungen ihrer Stärke, S. 12.
Der Rhythmus als Ökonomisches EntwickluDgsprincip. 265
besten fertig wird*). Dazu sind die meisten dieser
Arbeitsmittel noch relativ wenig wirksam; jede ein-
zelne Arbeit muss lange gleichmässig fortgesetzt
werden, wenn die erstrebte Wirkung erreicht werden
soll: alles Umstände, die auch auf dieser Stufe noch
der rhythmischen Gestaltung der Arbeitsbewegnngen
den weitesten Spielraum sichern.
Zugleich aber ergeben sich mit der Anwendung
von Werkzeugen aus hartem, stark schwingendem
Material rhythmisch verlaufende und darum musi-
kalisch wirkende Arbeitsgeräusche, die auf den pri-
mitiven Menschen einen incitierenden Einfluss üben,
weil sie Lustgefühle erregen, die er zu wiederholen
und zu verstärken strebt. So gesellt sich zum Klang
des Werkzeugs der nachahmende Laut der Stimme:
es entsteht der Arbeitsgesang.
Offenbar haben wir damit alle Voraussetzungen
gegeben, welche beim Tanze der Naturvölker zu-
treffen: automatische Gestaltung der Körperbewegung,
Gesang und begleitendes oder bloss taktierendes In-
strument, und in der That beobachten wir, wo sich
eine derartig gestaltete Arbeit noch erhalten hat,
z. B. bei den Ruderfahrten der Südseeinsulaner, auch
die Wirkungen des Tanzes: grosse Ausdauer in den
Körperbewegungen und wachsende Schnelligkeit der-
selben, verbunden mit einer sich steigernden Fröh-
lichkeit (vgl. S. 2 56 f.). Wir haben mehrfach Arbeits-
bewegungen kennen gelernt, die sich von Tanzbe-
wegungen kaum unterscheiden Hessen; die Römer
verglichen das Stampfen der Walker mit dem Waffen-
i) Darin liegt mit ein Grund dafür, wesshalb viele der alten Zunft-
handwerke fordern, dass der Geselle sein eigenes "Werkzeug besitze.
5 56 Neunter Theil:
tanz der Salier; die Arbeit der antiken Keltertreter
(oben S. 319) gestaltete sich wie ein Fest, und die
Abbildung des Teigknetens (mit den Füssen) in einer
altägyptischen Bäckerei nimmt sich wie eine orche-
stische Scene aus^).
Natürlich darf man derartige vereinzelte Be-
obachtungen nicht verallgemeinem; aber man darf
auf der andern Seite noch viel weniger in den Ton
der modernen Nationalökonomen einstimmen, welche
jede einförmige Arbeit als »geisttötende« und be-
sonders »aufreibende« Arbeit ansehen. Gerade die
Einförmigkeit der Arbeit ist die grösste Wohlthat
für den Menschen, so lange er das Tempo seiner
Körperbewegungen selbst bestimmen und beliebig
aufhören kann. Denn sie allein gestattet rhythmisch-
automatische Gestaltung der Arbeit, die an sich be-
friedigend wirkt, indem sie den Geist frei macht und
der Phantasie Spielraum gewährt. Rhythmische Ar-
beit ist aber auch an sich nicht geistlose, sondern
in hohem Masse vergeistigte Arbeit; nur dass die
dafür nöthigen psychischen Operationen (oben S. 24 f.)
an den Beginn der Verrichtung verlegt sind und ihre
späteren Wiederholungen nur beeinflussen, wie das
aufgegossene Oel den Gang der Maschine. Auf- .
reibend werden nur solche einförmige Arbeiten, die
sich nicht rhythmisch gestalten lassen und bei jeder
neuen Operation eine neue, wenn auch gleichartige
Aktion unseres Vorstellungsvermögens erfordern, wie
i) Vgl. Erman, Aegypten und ägyptisches Leben im Alterthum,
S. 269; dort auch das Treten der Trauben, S. 278. — Bei den Israe-
liten wird der Refrain im Gesänge der Keltertreter (hedad, hedad!)
geradezu zum allgemeinen Jubelruf. Vgl. Jer. 48, 33. 25, 30. 51, 14;
Jes. 16, 9. 10.
Der Rhythmus als ökonomisches Entwlcklungsprincip. 367
das Addieren von Zahlenreihen, das Abschreiben von
Schriftsätzen u. dgl.^).
Auf die Arbeit der Naturvölker angewendet,
ergiebt dies auf der einen Seite möglichste Einschrän-
kung dessen, was ihnen am schwersten wird, des
Nachdenkens, und auf der anderen Seite die Her-
beiführung dessen, was sie bei ihrer Indolenz und
Energielosigkeit am meisten brauchen, einer »geho-
benen Stimmung, ohne die sie zu energischen Klraft-
leistungen nicht fähig sind« 2). Es liegt also in der
i) Sehr feine Beobachtungen über den Einfluss des automatischen
Arbeitens auf die Seelenstimmung des Arbeitenden und auf die Qua-
lität der Arbeit, sowie insbesondere auch über die Wirkung von
"Widerständen, welche den rhythmischen Gang der Arbeit unterbrechen
und erneutes Nachdenken verlangen, bei L. Tolstoi, Anna Karenin,
Bd. I, dritter Theil, Kap. 4 und 5.
2) Vgl. Fkitsch, Die Eingeborenen Südafrikas, S. 35 1. Schneider,
Naturvölker II, 202. — Der »Musikalisch -kritischen Bibliothek« von
J. N. FoRKEL (Gotha 1778; Bd. I, S. 229 entnehme ich folgende Aus-
führung »über den Zustand der Musik bei den Egyptiem und Chinesen« r
»Die Missionarien bemerkten, dass die Melodien, welche sie zu Canton
hörten, mit denen, welche man im ganzen südlichen Asien hört, eine
Aehnlichkeit haben. Die Reisebeschreiber, welche diesen Theil der
Welt durchreist sind, haben gleich anfanglich bemerkt, dass die Men-
schen daselbst beständig durch das Geschrey oder Geräusch, dergleichen
man auf den Schiffen in Japan, China, Siam und allen Inseln des
Indianischen Archipelagus , um die Ruderknechte zur Arbeit zu er-
halten, macht, zur Bewegung und Arbeit ermuntert werden müssen»
In diesen Ländern, schreibt Chardin, können die Arbeitsleute keinen
Balken aufheben, oder einen Stein fortbringen, ohne dabei zu schreyen.
Die Ursache, welche er dafür anführt, ist gegründet. Es kömmt dieses
nämlich von der Trägheit der Seele her, welche alle Augenblicke durch
einen rauhen oder scharfen Schall, als der von einer Trommel oder
Flöte ist, gleichsam aufgeweckt werden muss, wie man denn dergleichen
Instrumente auch in allen heissen Gegenden des Weltkreises antrifft*
Liebliche und melodische Töne würden die sinnlichen Werkzeuge bey
5 58 Neunter Theil:
Möglichkeit, ja Noth wendigkeit rhythmischer Ge-
staltung der primitiven Arbeitsprozesse ein mächtiges
kulturfordemdes Element, das bei aller Unergiebig-
keit der Arbeitsmethoden und aller Unvollkommenheit
der Hilfsmittel doch unter günstigen Verhältnissen
Werke hervorzubringen gestattet, die noch das Stau-
nen der späten Nachkommen erwecken. Man be-
denke z. B. nur, dass es bei den meisten Naturvölkern
kein anderes Transportmittel giebt, als den Kopf
oder Rücken des Menschen. Werden doch noch
heute in China die Feldfrüchte an einer über die
Schulter gelegten Stange transportiert^), und in Ja-
pan erfolgt selbst die Fortbewegung des Materials
zu grossen Bauwerken in Netzen, die an einer solchen
Stange getragen werden^. Auf der Pariser Welt-
ausstellung von 1889 waren mehrere Dörfer von Ein-
geborenen aus den französischen Kolonien dargestellt,
in deren Hütten die verschiedenen gewerblichen
Arbeiten dieser Völker vor den Augen des Publi-
kums ausgeführt wurden. Nicht einer dieser Pro-
duktionsprocesse bedurfte mehr Werkzeug, als dass
es sich bequem in einer Hand hätte forttragen lassen.
Und Ahnliches gilt selbst von den ostasiatischen
Völkern mit ihrer alten Kultur^). Unter solchen
diesen Völkern nicht genug rühren; und eben aus diesem Grunde
haben sie es niemals in der Musik weit gebracht und dürften es wohl
schwerlich jemals weit darin bringen.«
1) Scherzer, Fachmännische Berichte über die österr.-ung. Exp.
nach Siam, China und Japan (1868 — 1871), Anhang, S. 64.
2) G. Spiess a.
a. O., S. 165.
3) >Die indischen Handwerker arbeiten fast ohne Werkzeug; ihre
Werkstätte ist allenthalben. Da kommt z. B, ein indischer Schmied,
der Eisenwerk für das Haus anfertigen soll. Er macht an Ort und
Stelle eine Grube, sammelt umherliegendes Holz und brennt sich seine
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 260
Umständen vermag die schwache Kraft des Einzelnen
nur wenig zu leisten. Es müssen Massen von Men-
schen aufgeboten werden, um eine grössere Arbeits-
aufgabe zu bewältigen, und gerade hier zeigte sich
uns die rhythmische Gestaltung der Arbeit bei der
Bitt- und Frohnarbeit als ein Faktor von zusammen-
fassender Kraft.
Ueberall regt die gesellige Arbeit von selbst zu
taktmässiger Gestaltung der Thätigkeit und zum Ge-
sang an, in welchem wir. somit einen wichtigen Fak-
tor für die Ausbildung der Arbeitsgemeinschaft
und auch ein Erziehungsmittel zur Arbeitsamkeit zu
erblicken haben werden^).
Kohlen. Den andern Tag kommt er wieder, seine Schmiede unter
dem Arme. Er pflanzt seinen Ambos in den Boden, baut sich eine
Esse von ein wenig Erde, mischt die Kohlen mit Reishülsen und
zündet ein Feuer an. Dann setzt er sich mit untergeschlagenen Beinen
dahinter und lässt seinen Blasebalg (ein zusammengenähtes Kalbfell)
lustig spielen. Wenn das Eisen glüht, so streckt er es auf den
Amboss; seine Füsse braucht er ohne Weiteres zum Schraubstock.
