ARBEIT UND RHYTHMUS

 

Dr. KARL BÜCHER, ZWEITE, STARK VERMEHRTE AUFLAGE

LEIPZIG, DRUCK UND VERLAG VON B. G. TEUBNER.

 

ALLE RECHTE, EINSCHLIESSLICH DES ÜBERSETZUNGSRECHTS, VORBEHALTEN.

MEINER LIEBEN FRAU GEWIDMET.

 

Inhalt

Inhalt 1

Inhalt / Seite Original Vers. 1

Vorwort 2

VI Vorwort. 3

VII Vorwort 3

VIII Vorwort. 4

Arbeit Und Rhythmus 4

I. Die Arbeitsweise der Naturvölker. (I) 4

Die Arbeitsweise der Naturvölker. 2. 5

Die Arbeitsweise der Naturvölker. 7

II. Rhythmische Gestaltung der Arbeit (24) 18

III. Arbeitsgesänge (41) 29

IV. Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge (60) 42

1. Einzelarbeit und gesellige Arbeit 42

a) Zur Handmühle (60) 42

b) Gewinnung und Zubereitung der Spinnstoffe (77) 55

c) Spinnen, Weben, Klöppeln, Flechten. 66

d) Hauswirthschaftliches (102) 79

e) Handwerkslieder (109) 87

f) Beim Pflücken (114) 92

g) Aus andern Gebieten (122) 102

2. Arbeiten im 'Wechseltakt (130) 109

3. Arbeiten im Gleichtakt. (142) 122

a) Beim Heben oder Tragen von Lasten. 123

b) Beim Emporziehen von Lasten (158) 138

c) Beim Fortziehen oder Schieben schwerer Gegenstände (172) 161

d) Beim Rudern (180) 174

e) Schlussbemerkungen (191) 184

V. Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten grösserer Menschenmassen (195) 187

VI. Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 249

VII. Der Ursprung der Poesie und Musik. 298

VIII Frauenarbeit und Frauendichtung. 327

IX. Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungs-princip. 343

358 Neunter Theil: 344

Anhang (Bootgesänge) (384) 363

I. Amerika. 364

Anhang. 387. 364

Nachträge (403) 399

Register (406) 402

 

Inhalt / Seite Original Vers.

I. Die Arbeitsweise der Naturvölker I

II. Rhythmische Gestaltung der Arbeit 24

III. Arbeitsgesänge 41

IV. Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge 60

 

1. Einzelarbeit und gesellige Arbeit 60

a. Zur Handmülile 60

b. Gewinnung und Zubereitung der Spinnstoffe .... 77

c. Spinnen, Weben, Klöppeln, Flechten 88

d. Hauswirthschaftliches '. 102

e. Handwerkslieder 109

f. Beim Pflücken 114

g. Aus andern Gebieten 122

2. Arbeiten im Wechseltakt 130

3. Arbeiten im Gleichtakt 142

a. Beim Heben oder Tragen von Lasten 143

b. Beim Emporziehen von Lasten 158

c. Beim Fortziehen oder Schieben schwerer Gegenstände 172

d. Beim Rudern 180

e. Schlussbemerkungen 191

 

V. Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammen-

halten grösserer Menschenmassen 195

 

1. Afrikanische Volker 200

2. Chinesen und andere Ostasiaten ' . . 204

3. Georgier 210

4. Südslaven 224

5. Russen 230

6. Esten und Letten 234

7. Aus deutschem Sprachgebiet 242

Schlussbemerkung 247

 

VI. Gesang mit andern Arten der Körperbewegung .... 250

 

VII. Der Ursprung der Poesie und Musik 299

 

VIII. Frauenarbeit und Frauendichtung 338

 

IX. Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip . 357

 

Anhang (Bootgesänge) 384

 

Nachträge 403

 

Register 406

 

Vorwort

Als ich vor wenig mehr als zwei Jahren die erste

Auflage dieser Schrift in den Abhandlungen der

Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften

veröffentlichte, handelte es sich um eine Anregung.

Bei Gelegenheit einer Untersuchung über die älteren

Formen der Arbeitsvereinigung und Arbeitsgemein-

schaft hatte sich mir eine Reihe von Beobachtungen

aufgedrängt, deren ich auf dem Wege einer rein

ökonomischen Untersuchung nicht vollständig hatte

Herr werden können, da sie einerseits nach dßm Ge-

biete der Physiologie und Psychologie, anderseits

nach dem der Sprachwissenschaft und Musik hinüber-

leiteten und na-mentlich für die Geschichte der Poesie,

speziell der Metrik, wichtig zu werden versprachen.

Ich hielt es zunächst für nicht rathsam, mich auf Ge-

biete zu wagen, auf denen ich aus Mangel der er-

forderlichen Fachkenntnisse Gefahr lief, alsbald zu

straucheln. Auf der andern Seite erschien es mir

als Pflicht, alles vorhandene Material, das mir er-

VI Vorwort.

reichbar war, zu sammeln und mit diesem die Unter-

suchung so weit zu führen, dass sie von den in Be-

tracht kommenden Fachwissenschaften übernommen

und weiter verfolgt werden könnte. Immerhin hatte

mich hierbei mein Weg bis zur Aufstellung einer

neuen Theorie über die Entstehung der Poesie und

der Musik geführt.

 

Nachdem die Schrift in überraschend kurzer Zeit

vergriffen war, trat an mich die Frage der Veran-

staltung einer neuen Auflage heran.. Die Frage war

nicht leicht zu entscheiden. Der Zweck der Anregung

fremder Fachdisciplinen , den ich allein bei Heraus-

gabe der Arbeit verfolgt hatte, schien genügend er-

füllt. Allein es war mir inzwischen viel neues werth-

voUes Material in die Hand gewachsen, und ich hatte

auch manches, was ich bei der alten Auflage als

nicht genügend ausgereift bei Seite hatte liegen

lassen, so weit gefördert, dass es ohne Bedenken ver-

öffentlicht werden konnte. Endlich schien der Gegen-

stand geeignet, weitere Kreise von Gebildeten zu

interessieren. So habe ich mich zu einer durchgrei-

fenden Umarbeitung einzelner Theile und zur Ein-

fügung mehrerer neuer Abschnitte entschlossen, die

einerseits den Gegenstand nach der ökonomischen

Seite weiter aufhellen, anderseits in die ältere

Geschichte der Volksdichtung tiefer eindringen

wollen.

Die Untersuchungen, welche ich hier vorlege^

VII Vorwort

wandeln durchweg auf noch unbetretenen Pfaden,

Dies legte mir die Verpflichtung auf, das Urmaterial,

auf welches sich die Beweisführung zu stützen hat,

so vollständig als möglich und, soweit thunlich, auch

in seiner ursprünglichen Gestalt mitzutheilen. Da

die Zahl der Liederbeispiele in der neuen Auflage

auf das Dreifache vermehrt worden ist und ausser-

dem, soweit als möglich, Melodien beigegeben sind,

so dürfte nunmehr der Stoff für die weitere wissen-

schaftliche Behandlung in genügender Menge vor-

liegen. Es wäre für mich und, wie ich nicht zweifle,

auch für einen Theil der Leser bequemer gewesen,

wenn ich, statt die Quellenbelege einzeln im Wort-

laut vorzuführen, eine zusammenfassende Bearbeitung

derselben hätte geben dürfen; aber eine solche hätte

 

die Gefahr mit sich gebracht, dass die Original-

beobachtungen gerade in ihren charakteristischen

Zügen verwischt und ihre wissenschaftliche Weiter-

benutzung erschwert worden wäre. Man wird mir,

hoffe ich, die vielen Anführungszeichen und auch

einzelne Wiederholungen in den Citaten leichter ver-

zeihen, als man mir die Unsicherheit einer ungenauen

Wiedergabe fremder Beobachtungen verziehen haben

würde.

 

Bei der Sammlung des Materials und der Ueber-

setzung der Texte habe ich mich auch diesmal viel-

seitiger Unterstützung sowohl von Kollegen und Mit-

gliedern meines Seminars als auch sonst von Lesern

 

VIII Vorwort.

 

der ersten Auflage zu erfreuen gehabt. Soweit das so

Dargebotene benutzt werden konnte, sind die freund-

lichen Spender in den Anmerkungen namhaft gemacht

worden. Ebenso habe ich bei der Auswahl der

Musikstücke, bei der Korrektur und der Anfertigung

des Registers bereitwillige Hülfe gefunden. Es ist

mir Bedürfniss, allen, die mir und meiner Arbeit so

ihr Wohlwollen bewiesen haben, auch an dieser

Stelle herzlichen Dank zu sagen.

 

Leipzig, den 30. Mai 1899.

Karl Bücher.

 

Arbeit Und Rhythmus

I. Die Arbeitsweise der Naturvölker. (I)

Obwohl die Arbeit den Ausgangspunkt aller wirth-

schaftlichen Erscheinungen bildet, so ist doch ihr

Wesen bis jetzt von den Nationalökonomen nur selten

einmal gründlicher untersucht worden. Die meisten

behandeln sie wie eine absolute ökonomische Kategorie

und meinen schon ein Uebriges gethan zu haben, wenn

sie auch auf ihre psychologische und socialethische

Seite eingehen. Sie suchen sie dann begriiFlich von

andern Arten menschlicher Thätigkeit (Spiel, Sport,

Kunstübung, Körperbewegung aus Gesundheitsrück-

sichten u. dgl.) zu trennen und finden den Unterschied

meist in dem verschiedenen Zweck dieser Thätigkeiten.

Arbeit soll nur die auf die Erzielung eines ausser

ihr gelegenen nützlichen Erfolgs gerichtete Bewegung

sein; alle Bewegungen dagegen, deren Zweck in ihnen

selbst liegt, sollen nicht Arbeit sein. Ob die Grenze

hier für das Dasein der Kulturmenschen richtig ge-

zogen ist, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls haben

wir die Empfindung, dafs die Arbeit etwas Besonderes,

von allen andern Arten menschlicher Bethätigung

Unterschiedenes und Unterscheidbares ist. Aber es

scheint noch kaum einmal die Frage aufgeworfen

worden zu sein, ob denn auf allen Stufen mensch-

licher Entwicklung eine solche Grenze zwischen Arbeit

 

Bücher, Arbeit and Rhythmus. I

 

2 Erster Theil:

 

und anderweiter Thätigkeit zu ziehen ist und ob nicht

vielleicht auch ihr Wesen im Laufe der Zeit Wande-

lungen unterworfen gewesen ist.

 

Man spricht freilich neuerdings viel von der zuneh-

menden Intensität der Arbeit; aber man versteht dar-

unter doch bloss das wechselnde Verhältniss der Ar-

beitsmenge zur Arbeitszeit, betrachtet also die Arbeit

als eine qualitativ feststehende, zu allen Zeiten gleich-

artige Grösse, die sich messen und summiren lässt

und von der die Menschen bald mehr bald weniger

in eine Zeiteinheit zusammendrängen. Und die gleiche

Auffassung liegt dem Begriffe der gesellschaftlich

nothwendigen Arbeit oder Arbeitszeit zu Grunde.

Auch, wenn man im Zusammenhang damit das phy-

siologische Moment der Arbeit, das allerdings früher

arg vernachlässigt wurde, jetzt mehr hervorkehrt^),

so hat das doch ebenfalls nur den Sinn, dass man

es mit einer zwar geistig bedingten, aber doch an

sich unveränderlichen körperlichen Funktion zu thun

zu haben glaubt.

 

Bei dieser Anschauung schien sich die ganze

Aufgabe des historisch verfahrenden Forschers darauf

beschränken zu können, die gesellschaftliche Organi-

sation der Arbeit in ihren geschichtlich wechselnden

Formen klar zu legen, und wenn er recht gründlich

zu Werke gehen wollte, so Tyarf er etwa noch die

Frage auf, wie die Arbeit ursprünglich in die Welt

gekommen sei. Man beantwortete sie in der Weise,

dass man überall die wirthschaftliche Entwicklung

mit einem Zustande beginnen Hess, in welchem die

 

I) Vgl. Leo von Buch, Intensität der Arbeit, Werth und Preis

der Waaren. Leipzig 1896.

 

Die Arbeitsweise der Naturvölker. 2

Arbeit verabscheut und lediglich als Last empfunden

werde. Für diese Annahme konnte man sich mit

gutem Grunde darauf berufen, dass in verschiedenen

Sprachen die Ausdrücke für Arbeit {jiövog^ labor,

travail, das mittelhochdeutsche arbeit) ursprünglich

den Sinn von Noth, Mühsal, Plage gehabt haben ^).

Und die Ethnographie schien diesen sprachgeschicht-

lichen Beweis zu bestätigen, indem sie die Arbeits-

scheu als einen hervorstechenden Charakterzug roher

Naturvölker bezeichnete und mit zahlreichen Zeugnissen

namhafter Beobachter vonTacitus bis auf den jüngsten

Afrikareisenden belegte'^. »Paresse et sauvagerie

sont synonymes«. »Ihr höchstes Glück ist der Müssig-

gang«; »sie hassen jede Art der Arbeit«. Nur die

dringendste Noth oder der härteste Zwang bringt sie

zu einer widerwillig verrichteten Thätigkeit, und auch

dies nur, wenn andere Mittel der Bedürfnissbefriedigung

versagen.

 

Von diesem Ausgangspunkte, dem horror laboHs,

ausgehend, hat man dann einige weit verbreitete

socialgeschichtliche Erscheinungen zu erklären ver-

sucht, wie das Vorkommen von ganzen Räubervölkern,

die Sklaverei, den Brautkauf, die Ueberlastung der

Frauen auf den primitiven Stufen der Kultur. Der

Starke, meinte man, zwinge den Schwachen, für ihn

zu arbeiten, indem er ihm mit gewaffneter Hand

 

i) Vgl. G, CoHN, System der Nationalökonomie, I. S. 195 —

übrigens der einzige mir bekannte Versuch, der den in diesem Ab-

schnitt verfolgten Gesichtspunkten einigermassen Rechnung trägt.

 

2) Vgl. z. B. W. Schneider, Die Naturvölker, I. S. 254 f.;

LipPERT, Kulturgeschichte der Menschheit, I. S. 38; P. Lafargue,

Le droit ä la paresse, Paris 1883 und jetzt auch G. Ferrero in der

Revue scientifique 4« S^rie, Tome 5 (1896), S. 231 fF.

 

A Erster Theil:

das Seine nehme oder ihn seiner Gewalt unterwerfe,

um sich seine Korperkräfte dauernd dienstbar zu

machen. Die Frau sei bei rohen Völkern blosses

Arbeitsthier; darnach werde sie allein gewerthet und

erlange einen Preis auf dem Markte. Die Institution

der Sklaverei sei eines der wichtigsten »Erziehungs-

mittel der Menschheit«.

 

Das scheint alles einleuchtend, und doch hat

diese Konstruktion schlimme Lücken. Ist unüber-

windliche Faulheit der Menschen ältestes Erbtheil,

wie konnten sie dann überhaupt sich über die Existenz

des früchtesammelnden und wurzelgrabenden Thieres

emporheben? Räubervölker fanden nichts zu rauben,

wenn nicht andere Völker arbeiteten und Vorräte an-

legten. Und was die erzieherische Rolle der Sklaverei

betrifiFt, so pflegen wir doch sonst als Grundbedingimg

jeder erfolgreichen Erziehung die anzusehen, dass

der Erzieher selbst die Eigenschaften besitzt, welche

er in andern erwecken soll. Gewiss hat die Sklaverei

erfahrungsgemäss die Wirkung, dass sie die Arbeit

der Verachtung anheimgiebt, den Herrenstand selber

aber faul macht. Aber soweit die Geschichte reicht,

sehen wir sie doch überall mit einem Zustand be-

ginnen, in dem Herr und Knecht gleichmässig sich

an der Arbeit betheiligen, wenn auch die fernere

Entwicklung die Last der Arbeit dem letzteren, den

Genuss ihrer Früchte dem ersteren zuweist.

 

Wir müssen darnach den Versuch, die Entstehung

und erste Entwicklung der Arbeit an ihr Gegenstück,

die »angeborene Trägheit« des Menschen, anzuknüpfen,

als misslungen ansehen. Es handelt sich hier in der

That um eine fable convenue, und wenn wir die

zuverlässigeren Beobachter des Lebens der Natur-

 

Die Arbeitsweise der Naturvölker. 

Völker genauer befragen, so finden wir, dass dieselbe

auf eine durchaus unzulässige Uebertragung der social-

ethischen Vorstellungen unserer Kulturwelt zurück-

geht. »Der Naturmensch leistet, im Ganzen genommen,

oft ein nicht geringeres Maass von Arbeit als der

Kulturmensch; aber er leistet sie nicht in regelmässiger

Weise, sondern gewissermassen sprungweise und

launenhaft. . . . Die angespannte, regelmässige Arbeit,

das ist es, was der Naturmensch scheut«^). Den

Eindrücken des Augenblicks gehorchend gewährt er

eher das Bild der Vielgeschäftigkeit; aber es scheint

ihm nicht ernst mit seinem Thun; er kennt keinen

Unterschied zwischen Spiel und Arbeit, nützlicher

und unterhaltender Thätigkeit.

 

Folgende Schilderung eines englischen Missionars ^

dürfte auf alle primitiven Völker Anwendung erleiden:

>In seinen täglichen Beschäftigungen sieht man den

Neuseeländer selten mit einer mehrere Stunden an-

haltenden Ausdauer einem Geschäfte obliegen. Denn

da er die Zeit nicht richtig zu schätzen weiss, so ist

es ihm etwas völlig Gleichgiltiges, wann dies oder

jenes vollbracht sein wird. Seine ganze Lebensweise

 

1) Ratzkl, Völkerkunde, II. S. 120.

 

2) NiCHOLAS, Reise nach und in Neuseeland (Bertuch'sche Bibl.

der wicht. Reisebeschreibungen. XVIII.), S. 442. — Vgl. auch Finsch,

Samoafahrten, S. 66, wo das Verhalten einer Gruppe Eingeborener von

Neu-Guinea geschildert wird, die zur Errichtung eines Kohlenschuppens

gemiethet waren: »Die Arbeit wird oft unterbrochen; einige müssen

rauchen, Betel essen, kochen oder ein bischen schlafen, wie sie das

bei ihren eigenen Arbeiten gewohnt sind, und daran muss man sich

gewöhnen, wenn überhaupt etwas geschehen soll. Denn diese Natur-

kinder kennen anhaltende Arbeit in unserm Sinne überhaupt nicht,

und bei allen Papuas und Kanakas lodert der erste Eifer mächtig auf,

erlischt aber ebenso schnell.^:

        6 Erster Theil:

ist eine bloss desultorische, und es kann ihm nicht

einfallen, seine Verrichtungen regeln zu wollen durch

Festsetzung gewisser Stunden dafür. In allem der

Natur folgend — bloss in der Mässignng nicht, welche

sie ebenfalls vorschreibt — isst er bis zur Ueber-

füUung des Magens, sobald ihn hungert, legt sich

schlafen, sobald Müdigkeit und Schläfrigkeit sich ein-

stellt und beginnt einen Tanz oder einen Gesangs

sobald er durch seine aufgeregten Lebensgeister den

Sporn dazu in sich fühlt.«

 

Das ist die Darstellung eines Lebens, das keinen

äusseren Zwang kennt, keinen Beruf, keine sociale

Pflicht und in welchem jeder seine Thätigkeit ledig-

lich nach den eigenen unmittelbar sich geltend-

machenden Bedürfnissen einrichtet, für die Befriedi-

gung dieser Bedürfnisse aber doch ausschliesslich auf

die eigene Arbeit angewiesen ist. Dieses Leben ist,

nach unserem Maasse gemessen, plan- und ziellos; es

kennt keine eigentliche Lebensfürsorge, keine Arbeits-

und Mahlzeiten, keinen geordneten Wechsel zwi-

schen Thätigkeit und Ruhe. Aber wenn ein solches

Dasein auch nicht geregelt ist, so ist es doch voll-

kommen ausgefüllt; der Naturmensch würde es gegen

kein anderes vertauschen^). So lange diese Daseins-

bedingungen aber dauern, werden sie auch eine sitt-

liche Auffassung des Lebens erzeugen, die der unsrigen

schnurstracks zuwiderläuft. Daher jene unüberbrück-

baren Gegensätze des wirthschaftlichen Verhaltens

und des sittlichen Empfindens, wie sie uns so oft in

Colonialländern zwischen Eingeborenen und Einge-

 

i) Vgl. die geistvollen Darlegungen von Peschel, Völkerkunde

(2. Aufl.), S. 155 ff.

 

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 7

wanderten entgegentreten. Man hat immer ge-

glaubt, dass es genüge, den »Wilden« die Technik

unseres Ackerbaus, unseres Handwerks zu lehren,

um ihn in raschen Schritten zur Höhe europäischer

Wirthschaftskultur emporzubringen und schloss auf

bösen Willen, schlechte Charakteranlage, wenn es

nicht gelang. Aber man übersah, was der Natur-

mensch mit sicherem Instinkte erkannte, dass unsere

Kultur seinem physischen Wohlbefinden nichts hin-

zuzufügen vermag, dass unsere Gesittung ihm als

Unfreiheit erscheinen muss. Daher die merkwürdige

Erscheinung, dass manche Naturvölker nach jahr-

hundertelanger Berührung mit Europäern in ihrem

wirthschaftlichen Verhalten keinen Schritt vorwärts

gethan haben.

 

«Was die Beschäftigung der Indianer betrifiFt« —

heisst es in einer neueren Schilderung der Urbewohner

Guyanas^) — »so ist es selbstverständlich, dass der

überwiegend grössere Theil aller Arbeit den Frauen

zufallt; die Herren der Schöpfung beschäftigen sich

am liebsten und vorwiegend mit gar nichts; mit

Trinken, Schwätzen, oder Liegen in der Hängematte

vertrödeln sie ihre Zeit, Tage, Jahre — ihr Leben.

Nur der Trieb der Selbsterhaltung und der eiserne

Naturzwang veranlasst sie, gewisse Arbeiten, die sie

ihren Frauen nicht aufbürden können, selbst zu ver-

richten. DcLzu gehört die Jagd auf Fische und Thiere

des Waldes, der Bau der Hütten und der Corjale

(Baumkähne). Irgend welche regelmässige Arbeit

will und wird der Indianer nie verrichten: ich glaube

 

i) JOEST, Ethnographisches und Verwandtes aus Guyana (Suppl.

zu Bd. V des Intern. Arch. f. Ethnogr.), S. 83 f.

        8 Erster Theil:

auch nicht, dass er dazu im Stande ist. Wollte man

ihn mit einer Peitsche zu einer solchen zwingen, so

würde er sterben, ebenso wie etwa eine Katze bei

uns, die man vor einen Hundekarren spannen würde.

Durch Versprechen einer oder mehrerer Flaschen

Branntwein, von Schiesspulver, oder von Arzneien,

die der Indianer gern gebraucht, kann der Europäer

ihn wohl veranlassen, einen Fisch oder ein Stück

Wild zu schiessen, vielleicht selbst einen Baum zu

fallen; sobald der Indianer aber sein Versprechen

gelöst oder einmal einen Tag gearbeitet hat, wird

er seinen Lohn fordern, denselben vertrinken, sich in

seine Hängematte legen und die nächsten 8 oder 14

Tage zu keiner weiteren Arbeit zu bewegen sein.

Mit den Leuten ist einfach gar nichts anzustellen.

Dabei sind sie sehr geschickte Fischer und Jäger,

und auch ihre Corjale werden gern von den Weissen

gekauft.«

 

»Zur Jagd auf grössere Thiere bedienen sie sich

unserer Gewehre und Büchsen; Schildkröten, Fische

und selbst Wasserschweine erlegen sie mit Bogen

und Pfeilen. Sehr hübsche und praktische Ruder,

bezw. Schaufeln schnitzen sie aus Cedernholz und be-

malen dieselben später zierlich mit allerhand Zeich-

nungen ; ihre ausMauritiusfasem, -blättern und -Stengeln

geflochtenen Segel bieten dem heftigsten Sturm Wider-

stand; dennoch arbeitet der Indianer nu/ aus Noth

oder zum Zeitvertreib.«

 

»Viel thätiger sind ihre Frauen. Eine Indianer-

Hausfrau muss ausserordentlich viel arbeiten. Abge-

sehen von ihren Pflichten als Mutter, Köchin, Wäscherin,

Spinnerin, Weberin, Last- und Arbeitsthier im All-

gemeinen, hat sie die Maniok-, Bananen-, Pfeffer-

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 9

u. s. w. -Bäume und -Felder in Ordnung zu halten^

während sie den Rest ihrer Zeit durch Anfertigen

von Töpfen, Körben u. s. w. ausfüllt, deren Erlös

später, allerdings nicht von dem Gatten allein, ver-

trunken wird.«^)

 

Prüft man eine solche Darstellung näher, so über-

zeugt man sich, dass doch von diesen Naturmenschen

im Ganzen eine recht ansehnliche Menge Arbeit ge-

leistet wird, und zwar nicht bloss von den Frauen,

sondern auch von den Männern. Nur steht diese

Arbeit unter anderen Impulsen und Voraussetzungen

als die des Kulturmenschen. Es ist Bedarfsarbeit,

keine Erwerbsarbeit, Arbeit, auf die nicht bloss der

Besitz, sondern auch der Genuss folgt. Und es ist

sehr zu bezweifeln, ob diese Arbeit von dem Natur-

menschen als Last empfunden wird, da sie freiwillig

und oft in einem das unmittelbare Bedürfniss über-

steigenden Umfange übernommen wird.

 

Allerdings erscheint, rein technisch betrachtet,

diese Arbeit als ausserordentlich mühevoll. Drei Dinge

fallen dabei besonders ins Gewicht: die UnvoUkommen-

heit der technischen Hilfsmittel, die Komplicirtheit

der Arbeitsprozesse und der ausgesprochen künstle-

 

I) LiviNGSTONE, Letzte Reise (herausg. v. Waller) S. 265 fasst

das Ergebniss seiner Beobachtungen an den Negern folgendermassen

zusammen : )>Mein langer Aufenthalt hier giebt ' mir Gelegenheit zu be-

obachten, dass sowohl die Männer als die Frauen fast beständig thätig

sind. Die Männer flechten Matten oder weben oder spinnen. Die

einzige Zeit, wo ich die Leute müssig sehe, ist des Morgens, ungefähr

um 7 Uhr, wo Alle kommen und sich niedersetzen, um die ersten

Strahlen der Sonne zu begrüssen, und selbst diese Zeit wird vielfach

dazu benutzt, Perlen aufzuziehen.4: Vgl. auch die schöne Schilderung

des Fleisses der Mandingo bei Mungo Park, Life and Travels

p. 227.

        10 Erster Theil:

rische Charakter aller ihrer Produkte, die auf längere

Dauer berechnet sind.

 

Die Unvollkommenheit der technischen

Hilfsmittel tritt uns augenfällig in unseren Museen

für Völkerkunde entgegen, wo neben einem ausser-

ordentlichen Reichthum an Gefassen. Schmucksachen,

Geräten, Flecht- und Webstoffen die Zahl imd Mannig-

faltigkeit der Werkzeuge auffallend gering ist. So

vielerlei Anregung das Kunstgewerbe aus solchen

Sammlungen schöpfen kann, so gering ist darum ihr

Nutzen für die Technik^), Meist sind jene Werkzeuge

oberflächlich dem menschlichen Gebrauch angepasste

Naturgegenstände (Steine, Keulen, Muscheln, Gräten,

Knochen). Der Erfolg der Arbeit hängt fast ganz

von der Gewandtheit und Muskelkraft des Arbeiters

ab. Technische Fortschritte bürgern sich sehr lang-

sam ein, weil sie immer nur in sehr kleinen Etappen

sich vollziehen können und weil die Erleichterung,

welche sie gegenüber dem seitherigen Verfahren ge-

währen, zu gering ist, um die Mühe ihrer Anwendung

lohnend erscheinen zu lassen. Nichts kanii darum

unrichtiger sein, als jene gelehrten Konstruktionen,

welche ganz neue Kulturepochen an das Aufkommen

der Töpferei oder Eisenbearbeitung, die Erfindung

des Pfluges oder der Handmühle knüpfen. Völker,

welche das Eisen kunstgerecht zu Beilen und selbst

zu Pfeifenröhren zu verarbeiten verstehen, bedienen

sich noch jetzt hölzerner Speere und Pfeile^ oder

 

1) Näheres über den Werkzeugbestand der Naturvölker bei

Ratzel, Völkerkunde, L S. 86. 233. 478, 502.

 

2) Alexander M. Mackay, Pionier-Missionar von Uganda. Von

seiner Schwester. Leipzig 1891. S. 196. Livingstone, Letzte Reise

(herausg. von Waller, deutsche Ausgabe") I, S. 116.

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 11

bauen den Acker mit dem hölzernen Grabscheit, ob-

wohl es ihnen an Rindern nicht fehlt, die den Pflug

ziehen könnten. Den letzteren kennt überhaupt kein

eigentliches Naturvolk^). Die ursprüngliche Land-

wirthschaft der Neger und der Polynesier, der Süd-

asiaten und der Indianer ist eine intensive Garien-

kultur^.

 

»Es ist seltsam«, schreibt der frühere Ingenieur

Mackay*), der als Missionar vierzehn Jahre in Ost-

afrika gelebt hat, »dass wohl bei allen Stämmen

Innerafrikas die Eingebomen keine andere Art, das

Holz miteinander zu verbinden, kennen, als die des

gewöhnlichen Zusammenbindens. Darum ziehen sie

auch das mühsame Aushöhlen von Stämmen vor.

Ruder sind unbekannt. Mit löffelartigen Hölzern be-

wegen sie das Boot vorwärts. Das strengt selbst-

verständlich sehr an, da dem Eingeborenen nichts

vom Hebel oder irgend einem derartigen Kunstgriff

bekannt ist, um sich Arbeit zu ersparen. In allem

wird die Arbeit schlechtweg durch rohe Kraft-

anstrengung bewältigt; daher sind die Menschen

auch vor der Zeit abgenützt, weil sie eben mit ihrer

Kraft nicht hauszuhalten verstehen. Sehr selten be-

gegnet man einem alten Mann oder einer alten Frau.

Ihre Kräfte sind im mittleren Lebensalter schon ver-

braucht, und dann sterben sie. Wohl giebt es Metall,

aus welchem die Eingebornen Werkzeuge herstellen

 

i) Hahn, Die Hausthiere und ihre Beziehungen zur Wirthschaft

des Menschen. Leipzig 1896. Ratzel a. a. O. S. 86.

 

2) Beiläufig eine merkwürdige Illustration für den unhistorischen

Charakter der RiCARDo'schen Grundrentenlehre und der THÜNEN'schen

Theorie.

 

3) a. a. O. S. 72.

        12 Erster Theil:

könnten. Eisen findet man fast überall; allein nur

die Hacken, Speere und Pfeilspitzen werden daraus

verfertigt; diese werden mit Aufwendung grosser Kraft

und auf ureinfachste Weise hergestellt.«

 

Aus der Werkzeugarmut und der Unbekannt-

schaft mit wirksameren Verfahrungsweisen erklärt es

sich, weshalb bei einzelnen Naturvölkern bestimmte

Techniken eine so umfassende Anwendung gefunden

haben, insbesondere die Flechtkunst, die Töpferei,

die Leder- imd Filztechnik, die Holzschnitzerei, wäh-

rend andere wieder gänzlich unentwickelt geblieben

sind. Freilich nicht aus diesen Umständen allein.

Die Natur hat ihre Gaben ungleich ausgetheilt, und

jedes Volk hat natürlich nach dem zuerst gegrifiFen,

was ihm die nächste Umgebung seines Wohnplatzes

bot. Daraus ergab sich von selbst eine einseitige

Entwicklung der technischen Fertigkeiten, deren Ver-

theilung unter den Naturvölkern somit durch die

Natur des Bodens bedingt erscheint.^)

 

So erklärt es sich aber auch, wesshalb wir eine

Reihe der komplicirtesten Arbeitsprozesse schon

auf sehr früher Stufe der wirthschaftlichen Entwick-

lung finden. Man denke nur an den Anbau und die

Zubereitung des Reis, des Mais, der Durrah, des

Waizen, das Dreschen, Reinigen, Enthülsen der

Kömer, das Mahlen auf der Handmühle, das Brot-

backen, an die umständliche Zubereitung der Maniok-

wurzel bei den Südamerikanem^, ferner an die Vor-

 

i) Vgl. meinen Vortrag: Die Wirthschaft der Naturvölker, Dres-

den 1898, S. 21.

 

2) JOEST a. a. O. S. 84. K. von den Steinen, Unter den

Naturvölkern Centralbrasiliens. S. 60. 210. 490. Ratzel a. a. O. I.

S. 509.

 

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 13

bereitung der Faserstoffe, das Spinnen und Weben,

die Herstellung der Rindenzeuge, das Flechten nicht

nur von- Matten und Körben, sondern auch von wasser-

dichten Schüsseln und Flaschen, die Aushöhlung von

Baumstämmen zu Kähnen und Mörsern mittels des

Feuers oder der Steinaxt — alles Ketten ausser-

ordentlich langwieriger Operationen, die in jedem

Glied grosses Geschick und vielseitige Uebung vor-

aussetzen, und man wird sich leicht überzeugen, dass

auch auf dieser untersten Stufe der Kulturentwick-

lung das Leben des Menschen nicht im Müssiggang

verfliessen konnte. Bis der Hanf oder Flach'fe ge-

wonnen und zum rohen Gewebe verarbeitet ist, be-

darf es einiger zwanzig verschiedener Operationen,

von denen manche, wie das Reffen, Brechen, Spinnen,

Weben, dazu noch recht langwierig sind^). Die Be-

reitung der. Maisfladen, die den Peruanern das Brot

ersetzten, war so mühsam und zeitraubend, dass den

damit beschäftigten Weibern kaum Zeit zu anderen

Arbeiten blieb und man damit geradezu die Viel-

weiberei zu erklären versucht hat^. Die Uaup^s in

Brasilien tragen an einer Schnur um den Hals Cy-

linder aus milchweissem Quarz. »Diese Steine er-

halten sie roh aus dem fernen Westen, und ihre

Politur und Durchlöcherung ist bei dem Mangel me-

tallener Werkzeuge manchmal ein Werk zweier Ge-

nerationen«^). Das Weben der Lambas aus Rafia-

 

i) Ueber die Flachsbereitung der Neuseeländer und anderes hier-

her Gehörige vgl. die interessanten Ausführungen von £. Shortland,

Traditions and Superstitions of the New-Zealanders (London 1856),

p. 205 fF.