Auf diese Weise fertigt er Riegel, Haken, Schlösser u. s. w^. So ein-
fach geht es aber nicht bloss bei dem Grobschmied her; selbst der
Goldschmied arbeitet die feinsten Sachen, man möchte beinahe sagen,
aus freier Hand. In der Wohnung eines Europäers sahen wir ein-
mal einen solchen in einem Winkel des Hausflurs kauern, emsig be-
schäftigt mit der Verfertigung einer goldenen Kette. Er hatte dazu
nichts als seine zehn Finger und ein Zängelchen.« K. Graul, Reise
nach Ostindien IV, S. 96 f.
I) Das letztere gilt auch von der Einzelarbeit. In einem lettischen
Volkslied (Ulmann, a. a. O. Nr. 236) giebt die Schwester dem
Bruder für die Brautwahl folgenden Rath:
»Such* dir, Brüderchen, zum Bräutchen
Eine gute Sängerin,
Eine gute Sängerin
Ist auch fleissig bei der Arbeit.«
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 24
370
Neunter Thefl:
Noch viel eindringflicher treten uns diese Ge-
sichtspunkte bei etwas vorgeschritteneren Kultur-
verhältnissen entgegen, wie wir sie etwa bei den
vorderasiatischen Völkern und bei den alten Aegyp-
t e r n finden. Die Ausrüstung der letzteren mit Werk-
zeugen und sonstigen Arbeitsmitteln, welche uns aus
den zahlreichen Denkmälern in ziemlicher Vollständig-
keit entgegentritt, war eine wahrhaft klägliche. Beim
Ackerbau scheint der hölzerne, von Menschen ge-
zogene Pflug die Regel gebildet zu haben. Die
grossen Schollen des schweren Bodens wurden mit
hölzernen Hacken oder Hämmern zerkleinert, die
Saat durch Schafe eingetreten. Egge und Walze
kannte man nicht; den Wagen benützte man min-
destens nicht zu landwirthschaftUcben Zwecken^).
Zum Transport der grossen Baustücke verwen-
dete man gewöhnlich nur Menschenkräfte, die sie
auf hölzernen Schleifen an langen Seilen paarweise
gereiht fortbewegten. Zur Bearbeitung der härtesten
Steine hatte man nur die primitivsten Werkzeuge.
»Alle Bilder, die die Bildhauer bei ihrem Werke
darstellen, lassen sie mit einem kleinen metallenen,
in Holz gefassten Meissel und einem grösseren Schlägel
die Statuen bearbeiten, während sie die Politur durch
Schlagen und Reiben mit Quarzstücken erzeugen.
Mögen sie nun auch diese unvollkommenen Instru-
mente sich noch durch allerlei Kunstgriffe verbessert
haben, immerhin musste ihre Arbeit eine sehr müh-
same und zeitraubende sein^«. Auch »die Instru-
mente, deren sich die ägyptischen Tischler und
1) Ebwan a.
a. 0„ S. 569 tF. 6+9 ff,
2) Ekman, S. 551.
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. ^yi
Zimmerleute bedienten, waren ziemlich einfacher
Natur, und es ist jedenfalls nicht das Verdienst dieser
Werkzeuge gewesen, wenn ihre Arbeiten oft so voll-
endet ausgefallen sind. Die metallenen Theile der
Werkzeuge bestanden aus Bronce und wurden nur
bei den Meissein und Sägen in den Stiel eingelassen,
während man bei allen Aexten und Queräxten sich
begnügte, sie mit Lederriemen an den Griff zu bin-
den.« Das Universalinstrument war der Dächsei
unserer Zimmerleute, eine kleine Queraxt, deren Stiel
die Gestalt eines spitzen Winkels mit ungleichen
Schenkeln hat; an dem kurzen Schenkel war das
broncene Blatt angebunden, der längere wurde als
Griff benutzt. »Als Hobel diente ein grosses spaten-
förmiges Instrument, mit dessen breitem Blatte der
Arbeiter die kleinen Unebenheiten des Holzes ab-
stiess; die feinere Politur ward schliesslich durch
unablässiges Reiben mit einem glatten Steine er-
reicht. Die Säge hatte, wie unsere Stichsägen, nur
einen Griff, und es war jedenfalls eine höchst müh-
same Arbeit, einen dicken Sykomorenstamm mit
diesem ungeschickten Instrumente in Bretter zu zer-
schneiden. Der Balken, den man zersägen wollte,
ward in der Regel senkrecht an einen im Erdboden
eingegrabenen Pfahl gebunden, und auch die durch-
schnittenen Theile des Holzes wurden umschnürt,
damit sie nicht durch ihr Auseinanderklaffen das
Sägen störten. In älterer Zeit steckte man dann
noch schräg durch diese Binden einen Stab, an dem
ein Gewicht hing; er sollte sie offenbar in der richtigen
Spannung halten und am Heruntergleiten verhindern.«^)
I) Erman, S. 6oi
f.
24*
372
Neunter Theil:
Man mxiss sich solche Einzelheiten vergegen-
wärtigen, um zu begreifen, eine wie ungeheure
Menschenmenge erforderlich war, um mit so schwachen
technischen Hilfsmitteln Grosses und Dauerndes zu
leisten. Um einen Steintransport aus den Brüchen
von Hammamat nach dem zwei Tagereisen entfern-
ten Nil zu bewerkstelligen, bedurfte es einmal einer
Expedition von 8368 Köpfen. Diese Massen mussten
in wirksam zusammenfassender Weise zum Werke
vereinigt, die Arbeit selbst musste für jede Aufgabe
besonders organisiert werden. Und hier bot der
Rhythmus ein Bindemittel, wie es nicht besser ge-
dacht werden kann, indem er eine Mehrzahl von
Arbeitern zu einem energisch thätigen Körper ver-
einigte, der seine Obliegenheiten mit ähnlicher Prä-
cision erfüllte wie heute die Maschine. Freilich ist
er nicht, wie die letztere, unermüdlich; aber er hält
doch länger aus, arbeitet munterer und gleichmässiger
als der auf sich gestellte isolierte Arbeiter. Die in
ihm vereinigte Vielheit von Arbeitern leistet mehr
als das gleich Vielfache der Arbeit eines Einzigen;
ja sie leistet in kurzer Zeit, was der Einzelne nie
vermöchte, auch wenn er Jahrzehnte lang sich ab-
mühte.
Schon eine flüchtige Durchmusterung einer
Abbildersammlung ägyptischer Denkmäler bot fol-
gende Beispiele von Arbeiten, bei welchen je zwei
Arbeiter im Wechseltakt thätig waren: das Schlagen
und das Auswinden der Wäsche, das Fällen eines
Baumes, das Stampfen des Getreides, das Kneten
des Teiges, das Ausmeissein und das Abschleifen
einer Bildsäule, das Treten der Blasbälge beim
Schmiedefeuer, das Blasen des Glases, das Weben,
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 275
das Flechten des Papyrusschilfes, das Zusammen-
drehen eines Seiles mittels eines durch eine Schlinge
gesteckten Stabes^). Das letztere war offenbar ein
technisches Universalmittel, das bei den verschieden-
sten Gelegenheiten angewendet wurde. Grössere
Arbeiterschaaren erblicken wir bei der Feldbestellung
und Ernte, beim Ziegelstreichen, beim Fischfang,
beim Lastenbefördern, und hier finden wir auch zahl-
reiche Gleichtaktarbeiten. Beim Beladen eines Schiffes
schleppen die Träger, zu je 6 vereinigt, auf ihren
Schultern die an langen Stangen hängenden Lasten ;
30 und mehr Ruderer sind geschäftig, um das Schiff
in Bewegung zu setzen^. »Am Vordertheile steht
der Kapitain und lässt es nicht an seiner Stimme
fehlen« (vgl. oben S. 189 f.). Bei starker Strömung und
konträrem Winde muss das Fahrzeug von der Mann-
schaft getreidelt werden. Ueberhaupt kommt das
Seilziehen (S. 158 ff.) zu vielfältiger Anwendung. Beim
Fischfang ziehen 7 bis 8 Mann an langen Tauen das
Schleppnetz durch das Wasser aufs Trockne^), und*
selbst beim Vogelfang sind 3 oder 4 Menschen an
einem Stricke mit sichtlicher Anstrengung bemüht,
die Falle zuzuziehen. Beim Transport einer Statue
sieht man nicht weniger als 172 Männer an vier
langen Seilen vor die gewaltige Last gespannt. »Auf
den Knieen des Kolosses steht der Aufseher, der
mit Händeklatschen und Rufen den Ziehenden das
Kommando ertheilt; ein anderer sprengt von der
Basis aus Wasser auf den Weg; neben der Statue
i) Die meisten auch bei Erman abgebildet; vgl. S. 301. 538.
277 f. 552. 608 f. 595. 584. 278. 604.
2) Erman, S. 640 fF. 678.
3) Erman, S. 326. 535; der Vogelfang, S. 324.
374
Neunter Theil:
gehen Leute, die das nöthige Wasser und einen
grossen Balken tragen, sowie Aufseher mit ihren
Stöcken.«^) Die Tragsessel der Vornehmen werden
je von 12 und mehr Dienern fortbewegt; die heilige
Barke des Ammon R6' tragen 26 Träger auf langen
Stangen, sechsmal zu je 4 und einmal zu 2 neben-
einandergereiht ^. Um einen kleinen thönemen
Schmelzofen durch Rohre anzublasen, sind 6 Mann
nöthig, und beim Keltern sehen wir in der Kufe 7
Treter stampfen, die sich mit den Händen an von
der Decke herabhängenden Stricken halten, um bei
ihrer Arbeit nicht zu fallen *). Diese Beispiele Hessen
sich leicht vermehren. Einzelarbeit findet sich sehr
selten; um so häufiger sind Gruppen von Arbeitern,
die verschiedenartige, aber zusammengehörige Thä-
tigkeiten vornehmen. Natürlich lässt sich nicht sagen,
wie weit hierbei rhythmische Bewegung stattfand.
Das aber wird ohne weiteres einleuchten: überall
wo Häufung der Arbeitskräfte technische oder wirth-
schaftliche Nothwendigkeit war und wo demgemäss
der Chorgesang der Arbeiter oder die Trommel das
Werk begleitete, musste dieses eine Art festlichen
Charakters annehmen. Die Arbeit wurde in geho-
bener Stimmung verrichtet; sie konnte dem Einzelnen
nicht als Last erscheinen. Und noch bis auf den
heutigen Tag finden sich Reste dieses festlichen
Grundzuges, wenn man auch den Gesang, der bei
der Arbeit selbst keine Stätte mehr findet, an den
i) Erman, S. 632. — Aehnliches noch heute in Madagascar:
SiBREE a. a. O. S. 255 f.
2) a. a. O. S. 100. 648. 374.