2) Ratzel a. a. O. I. S. 604.

3) MaIltius Zur Ethnographie Amerikas, zumal Brasiliens, S. 595.

 

faser auf Madagaskar schreitet so langsam vorwärts,

dass es oft Monate dauert, ehe ein Stück fertig' wird.^).

Wall.ace schätzt einen Zoll als täglichen Zuwachs

an den schmalen Sarongs ländlicher Webwinnen in

Süd-Celebes. In Üstafrika arbeitet der Weber höch-

stens drei Stunden am Ta§e und bedarf einer Woche,

um ein Stück Zeug fertig zu machen-). Nordameri-

kanische Indianer sollen manchmal mehrere Monate

brauchen, um eine Hängematte auf luivollkonunenem

Webstuhl zu Stande zu bringen-'l und mehrere Jahre,

um einen ßaumkahn auszuhühlen. sodass das Holz

bereits zu faulen beginnt, ehe das Werk beendet ist*).

 

Die Langsamkeit, mit welcher die WUden ihre

Arbeiten vorwärts bringen, ist so gross, dass ein Be-

obachter das Fortschreiten ihrer Produkte mit dem

Wachsthum der Pttanzen verglichen hat. Man hat

auch das ihrer Faulheit zugeschrieben; aber man be-

denkt nicht, wie ungünstig die Umstände sind, unter

denen diese Arbeit verrichtet wird. Ueberall muss

die schlecht oder gar nicht bewaflnete Hand das Werk

liefern, und es wird eine Eigenschaft in hohem Maasse

in Anspruch genommen, die gemde dem Naturmen-

schen am meisten fehlt: die Ausdauer.

 

In einem seltsamen G-egensatze zu diesen Be-

 

p;lienso lan^ Zeit brauchten die N'ttusetfliinder, am eine ihrer Waffen

.111« Grütistein ai formen anil i\i s<;iiiciä:n: Reise der üätecr. Fr^aEte

Mi^vara, Beich reibender Theil, HT, 3. II 5.

 

1) Rat^rt, a. a. O. I. 3. +23 n. juy.

 

2) Andrfr, Die Expeditionen Bnrton's nn<i Speke's von Zaniibar

Wis 7.am Tanpinyika- und Nvanaa-See. 3. 342.

 

i) Basoroft, cit. bei Waiti, .\nclirupo[ogie III, S. J77.

 

4) FFBBRRf) a. a. O. S. 332. — Am Tinginyika erfordert die

Aoihöhlunjf eines Banrnkalina mehr als drei llunate; dabei sind die

Jlarhharn hehilflich: STASLEy, Wie ich Livingstune und II, S. 150,

 

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 15

obachtungen steht die unleugbare Thatsache, dass

diese Völkei: so ausserordentlich viel, nach unserem

Empfinden durchaus üb erflüssige Arbeit verrichten»

Es ist wohl kaiun zu viel gesagt, wenn ich behaupte,

dass • kein Lebensbedürfniss von ihnen eine solche

Menge langwieriger Arbeitsverrichtungen erfordert,

als das Bedürfniss des Schmuckes: das Ordnen des

Haares, die Bemalung des Körpers, das Tättowieren^

die Anfertigung zahlloser Nichtigkeiten, mit denen

sie die Gliedmassen verzieren. Und dieselbe Neigung

zu künstlerischer Ausgestaltung und Aus-

schmückung bethätigen sie bei der Anfertigung

fast aller Gegenstände dauernden Gebrauchs. Viele

von diesen sind spielerische Nachahmungen von Thier-

figTiren, und wo es das Material irgend gestattet, ist

eine Neigung und ein Geschick für bildnerische Be-

handlung bethätigt, die ebensowohl wegen der Müh-

seligkeit der Ausführung als wegen der Geduld, die

sie erforderte, unser höchstes Erstaunen erregt. Selbst

die armseligen nackten Waldvölker Centralbrasiliens

haben einen ausserordentlichen Reichthum der Orna-

mentik an ihren der Zahl nach sehr beschränkten

Geräten und Werkzeugen^). Ebenso die auf der

gleichen Stufe stehenden Papuas in Neu -Guinea»

»Alle ihre Werkzeuge bestehen aus Holz, Stein,

Muschel, Knochen; sie verstehen nicht die Gewin-

nung imd Bearbeitung irgend eines Metalls. Be-

trachtet man aber ihre primitiven Holz-, Muschel-

und Steingerätschaften, ihre Gefasse aus Kürbis oder

Kokosnussschale, wie sehen wir einen siegreichen

 

i) Karl von den Steinen, Unter den Naturvölkern Central-

brasiliens, S. 241 ff.

 

^j^^Hcbmack alle>, auch da- Ki^^inste durchdrirg^n

-y^TeiJn man Hunderte vor. Gebraiichsi»^!eeiisraiiflen

^4*r Waffen der Papua:> durchmustert, so Triri mar

^Iten oder nie ein eiiiijjje^ Stück -hnnen . Treicfie>

^x'xdh^ wenijjf5>tens durch eine kleine- Verzienm^ Zeue-

1X12^^ für den Schönheit:>Mnn seiner Verfendeer ablegt,

oicbt etwas an ^ich tr^gt, was über die g-ewöhniicfie

^üt^lic^^^i^ hinaufgeht. Dazu die Vieieestaitjcrkeit

\xn^ ^^'^ Abwechsiunjcfsn^ichthum der Muster, die ieb-

liatte und ebt*u>o vJtJ^chmackvolie Farbemreudiekeit; . ^

 

Das Riithi>eihaüe diet-er trscheinun^ klärt sich

/.ii'inlich einicich auf. Zunächst wirkt künstlerisches

gülden und Gesiaiien an und für sich anrefirend und

tiuurnt zur Thätigkeit. Aber mit der Yollendtmz: des

Werkes erkaltet nicht di«:* Freude an ihm. Wie der

is-Cirperschmuck das einzige Mittel ist, dm-ch weiches

<ier primitive Men^ch sich au> der Heerde seiner Ge-

nossen heraushebt, sich in: waiiren Wortsrrme alls-

te lehnet, so bleibt auch jedes Werk seiner Hände

iort gesetzt ein Zubehör seiner Persönlichkeit. I>*i in

der Regel jeder s*:'in Arbeitsprodukt auch selbst zu

gebrauchen beabsichtigt, so theiit sich die Freude

und die hhre des besitze^ schon der Neele des Ar-

b»'iiend»^n mit und ermuntert ihn um so mehr zur

Au>Uauer. je n^ih^rr da> Lrzeugniss der Voliendunc

l»v>iniii:. L>cts Erzeugnis^ selbst wieder tragt nach

^'wp'uii^' und Btsstinmiung em ausgesprochen indi-

vMtiu.'Ut.s l.tt'prcig«:*: ai^ VerkoriTerung individuelifc

***'l>.-»t und als Ausrüstung für da> Leben wird es

^''•«»'. *'*/.Mi:lioh j:u emen: ^tück der Person, die es

 

* •'' « * ? f"

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 17

schuf. Diese Auffassung geht so weit, dass man sich

jener Dinge niemals entäussert, nicht einmal mit dem

Tode. Bei vielen Völkern wird dem Einzelnen seine

ganze bewegliche Habe mit ins Grab gegeben*), und

die Sammler ethnographischer Museumsstücke stossen

anfanglich überall auf eine unüberwindliche Abnei-

gung, Gegenstände täglichen Gebrauchs zu veräussem

— eine Abneigung, die selbst bei solchen Dingen

hervortritt, welche ohne grosse Mühe wieder zu er-

setzen sind.

 

In dieser fortdauernden Gemeinschaft des Pro-

ducenten und des Produkts liegt gewiss ein kultur-

fördemdes, die Arbeitsmühe erleichterndes Moment.

Was heute nur der bildende Künstler, der Dichter,

der Gelehrte an ihren Werken erfahren, dass sie

Ruhm bringen, das war gewiss ursprünglich jedem

gelungenen Erzeugniss der Menschenhand eigen, und

die Freude des Schaffens, die der Kulturmensch fast

nur noch bei der Geistesarbeit recht empfindet, muss

den Naturmenschen überall beseelt haben, wo er Ge-

räte und Schmuck, Werkzeuge und Waffen hervor-

zubringen versuchte.

 

Damit hätten wir ein doppeltes Motiv zur Arbeit

aufgedeckt, das dem Naturmenschen eigenthümlich

ist und das bei der gesellschaftlichen, für den Aus-

tausch erfolgenden Arbeit des Kulturmenschen fast

ganz in Wegfall gekommen ist: die mit dem Schaffen

an und für sich verbundene Freude und die mit dem

Besitze und Gebrauche des eignen Arbeitsproduktes

verknüpfte Ehre. Aber diese Motive konnten doch

 

I) Vgl. meine Entstehung der Volkswirthschaft (2. Aufl. Tübingen

1898), S. 27 fr.

 

        Bücher, Arbeit und Rhythmus. 2

        18 Erster Theil:

bloss bei Gütern dauernden Gebrauches wirksam

werden, nicht auch bei solchen raschen Verzehrs,

bei denen künstlerische Ausschmückung überhaupt

nicht in Betracht kommt, die Gebrauchsbestimmung

aber nebensächlich ist, weil sie mit einmaligem Ge-

brauche untergehen. Und doch bilden Güter dieser

Art die Hauptmasse der Produkte, und ihre Her-

stellung erfordert die langwierigsten und einförmig-

sten Verrichtungen. Man denke nur an die müh-

same Zubereitung der Nahrungsmitteil Hier finden

wir denn auch, dass die Arbeit immer nur dann

unternommen wird, wenn das Bedürfniss der Stunde

sie gebietet. Gebrauchsfertige Vorräte kennt der

Haushalt der Naturvölker gewöhnlich nicht. Ein

neuer Esser, der sich einstellt, setzt den Wirth in

Verlegenheit. Er muss warten, bis das Korn ge-

mahlen, das Brot gebacken ist, und es bildet einen

stehenden Zug in den Reiseberichten, wie die An-

kunft eines Fremden die Frauen zwingt, für ihre

Arbeit die Nacht zu Hilfe zu nehmen^), da sie in

ihrem regelmässigen Tagewerk nur so viel zu schaffen

vermögen, als der eigene Haushalt braucht.

 

Dennoch wird auch diese Arbeit geleistet, und

zwar mit den armseligsten Hilfsmitteln in beschwer-

lichem, Ausdauer forderndem Verfahren. Es muss

also ein weiteres Moment vorhanden sein, welches

der Mühsal der Arbeit das Gegengewicht hält, ihre

Unlust überwinden hilft.

 

Man hat als solches einen »Thätigkeitstrieb« oder

»Produktionstrieb« angenommen, dessen Befriedigung

 

I) Vgl. A. Mackay a. a. O., S. 56. K. v. d. Steinen a. a. O.,

S. 268.

 

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 19

dem Menschen an und für sich Genuss gewähre. Be-

kanntlich hat Ch. Foürier diese Auffassung für sein

kommunistisches System verwerthet, und sie wird

sich um so weniger abweisen lassen, als die Beob-

achtungen bei Kindern sie zu unterstützen scheinen.

 

Aber gerade am Kinde, dessen Thun und Denken

so oft uns das Verständniss primitiver Lebensfühnmg

vermitteln muss, finden wir die gleiche Unbeständig-

keit im Handeln, den gleichen Mangel an Geduld

und Ausdauer, die gleiche Neigung, rasch wechseln-

den Empfindungen sich hinzugeben. Und diese Eigen-

thümlichkeiten treten doch nun einmal in schroffen

Gegensatz zu der Nothwendigkeit langwieriger, eine

anhaltend gleichmässige Kraftaufwendung erfordern-

der Arbeitsprozesse. Die Thätigkeit des Kindes ist

Spiel; sobald man ihr einen ernsten, mit Ausdauer

zu verfolgenden Zweck setzt, erweckt dieselbe Be-

schäftigung, die eben noch — vielleicht in Nachah-

mung der Erwachsenen — mit Lust geübt wurde,

Unlust und Widerwillen. Erst eine lange Erziehung

überwindet die tiefe Kluft zwischen Laune und Pflicht-

gefühl.

 

Wir kommen also auch mit dem »Thätigkeits-

trieb« um keinen Schritt der Lösung unserer Frage

näher. Dagegen scheint die Feststellung, dass der

sogenannte Thätigkeitstrieb beim Kinde mit dem

Spieltrieb zusammenfallt, für unsere Betrachtung nicht

ganz werthlos.

 

Es ist bekannt, dass auch die primitiven Völker

Thätigkeiten, die den Charakter des Spieles tragen,

mit grossem Eifer und einer für uns unbegreiflichen

Ausdauer üben. Zu diesen gehört in erster Linie

der Tanz. Es giebt kaum eine Thatsache aus dem

2*

        20 Erster Theil:

Leben der Naturvölker, welche besser festgestellt

wäre als die allgemeine Verbreitung, die häufige und

ausdauernde Uebung des Tanzes*). Bei den verschie-

densten Gelegenheiten wird er vorgenommen, und

es scheint vergebliches Bemühen, ihn unter irgend

eine gemeinsame Zweckbestimmung zu bringen, wie

etwa die des Kultus, der Trauer, der Liebe. Auch

die Unterscheidung von gymnastischen und mimischen

Tänzen erschöpft den Reichthum seiner Erscheinungs-

formen keineswegs. Es sind diese Dinge aber auch

für unseren Zweck nebensächlich. Genug, dass alle

Naturvölker tanzen, tanzen bis zur Raserei und zur

Erschöpfung ihrer Kräfte, oft bis die Tänzer mit

blutigem Schaum vor dem Munde zu Boden sinken.

An diese Beobachtungen anknüpfend bemerkt

Ferrero^) mit Recht, es könne unmöglich das Mo-

ment der körperlichen Ermüdung sein, welches den

Wilden die Arbeit verhasst macht. Der Hauptunter-

schied zwischen der produktiven Arbeit des Kultur-

menschen und der Thätigkeit des Naturmenschen sei

ein dreifacher. Die erstere gehe regelmässig und

methodisch, die letztere unregelmässig und stossweise

vor sich. Die erstere fordere desshalb von dem

Arbeiter eine Willensanstrengung, um die Wider-

stände zu überwinden, welche sein Organismus der

 

i) Vgl. LufiBOCK, Die Entstehung der Civilisation, übers, von

Passow, S. 212 f. Ratzel, Völkerkunde, I. S. i8o. i88. 206. 319.

370. 465. AcHELis, Moderne Völkerkunde, S. 436. Grosse, Die

Anfänge der Kunst, S. 198 ff.

 

2) a. a. O. S. 333. Ich halte es für nöthig zu bemerken, dass

meine Untersuchung bereits abgeschlossen war, als mir der Aufsatz

von Ferrero bekannt wurde. Insbesondere hat derselbe mich nicht

veranlasst, an dem folgenden Kapitel ein Wort zu ändern.

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 21

Arbeit entgegensetze, die letztere löse nur die in den

psychischen Centren angehäufte Nervenkraft aus. So-

dann bedürfe die Arbeit des Kulturmenschen bei

ihrer Ausführung immer erneuten Nachdenkens und

erneuter Willensbethätigung; jeder einzelne Akt wolle

überlegt sein, während der Tanz und ähnliche Lieb-

lingsbeschäftigungen der Wilden sich automatisch

vollzögen. Der Tänzer habe nur beim Beginne des

Tanzes eine Anstrengung nöthig, um seine Miiskeln

in Bewegung zu setzen; dann aber rufe jede vollen-

dete Bewegung eine neue ohne weitere Willens-

bethätigung hervor, und die Schnelligkeit der Be-

wegungen steigere sich ebenso in ihrem weiteren

Verlaufe automatisch wie die Aufregimg des Tanzen-

den. Endlich wecke der Sport den Wilden Lust-

gefühle, welche mit der Verdunkelung des Bewusst-

seins sich einstellen sollen, während die produktive

Arbeit Unlust erzeige, die mit der fortgesetzten

Spannung der Aufmerksamkeit in Zusammenhang ge-

bracht werden.

 

Damach sei das Widerstreben des primitiven

Menschen gegen die Arbeit psychischen Ursprungs;

nicht die Ermüdung der Muskeln veranlasse es, son-

dern die Abneigung gegen jede Geistes- und Willens-

anstrengung. Alle Thätigkeiten dagegen, die wie

der Tanz zwar einen sehr hohen Grad der Erschöpfung

und Ermüdimg zulassen, aber nur eine sehr geringe

Anstrengung des Denkens und WoUens erfordern,

seien dem Naturmenschen angenehm, weil sie ihm

ein bequemes Mittel böten, »die in den Organen des

Geistes angehäufte Nervenkraft zu entladen, ohne

jenen Zustand geistiger Trägheit, in dem er sich so

wohl befinde, zu stören.«

 

        22 Erster Theil:

Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Analyse

nach der psychologischen Seite völlig zutreffend ist;

unrichtig ist ganz gewiss die Anwendung, welche

Ferrero von dem Ergebnisse, zu dem er gelangt ist,

macht, um die beiden einzigen Arbeiten, in denen

die Wilden nach seiner Ansicht sich auszeichnen

sollen, Jagd und Krieg, zu erklären. Letztere beiden

Beschaftigxmgen sollen nämlich bei diesen Völkern

einen vorzugsweise automatischen Charakter anneh-

men; die 616ments intellectuels et volitifs sollen bei

ihnen eine geringe RoUe spielen. Dies widerspricht

allen direkten Beobachtungen, welche vielmehr den

Scharfsinn, die Schlauheit, die Umsicht der primitiven

Jagd und Kriegführung immer wieder konstatirt

haben. Es muss also die Vorliebe der Naturvölker

für diese beiden Thätigkeiten, die ihrem Nachdenken

und ihrer Entschlossenheit so vielerlei nicht voraus-

zusehende Aufgaben stellen, in anderer Weise er-

klärt werden.

 

Eins aber ist gewiss von Werth in der Arbeit

des italienischen Gelehrten, wenn auch dieser Werth

bloss ein methodischer ist. Ich meine das Ausgehen

von einer Thätigkeit, die nicht Arbeit ist, die aber

der Naturmensch anerkanntermassen mit Lust und

Ausdauer auszuüben pflegt: dem Tanze. Es ist kein

Zweifel: können wir eine wesentliche Eigenthümlich-

keit dieser Thätigkeit feststellen, auf welche sich jene

Vorliebe für sie zurückführen lässt, so haben wir da-

mit einen wichtigen Anhaltspunkt dafür gewonnen,

wie eine Arbeit beschaffen sein muss, um der Natur

jener primitiven Menschen zu entsprechen. Und

können wir die gleiche Eigenthümlichkeit in dem

Arbeitsverfahren der letzteren auffinden, so ist damit

        Die Arbeitsweise der Naturvölker. 23

gewiss eines der Vehikel entdeckt, welche an der

Erziehung des Menschen zur Arbeit mitgewirkt haben.

Von allen Momenten, welche Ferrero am Tanze

der Wilden wichtig schienen, ist nur eines, welches

der zuletzt von mir gestellten Anforderung entspricht:

sein automatischer Charakter. Aber die aus den

dunkelsten Partien des Seelenlebens hergeholte Er-

klärung, welche Ferrero für diesen vorbringt, kann

uns nicht genügen, da sie nicht bis auf den Grund

der Sache dringt. Ich habe im folgenden Abschnitte

versucht, diesem letzteren von einem anderen Aus-

gangspunkte aus näher zu kommen.

 

II. Rhythmische Gestaltung der Arbeit (24)

Bei jeder Arbeitsaufgabe, die dem Menschen

gestellt werden kann, lässt sich eine doppelte Seite

unterscheiden: eine geistige und eine körperliche.

Der geistige Bestandtheil der Aufgabe ist noch nicht

erledigt, wenn der Wille zur Arbeit geweckt ist.

Vielmehr beginnt er dann erst. Denn er besteht im

Wesentlichen darin, die technischen Mittel zu er-

kennen, durch welche das erstrebte Ziel am voll-

kommensten erreicht werden kann. Je öfter diese

Mittel im Verlaufe des Arbeitsprozesses wechseln,

um so häufiger wiederholt sich jene geistige Opera-

tion, um so mehr Überlegung ist im Ganzen er-

forderlich.

 

Die körperliche Aufgabe des Arbeiters lässt sich

überall auf die Hervorbringimg einfacher Muskel-

bewegungen zurückführen^). Jede fortgesetzte In-

anspruchnahme des gleichen Muskels bringt Ermü-

dung hervor, und dies um so mehr, je andauernder

der Muskel angestrengt wird und je ungleicher die

Kraftaufwendung ist, welche die einzelnen Bewegun-

gen erfordern.

 

I) Vgl. Gossen, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Ver-

kehrs, S. 35 f.

        Rhythmische Gestaltung der Arbeit. 25

Die Nutzwirkung jeder Arbeit steht unter der

Voraussetzung, dass der Arbeitende in jedem ein-

zelnen Falle die nöthige Muskelbewegung richtig er-

kennt und die erforderliche Kraftaufwendung zuver-

lässig abschätzt. Je mehr dies der Fall ist, um so

mehr durchdringen einander das geistige und körper-

liche Element der Arbeit, um so gedeihlicher schreitet

sie fort.

 

Nun ist es eine alltägliche Beobachtung, die

ebensowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen auf

niederer Kulturstufe gemacht werden kann, dass sie

selten bei einer Thätigkeit lange aushalten, dass sie

ihrer in dem Masse rascher überdrüssig werden, als

sie gleichmässig gespannte Aufmerksamkeit und fort-

gesetzte Anstrengung erfordert. Die Ursache liegt

zweifellos nicht allein in dem Umstände der Ermü-

dung des einseitig in Anspruch genommenen Muskels,

sondern auch in der Thatsache der fortgesetzten gei-

stigen Anspannung. Es kann aber dieses letztere

Moment bis zu gewissem Grade dadurch aufgehoben

werden, dass es ganz oder theilweise ausgeschaltet

wird. Dies ist dadurch möglich, dass an Stelle der

vom Willen geleiteten die automatische (rein mecha-

nische) Bewegung gesetzt wird^). Die letztere aber

tritt ein, wenn es gelingt, die Kräfteausgabe bei der

Arbeit so zu regulieren, dass sie in einem gewissen

Gleichmass erfolgt und dass Beginn und Ende einer

Bewegung immer zwischen denselben räumlichen und

zeitlichen Grenzen liegen. Durch die in den gleichen

Intervallen erfolgende und gleich starke Bewegung

desselben Muskels wird das hervorgebracht, was wir

 

I) Vgl. WUNDT, System <ier Philosophie, S. 584 f.

        20 Zweiter Theil:

Uebung nennen; die einmal in Thätigkeit gesetzte, in

bestimmten zeitlichen und dynamischen Massverhält-

nissen wirkende körperliche Funktion setzt sich me-

chanisch fort, ohne eine neue Willensbethätigung zu

erfordern, bis sie durch das Eingreifen eines ver-

änderten Willensentschlusses gehemmt, unter Um-

ständen auch beschleunigt oder verlangsamt wird.

 

Es ist eine allgemeine Erfahrung, dass Arbeiten

um so mehr ermüden, je geringer die Uebung ist,

mit der sie vollzogen werden. Ihre Begründung

findet sie wohl darin, dass das Mass der aufzuwen-

denden Energie in der Regel bald zu gross, bald zu

klein bemessen wird und darum ein unwirthschaft-

licher Kräfteverbrauch stattfindet. Alle Uebung ist

Anpassung; die Muskelbewegungen werden an eine

Regel gebunden; ihr Stärkegrad wechselt nicht in

unsicherem Tasten; die Ruhepunkte und Erholungs-

momente zwischen den einzelnen Bewegungen werden

mit der Kraftausgabe in Einklang gebracht und in

ihrer Zeitdauer ebenso bestimmt, wie es die Be-

wegungen selbst sind.

 

Nun haben wir für die Zeitdauer einer Bewegung

keine unmittelbare Wahrnehmung und kein absolutes

Mass; wohl aber wissen wir, dass eine Bewegung

sich um so leichter gleichmässig gestalten lässt, je

kürzer sie währt. Die Messung wird hierbei erheb-

lich dadurch erleichtert, dass jede Arbeitsbewegung

sich aus mindestens zwei Elementen zusammensetzt,

einem stärkeren und einem schwächeren: Hebung

und Senkung, Stoss und Zug, Streckung und Ein-

ziehung u. s. w. Sie erscheint dadurch in sich ge-

gliedert, und dies hat zur Folge, dass die regelmässige

Wiederkehr gleich . starker und in den gleichen Zeit-

        Rhythmische Gestaltung der Arbeit. 27

grenzen verlaufender Bewegungen uns immer als

Rhythmus entgegentreten muss.

 

Daßs der nach festem Massverhältniss geregelte

Gang gleichmässig sich fortsetzender Arbeiten in der

That die Tendenz hat, sich rhythmisch zu gestalten,

gelangt uns am meisten zum Bewusstsein bei den

zahlreichen Verrichtungen, bei welchen die Berüh-

rung des Werkzeugs mit dem Stoff einen Ton ab-

giebt und wo wir aus den lauten, in gleichen Zwi-

schenräumen auf einander folgenden Schlägen oder

Stössen ebensowohl auf die gleiche Stärke der sie

hervorbringenden Klraft, als auf das gleiche Zeit-

(und Raum-)Mass der sie begleitenden Bewegungen

schliessen müssen. Der Schmied, der Schlosser, der

Klempner, der Kessler lassen den Hammer in glei-

chem Takte auf das Metall niederfallen; der Tischler

lässt die Stösse des Hobels, der Säge, der Raspel,

der Ziehklinge in gleichen Zeitabschnitten auf ein-

ander folgen, und wer kennt nicht den eigenartigen

I^uf des Schusterhammers, der Flachsbreche, des

Weberschiffchens, der Zimmermannsaxt, der Pflaster-

ramme, des Steinmetz-Meisseis!

 

Diese Beispiele Hessen sich noch ausserordent-

lich vermehren. Namentlich findet sich im Bereiche

der haus- und landwirthschaftlichen Verrichtungen

eine ganze Reihe von solchen, in welchen irgend ein

Ton den Takt der Arbeit markiert. Dieser Ton fallt

in der Regel ans Ende der einzelnen Arbeitsbewegung,

und es ist kein Zweifel, dass das Festhalten eines

gleichen Zeitmasses der Bewegung dadurch erleichtert

wird. Er ist das Kennzeichen des Arbeits-Rhythmus ;

aber er ist an sich kein Ton-Rhythmus. Dieser ent-

steht erst, wenn die Töne in Stärke und Höhe oder

 

        28 Zweiter Theil:

Dauer sich differenzieren, und es geht dann dem

Arbeits-Rhythmus ein Ton-Rhythmus korrespondie-

rend zur Seite.

 

Auch solche Rhythmen begleiten manche Ar-

beiten. Wenn die Magd den Boden schruppt, er-

giebt das Hin- und Herziehen des Schruppers Töne

von wechselnder Starke. Ebenso erzeugt das Aus-

holen und Einschlagen der Sense beim Grasmähen

verschieden starke imd verschieden lange Geräusche.

Aehnlich beim Hin- und Herwerfen des Weberschiff-

chens, wo die verschiedene Kraft der rechten und

linken Hand oder die Absicht des Arbeiters ver-

schiedene Tone hervorbringt, denen in regelmässigem

Wechsel das Treten der Schäfte sich beimischt. Der

Küfer erzeugt beim Antreiben der Fassreife durch

Hammerschläge von wechselnder Stärke eine Art

Melodie, und der Fleischerbursche bringt mit seinen

Hackmessern ganze Trommelmärsche zu Stande. Ja

selbst bei sehr wenig dafür geeignet scheinenden

Arbeiten, wie dem Worfeln des Getreides, dem Atif-

laden von Sand, lässt sich ein solcher Ton-Rhythmus

beobachten (Einstossen der Schaufel, Wegschleudern

und Auffallen der Getreide- oder Sandkörner).

 

Natürlich ist der Ton-Rhythmus in allen diesen

Fällen nichts Selbständiges, sondern wird durch den

Rhythmus der Arbeit bedingt. Dennoch darf nicht

bezweifelt werden, dass auch der Ton-Rhythmus seine

Bedeutung für die Intensität der Arbeit hat. Nicht

nur dass er das Festhalten eines gleichen Zeitmasses

der Bewegung unterstützt ; er übt auch zugleich durch

das ihm innewohnende musikalische Element eine in-

citative Wirkung aus und unterstellt die Arbeit selbst

der Kontrole aller derjenigen, die ihren Schall ver-

 

 

 

        Rhythmische Gestaltung der Arbeit. 2

nehmen können. Man wird also sagen können, dass

der Ton-Rhythmus die Arbeit erleichtert und fördert.

 

Dies erkennt man am besten an solchen Fällen,

wo die Einzelarbeit zwar einen einfachen Schall er-

giebt, die Arbeitsbewegung aber selbst sich weder

in Theilbewegungen zerlegen noch auch wegen des

dabei erforderlichen Kraftaufwandes in kurzen Zeit-

abschnitten wiederholen lässt. Der einzelne Arbeiter

ist hier immer in Versuchung, nach jedeni Stoss oder

Schlag sich eine Ruhepause zu gönnen, und er verliert

dadurch das Gleichmass der Bewegungen. Dagegen

kann eine Regulierung der letzteren dadurch herbei-

geführt werden, dass ein zweiter oder dritter Arbeiter

hinzugezogen und mit dessen Hilfe ein kürzerer Takt

erzielt wird*). Jeder Arbeiter bleibt für sich selb-

ständig, nur dass er seine Bewegungen nach denen

seines Genossen einrichtet. Es handelt sich also nicht

darum, dass die Grösse der Arbeitsaufgabe eine Ver-

doppelung oder Verdreifachung der Kräfte erfordert,

sondern nur darum, dass die Einzelkraft einen be-

stimmten Rhythmus der Bewegung nicht festzuhalten

im Stande ist.

 

Beispiele bieten sich am häufigsten bei Schlag-

und Stampfbewegnngen. Der einzelne Schmied,

welcher die glühende Niete in zwei zu verbindende

Eisenstücke einzutreiben hat, vermag den schweren,

mit beiden Händen zu lenkenden Hammer nicht so

regelmässig zu führen, dass die Schläge in gleichen

Zeitabschnitten auf einander folgen, Hebung und

Senkung des Hammers lassen sich auch nicht so von

 

I) Unter Umständen kann auch schon die zweite Hand diesen

Dienst thun, z. B. beim Melken, wo der Schall der fallenden Milch

im Eimer den Takt markiert.

 

        30 Zweiter Theil:

einander trennen, wie etwa bei der Bewegung einer

Säge der Vor- und Rückstoss, sodass die eine Be-

wegung in zwei kürzere Abschnitte zerlegt wäre.

Denn der erhobene Hammer findet in der Luft keinen

Ruhepunkt. Wird jedoch ein zweiter Arbeiter zu

Hilfe genommen, so ergiebt sich sofort ein kürzerer

Takt. Beide müssen ihre Bewegungen dergestalt

einrichten, dass, wenn der Hammer des Einen den

Kopf der Niete trifft, der Hammer des Andern in

der Luft den höchsten Punkt erreicht hat; sie dürfen

sich nicht auf ihrem Wege treffen. Jeder vollzieht

die ganze Bewegung mit der gleichen Schnelligkeit;

für jeden aber wird sie auch durch den Taktschall

des Andern in zwei kürzere Abschnitte zerlegt. Zu-

gleich aber tritt eine wenn auch noch so leise Ver-

schiedenheit der Töne der beiden Hämmer hervor,

mag dieselbe durch die verschiedene Stellung der

Arbeitenden, die verschiedene Hubhöhe des Werk-

zeugs oder die verschiedene Energie, mit der es ge-

führt wird, hervorgerufen sein. Damit gesellt sich

auch hier zum Arbeits-Rhythmus der Ton-Rhythmus.

 

Der gleiche Vorgang lässt sich beim »Zuschlagen«

in jeder Dorfschmiede beobachten^), beim Behauen

eines Stammes durch zwei Zimmerleute, beim Bläuen

der Leinwand oder dem Ausklopfen der Teppiche

durch zwei Mägde. Das bekannteste Beispiel aber

ist das Dreschen mit dem Flegel, bei welchem der

richtige Takt erst durch das Zusammenwirken von

drei oder vier Arbeitern erzielt wird. Und wer hat

 

I) Schon von Virgil, Georg. IV, 174 f. beschrieben:

 

Uli inter sese magna vi brachia tollunt

 

In numerum versantque tenaci forcipe ferrum.

 

        Rhythmische Gestaltung der Arbeit. 31

noch nicht das Einrammen von Pflastersteinen be-

obachtet, bei welchem im Anfange ein gewisses

Probieren sich bemerkbar macht, bis alle das rechte

Mass der Bewegimg gefunden haben, und die schweren

Eisenrammen alle in gleichen Zeitfristen niederfallen.

 

In diesen Fällen kann die Aufbietung eines

zweiten oder dritten Arbeiters an sich den Effekt

der Kraftaufwendung des Einzelnen nur verdoppeln

oder verdreifachen ; aber dennoch hat diese einfachste

Art der Arbeitsgemeinschaft auch eine Steigenmg der

Produktivität zur Folge, indem sie die Kraftausgabe

und die Ruhepausen für jeden gleichmässig regelt.

Der Einzelne lässt die Hände sinken oder verlang-

samt doch das Tempo der Bewegungen, wenn er müde

wird. Die gemeinsame Arbeit regt zum Wetteifer

an^); keiner will an Kraft und Ausdauer hinter dem

andern zurückstehen, und überdies tönt der laute

Pulsschlag der Arbeit in die Ohren der Nachbarn,

deren Spott bei zu häufiger Unterbrechung oder zu

lässigem Gange der Schläge nicht zu säumen pflegt.

 

Noch deutlicher tritt dieser Zwang für den

schwächeren Arbeiter, es dem stärkeren gleich zu

thim, in solchen Fällen hervor, wo die Arbeiter

reihenweise gruppiert auftreten und das Fortschreiten

der Arbeit des Einen von der Thätigkeit des Andern

abhängig ist. In einer Reihe von Mähern, welche

auf der Wiese stehen, muss jeder Einzelne gleich-

mässig seine Schwade bewältigen, wenn er seinen

Nachmann nicht aufhalten oder fürchten will, von

dessen Sense getroffen zu werden. In einer Kette

 

i) Sehr schön beobachtet von Homer, Od. 6, 92, wo Nausikaa

und ihre Mägde mit den Füssen Wäsche stampfen: atslßov iv ß6-

d'QOioi d'otog egida ngowigovaai.

 

        32 Zweiter Theil:

von Handlangern, welche einander die Ziegelsteine

für einen Bau zureichen oder -werfen, muss jeder

Folgende gleich rasch abnehmen, wenn er nicht die

ganze Arbeit ins Stocken bringen und fürchten will,

dass die Steine des Nachbars, die er mit den Händen

auffangen soll, seine Schienbeine treffen oder beim

Werfen in die Höhe die unten Stehenden verletzen.

 

Dieses gegenseitige Anpassen ruft somit auch

bei Arbeiten, welche sich lautlos vollziehen, einen

gleichgemessenen Rhythmus in den Bewegungen

hervor und wird damit zu einem disciplinierenden

Element von der allergrössten Bedeutung, insbe-

sondere für unqualificierte Thätigkeiten, wie sie auf

primitiven Stufen der Wirthschaft überwiegen. Zu

seiner höchsten Ausbildung gelangt dasselbe bei den

taktischen Bewegungen des Heeres, wo es immer

darauf ankommt, eine Vielheit von Menschen zur

vollkommenen Einheit der Kraftentfaltung zu erziehen,

und wo jedes Verfehlen des Tempo durch einen

Einzelnen die Gesammtwirkung beeinträchtigt.

 

So hoch man auch den Werth der eben ange-

führten Unterstützungsmittel des Rhythmus der Arbeit

schätzen mag, man darf darum nicht glauben, dass

der Rhythmus fehle, wo eine Dauerarbeit sich ge-

räuschlos oder ohne den Zwang gegenseitiger An-

passung vollzieht. Man beobachte das Stricken, das

Nähen mit der Hand, das Säen, das Heuwenden, das

Schneiden des Korns mit der Sichel, das Umgraben

des Bodens mit dem Spaten, das Falzen der Bogen

in einer Buchbinderei, das Ablegen des Satzes in

einer Druckerei, das Geldzählen des Kassiers in einem

Bankgeschäft — überall wird man das Gleichmass

der Bewegungen, überall das Streben erkennen,

        Rhythmische Grestaltung der Arbeit. 25

kompliciertere oder längere Bewegungen in einfache

oder kurze Abschnitte zu zerlegen und die aufge-

wendete Kraft der geforderten Leistung genau an-

zupassen. Selbst wenn wir eine Reihe gleicher

Buchstaben oder Zahlen schreiben, verfallen wir un-

willkürlich in diesen Rhythmus der Bewegungen, und

die Leistungen unserer Hand werden damit immer

gleichartiger.

 

Wir können darnach die Tendenz zu rhythmischer

Bewegung für alle Arbeitsverrichtungen in Anspruch

nehmen, die sich gleichmässig wiederholen. Solche

Arbeiten sind aber zugleich auch die ermüdendsten,

weil sie anhaltend die gleiche Körperhaltung be-

dingen und denselben Muskel fortgesetzt in gleicher '

Weise in Anspruch nehmen, während wechselnde

Thätigkeiten, weil sie eine wechselnde Haltung des

Körpers erlauben und verschiedene Muskeln bean-

spruchen, für jeden immer wieder kürzere oder längere

Erholimgspausen bringen. Sicher regelt bei jenen

das Gleichmass der Bewegimg den Kräfteverbrauch

in der denkbar sparsamsten Weise.

 

Weiter kann auf die physiologische Seite unseres

Gegenstandes hier nicht eingegangen werden. Dem

Laien legt sich der Gedanke von selbst nahe, den

schon Aristoteles ausgesprochen hat mit den Worten,

dass der Rhythmus unserer Natur gemäss sei. Die

Lungen- und Herzthätigkeit, die Bewegung der Beine

imd Arme beim Gehen vollziehen sich unter gewöhn-

lichen Umständen rhjrthmisch oder haben doch eine

Tendenz dies zu thun, und es wäre möglich, dass

schon die Regelung der Athmung eine rhythmische Ge-

staltvmg fortgesetzter gleichartiger Muskelbewegnng

erforderte.

 

        Arbeit und Rhythmus. 3

        Zweiter Theil:

 

Wie dem sein magr, sicher ist, dass der nackte

M^ch eme grössere Neignn^ und Leich^^erSr

^yt^chen Körperbewegung ^ als der ^Lt

 

foj^":5enden .^eit Jr^Se^^"^

schon aus dem Grunde, weü bei den Xat^^ölkem

dxe rohe Muskelkraft der Hände und Füsse^el^l^

unendlich langer Zeit zu leisten hat, was bei^ „^

vollkon^neren Werkzeugen in wenigen Minu^ ^

^^elhgt wird. Wir müssten Zum sch^v^t

vornherein amiehmen. dass der Rhythmus der Arbeit

bei den Naturvölkern verbreiteter sein werde 1

unter den Kulturvölkern, auch wenn wir nicht zaW

reiche und zuverlässige Zeugen dafür besässen

 

Schon der alte Kulturhistoriker Mkiners " fasst

sem Urtheü über den ^ musikalischen ^^^^

der Neger dahin zusammen: >Sie mögend*

tanzen, singen, spielen oder arbeiten, so th^ ^^

anes nach dem Takt, den die dümmsten Neger oC

aUen Unterschied viel genauer beobachten. Ss unse^

 

1 Tt'k "t ^°'^^'"*^^^ °-^ Wer BeobacZr

und Uebmig»).. Der engüsche Reisende Dooghtv^

bemerkt von den Arabem, dass sie das Stampfen

der Kaffeebohnen un Mörser »in rhythmischer Weise

bewerkstelligen, wie aU ihre Arbeit.. M^ BucHNEK-n

spricht von dem »taktmässigen Lärm der Tana

klöppek, der für ein polynesisches Dorf »ebemsö

 

1) Ueber die Natnr der afrikanischen Neger im Götting. histor

Mag. VI, 3, 1790. * nistor.

 

2) Travels in Arabia deserta I, S. 244; vgl. D, S. 358 £

 

3) Reise durch den SüUen Oceon, S. 245.- -gl. RatL\ a. O

 

If 0< 222. ^

 

        Rhythmische Gestaltung der Arbeit. .^e

charakteristisch und stimmungsvoll sei, wie bei uns

auf den Dörfern im Herbste das Dreschen«. Bei der

Bereitung der Kawa muss das Axispressen der ge-

kauten Wurzeln »unter gewissen gesetzmässigen

Bewegungen der Arme geschehen, worauf noch

immer grosses Gewicht gelegt wird«^). »In Harar

lockern die Galla neben der Arbeit mit dem Pfluge

in der Weise den Boden, dass sie ihn mit einem

zwei Meter langen Holzstocke, der mit einem Eisen-

stücke oder Stein am oberen Ende beschwert ist,

zunächst anstechen oder aufreissen und dann mit

einem Karste die Schollen zerdrücken oder mit

einem Holzspaten das Erdreich weiter lockern. Die

Arbeit geht in der Art von Statten, dass je vier

Personen sich neben einander stellen und in gleich-

massigem Takte zusammen je ein Stück Erde mit

den Karsten so lange aufbrechen, bis das Feld auf-

gestochen ist^).« Endlich schildert ein französischer

Bericht^) die Aussaat des Reises auf Madagascar

folgendermassen: »Die Malgaschen gebrauchen den

Pflug nicht, sondern begnügen sich damit, den

Boden mit einem Spaten umzugraben. Die Bestellung

des Landes ist Sache der Frauen und Mädchen.

Sie rücken in einer Reihe über das Feld vor, in

der Hand einen zugespitzten Stock, mit welchem sie

kleine Gruben auswerfen. In diese Gruben legen

sie je einige Reiskörner und scharren sie dann mit

dem Fusse zu. Diese Verrichtung wird mit ziemlich

 

1) Buchner a. a. O. S. 209.

 

2) Paulitschke, Ethnographie Nordost-Afrikas (Berlin 1893), I>

S. 216.

 

3) Les Colonies fran9aises (1889 bei Gelegenheit der Weltaus-

stellung erschienen) I, S. 309. ,

 

        36 Zweiter Theil:

grosser Regelmassigkeit und in einem sehr scharf

hervortretenden Rhythmus vollzogen, was diesen

Frauen das Aussehen einer Truppe von Tänzerinnen

gibt.«

 

Sehen wir hier den Arbeitsrhythmus selbst bei

solchen Verrichtungen beobachtet, wo man ihn gar

nicht vermuthen möchte, so wird es einer weitem

Häufung von Zeugnissen nicht bedürfen, um darzu-

thun, dass das rhythmische Element in der Arbeit

der Naturvölker ausserordentlich verbreitet ist. Nur

drei Beispiele seien noch angeführt, welche die oben

erwähnte Herbeiführung des Rhythmus durch Zu-

sammenwirken mehrerer Personen besonders an-

schaulich zeigen.

 

Der englische Missionar Mariner^) schildert die

Bereitung des Rindenstoffes Gnatuh auf den Tonga-

Inseln folgendermassen: »Das Schlagen (der vorher

in Wasser aufgeweichten Rinde) geschieht mit einem

Schlägel, der einen Fuss lang und einen Fuss dick,

auf der einen Seite glatt und auf der anderen ge-

kerbt ist. Der Bast, welcher 2—5 Fuss lang und

I — 3 Zoll breit ist, wird auf einen hölzernen, 6 Fuss

langen und 9 Zoll breiten und dicken Balken gelegt,

der durch Stücke Holz an jedem Ende ungefähr

einen Zoll hoch über den Boden erhoben ist, sodass

er ein wenig schwankt. Zwei oder drei Frauen

sitzen gewöhnlich an demselben Balken, jede legt

 

i) Nachrichten über die Tonga-Insehi (Bertuch'sche Bibliothek XX),

S. 522. Die gleiche Technik findet sich auf zahlreichen andern Süd-

see-Inseln (vgl. Les Colonies fran9aises, IV p. 79. 340); femer in

Madagaskar (Sibree, Madag. S. 238), in Uganda (Kollmann, Der

Nordwesten unserer ostafr. Kolonie, S. 22) und sonst in Osta£rika:

LiviNGSTONK, Letzte Reise I, S. 191.

        Rhythmische Gestaltung der Arbeit. %n

ihren Bast quer über denselben, und während sie

ihn mit der rechten Hand schlägt, bewegt sie den-

selben mit der linken hin und her. Zuerst wird die

gekerbte Seite des Schlägels angewandt und dann

die glatte. Sie schlagen gewöhnlich nach dem

Takte. Früh am Morgen bei stiller Luft klingt das

Gnatuh-Schlagen gar hübsch, indem manche Töne

aus der Nähe erschallen, andere sich in der Feme

verlieren, einige rasch aufeinander folgen, andere

langsamer, alle aber äusserst regelmässig. Ist die

eine Hand müde, so nimmt man den Schlägel schnell

in die andere, ohne dass dadurch der Takt unter-

brochen würde«.

 

Dieselbe Technik findet sich in der entwickelten

Indigofarberei des Sudans. Ueberall in den Städten

hört man nach der Versicherung der Reisenden^)

den ganzen Tag ein regelmässiges Klopfen, das

dazu dient, die gefärbten Gewänder zu glätten. »Im

Schatten eines Grasdaches sitzen einige Männer und

klopfen im Takt, wie bei uns die Strassenpflasterer,

mit einem walzenförmigen Holzklöppel ein frisch

gefärbtes trockenes Gewand auf einem glatten

Baumstamme, um ihm den nöthigen Glanz und die

gewünschte Glätte zu verleihen. Denn eine neue

Indigotobe blitzt und blinkt wie lackiertes Lederzeug.«

 

LiviNGSTONE^ erzählt über das Enthülsen des

Getreides bei den Völkern Ostafrikas: »Das Getreide

wird mit einer sechs Fuss langen und ungefähr vier

 

1) Passarge, Adamaua, S. 82, mit Abbildung. G. Rohlfs in

Petermanns Mittheilungen, Ergänzungsheft Nr. 34, S. 57. Derselbe,

Land und Volk in Afrika, S. 73. Staudinger, Im Herzen der Haussa-

länder, S. 583.

 

2) Neue Missionsreisen, übers, von J. E. A. Martin, II, S. 267.

        •lg Zweiter Theil:

Zoll dicken Keule in einem grossen hölzernen Mörser

gestossen, der dem altägyptischen gleich ist. Das

Stossen wird von zwei oder sogar drei Frauen in

einem einzigen Mörser vollzogen. Jede giebt, ehe

sie einen Schlag thut, dem Körper einen Schub

nach oben, um, Kraft in den Stoss zu legen, und

sie halten genau Takt, sodass nie zwei Keulen in

demselben Augenblick im Mörser sind. Das gemessene

thud, thud, thud, und die bei ihrer lebhaften Arbeit

stehenden Frauen sind von einem gedeihlichen afri-

kanischen Dorfe unzertrennliche Erscheinungen. Mit

Hilfe von ein wenig Wasser wird durch die Wirkung

des Stossens die harte äussere Schale oder Hülse

des Getreides entfernt und das Korn für den Mühl-

stein bereit gemacht.«^)

 

Solche Fälle gemeinsamer Arbeit im Takte

werden wir im weiteren Verlaufe dieser Unter-

suchung bei Naturvölkern noch mehr nachzuweisen

Veranlassung haben. Vielfach sind die Gelegen-

heiten dazu (hölzerne Stampftröge, Reibsteine, in

Fels eingehauene Vertiefungen) an öffentlicher Stelle

angebracht^), oder sie vollziehen sich in Gemeinde-

 

 

 

1) Aehnlich vollzieht sich das Reisstampfen bei den Malayen:

Ratzel, Völkerkunde I, S. 393 und die Tafel bei S« 391 ; das Stampfen

der ausgepressten Mandiokwurzel bei den Buschnegem in Guyana:

JOEST, Ethnographisches u. Verwandtes aus Guyana S. 60 u. Taf. III;

das Stampfen der Durra bei den Galla: Paulitschke, a. a. O.

Taf. XIX.

 

2) Vgl. Ratzel, Völkerkunde 11, S. 265. 304. G. Rohlfs sah

auf der Benue-Insel Loko eine öffentliche Mehlreibbank, aus Thon

und sieben Steinen bestehend, worauf die Bassa-Frauen morgens und

abends ihr Mehl reiben: Ergänzungsheft zu Petermann* s geogr. Mitth.

Nr. I34, S. 78. lieber öffentliche Steinmörser bei den Indianern:

Hünter, Manners and customs of the Indian tribes (London 1870),

        Rhythmische Gestaltung der Arbeit. ^g

häusem, wie noch jetzt in manchen Gegenden

Deutschlands die Dörfer ihre »Brechplätze« haben.

Diese Oeffentlichkeit der Arbeit, welche auch für

alle Thätigkeit auf dem Felde von selbst gegeben

ist, übt einen ähnlichen erzieherischen Einfluss wie

ihr Taktschall und Tonrhythmus: die Benutzimg der

Mörser u. s. w. durch verschiedene Familien muss

in einer bestimmten Zeitordnung erfolgen; ihre

Herstellung und Instandhaltung fordert die Theil-

nähme aller. Es ist ähnlich wie beim Flurzwang,

der erst die Feldbenutzung in feste Regeln bringt

und die Willkür des Einzelnen in der Gestaltung

seines wirthschaftlichen Lebens einschränkt.

 

Immer aber bleibt der laute gleichgemessene

Schall der Tagesarbeit das bezeichnende Merkmal

friedlichen sesshaften Zusammenlebens der Menschen.

Wie der Dreitakt des Dreschflegels zu dem in

winterlicher Ruhe daliegenden deutschen Dorfe, so

gehört das regelmässige Klopfen der Färber zur

sudanesischen Stadt, der laute Schall des Tapa-

schlägels zur Niederlassung des Südseeinsulaners,

der dumpfe Ton der Reisstampfe zum Campong der

Malayen, der Gleichklang des hölzernen Getreide-

mörsers zum Negerdorfe, das helle Läuten des

Kaffeemörsers und das schwerfällige Geräusch der

Handmühle zum Zeltdorfe der Beduinen. Und so

hat unter einfachen landwirthschaftlichen Betriebs-

verhältnissen fast jede Jahreszeit ihr besonderes

Arbeitsgeräusch, jede Arbeit ihre eigne Musik. Im

Spätherbste singt in unsem Dörfern die Flachsbreche

 

p. 269. Abbot, Primitive Industrie (Publ. of the Peabody Academie

of Science, Salem Mass. 1881), p. 150. 151.

        AQ Zweiter .Theil: Rhythmische Gestaltung der Arbeit.

ihr munteres Lied; im Winter mischt sich in den

Ton des Dreschflegels auf der Tenne der aus dem

Stall daneben kommende kurz abgebrochene dumpfe

Schall des Futterstössers ; im Frühjahr erklingt von

der Rasenbleiche her das lautklatschende Schlagen

der von kräftigen Händen geführten Bläuel, mit

denen die Leinwand am Bache bearbeitet wird; im

Sommer erschallt aus jedem Hofe das Dengeln der

Sensen, aus jeder Wiese und jedem Kornfeld der

scharfe Strich des Wetzsteines, der von kräftiger

Hand über Sichel und Sense geführt wird. Wenn

die Propheten des alten Testaments^) in prägnanter

Weise den Untergang einer Stadt bezeichnen wollen,

i, so lassen sie die Stimme der Mühle verstummen

 

und das Lied des Keltertreters. Und wenn auf dem

Lande die Stille des Sonntags als wahrer Friede

empfunden wird, so rührt es nicht am wenigsten

daher, dass dann der gewohnte Schall der Arbeit

.V schweigt, der hier den Kampf ums Dasein bezeichnet.

 

I) Jerem. 25, 10. Apoc. 18, 22. Jes. 16, 10. Jerem. 48, 33. Vgl.

DouGHTY, Travels in Arabia deserta, II, S. 179; The dull rumour of

the running millstones is as it were a comfortable voice of food in an

Arabian villäge, when in the long sunny hours there is often none

other human sound.

 

III. Arbeitsgesänge (41)

Wo zwar eine rhythmenbildende Regulierung

der Arbeit möglich ist, die letztere aber keinen

eigentlichen Taktschall ergiebt, wird dieser oft durch

künstliche Mittel hervorgerufen. In erster Linie

dient dazu die menschliche Stimme. So erzählt der

Engländer Speke^) von den Wamanda: »Einen ge- . ^

meinschaftlichen Kriegsruf haben sie nicht; aber

bei jeder neuen Bewegung erhebt der Einzelne

einen lauten Schrei«. Noch häufiger finden wir

solche Ausrufe beim Zusammenarbeiten mehrerer,

wo dieselben freilich auch noch die Bedeutung ^^

 

haben, den Moment der gemeinsamen Kraftauf-

bietung zu markieren, z. B. das Hopp, Hopla beim

Lastenheben, das Hoiho der Schiff leute beim Auf-

winden des Ankers, das Zählen: Eins, Zwei, Drei!^

Diese Rufe nähern sich bereits dem eigentlichen

Kommando, wie es überall da nöthig ist, wo das

gleichzeitige Zusammenwirken mehrerer erforderlich

 

 

 

1) Die Expeditionen Burtons und Spekes, bearbeitet von K. Andree

(Jena l86l), S. 309.

 

2) Das Abzählen der Bewegungen findet sich übrigens auch bei

der Einzelarbeit. Vielleicht steht die merkwürdige Abschleifung der

drei ersten Zahlwörter nicht ausserhalb jedes Zusammenhangs mit dieser

Art der Verwendung ; denn zum Taktieren eignen sich kurzgesprochene

einsilbige Wörter am besten.

 

 

 

        42 Dritter Theil:

ist. Es sei nur erinnert an das >Holz her!« der

Zimmerleute, das wir beim Aufschlagen eines Bau-

werkes vernehmen.

 

An die Stelle der menschlichen Stimme kann

in solchen Fällen auch ein Instrument treten, durch

welches sich ein Ton hervorbringen lässt. Die

Malayen rudern nach dem Schlage des Tamtam;

die alten Griechen liebten nach dem Takt der Flöte

zu rudern und benutzten dieses Instrument auch bei

mancherlei anderen Arbeiten^); ja die Etrusker

sollen nach demselben ihre Bewegungen ebensowohl

beim Kneten des Brotteiges als beim Faustkampf

und Geissein eingerichtet haben*). Das verbreitetste

und für diesen Zweck wirksamste Musikinstrument

ist unstreitig die Trommel, die sich bei primitiven

Völkern überall und in der reichsten Mannigfaltig-

keit der Formen findet. Ostafrikanischen Träger-

schaaren marschieren wol im Gänsemarsch nach den

Schlägen der Kesselpauke; oft hängt jeder einzelne

Elfenbeinträger an seinen Elephantenzahn eine

Glocke und eine kleinere an das Bein*). Hier tritt

zu dem Moment des Rhythmus, der durch das

Hintereinanderschreiten der Träger von selbst ge-

geben ist, der belebende Einfluss, den die Musik'

an sich auf die Kräfte ausübt, das Wohlgefallen am

Tone selbst.

 

Und dies ist ein ausserordentlich wichtiges

Moment für eine Reihe von Beobachtungen, zu

denen wir uns nunmehr wenden, und welche alle

uns den Gesang in allerengster Verbindung mit der

 

1) Pausan. IV, 27, 7. V, 7, 10. Plutarch, Lys. 15.

 

2) Alkimos bei Athen. XII, 518 b. IV, 154 a.

 

3) Burton und Speke, a. a. O. S. 178 u. 543.

 

        Arbeitsgesänge. a^

 

Arbeit zeigen, einerlei, ob diese für sich schon

einen Taktschall ergibt oder nicht. Diese Beobach-

tungen erstrecken sich über eine so grosse Zahl

von Völkern und Kulturstufen, dass man schlechthin

sagen kann: sie gelten für die ganze Menschheit,

wenn sie auch je nach der Charakteranlage bei

dem einen Volke sich häufiger machen lassen als bei

den andern^). Von manchen Völkern, wie namentlich

den Negern und den Malayen, kann man geradezu

sagen, dass bei ihnen jede körperliche Thätigkeit

mit Gesang begleitet wird, und auch bei den

heutigen Kultumationen finden wir noch zahlreiche

Reste dieser Gewohnheit.

 

Es liegt ausserordentlich nahe anzunehmen, dass

diese musikalische Begleitung der Arbeit nicht bloss

bestimmt sei, das Festhalten des Arbeitsrhythmus

zu unterstützen, sondern dass die numerische und

melodische Gliederung der Töne geradezu mass-

gebend werde für das Zeitmass der Arbeitsbe-

wegnngen. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr

hat sich, von einigen später zu erwähnenden Fällen

der Arbeitsgemeinschaft abgesehen, die Tonfolge

 

I) Insbesondere sollen die Indianer eine Ausnahme machen. So

schreibt K. von den Steinen a. a. O. S. 57 über die Bakairi: »Ihr

Temperament ist weniger beweglich und die ganze Lebensauffassung

weniger sonnig als bei den Kindern der Südsee; die Mädchen tanzen

nicht im Mondschein, und die Mähner singen nicht auf der Kanufahrt.«

Aber bald darauf (S. 62 f.) erzählt er von einem Angehörigen jenes

Stammes, dass er »sang, seinen Korb flechtend und mit einem Fusse

leise den Takt tretend . . . Leider verstehe ich den Text nicht und leider

noch weniger die Noten; ich kann nur angeben, dass der Rhythmus

sehr stark hervorgehoben wurde und dass man, wenn der Alte sang,

eine ganze Gesellschaft zu hören meinte, wie sie im Kreise lief und

stampfte.«

 

durchaus den Körperbewegungen in ihrer Zeitdauer

anzupassen und thatsächlich angepasst. Vor allem

hat die ganze Erscheinung mit der grösseren oder

geringeren musikalischen Veranlagung eines Volkes

nichts zu schaffen.

 

Dies haben auch die Musiker, wo sie diesen

Dingen Aufmerksamkeit geschenkt haben, leicht er-

kannt*). Die Melodie jener Gesänge ist durchaus

Nebensache, ebenso wie der Text, der manchmal

bloss aus sinnlosen Worten und Ausrufen besteht,

die sich in eintönigster Weise bis zum Ueberdruss

wiederholen. Was ihnen Bedeutung giebt, ist der

Rhythmus, und ein neuerer Musikschriftsteller *) meint

— in naiver Umkehrung des wahren Sachverhalts — ,

es gebe »thatsächlich manche Völker, die an diesem

einen Faktor der Musik {dem Rhythmus) fast aus-

schliesslich Gefallen finden, bei denen die Musik

wesentlich im Händeklatschen, dem taktmässigen

Bearbeiten resonierender Gegenstände, in rhythmischer

Wiederholung eines und desselben Tones etc. be-

steht«. Aber um ein blosses ästhetisches Gefallen

handelt es sich hier sicher nicht. Das rhythmische

Element wohnt weder der Musik noch der Sprache

ursprünglich inne; es kommt von aussen und ent-

stammt der Körperbewegung, welche der Gesang

zu begleiten bestimmt ist, und ohne welche er über-

haupt nicht vorkommt. Darum hat jede Arbeit,

jedes Spiel, jeder Thua sein besonderes Lied, das

 

I) Vgl. i. Ji. einen AuImiii. der AUg. musikaliscben Zeihiiig, Jhg.

1814, S. 501) (>Ueb{>r ÜU- .Miisili einiger wilder und halbknltivirter

Völker*).

 

1} K. HAfiK.s. Uditi .iiv Musik einiger Naturvölker (Aaslralier,

Uelaneder, Po1ynfsi»-rt- Jinml.uu' tSgi, S. 6.

 

        Arbeitsgesänge. ac

bei keiner anderen Gelegenheit gesungen wird, und

da die Massverhältnisse der Körperbewegung bei

verschiedenen Individuen verschieden sind, so hat

bei manchen Naturvölkern jedermann seinen eignen

Gesang, über dessen Besitz er eifersüchtig wacht ^).

 

Es darf uns nicht wundem, dass die Reisenden,

welche bei Völkern von niederer Gesittungsstufe

diese Dinge beobachteten, sie mit den Vorstellungen,

welche sie aus unserer Kulturwelt mitbrachten, ver-

mischten, und dies um so mehr, je häufiger neben

ihnen schon Bildungen secundärer und tertiärer Natur

auftraten. So sehen wir sie denn bald auf die musi-

kalische, bald auf die poetische Seite mehr Gewicht

legen. Worin sie aber alle übereinstimmen, ist die

Thatsache, dass es überall für die verschiedenen

Verrichtungen des täglichen Lebens charakteristische

Gesänge giebt, und dass der Zusammenhang der letz-

teren mit der Arbeit um so schärfer hervortritt, je

tiefer die Entwicklungsstufe des betreflFenden VoU

kes isL

 

Es wird unter diesen Umständen am gerathensten

sein, zunächst eine Anzahl dieser Berichte^ im Wort-

laut anzuführen.

 

>Die Aegypter halten sich für ein ganz be-

 

1) Vgl. E. Grosse, Die Anfange 4er Kunst, S. 263 f.

 

2) Manches hat schon O. Böckel in der gehaltvollen Einleitung

 

ZU seinem Buche »D. Volkslieder aus Oberhessen« (Marburg 1885),

S. LIXiT. zusammengestellt. Ihm gebührt das Verdienst, unter den

Neuem zuerst auf die Wichtigkeit der Arbeitsgesänge für die Geschichte

des Volksliedes hingewiesen zu haben. Einzelnes findet man auch in

dem Aufsatze von G. Simmel, ^^Psychologische und ethnologische Stu-

dien über Musik«, Ztschr. f. Völkerpsychologie u. Sprachw. XIH (1882),

besonders S. 291 f. Beide Arbeiten sind mir erst nach dem Erscheinen

der I. Aufl. dieser Studie bekannt geworden.

 

        46

untrer ^:ien:

sonders musikalisch beg-abtes Volk, und in der That

w^rd es dem Reisenden sofort auffallen^ wie viel

er sing'en hört. D«r Aegypter singt^ wenn er in

sich versunken auf seinen Fersen hockt oder auf einer

Strohmatte ausgestreckt am Boden liegr. wenn er

hinter seinem Esel herspringt, wenn er Mörtel und

Steine am Baug-erüste emportragt, hei der Feldarbeit

und beim Rudern: er singt ailein oder in Gesellschaft

und betrachtet den Gresang als eine wesentliche

Stärkung bei seiner Arbeit und als einen Gmiuss

in seiner Ruhe. Es fehlt diesen Liedern eigentlich

die Melodie: sie werden alle in bestimmtem Rvth-

mus . . . durch die Nase gesungen und zwar so, dass

unter sechs bis acht Haupttönen vom Säng'er beliebig-

gewechselt wird, je nachdem gerade seine Seelen-

stimmung ist. Der Charakter dieser so entstandenen

Melodie ist sehr monoton und tllr ein europäisches

Ohr ohne Wohlklang.^ ^"^

 

Von den Ostafrikanern berichten Burton und

Speke-*): >Sie haben an der Harmonie ihre Freude.

Der Fischer singt zum Ruderschlag, der Träger,

wenn er seine Last schleppt, die Frau, wenn sie ihr

Kom zermalmt. v< Ueber die Ussukuma «am Südufer

des Victoria Xyanza) erzählt P. Kollmann ^: »Bei

allen Arbeiten ist es üblich, dass gesimgen wird.

Trugen die an der Station Muanza beschäftigten

Leute Steine oder Gras, so lief stets ein Mann längs,

vor oder hinter dem Zug, der unter tzmzartigen Be-

wegungen vorsang, worauf dann der ganze Zug ein-

 

1) BÄDEKER's Aegypten I, S. 24.

 

2) a. a. O. S. 330.

 

3) Der Nordwesten unserer ostafrikanischen Kolonie ^Berlin 1898),

S. 117.

        Arbeitsgesänge. 47

 

fiel. Bei grosser Anzahl von Leuten erklangen diese

Lieder trotz ihrer Einförmigkeit melodisch, oft mit

einer etwas melancholischen Klangfarbe.« In seinen

Mittheilimgen über die Sotho-Neger schreibt der

Missionar K. Endemann ^): »Bei dem Gefallen an

Musik ist es natürlich, dass auch viel gesimgen wird.

Der einzelne Arbeiter singt gern bei seiner Arbeit.

Arbeiten in Gesellschaft, die sich im Takt ausführen

lassen, werden oft mit Gesang begleitet. Zum Tanze

wird inuner gesungen. Die Weise, die der Einzel-

gesang hat, ist gewöhnlich so beschaffen, dass sie

in der Höhe anfangt und regellos in die Tiefe geht.

Der Text ist dann ein beliebig ersonnener. Zum

Tanze wird im Chor gesungen, ebenso bei im Takt

ausgeführten Arbeiten. Daneben gibt es auch Solo-

gesänge mit Begleitung, die besonders auf den k;fqro

beim Fellgerben ^), Karossnähen, Korbflechten u. dgl.

Arbeiten zur Aufführung kommen. Die Textzeilen

werden vom Solosänger willkürlich eingetheilt; oft

fängt er in der Mitte an und bringt erst hernach

den Anfang des Stückes. Auch die einzelnen Zeilen

werden noch in Stücke auseinander gerissen; oft

 

 

 

1) Ztschr. f. Ethnographie VI (1874) S. 30.

 

2) Darüber berichtet der Verfasser an anderer Stelle (S. 26) : ^Das-

Gerben der Felle geschieht, soweit ich es beobachtet habe, auf folgende

Weise: Grosse Felle, von Rindern z. B., die man zu Karossen ver-

arbeiten will, werden frisch oder eingeweicht glatt auf der Erde aus-

gespannt und mit langen Dornen als Speilem befestigt. Ist das Fell

getrocknet, so wird es mit dem Dächsei gerauhet, um Fett und Fleisch-

theile zu entfernen. Dann wird es mit Fett eingeschmiert und mit den

Händen weich gerieben und geknetet. Zu letzterem Behufe sitzt eine

ganze Gesellschaft um das Fell herum, von der jeder Theilnehmer

seines Ortes daran arbeitet, was gern taktmässig unter lustigem Ge-

sänge ge schiebt.