3) Erman, S. 609. 278.
Der Rhythmus als ökonomisches Entwickluogsprincip. 2ye
Anfang oder das Ende derselben verlegt hat. Die
Wilden ziehen unter Gesang oder Trommelschlag
und im Taktschritt zur Jagd, zum Fischfang und
tragen im Triumphzuge die Beute nach Hause. Die
Schnitter und Schnitterinnen legen zur Ernte ihre
besten Kleider an; singend, an manchen Orten mit
Musikbegleitung, wandern sie hinaus und kehren
ebenso am Abend wieder heim. Ihre Beköstigung
ist eine bessere, und nach Vollendung der Ernte
schliesst sich ein Fest mit Tanz an^). In Korea »be-
findet sich in jedem Orte die noth wendige Anzahl
von Trommeln, Flöten, Hörnern und Cymbals, da
nicht nur Abends nach der Arbeit, sondern auch in
der Mittagspause die Landleute verschiedene Weisen
aufspielen, die zumeist von Gesängen begleitet wer-
den.«^) In Nassau singt man, wenn man von der
Schafwäsche im Sommer heimkehrt, und wenn wir
auch nicht mehr zum Hausbau die Trommel schlagen,
so ist doch an das Ende desselben das Richtfest ge-
legt, bei dem der Gesang nie fehlt.
Bei der Einzelarbeit wirkt der Gesang wenig-
stens tröstend und ermunternd oder unterhaltend.
Mag ihn die Negerin zum Reibstein oder zur Korn-
stampfe anstimmen, mag der Tischlergeselle zur Säge,
der Zimmermaler zu den Bewegungen des Pinsels
sein Lied ertönen lassen, immer hilft es über die
Beschwerden und die Einförmigkeit des Werkes hin-
weg, erleichtert die Arbeit. Das Werk, das sich
taktmässig mit Gesang verrichten lässt, gelingt, wie
1) Vgl. z. B. in der Ztschr. des Vereins für Volkskunde VII
(1897) S. 151 eine Schilderung aus Anhalt.
2) M. A. PoGio, Korea. Aus d. Russ. übers, von Ursyn-
Prüscyüski (Wien u. Lpz. 1895), S. 167..
1^5 Neunter ThcU:
von Zauberhänden beschleunigt. Ein estnisches
Bauemliedchen*) hat dies in einer Weise ausge-
sprochen, die an die griechische Sage von Orpheus
erinnert.
Klinge du, klinge du, Waldung,
Schalle du,
schalle du, Haide,
Halle wider, halle, Hainlein!
Töne wider, o du Wüstlein,
Wider meine weiche Stimme,
Wider meine milde Kehle,
Wider mein Lied, das lieblichste!
Wo die Stimme zu verstehen ist,
Möchten bald die Büsche brechen.
Selbst die Bäume bilden Klafter,
Kreuzweis schliessen sich die Scheiter,
Schreiten vor zum Hof die Schober,
Häufen sich im Hof die Lachter,
Sonder junger Männer Zuthun,
Sonder angeschärfte Aexte.
Müssen wir somit den Arbeits-Rhythmus und
-Gesang als wichtige Hilfsmittel für die Entstehung
und erste Entwicklung der Arbeit im heutigen volks-
wirthschaftlichen Sinne betrachten und können wir
ihnen auch für die ersten Versuche zu einer zu-
sammenfassenden Organisation der Arbeit eine ge-
wisse Bedeutung zuerkennen, so ergiebt sich doch
leicht, dass mit der Erfindung besserer Arbeitsinstru-
mente und mit der zunehmenden Indienststellung von
Naturkräften seine Wichtigkeit für die menschliche
Wirthschaft zunächst zurücktreten musste. Als man
die Kräfte des Hebels, des Keils, der Rolle, der
Schraube kennen und in der mannigfachsten Weise
anwenden lernte, als der Pflug an Stelle des Grab-
I) Nki'S a. n. O. S. 82. Vgl. dazu das Holzfällerlied S. 228.
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 7*7*7
scheits trat, die Walze an Stelle der Stampfe, die
Presse an Stelle des Schlägels, die Walkmühle und
Schraubenkelter an Stelle der Füsse des Walkers
und Keltertreters, der Wagen an Stelle des Trag-
sessels; als das Ruder dem Segel, der Schiffszieher
dem Leinpferd weichen musste; als Stampfmörser
und Reibstein der Rossmühle und diese wieder der
Wind- und Wassermühle Platz machten: da war
zwar auf allen diesen Gebieten eine ungeheure Ar-
beitslast, von den Schultern des Menschen genom-
men; aber für den immerhin noch ansehnlichen Rest
von Arbeit, der ihm überall noch verblieb, war er
in der freien Gestaltung seiner Körperbewegungen
beschränkt und von den neuen Hilfsmitteln der Pro-
duktion in gewissem Grade abhängig geworden. Seine
körperliche Thätigkeit wirkte jetzt vielfach nur noch
indirekt auf den Stoff; in dem räumlichen Ausgreifen
imd in der Zeitdauer der Muskelbewegungen war er
nicht mehr ganz frei ; das Werkzeug war nicht mehr
eine blosse Verstärkung seiner Gliedmassen, die die-
sen unbedingt gehorchte, sondern es begann eine
gewisse Herrschaft über den Menschen auszuüben.
Die neuen Werkzeuge und Geräte schlössen
allerdings meist eine rhythmische Gestaltung der
durch sie entstandenen Arbeitsarten an sich nicht
aus. Aber sie waren ungleich ergiebiger als die
früher gebrauchten Arbeitsmittel; die Arbeit selbst
war bedeutend produktiver; ihr unmittelbares Ein-
greifen bei dem einzelnen Produkt nahm viel weniger
Zeit in Anspruch. In der früheren Periode hatte der
Mensch dasselbe Arbeitsverfahren und das gleiche
Werkzeug bei den verschiedensten Produktionspro-
zessen angewendet. Schlägel, Reibstein, Mörser
37»
Neunt«" Theil:
waren Universalgeräte, mit denen die mannigfachsten
Materialien bearbeitet wm-den* Dies ergab eine Fülle
von gleichartigen Muskelbewegungen und eröflFnete
dem Rhythmus das weiteste Anwendimgsgebiet. Jeder
konnte alles erzeugen und in allem geschickt sein.
Mit dem Aufkommen besserer Werkzeuge und mit
der durch die Erfahrung empfohlenen verschieden-
artigen Behandlung verschiedener StoflFe änderte sich
das. Die Werkzeuge differenzierten sich; sie wurden
jedem Material besonders angepasst (Gebrauchsthei-
lung), und damit begann auch beim arbeitenden Men-
schen ein ähnlicher Anpassungsprozess, den man all-
gemein Arbeitstheilung nennt ^). Immer mehr zeigte
sich die Nothwendigkeit einer berufsmässigen Ge-
staltung der Arbeit und einer Scheidung der ver-
schiedenen Elemente, die bis dahin in der mensch-
lichen Thätigkeit vereint waren.
Es wird immer beachtenswerth bleiben, dass bei
dieser frühesten Berufsbildung die vorwiegend gei-
stige und künstlerische Thätigkeit sich zuerst ver-
selbständigt. Der Priester, der Arzt (Medizinmann),
der Zauberer, der Sänger, der Tänzer, bez. die Tän-
zerin heben sich am frühesten aus der Masse der
Stammgenossen heraus und gelangen als die Träger
besonderer Gaben zu einer Sonderstellung; es folgt
in der Regel der Schmied und lange nachher die
übrigen Handwerker und Künstler. Die Arbeit stösst
also alle fremdartigen Elemente ab; sie scheidet sich
von den Künsten der Bewegung, dem Spiel, der
Religionsübung; sie wird zu einem ernsten Geschäft,
i) Vgl. meinen Vortrag über Arbeitsgliederung und sociale Klassen-
bildung in der »Entstehung der Volkswirthschaft«, S. 317 ff.
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 770
einer Lebens;aufgabe. Zugleich aber sammelt sich
wieder gleichartige Arbeit in den einzelnen Berufen.
Werkzeuge, die wegen ihrer grossen Ergiebigkeit
für den Bedarf der einzelnen Haushaltung immer
nur ganz kurze Zeit hätten benutzt werden können,
mussten nun beständig in Aktion erhalten werden,
da sie in der Hand des Berufsarbeiters dem Bedarf
vieler Haushaltungen zu dienen hatten. Damit wurde
dem Arbeitsrhythmus ein neues Feld eröffnet; es
bildete sich für jedes Handwerk sozusagen ein eigner
Arbeitstakt aus, der nicht selten sich auch dem Wesen
derjenigen mittheilte, die es ausübten und oft in
ihrer ganzen Körperhaltung und -Bewegung zu er-
kennen ist.
Auch hier hat die Anwendung des Rhythmus
zweifellos die Produktivität der Arbeit gesteigert,
und dies hat bei fortschreitender Entwicklung den
Anlass zu immer weiter gehender Theilung der Ar-
beit gegeben. Allerdings nicht dies allein. Aber
es muss aufs stärkste betont werden, dass die grossen
technischen Fortschritte des letzten Jahrhunderts und
unser heutiges »Maschinenzeitalter« nicht möglich ge-
wesen wären ohne den langen ihnen vorausgegan-^
genen Entwicklungsprozess der Arbeitszerlegung und
der Sammlung gleichartiger, der Rhythmisierung zu-
gänglicher Arbeit an bestimmten Concentrations-
punkten, wie sie die Werkstätten der Berufsarbeiter
boten.
Die Maschine hat dem Menschen zunächst immer
nur einzelne Arbeitsbewegungen abgenommen, und
es wird eine denkwürdige Thatsache in der Geschichte
des Maschinenwesens bilden, dass viele der ältesten
Maschinen rhythmischen Gang haben, indem sie so-
qSo Neunter Theil:
zusagen die Hand- und Armbewegnngen des bis-
herigen Arbeitsverfahrens bloss nachahmen. Die
ältesten Hobelmaschinen ahmen die Stosse des Hand-
hobels nach; die ältesten Sägewerke zeigen in der
Gattersäge das Abbild der Handsäge, die älteste
Wursthackmaschine die Bewegungen des Wiege-
messers ; die ältere Schnellpresse in der Buchdruckerei
lehnt sich eng an die Handpresse an; die Lederglätt-
maschine wiederholt die Bewegungen des Glättsteins.