 

        48 Dritter Theil:

 

wird eine mehrmals hintereinander wiederholt. Die

Begleitung macht erst die Einleitung mit dya Ö6 6,

dya Ö6 6, oder ha öö ho ho ho ho ho o ho ho oder

ähnlich. Mitunter werden zwei begleitende Chöre

gebildet, von denen der eine die Cadenz in tiefem

Tone anfangt, worauf der zweite in höherm Tone

einsetzt. Dies geschieht einigemal hintereinander.

Dann fangt der Solosänger an; währenddem singt

die Begleitung fort. Zwischen jeder Pause des Solo-

sängers bildet die fortsingende Begleitung gleichsam

das Zwischenspiel. Beginnt eine neue Strophe, so

setzt der Solosänger oft in anderem Tone ein; dies

wird dann von der Begleitung ebenfalls befolgt.

Von Harmonie ist dabei nicht die Rede. Die Auf-

zeichnung der Weisen ist schwierig, da die Sotho-

Tonleiter nur ganze Töne hat, dazu jedesmal wieder

anders gesungen wird als vorher.«

 

Ein berühmter französischer Reisender des 1 7. Jahr-

himderts^) macht bei Besprechimg der Mingrelier fol-

gende Bemerkung: »Da diese Völker über alle Be-

griffe träge und weichlich sind, so feuern sie sich bei

der Arbeit dadurch an, dass sie stark singen und

brüllen, womit sie sich gegenseitig betäuben. Es ist

wahr, dass es eine im ganzen Orient fast allgemeine

Gewohnheit ist, sich durch Gesang zur Arbeit zu er-

muntern. Dass dies ebensowohl von der Trägheit

des Geistes als von der Weichlichkeit des Körpers

kommt, sieht man daran, dass diese Gewohnheit um

so stärker wird, je weiter man nach Süden kommt.

In Indien z. B. könnten die Schiffer kein Tau an-

 

 

 

i) Voyages du Chevalier Chardin en Perse et autres lieux de

POrient. Nouvelle Edition par L. Langles. (Paris 181 1), I p. 160.

 

        Arbeitsgesänge. 49

ziehen oder auch nur anfassen ohne zu singen. Die

Kameele und Ochsen sind daran gewöhnt, mit Ge-

sang geleitet zu werden, und je nachdem ihre Last

schwer ist, muss man stärker und anhaltender singen.

Ueber die Bewohner der Molukken sagt

W. JoEST^): »Die Leute singen und tanzen nicht nur

unermüdlich bei ihren oft zwei- und dreimal 24 Stun-

den dauernden geselligen Zusammenkünften, auch

jede im Wald, auf dem Felde u. s. w. in Gemein-

schaft unternommene Arbeit wird von Gesang be-

gleitet. Die Träger, die den nicht immer leichten

Reisenden im Tragsessel durch den Wald oder über

schmale und schlüpfrige Bergpfade schleppen, singen,

auch wenn ihnen der Schweiss am ganzen Körper

herabläuft, unermüdlich, trotz Last und Hitze, ebenso

die Ruderer.» Damit stimmt Freycinet*) überein,

der von den Timoresen sagt: »Wenn sie arbeiten,

singen sie fast ohne Unterlass, besonders dann, wenn

die Beschäftigung das Zusammenwirken mehrerer

Individuen und eine gewisse Gleichzeitigkeit des

Handelns erfordert, z. B. beim Rudern einer Pirogue,

beim gemeinsamen Tragen schwerer Lasten, beim

Stampfen des Reises, ebenso aber auch um sich gegen-

seitig bei der Arbeit zu ermuntern.« An einer an-

dern Stelle^ vergleicht derselbe Reisende diese Ar-

beitsgesänge mit den Tanzliedern und betont, dass

für jede Arbeitsart die Sangweise eine besondere

und immer dieselbe ist. Ebenso beobachtete der

 

1) »Malayische Lieder und Tänze aus Ambon und den Uliase«

im Internat. Archiv f. Ethnographie V, S. 4.

 

2) Voyage autour du monde I, 665, citiert bei Simmel a. a. O.

 

3) PÄRON et Freycinet, Voyage de d^couvertes aux terres au-

strales (Paris 1824) p. 60. 67.

 

Arbeit und Rhythmus. 4

        CQ Dritter Theil:

schon genannte W. Joest bei den Buschnegem in

Guyana, dass »gemeinschaftliche Arbeiten, wie Ru-

dern, das Fällen und Heben schwerer Bäume u. s. w.

stets mit Gesang begleitet werden.«^)

 

Nicht minder ausgeprägt ist diese Gewohnheit

bei den Südsee-Insulanern. Von den Bewohnern

Taheiti's erzählt der englische Missionar Ellis^: »Ihre

Lieder waren meist historische Balladen, die in ihrem

Charakter sich nach dem Gegenstande änderten, den

sie behandelten. Sie waren erstaunlich zahlreich

und jeder Lebensperiode und jeder Gesellschafts-

klasse angepasst. Den Kindern wurden diese Ubus,

wie ^ie genannt wurden, zeitig gelehrt, und sie fan-

den grosse Freude darin, sie herzusagen. . . . Sie

hatten ein Lied für den Fischer, ein anderes für den

Bootzimmerer, ein Lied beim Umhauen eines Baumes

zu singen, ein Lied, wenn das Boot ins Wasser ge-

lassen wurde.« . . . Auch »die Maori singen zu jeder

Arbeit, jedem Tanze, beim Rudern, beim Spiele,

beim Auszug in den Krieg.«»)

 

Es Hessen sich diese Zeugnisse noch vermehren.

Ich muss mich damit begnügen, noch drei anzu-

führen, die sich auf uns näher liegende Gebiete be-

ziehen. Das Eine ist von Hamann*) und lautet: »Es

giebt in Curland und Li vi and Striche, wo man

das undeutsche Volk bei aller Arbeit singen hört;

 

1) Joest, Ethnographisches u. Verw. aus Guyana, S. 67.

 

2) Polynesian Researches IV.

 

3) Ratzel, Völkerkunde I, S. 180.

 

4) Kreuzzüge eines Philologen (Schriften, herausg. v. F. Roth,

II, S. 304), angeführt in Herders »Stimmen der Völker«, wo sich

Aehnliches mehr findet. Vgl. auch H. Neus, Ehstnische Volkslieder

(Reval 1850), Einleitung.

        Arbeitsgesänge. c j

aber nur eine Kadenz von wenig Tönen, die viel

Aehnlichkeit mit einem Metro hat. Sollte unter

ihnen ein Dichter aufstehen, so würden alle seine

Verse nach diesem Masstab ihrer Stimmen sein.

So ward Homers monotonisches Metrum sein durch-

gängiges Silbenmass.«

 

Annette von Droste-hülshoff^) berichtet aus dem

niedersächsischen Gebiete: »Obwohl sich keiner aus-

gezeichneten Singorgane erfreuend, sind die Pader-

borner doch überaus gesangliebend; überall, in

Spinnstuben, auf dem Felde hört man sie quinke-

lieren und pfeifen; sie haben ihre eigenen Spinn-,

ihre Acker-, Flachsbrech- und -rauflieder; das letzte

ist ein schlimmes Spottlied, das sie nach dem Takte

des (Flachs-)Raufens jedem Vorübergehenden aus

dem Stegreif zusingen.« In der Einleitung einer vor

wenigen Jahren erschienenen Sammlung nassauischer

Volkslieder heisst es: »Mit Gesang ziehen die Schnitter

hinaus und wieder zurück; mit Gesang briugen sie

das letzte Fuder der Feldfrucht ein; singend wird

auch die letzte Garbe ausgedroschen. Das Lied

begleitet die Mädchen in den Wald zum Beeren-

sammeln, ebenso zu denjenigen häuslichen Verrich-

tungen, welche sie unter Mithülfe ihrer Genossinnen

 

 

 

I) Letzte Gaben, 261, citirt bei Reifferscheid , Westfälische

Volkslieder, S. 188. — Mit ganz ähnlichen Worten schildert E. Schatz-

MAYR in der Ztschr. d. Vereins für Volkskunde III (1893) die Sanges-

lust der ladinisch sprechenden Friauler. »Dem Furlaner ist Lied und

Gesang Lebensbedürfhiss : von früh morgens bis spät abends, bei der

Arbeit auf dem Felde und in der Werkstatt, auf der Wanderschaft

nnd daheim in Haus und Garten hört man ihn singen. Mehr noch

die Furlanerinnen. Einzeln und in Chören, in Feld und Wald, in den

Spinnereien, auf den Wegen und Steigen, nach dem Vesperläuten er-

schallen ihre mehr oder minder fröhlichen Gesänge (villotte).«

 

4*

 

        52 Dritter Theil:

 

vornehmen, wie z. B. das Honigkochen, Bohnen-

schneiden, FlachsrefFen, Wollewaschen, und wo sich

das ganze Dorf zu gemeinsamer Arbeit zusammen-

findet, z. B. bei der Schafschur, erklingen unausge-

setzt fröhliche Weisen.«^)

 

Weniger bekannt ist, dass auch die alten

Griechen neben ihren kunstmässigen Liedern der-

artige volksthümliche Gesänge kannten. Wie ver-

breitet und alltäglich sie waren, geht daraus hervor,

dass es für sie je nach der Arbeit, zu der sie ge-

hörten, uralte Namen gab {[^aiog^ tov^og^ ^LtvsQörjgj

sCktvog), welche schon die Alexandriner nicht mehr

recht zu deuten wussten.^ So kannte man besondere

Weisen für das Komschneiden, das Stampfen der

Gerstenkörner*), das Getreidemahlen auf der Hand-

mühle, das Treten der Trauben beim Keltern*), das

Wollspinnen, das Weben, femer Lieder der Wasser-

schöpfer, der Seiler^), der Bader, der Färber, der

Wächter, der Hirten, der Taglöhner, die ins Feld

hinausziehen^).

 

Die letztgenannten Beispiele mögen immerhin

Fälle betreffen, wie sie auch bei uns noch sehr

häufig vorkommen, wo ein Volkslied zur Arbeit ge-

sungen wird, ohne dass es zu derselben eine andere

Beziehung hätte, als die des angenehmen Zeitver-

treibs bei einer einförmigen, das Denken nicht be-

 

1) E. H. Wolfram, Nass. Volkslieder, Berlin 1894, S. 13.

 

2) Vgl. das interessante Fragment des Tryphon bei Athen.

XIV, S. 6i8d.

 

3) Tttiaömbv fiiXog nach Pollux IV, 55.

 

4) inLXi/jVLov fi^Xog: Athen. V, S. 199*.

 

5) Aristoph. Frösche 1297 und dazu d. Schol.

 

6} Vgl. auch Bergk, Griech. Litteraturgeschichte I, S. 352 f.

 

        Arbeitsgesänge. e-s

sonders in Anspruch nehmenden Verrichtung. Dass

der Gesang auch in diesem Falle die Arbeit er-

leichtert, ist schon in alter Zeit beobachtet und aus-

gesprochen worden^). Aber die Mehrzahl jener Ge-

sänge gehört doch zu Arbeiten, die an sich von

ausgeprägt rhythmischer Natur sind. Dass hier das

Verhältniss ein anderes ist, dass eine gewisse Ab-

hängigkeit in den Massverhältnissen zwischen Arbeits-

bewegung und Gesang besteht, ist unverkennbar.

Welches ist aber von beiden Elementen das mass-

gebende? Wir werden nach den vorausgegangenen

Erörterungen kein Bedenken tragen dürfen, der

Arbeit die leitende Rolle zuzutheilen. Die Gesänge

werden durch den rhythmischen Verlauf der Arbeit

hervorgerufen und passen sich dem Tempo derselben

an. Bergk hat darum gewiss Recht, wenn er sich

den Gesang der Wasserschöpfer vorstellt als »ein

eintöniges Wiederholen von Naturlauten, welche die

gleichförmige Bewegung des Arbeiters begleiteten«.

Noch heute schöpfen die Beduinen das Wasser für

ihr Vieh »zu dem Takt des Brunnenliedes, das man

an allen Brunnen in den Wüsten Syriens und Meso-

potamiens hört«.^ ViLLOTEAu fand den gleichen Ge-

sang bei den ägyptischen Wasserschöpfern und hat

denselben sogar in Noten gesetzt^); aber er hat ge-

wiss Unrecht, wenn er meint, jene Leute »verrichteten

alle ihre Bewegungen beim Wasserschöpfen nach

 

1) Zeugnisse bei Böckel a. a. O., S. LXIf.

2) Sachau, Reise in Syrien u. Mesopotamien (Leipzig 1883) S. 115.

3) Abhandlung über die Musik des alten Aegyptens (aus der De-

scription de PEgypte übersetzt), Leipzig 1821, S. 86f. Anm. — Ebenso

singen bei den Tamulen die Brunnentreter : Graul, Reise in Ostindien

rv, S. 199.

 

        54 Dritter Theil:

 

dem Takte der ihnen eigenen Lieder«. Vielmehr

sind die Lieder, wie die Noten ersehen lassen, in

ihrem Zeitmass den Bewegungen des Schöpfenden

angepasst.

 

Der deutlichste Beweis für die rhythmische Un-

selbständigkeit dieser Gesänge liegt aber wohl darin,

dass, wenn sie sich von der Arbeit loslösen, zu der

sie gehören, künstliche Hilfsmittel nöthig sind, um

ihnen den Rhythmus zu verleihen, sei es Stampfen

mit den Füssen, Händeklatschen oder ein Schall-

instrument. Bei den Somäl und Danäkil »begleitet

Musik den Gesang nur in seltenen Fällen, und dann

ist es nur das Tantam-Schlagen der Trommel, der

Klang der Darbuka oder das Rasseln mit einer

Holzklapper, das lediglich den Zweck hat, den Takt-

schlag zu verstärken. Das letztere ist besonders der

Fall bei dem Hochzeitsgesang der südlichen Somäl

oder dem Gerär, dem Liede vom Kameelrücken,

wenn man sich entschliesst die Thiere einmal zu

reiten.«^)

 

»Bei den Bewohnern der Andamanen beziehen

sich die Stoffe der Gesänge auf die alltäglichen Be-

schäftigungen, Jagd, Kampf, Bootbau etc. Musik

und Rhythmus entsprechen nicht der Stimmung, die

das Lied wiedergeben soll. Jeder von ihnen com-

ponirt seine eigene Weise, und es gilt als Bruch

der Etikette, die Melodie eines Anderen zu singen,

hauptsächlich die eines Verstorbenen. . . Als Be-

gleitung des Tanzes und Gesanges ist Händeklappen

üblich, sowie das Schlagen der Pukuta, eines Klang-

brettes, das, im Boden befestigt, mit dem Fusse

 

I) Paulitschkk, a. a. O. S. 250.

 

        Arbeitsgesänge. c e

rhythmisch geschlagen wird. Ein besonderer Effekt

kommt dadurch zu Stande, dass plötzlich der Gesang

abbricht und dann nur das rhythmische Schlagen

der Pukuta zu vernehmen ist.«^)

 

Diese Beispiele, denen sich viele andere anreihen

Hessen, zeigen klar, dass der Gesang jener primi-

tiven Völker eines metrischen Regulators bedarf.

Als solcher ist aber offenbar nicht in letzter Linie

der Schall anzusehen, der von der Trommel, der

Pukuta oder den klatschenden Händen, den stampfen-

den Füssen ausgeht, sondern die rhythmische Körper-

bewegung, welche diesen Schall hervorruft. Der

Bewegungsrhythmus ist also die Ursache des rhyth-

mischen Verlaufs der Sprachlaute, und wir dürfen

vorläufig annehmen, dass letzterer ohne ersteren

nicht möglich ist. —

 

Ich habe mich in diesem Kapitel absichtlich auf

Beobachtungen beschränkt, welche die weite Ver-

breitung und den universellen Charakter der Arbeits-

gesänge bezeugen, ohne auf die besonderen Verrich-

tungen näher einzugehen, zu denen [sie gesungen

werden. Diese aber können wieder von sehr ver-

schiedener Art sein, und es wird schon der besseren

Uebersicht wegen nöthig sein, sie mit Rücksicht

auf die Rolle, die der Gesang dabei spielt, in eine

bestimmte Ordnung zu bringen. Der Arbeitsgesang

muss sich aber verschieden gestalten und verschieden

wirken, je nachdem die Arbeit von einer einzelnen

Person selbständig oder von einer Gemeinschaft von

Menschen in gegenseitiger Abhängigkeit verrichtet

 

I) Hagen, a. a. O. S. 20 f.

        ^6 Dritter Theil:

 

wird. Wir können darnach zunächst zwischen Einzel-

arbeit und Gemeinschaftsarbeit unterscheiden.

 

Die Einzelarbeit wird überall da als vorhanden

anzunehmen sein, wo ein Arbeiter unabhängig von

andern seine Bewegungen gestaltet, was nicht aus-

schliesst, dass er mit andern zusammen in demselben

Räume sein Werk verrichtet. Sie wird also bei

einer Mehrzahl von Spinnerinnen in einer Spinnstube,

deren jede für sich ihre Spindel dreht oder ihr Spinn-

rad in Bewegung setzt, ebenso gegeben sein, wie

bei einer einzeln für sich thätigen Frau. Begleitet

Gesang die Arbeit, so wird er sich allerdings bei

einer Mehrzahl von gesellig arbeitenden Personen

zum Chorgesang gestalten, und es werden auch die

Arbeitsbewegungen dem entsprechend bei Verschie-

denen gleichartig im Rhythmus verlaufen. Aber

wir werden doch auch in solchen Fällen so lange

von Einzelarbeit zu reden haben, als jedem Arbeiter

sein besonderes Arbeitspensum obliegt, dessen Be-

wältigung er selbständig vollzieht.

 

Anders liegt der Fall bei der Gemeinschafts-

arbeit^), bei welcher mehrere zur Bewältigung einer

Arbeitsaufgabe zusammenwirken müssen. Hier lässt

sich ein abgesondertes Arbeitspensum für den Ein-

zelnen aus der Gesamtleistung gar nicht auslösen.

Die Aufgabe als Ganzes verlangt Arbeitshäufung,

d. h. die Gemeinschaft einer Mehrzahl gleichzeitig

und gleichartig arbeitender Personen. Diese Arbeits-

gemeinschaft kann durch technische oder wirthschaft-

liche Rücksichten gefordert werden.

 

I) Ueber die Arbeitsgemeinschaft und ihre Arten habe ich aus-

führlicher in meiner Entstehung der Volkswirthschaft, 2. Aufl., S. 256 £F.

gehandelt.

        Arbeitsgesänge. c n

Im ersteren Falle ist die Arbeit des Einzelnen

für sich allein, wenn auch nicht immer unmöglich,

so doch unergiebig oder völlig wirkungslos. Ent-

weder verlangt sie eine wechselweise Kraftaufbietung

mehrerer zur Herstellung des nothwendigen Arbeits-

rhythmus: Arbeiten im Wechseltakt (oben S. 29f.),

oder sie erfordert gleichzeitige Kraftaufbietung aller

Betheiligten: Arbeiten im Gleichtakt. Immer

aber ist der einzelne Arbeiter in den Massverhält-

nissen seiner Bewegung nicht frei, sondern an seine

Genossen gebunden. Die Gesänge sind in diesen

Fällen entweder reine Chorgesänge oder Wechsel-

gesänge; bei letzteren ist der Vorsänger zugleich

auch Vorarbeiter. Sie unterstützen das technisch

nothwendige Gleichmass der Bewegungen und ge-

stalten sich bei den Arbeiten im Gleichtakt geradezu

wie ein fortgesetztes Kommando.

 

Im zweiten Falle sind es hauptsächlich die durch

Witterungsgefahren, Furcht vor Kapitalverlusten und

dergl. gegebenen Rücksichten, welche zur Aufbietung

einer grösseren Arbeiterzahl bei solchen Arbeitsauf-

gaben zwingen, die auch der Einzelne bewältigen

könnte, aber nur in unverhältnissmässig langer Zeit

und oft zum Schaden des Produkts (Ernte, Mauerbau,

Schneeschaufeln, Erdarbeiten etc.). Die technische

Natur der Arbeit nöthigt hier nicht dazu, dass alle

Arbeiter sich in demselben Tempo bewegen, und in

der Regel werden unter unseren Kulturverhältnissen

die Einzelnen (z. B. die verschiedenen Maurer an

einem Bau) bald rasch, bald langsam arbeiten. Aber

auf andern Stufen der wirthschaftlichen Entwicklung

ist nachweisbar auch hier der Gesang als Mittel an-

gewendet worden und wird heute noch angewendet.

        ^8 Dritter Theil:

um ein volles Gleichmass der Arbeitsbewegiingen

bei allen Mitwirkenden künstlich herbeizufuhren.

Die hierher gehörigen Fälle bieten nicht bloss Inter-

esse für die vorliegende Untersuchung; sie sind auch

socialgeschichtlich von der grössten Bedeutung, in-

dem sie mit den Einrichtungen der Bittarbeit und

der Frohnarbeit eng zusammenhängen. Immer aber

erscheint hier der Arbeitsgesang nicht technisch

durch die Arbeitsart bedingt, sondern er wird zum

Mittel für die Zusammenfassung grösserer Menschen-

massen und für die Steigerung ihrer Arbeitsintensität.

Dies berechtigt uns, diese Art von Fällen für sich

ausführlicher in einem besonderen Kapitel (V) zu

behandeln.

 

Wir würden dann die Arbeitsgesänge, soweit

sie auf rein technischer Grundlage erwachsen sind,

in drei Gruppen zu sondern haben, die sich an die

drei Arbeitsarten : Einzelarbeit (einschliesslich der

geselligen Arbeit), Arbeit im Wechseltakt, Arbeit

im Gleichtakt anzuschliessen hätten. Die ganze

Unterscheidung verfolgt nur den Zweck, das im

nächsten Kapitel vorzulegende reichhaltige Material

einigermassen übersichtlich zu gruppieren. Scharfe

Grenzlinien sind dabei nicht zu ziehen, da meist

unsere Quellen sich auf die technischen Eigenthüm-

lichkeiten der betreffenden Arbeitsprocesse nicht ein-

lassen. Bei der Mittheilung von Arbeitsgesängen

hat das Bestreben obgewaltet, alle Texte, welche

für die Zwecke dieser Untersuchung wichtig sind

oder für diejenigen Fächer wichtig werden könnten,

denen die weitere Verfolgung der Sache obliegt, im

Wortlaut vorzulegen, wo aber für ein Volk mehrere

derselben Arbeitsart angehörige Beispiele zur Ver-

        Arbeitsgesänge. e g

fugnng standen, das bezeichnendste auszuwählen, die

Fundstellen der übrigen jedoch in den Noten nach-

zuweisen. Vollständigkeit ist natüriich hier mit

der schwachen Kraft eines Einzelnen nicht zu erzielen.

Bei Texten, die noch nirgends gedruckt oder doch

an schwer erreichbaren Stellen zerstreut sind, habe

ich alles gegeben, was in meinen Händen war.

Ueberall ist darauf gehalten worden, dass der Nach-

weis für den specifischen Charakter der Lieder als

Arbeitsgesänge geliefert werden konnte ; wo der letz-

tere nur zu vermuthen war, sind bloss Nachweisungen

in den Anmerkungen gegeben worden. Soweit als

möglich sind von fremdsprachigen Stücken neben

einer dem Originale sich möglichst anschliessenden

Uebersetzung auch Proben in der Ursprache abge-

druckt. Melodien Hessen sich leider nicht überall,

wo es wünschenswerth gewesen wäre, beschaffen.

 

IV. Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge (60)

1. Einzelarbeit und gesellige Arbeit

a) Zur Handmühle (60)

Unter allen Arbeiten, welche der Haushalt primi-

tiver Völker erfordert, giebt es kaum eine lang-

wierigere und einförmigere als das Mahlen der

Getreidekörner mittels der Handmühle. Ursprüng-

lich blos ein festliegender, oben ebener oder etwas

ausgehöhlter Steinblock, auf welchem ein zweiter

Stein von dem arbeitenden Menschen mit pressender

Kraft vor- und rückwärts bewegt wird^), erfordert

dieses wenig ausgiebige Werkzeug die Aufbietung

erheblicher Körperkraft und erzwingt von selbst eine

rhythmische Bewegung der Arme und des Ober-

körpers. Auch die spätere bei den Griechen und

Römern und noch heute im Orient gebräuchliche

Form der Handmühle, bei welcher der obere Stein

durch eine Handhabe in kreisende Bewegnag gesetzt

wird^, verlangte noch so mühselige Arbeit, dass sie

geradezu als Strafmittel gegen widerspenstige Sklaven

benutzt werden konnte.

 

1) Besclireibung in Livingstones Missionsreisen (übers, von

Martin), II, S. 268. Vgl. Lippert, Die Kulturgeschichte in einz. Haupt-

stücken I, S. 47. Abbildung auch bei Ratzel, a. a. O. IT, S. 70.

 

2) Abbildung bei Niebuhr, Reise in Arabien I, Taf. 1 7 A. Ploss,

Das Weib in der Natur u. Völkerkunde (4. Aufl.) II, S. 425.

 

Die verscMedenen Arten der Arbeitsgesänge. 5l

Die Mühlenlieder werden darum als besonders

reiner Typus des Arbeitstaktliedes an die Spitze

dieser Aufzählung gestellt werden dürfen. Zugleich

können sie als die zeitlich und räumlich verbreitetste

Form dieser Gesänge gelten.

 

Schon das alte Testament erwähnt das >Lied

der Müllerin«, und zu den ehrwürdigsten Resten der

griechischen Volkspoesie dürfen gewiss jene drei

Verschen aus Lesbos gerechnet werden, die uns

Plutarch^) aufbewahrt hat:

 

Nr. I.

 

"Jlsij fivXor, &Xst * ^ Mahle, Mülile, mahle !

 

Tial yccQ Ihrtocyibs aXei, Denn auch Pittakos mahlte,

 

iuydlag MvtLXdvag ßaCiXavcav. Des grossen Mytilene Beherrscher.

 

Die Verse entziehen sich den metrischen Regeln

der Alten, wahrscheinlich weil sie ganz der Bewe-

gung des Mahlsteins folgten, und es mögen tausend

ähnliche bei bestimmtem Anlass im alten Hellas ent-

standen und wieder verschwunden sein. Jedenfalls

zeigt die häufige Erwähnung der snifiiikLOL ipSaC ihre

weite Verbreitung, wie sie auch beweist, dass sie sich

für das Empfinden der Griechen als eine besondere

Liedergattung von ausgesprochener Eigenart aus der

Masse ähnlicher volksthümlicher Gesänge heraus-

. hoben. Bekannt ist auch der Grottasang aus der

Edda. König Prodi lässt Fenja und Menja als Mägde

zur Mühle führen:

 

Nr. 2.

 

Sie Hessen erknirschen die knarrende Mühle:

^Lass uns richten die Kasten und regen die Steine;

Denn noch mehr zu mahlen den Mädchen befahl er.«

 

I) Sept. sap. conv. c. 14. Bergk, poetae lyr. p. 1035.

 

62 Vierter Theil:

 

Sie drehten rüstig die rollenden Steine

Und sangen in Schlaf das Gesinde Prodis;

Da nahm beim Mahlen Menja das Wort:

>Wir mahlen Gold; die Mühle des Glücks

Macht Frodi reich an funkelnden Schätzen;

Im Reichthnm sitz' er, mhe auf Daunen,

Erwache vergnügt! Dann ist wohl gemahlen« u. s. w. *).

 

Besonders reich entwickelt findet sich diese Gat-

tung von Arbeitsgesängen in Litauen, in den russi-

schen Ostseeprovinzen und in Finnland, wo sich das

Mahlen auf der Handmühle bis zum Anfange dieses

Jahrhunderts in verkehrsarmen Gegenden erhalten

hat. Zunächst sei ein litauisches Müllerinnenliedchen

mitgetheilt,. das in seinen Eingangsworten lebhaft

an das altgriechische Beispiel aus Lesbos erinnert^.

 

Nr. 3.

 

1. Rauschet, rauschet, 3. Warum verfielst du,

Ihr Mühlensteine! O zarter Jüngling,

 

Mich dünkt, nicht mahlt' ich alleine. Auf mich armselig Mägdlein?

 

2. Alleine mahlt' ich, 4. Du wusstest ja wohl,

Alleine sang ich, O Herzensjüngling,

Alleine dreht' ich die Quirdel. Dass ich im Hof nicht sitzet

 

5. Bis an die Kniee

Hinein in Sümpfe,

Bis an die Achseln

Hinein ins Wasser . . .

Armselig meine Tage!

 

1) Die Edda übers, von H. Gering, S. 377 f.

 

2) Dainos oder Litthauische Volkslieder, herausg. von L. J. Rhesa,

Berlin 1843, S. 37 ff. Mit einigen Abweichungen auch bei Nessel-

mann, Litt. Volkslieder, S. 242 f. Die erste Strophe lautet im Urtext:

 

Uzkit üzkit,

Mano gimates,

Dingos, ne wienä malü.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 5l

Viel zahlreicher, aber inhaltlich weniger ent-

wickelt sind die vorliegenden lettischen Mühlen-

liedchen. Es sind, wie überhaupt die Volkslieder

dieses Stammes, meist kurze Strophen von je vier

achtsilbigen trochäisch gemessenen Versen. Ich lasse

einige derselben folgen^). Das erste (Nr. 4) ist einer

geraubten Braut in den Mund gelegt, welche die

Aufforderimg ihrer Angehörigen zur Rückkehr ins

Vaterhaus zurückweist mit der Begründung, dass sie

zu Hause hart habe arbeiten müssen. Auch das

zweite (Nr. 5) geht auf die Lage der verheirateten

Frau, während sich die drei folgenden (Nr. 6 — 8)

eher auf Mädchen zu beziehen scheinen. Das letzte

(Nr. 8) zeigt insofern eine Eigenthümlichkeit, als aus

ihm hervorgeht, dass nicht immer die Mahlerin selbst

den Gesang anstimmte.

 

Nr. 4.

 

Es neeefchu, es newaru, Nein, ich geh* nicht; (denn) ich kann nicht r

 

Jus man pari darijät; Ihr habt Unrecht mir gethan;

 

Pntej' manio wainadlinis Staubig wurde mir mein Kränzlein

 

Dfeemu mibias galinei. An dem Ende (eures) Mehlsacks;

 

Sadil' manis gredfeninis Abgerieben ist mein Ringlein,

 

Grütu dfeemu ritinot; Als die Mühl* ich mühsam drehte.

 

Es neeefchu, es newaru, Nein, ich geh' nicht; (denn) ich kann nicht,.

 

Jus man pari darijät. Ihr habt Unrecht mir gethan.

 

Nr. 5.

 

Sah nicht recht, im Dunkeln mahlend,

Wer zur Kammer eingetreten.

 

I) Nr. 4 aus A., E. und A. Bielenstein, Studien aus dem Ge-

biet der lettischen. Archäologie, Ethnographie u. Mythologie (S.-A. a.

d. Magazin der lettisch litter. Gesellsch.) Riga 1896, S. 65; Nr. 5 — &

aus Ulmann, Lettische Volkslieder, Riga 1874, Nr. 77. 198. 197. 235^

Andere bei Sprogis, Pamjatniki S. 263.

 

 

 

5 4 Vierter Theil:

 

War*s ein MeMdieb, oder war es

 

Eine andre Mahlerin?

 

War kein Mehldieb, der hereintrat,

 

War auch keine Mahlerin;

 

Nein, es war die Schwiegermutter,

 

Eine weisse Haube bringend.

 

Nr. 6. Nr. 7.

 

Also sprach der junge Roggen, Keinen kümmert's, keinem schadet's,

 

Als er in die Mühle einging : Wenn ich mahl' vor Sonnenaufgang ;

 

Wo ist meine Mahlerin? Meine Nachtruh', meine Arbeit,

 

Ungeschmücket ist die Mühle. Beide sind mein Eigenthum.

 

Nr. 8.

 

In die Mahlstub' gingen Mädchen,

Mich, die Kleine, nahmen mit sie;

Sollte nicht beim Mahlen helfen,

Lieder sollt' ich ihnen singen.

 

Auch sonst spielt der Gesang zur Handmühle

in den Volksliedern der Letten eine grosse Rolle.

Der Bursche, welcher auf die Brautsuche auszieht,

bindet sein Rösslein an, um hinter der Mauer auf

den Gesang der Mädchen in der Mahlkammer zu

lauschen. Es ist ihm gerathen worden, nur eine gute

Sängerin auszuwählen, da eine solche auch fleissig sei.

Die Mädchen hinwieder klagen über die harte Arbeit,

den rauhen Mühlstein. Dieser Zug klingt auch in nach-

folgendem estnischen Gesänge wieder, dem ein-

zigen, der sich hat auffinden lassen. Der Herausgeber^)

hat freilich alles gethan, um die wahre Natur dieses

schönen Liedes zu verdunkeln. Er überschreibt es

»Mahlknecht«, obwohl das Stück als käsfikiwwi laul,

d. h. Lied zur Handmühle, bezeichnet .ist. Der Ein-

 

I) H. Neus, Ehstnische Volkslieder, Reval 1850, S. 227. Die

Stropheneintheilung ist von mir; Str. 3 fehlt eine Zeile.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 65

gang wird mit Vorstellungen von Zauberwirkungen

in Verbindung gebracht, die an der Mühle haften

sollen. Aber es geht alles sehr natürlich zu. Das

mahlende Weib vergleicht das Geräusch der Mühle

mit dem Brausen des Meeres, an dessen Uferfelsen

der Mühlstein gebrochen ist, den Meeressand mit

dem Malzschrot, das auf der Mühle gemahlen wird.

Wäre der Stein doch im Meere geblieben, der für

die Mahlerin zur Marter wird! Der Mühsal des

Mahlens wird dann echt poetisch in der Schluss-

strophe die Freude an dem Gebräu gegenüberge-

stellt, das aus dem Erzeugniss der Mühle bereitet

wird.

 

Nr. 9.

 

1. Ma laulan merre mumikßlt, i. Her sing ich ein Meer aus Trümmern,

Merre kalda kalladelt, Meeres Felsen vor aus Fischen,

Merre äred ädikaks, Meeres Ufer um zu Essig,

 

Merre liwa linnakliA, Meeres Sand hervor aus Malze,

 

Merre .puud puna kiwwiks! Meeres Holz zum rothen Steine!

 

2. Kiwwikene, allikene, 2. Mühlensteinchen , graues Steinchen,

Eks sa woinud merres mür- Konntest du im Meer nicht dröh-

 

rada, nen,

 

Merre kaldas kaswada, Mit dem Fels des Meeres wachsen,

 

Merre liwas ligutada. Dich im Sand des Meers nicht

 

» drehen,

 

Enne kui meie kamberisfe. Eh'r als hier in unsrer Kammer?

 

3. Kiwwi mo käed kullutab, 3. Mir zerschrammt der Stein die Hände,

Kiwwi riib rikkub rinda, Greift des Steines Staub die Brust an,

Kiwwi witfa wilib formi, Feilt des Steines Reif die Finger,

Kässipu käed kullutab ! Schrammt das Treibeholz die Hände !

 

4. Jahwa, jahwa, kiwwikene, 4. Mahle, mahle, stolzes Steinchen,

Umalaid ja linnaklid! Mahle du denn Malz und Hopfen!

Siis ma kutfun kumale Dann will beim Gebräu' ich rufen,

Siis ma oiskan oUele Dann will ich beim Ahle jauchzen,

Siis ma kaijun kaljale! Dann will ich beim Kofent kreischen.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 5
                             66 Vierter Theil:

Der den Esten nahe verwandte Stamm der

Finnen hatte das Glück, schon im vorigen Jahr-

hundert, als die Handmühle noch in vielen Theilen

des Landes im Gebrauche war, in IL G. Porthan

einen verstandnissvollen Erforscher seiner Volksdich-

tung zu finden. Dieser veröffentlichte 1766 — 1778 in

mehreren Theilen seine Dissertatio de poesi fennica^),

in der er den Mühlengesängen einen besonderen

Abschnitt widmet, was sie schon deshalb verdienen,

weil sie unter dem Namen Jauho-Runot eine

eigene Grruppe der von Frauen und Madchen ge-

dichteten Runen bilden. Besonders verbreitet waren

sie in den Provinzen Savolax, Karelen und Kajane-

borg, wo es noch vielfach an Wassermühlen fehlte,

und die Frauen während des Winters darum oft den

ganzen Tag die Handmühle drehen mussten. Die

Lieder, welche sie dabei sangen, waren zum Theil

althergebracht; aber noch immer floss der Born

poetischer Neuschöpfimg, der in Finnland unter dem

Landvolk bis auf die Gegenwart nicjit versiegt ist.

Die Gesänge werden in getragener Weise und zwar

immer von der- oder denjenigen gesungen, welche

den Mühlstein drehen, während die übrigen einfach

zuhören. Der Inhalt ist sehr manichfaltig, meist

ernsten Charakters; bald episch, bald lyrisch, oft

satyrisch. Die Liebe spielt jedenfalls auch in ihnen

eine grosse Rolle; doch sei es für Männer schwer,

 

I) Wieder abgedruckt in Henrici Gabrielis PüRTHAN opera se-

lecta, vol. III, p. 303 — 381. Auszugsweise übersetzt auch bei Jos.

AcERBi, Reise durch Schweden und Finnland, aus dem Engl, über-

setzt von Ch. Weiland, Berlin 1803 (Magazin von merkw. neuen

Reisebeschreibungen Bd. XXVI), S. 242 ff. und F. RÜHS, Finnland

u. s. Bewohner, Leipzig 1809, S. 329 ff.

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 67

versichert Porthan, Texte der letzteren Art zu be-

kommen; höchstens könne man sie alten Frauen bei

festlichen Gelegenheiten herauslocken. Ich theile

im Folgenden drei derselben mit, die besonders

charakteristisch sind; man ist natürlich bei der Aus-

wahl auf solche Stücke beschränkt, die sich durch

den Inhalt sofort als Mühlengesänge ausweisen oder

von dem Herausgeber als solche bezeichnet werden,

während viele bei der Mühle gedichtete und ge-

sungene Lieder in den Sammlungen stehen mögen,

denen man später ihren Ursprung nicht mehr ansieht.

 

Nr. 10.»)

 

Janliüos sinä kiwoinen, Mahle, du mein Steinchen, mahle,

 

Hywä paasi pauhailko, Gute Felsenscheibe, rausche,

 

Somerinen souwatelko, Dreh* dich selber, kiesgeback'ne *),

 

Minun jauhin wuorollani, Mir zum Mahlen zugewälzet:

 

Bman sormin soutamata, Dass dich nicht die Finger drehen,

 

Käden puuta käändämätä, Nicht die Hand den HolzgrifF treiben,

 

Peukalon palajamata! Nicht der Daumen kreisen müsse.

 

Nr. XI.«)

 

Vordem gab man nach der Sitte Einem matten Pferd zu fressen,

Einem müden Ross zu trinken, Einer fleiss'gen Magd zu essen.

 

i) Nach Porthan a. a. O. S. 372, nach dessen lateinischer Ueber-

setzung die hier gegebene deutsche verfasst ist. Ein längeres, in

den Anüetngszeilen diesem nahezu gleichlautendes Lied findet man in

>Kanteletar, Die Volkslyrik der Finnen«. Ins Deutsche übertragen

von Hermann Paul, Helsingfors 1882, S. 87 f. Diese vortreffliche

Uebertragung vereinigt die besten Lieder der berühmten Sammlung

von Elias Lönnrot.

 

2) Wörtlich nach Porthan: e glarea concrete (seil, lapis molaris)

remigato.

 

3) Paul a. a. O., S. 88 f. Das Original hat natürlich keine End-

reime. Der Vers ist der in der finnischen, wie in der estnischen,

lettischen und litauischen Poesie allgemeine trochäische Vierfiisrler

 

5*

 

68 Vierter Theil:

Mit des Vaters Mühlstein mahlt' ich, Drehst dich unter Jammertönen?

Wie im Laub die Winde wehen; Was bedeutet dein Greächze,

Doch der Fremden Mühle mahl' ich Was dein Schnarren und dein

Schwer, als müsst' ich Berge drehen. * Stöhnen?

Warum klagst du, böser Mühl- Meinst, dass ich zu wenig thäte,

stein, Möchtest, dass ich flinker drehte?

 

Nicht doch! dich wird's wenig kümmern,

Keinen Stein wird es erbarmen,

Wenn vor Arbeit ich vergehe.

Wenn die Kräfte mir versagen.

Wenn ich sterben muss, ich Arme,

Wenn sie mich zu Grabe tragen.

 

Nr. 12.1)

 

Meinem Jakob mahl' ich (einsam),

Treib' die Mühle meinem Lahmfiiss ;

Aber mir mahlt Jakob nimmer,

Treibt der Krummfuss nicht die Mühle,

Stösst den Stein nicht, dass er tönet.

Gut ist's zwar, dem Lahmfuss eigen.

Glück, des Hinkers Frau zu sein.

Denn der Krummfuss nähret reichlich

Mich mit Fischen aus dem Wasser,

Und man schleppt ihn nicht zum Kriege,

Nicht zum Kampf wird er gefordert.

Wol als Greisin (einst) noch mahl' ich,

Lass' die Mühl verschimmelt*) rauschen;

Mir mahlt keine Schwiegertochter,

Dreht die Mühle keine Sohnsfrau.

 

(Runometer) mit starker Anwendung der Alliteration und freier Be-

handlung des ersten Fusses.

 

i) Aus dem Lateinischen bei Porthan, S. 368 — 370 von mir ins

Deutsche übertragen mit Benutzung der (nicht metrischen) Uebersetzung

von RÜHS a. a. O., S. 334 fF. Paul, S. 162 f. giebt das Lied in stark

abweichender Fassung.

 

2) Porthan übersetzt: »situ aures obducta«, h. e« aetate iam

ultra iuveniles annos provecta.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 5q

O, wenn mein Vertrauter käme,

Mir vorhergeseh'n erschiene,

Würd' bald einen Kuss ihm bieten,

Meinen Mund würd' ich ihm reichen.

Doch nichts hör* ich vom Geliebten;

Drum quält abends mich die Sehnsucht;

Mehr noch leid* ich, geh* zur Ruh* ich,

Und (die Nacht ist mir verdriesslich.

Neu erwach* ich voller Kummer;

Meine Hand greift dann in's Leere,

Meine Rechte hascht nur Täuschung.

Wie sollt' mich mein Loos nicht reuen!

Früh* empfind* ich die Beschwerde,

Treib* die andern ich zur Arbeit,

Und am Abend sie vereinend,

Einsam selbst die Nacht verbringend

In dem gattenleeren Bette.

Kein Gefahrte ist vorhanden.

Der mir sanft die Seite streichle.

Der mich unterm Arme kitzle.

Weh! nicht hört man den Geliebten

Vor dem Hause lauten Schalles

Holz zerspalten auf dem Platze,

Scheiter klaftern bei der Thüre,

Unterm Fenster sich verweilend.

Komm, o Freund, zu meinem Lager,

Lenke zu mir deine Schritte.

Doch nicht heftig schrei* nach dir ich:

Sicher wird Natur dich treiben,

Dich dein Blut bald zu mir führen.

Dann, wenn du zu mir zurückkommst:

Nahe, nahe, meine Freude!

Eng umschling* mich, du mein Herzchen!

 

Wie nahe das erste dieser Lieder inhaltlich dem

vorhergehenden estnischen steht, ist leicht zu er-

kennen. Das zweite spiegelt die Gedanken eines

dienenden Mädchens wieder. Das dritte enthält die

beweglichen Klagen einer kinderlosen Ehefrau, deren

 

70 Vierter Theil;

verkrüppelter Mann längere Zeit auf Fischfang* ab-

wesend ist. Das Lied zeigt eine ganz merkwürdige

Aetmlichkeit mit eüiem Gesänge aus Tripolis, dessen

Entstehung auf eine Waizen mahlende Frau zurück-

geführt wird, die seit neun Jahren mit einem kranken

Manne verheiratet war.^)

 

Damit gelangen wir zu denjenigen Landern, in

welchen noch heute die Handmühle üblich und

mit ihr der Mühlengesang lebendige Thatsache ist.

Die zahlreichsten Zeugnisse liegen aus Afrika vor,

wo meist noch der primitive Reibstein im Ge-

brauch ist. W. Junker^ berichtet: »Eine Anzahl

Frauen begleitet regelmässig die Araberzüge in den

Negerländem, und da nur ein Theil der Sklavinnen

ihren Herren folgt, sieht man da genau, wie unver-

hältnissmässig die Frauen durch die Arbeit der Mehl-

bereitung, ja schon während des Marsches durch das

Schleppen der schweren Mahlsteine, überbürdet sind.

Oft genug hörte und sah ich die Mädchen noch tief

in der Nacht vor ihrer Murhaka kauern und unter

zitterndem, schwermüthigem Gesang, tief Athem

holend das Mehl reiben. Oft erheben sie sich auch

mitten in der Nacht vom Lager und gehen an die

Arbeit; denn ihre Herren und deren Diener wollen

ja frühmorgens ihre Kisra oder Assida essen; der

kommende Tag aber ist wieder der mühevollen Reise

geweiht. — Die regelmässige Ernährung von drei

Dienern erfordert beiläufig die Arbeitskraft eines

Mädchens.« Auch der Missionar Kraft ^ erzählt von

i) Stumme, Tripolitamsch-tunesische Beduinenlieder (Leipzig 1894),

S« 60.

 

2) Reisen in Afrika H, S. 2i6f.

 

3) Bei Andree a. a. O., S. 504.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. n i

den Frauen der Danäkil: »Oft hört man sie in der

Nacht, wenn sie Getreide zwischen Steinen zerreiben,

melodisch singen und guten Takt halten.« Der eng-

lische Reisende Felkin theilt folgenden Gesang mit,

den er im östlichen Sudan von den kommahlenden

Frauen eines Abends vernahm:

Nr. 13.

 

Schafft und mahlt flink; denn die Dschellabah sind stark,

Und arbeiten wir nicht, so schlagen sie mit Stöcken,

Und haben sie keine Stöcke, so schiessen sie mit Flinten;

Schafft und mahlet aus aller Kraft ! ^)

 

ScHWEiNFURTH^ fand bei den Kredj unter dem

Komreservoir eines Dorfaltesten eine Art öffentlicher

Mahlstätte zwischen den Pfählen hergerichtet, an

welcher vier Sklavinnen unter taktmässigem Gesänge

dem Geschäft des Kornmahlens oblagen. Auch Wiss-

mann ^) beobachtete bei den Bassonge zwei Frauen, die

im Freien unter schattigen Ölpalmen singend das

Reiben der Hirse besorgten. Ebenso vereinigen sich

bei den Bassutos oft mehrere Frauen zu gemeinsamem

Mahlen; »ihr Gesang schliesst sich genau dem takt-

mässigen Klingen der Ringe an, die sie an den

Armen tragen.«*) Endlich berichtet Livingstone^) von

einem Gesänge, den die kommahlenden Batusifrauen

auf seine eigene Reise gedichtet hatten und der also

lautete :

 

 

 

1) Citiert bei Ratzel, Völkerkunde 11, S. 429. Die Dschellabali

sind Sklavenhändler und Sklavenjäger.

 

2) Im Herzen von Afrika II, S. 393 f.

 

3) Unter deutscher Flagge quer durch Afrika-, S. 120.

 

4) Casalis, Les Bassoutos (Paris 1856), S. 150.

 

5) Letzte Reise II, S. 222.

 

 

 

72 Vierter Theil:

Nr. 14.

 

Oh, der Marsch des Bwanamokoln nach Katanga,

Oh, der Marsch nach Katanga nnd znrnck nach Udjiji!

Oh, oh, oh!

 

Auch in den weiten Landern Asiens ist die Hand-

mühle noch viel im Gebrauch, und zwar noch jetzt

in derselben Form, wie sie schon im alten Testament

vorkommt. In der Regel drehen zwei Frauen an

einer Mühle zusammen; ihr Tagewerk beginnt schon

am frühen Morgen, in zahlreichen Familien bereits

um drei Uhr. In wohlhabenden Häusern haben Skla-

vinnen oder gemiethete Frauen, die von Haus zu

Haus gehen, dieses Geschäft zu verrichten.^) Ueber-

all wird dabei gesungen; Mühlenlieder aber sind nur

bekannt geworden aus Britisch-Ostindien, wo sie ein

fleissiger Sammler, Georg A. Gierson im Distrikt

Bihar der Präsidentschaft Bengalen mit Hilfe eines

angesehenen Eingeborenen ermittelt hat. Sie sind

aus dem Munde von Frauen aufgezeichnet zusammen

mit zahlreichen ähnlichen Liedern, die von Frauen

aller Stände gesungen werden. Die Gesänge zur

Mühle bilden unter diesen Frauenliedem, ähnlich wie

in Finnland, eine besondere Gruppe, die man jat'sar

nennt (jat, Mühle, jat'sar, wörtlich: Mühlenhaus). Sie

sind im östlichen Bhojpuri-Dialekt abgefasst und

genau so wiedergegeben, wie sie gesungen werden.

Sie bieten desshalb gewisse metrische Unregelmässig-

keiten, die der Herausgeber darauf zurückfuhrt, dass

sie lange Zeit mündlich fortgepflanzt wurden, und

 

I) Näheres bei Ross C. Houghton, Women of the Orient (Cin-

cinnati 1877), S. 359 ff. Vgl. auch Wellsted, Reisen in Arabien I,

S. 248 f.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. y z

dass dabei die Melodie den einzigen Anhaltspunkt

für das Gedächtniss bildete. »Man kann jede belle-

bige Zahl von Silben, kurz oder lang, in eine Zeile

zusammenpacken, so lange das Bedürfniss des musi-

kalischen Ictus befriedigt ist«. Mühlenlieder sind in

der Sammlung im Ganzen vier^). Das erste derselben

hat nicht weniger als dreissig Strophen. Es enthält

eine unter den Indern sehr populäre Romanze, in

der von einem Rajputenweib erzählt wird, das sich

lieber tötete, als dass es die Frau eines muhammeda-

nischen Eroberers wurde. Das zweite, unten mit-

getheilte, ist eine Klage über die Abwesenheit des

Geliebten. Das dritte schildert die nächtliche Be-

gegnung einer verheirateten Frau mit einem Konigs-

sohn, dem sie sich nicht ergeben will. Im letzten

endlich wird eine rührende Legende erzählt von Basti

Singhs Frau, zu der der ältere Bruder ihres Gatten

in sträflicher Liebe entbrannt war. Er ermordet den

Bruder auf der Jagd; um dem Toten die gebühren-

den Ehren zu erweisen, willfahrt die Frau scheinbar

den Bitten des Mörders; er führt sie vor die Leiche;

aber das Feuer der Gattenliebe ist so gross, dass

von ihrem Busen Flammen ausgehen, die den Scheiter-

haufen in Brand setzen und mit dem Leichnam auch

die Witwe als Sati verzehren. Das Lied ist von

wunderbarer Schönheit und dramatischer Lebendig-

keit. Es kann hier nur das kleinste der vier Stücke

in einer von A. Conrady freundlichst besorgten Trans-

scription ^) und in einer nach der englischen Ueber-

 

1) VeröfFentliclit sind die 3 ersten im Journal of the R. Asiatic

Society of Great Britain and Ireland, new series, Vol. XVI, p. 238 —

246, das letzte ebendaselbst Vol. XVIII, p. 242 — 247.

 

2) Bemerkungen Conrady's: c = tsch, j = dsch; h hinter

74 Vierter Theil:

 

Setzung von mir verfassten Uebertragnng mitgetheilt

werden.

 

Nr. 15.

 

Refrain: Gahiri nadiyä agami bah^ rama paniya

piyä calale moränga desavä, biharelä räma chatiyä.

 

1. Jaum hama janitom e 15bliiyä jdiba re bid^savä

piyä ke pa^tavä S lobbiya acarä cbipaitom.

 

2. Daba röv^ cakav? cakaiyä

bicbobava kaile räma balamü.

 

3. Mumba töra bäve e lobbiyä suruja ke jÖtiyä

amkhi töra bave e lobbiya amava k^ pbariya.

 

4. Naka töra bäve e lobbiyä sugava ke tbSravä

bbabum töra bäve e lobbiyä cadbala kamaniyä

 

5. Atba töra bäve e 15bbiyä katarala panavä

öra töra bäve ^ lobbiyä kari kari mocbiyä.

 

6. Bambi töra bave e lobbiyä sobarana somtavä

pöta töra bäve e lobbiyä puraini patavä.

 

7. Pitbi töra bäve e lobbiyä dbobiya ke patavä

göra töra bäve e lÖbbiyä kerava k? tbumbavä.

 

Uebersetzung.

 

Refrain: Der Fluss ist tief, und das Wasser fliesst bodenlos. Mein

Geliebter ist binweg zu den Morangs, und mein Busen ist ausein-

andergerissen.

 

I. Hätte ich gewusst, o du Habsücbtiger, dass du geben wolltest zu

einem fernen Lande, so bätte icb dein Reisekleid unter meinem

Gewände verborgen.

 

einem Consonanten bezeicbnet ibn als aspirirten; o, e und die Dipb-

tbonge sind immer lang, ausser wenn " darüber; ^ bezeicbnet, dass ein

ursprünglicb oder durcb Position langer Vokal dem Metrum zuliebe

verkürzt ist. — Es ist nicbt angegeben, ob die in der Umgangs spracbe

jetzt verstummten auslautenden -a in diesen Volksliedern nocb ausge-

sprocben werden; es ist aber zu vermuten, weil es in der bengaliseben

und in der altem Bibari-Poesie der Fall ist, und weil z. B. soba-

rana in Str. 6* unzweifelbaft so und nicbt sobarna, wie in der Um-

gangsspracbe gelesen werden muss.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. je

 

2. Die Chakwa-Ente *) und ihr Männchen klagen auf dem See, und

Ah Kam, mein Geliebter, hat mich verlassen.

 

3. O Habsüchtiger, dein Gesicht ist wie die Strahlen der Sonne, und

deine Augen sind gross wie eine gespaltene Mangofrucht.

 

4. Deine Nase ist wie ein Papageienschnabel und deine Augenbrauen

wie ein gespannter Bogen.

 

5. Deine Lippen sind roth wie beschnittener Betel, und dein Schnurrbart

 

ist steif.

 

6. Deine Arme sind wie goldne Stäbe, und dein Magen ist wie ein

Lotusblatt.

 

7. Dein Rücken ist gl^tt wie eines Wäschers Brett, und deine Beine

sind (schlank) wie ein Platanenstamm *).

 

Um zu zeigen, dass auch der neuen Welt diese

Mühlengesänge nicht ganz fremd sind, setze ich noch

folgende Stelle hierher aus dem Berichte des Leut-

nants G. M. Wheeler über eine im J. 1874 ausgeführte

Reise nach Neu-Mexiko und Colorado*). Sie be-

zieht sich auf das Indianerdorf San Juan, am Rio

Grande, etwas oberhalb der Mündung des Rio de

Chama gelegen. »Abends durch die Strassen des

Dorfes schlendernd, wurde ich auf ein höchst mono-

tones Singen aufmerksam, das fast aus jedem Hause

drang. Die zur Thüre hinaufführende Leiter erstei-

gend, fand ich die Hausmutter beschäftigt, Korn zu

mahlen, wozu ein breiter Mahlstein und ein steinernes

Pistill diente. Um die rhythmischen Bewegungen

der Arme im richtigen Takt zu halten, hatte der

 

1) Von diesem Vogel (anas casarca) geht die Sage, dass das

Weibchen ganze Nächte über die erzwungene Trennung von seinem

Männchen klage.

 

2) Dazu bemerkt der Herausgeber: »These similes, which seem

absurd enough in a translation, are perfectly natural to a Hindu mind^C.

 

3) Aus Petermann*s geogr. Mittheilungen XXI (1875) S. 449.

 

76 Vierter Theil:

Hausvater mit den Söhnen diesen Gesang angestimmt.

Ich ersehe aus den Beschreibungen Castafleda's, der

die frühesten Streifzüge der spanischen Heere in

Neu-Mexiko beschrieb, dass damals die Sitte eb'enso

herrschte wie heutzutage.«

 

Inhaltlich zeigen alle diese Gesänge einen ge-

meinsamen Charakterzug: sie knüpfen an die Lage

der Arbeitenden an; sie enthalten Gelegenheitspoesie

— hierin sehr unähnlich den »Müllerliedem« der mo-

dernen Goldschnitt-Lyrik, welche allgemeine Gefühle

zum Ausdruck bringen und selbstverständlich auch

in formaler Beziehung mit dem Rhythmus des Mah-

lens nichts zu thun haben. Die Wind- und Wasser-

mühle erfordert überhaupt kein rhythmisches Arbeiten.

Auch bei den verschiedenen Formen der Handmühle

sind verschiedene Körperbewegungen nöthig, und

vermuthlich wird sich das auch in dem Rhythmus

der dazu gehörigen Gesänge ausgesprochen haben.

Gedichtet sind sie unzweifelhaft von den arbeitenden

Frauen und Mädchen selbst; von mehreren wird aus-

drücklich bezeugt, dass sie improvisiert wurden. Alles

Leid und aller Kummer, bisweilen aber auch die

Freude imd der Stolz des Frauenlebens ist in ihnen

zu beobachten; sehr häufig bricht ein tiefer Groll

auf das Marterwerkzeug durch, das die Dichterinnen

zur Hervorbringung der lebenspendenden Nahrung

handhaben müssen. Wer fände sich dabei nicht er-

innert an die Klage der mahlenden Sklavin im Hause

des Odysseus, die der heimgekehrte Dulder in der

ersten Nacht vernahm, die er unter dem heimatlichen

Dache zubrachte ! ^) Epische Stoffe treten nur in In-

 

I) Homer Od. XX, 105 ff.

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 77

dien hervor; auch hier sind sie nicht rein erzählend,

sondern in lebendiger dramatischer Form behandelt,

und, was die Hauptsache, sie dienen zur Verherr-

lichung tugendhafter Heldinnen der Vergangenheit,

die unter den Frauen ihres Landes nicht minder ge-

feiert scheinen, als die Helden des Schwertes unter

den Männern.

b) Gewinnung und Zubereitung der Spinnstoffe (77)

Wie das Mahlen und die weitere Verwendung

der Brotfrucht, so sind auch die mancherlei Ver-

richtungen, welche sich an die Gewinnung und Ver-

arbeitung der Spinnstoffe, des Flachses, des Hanfes

und der Wolle knüpfen, vorzugsweise Frauenarbeit.

Demgemäss finden wir auch hier zahlreiche Arbeits-

gesänge. Insbesondere ist der Flachs, an den die

Volkssitte auf allen Stufen seiner Entwicklung bis

zur fertigen Leinwand so viele sinnige und aber-

gläubische Bräuche geheftet hat, auch ein Liebling

der Arbeitspoesie. Neunmal lässt ihn das Sprich-

wort durch des Menschen Hand gehen: beim Bauen

(Säen), beim Reissen (Ernten), beim Riffeln oder

Reffen, beim Zetteln oder Streuen, beim Heben

(Wiedereinsammeln), beim Brechen, beim Schwingen,

beim Spinnen und zuletzt beim Weben. Dabei sind

noch einige wichtige Arbeiten vergessen, wie das

Rösten, Dörren, Reiben, Hecheln. Die Mehrzahl

dieser Arbeiten ist zum rhythmischen Vollzug ge-

eignet. Dennoch ist es bedenklich, unter den vielen

in deutschen und andern Volksliedersammlungen um-

gehenden Flachsliedem bestimmte für das Säen oder

Ernten der Pflanze in Anspruch zu nehmen. Manche

scheinen Tanzlieder zu sein, die bei den um das Flachs-

78 Vierter Theil:

feld von den Mädchen und Frauen ausgeführten

Reigentänzen gesungen wurden^). Als Probe seien

einige kurze lettische Lieder mitgetheilt^.

 

Nr. 16.

 

Flachs mein Brüderchen mir säte;

Sass die Schwägerin am Raine,

Sagt die Schwägerin da sitzend:

)>Leindotter ist dort aufgegangen,

Leindotter ist dort aufgegangen,

Aber guter Flachs nicht«.

 

Nr. 17.

Wachs' und blühe, du mein Flachsfeld,

Nicht verlanget mich nach Silber!

Leg' ich an mein weisses Hemde,

Glänzt es ja wie reines Silber.

 

Nr. 18.

Keiner hat doch so ein Leben,

Wie dem Flachs ein Leben eigen,

Man raufl ihm heraus die Haare,

Weiter haut man ihm den Kopf ab.

Taucht ihn dann in Wasser unter

Und zerbricht ihm seine Knochen

Endlich zwischen dreien Hölzern.

 

Ebenso schwer wird es sein, dem folgenden in

Deutschland weit verbreiteten Liede^ eine bestimmte

Stelle bei den zahlreichen Arbeiten des Flachsbaus

anzuweisen. In Schlesien wird es gar als Tanzlied

 

i) Ueber diese, sowie die sonstigen beim Flachsbau üblichen

Gebräuche vgl. E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde, S. 224 fF.

R. Andree, Braunschweiger Volkskunde, S. 165 ff.

 

2) Nr. 16 und 18 aus der Sammlung von Bielenstein (Nr. 4073/4)

freundlichst für mich übersetzt von A. Leskien; Nr. 17 bei Ulmann

Nr. 193.

 

3) Abgedruckt bei Simrock, Die deutschen Volkslieder, Nr. 265.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge, ^q

gesungen, wenn von Mann und Frau um Fastnacht

getanzt wird, »damit der Flachs gedeihe«.

 

Nr. ig.

 

1. Wenn der Flachs gesäet ist, 4. Und wenn der Flachs gebunden

So will er auch gejätet sein. ist,

Lieber Mann, So will er auch gerefFet*) sein.

Jätet dann. Lieber Mann,

 

So seh* ich meine Freude dran. Reffet dann.

 

Ich kann JFlachs sä'n. So seh' ich meine Freude dran.

 

^ TT j j -c-i T. '"4, ^ Icli kann Flachs sä*n.

 

2. Und wenn der Flachs gejätet

 

ist, 5. Und wenn der Flachs gereffet ist,.

 

So will er auch gerupfet sein. So will er auch ins Wasser hinein»

 

Lieber Mann, Lieber Mann,

 

Rupfet dann. Wässert ihn dann.

 

So seh* ich meine Freude dran. So seh* ich meine Freude dran»

Ich kann Flachs sä'n. Ich kann Flachs sä'n.

 

3. Und wenn der Flachs gerupfet 6. Und wenn der Flachs gewässert

 

ist, ist.

 

So will er auch gebunden sein. So will er auch gewaschen sein»

 

Lieber Mann, Lieber Mann,

 

Bindet dann. Wascht ihn dann.

 

So seh* ich meine Freude dran. So seh* ich meine Freude dran»

 

Ich kann Flachs sä*n. Ich kann Flachs sä'n.

 

Das Lied verfolgt die weitere Behandlung des

Flachses nicht, wahrscheinlich weil diese Frauensache

ist. Unter den hier genannten Arbeiten ist zunächst

das Jäten durch ein kleines Lied vom Niederrhein

vertreten, wie folgt ^).

 

 

 

1) SiMROCK, dem das Lied nur handschriftlich vorlag, lässt drucken r

geraffet.

 

2) Erk-Böhme, Deutscher Liederhort, III, Nr. 1566. Der Her-

ausgeber bezeichnet das Lied als »Fragment eines Flachsarbeiter-

gesanges« und meint, es sei zum Reffen gesungen worden. Aber er

wie andere Sammler halten die verschiedenen Arbeiten der Flachs-

gewinnung nicht auseinander. Die Frage, was mit dem Maulwurf

 

So

 

Vierter Theil:

 

Nicht zu schneQ.

Wat dood eer met da Moll? wat dood eer met da

Moll? Wat dood eer met da Tal -sehe Moll? viv-la viv- la

 

Tal-sche Moll? Wat dood eer met da Moll?

 

Der reife Flachs wird mit den Wurzeln ans der

Erde gerauft. Man nennt dies Raufen, Rupfen,

Reissen oder Ziehen. Dabei werden von den

Rauferinnen mancherlei Scherze mit den Vorüber-

gehenden verübt; insbesondere werden sie in der

Weise angesungen, dass ihre Namen mit denjenigen

von Mädchen aus dem Dorfe in Verbindung gebracht

werden. Leider aber werden diese Lieder in den

Volksliedersammlungen ^) nicht geschieden von den-

jenigen, welche beim Reffen (Reppen, Ribben,

Riffeln) angestimmt zu werden pflegen; ja es werden

 

(Moll) im Flachsfeld (Tals ist eine besondere Art langen Flachses)

iu geschehen habe, konnte nur beim Jäten angeworfen werden. Für

dieselbe Verrichtung möchte ich das Lied Nr. 1565 bei Böhme in

Anspruch nehmen.

 

I) Am vollständigsten bei Reifferscheid , Westf. Volkslieder

Nr. 47 — 52, Anhang Nr. 18 — 20 und Anmerkungen S. 188 ff.; femer

Erk-Böhme, Nr. 1 560 ff. WoESTE, Volksüberlieferungen in der Graf-

schaft Mark S. 29 ff. u. in Frommann's D. Mundarten ni, S. 557 ff.

Jahrbuch des Vereins f. niederdeutsche Sprachforschung, Jhg. 1877,

S. 152 ff. Firmenich, Deutschlands Völkerstimmen I, S. 268.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 81

selbst Brechlieder darunter gemischt. Unter dem

Reffen versteht man das Abstreifen der grünen

Samenknoten des nach Hause gebrachten Flachses,

was mittels eiserner in die Balken der Scheunen-

wände eingelassener Kämme (Riffeln) geschieht,

durch die die Flachsstengel handvollweise hin-

durchgezogen werden. In der Regel versammeln

sich dabei die Burschen und Mädchen des Dorfes

zu freiwilliger Hülfeleistung, und die Lieder, welche

sie zu dem taktmässigen Surren des Kammes an-

stimmen, tragen den Charakter ausgelassener Neckerei.

Aber sie schliessen sich unmittelbar dem Rhythmus

des Reflfens an, oft mit unverkennbarer Nachahmung

des Kammschwirrens in den meist sinnlosen Re-

frains.

 

Nr. 21. (Bökendorf, Kr. Höxter).

Selur rasch.

 

I . He, he,Ferndin ick weit di wol Ein'n ! De Quin-ke de quank, de

 

Vo-gel de sang, dat Johr is

2. Usen Christian, den neimst du

 

wol gern?

:^De Quinke de quank,

He is mi to lang,

Krigt mir unner de Bank.«

Juchhei, lat en gähn!

 

3. Den N. N. den neimst du wol

 

gern?

»De Quinke de quank

He is mi to dick.

He hedd kein Geschick.«

Juchhei, lat en gahnJ

Bücher, Arbeit und Rhythmus.

lang. Juch-hei, lat en gähn!

 

4. Den N. N. den neimst du wol

 

gern?

 

»De Quinke de quank.

He is mi to arm,

Dat Gott erbarm!«

Juchhei, lat en gahnl

 

5. Den N. N. den neimst du wol

 

gern?

 

»De Quinke de quank,

De il mi to grot.