Mit der weiteren Entwicklung des Maschinenbaues
strebt man darnach, den mit dem rhythmischen Gang
des Mechanismus meist verbundenen toten Rück-
gang zu vermeiden und geht, wo nur immer mög-
lich, von der wage- oder senkrechten zur gleich-
förmigen rotierenden Bewegung über, die jenen Kraft-
verlust vermeidet. An die Stelle der Gattersäge tritt
die Kreis- und später die Bandsäge ; für die Glättung
des Holzes kommen Scheiben- und Walzenhobelma-
schinen auf; an Stelle der einfachen Schnellpresse
tritt die Rotationsschnellpresse. Damit schwindet
die alte Musik der- Arbeit, welche die rhythmisch
gehenden Maschinen noch deutlich erkennen Hessen,
aus den Werkstätten; bei der raschen Bewegung der
Triebwerke sind nur noch wirre, ohrenbetäubende
Geräusche zu vernehmen, in die man wohl einen
Rhythmus hineinhören kann, die aber für unsere
Wahrnehmung nicht mehr rhythmisch sind und da-
rum auch nur Unlustgefühle erwecken können.
Was dem Menschen bei den vollkommeneren
Maschinen an Handarbeit übrig bleibt (Zuführung
von Material u. dgl.), braucht nicht nothwendig rhyth-
mische Gestaltung der Körperbewegungen auszu-
sch Hessen. Im Gegentheil haben manche Maschinen
Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. ^Sl
an Punkten rhythmische Bewegung ermöglicht, wo
ein älteres Arbeitsverfahren sie nicht kannte. Aber
diese neuen Arbeitsrhythmen sind von den alten sehr
verschieden. Der arbeitende Mensch ist nicht mehr
Herr seiner Bewegimgen, das Werkzeug sein Diener,
sein verstärktes Körperglied, sondern das Werkzeug
ist Herr über ihn geworden; es diktiert ihm das Mass
seiner Bewegungen; das Tempo und die Dauer seiner
Arbeit ist seinem Willen entzogen; er ist an den
toten und doch so lebendigen Mechanismus gefesselt.
Darin liegt das Aufreibende der Fabrikarbeit
und das Niederdrückende : der Mensch ist ein Knecht
des nie rastenden, nie ermüdenden Arbeitsmittels
geworden, fast ein Theil des Mechanismus, den er
an irgend einer Stelle zu ergänzen hat. Und damit
ist auch der Arbeitsgesang verschwunden. Was ver-
möchte die Menschenstimme gegen das Knattern des
Räderwerks, das Surren der Transmissionen und alle
jene unbestimmbaren Geräusche, welche die meisten
Fabriksäle erfüllen und aus ihnen das Behagen ver-
scheuchen! Zum Glück ist nur ein kleiner Theil der
Maschinenarbeit auch Fabrikarbeit, und im Uebrigen
bleibt auch die Arbeit an der Maschine immer »Hand-
arbeit«. Wo aber die Arbeit körperliche Bewegung
erfordert, da strebt sie auch, wo immer sie sich in
gleichmässiger Dauer fortsetzt, nach rhythmischer
Gestaltung imd wird immer darnach streben.
Ob aus dieser Erkenntniss für die technische
Gestaltung des Arbeitsprozesses praktisch wichtige
Fingerzeige entnommen werden können? Fast möchte
man es glauben. Behauptete doch schon P. J. Schnei-
der im Jahre 1835, »dass durch kluge und aufmerk-
same Anwendung rhythmischer Kraft bei den meisten
3 t
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Der Rhythmus als ökoDomisches EntwickluDgsprincip. 383
nüchterner geworden; die Arbeit ist ihm nicht mehr
Musik und Poesie zugleich; die Produktion für den
Markt bringt ihm nicht mehr persönliche Ehre und
Ruhm, wie die Produktion für den eignen Gebrauch;
sie verlangt Dutzendwaare und würde individuellen
künstlerischen Neigungen keine Bethätigung gestatten,
auch wenn sie vorhanden wären; die Kunst geht
selbst nach Brot. Die beruflich ausgestaltete Thätig-
keit ist nicht heitres Spiel und froher Genuss, son-
dern ernste Pflicht und oft schmerzliche Entsagung.
Aber es darf daneben nicht übersehen werden, was
die Gesamtheit bei diesem Entwicklungsprozess ge-
wonnen hat. Technik und Kunst haben sich durch
Differenzierung und Arbeitstheilung zu einer unge-
ahnten Leistungsfähigkeit entwickelt; die Arbeit ist
produktiver, unsere Ausstattung mit wirthschaftlichen
Gütern reicher geworden, und es darf die Hoffnung
nicht aufgegeben werden, dass es gelingen wird,
Technik und Kunst dereinst in einer höheren rhyth-
mischen Einheit zusammenzufassen, die dem Geiste
die glückliche Heiterkeit und dem Körper die har-
monische Ausbildung wiedergiebt, durch welche sich
die besten unter den Naturvölkern auszeichnen.
Um der fachmänniscben Weiterverfolgung des im Vorstehenden
behandelten Gegenstandes auch nach der musikalischen Seite einiger-
massen vorzuarbeiten, will ich nachstehend für eine bestimmte Art von
Arbeitsgesängen, die SchifFerlieder oder Bootgesänge, eine Anzahl von
Notenbeispielen zusammenstellen, in der Hoffnung, dadurch zu weiterem
Sammeln anzuregen und Musikern von Fach Gelegenheit zu geben,
das vorliegende Urmaterial eingehender zu untersuchen.
Von den nachfolgenden Stücken sind Nr. 171 und 1 72 den Noten-
beilagen (Nr. XXXIX, S. 75) der Dissertation von Th. Baker, lieber
die Musik der nordamerikanischen Wilden, entnommen, Nr. 173 der
Musikbeilage zu Spix und Martius, Reise in Brasilien (Nr. 12);
Nr. 177 — 180 gebe ich nach Hagen, Ueber die Musik einiger Natur-
völker, Hamburg 1892 (Taf. V Nr. 19, Taf. X Nr. 3, Taf. XI Nr. 2
und 3); endlich Nr. 182 — 194 nach Joseph H. Churi, Sea Nile, the
Desert
andNigritia: Travels in Company with CaptainPeel 1851 — 1852,
London 1853, Appendix S. 307 fF. Die Ueberschriften und Citate sind
wörtlich aus diesen Büchern übernommen. Den ägyptischen Gesängen
habe ich die englische Uebersetzung des Originals beigefügt, da der
Text durch eine weitere Uebertragung ins Deutsche zu viel verloren
haben würde. Ich habe in diesem Theile auch diejenigen Stücke bei-
behalten zu müssen geglaubt, welche nicht als Arbeitsgesänge im
strengen Sinne angesehen werden dürfen, da ihr Charakter als Be-
wegungsgesänge feststeht und sie manchem zur Vergleichung will-
kommen sein dürften.
i
Nr. 171. Bootgesang der Indianer.
Ah yah ah yah ah ya ya ya! ah ya ya ya!
AnbaDg.
p g f p-iiTjzjrgt r~rj^
ah ya ya
ya!
ya ya ya ya
ya ya
Nr. 172. Bootgesang der Indianer.
Nr. 173. Bootgesang der rudernden Indianer in Rio Negro.
Allegretto.
Nr. 174. Bootgesang aus Ost-Bengalen.
(Journal of
the Royal Asiatic Society XX (1888), S. 218.)
Der Ruderschlag ßllt immer auf den ersten Takttheil.
Bücher, Arbeit und Rhythmus.
25
Nr. 176. Chinesischer Rudergesang.
(BaRbow, Reise durch China, 1793 u. 1794, Weimar 1804, I, S. 99.)
'^°'- Solo.
Nr. 177. Kanoegesang der Strandbewohner von Neu-
Britannien.
(R. Parkinson, Im Bismarck- Archipel, Leipz. 1887.)
^M- j,^ n \
P ijn^ m
Nr. 178. Bootgesang von Tongatabu.
(Ch.
Wilkes, Narrative of the United States Exploring Expedition
during the
years 1838 — 42. Philadelphia 1845. HI, p. 20.)
j^- j^ j-BQrT-r-;^i=
Nr. 17g. Samoanischer Bootgesang.
(Ch.
Wilkes, Narrative of the United States Exploring Expedition,
n, p. I45-)
C.
Nr. 180. Samoanischer Bootgesang. ^)
Solo : Tu - te ta
- ma - i le fou ane !
Chor: Tu ta - na
lo
S. Tu - te ta - ma - i le fou aue
C. Tu
i) Weitere Beispiele Samoanischer Rudergesänge bei Fried-
länder in »Westermanns Monatsheften«, Mai 1899.
Nr. 181. Ruderlied.
(Ambros, Musikgeschichte (3. Aufl.), S. 449, Nr. 6.)
da - wy
Be .
• da
- wy!
- wy!
- wy!
Nr. 182. Bei der Thalfahrt und wenn sie an ein Dorf (bandar)
kommen.
Moderato.
Solo. He ! il
Fa-i- um ba - la - dac
Solo. He Li - sa!
Translation.
Solo. He!
the Faium is thy country, O Greek!
Coro.
(Repeat the same words with a different air)
Solo. He!
Beni Suef is the land of the beloved one.
Coro.
(Repeat the same words with a different air.)
Solo. He, Lisa!
Coro. He, Lisa!
Nr. 183. Bei günstigem Winde, wenn die Dababie gut segelt
oder sie selbst zu bleiben wünschen.
Erster Vers.
Moderato e tutti.
|hv- i rrr
gi^_c_c-^^Ai:
Ma - SU - da, ia
Ma • su - da
j^ ^^ p
-»^f^A-g, JTJV;r^:gz:p ! p^
ua-buch*-il Ba -
da - ui
Kas-sar • ti mal
- al Pa-
fi-^j' j. 1 i\ p
r pg^
cia
fi cerb il am -
ba - ri
la-
(j-PM-^n^ dT
TüA^-Ju.
lel ia - lel ia -
lel
ia • lel ia - -
lel
3
/TN
E
^
'I±
ia tan • ta - ui!
Anhang.
391
Zweiter Vers.
i
^
T-;-^-i-f-^
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p=p
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Ad • di - ni ia -
mad-da - ui
[t, r, -
"pi"-m^=»p ry^i
ua • ra • ueh ba
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A-rau-eh
bes-sa-lam -
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ua- tah-her ua-la
di
J^ p r. J J^ p i^
ia-lel ia-lel
ia-lel
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P^
^
ia - lel ia - lel
ia tan - ta
Dritter Vers.
ui!
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J' J' | _f, 1^ fi C if J' J j
Jal - li slai -
ti al - cia eb
w
1^
^^ ^Jlf r
r^ ^
E
ua - ec - il am -
ra - di
ia-lel ia-lel
ia-lel
i
$
ia - lel ia - lel
ia tan
ta
ui!