De fritt mi mein Brot.«

Juchhei, lat en gahnl

 

6

 

 

 

82 Vierter Theil:

Leider lieg'en keine näheren Angaben über die

Art vor, wie das Lied g-esimgen wird. OflFenbar

aber ist dasselbe als Wechselgesang- zwischen dem

Chor und der angesungenen Dirne zu denken. Der

Chor singt von jeder Strophe die erste und die letzte

Zeüe, die Dirne das übrige. Das Ganze scheiat nnr

dann recht verstandlich, wenn man sich den Gresang'

im Freien, etwa bei der Flachsernte, angestinmit

denkt, so oft ein bekannter Bm-sche vorübergeht,

der dann von den Sängerinnen einem der anwesenden

Madchen angetragen wird^).

 

Mr.

Maisig bewegt.

 (Soest.)

1. Wat schwemmt op t-sen Dm - ke?*) hm, hm!

 

2. Wei satt denn dar .in - ne? hm, hm!

 

3. Wei leip denn dar - um - me? hm, hm!

 

WoU

 

Ma-

 

Franz

1. nur sn - ne hoal-Ie Tan > ne. Na - na, ha ha!

 

2. ria Klein satt dar - in - ne. Na - na, ha ha!

 

3. Wer - ner leip dar - um - me. Na - na, ha ha !

Nachsatz.

 

4. Nia loat ns mal öwwemimmeln').Hei jnch-hei! Franz

 

5. Wat salle für eine wn-ier *) hebben? Hei jnch-hei ! So-phie

 

1) Darauf scheint mir auch eine bei Reifferscheed a. a. O.,

S. 188 mitgetheilte Bemerkimg von Annette von Droste- Halshoff hin-

zudeuten. Wahrscheinlicti gehört auch hierher das litauische Lied bei

Nesselmann, S. 142 und Bartsch, H, S. 191.

 

2) Teiche. 3) überrumpehi, überfallen. 4) wieder.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 83

 

4. Wer-ner hätt sui- neDeum*)verkumpelt*).Hei juch-hei!

 

5. Mül-ler sall't söl - ber sinn. Rummel-dum-dei !

 

Nach dem Absingen der drei Anfangsstrophen wird Franz Werner

gefragt: :>Magst diu sei luien« (lieben)? Antwortet er: »Ja!«, so fragen

sie ihn: »Wat söw vui hebben?« (Was sollen wir haben?) Nun ver-

spricht er ihnen etwas, entweder eine Pimpelnutt oder einen Appel.

Sagt er aber: »Nein!«, so lassen sie ihn öwwerrummeln mit Absingen

des Nachsatzes.

 

Lebhaft.

 

Nr. 23. (Bökendorf.)

We sali dat Muhlken mahlen? Ve- der lipp und dei! Dat

4^ r r r r I ri ^- 1 ^' ^ 8^= 8 ^

sali woU u - se Hinrich don. Ei ja, ve - der

 

(Zögernd)

 

lipp un dei! Ei ja, der Lie - ben sind twei!

 

2. We sali dat Siebken halen?

Veder lipp un dei!

Dat sal wol use Kalrinken don.

Ei ja, veder lipp un dei!

Ei ja, der Lieben sind twei!

 

Nr. 24. (Haiingen bei Menden.)

 

I. Ik här *ne Piäpermüele sniu- Wer da, wer da?

 

wen*) Tummel di mal na Gänsima!

 

Fidderlirum van der lipp un

 

dal! 2. »Bai ^) salder danoppe malen?«

Hange buawen *) Kösters Hiuse Fidderlirum u. s. f.

 

I) seine Dirne. 2) veräussert, in eines andern Gewalt gegeben.

3) Ich höre eine PfefFehnühle schnauben. 4) hoch ober. 8) wer.

 

6*

84 Vierter Theil:

 

3. Witten Tüens') sal der oppe malen.

Fidderlimm n. s. f.

 

4. >Bai sal 'me dan derbei helpen?4:

Fidderlimm n. s. f.

 

5. Swatten Feike*) sal iäm helpen.

Fidderlimm n. s. f.

 

 

 

Nr. 25. (Körne bei Dortmund.)

 

Knötken briekt boven af. Wat hev eck di dann don,

 

Kloven, groven! Dat du was heme gohn?

Klörken Schulten well nu heme

 

gohn, >Dat well eck di wnl seggen:

 

Jo heme gohnl Du löfst alle Derens noh,

 

Klörken kann so nette danzen Un wenn du dat net loten wus,

 

Un so lise gohn. Dann maut eck -heme gohn,

 

O du, min leve Klörken, Jo heme gohn!«

 

Nr. 26. (Körne.)»)

 

Boven an de Kökendör*),

 

Rem sen jo jo!

 

Do kämmt de leckere Schluckes^) dör,

 

Do seih eck noh.

 

Midden unner de Luken,

 

Rem sen jo jo!

 

Do sitt de fulen Pucken!

 

Unnen an de Fülle,

 

Do krast se em Mülle,

 

Rem sen jo jo!

 

Du Lecker, du Lecker, huho!

 

 

 

i) Antonius Witte.

 

2) Sophie Schwarz.

 

3) Ich gebe dieses und das vorhergehende Liedchen, wie sie mir

1872 von der Tochter eines Hofbesitzers in Körne aufgeschrieben

worden sind. Woeste theilt a. a, O. eine längere und in mehreren

Punkten von dieser abweichende Fassung mit.

 

4) Küchenthüre,

 

5) Schlucker.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 85

 

Nr. 27. (Gegend von Lüdenscheid.)

 

Lat de Riepe fart gan,

 

Ränzeriaria!

 

De Banner maut süfs mautig stan,

 

Ränzeriaria !

 

Alle diese und die noch sonst vorliegenden west-

fälischen RefFgesänge tragen einen gemeinsamen Zug.

Einzelne Theile derselben werden improvisiert, oder

es werden doch an bestimmten Stellen die Namen

anwesender Personen eingesetzt. Hie imd da wird

der Text von einem Vorsänger vorgetragen, und der

Chor fallt nur beim Refrain ein; oft gestalten sich

die Lieder auch zu Wechselgesängen zwischen RefiFem

und Bindern oder Binderinnen. So in einem der

beiden vom . Niederrhein bekannt gewordenen RefF-

gesänge, die übrigens Volkslieder erzählender Art

sind, welche auch in andern Theilen Deutschlands,

unabhängig von der Flachsarbeit, gesungen werden^).

Die Melodie des einen ist nach Tonart und Rhyth-

mus sehr alterthümlich. Das Lied wird in der Weise

vorgetragen, dass jede Zeile immer erst von einzelnen

Vorsängern gesungen, dann aber von der ganzen

Gesellschaft wiederholt wird.

 

Auf das Reffen folgt das Rösten des Flachses,

indem derselbe in Wasser eingelegt oder auf Stop-

peln oder Wiesen der Witterung ausgesetzt wird.

Nach der Wiedereinsammlung beginnt das Brechen,

 

 

 

I) Zwei Beispiele bei H. Zurmühlen, Niederrheinische Volks-

lieder (Leipzig 1879) Nr. 16 und 113. Zu dem ersten (»Doa sau en

jong Maad freug opstoan«) vgl. Erk-Böhme I, S. 435 f., zum zweiten

(»In Oesteriek do steet eenen Boom«) daselbst I, S. 472. Vgl. Jhb,

d. Ver. f. niederd. Sprachforschung, Jhg. 1877, S. 154.

 

 

 

86

 

 

 

Vierter Theü:

 

 

 

Das bei dieser Arbeit benutzte hölzerne Gerät (Breche

oder Brake) besteht aus einem festen TheUe, der

Lade, welche aus mehreren gleichlaufenden Schienen

zusammengefügt ist, in deren Spalten ein einarmiger,

an einem Ende um einen Zapfen drehbarer, am andern

mit einer Handhabe versehener Hebel passt. Die

trockenen Flachs- (oder Hanf-)Stengel werden hand-

vollweise auf die Lade gelegt und durch die Abwärts-

bewegimg des Hebels mehrfach geknickt, wodurch

die holzigen Bestandtheile von dem Baste getrennt

werden. Das taktmassige Aufschlagen des Hebels

auf die Lade ergiebt einen lauten Klang, der, wenn

mehrere Brecherinnen beisammen sitzen, sich zu einem

sehr lebendigen Rhythmus gestaltet. Dabei werden

den Refifliedem ähnliche Gesänge angestimmt, mit

denen die Brecherinnen einander necken. Die folgen-

den beiden Beispiele ^) stammen aus dem Kuhländchen

(Mähren).

 

 

 

Nr. 28.

 

 

 

f#4f-j.i j'-JT^gn; f. i r f: f, i

 

 

 

I . Fritz Steff der steht hübsch fei - ne ; er trägt a schwarzbrauns

 

 

 

i

 

 

 

1

 

 

 

.S:

 

 

 

^

 

 

 

Hü - te - lein, das Hut - lein steht ihm bra - ve; die

 

 

 

^^m

 

 

 

 

aüa

 

 

 

Sien die

(Rosina)

 

 

 

hat ihn ger - ne.

 

 

 

I) Kretzschmer, D.Volkslieder, I Nr. 242 n. 241, auch abge-

druckt bei BÖHME, ni, Nr. 1558 f. Auch das dort unter Nr, 1561

stehende Stück aus Soest ist zweifellos ein Brech-, kein Refflied.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

87

 

 

 

2. Was würde dem nicht brave stehn?

Weil er a braver Junggesell is,

A braver nnd a feiner:

Die Siene is schon seine.

 

 

 

Nr. 2g.

 

 

 

I« £i, mei liebes Malchen hie,

Jetz is die Reih an dir!

'S is eben an der Zeit.

Ich weiss, dein feiner Knecht

Er wart't of dich allein;

Er will dich eba hon.

 

 

 

2. Er wird schon wegen deiner

An braunen Standpalz anhjin.

A brauner Standpalz

Das is a edle Zier.

Ei, mei liebe Frische Lies,

Jetz is die Reih an dir!

 

 

 

In beiden Liedern ziehen die brechenden Mäd-

chen einander mit bestimmten Liebhabern auf; das

zweite verräth zugleich, dass alle reihum diesen

Scherz über sich mussten ergehen lassen. Dass auch

in andern Landern bei der Breche gesungen wird,

zeigt besonders das folgende estnische Lied^).

 

Nr. 30.

 

I . Lahme koio, kolgi rahwas, i . Gehn wir heim, du Volk der Breche,

 

 

 

Koio, kolgi moifarahwas!

Karro, meil käinud kamberisfa

Metfa ol käind honeesfa,

PiUand mahha pima püttid,

Kallutanud köre kimud.

Hakkame koio minnema!

 

2. Ku on tousnud, koit on

 

wäljas :

Koddokorjajad küUasfa,

Perreröwijad perresfa,

Lastetahtijad tallusfa!

Touske ülles, nored piad,

Touske, linno lougutama,

 

Kannepida kolkimaie!

Heim des Hermhofs Volk der Breche !

Kam ein Bär uns in die Kammer,

Kam in's Haus der Petz des Holzes,

Schlug herab der Milch die Schalen,

Warf der Sahne Wannen nieder.

Lasst uns heim zu gehn beginnen!

 

2. Mond ist auf, der Morgen dämmert:

 

Hausausräumer sind im Dorfe,

Beim Gesind Gesindeplündrer,

In dem Hause Kinderheischende!

Auf, erhebt euch, junge Mädchen!.

Auf denn, um den Flachs zu schwin-

gen,

Um den llanf aJsbäl^ zu brechen.

 

I) Nkus, Ehstnische Volkslieder, S. 446.

SS Vierter Theil:

 

Allem Anscheine nach sind hier zwei verschie-

dene Lieder zusammengeschweisst, und zwar enthalt

der zweite Theil eine AnfForderung^ an die trag-en

Madchen zum Aufstehen vor dem Aufbruch zur Breche,

der andere eine Einladung- zum Xachhausegehen,

nachdem das Tagewerk vollendet ist. Jedesmal ist

das Verlangen in scherzhafter Weise durch ein mög-

lichst schreckliches Ereigniss begründet.

 

Ueberall aber zeigen die Gesänge dieser Gruppe

einen heiteren Charakter, der sich stellenweise bis

zur Ausgelassenheit steigert. Sie bilden darin einen

scharfen Gegensatz zu der vorausgehenden Gruppe

der Mühlengesange, deren Grundzug tiefer Ernst und

bewegliche Klage bilden. Die Arbeiten beider Grup-

pen sind gleich mühsam, und beidemale sind es Frauen,

die sie verrichten. Aber die Mahlarbeit wiederholt

sich jeden Tag; sie ist einsame Arbeit, gewohnlich

in geschlossenen Raimien; die Bereitung der Spinn-

stoffe dauert dagegen immer nur kurze Zeit; sie voll-

zieht sich meist imter Arbeitsgemeinschaft Vieler

in freier Luft, und wo dies nicht der Fall ist, wie

beim Reffen, nehmen beide Geschlechter daran Theil,

während die Thätigkeit an der Handmühle ausschliess-

lich den Frauen obliegt.

c) Spinnen, Weben, Klöppeln, Flechten.

Spinnlieder werden mehrfach von griechischen

Schriftstellern erwähnt^), und Virgil^ lässt die Ne-

 

1) Eurip. Ion. 195. 206, Theokrit. XXVII, 74.

 

2) Georg. IV, 435. Weitere Stellen der Alten bei Grothe,

Bilder zur Geschichte vom Spinnen, Weben, Nähen. 2. Aufl. (Berlin

1875), S. 288.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 3q

 

reiden beim Spinnen von der Liebe des Ares und

der Aphrodite singen. Bekannt ist auch der Gesang*

der Parzen in CatuUs Epithalamium Pelei et The-

tidos^), der mit dem Refrain:

 

Currite, ducentes subtemina, currite, fusi!

 

gewiss an volksthümliche Spinnlieder anknüpft. Aller-

dings geben diese durch das Medium der antiken

Kunstpoesie uns zugekommenen Nachrichten keine

richtige Vorstellung von Form und Inhalt der im

wirklichen Leben von den Sklavinnen zur Spindel

gesungenen Lieder. Sie bezeugen nur die Sitte,

welche unter ähnlichen Zuständen sich auch heute

noch findet. So erzählt Mungo Park von einer Ne-

gerfrau, die ihm einst in grosser Noth Aufnahme

gewährte, dann aber, nachdem sie ihm Erfrischungen

gereicht und ihm eine Ruhestätte bereitet, ihre Mäd-

chen wieder zum Baumwollspinnen rief, was sie einen

grossen Theil der Nacht fortsetzten. »Sie erleich-

terten sich die Arbeit durch Gesang. Eins der Lieder

war offenbar improvisiert; denn ich war selbst der

Gegenstand. Es ward von einem der jungen Weiber

gesungen, während die andern in einer Art Chor

einfielen. Die Melodie war lieblich und klagend,

und die Worte, genau übersetzt, waren diese:

 

Nr. 31.

 

Die Winde sausten, der Regen fiel,

Der arme Weisse, so müd und schwach,

Sass nieder unter unsres Baumes Dach!

Er hat kein Weib, dass sie Korn ihm mahle.

Keine Mutter füllt ihm mit Milch die Schale,

 

 

 

l) Carm. 64, 306 sqq.

 

 

 

90

 

 

 

Vierter Xheil:

 

Chor: O schenket dem weissen Mann Erbannen,

 

Nicht Weib noch Matter sorgt für den Armen ').

 

 

 

Dass es sich hier um Arbeitstaktlieder handeln

muss, wird man leicht einsehen, wenn man sich das

Spinnen mit der Spindel vergegenwärtigt. Die Spindel

»tanzt«, d. h. sie bewegt sich selber rhythmisch,

während die zahlreichen in unsem Volksliedersamm-

lungen enthaltenen Spinnlieder ^, weil sie zum Spinn-

rad gesungen werden, höchstens dem Tritt des Fusses

sich anbequemen können, der das Rad in Bewegung

setzt. Dass sie das aber thatsächlich thim, dafür

liegen mehrere für uns nicht unwichtige Beweise

vor. Der westfälische Hofbauer, der in seiner

Stube Kinder und Dienstboten am Spinnrad um sich

versammelt, sagt darüber: »Sobald ich merke, dass

die Räder weniger lustig schnurren, so schlage ich

ein lustiges Lied vor, und Sie sollten mal hören, wie

munter gleich beim Singen die Spinnräder wieder

werden und den Bass dazu sxunmen.« Eins dieser

Lieder möge hier folgen^..

 

Nr. 32.

 

I. Blinne Jost, de badd' 'ne Deeren, Bringen to den rechten Stand,

De woll he von Harten geren De von Gott ist toerkannt.

 

 

 

i) Nach der Uebersetzung von Talvj, Versuch einer geschichtl.

Charakteristik der Volkslieder germanischer Nationen mit einer Ueber-

sicht der Lieder aussereuropäischer Völkerschaften, S. 88. Das eng-

lische Original (The Life and Travels of Mungo Park, p. 155) bietet

die Worte nicht in metrischer Fassung.

 

2) Beispiele bei Erk-Böhme m, S. 400 f. Simrock, D. Volks-

lieder Nr. 266 fF. Erlach, IV S. 151 f. Mittler, S. 584 flF.

 

3) Aus H. Hartmann, Bilder aus Westfalen (Osnabrück 1871),

S. 207, Dort noch zwei andere. Die drei Lieder sind aus dem nörd-

lichen Theile des Fürstenthums Osnabrück (Neuenkirchen-Damme).

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. gi

 

2. Klecks de Schriever de wörd Twe ole Küssen, eenen Pohl;

 

ropen, Segge ji Lue, war dat nich veel.

 

He kam mit den Schriewtüg ^ R^ppeLPappel hett de Pape,

 

P * He kam mit de Mönkeskappe,

 

Un he schrew wol in den Breef, -v^ 1 1 xr 4. • x. ^

 

* Nam en old Katgissenbook,

 

Wat de Beeren mit e kreeg: ^ 4. j i. t.

 

** Gew se een — twe — dree tohop.

 

3. Eenen Pott un eenen Schief, 6. Abens güng de Hochtied an, •

Sess Paar Lepels, krumm und Frölick wören Fni' und Mann,

 

scheef, Frölick wören alle Gäste,

 

Eenen Rock, sess Elen wiet; Dre bradeHerink was dat Beste.

 

O, wat fröde sick dat Lüt!

 

7. »Jösken schmeck es to, wo söte!«

 

4. Eenen Kist un eenen Schrank, >Dunerhal, et is je Kriede!<

Eene Tunnen to *n Schwine- »Junge, et is je Brannewin

 

drank. Und en Klütken Sucker drin.^C

 

8. Use Hans, nu duU un vull,

 

Küsst sin Gretken, dat nich wuU,

Bats! kreg he en up de Schnute:

»Jess'-Mar*-Josep, min Aug* is ute!«

 

Dieses Lied kennzeichnet eine grosse Gruppe

von Volksliedern, die man gewöhnlich als Bettel-

hochzeiten ^) bezeichnet. Sie haben in der Art der

Aufzählung eine gewisse Verwandtschaft mit einer

andern Liedergruppe, die sich unter dem Namen

Zählgeschichten in den Liedersammlungen findet

und die nachweisbar in den Spinnstuben ihren Ur-

isprung hat, ja hier mit der Arbeit aufs engste

zusammenhängt. Der erste, der diesen naiven Er-

zeugnissen der Volksdichtung Beachtung geschenkt

hat, J. Gr. Meinert^), sagt, man bediene sich der-

selben in den Rockenstuben, »um den Wetteifer an-

 

 

 

1) Vgl. Erk-Böhme, n, Nr. 887 — 890. Mittler Nr. 920 f.

 

2) Alte teutsche Volkslieder in der Mundart des Kuhländchens

(Wien u. Hamburg 18 17), S. 442. Ueber andere Spinn -Wettspiele

der Spinnstuben: Ztschr. d. Ver. für Volkskunde VIII, S. 215 f.

 

 

 

92

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

zuregen, in soviel Zeit, als zum Vortrage einer Reim-

zeile erforderlich ist, einen Faden abzuspinnen, und

diese nach jenen zu zählen. Geschickte Spinner

brii^en es dahin, die längste Strophe abzusingen

und abzuspinnen, ehe andere mit Einem Faden und

Einer Reimzeile oder einer kurzen Strophe fertig

geworden. Man muss gestehen, dass sich der Fleiss

in dieser Handarbeit keinen edleren Massstab wählen

konnte.« £s liegt eine ziemlich grosse Zahl dieser

Zählgeschichten vor*); die fönende gehört zu den

bekannteren.

 

Nr. 33-

 

 

 

 

i>1 »u( dem srl-bi-gcn Baum? Ein WTin-der-scliö-ni

 

 

 

i Wi Mkineit 3, a. O,, S. gr. 193. 221. 249;

¦41-1748 (nicht auch Nr. jijoff.); Eiiij.cH

t; ERK und IKUEK, Heft IV, Nr. 40 a. VI

uk, VolkJ. Nr. 384 f. 389—398: Wnnderliom

 

Xsi-bn-fisunpen bei RJJFFKRSCHEID, S. 176 ff.

iH tjeili-rn findet sich äbrigens bei den ver-

 

K> i^l iilwl anceitendele Gelehrsamkeit, wenn

»US der Nacbahmnng eines jüdischen Oster-

i.!l hrr»ulcilfn. — Mehr in den Kinderlieder-

, l>. Kinderbuch Xr. 943—953: Böhme, D.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. g2

 

 

 

So vielmal wiederholt, als nötig wird. 1 D.S.

 

 

 

Ast. Ast auf dem Baum, Baum auf der Haid.

 

3. Was ist an demselbigen Ast? 4. Was ist auf dem selbigen Zweig?

 

Ein wunderschöner Zweig. Ein wunderschönes Nest.

 

Zweig an dem Ast, Nest auf dem Zweig,

 

Ast an dem Baum, Zweig auf dem Ast,

 

Baum auf der Haid — Ast an dem Baum,

 

Droben auf grünender Haid, Baum auf der Haid —

Da steht ein schöner Birnbaum, Droben auf grünender Haid u.s. f.

Schöner Birnbaum trägt Laub.

 

In dem Nest ist sodann ein Ei, in dem Ei ein

Vogel, an dem Vogel eine Feder, aus der Feder wird

ein Bett und so fort ins Unendliche. Jede folgende

Strophe nimmt alle vorhergehenden in sich auf und

wird infolge dessen immer länger und immer schwerer

ohne Fehler zu wiederholen. Es gehören hierher

ferner die Zählgeschichten vom Jockei, den der Bauer

zum Haferschneiden (in Schwaben zum Bimschütteln)

ausschickt, vom Jäger, der den Hasen schiessen soll,

vom Topf, der ein Loch hat, von dem Zubehör eines

Kittels, aber auch diejenigen vom Vetter Michel in

der Lämmergass, der sich eine Fiedel, dann eine

Flöte, Harfe etc. macht, »Laurentia, liebe Laurentia

mein« u. s. w. Die meisten dieser reimlosen Gesänge

sind jetzt zu Kinderliedem geworden. Ich beschränke

mich darauf, hier noch ein Stück mitzutheilen, das

von D. H. Sanders ausdrücklich als »plattdeutsches

Spinnlied« veröffentlicht worden ist ^), aber in den deut-

schen Volksliedersammlungen, wie es scheint, sich

 

 

 

i) Das Volksleben der Neugriechen, S. 139. Vgl. auch DiT-

FURTH a. a. O. Nr. 398; Erk und Irmer Heft VI Nr. 7,

 

 

 

94

 

 

 

Vierter Theü:

 

 

 

in dieser Form nicht findet. Es genüget, die letzte

Strophe hierherzusetzen, die alle 12 andern in sich

schliesst.

 

Nr. 34.

 

As ick enst en Hfiswirt wir, Rodbost — het min Oss,

 

Köft ick mir ein Gör (Kind): Sett bit to — het min Ko,

 

Schit vor de Dor — het min Gör, Trippeltrin — het min Schwin,

 

Lusepung — het min Juig, Trippeltrap — het min Schap,

 

Dicklyw — het min Wyw, Träderand — het min Gant,

 

Spinnichgim — het min Dim, Kngeldan — het min Han,

 

Donichrecht — het min Knecht, Tiridirin — sett bett in.

Wittstlrt — het min Pird,

 

Die meisten sogenannten Spinnlieder unserer

Volksliedersammlungen sind wegen ihrer morali-

sierenden Tendenz verdachtig. Nur wenige schlagen

einen frischen, scherzhaften Ton, an imd diese stim-

men mit den genannten beiden Gruppen der Bettel-

hochzeiten und der Zahlgeschichten insofern überein,

als in ihnen ebenfalls die Aufzählung eine grosse

Rolle spielt. Dahin gehört vor allem das oft ab-

gedruckte »Spinn, spinn, meine hebe Tochter«^), in

 

I) Es findet sich u. a. bei Böhme n, S. 640; £rk mid Irmer,

m Nr. 51; Simrck;k Nr. 266; Ditfurth Nr. 171. Femer gehört

hierher: >0 Moder, ich well en Ding han« bei Simrock Nr. 230 und

das reizende Lied von der gefälligen Hausfrau bei Meinert, S. 184 f.

(^IiTTLER Nr. 1085). — Man könnte auch daran denken, die zahl-

reichen Lieder >von eitel unmöglichen Dingende (Erk- Böhme III

Nr. 1090 — II 17) hierher zu ziehen. Dieselben nehmen in der Regel

bäuerliche Verhältnisse zur Voraussetzung und sind überdies als

Wechselgesänge zwischen Burschen und Mädchen gedacht. Auch

lassen sie sich ins Unendliche fortgesetzt denken, bieten somit der

Improvisation den weitesten Spielraum. Zur Veranschaulichung setze

ich die beiden ersten Strophen eines der bekanntesten dieser Lieder

 

hierher.

 

I. Ich weiss ein fein brauns Mägdelein,

 

Wollt* Gott, sie wäre meine;

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. gc

 

dem die Mutter dem Mädchen zuerst ein Paar Schuhe^

Strümpfe, dann ein Kleid verspricht: immer kann sie

nicht spinnen ; der Finger thut ihr weh, bis die Mutter

schliesslich einen Mann verheisst.

 

Ja, ja, meine liebe Mutter,

 

Der steht mir wol an!

 

Ich kann auch schon spinnen,

 

Es schmerzt mich kein Finger

 

Und thut und thut und thut mir nicht weh.

 

Der Ursprung dieser seltsamen Gebilde der Ar-

beitspoesie liegt in der Einrichtung, die sich unter

dem Namen Spinnstube, Kunkelstube, Rockenstube,.

Lichtstube in ganz Deutschland findet und die sich

auch ausserhalb unseres Vaterlandes von der Bre-

tagne bis zum Himalaya nachweisen lässt^). Burschen

und Mädchen versammeln sich hier in grösserer Zahl

zu gemeinsamer Abendarbeit. Es werden Lieder an-

gestimmt, in der Regel singt Einer oder Eine der

Anwesenden vor, während die übrigen mit dem Kehr-

reim einfallen. Die Partie des Vorsängers besteht

nun bei den hier geschilderten Spinnstubenliedem

 

 

 

Sie müsste mir von Haferstroh

Wol spinnen weisse Seiden.

 

2. »Und sollt' ich dir von Haferstroh

Wol spinnen weisse Seiden,

So musst du mir von eichem Laub

Zwei Purpurkleider schneiden.

 

Dagegen gehören die ähnlich angebauten Räthsellieder und Wett-

Streitlieder (Erk-Böhme HI Nr. io6i — 1080) der Sphäre des ritter-

lichen und bürgerlichen Lebens an.

 

I) Vgl. BÖCKEL a. a. O. S. CXXIII iF. und meine Entstehung d.

Volksw. S. 260 ff. Ueber die entsprechende Einrichtung der Schokas

in den Vorbergen des Himalaya: Landor, Auf verbotenen Wegen..

Reisen und Abenteuer in Tibet (Lpz. 1898), S. 89 ff.

 

 

 

gö Vierter Theil:

 

immer nur in einer oder zwei Zeilen; in dem Masse

aber als der Gesang weiter vorrückt, wachsen die

Kehrreime an, wird also die Partie des Chores grösser

und verwickelter, gewinnt der Vorsänger mehr Spiel-

raum zur Erfindung neuer Variationen des bekannten

Textes. Da nun jeder in die Rolle des Vorsängers

eintreten kann, und diese Lieder eigentlich keinen

Abschluss haben, so regen sie, ebenso wie zum Wett-

eifer im Spinnen, so auch zum Wetteifer in der Im-

provisation an, und daraus erklären sich die vieler-

lei Lesarten, welche unsere Sammlungen für die

Texte gerade dieser Lieder bieten.

 

Bei den Wenden in der Lausitz >hat jede Spinn-

stube ihre Vorsängerin (zanosefka, kantorka), welche

die Lieder anfangt und überhaupt den Gesang leitet.

Sie muss daher einen guten Vorrat von Texten

und Melodien im Kopfe haben. Ihr Amt ist ein

ehrenvolles; denn auf das Singen halten die wen-

dischen Mädchen sehr viel, und die meiste Zeit wird

an den Spinnabenden damit ausgefüllt. Daher hört

man auch vor Beginn der Spinnzeit öfters fragen:

Was für neue Lieder werden wir nun hören? An-

gelegentlich erkundigt man sich bei Mägden, welche

von andern Orten angezogen sind, ob sie viele Lieder

und vielleicht hier noch unbekannte wüssten^).«

 

Auch bei den Letten giebt es in den Spinn-

stuben besondere Vorsänger, die dafür von den Mäd-

chen besonders schöne Handschuhe zum Lohne er-

halten^).

 

 

 

1) Haupt und Schmaler, Volkslieder der Wenden in der Ober-

nnd Nieder-Lausitz (Grimma 184 1/3) II, S. 220.

 

2) A., E. u. H. BiELENSTEiN, Studien, S. 161, vgl. S. 157.

 

 

 

T „

 

 

 

Die verschiedenen A^len der Arbeitsgesänge. g*T

 

Texte von Spinnstubenliedern aus nichtdeutschen

Ländern sind mir wenig vorgekommen. Nur aus

Serbien sind zwei romanzenartige Stücke bekannt, die

zweifellos auf die Spinnstube (Moba) zurückgehen^).

Ausserdem liegen einige lettische Vierzeiler vor. In

einem werden die Burschen aufgefordert Lichtspäne

zu spalten, damit die Spinnerinnen sehen können; in

einem andern wird die Faulheit und Schläfrigkeit

der Mädchen gegeisselt. Das letztere Motiv kehrt

öfter wieder, u. a. auch in folgendem neugriechischen

Liedchen ^:

 

Nr. 35.

 

K' iyo) yvid'o}, triXvy' dt^a^to nivvs fiijvas, nivt* icdqdxticCj

nivxB fifjvug, Ttivt' ScSgccx^Lal nörs td 'yvB6* 17 xat'jx^i/T] ;

 

'. - .1

 

Uebersetzung.

 

Meine bösen Schwägerinnen schelten immerfort mich träge.

Und ich spinne und ich wickle in fünf Monden voll fünf Rocken,

In fünf Monden voll fünf Rocken.. Wann spann ich das sonst, ich

 

Arme?

 

Weit weniger wissen wir über den Gesang beim

Weben. Es liegft das wohl darin begründet, dass

diese Thätigkeit sich viel schwerer in Gesellschaft

ausüben lässt, und wenn wir auch Nachrichten be-

sitzen, nach denen die Sklavinnen der Alten in den

Webstuben und die unfreien und hörigen Weiber

in den Frauenhausern der mittelalterlichen Fronhöfe

gesungen haben, so gelten doch diese Unterhaltungen

als einfaltig und keiner Beachtung werth^). Frei-

lich wurde das Weben auch von freien Frauen ge-

 

 

 

1) Gerhard, Wila, I, S. 123 und 395 f.

 

2) Sanders a. a. O., .§, 104 f.

 

3) Vgl. BöCKEL a. a. O. S. CXXVII.

Bücher, Arbeit und Rhythmus.

 

 

 

g8 Vierter Theil:

 

Übt. Der taktmassige Gang des Schiffleins wie auch

die Langwier^keit und Einförmigkeit der Arbeit

mussten zum Singen einladen. Schon Homer lässt

die webenden Gottinnen ihr Werk mit Gesang be-

gleiten*). Von den Gefährten der Odysseus singt er;

 

Jetzo gestellt an der Pforte der ringellockigen Göttin,

Hörten sie Kirke daheim; sie sang mit melodischer Stimme,

Webend ein grosses Gewand, ein nnsterbliches, so wie mit Anmnth

Göttinnen feines Gewirk nnd wimdervoUes bereiten.

 

ViRGiL *) schildert ims das Bauemieben am Win-

terabend: der Mann schnitzt Lichtspäne;

 

Interea longum cantn solata laborem

Arguto coninnx percurrit pectine telas.

 

Das Lied tröstet- über die lange Arbeit hinweg;

es stärkt die Geduld des arbeitenden Weibes, die

bei dem langsamen Fortschreiten des Werkes zu er-

lahmen droht; aber der Webstuhl mischt seinen

scharfen Klang darein: die menschliche Stimme und

der Schlag des Webekammes gehören zusammen; sie

bewegen sich in gleichem Zeitmass*).

 

Aus neuerer Zeit liegen nur zwei litauische

Weberinnenlieder vor,*) von denen das folgende in

seinem Inhalt lebhaft an die Mühlengesänge eriimert»

 

i) Od. V, 6i f. X, 221 fF. Vgl. auch das Lied der webenden

Walküren: Maurer, Bekehrung des norw. Stammes I, 555.

 

2) Georg. I, 291 ff.

 

3) Vgl. Tibull. II, I, 65 :

 

Atque aliqua adsiduae textrix operata Minervae

Cantat, et adplauso tela sonat latere.

 

• •

 

4) Nesselmann a. a. O., S. 231. 243. Bartsch, Dainu Balsai,

S. 164 f. . . . . ,

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

99

 

 

 

Nr. 36.