1. Masuda,
O Masuda! thy father is a Beduin; thou hast made the
Pacha lose
money in drinking ambari (liquor). lalel, ialel, ialel,
iatantaui!
2. Take me, o
Maaddaui! I will go to
my own land; I will go in
peace, and
purify my son. lalel, ialel, ialel, ialel, ialel!
3. Thou
Masuda hast melted the hoary-headed also — and why so?
Ialel,
ialel, ialel, iatantaui!
392
Anhang.
Nr. 184. Wenn sie zur Nacht vor Anker gegangen sind,
singen sie vor dem Abendessen.
Maestoso e con
espressione, tutti.
r=£B3^^ ^g
t
^
Leh, ia - ha-mam bet • na-ueh bet - na
ueh.
j,;f f c^'-r i JJW'^iiij j'j'jrn
Fac-car-ta - ni
bel-ha-ba - ieb
ia hal-ta -
ra-nar-gia
ji^' > ^
j 'ifff^wrr^
lel - au
tan,
uel-la na-mu-na
mutga-ra -ieb,
tri
öiz:^^
^F^
Q=±
al - gos - na gia
- ni, gia - ni iet ma
iel,
ual - ca - SU
moz-hab moz • hab fi iad - doh,
fTTi^ rr^
[TT'J'^'-i *^
mod - dai • tu
iad - di Ia a • koz ol
cas,
tVt f-U.feffJ'J'
^'^ rjrl
Ia - cai - tu -
cia a - o - cia o ala kad - doh,
1 >M t UJH
'^m
m
col-tu-la hu
on-zor Ia - ha
li,
col-tu-la hu
fr^^-MlJSl;-^
i
ha - li ia ha -
li,
iaki ia - bul e
ui - nis
Anhang.
393
i
SU - di'l Bam -
ba
44-M^^
m.
Eh lern - al
a
la
f^r r ^
77?F-r^-j' j ' j- f f I I
ala - ia ai si - di. Leb, ia - ham bot-na - ueh bet.
II primo
versetto.
Translation.
»Why, O
dove, why dost thou weep? Thou makest me think of
the beloved
one. Dost thou think we shall retum to our own houses,
or shall we
die in a foreign land?« The bough inclined towards me,
and had a
golden cup in its band. I extended my band to take it
and drink
from it; but found its rays in its cheeks. »O brother«, ex-
claimed
she, »with thy brilliant eyes thou prevented the sweetness of
my sleep.«
I said to her, »O! why — why dost thou weep? why?«
Nr. 185. Beim Rudern.
Andante
espressivo.
Solo.
-K— h-^-K — Kt-N
m
rTn^-^Y
rnm;F7V'=f^^'m
u
Ha-di ha ia ua-li
ha - set it ta - chi e - di.
Coro.
Ha - di ha ia ua
- li ha - set it ta - chi e - di.
Solo.
I' f ! fJUfafeJ
T7 i' bf, f^
üel-keit hu - min bah-giu ra - uel-eb re-bmai di - e.
Solo.
Coro,
" &~~"j^ J^ ~ b J^ ~J^ Wiederholung der
(ff) y > r^ "" ersten Chormelodie.
Ha - di ha ia
ues-na bal-
lad
394
Anhang.
|rH^-^jprJ:tf:^ B3
Coro.
Wiederholung der
ersten Chormelodie.
sa - fi - e • umor-sat U sau ua-hin.
Solo.
l f r c^r^f.u JW ' J/3i j j'j-jpp
Ha - di ha ia ua
- li ha • set it ta - chi e - di.
Coro.
Coro. Solo.
^^-
-&¦
Ha • di ha - ia !
Allah iacanui alcebab ! Ocsct
!
Solo.
Direct her, O Sheik, she is the maker of this cap.
Coro.
(Repeat always the first verse,) Direct her, etc.
Solo. The
thread is from Bahgiura, and the needle is bought
for one
parä.
Coro.
Direct her, etc.
Nr. i86. Beim Rudern auf der Xhalfahrt.
Andante.
Solo.
pp^ \ j.' ¦!' ii^
m
Coro.
E
^fS
Ja han da-la
fau-cir ram-la, ia bentSceik-il ba-ua-
Solo.
i
^
Coro.
T i=t-r:i
c""Qn
di. AI - nas, fad
- da ucas dir, uen - ti - da
Solo.
p^^p^^S
Coro.
hab-ia mo-ra-di;
ia kail-nag-di'l barri - a, il - te ca-fi
Anhang.
Solo.
i
^m
JF^f^tn-^rrl h ^
395
Coro.
^
com-a - sa iel,
ia han-da - la fau - cir ram-la, ia<
^ Solo. ^ C oro.
^
bent Sceik-il .
ba - ua - di. He, Li - sa! He, Li - sa!
Solo. O
Handala on the sand.
Coro. O
daughter of the Sheik of Bauadi,
Solo. The
men are silver and tin;
Coro. And
thou purest gold, O my will.
Solo. O
mares of the Nagiadi of the Desert.
Coro. Noble
races are found among you.
Solo.
("Da capo with other additional verses, which nee notni-
nanda sint in
nobis.)
Coro. (Repeat the same.)
i
Nr. 187. Beim Rudern auf der Thalfahrt.')
Andante
espressivo.
Solo. (Jeder Vers vom Chor wiederholt.)
- h — ^ I h h I ^
N
^ J J i^
^s^^^s
SB
^
Gal - in nac ia
fau - di - na, ma - ci ala - ed
m
fr,J'J'; il ! J'
J^J'JUHHmiJ. J'bJ' n
m
de - ua-lib. Umestaa mel-ha-min Dam-iat uem-dab ber-ha«
i | ) j'
tJ'^i-jiM i rr m v~^^-
min Ra - cid.
Uleh-mat ge - ni ia kai - te,
i) Der Herausgeber bemerkt hier: This foUowing is connected
with the
last, as it is sung to the same air.
396
Anhang.
L-f-^lMM'-^ \ i J'J-.'p^
tal - la - li -
ro lal - la - ro.
la ulad Da - miat
chal-
!S=^
^^^^^
&
ua - di • com ua
- din ah - san min - ua - di - com.
Solo. And
thy pipe, O our Lord, walks on the wheels.
Coro.
(Repeat always the firsi verse.) And thy pipe, etc.
Solo. Its
director £rom Damietta, and its Commander from Rosetta.
Coro. And
thy pipe, etc.
Solo. O
sons of Damietta, how is your Valley? Our Valley is
better than
yours.
Coro. And
thy pipe, etc.
Solo. And
why don't you come, O my sister? -7- tallalliro
hallaro !
Nr. 188. Beim Wechseln der Segel.
Largo.
Solo.
i
feö
Coro.
S.
r ß B
C.
iM=j^^f f f fi
He, Li - sa! He,
Li - sa!
He-le, he-le,
he-le, he-le.
S.
^Et
c.
s.
^^^
c.
^ f r r '
E
a - bu -üg.
He-le, he - le, uelne ke-le, he-le, he-le,
S.
C.
S.
iSBt
^ vr'"' '
^
'^ c.
/T\
^
&
he-le, he-le, he-le, he-le! Salem, ia sa-lem, Salem, ia sa-lem!
Anscheinend sinnlos bis auf die Namen: Lisa, Hele, Abutig und
Nekele; die beiden letzten bezeichnen nach Angabe des Herausgebers
Dörfer in Oberägypten, Lisa ein schönes Mädchen.
Anhang.
397
Nr. i8g. Beim Rudern in der Nacht auf der Thalfahrt.
Andante.
Solo.
I^tT T - l
ß ß
^, (wiederholt Vers i
Unor V
i." j« \
bestandig).
« « * =g:
(r-frH^lf- t rtTfS
•tt r, - X 1 [^
M
n leh il leh ü le
H, II leh il leh il le H.
Solo. Chor.
^ ^^^ u
E
t
Leh ma-tgi-ni iab
nai ia, IL leh il leh il le li.
Solo. Chor.
^ylTT-iif.
:f=P
Uen-rau-eh bet
sa-la-me, H leh il leh il le li.
Solo. Solo.
')!ii c c f, m
^^
iChor.ii
Al-a-mes-ril
ca-he-ra,
Solo.
Unacol aicma
ah-le-na.
^
^^m
:Chor.:
Un - ar - gia la
- ba - ni Su - ef.
:Chor.llE
Solo.
/TN Chor. ^
Ua-i - la il a
os-uan.
He,Li-sa!
He,Li-sa!
nieh, Illeh, lUeH!
Why don*t
you come, O girl?
And we go
in peace,
To Cairo,
the oppressor,
And we will
see the beloved ones.
And we eat
bread with our families.
And we will
come back in peace
To Beni Suef,
And to
Osuan.
He, Lisa!
398
Anhang.
Jede Zeile wird vom Rais vorgesungen und von den Matrosen
wiederholt. So auch bei den folgenden Nummern. At the end the
Icader of
the choir cuts short his solo, without any finale, or he says:
Allah
lainuciababl (God help the youths.) The others answer:
^Oscitl«
(live.)
Nr. 190. Am Morgen.
Moderato.
Solo.
Vers I wird bestandig vom
Chor wiederholt.
P^ £F ^e^^^e HTT ~nrt^ ^
Sbah U ker ia sbah il ker, Sbah il ker ia ugh il ker.
Solo,
p^t";r;?iSr|
W ? ) ji \/
t
'Chor.zl
lal li shab tom
bei sa-lam, Uer>cheb tom a Ia il kel.
Solo»
IhI U ua^bac
metlaluard. Ucaed ammal
tek-maktar.
SvxUk
ta- k)
»ti-nnUnM rsi-ie« Hamai oiKcor uardsib-inar.
S^>Uv
Pi^s^r
ktst«- Vers wiiti wiederholt.
Chor.
U iaI U
b»*h-tt V* Us Äusw. B<^:u:5 <CvUib fctxivlihiai:
Vs^^
>fcV V-*x<« vV4r.;< <jt>f ^v^ i^ct^- r::v^:r:r^* jltvi rs!« os
tjbe hoc^es.
V>.o^ >fc^o >-sVv: citvXi^t >,Xif t\*!>^f^ ir>l Art vi^ir:^^ :Lr :5:t:si^
Anhang.
399
Nr. igi. Wenn das Boot auf eine Sandbank aufgelaufen ist>
und die Schiffer es frei zu machen suchen.
Largo un poco.
Solo.
1
feö
^ Chor.
/f\
^^
¥
S- ew
^^^^^
c.