 

 

 

 

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i

 

 

 

I. Als ich noch hat - te zwei lie - be Schwe-stem,

 

 

 

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i

 

 

 

m

 

 

 

Die bei - de We - be - rin - nen;

 

 

 

2. Als beide webten

Die feine Leinwand

Auf neuen Webestühlen;

 

3. Die Stühle klappten,

Die Kämme blitzten,

 

Da sangen beide lieblich:

 

4. »O schweiget stille,

Ihr reichen Leute,

 

Von uns, den beiden Armen!

 

 

 

8. In meine Stelle

 

Dingt ihr ein Mädchen,

Müsst theuem Lohn bezahlen.

 

9, Wenn fort ich ziehe

An hundert Meilen,

 

Wohl über Meer und Seen,

 

10. Wohl über Meere

Und See und Wasser,

Da wächst ein* grüne Linde.

 

 

 

5. Wenn fort ich ziehe ii. Die Linde wachset.

Aus diesem Dorfe, Die Blätter grünen.

 

Da lass ich euch ein Räumlein. Der Wipfel schwanket leise.

 

6. Wenn fort ich ziehe, 12. Ach Gott, ach wehe,

Ausfuhr' das Kästlein, Du liebes Gottchen,

Da lass ich euch ein Plätzchen. Wie elend meine Tage!

 

 

 

7. Säet nicht Rauten

An Kästleins Stelle,

Noch pflücket oder jätet.

 

 

 

13. Elender wohl noch

Als Meeresfischlein

Im Grunde der Gewässer!«

 

 

 

Eine interessante Uebertragung der Spinnstuben-

sitten finden wir bei den Spitzenklöpplerinnen

im sächsischen Erzgebirge. Auch diese besitzen

Zählreime, die benutzt werden, »um den Fleiss der

Arbeitenden anzuspornen, indem nach den Taktver-

hältnissen der Verse die Nadeln gesteckt werden.*

 

7*

 

 

 

lOO Vierter Theil:

 

Es liegen ihrer nicht weniger als neun vor^), grossten-

theils Zählgeschichten, alle von reizender Naivetat,

in vielem an die Kinderlieder erinnernd. Ich theile

eine Probe mit:

 

Nr. 37.

 

Ihr Tecbt'r, gibt zc Rocken,*) Kocht en gut'n Hierschbrei:

 

Macbt II Ehln Borten, Drei Mann'l Eier nei,

 

Im Zwelfe wied'r ehdmm. E halb Niess'l Butt'r nei;

 

Hat I geschlagen, Wer rächt geklipp'lt bot,

 

Hat 2 geschlagen, Ka d d'rbei sei.

 

D*r Fuchs ging ins Kraut,

 

. . , De grinn Blett'r fross 'r raus.

 

Hat 12 geschlagen. De gdln liess *r lieng —

 

Sunntig is Mantigs Brud'r Ihr Klipp'lmäd, lasst eich net be-

Dienstig lieng m*r im Lud'r, trieng.

 

De Mittwoch is de Woch halb aus, De Ebl is knimp,

 

*n Darscbtig sei kane Bort'n im De Schär ist stump,

 

Haus, Wenn Klipp'hnad'n fäblt nocb e

'n Frettig gibt de Mutt'r aus, lang'r Strump").

 

n Sunnobnd wied'r ei. Sogt a, wie viel?

 

Dies geschieht; darnach gedenkt die Sprecherin jedem der Mäd-

chen ein Geschenk als Belohnung ihres Fleisses zu:

 

Du krist en Rock,

 

Du krist en Hut,

 

Du krist e Ticb'l u. s. w. u. s. w.

 

Die Reime scheinen in einer zwischen Singen

und Sprechen die Mitte haltenden Art recitiert zu

 

i) Volkslieder aus dem Erzgebirge. Ges. u. herausg. von Dr.

Alfked Müller. 2. Aufl. Annaberg 1891, S. 214 — 225. — Nr. 5

(S. 218 f.) entspricht dem oben unter Nr. 34 mitgetbeilten Spinnstuben-

liede.

 

2) »Dieser Ausdruck wird noch allgemein gebraucht, wenn Frauen

oder Mädchen mit der Arbeit zu Besuch gehen, obwohl das Spinnen

nicht mehr geübt wird.« Anmerkung des Herausgebers.

 

3) D. h. ein langes Ende an ihrer »Zahl«.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. loi

 

werden, ähnlich wie die meisten Kinderlieder. Es

ist das der einzige mir bekannte Fall, dass eine ent-

wickelte Hausindustrie Arbeitsgesänge aus der Lebens-

weise der geschlossenen Hauswirthschaft mit hinüber

genommen hat — um so bemerkenswerther, als die

dürftige Lage der Klöpplerinnen dem Frohsinn nur

sehr wenig Raum zu bieten scheint.^)

 

Verwandt mit denTextilarbeiten ist das Flechten

von Schnüren, Matten, Körben, Gelassen, und es

gehört, wie jene, zu den am meisten Geduld er-

fordernden Verrichtungen. Wir finden darum auch

hier das Arbeitslied^, obwohl wir uns den Rhythmus

dieser Arbeit kaum vorzustellen vermögen. Als Probe

sei ein kleines serbisches Lied mitgetheilt, welches

in einer vorliegenden Uebersetzung^) »Die Schnur-

flechterin« überschrieben ist.

 

Nr. 38.

 

Sitzt das Mädchen auf der Höhe,

Auf der Höhe, in der Weite,

Drehet Seide, Schnüre flicht sie;

Aber zu den Schnüren spricht sie:

»Wenn ich wüsste, o, mein Schnürchen,.

Dass dich einst ein Jüngling trüge,

Wollt* ich Seide in dich flechten.

Wollte dich mit Gold durchwinden

Und dich schön mit Perlen zieren.

 

 

 

1) Auch sonst spielt der »Klöppelsack« eine gewisse Rolle im

erzgebirgischen Volksliede. Man vergleiche in der angef. Sammlung-

die S. 88. 115. 120. 154, Nr. 95. S. 155, Nr. 99.

 

2) Unzweifelhaft bezeugt bei v. d. Steinen, a. a. O. S. 62 (vgl.

oben S. 42). Ein Lied der Korbflechterinnen »in malayischer Form«

bei A. V. Chamisso, Gedichte (7. Aufl. Leipz. 1843), S. 140. — Auch

das von Gerhard, Wila II, S. 167 übersetzte serbische Volkslied

scheint als Gesang der Mattenflechterinnen au^efasst werden zu müssen.

 

3) Talvj (Fräulein v. Jacob), Volkslieder der Serben, II, S. 23.

 

 

 

102 Vierter Theil:

 

Aber wüsst' ich, o mein Sclmürcben,

Dass dich einst ein Alter trage.

Wollt' ich dich mit Bast durchflechten.

Wollte Riedgras in dich winden

Und mit Nesseln dich ?erzieren.4'

 

Dieses Liedchen tragt insofern das Gepräge des

Arbeitsliedes, als es von der Arbeit hinüberführt zu

der Anwendung ihres Erzeugnisses, also — ähnlich

wie mehrere noch anzuführende Beispiele — Ge-

danken der Arbeitenden wiedergibt, die mit ihrer

Thatigkeit zusammenhängen.

 

d) Hauswirthschaftliches (102)

Dass auch in der Hauswirthschaft mancherlei

rhythmisch und unter Tongeräuschen verlaufende Ar-

beiten vorkommen, wurde bereits im zweiten Kapitel

erwähnt. Auch hierbei finden sich einige hübsche

Beispiele von Arbeitsgesängen. In Arabien singt

der Sklave zu der Musik, die er mit dem Mörser

beim Kaffeestossen vollführt^), und aus Bengalen

wird uns ein kleines Liedchen mitgetheilt^), das die

gleiche Thatsache beim Auskratzen eines Messing-

kessels bezeugt.

 

Nr. 39.

Die Schöne sitzt beim Reinigen des Kessels und singt ein Lied

(zu der Musik, die sie macht) auf dem Tiegel.

(Sie singt:) »Alles, was mein Mann verdient bei seiner Arbeit,

verzehre ich allein in Betel.«;

Der Herausgeber bezieht das Liedchen auf die

Sitte, dass die in Indien so häufigen Wanderarbeiter

 

1) Wkllsted, Reise I, S. 48. •

2) Durch Grierson im Journal of the R. Asiatic Society XVIII,

S. 227.

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 103

ihren Verdienst nach Hause senden, der dort nicht

immer richtig verwendet werdje, meint aber, es könne

^uch verstanden wercjen^, der Mann sende so wenig,

dass es nur zum Kaufen von Betel reiche.

 

Ziemlich häufig sind Lieder der Wäscherinnen,

die beim Bläuen gesimgen werden, d.h. beim Klopfen

der nassen Wäsche mittels eines breiten, mit Stiel

versehenen Holzes. Das gleiche Instrument und die

gleiche Verrichtung finden sich auch in einzelnen

Gegenden bei der Flachsarbeit, beim Klopfen von

Fleisch, Stockfischen u. s. w. (vgl. oben S. 36 f.). Ein

kurzes französisches Bläuellied steht in einem be-

kannten Roman E. Zola's.^) Es lautet:

 

Nr. 40.

Pan,

pan.

Margot au lavoir

Pan,

pan

! ä coups de battoir

Pan,

pan

! va laver son coeur

Pan,

pan!

toüt noir de do'uleur

 

Bei den Litauern bildet ein beliebtes Volkslieder-

motiv das am Ufer waschende Mädchen, dem sein

Kränzlein ins Wasser fällt. Der Geüebte erscheint,

um es zu holen und ertrinkt^ Die Lieder sind zu

lang, um mitgetheilt werden zu können; nur von

einem mag die Melodie hier stehen:

 

 

 

Ziemlich schnell.

 

 

 

Nr. 41.

 

 

 

1

 

 

 

i

 

 

 

 

 

 

 

An dem Mee-re, an dem Haf-fe, Wuschen einst drei Mäd-ehen,

 

 

 

i) L'Assommoir, S. 35.

 

2) Bartsch, Dainu Balsai, Nr. 307 — 309. Nesselmann, Nr- 83 f.

 

 

 

I04

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

IhfifiU^i'f ?- £flr. r i'^'^J^

 

 

 

Tra, tra ral-la ral-la-la. Wuschen einst drei Mädchen.

 

In einem ähnlichen bulgarischen Liede^) fallt

das Madchen, das am Donaunfer die Leinwand mit

einem goldneh Bläuel schlagt, selbst in den Fluss;

Vater mid Mutter wagen nicht es zu retten, wohl

aber der Liebste. Scherzhaft fasst die Sache fol-

gendes lettische Liedchen :^

 

Nr. 42.

 

Hände froren mir und Füsse,

Wäsche klopfend an der Düna,

Warf das Klopfholz in die Dana,

Eilte selber zu den Brüdern,

Eilte selber zu den Brüdern,

Hand* und Füsse zu erwärmen.

 

Während das französische Beispiel schon im Wort-

laut den engen Anschluss an die Arbeit verräth und

dieser noch obendrein durch den Gebrauch sicher ge-

stellt ist, den der Dichter davon machen lässt (eine

Wäscherin prügelt eine andere nach dem Takte

dieses Liedes), kann bei dem lettischen nur aus dem

Inhalt die Verwendung des Liedes erschlossen werden,

da der Herausgeber und Uebersetzer keinerlei Er-

klärung darüber giebt. Aehnkch steht es mit zwei

kleinen hier folgenden Melkliedern^, nur dass

diese durch das nachfolgende, im Inhalt sehr ähn-

liche deutsche Stück*) genugsam gesichert erscheinen.

 

1) A. DozON, Chansons populaires bulgares (Paris 1875), S. 98

u. 288.

 

2) Ulmann, Lettische Volkslieder, Xr. 195.

 

3) Ulmann a. a. O., Nr. 211. 212.

 

4) Aus der Ztschr, des Vereins für Volkskunde VI (1896), S. 325.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

105

 

 

 

Nr. 43. (Lettisch.)

 

a. Kühlein, du mein buntgeschecktes,

Wonach brülltest du am Abend?

Sehntest du nach goldnem Stall dich

Oder nach der Silberkrippe?

 

>Nicht nach goldnem Stalle brüllt' ich,

Auch nicht nach der Silberkrippe;

Aber faul ist meine Wirthin,

Wollt' nicht kommen, mich zu melken«.

 

b. Geh nun in den Stall, mein Kühlein,

Freier sind herangeritten,

 

Lass mir Zeit, dass ich erhorche.

Ob die Mutter mich versprochen.

 

 

 

Nr. 44. (Aus dem obem Kainachthal in Steiermark.)

Gedehnt.

 

 

 

i

 

 

 

s

 

 

 

m

 

 

 

3

 

 

 

Kueh sa! Kuehsa I mein hel-me-te ^) Kueh! wer wird dich denn

 

 

 

1

 

 

 

 

m

 

 

 

ö

 

 

 

^^

 

 

 

5

 

 

 

mel-chen, wann ich hei-ra-ten thue? Dort drob'n auf d'r

 

 

 

i

 

 

 

ö

 

 

 

 

m

 

 

 

^^

 

 

 

^

 

 

 

Lei - ten, dort steht a' klaa'-ner Bue, der wird dich schon

 

 

 

1

 

 

 

^=^

 

 

 

^=fa

 

 

 

« #

 

 

 

-u.-s.~f.-

 

 

 

^

 

 

 

^

 

 

 

mel-chen, wann ih hei - ra - ten thue.

 

Die Liedchen sind von rührender Innigkeit, und

wenn von dem letzten uns berichtet wird, es diene

 

 

 

Vgl. auch Jahrb. d. Ver, f. niederd. Sprachforschung, Jhg. 1878,

S. 87*

 

I) Weissköpfig,

 

 

 

lo6 Vierter Theil:

 

>zur BeruhigTing der Kuh beim Melken«, so mögen

wir das gerne glauben, lieber jedenfalls, als die

Wunderwirkung, welche dem nachfolgenden est-

nischen Gesänge von gelehrter Seite zugeschrieben

wird. Das Liedchen wird nämlich beim Buttern

gesungen.^)

 

Nr. 45.

 

Kokko, kokko, korekenne! Rinne, Rahmchen, rinn' zusammen!

 

Taewaft tulgo, kirko mingo, Komm's vom Himmel, geh's zur Kirche,

 

Möda männa mütta mätta. Längs dem Quirle tipti tapti,

 

Laua peäle lattakida, Auf des Bordes ebne Schüsseln,

 

Leiwa peäle liistakida! Auf der Senmieln saubre Schnitte!

 

Kokko, kokko, korekenne! Rinne, Rähmchen, rinn zusammen!

 

Der Herausgeber erklärt diesen Gesang für einen

Zauberspruch. »Wollen beim Buttern die Fetttheile

der Milch sich nicht vereinigen, wird der Spruch

über das Butterfass gesprochen; hilft das nicht, wird

es mit Ruthen gestrichen.« Er folgt darin der Sitte

der Sammler, die alles Volksthümliche, was sie nicht

erklären können, unter den Hauptnenner des Aber-

glaubens bringen. Wer den iangwierigen Vorgang

des Butterns nach der alten Weise kennt und die

dem rhythmischen Geräusch des geschlagenen Rahmes

entsprechende Tonmalerei des estnischen Textes be-

achtet, wird keinen Augenblick Bedenken tragen,

unser Liedchen als echten Arbeitsgesang in Anspruch

zu nehmen.

 

Von den Gesängen der Wasserschöpfer, welche

noch heute allgemein an den Brunnen in Syrien und

Mesopotamien gesungen werden (S. 53), hat sich leider

 

I) Neus, Ehstnische Volkslieder, S. 443. »Die Ehsten wie die

Letten scheiden die Butter nach deutscher Art durch Schlagen oder

Quirlen«: Petri, Ehstland und die Ehsten, II, S. 223 f.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 107

 

ein neueres Beispiel nicht auffinden lassen. Dagegen

besitzen wir aller Wahrscheinlichkeit nach noch den

Text eines uralten Brunnenliedes der Israeliten, ein-

geschaltet in ein Verzeichniss der Lagerplätze dieses

Volkes bei seinem Zuge um das Land Moab^). Bei

dem Orte Be'^r (Brunnen) heisst es dort: »Das ist

der Brunnen, den Jahwe meinte, als er Mose befahl:

Versammle das Volk, damit ich ihnen Wasser gebe.

Damals sangen die Israeliten folgendes Lied:

 

Nr. 46.

 

Quill auf, o Brunnen!

 

Singt ihm zu!

 

Du Brunnen, den Fürsten' gruben,

 

Den die Edelsten des Volkes aushöhlten

 

Mit dem Scepter, mit ihren Stäben.«

 

Offenbar handelt es sich um eine sehr volks-

thümliche Weise, deren Entstehung die Ueberlieferung

an den berühmtesten Brunnen anknüpfte, den man

kannte. Möglicher Weise stellen die beiden ersten

Zeilen einen Refrain dar, mit dem die Bnmnengesänge

zu beginnen pflegten. Auch heute noch bestehen

derartige Liedchen oft nur aus einem Satze oder

aus einer Aneinanderreihung von sinnlosen Lauten,

welche die Beobachter meist der Aufzeichnung nicht

werth fanden. Ein sehr bezeichnendes Beispiel dieser

Gattung hat Emil Schmidt 2) aus Südindien auf-

gezeichnet. Es ist ein Gesang der Arbeiter, welche

 

 

 

1) Num. 21, 16 — 18. BuDDE will (in den Actes du X® Congr^s

intern, des Orientalistes (1894) Sect. II, 'S. 13 ff.) in dem Liedchen

eine Art Weihegesang bei der symbolischen Besitzergreifung eines

^runnens erblicken.

 

2) Reise nacjh Südindien. S. 193.

 

 

 

durch Treträder das Wasser aus den abgedämmten

Reisfeldern aasschöpfen und klingt wie:

 

 

 

\

 

 

 

Pulla pdlla iii-3 - dar

 

Während diese eintönige Weise in Indien von

Iklämiem und Frauen im Chor gesungen wird tind

darum vielleicht richtiger in unserer dritten Gruppe

untergebracht worden wäre, sind die Älelodien der

ägyptischen Wasserschöpfer unzweifelhaft EinzeU

gesänge. Hier einige, welche Vn,LOTEÄU bei Esneh

und Kenneh aufzeichnete*):

 

 

 

Nr. 48.

 

 

 

 

Das Schöpfen geschieht mittels eines an einem

wagerechten Balken befestigten Hebebaums, der an

einem Ende ein Gewicht, am andern ein Gefass trägt.

»Mit diesem Gefasse wird das Wasser ungefähr acht

Fuss hoch in einen zu dessen Aufnahme ausgehöhlten

Trog in die Höhe gezogen« und dann auf das zu

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. lOQ

 

bewässernde Land geleitet.^) Offenbar ist diese primi-

tive Maschinerie uralt, die Arbeit unendlich mühe-

voll und einförmig.

 

e) Handwerkslieder (109)

Der grösste Theil der bis jetzt mitgetheilten

Arbeitsgesänge gehört nicht der Stoffgewinnung,

sondern der Bearbeitung und Veredelung von Roh-

stoffen in der bäuerlichen Haushaltung an — meist

sehr einförmigen und langwierigen Verrichtungen.

Es liegt von vornherein die Vermuthung nahe, dass

die Stellen, wo sich in der entwickelten Volkswirth-

schaft solche Verrichtungen in grosser Menge an-

sammeln, also die Berufsgebiete der Handwerker,

zugleich auch bevorzugte Stätten des Arbeitsgesanges

sein werden. Erkennt doch schon das Kinderlied

den rhythmischen Gang der Werkzeuge bei den ver-

schiedenen Gewerbetreibenden dadurch an, dass es

die jedem eigenthümlichen Arbeitsgeräusche in Worten

nachahmt:

 

Schuster sagt: Ke Quarkbnit mag ich ni.

 

Schneider „ O hätt' ich's, o hätt' ich's!

 

Tischler „ Do host's, do host's!

 

Stellmacher „ Mich worgt's, mich worgt's.

 

Schmied: „ Trenk druf! Trenk dnif ! *)

 

 

 

1) Beschreibung und Abbildung bei E. W. Lane, Sitten und

Gebräuche der heutigen Egypter, übers, v. Zenker, II, S. 158.

 

2) BÖHME , Deutsches Kinderlied und Kinderspiel , S. 229 f. Im

Ostfriesischen heisst es: S nid er segt: Dor hangt *n Stück Spek!

jSchomaker: 'k wil der nix van hebben. Wever: Smiet mi *t

man heer! Diskler: Dor hest, dor hest! — offenbar von den Stör-

^rbeitem im Bauernhause. Vgl. son^t noch Simroce, Kinderbuch,

Nr. 422 ff. Rochholz, Alemannisches Kinderlied und Kinderspiel

aus der Schweiz, S. I92ff. .

 

 

 

l lo Vierter Theil:

 

Es muss dämm anfTallen, dass sich unter den

zahlreichen Handwerksliedem, welche die Sammlungen

enthalten*), nur ausserordentlich wenig* hierher Ein-

schlagendes findet. Der grosste Theil dieser Lieder

gehört der spateren Zunftzeit an und nimmt sich

nach Form und Inhalt in unerfreulicher Weise ver-

zopft aus. Abgesehen ist dabei natürlich von den

Spottliedem auf einzelne Handwerke und von den

G-esellenliedem, in welchen ein frischerer Ton herrscht

und die auch ihrer Entstehungszeit nach weiter zurückr

liegen. Unter diesen Umstanden ist es sehr be-

merkenswerth, dass von den wenigen Handwerksr

gesangen, die als Arbeitslieder allenfalls in Anspruch

genommen werden können, die meisten dem Wände Tt

gewerbe angehören. Mehrere recht alterthümliche

Scheerenschleiferlieder, ein Kesslerlied und auch wol

verschiedene Schomsteinfegerlieder gehören hierher.^)

 

 

 

Nr. 49.' (Scheerenschleifer.)

 

I. Es kommt ein fremder Schleifer daher,

Schleifer daher,

Er schleift die Messer und die Scheer.

 

Messer und Scheer,

 

Messer nnd Scheer.

 

Bsch, bsch, bsch!

 

1) Z. B. O. Schade, Deutsche Handwerkslieder (Leipzig 1865);

Erlach, Die Volkslieder der Deutschen I, S. 462 — 511; Erk-Böhmb

III Nr. 1628— 1640.

 

2) Die Schleiferlieder bei Schade, 232 ff. Erk II, Nr. 87 — 90.

BÖHME III, Nr. 1640; das Kesslerlied bei Schade, S. 244; Schom-

steinfegerlied bei Böhme III, Nr. 1639. Wolfram, Nassauische Volksl.

Nr. 372. Erlach II, S. 16. — Ein kabylisches Scheerenschleiferlied

bei SwOBODA, Musikgeschichte I, S. 127.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

2. )^ Junge, geh das Dorf hinein.

 

Da wird etwas zu schleifen sein.4C

Messer und Scheer etc*

 

3. »Ich bin schon lange drin gewest

In dem alten Rattennest.«

Messer und Scheer etc.

 

4. »Junge, geh, hol Wasser her!

 

Dass wir schleifen Messer und Scheer.«

Messer und Scheer etc.

 

5. »Junge, geh, hol Branntewein !«

Der erste Schluck soll deine sein.«

Messer und Scheer etc.

 

 

 

III

 

 

 

Nr. 50. (Kupferschmied und Kessler.)

 

Guten Tag, mein lieber Kupferschmied,

 

Tru ni di rallerallera !

 

»Schön Dank, mein lieber Kessler!«

 

Und wenn du willst mein Schwager sein,

 

Tru ru di rallerallera!

 

So heirat* meine Schwester.

 

Von stehenden Handwerken bieten, soweit ich

sehen kann, nur die Schmiede und die Böttcher Aehn-

liches. Ein schwerlich über das 17. Jahrhundert zu«

ruckreichendes Schmiedegesellenlied ist wegen seines

wechselnden Rhythmus besonders bemerkenswerth.^)

 

 

 

Nr. 51.

 

 

 

I. Wohlauf, Gesellen,

Macht widerprellen,

Vom Eisen, das hitzt,

An euren Stellen

Des Amboss Schwellen,

Dass donnert und blitzt.

 

 

 

2. Ja, lasst un^ schmieden

Und wacker glüden

Mit richtigem Schlag!

Uns ist beschieden

Ganz zu ermüden

Bis um den Mittag.

 

 

 

i) Aeltester Druck in M. Abeles' Vivat oder sogenannte künst-

liche Unordnung, 4. Theil. Nürnberg 1673, bei Erlach I, S. 506.

 

 

 

112

 

 

 

Vierter Thcil:

 

 

 

3. Anf, ihr Gesellen,

Dass beim Erhellen

Des Himmels geschwind

Bei Hammenallen

Aus nnsem Zellen

Das Liedlein beginnt.

 

 

 

Die Hähne horchen

Beim frühen Morgen

Und haben nns Dank!

Indem wir sorgen.

Um nicht zu borgen

Kost, Kleider nnd Trank.

 

 

 

Offenbar entspricht hier jede betonte Silbe einem

Schlage auf das glühende Eisen, jede unbetonte dem

leichten Aufhüpfen des Hammers auf dem Amboss.

Noch künstlicher ist eine andere poetische Nach-

bildung der Schmiederhythmen aus derselben Zeit,

von der wenigstens die erste Strophe hier stehen

mag, wenn es sich auch schwerlich um einen Gesang

handelt^):

 

Wenn jetzt die Schmieder zusammen geloffen

 

Und angefangen, das Eisen zu klopfen.

 

Kein solcher Gesang kommt auf die Bahn,

 

Wie diese Burschen heben an.

 

Mit Streichen im Dutzend einander sie trutzen,

 

Keiner der letzte wül sein,

 

Sie schlagen eins Schiagens und thuen den zwagen

 

Der leiser schlägt darein.

 

Manichfaltig, gestaltig, gewaltig

 

Die Hämmer hoch fliegen, das Eisen zu biegen.

 

Die Zangen erlangen und fangen die Stangen

 

Und werfen's in die Kohlen, dass klinget, widerspringet.

 

Inmitten der Hitzen, das glitzet, widerspritzet —

 

Und also das Eisen tauglich wird.

 

Auch an das niederdeutsche Studentenlied »En

Grofsmid sat in goder Roh« mag erinnert sein mit

seinem bezeichnenden Refrain: »Sieh düt, sieh dat,

sieh do!« oder, wie er in einer hochdeutschen Fas-

 

 

 

I) Erlach I, S. 500 fF,

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 1 1 ^

 

sung lautet: »Siditze, sidatze, sidomm!«^) Ebenso

charakteristisch ist der Refrain eines Böttcherliedes ^ :

 

Fassbinder,

Wo sind sie?

Hier sind sie.

Lasst euch hören!

 

Aber es handelt sich hier um ein Herbergslied,

das bei der Gesellenauflage gesungen wurde. Bei

dem letzten Satze »wird nach dem Takte geklatscht,

wie wenn Reifen eingeschlagen werden«. Das Lied

ist offenbar nicht aus der Böttcherwerkstätte in die

Herberge umgezogen, sondern hier entstanden und

lässt sich nur mit den Studentenliedern vergleichen,

die mit ähnlicher Begleitung gesungen werden. Ein

Arbeitsgesang ist es zweifellos nicht. Diesen wird

man überhaupt kaum in den Werkstätten zu finden

hoffen dürfen. Gesungen wird dort gewiss; aber es

sind gewöhnlich Volkslieder allgemeinen Inhalts, die

g-erade sich dem Rhythmus einer bestimmten Arbeit

anpassen lassen, oder solche, die bloss^ zur Unter-

haltung dienen.^) Bemerkt zu werden verdient jeden-

 

 

 

1) Erk-Böhme, ni Nr. 1698. Wolfram, Nr. 79,

 

2) Schade, Handwerkslieder S. 7. Es kann hier auch noch des

Kefrains in dem bekannten Spottliede auf die Leineweber (»Die Leine-

weber haben eine saubere Zunft«) gedacht werden.

 

3) Meine Erkundigungen nach speciellen Texten, die zu be-

stimmten Verrichtungen gesungen werden, haben kein weiteres Er-

gebniss geliefert, als die Mittheilung, dass die Schlosser beim Feilen

«in Lied anzustimmen pflegten, dessen erste Strophe so lautet:

 

In jener Mühle ist bekannt

Da hauste Kilian,

Der Teufelsmüller nur genannt,

Das war, das war ein böser Mann:

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 8

 

 

 

114

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

falls, dass die wenigen in diesem Abschnitt auf-

geführten Beispiele von Handwerksliedem, die etwa

als specifische Arbeitstaktlieder angesehen werden

können, solchen Gewerben angehören, deren Thätig-

keit sich öffentlich vollzieht. Auch die Dorfschmiede

kann heute ja noch, wie schon zur Zeit des Hesiod,

als eine Art öffentlichen Ortes bezeichnet werden.

Auf die Rammlieder der Zimmerleute, die wir noch

kennen lernen werden, trifft das Gleiche zu. Im All-

gemeinen aber scheint sich zu ergeben, dass in der

Wirthschaftssphäre, der das Handwerk angehört, der

eigentliche Arbeitsgesang abstirbt. Mindestens suchen

wir ihn da auch bei solchen Verrichtungen vergebens,

bei denen ihn primitive Völker später uns zeigen

werden.

 

f) Beim Pflücken (114)

Haben wir im letzten Abschnitt gefunden, dass

der Arbeitsgesang im berufsmässig entwickelten Ge-

werbe kaum eine Stätte hat, so gilt dies auch von

der berufsmässigen Landwirthschaft unserer Kultur-

länder. Damit ist aber nicht gesagt, dass er über-

haupt beim Feldbau fehlte. Im Gegentheil werden

wir im nächsten Kapitel finden, dass er bei den ver-

schiedensten Arbeiten von der Ackerbestellung bis

zur Ernte vorkommt. Freilich erscheint er hier nur

im Zusammenhang mit bestimmten Formen der land-

wirthschaftlichen Technik und der Agrarverfassung;

aber es dürfte doch gerathen sein, alles was uns an Ar-

 

Er mordete zum Zeitvertreib

Zuletzt sogar sein eignes Weib.

 

Der Text findet sich, soweit ich sehe, in keiner unserer sonst so

weitherzigen Volksliedersammlungen, verdient es wol auch nicht.

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 115

beitsgesängen aus dem Gebiete des eigentlichen

Ackerbaus bekannt ist, dort zusammen zu behandeln.

An dieser Stelle sollen nur wenige Lieder mit-

getheilt werden, die sich an die Gewinnung einiger

zur Bereitung von Getränken dienender pflanzlicher

Erzeugnisse knüpfen. In erster Linie steht hier der

Hopfen. Bei der Ernte desselben werden bekannt-

lich die Ranken am Boden abgeschnitten, darauf mit

den Stangen ausgehoben und umgelegt. Das Pflücken

des Hopfens geschieht dann entweder sofort auf dem

Felde oder zu Hause, wohin die Ranken, nachdem

sie von den Stangen abgelöst worden sind, gebracht

werden. In beidenFällen ist grosse Eile nothwendig. Man

verwendet deshalb immer zahlreiche Arbeiter, meist

Frauen und Kinder. Bei dieser Beschäftignng werden

in den Gegenden, wo der Hopfenbau regelmässig

betrieben wird, besondere Lieder gesungen, die zu

den anmuthigsten Schöpfungen der Arbeitspoesie

gehören. Das erste der nachfolgenden Beispiele^)

gehört dem deutschen, die beiden folgenden dem let-

tischen^ und die zwei letzten^) dem litauischen Sprach-

gebiete an.

 

 

 

Nr. 52. (Deutsch, aus Böhmen.)

 

 

 

Lustig.

 

 

 

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2

 

 

 

I. Jetzt fahr'n wir ü - bem See, ü - bem See; jetzt

 

 

 

1) Hruschka und Toischer, Deutsche Volkslieder aus Böhmen

(Prag 1891), S. 257. Erk-Böhme III, Nr. 1737.

 

2) Ulmann a. a. O., Nr. 228 f.

 

3) Nesselmann Litt. Volkslieder Nr. 256 (ähnlich Nr. 265) und

Nr. 403 (ähnlich Nr. 320).

 

8*

 

 

 

 

Wnr - zel, kein Rn - dec war nicht

 

 

 

 

 

 

2. [: Und als wix drüber war"!!,

 

wieder war*!!,

Und als wir drüber — :| war"!!,

Da sangen alle Voglein,

Vöglein, Vöglein, Voglein,

Da sangen alle VÖglein.

Der helle Tag brach — :| an.

 

3. |: Die Magd die kehrt das Haas

 

Die Magd die kehrt das — :|

 

Hans;

Und was sie in dem Kehraus

 

fand,

Kehraus , Kebrans , Kehrans

 

 

 

Und was si

Das theUt \

 

 

 

1 dem Kehraus

 

 

 

Knecht.

 

 

 

L

 

 

 

. 1: Die Frau erwischt den Strang

von der Wand,

Die Frau erwischt den — :|

Strang,

 

 

 

Und schlug der armen Dienst-

 

Dien stmagd , Dien stmagd. Dien st -

 

Und schlag der armen Diensl-

 

Den Besen aus der — :| Hand.

. |: Der Jäger rief ins Hom,

wieder Ilom,

Der Jäger rief ins — :| Hom

Da blasen alle Jäger,

Jäger, Jäger. Jäger,

Da blasen alle Jäger,

Ein jeder in sein — :| Hom.

 

. I : Das Liedlein das ist aus,

 

Das Liedlein das ist — :{ ans.

Und ver das Lied nicht singen

 

Singen, singen, singen kann, .

Und \rer das Lied nicht singen

 

Der zahl' ein halb Fass , — ;[

 

 

 

Wei

 

 

 

I) Ein Theil der Strophen dieses Liedes wird auch als Kinder-

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

117

 

 

 

Nr. 53. (Lettisch.)