^
He, Li- sa! He,
Li - sa! la na - bi - na, He, he,
P^^^t-t
Der Chor wiederholt
Vers I beständig.
ia Li - sa, ia
rsul AI - Iah,
S.
^
^
S.
:
Chor."
rT_5 J
:Chor.
in al go -
dan,
go - dan
mus - le - min,
S.
i
w
ES
S.
Chor.:
1
:Chor
m
uer-sel al ha -
ua.
ha - ua bah - ri,
S.
i
^M
^
s.
^^
:Chor.;
; Chor.;
unem-ci ta-ieb
metl il kel.
He, Li - sa.
^^
S.
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c.
/TN
1
22:
is:
9^
He, Li - sa !
Allaiain alce - bab ! Osct
!
He Lisa! O
our Prophet, O Prophet of God, help the youths;
the
Mussulman youths. Send us the wind, the north wind, and let
US walk fast, like horses. He Lisa!
400
Anhang.
Nr« 192. Wenn sie das Tau nm ihre Nacken winden, um das
Boot zu ziehen, schreien sie:
Solo.
^7\ /TN
ia^
Chor.
i^
-Ä>-
-^-
^F*
3^
He, iauadi ma -
dan.
He, iauadi ma -
dan.
S.
^7\
ia^
c.
eg"^r:i>"
-ö^
-<5>-
^.
He, iagod -
an,
Solo. He, O
Valley of Madan!
Coro. He, O
valley of Madan!
Solo. He ee!
Coro. CTke same,J
Solo. God
preserve the brave.
Coro.
(Answer:) Long life!
He!
Nr. 193.
Nubierlied.
i
Solo. (Der Chor wiederholt.)
An-dar-ba-dic, an-dar-ba-di, uo ie a ziz an-dar-ba-di.
Child,
child of dear mother, thou speakest Arabic like the crow of
the young
cock.
Der Herausgeber bemerkt dazu: This song is sung by the Nubian
sailors
when they come down from Uadi Hälfe to Osuan. The coro
repeat
always the first verse with the same melody: and the solo also
repeats the
same melody with different words.
Anhang.
401
Nr. 194. Chorgesang zur Unterhaltung am Abend.
y Maestoso con
espressione, tutti.
"^ Vers I.
lrrrJ".'3 ß
f ^^ l J.; J^£l^M^-J-
Gia-ni-sa la
mac, min mesra
lel - ciam, ah-
L_f ^'^ ' - J
=*^
^:
t
^ti±
W—r
ma - hla cla - ma
cia e
ni ah ia le la ia
le la ial
Vers 2.
li zlam-tu - na.
Gia - ni-sa la
mac, ma-hla-sa
I
^a
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§^^
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la
mac, ah - ma -
hla cla - mac ia
ni ah
Vers 3.
l f r
c^r'"M^^'^^i j.j'j.'rP
ia le la ia le la
ial 11 zlam-tu - na lab nil a ca
^^t= &=B
• ä~^
±=ili
ber, ueh lern a -
la
g^ j. j^-j^fT^ j
j^-^ ^
ia, ueh lem
a - Ia - ia, ia
Da capo.
/TS
ni ah ia le la ia
le la ial li zlam-tu - na.
Thy Salute
came to me from Cairo to Damascus.
O, how
sweet are thy words to me!
O, how
sweet is thy salute!
O, son of a
great people, do me the favour.
O, my eyes
; O you, who had oppressed us !
Bücher, Arbeit und Rhythmus. 26
1
402
Anhang.
V. Europa.
Nr. 195. Venetianischer Gondoliergesang.
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Nach Kretzschmar (Führer durch den Concertsaal I' S. 191,
Leipzig 1888) sind die LagunenschüFer heute stumm geworden. Aber
noch vor wenigen Jahrzehnten sangen sie bei jeder Fahrt, und einer
ihrer Lieblingsgesänge, fast ihr stehendes Abendlied, war die Anfangs-
strophe von Tasso's »Jerusalem«. Franz Liszt verwendete d|esen
Gesang als Thema einer sinfonischen Dichtung: Tasso, und sagt
darüber im Vorwort (s. Partitur, Breitkopf & Härtel): »Wir wählten
zum Thema unseres musikalischen Gedichtes die Melodie, auf welche
wir venetianische Lagunenschiffer drei Jahrhunderte nach des Dichters
Tode die Anfangs Strophen seines »Jerusalems: singen hörten;
Canto Parmi
pietose e'l Capitano,
Che'l gran
Sepolcro liberö di Cristo!
Vgl. auch R. Wagner, Beethoven (Ges. Werke IX, S. 92 und übei
die Art dieser Wechselgesänge Goethe, »Italienische Reise« (Ges.
Werke, Cotta, Bd. XIX, S. 8of.) und »Ueber ItaUen« (Bd. XX,
S. 241 ff.). Freundliche Mittheilung des Herrn H. Duncker.
Zu S. 62. Tetzner, Dainos, S. 9 führt aus Fistorius, Folonicae
historiae corpus (Basel 1582) I, S. 46 f. folgende Stelle über die
Litauer an: Dum molendina manibus vertunt, patrio more, agrestem
quendam concentum edere solent, dicentes: Melior, hocque verbum fre-
quentius ad cantilenae similitudinem repetunt; id vero est tarn viris
quam mulieribus
peculiare, quod de illa re, quam tunc in opere ha-
bent, cantilenas agrestes canant.
Zu S. 107. Taktmässiges Arbeiten mit Gesang beim Brunnen-
graben in der Wüste: Sven Hedin, Durch Asiens Wüsten (Leipzig
1899), I, S. 374. Das Beispiel ist um so bemerkenswerter, als der
singende Gräber sich in der höchsten Noth des Verschmachtens befand.
Zu S. 109. Nach den Aufzeichnungen eines böhmischen Tischler-
gesellen aus der Nähe von Königgrätz theilt mir Herr stud. phil.
Hermann Duncker einige czechische Arbeitslieder mit, von
denen ich drei mit Uebersetzung von A. Leskien hier folgen lasse.
Das erste wird zum Häckselschneiden gesungen und zwar so, dass
der Arbeiter immer drei Schnitte thut, während er eine Zeile singt,
dann das Stroh vorschiebt, wieder drei Schnitte unter Gesang aus-
führt und so fort. Nach freundlicher Mittheilung Leskien' s steht ein
ähnliches Liedchen bei Erben, Frostonärodni cesk6 pisne (Prag 1864),
S. 418, mit Melodie. Die beiden andern gehören zur Kategorie der
eigentlichen Handwerkslieder. Bemerkenswerth ist die Mittheilung
unsers Gewährsmannes, dass unter den Czechen in den Werkstätten
bei der Arbeit viel mehr gesungen werde als in Deutschland.
Nr. igC. (Beim Häckselschneiden.)
Kdyz jsi ty, sedUce, pdn. Wenn du, Bauer, Herr sein willst,
iezej si i-ezanku sdm; Schneide deinen Häcksel selbst;
jd se budu divat. Ich will dir dann zuschaun,
jak ti bude litat Wie er dir herabfliegt,
fezanka od stolice; Häcksel von der Futterbank;
ja pujdu k svä milence. Gehe dann zu meinem Lieb.
26*
404
Nachträge.
Nr. 197.
1. Proc bychom nebyli
truhliri veseH,
kdyz mdme prkynka
hoblovany.
2. Z prkynek postylka,
na ni md milenka,
a ta me vdbila
k miloväni.
(Beim Hobeln.)
1. Soll'n wir uns nicht freuen.
Wir vergnügten Tischler?
Haben doch die Bretter
Abgehobelt.
2. Bretter werden Bettchen,
Auf dem Bett mein Liebchen,
Und sie ruft mich. lockend
Zur Umarmung.
Nr. igS. (In der Schmiede.)
Koväf u sv^ kovadliny
stoji pevne
postaven;
pevn6 rany ddvä
svym kladivem.
Schmied steht da bei seinem Ambos,
Hat sich fest dort hingestellt;
Feste Hiebe giebt er
Mit dem Hammer.
Zu S. 126, Anm. Dass das Packen der Kameele von den Somali
stets unter Gesang vollzogen wird, berichtet auch Graf Wickenburg,
Wanderungen in Ostafrika (Wien 1899), S. 119.
Zu S. 167. Zwei finnische Rammerlieder theilt mir Herr
Magister Hugo Palander aus Tavastehus mit. Am häufigsten wird
Nr. 199 gesungen.
Nr. igg.
1. Hei juu juntanapoo!
Hei heilari ylös-ja laskekaa jo!
2. Hei juu juntanapoo!
Hei mestari
tulee-huilataan jo!
1. Hei ju, ziehet auf!
Hei, Ramme auf, lasst nun los!
2. Hei ju, ziehet auf!
Der Meister kommt; ruhen wir nun!
Nr. 200.
Haluvilu von, haluvilu von, Haluwilu won, haluwilu won,
Huono palkkani on. Schlecht ist mein Lohn,
Jonkatähden mä valitan. Wesshalb ich klage.
Nachträge. 4^05
Zu S. 302 fF. In einem Vortrage über die Volkslieder der
Wotjaken bemerkt Dr. M. Buch (in den Sitzungsberichten der ge-
lehrten estnischen Gesellschaft zu Dorpat 1883, S. 133 fF.): »In einigen
Gegenden besitzen die Wotjaken nur Lieder ohne Worte; sie singen
z. B. Ai dai ai mai etc. Das Lied besteht also nur aus emotiven
Ausrufen, Reflexlauten, aus denen ja auch die menschliche Sprache
hervorgegangen ist. Auch die Melodie der wotjakischen Lieder ist
die einfachste überhaupt denkbare; denn sie besteht nur aus drei
Noten: re mi fa. Dasselbe beobachtete der Sibirienreisende Sommier
auch bei den Samojeden. Bei den Letten sollen dieselben drei Noten
sich finden in einem Liede, dessen Text auch nur aus den Lauten ligo
besteht . . . Auch als schon der Text zum Liede sich eingefunden,
bildete sich zunächst keine feste Form: die Lieder- werden mit Varia-
tionen gesungen, sodass jede Wiederholung desselben Liedes, immer
wieder eine neue kleine Variante aufweist. Dasselbe hat Middendorf
bei den Tungusen beobachtet,. Nordquist (Vega-Expedition) bei den
Tsckuktschen.«
Die Zahlen bedeuten die Seiten. Das Zachen f weist auf mnen Liedertext, das
Zeichen * auf ein Notenbeispiel hin.
Aegypten, altes: Arbeitsver-
verfahren 370 ff. ; Saat- u. Dresch-
gesänge I27f; — neues: Arbeits-
gesang 45; bei der Erdarbeit
145J Fellachenlieder 257*; Nil-
schiffer 189, 278, 389—401*;
Wasserschöpfer 53, 108*.
An am, Rudergesang 183.
Andamanesen, Gesang u. Poesie
54» 294, 341; Musik 289 ff.;
Tanzlied 291*.
Ankeraufwinden i69f, 171t.
Anpassung, gegenseitige 31, 57.
Araber 34, 342; Treiberge sänge
125; Kaffeestossen 34, 102.
Arbeit, Begriff i; Entwicklung
306, 376, 378 ff.; festliche Ge-
staltung ders. 374 ; im Gleichtakt
57, 142 ff.; Intensität 2, 28, 58;
mit Kunst und Spiel 357; mit
Musik und Dichtung 305 ; psy-
chophysische Natur ders. 24, 366;
Quelle der Poesie 301 ; und Tanz
46, 252, 258, 312, 365; im
Wechseltakt 29, 57, 130; Nach-
ahmung bei der Zauberei 271,
beim Kult 315, 318, beim Tanz
253, 313, 365.
Arbeitsbewegung24; Elemente
ders. 26, 307, 310; Grundformen
310» 363; rhythmische Gliede-
rung 26, 300, 364, 381; Ver-
hältniss zum Tonrhythmus 28,
44» 53» 55» 295»* Verhältniss zum
Werkzeug 377.
Arbeitsgemeinschaft 29, 38,
56, 198; Entwicklung 247 J 369 ff.
Arbeitsgeräusche 27,39^ rhyth-
mische 28, 308.
Arbeitsgesänge 45 f.; Arten
55, 60 ff.; Entwicklung 301 f.,
365; Wirkung 125, 195, 375;
im Kult 313 f., 317; zur Zu-
sammenifissung 58, 195 ff.; 247;
Anpassung an die Körper-
bewegung 44, 53, 307; Rhyth-
mus ßls wesentliches Element
43 f., 289, 304; Dichter 71, 89,
338, 342.
Arbeitsmotive 9, 16 ff., 250,
367» 374» 383.
Arbeitsprocesse, Kompliziert-
heit 12 ff., 363, 368, 371.
Arbeitsrhythmus 26, 31; Ent-
stehung 365; Bereich 33, 364;
als disciplinierendes Element 3 1 f.,
248, 368, 372; Regelung des
Kräfteverbrauchs 33, 358; social-
ethische Bedeutung 39, 369.
Arbeitsscheu 3.
Arbeitsverkettung 31.
Arbeitsvertheilung zwischen
den Geschlechtem 339.
Arbeitsweise der Naturvölker
5, 9, 15 f., 20, 25, 363, 383.
Aristoteles, über den Rhyth-
mus 359.
Australien, Musik 295.ff.; Ge-
sang 278, 296, 342.
Register.
407
Bajaderengesang 152t.
Bandainseln, Rudergesang 188
(s. Letti, Key u. Kissar).
Bantu 197; Häutebereitung 201.
Barabra, Tanzlied 261*.
Barkarolen igof, 402*.
Bassongei Hirsereiben 71.
Bassuto, Feldbestellung 200;
Mehlbereitting 71; Gerben 201 ;
Kriegstanz 196.
Bastlöselieder 283*.
Batusi, Mahlgesang 71 ff.
Bauarbeit, Gesang 46, 148t,
201 tf 204 t» 375; mit Musik-
begleitung 202 f., 209.
Bayern, Bittschnitter 243; Zug-
scblägelreime 161 f.
Beduinen, Gesang 124; Wasser-
schöpfen 53.
Beiern 2&^f.
Bengalen, Kesselreinigen I02f ;
Rudergesänge 385*.
Berufsbildung, früheste 378.
Beschneidung I23.
Betschuanen, Kinderarbeit 286.
Bettelhochzeiten 90f.
Bewegungsrhythmus 26, 31,
55. 253, 271, 297, 301, 307,
323, 327-
Bewegungstempo, wachsendes
211, 256 f., 365.
Bittarbeit 58, 198, 209 f., 224,
228, 231, 242 f., 339, 369; Cha-
rakter der Lieder 211 f., 241,
247.
Bittschnitter 243.
Blasinstrumente, älteste 325.
Böhmen, Hopfenpflücken 115*;
czechische Arbeitslieder 403 f.
Bomätscher 176*.
Borneo, Hausbau 209.
Bornu, Komstampfen 134.
Botokuden, Frauendichtung 3 42 .
Brechlieder 86*ff.
Bremen, Zimmerleute 163 f.
Brunnenlieder 106 f., 403.
Bulgaren 104, 224; Tanz 280;
Lohnarbeit 228; Frauendichtung
349.
Burlaken 177*.
Buttern io6f.
Chinesen 180 f, 342, 368; Bau-
frohnden 204 f; Feldarbeit 207;
Rufe beim Getreidestampfen 134,
beim Baumfallen 143 ; Bootziehen
176*; Rudern 386 •; Pflücken
119t, I2it.
Corsika, Totenklage 346.
Czechen, Arbeitsgesang 403 f.
Dachel, Oase 145.
Danäkil 54; Mehlreiben 71; In-
fibulation 123.
Dauerarbeit, Rh3rthmns 32 f.,
124, 335-
Deutschland (siehe auch Böh-
men, Gottschee, Mähren, Kai-
nachthal) 91 fF., 135, 170 f.,
242 fr., 258, 345; Handwerk
not ff.; Kinderlieder 281* ff.;
Fuhrmannslieder 129; Erntelieder
243-
Dichtersprache 296, 303.
Dienstboten 198, 354.
Drama, Entstehung 307, 3 1 2 ff.,
320.
Dreschen I27f, 131, 132*.
Dualla, Kanoefahrt 186.
Edda, Grottasang
61 f.
Einförmigkeit der Arbeit 366.
Einzelarbeit 56, 341, 375.
England, KohlenschifFer 191 f;
Frauendichtnng 345.
Epik, Entstehung 329 ff.; im
Arbeitsgesang 50, 73, 85, 88,
136 f., 330» 345; im Tanz- und
Spiellied 262 ff., 268, 331.
Ermüdung 24, 26, 33, 358.
Ernte 51, 219*, 225t ff., 233f,
237tff.,240tff., 3i5;Tänze258.
Esten 234 ff.; 376t; Feldarbeit
237 1 ff. ; Mehlbereitung 64t, 1 3 1 ;
Buttern io6f ; Flachsbrechen 87t ;
Spiellieder 266 f f. , 270 f f. ;
Frauendichtung 241, 350.
Etrusker 42, 320.
4o8
Register.
Fabrikarbeit 381.
Faröer, Tanzgesänge 263 f.
Fassbinder 113.
Fasszieher 195t'
Feldbestellung 35, 200, 207,
209, 211*, 232 t, 242 t, 245 t,
370-
Fellachen 257*.
Ferrero, Theorie
20 f.
Fidschiinseln, Frauendichtung
342.
Finnland 242, 269 ; Mühlenlieder
66t ff.; Rammen 404t; Gesangs-
weise 276; Frauendichtung 66 f,
349 f-, 355 t.
Fischfang 179*, 182, 373.
Flachs, Bereitung 13, 77, 80,
85; Lieder 78* ff., 86* f.
Flechtlieder lOit«
Flottmachen der Schiffe 144,
399*.
Frankfurt, Pilottenlieder 162t.
Frankreich 309t; chansons ä
toile 345; Wäschebläuen 103 t.
Frauenarb-eit 13 f., 18, 35 f.,
61, 66, 70, 77, 88, 97, 134,
141, 229, 339 ff.
Frauendichtung 63, 66, 71,
76, 89, 121, 241, 295, 340 f.,
355; Arbeitslieder 342; Helden-
lieder 73, 77, 344; Hochzeits-
lieder 348, 350; Kinderlieder
341» 343; Tanzlieder 294, 344,
348; Klagelieder 342, 345; Zau-
berlieder 343; Antheil an der
Volkspoesie 348 ff.
Friaul, Gesang 51.
Frohnarbeit 58; mit Gesang
199 ff.; Verhältniss zur Bittarbeit
199, 217, 228, 235; mit Musik-
begleitung 204, 234, 244, 369;
Charakter der Lieder 247.
Fuhrmannslieder 129t.
Galla, Feldarbeit 35; Dreschen
131.
Gemeindehäuser 38, 71.
Georgien, Feldarbeit und Ernte
211*, 217t, 218*, 222* f.
Gesellenlieder 113, 198.
Gleichtakt 41, 57, 142 ff., 373;
Inhalt der Lieder 193.
Gondoliergesang 402*.
Gottschee, Hirsejäten 245 ti
Fuhrmannslied 130 t.
Griechenland, alteß: 42, 81,
195, 202,
264, 325; Arbeits-
gesänge S2,
6it, 88, 319; Be-
legstellen aus Dichtungen 98,
158t, 3i8tJ Lieder zu Spiel,
Tanz und Kult 265, 315, 318,
361; Orchestik 255, 264, 36iff.;
attisches Drama 320; Lyrik 329;
Metrik 311; — neues-: 170;
Spinnen 97 t» mimische Tänze
280; Myriologien 346.
Häckselschneiden 403t.
Hausindustrie 100, 229.
Häutebereitung 47, 201.
Helgoland, Schifferlieder lyo^.
Herzegowina 224.
Hirse, Jäten 245t; Reiben 71;
Stampfen 135, Anm. 2.
Hobeln 404t.
Hochzeitslieder 348, 350.
Hohenauer 179t.
Holzfäller 50, 124t, 143.
Hopfenpflücken 115*.
Huppenlieder 283*.
Hottentotten, Frauendichtung
342.
Jagd 196.
Japan 368;. Erdarbeiten 167t;
Rudern 181, 189t; Gesang der
Träger I57tf der Pferdefiihrer
128t.
Jäten des Flachses 79 t» ^^^
Hirse 245 ti des
Mais 211*.
Java 254; Lastenheben 143t.
Illyrien,
Barkarole 190t.
Improvisation 51,
71, 76, 85,
89, 96, 125, 140, 146, 156, 187,
207, 262, 274, 280, 304, 322,
327» 338, 342, 345» 352.
Indianer, Arbeitsweise 7, 12,
14; Gesang 50, beim Korb-
Register.
409
flechten 43, zum Kommahlen 75,
zum Rudern 183, 384*; Ernte-
fest 315; Tanz 33 1 ; Frauendich-
tung 341, 343.
Indien, Arbeit beim Kult 316;
Feldarbeit 209; Handwerk 368;
Schifffahrt 170t, 181 ; Lieder
zur Handmühle 72 f; Wasser-
schöpfen 107*; Frauendichtung
73» 342.
Indischer Archipel i8i, 183.
Infibulation 123.
Israeliten, Keltern 319, 366;
Lied der Müllerin 61; Brunnen-
lied I07f ; Frauendichtung 344,
346.
Kabylen 342; Schleifen iio.
Kaffeestossen 34, 102.
Kainachthal, Melklied 105*.
Kameeltreiber 125, 404.
'Kamschatka 342.
Kanoeschleppen 172t.
Karawanengesang 197.
Karolinen 342.
Kaschmir, Flussschiffer 183;
Feldbestellung 209.
Kelterlieder 52, 318, 366.
Kesselreinigen 102.
Kesslerlied 111+.
Keyinseln, Tanz 259.
Kind 19,
25, 281 ; rhythmische Be-
wegungen 335; Lieder 28i*ff.,
Nachahmung von Arbeitsgeräu-
schen 109, 308, entstanden aus
Arbeitsliedern 50, 93, 100, 116;
Vortragsweise der Lieder 100,
287.
Kissar, Ackerfrohnden 209.
Kohlhacken 232'!'.
Koluschen 342.
Kontrapunkt 208.
Körperbewegung mit Gesang
250 f., 254,264,271, 274, 276 ff.,
282 ff., 297 ; Grundlage des Rhyth-
mus 44, 295, 327, 335; Quelle
der Poesie 306.
Korea, Stampfgesänge 1 3 5 f ff.,
Musik 375.
Kredj, Kommahlen 71.
Kuli Höfff., 155.
Kultlieder 314 t» 344-
Kunst bei den Naturvölkern 15,
358» 382.
Kurland 50 f.
Lausitz, Vorsängerin 96.
Letten 78t» 96 f., I04ti 369t»
405; Emte Ii7t> 240t; Melken
104-1-; Mühlengesänge 63-1-;
Frauendichtung 351 ff.
Letti, Dreschen 131.
LhoQ&ai, Baumfallen 143.
Litauen 242 ; Hopfenpflücken
117t; Dreschlied 132*, 141 ;
Volkslieder 62 t, 98*, 103*,
403; Frauendichtung 351 ff.
Livland 182; Gesang 50.
Lunda, Oelstampfen 134.
Lustmoment bei der Arbeit 250,
367, 374.
Lyrik, Entstehung 327 ff.
Madagaskar, Feldarbeit 35;
Rudern 188; Exorcismus 272.
Madeira, Dreschgesang 127.
Mähren, Flachsbrechen 86*.
Mahltechnik 60, 70, 72, 75.
Maishacken 2ii*ff.
Malayen 42 f.
Marschlieder 195 ff.
Maschine 379 f.
Matrosenlieder 170 (s. Schiffer-
lieder).
Melklieder 105*.
Melodie der Naturvölker 46, 296,
322 f, 328, 367, 405.
Metrik 132, 300, 307, 309, 311,
321.
Mincopie (s. Andamanesen).
Mingrelier 48.
Mittelalter, Emtebräuche 244;
Stampflied 135; Frauendichtung.
345.
moba 97, 224 f.
Molukken 342, Träger 49.
Mühlenlieder 6itff. , 66t ff.,
70t ff., 75» 88.
4IO
Register.
Musico-Medizin 334.
Musik 39, 251; Entwicklung
323 ^M 331 ^'i
^^s Disciplinier-
mittel 234 ff., 247; des Kindes
287; der Naturvölker 44, 47,
289 f., 295 f., 323, 367.
Musikinstrumente, Entstehung
323 ff.
Musikkapelle, tanzende 274.
Myriologien 346.
nadi, naduri 211.
Nassau 51, 283, 375.
Naturlaute 41, 134, 192, 201,
211, 260, 301; als Gesang 144,
176, 213, 302, 405; und Rhyth-
mus 191.
Naturvölker 6, 9, 15, 34; Ar-
beitsmotive 16, 367; Frauenarbeit
339.
Neger 9, il, 259; Rhythmus
34; Mahlen 70; Spinnen 89 f;
Rudern 186; Frauenarbeit und
-Dichtung 70, 89, 342; Last-
tragen 44, 157, 197; Tanz und
Arbeit 259; Sänger u. Musiker
274 ff.
Neu-Britannien, Kanoegesang
387*.
Neu -Guinea, Arbeitsweise 5,
15; Rudern 182.
Neu-Seeland 5 f., 278, 346;
Arbeitsgesänge 50, beim Rudern
183+, beim Kanoeschleppen 172-1-,
beim Kult 313 f, beim Spiel 265,
beim Tättowieren 122 f.
Neu-Süd Wales, Fischfang 180*.
Niederlande, Auswanderungs-
lied 198 t.
Niederrhein, Flachsjäten 79*.
Nil Schiffer (s. Aegypten).
Nubier 400*.
Oeffentlichkeit der Arbeit 38,
71, 114.
Oelbereitung 134, 319.
Oesterreich,Zapfenstreich3o8+;
Fasszieher 159 t.
Ostafrika 42, 46; Getreideent-
hülsen 37; Wegebau 124t.
Ostfriesland, Rammen 163*,.
Beiem 284 t.
Ostjaken, Tanz 255.
Palankinträger 154*.
Palauinseln, Frauenlieder 345.-
Papuas, Beschneidung 123.
Pflücklieder 114t» der Kinder
286*.
Pfluglieder 207*, 240t.
Pilottenlieder (s. ZugschlägeK
lieder).
Plato über den Rhythmus 359.
Poesie 331, 339, 356; Ursprung
305; u. Gesang 299, 312, 328,.
332.
Polynesien 34, 254; Lieder 50,"
Rudern 183, 365, 387*.
Preussen 309f, Rammen lööf.
Produktivität u. Arbeitsgemein-,
Schaft 31, 372; und Rhythmus
379, 381.
Prozessionslieder 198.
Radakinseln, Frauendichtung
342.
Rammlieder 136t ff., 140*^
160* ff., 404 t.
Refflieder 81 »ff.
Refrain 141, 193, 303; Figura-
tion der Naturlaute 192, 302.
Rheinland, Weinlese Ii8f.
Rhythmus 359, 369; gegeben
durch die Arbeit 26, 44, 300^
304; frei beim Tanz 253 f., 260,
295» 301 f.; psycho - physische
Wirkung 125, 333, 336, 362^
375 ; der Lebensfunktionen 33,.
309, 358.
Rindenstoff 36.
Rom, Spinnen 88; Weben 98?
Keltern 319; Sklavenarbeit 248 r
versus Satumius 321 ; naenia
346; Komödie 320.
Rudern, Gesang 181, 183, 185 f.^
189, 190, 384* ff.; Musik 42^
181, 260.
MT
Register.
411
Russland, Toloka 230 ff. ; Feld-
arbeit 232 f; Rammen 166*; Bur-
lakenlied 177*.
Sachsen, Kinderlied 286 *,
Spitzenklöppeln 99 f.
Säelieder 223, 321.
Saiteninstrumente,Entstehung
324.
Samoa 122; Rudern 183, 388*.
Sansibar, Kuli 135 ; Rudern
186.
Saturnischer Vers 321.
Schaukellieder 265f, 269.
Scheerenschleifer iiof.
S c h i f f e r li e d e r (s. Ankeraufwin-
den, Segelhissen u. Rudern).
Schiffsziehen 170, 175 *fF.,
179t, 191t» 400*.
Schlag- u. Stampfrhythmen
29 ff,, 39 f., 332; mit Wechsel-
takt 130 ff.; im Tanz 365; in
der Metrik 310.
Schlag- und Stampftechnik
29 fr., 34 fr., 42, 103, 107, 130 fr.,
141, 283, 286, 309, 319, 366,
374.
Schlesien, Flachslied 78t.
Schlosser- u. Schmiedelieder
Ulf ff., 404t.
Schroiedetakt 29, 112,311,325.
Schnadahüpfeln 244.
Schottland, Schifferlieder i69f.
Schweiz, Kinderlied 285 f.
Sklavenarbeit 248.
Segelhissen 169* ff., 396*.
Seilziehen 158, 373.
Senegambien, Erdarbeiten 203,
Seram, Rudern 181.
Serbien, Flechten lOif j Weben
229 t; Mobenlieder 97, 224tff. ;
Spiellieder 265, 270 f; Frauen-
dichtung 241, 348.
Sichelschärfen 222*.
Sigurdslied als Tanzlied 263 f.
Somali 54, Beladen der Kameele
126, 404.
Sothoneger, Gesang 47; Frohn-
den 200 f.
Spanien 170; Tänze 279.
Spiel und Arbeit 5, 152, 250,
3 1 2 ff. ; -Trieb 1 9 ; -Lieder 264 f.,
270 f., 288*.
Spinnlieder 88t ff., 9^*» 96f.;
Charakter 94.
Spinnstube 91, 95.
Spitzenklöppeln loof.
Sprachrhythmus 55, 296,
300 ff., 308, 334.
Stampflieder 134+ ff. , 140* f.,
286.
Sudan, Baufrohnden 202; Fär-
berei 37 ; Kommahlen 7 1 f J Fuss-
bodenklopfen 141 ; Arbeit und
Spiel 312.
Tättowieren I22f.
Taktierung, künstliche 41, 54.
Taktruf 41,
134, 143, 176, i8l,
192, 211,
218, 260.
talka,
talkus 235.
Tanz 196, 319, 327; Erklärung
20 f., 252, 254; u. Arbeit 36,
46, 49, 78, 131, 152, 258, 313,
319» 365; als Auffuhrung 252,
264, 313; beim Kultus 274, 279,
318, 361; socialisierende Wir-
kung 258, 359; Lieder 49, 78t,
152, 26i*ff.,
279, 291* ff., 341 ;
Charakter der s. 260 ; epische 262 f.,
268 , 330 ; lyrische 327 ; als
Zauberlieder 259, 344.
Technik der Naturvölker 9 ff.,
34» 363» 368, 370; Entwicklung
377.
Text dem musikalischen Bedürf-
niss angepasst 47, 73, 172, 296,
312; dem Sänger unverständlich
151» 273, 296, 303.
Thätigkeitstrieb 18.
Theepflücken 119+.
Tibet, Feldarbeit 207*.
Timor, Gesang 49.
Timorlaut 260.
toloka 230.
Tongainseln, Gnatuhschlagen
36; Bootsgesang 387*.
Tonrhythmus 27
f., 130; inci-
I