 

Hinterm Berge sät* ich Gerste,

Dass der Hopfen es nicht merke;

Aber pfiffig ist der Hopfen,

Steigt auf einen Baum und lauert.

 

Nr. 54. (Lettisch.)

 

Ach du Hopfen, struwelköpf ger,

Was verübtest du am Männlein!?

Männlein stolpert auf dem Wege,

Hin und her die Mütze schwenkend.

 

 

 

Nr. 55.

 

1. Du Hopfen, ei taduja,

Du Schleicher, ei taduja,

 

2. Wo wuchsest du, taduja?

Wo wardst du gross, taduja?

 

3. Auf Vaters Beet, taduja,

Wohl hinterm Zaun, taduja.

 

4. Komm Schwesterlein, taduja.

Wir pflücken ab den Hopfen,

 

5. Wir pflücken ab den Hopfen,

Wir brauen gelben Alus.

 

 

 

(Litauisch.)

 

6. Wir brauen gelben Alus,

Wir laden ein den Vater. —

 

7.* Der Vater hat im Rausche

Versagt die liebe Tochter.

 

8. Dem Vater nach dem Rausche

That leid es um die Tochter.

 

9. Kehr,Tochter, heim vom Wege;

Die Rauten pfleg im Garten.

 

10. Versagt kehr ich nicht wieder,

Gepflückt grünt nicht die Raute.

 

 

 

Tadireli taduja.

 

Du grüne Raute taduja!

 

Nr. 56.

I. Und was sagte denn der Hopfen, 2. Und was sagte denn der Hopfen,

 

 

 

Kriechend aus der Erde?

Era ritamta,

Faladroti kumferta!

 

Wirst du mich nicht gut auf-

binden,

 

Keim' ich auf der Erde.

 

 

 

Auf der Stange rankend?

 

Era ritamta,

 

Faladroti kumferta!

Wenn du mich nicht zeitig ab-

pflückst.

Werde ich verstäuben.

 

 

 

lied beim Pfanderspiel gesungen. Vgl. Simrock, Volkslieder S. 109,

Kinderbuch S. 213; Böhme, Kinderlied u. Kinderspiel, S. 671.

 

 

 

ii8

 

 

 

Vierter Theü:

 

 

 

3, Und was sagte denn der Hopfen,

Anf dem Speicher liegend?

 

Era ritamta,

Faladroti komferta!

 

Wirst du mich nicht fleissig

 

rühren.

 

Werde ich Terschimmebi.

 

4. Und was sagte denn der Hopfen,

In dem Kessel kochend?

 

Era ritamta,

Faladroti kumferta!

 

Wirst du mich nicht gut be-

decken.

 

Werde ich verdampfen.

 

 

 

5. Und was sagte denn der Hopfen,

In dem Fasse liegend?

 

Era ritamta,

Faladroti kumferta!

 

Wenn du mich nicht fest ver-

spundest.

 

Werde ich nicht schmackhaft.

 

6. Und was sagte denn der Hopfen,

In dem Glase stehend?

 

Era ritamta,

Faladroti kumferta!

 

Wenn du mich nicht wirst be-

 

zwingoi.

 

Werde ich dich wälzen.

 

 

 

Dass am Rhein bei der Weinlese gesungen

wird, ist bekannt. Von einem Arbeiten im Takte

wird dabei jedoch nicht die Rede sein können. Es

würde darum keine Veranlassung vorliegen, das fol-

gende Necklied der Winzerinnen hier mitzutheilen,

zeigte dasselbe nicht eine unverkennbare Verwandt-

schaft mit den Gesängen, die zur Flachsarbeit ge-

hören. Das Lied ist 1819 von Hoffmann von Fallers-

LEBEN in Kessenich bei Bonn aufgezeichnet worden ^).

 

Nr. 57.

I. Die Trauben, die wir schnei- 2. Hie ist sich einer, der Adam

 

 

 

den,

|: Und die sind dürre; :|

Wann wolPn wir Jungfer

 

Liesche

Wol zur Kirchen führe?

Hei ! die Trauben die sind dürre.

 

 

 

heisst,

: Und der ist wilde; :|

Er führt ein silbernes Kärst-

 

chen

In seinem Schilde.

Hei! der Schelme der ist wilde.

 

 

 

I) Erk-Böhme, HI, Nr. 1557. Str. i, Zeile 2 ist in der That

dürre, nicht thüre zu lesen, wie Böhme glaubt. Die Trauben(stengel)

sind dürr, und es ist darum Zeit sie zu schneiden; auch für Jungfer

L. ist es Zeit zu heiraten.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. hq

 

3. Er ist so wilde nicht,

 

|: Er wird auch wiedrum zahm. :|

Er nahm sich Jungfer Lies che

In seine Arme lang:

Hei! die Zeit fiel ihm nicht lang!

 

Wie mit diesem Winzerinnenliede wird es sich

wahrscheinlich auch mit einem nicht weniger als

dreissig Strophen langen Gesänge der chinesischen

Theepflückerinnen verhalten, der in englischer

Uebersetzung vorliegt^). Der Thee erfordert vom

Pflücken bis er versandtfertig ist, so viele und um-

ständliche Arbeiten, dass sich ohne persönliche Be-

obachtung nicht sagen lässt, ob etwa eine derselben

in einem bestimmten Rhythmus vollzogen wird. Das

Lied beschäftigt sich allerdings vorzugsweise mit dem

Pflücken der Theeblätter, gedenkt aber auch der

sich daran anschliessenden Arbeiten des Röstens und

Rollens, die ebenfalls meist von Frauen verrichtet

werden. Es mag genügen, wenn hier die ersten

Strophen mitgetheilt werden.

 

Nr. 58.

 

1. Unser Haus liegt inmitten von zehntausend Hügeln,

 

Wo nord- und südwärts vom Dorf der Thee in Fülle wächst.

 

Von Chinse nach Kuhyii unablässig gehetzt,

 

Muss ich jeden Morgen früh aufstehn, meine Theearbeit zu thun.

 

2. Mich ankleidend, wenn kaum der Tag dämmert, das Haar nur

 

halb geordnet.

Nehm' ich meinen Korb und trete hinaus in den dicken Nebel.

Kleine Mädchen und ehrbare Frauen gehn Hand in Hand den

 

Weg entlang

 

 

 

I) HOUGHTON, Women of the Orient, p. 355 — 359, der sich

wieder auf »Middle Kingdom« from Chinese Repository, Vol. VIII

p. 196 beruft.

 

 

 

120 Vierter Theü:

 

Und fragen mich: >Welchen Abhang des Snnglo klimmst du heute

 

empor ?4:

 

3. Trüb ist der Himmel, und düstres Zwielicht deckt der Berge Spitzen;

Die bethauten Blatter und dunklen Knospen sind nicht leicht zu

 

pflücken.

Wir wissen nicht, für wen — seinen Durst zu stillen —

Wir uns plagen und arbeiten und täglich, je zu zweien, gehen

 

müssen.

 

4. Paarweise gesellt, uns wechselseitig helfend, ergreifen wir die

 

Theezweige

Und treiben mit leisen Worten einander an: )>Zaudre nicht,

Auf dass nicht an der Zweigspitze die Knospe noch zu alt wird

Und nicht mit dem Morgen der rieselnde weiche Regen kommt .k

 

5. Wir haben jetzt genug gepflückt; hoch am Zweig sind nur noch

 

spärlich Blätter;

Wir haben« unsre Körbe bis zum Rand gefüllt und reden vom

 

Heimgehn.

Lachend ziehn wir dahin, da geht gerade am Teich

Ein Paar heiiger Wildenten auf und fliegt nach verschiedener Rich-

tung davon.

 

6. Dieser Teich hat klares Wasser, und tief wächst dort der Lotus,

Wie Münzen rund sind seine kleinen Blätter und erst halb auf-

geblüht;

 

Zum vorspringenden Rand gehend bei einer klaren und seichten

 

Stelle

 

Versuche ich mit meinen Blicken zu ergründen, wie jetzt mein

 

Antlitz ausschaut.

 

7. Mein Lockenhaar ist arg zerzaust, mein Antlitz ganz entstellt.

In wessen Hause lebt die Dirne, so garstig wie 'ne Sklavin?

Das kommt davon, dass jeden Tag den Thee ich pflücken muss,

Dass Regenschauer und Windeswehn die Reize mir verdorben.

 

Das Lied bietet in seinem weiteten Verlauf noch

einige hübsche Scenen aus dem Leben der Pflückerin,

in denen ihr die Witterung arg mitspielt; in die

Aeusserungen weiblicher Eitelkeit mischt sich mehr»

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. i 2 l

 

fach die Sorge, den besten Thee auf den Markt zu

bringen; dann folgen wieder Klagen über das müh-

selige Leben — kurz echte Mädchenpoesie. Auch

der Schi-king, der ja manche volksthümliche Stücke

enthält, hat uns aus dem 12. vorchristlichen Jahr-

hundert ein Lied der Wegerichpflückerinnen

aufbewahrt, das hier noch zugleich mit der Ueber-

setzung von Victor von Strauss folgen mag.^)

 

Nr. 59.

 

1. Thsäi thsäi feu-i, i. Pflücket, pflücket Wegerich,

pok-yßn, thsäi tsi; Eija zu und pflücket ihn!

thsäi thsäi föu-i, Pflücket, pflücket Wegerich,

pok-yfin, yeü tsi. Eija zu, ihr rücket ihn.

 

2. Thsäi thsäi f(§u-i, 2. Pflücket, pflücket Wegerich,

pok-yßn, tot tsi; Eija zu, ergreifet ihn!

thsäi thsäi föu-i. Pflücket, pflücket Wegerich,

pok-y6n, luot tsi. Eija zu, entstreifet ihn!

 

3. Thsäi thsäi fSu-i, 3. Pflücket, pflücket Wegerich,

pok-yßn, kiet tsi; Eija zu, nun packt ihn ein!

thsäi thsäi f&u-i. Pflücket, pflücket Wegerich

pok-y6n, hiet tsi. Eija zu, nun sackt ihn ein!

 

Alle diese Lieder knüpfen an die Verrichtung

des Pflückens an, wo es sich darum handelt, Blätter,

Blüten oder Früchte einzeln mit den Fingern von

der Pflanze zu entfernen und einzusammeln. Obwohl

an sich diese Technik rhythmischer Gestaltung nicht

unzugänglich sein würde, so erscheint es doch bei

den ständig wechselnden Umständen, unter denen

die Gewinnung jener Pflanzentheile erfolgt, schwer

 

I) Den chinesischen Text verdanke ich der Freundlichkeit meines

Kollegen A. Conrady; die Uebersetzung findet sich bei Strauss,

s. 73.

 

122 Vierter Theil:

denkbar, dass in den hier genannten Fällen längere

Zeit taktmässig gearbeitet werde. Als Arbeitsgesänge

im weiteren Sinne werden wir trotzdem diese Lieder

anzusehen haben.

 

g) Aus andern Gebieten (122)

Der Gegenstand dieser Untersuchung bietet dem

Forscher so viel des Unbegreiflichen und Wunder-

baren, dass man den Thatsachen oft nur mit Wider-

streben folgt. Dies gilt insbesondere von dieser

letzten Gruppe von Gesängen, in der ich recht Ver-

schiedenartiges, aber doch zur Sache Gehöriges zu-

sammenstelle, ohne, mangels eigener Beobachtung,

im Stande zu sein, den Zusammenhang zwischen ge-

sungenem Worte und Körperbewegung irgendwie

zu veranschaulichen. Man wird sich aber das Be-

reich dieser Gesänge bei den Naturvölkern nicht

leicht zu gross vorstellen können.

 

An erster Stelle erwähne ich das Tättowieren,

das überall auf den Inseln der Südsee mit Gesang

begleitet zu werden scheint. Beispiele solcher Ge-

sänge liegen allerdings bloss aus Samoa^) und Neusee-

land^ vor. Die Maori haben ein besonderes Lied

beim Tättowieren eines Mannes und ein eben solches

beim Tättowieren eines Mädchens. Das erstere lautet

in Uebersetzung :

 

1) Ztscjir. f. Ethnologie XXVIH (1896), S. 562 f. der Verhand-

lungen.

 

2) Reise der Fregatte Novara, III. Abth. Ethnographie, S. 50 f.,

a.uch abgedruckt bei R.M.Werner, Lyrik und Lyriker, S. 129 f.

und Ploss, Das Weib (4. Aufl.) I, S. 97 f.

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 123

Nr. 60.

Wir sitzen da beisammen Das junge Laub der Warawara.

Und schmausen zusammen; Ich bin der Meister

"Wir blicken an die Zeichen Eurer herrlichen Zeichen!

Auf den Augen, auf der Nase Den Mann, der dich gut bezahlt,

Tuteta wa*s, Tättowier* recht zierlich;

Die sich schlängeln hin und her. Den Mann, der dich nicht bezahlt.

Gleich den Füssen der Eidechse. Diesen zeichne nicht schön!

Stich ihn mit dem Meissel Mataora's ! Lass' ertönen das Brummen !

Sei nicht so sehnsüchtig, Steh* auf, Tangaroa!

Dass die Frauen dich schauen, Heb* dich, Tangaroa!

Dass sie pflücken möchten

 

Das Tättowier-Instrument ist ein Stab mit einem

Ast-Endchen, in welchem ein zugespitzter Knochen-

splitter befestigt ist. Der auf den letzteren aufge-

strichene Farbstoff wird durch Schläge, die mit einem

hölzernen Hammer auf den Stab geführt werden, in

die Haut hineingetrieben. Ob die Schläge in takt-

mässiger Weise erfolgen, lässt sich natürlich ohne

eigene Beobachtung nicht sagen. Unmöglich ist

es nicht.

 

Weitere Nachrichten besagen, dass die Papuas

besondere Gesänge bei der Beschneidung^) und

die Danäkil ein eignes Lied für die durch kundige

Frauen verrichtete Infibulation^) besitzen. Es

muss freilich dahingestellt bleiben, welchen Charakter

diese Gesänge tragen. Wir wissen zu wenig von

den Vorgängen, denen sie entsprechen und den dabei

stattfindenden Ceremonien. Aber wie viele kennen

heute bei ims noch die wahre Natur der Wiegen-

lieder^), die sich so eng an die Schaukelbewegung

 

1) Hagen, a. a. O. S. 14. — Vgl. Paulitschke, II, S. 212.

 

2) Paulitschke, a. a. O. S. 175.

 

3) Beispiele bei Erk-Böhme, D. Liederhort III, S. 579 fF.

124 Vierter Theil:

der Wiege anschmiegen, welche die Mutter mit dem

Fusse tritt oder mit der Hand bewegt! Sicher aber

liegt die Neigung, jede länger dauernde Thätigkeit

rhythmisch zu gestalten, jede Verrichtung mit Ge-

sang zu begleiten, so sehr in der Natur primitiver

Völker, dass sie jedem Beobachter auffcdlen musste,

der dafür ein Auge hat. Als Mackay 1877 in Ost-

afrika einen Weg und eine Brücke baute, schrieb

er über das Benehmen seiner eingeborenen Ar-

beiter^):

 

»In dem waldfreien Lande vertheilen sich meine

Leute mehr, und manchmal bleiben da oder dort

einige zurück, um einen riesigen Affenbrotbaum zu

fallen, an dem die Werkzeuge fast zu Schanden

werden. Aber wenn man ins Dickicht einbricht,

sind alle beisammen, und sie feuern sich gegenseitig

durch Gesang an, der entweder keinen oder nur

wenig Sinn hat^. Eins dieser Liedchen, das man

sich wohl zu meiner besonderen Erbauung ausgedacht

hat, lautet:

 

Nr. 61.

Eh, eh, msungu mbaya

Tu katti miti

Tu ende Ulaya,

 

welches umschrieben so viel bedeutet als: »O, ist

der weisse Mann nicht sehr bös, dass er die Bäume

 

i) a. a. O. S. 50.

 

2) Aehnlich Ch. M. Doughty, Travels in Arabia deserta (I, p.459);

>The loud chant of Beduins at labour is but some stave of three or

four words in cadence, with another answering in rime, being words

which first happen to their minds, and often with little sense; and

when they have sung a couplet somewhile, they will take up a new.

— And this is a shepherd's rime which he made of me in the

booths: »yä Khalil! zey el-til«, »O Khalil! sib to the elephant.«

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 125

abschneidet, um einen Weg zu machen, damit die

Engländer kommen können!«

 

Also auch hier eine ausserordentliche Leichtig-

keit der Improvisation, wie sie schon bei den Mühlen-

und Spinnliedchen hervortrat; auch hier die nahe

Beziehung des Inhalts auf die eben vorliegende Ar-

beitsaufgabe — nicht wie bei den Volks- und Kunst-

liedern, welche heute unter den Kulturvölkern meist

zur Arbeit gesungen werden, die Wiedergabe eines

feststehenden, der Arbeitssphäre fremden Liederinhalts

in einer rhythmisch und melodisch selbständigen Form.

Alle echten Arbeitsgesänge — das wird festgehalten

werden müssen — sind in ihrem Rhythmus durch

die Arbeit bestimmt, können aber durch das Tempo,

in dem sie gesungen werden, auf den Gang der Ar-

beit zurückwirken. Wie diese Einwirkung sich psy-

chisch und physiologisch vollzieht, mag dahingestellt

bleiben; sicher ist, dass sie stattfindet, und erfahrungs-

gemäss beschränkt sie sich gar nicht einmal auf den

Menschen, sondern dehnt sich auch auf Thiere aus.

Wie das Tempo der Musik oder des Gesangs einer

marschierenden Truppe sich mittheilt, so lernen auch

die Cavallerie- und Circuspferde nach demselben ihre

Gangart richten, und die Araber haben eine eigene

Liedergattung für den Gang der Kameele (Hadu)^)

 

 

 

i) Esquisse historique de la Musique Arabe aux temps anciens etc.

par Alexandre Chiästrano witsch, Cologne 1863, S. 12: Les r6cits

Ugendaires dn peuple arabe disent que les premiers chants furent

ceux du cHamelier excitant la marche des chameaux. Ces chants,

tous mod^l^s ä peu pr^s sur le mfime rythm«, transmis d*6poque en

^poque, ont une origine commune qui remonte jusqu'ä Modhar^ Pun

des pöres des tribus arabes. Voici ce que dit la legende: Modbar,

fils de Nizar, fils de Mädd, fils d'Aduan, avait une voix d'un timbre

 

 

 

126 Vierter Theil:

 

und eine andere für den der Pferde (Zindali)^). >Je

nachdem (dort der Klameeltreiber, hier) der Reiter

dieselben singt, d. h- ob in langsamem oder beschleu-

nigtem Tempo, richtet das Thier seine Gangart ein.«

In letzter Zeit hat man Untersuchung-en angestellt

über den Einfluss, welchen die Musik auf die ver-

schiedenen Thierarten eines zoologischen Gartens

ausübt. Die meisten Volker, welche der Thierzucht

grossere Aufmerksamkeit widmen, zweifeln an einem

solchen Einflüsse nicht. Die mongolischen Nomaden-

stamme glauben sogar, Kameele, die ihre Jungen

nicht säugen wollen, durch Geigenspiel zu ihrer

 

melodieux et d'une douceur incompaiable. Un jonr, ^tant en voyage,

il tomba du haut de sa montnre et se cassa le bras. La douleur lui

arracha des cris et des plaintes: Ttya! yadah! ya! yadahla r6petait-il

en g^missant, c'est ä-dire: >ali! mon bras! ah! mon bras!<c II y avait

dans Pintonation de sa voix, dans la modnlation de sa plainte comme un

charme qui agit sur les chameaux et rendlt leur course plus rapide et

leur mouvement plus doux. Des ce jour, les chameliers adopt^rent les

modulations de la plainte de Modhar ponr exciter leurs chameaux.

Leur cri r6pet6 dans cette sorte de chant: hadia! hadia! rappelle,

dit-on, les cris de Modhar blesse: i>ya! yadah! ya! yadah !<(. — Le

chant des chameliers s'appelle en arabe Houdd, le chamelier qui

excite le chameau se nomme Hädi. n y en a de celebres, et dans

le Kitab-el-Aghani on cite, comme Tun des plus fameux, celui du

Calife Al-Mansour. — Du chant du chamelier modifie naquit le chant

funibre, appel^ Nouh (lamentation). Pendant longtemps, les peuples

de la Mecque et des contr^es voisines ne connurent gu^re que ces

deux esp^ces de chants. — Ein Beispiel bei Talvj a. a. O. S. 53.

Vgl. auch M. Hartmann, Metrum und Rhythmus. Die Entstehung

der arabischen Versmasse (Giessen 1896), S. 13 ff. — Die Somali

singen auch »uralte Lieder, wenn die Kameele beladen oder getränkt

werden.« Paulitschke, a. a. O. II, S. 288. — Vgl. noch Cruri,

Sca Nile, the desert and Nigritia, p. 330.

 

I) H. Stumme. TripoUtanisch-tunesische Beduinenlieder (Leipzig

1894), S. 54.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 127

 

mütterlichen Pflicht zurückführen zu können^). Bei

den alten Aegyptern sang der Hirte seinen Schafen,

wenn er sie nach Landessitte hinter dem Sämann

her über die noch nassen Felder trieb, damit sie

den Samen mit ihren Füssen in den Schlamm träten^.

Eines der Liedchen ist uns erhalten und lautet:

 

Nr. 62.

 

Euer Hirt ist im Wasser bei den Fischen;

 

Er spricht mit dem Wels, er begrüsst sich mit dem Hecht.

 

Westen! euer Hirt ist ein Hirt vom Westen.

 

Der Hirte scheint sich selbst zu verspotten, sa

im Wasser waten zu müssen, wo ihm die Fische

Guten Tag sagen. Ein anderes Liedchen, das in

mehreren Fassungen auf uns gekommen ist, singt

der Treiber den Ochsen vor, wenn er sie auf der

Tenne in die Runde treibt, damit sie das Getreide

mit ihren Füssen dreschen.

 

Nr. 63.

 

Drescht für euch, drescht für euch!

Ihr Ochsen drescht für euch!

Drescht für euch das Stroh zum Futter

Und das Korn für eure Herren!

Gönnt euch keine Ruhe!

Es ist ja heute kühl.

 

Auch in Madeira wird den Ochsen gesungen,,

wenn sie zum Austreten der Körner über die Dresch-

tenne getrieben werden. Der Gesang ist weithin

vernehmbar und hat etwas ungemein Feierliches.^)

 

 

 

1) Pallas, Sammlungen histor. Nachrichten über die mongolischen

Völkerschaften I, S. 265.

 

2) Ermann, Aegypten und ägyptisches Leben im Alterthum,.

S. 515 f. Dort auch die Dreschliedchen.

 

3) Mündliche Mittheilung.

 

 

 

128

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Ohne diesen Dingen allzu grossen Werth beizu-

legen, möchte ich doch in ihrem Zusanunenhang eine

Anzahl Lieder mittheilen, die nach Form und Inhalt

ein besonderes Interesse beanspruchen. Es sind Ge-

sänge der japanischen Mago oder Führer von

Packpferden, deren Texte und Uebersetzung ich der

oft bewährten Gefälligkeit meines Kollegen A. Conrady

verdanke ^).

 

Nr. 64.

 

 

 

Ise wa Tsu-de motsu,

Tsu wa Ise-de motsu,

Owari Nagoya wa

Shiro-de motsu.

 

 

 

Was ist Ise ohne Tsu,

Was ist Tsu ohne Isie,

Was ist Nagoya in Owari

ohne sein Schloss?

 

 

 

Nr. 65. (Provinz Jdzu.)

 

 

 

Fuji-no atama-ga tsun moyeni;

 

Najo-ni kemari-ga tsun moyeni?

 

Mishima jiorö-shu-ni

 

Garara uchikomi.

 

Kogare ojiattara tsun moyetä.

 

Shion gaye dö dö!

 

 

 

Der Gipfel des Fuji brennt.

 

Warum brennt der Rauch?

 

Weil man die Dirnen von Mishima

 

alle hineingeworfen hat.

 

Wenn sie in Liebe brennen werden,

 

wird (der Fuji) in Flammen brennen.

 

Shion gaye, dö dö!

 

 

 

Nr. 66.

 

Yombe näää

 

Shinon dara yeee

 

Osandonä,

 

Madzu ii asesa-nete ita kara;

 

lyo! nabe-no meshiya sugite,

 

tsutsubüshitäää yeee.

 

 

 

(Provinz Suruga.)

 

Guten Abend, na

 

als ich leise hineinschlich, ye,

 

zum Dienstmädchen,

 

schlief sie erst festj

 

lyo ! Der Reis im Kessel war zuviel,

 

und sie schlief fest.

 

 

 

i) Sie stammen von einem in Leipzig z. Z. Medizin studierenden

Japaner, Herrn Hideo Ixeda, nach dessen Mittheilungen sie Herr

Emil Stenzel, ein Schüler des Herrn Professors Conrady, nieder-

geschrieben hat.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 12Q

 

Nr. 67. (Provinz Totomi.)

 

Uraga o-chiomatsu-no kakaa wä,

Takoyo !

 

Chiä azesa! tako dato omoshuruye;

liakken mannaka-ni ashidarake.

Shion gaye dö dö!

 

Wenn ich die Frau des O-Chiömatsu *) betrachte,

 

Takoyo!

 

Chiä azesa! sieht sie aus wie ein Tintenfisch.

 

Acht Ken in der Mitte (messen) die Füsse allein.

 

Shion gaye dö dö!

 

Nr. 68.

 

Uraga shione wa Hamana-no hashi-yö yeee,

Ima wa tatayeteee,

Otomo senu yo eee,

döu döu!

 

Mein Charakter gleicht der Brücke des Hamana;

 

jetzt ist sie längst abgebrochen,

 

und kein Geräusch wird mehr vernommen,

 

döu, döu!

 

Nr. 6g.

 

Takai yama-kara tanisoko mireba yeee,

Oman kawai-ya nuno sarasu näyeeci döu dÖu!

 

Wenn ich von dem hohen Berge in den Thalgrund schaue, yeee!

Wie lieblich ist Oman! Sie bleicht das Leinen, näyeee etc.

 

Ob diese Liedchen als Marschlieder für die Pferde-

führer selbst anzusehen sind, ob sie einen Einfluss

auf den Gang der Pferde ausüben sollen, muss un-

entschieden bleiben. Ebenso soll an die deutschen

Fuhrmannslieder, denen man in den Sammlungen

ziemlich häufig begegnet^, bloss erinnert werden.

 

 

 

i) Name eines der Diener.

 

2) Z. B. Erk- BÖHME III, Nr. 1572 ff.; Erlach II, S. 549, 557 j

Des Knaben Wunderhom (neue Ausg.) II, S. 653.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 9

 

 

 

ISO

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Die Veränderung der Verkehrsverhaltnisse erschwert

uns das Verständniss dieser Dinge ungemein. Immer-

hin möchte ich wenigstens eine kleine Probe geben.

Sie stammt aus der deutschen Sprachinsel Gott-

schee in Krain, deren Bevölkerung in Sprache und

Sitte so viel Alterthümliches bewahrt hat^).

 

Nr. 70.

 

TcHhi, tschihi, main Praune (Branner), hoda ho,

Nocli haint brsclit (wirst) dn ahoime (daheim) shain.

Noch haint brscht du ahoime shain, daho,

Pai main dar jungn Kroinarin,

Terala, terala, terala, teho,

Toderala, terala, terala, teho!

2. Arbeiten im 'Wechseltakt (130)

Die im Wechseltakt sich vollziehenden Arbeiten

gehen, soweit wir sie zu überschauen vermögen,,

sämtlich auf Schlag- und Stampfbewegungen zurück^

Sie ergeben deshalb von selbst einen mehr oder

minder lauten Taktschall, und da sich mindestens

zwei Arbeitskräfte an ihnen betheiligen müssen, auch

einen Tonrhythmus von incitativer Wirkung. Sie

scheinen also der weiteren Unterstützung durch die

menschliche Stimme nicht zu bedürfen. Dennoch

finden sich auch hier Arbeitsgesänge; es wird

also die Arbeit durch einen doppelten Tonrhythmus

unterstützt: den des Arbeitsgeräusches und den des

Gesanges, und da beide sich in Einklang befinden

müssen, so sind die hierher gehörigen Lieder von

ganz besonderem Interesse. Leider ist ihre Zahl

 

i) A. Hauffen, Die deutsche Sprachinsel Gottschee, S. 377 f- /

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. i xi

 

sehr gering, und noch spärlicher sind die Nach-

richten über ihre Anwendung.

 

Dreschgesänge darf man natürlich nur da

suchen, wo das Dreschen mittels eines Stockes oder

Flegels erfolgt. Da die Alten das Getreide meist

durch Thiere austreten Hessen oder sich des Dresch-

schlittens bedienten, so wird man bei ihnen, den

Dreschtakt nicht zu finden hoffen ^)w Das Gleiche

gilt von den nordasiatischen Ländern und Aegypten.

Dagegen ist er den ostafrikanischen Völkern durch-

aus geläufig. »Bei den Galla versammeln sich die

Bewohner eines Dorfes auf dem Druschplatze, um

gemeinsam unter Absingung von melodischen; zum

Druschtakte passenden Liedern die Durrarispen aus-

zudrfeschen und das Getreide zu reutem* Gegen

Sonnenuntergang findet man da in der Trockenzeit

in der Regel die ganze Dorfbewohnerschaft, und

von weitem vernimmt man den Taktschlag und den

Choralgesang der Arbeitenden^)«.

 

Auf der Banda-Insel Letti »wird das Dreschen

in ganz eigenthümlicher Weise vorgenomriien. Die

Aehren werden auf eine Matte geschüttet, und alle,

die dem Besitzer anverwandt und zugethan sind,

tanzen auf der lieben Gottesgabe bei Trommelschall

herum, bis die Kömer von den Hülsen befreit sind.«^)

Aber dieser Vorgang steht nicht vereinzelt. Bei

den Esten wurde noch im Anfange dieses Jahr-

hunderts das Sommergetreide, nachdem es in der

Riege auf künstlichem Wege gedörrt worden war.

 

 

 

•» I) Vgl. jedoch Mager STEDT, Bilder aus der rööa. Ländwirth-

schaft V, S. 244. 315.

 

2) Paulitschke, a. a. O. I, S. 134. 217. '

 

3) Jacobsen, Reise in der Inselwelt des Banda-Meeres , S.- 136.

 

9*

 

 

 

132

 

 

 

Vierter Theü:

 

 

 

auf der Tenne ausgebreitet und durch Pferde oder

Menschen ausgetreten. Die letzteren »stellten dabei

einen taktmassigen Tanz und Gresang an«.^) Der

Roggen wurde nicht mit Flegeln, sondern mit dicken

krummen Prügeln, die in einen stumpfen * Winkel

gebogen sind, gedroschen. Die Arbeit war wegen

des vorausgegangenen Dörrens nicht schwer, sodass

selbst Kinder von 14 Jahren dabei helfen konnten.

Aehnlich werden wir uns den Vorgang bei den

benachbarten Litauern zu denken haben. Hier

finden wir denn auch ein sehr eigenthümliches Dresch-

lied ^, das sich aus den zahlreichen Volksliedern

dieses Stammes schon dadurch heraushebt, dass es

in daktylischem Metrum gehalten ist, während sonst

trochäische und iambische Masse fast ausschliess-

lich gebraucht werden. Auch die Melodie stützt die

Annahme, dass wir es hier mit einem echten Arbeits-

taktliede zu thun haben.

 

 

 

Allegro.

 

 

 

Nr. 71.

 

 

 

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^

 

 

 

 

^

 

 

 

z

 

 

 

^^

 

 

 

Leu - te, steht auf, denn die Uhr ist schon drei ! Fas - set die

Hur-tig! schon rief uns das Hah-nen-ge-schrei ; Fut-ter T)e-

 

 

 

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i

 

 

 

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^

 

 

 

h:

 

 

 

Fle - ge - lein früh ! 1 -d -l • • j • • t^t v v

 

1- i. j ir- 1- i Run-n - ger sind sie im Nacn-ba • ren-

geh -ret das Vieh. J ^

 

 

 

1) J. Ch. Petri, Ehstland und die Ehsten (Gotha 1804), II,

S. 209 — 213. A. W. HuPEL, Topogr. Nachrichten von Lief- u. Ehst-

land (Riga 1777), II, S. 295.

 

2) Bartsch, Dainu Balsai Nr. 306.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

133

 

 

 

i

 

 

 

^

 

 

 

;

 

 

 

y n J- j- J'

 

 

 

haus: Hört ihr? sie dre- sehen die Ger -ste schon ^us.

 

 

 

 

^N

 

 

 

^-^-^i=^;-=jM J^ ; jd j

 

 

 

Klipp klapp klapp, klipp klapp klapp, klipp klapp klapp, klapp !

 

2. Unser Geschäft ist von alters bekannt,

Baute doch Adam das Feld.

 

Hat ja, geleitet von göttlicher Hand,

Fleissig den Acker bestellt.

Sieht auch der Städter gleich vornehm darein,

Kümmere uns gar nicht, gedroschen muss sein,

Klipp klapp etc.

 

3. Gingen nicht Herden von Thieren zu Grund,

Wenn wir nicht füttern das Vieh?

Blieben die Feinen, die Städter, gesund.

Wenn wir nicht dreschen für sie?

 

"Wehe, du Städter, wie stand* es um dich,

"Wenn wir nicht säen und dreschen für dich!

Klipp klapp etc.

 

4. Unser Herr Amtmann weiss leichteren Rath,

"Wie er zu Geld kommen soll:

 

Quälet uns Bauern von frühe bis spat.

Sparet das Säckchen sich voll;

Schreiber und "Wachtmeister machens ihm nach.

So auch der Schulze — o wehe der Plag!

Klipp klapp etc.

 

Auch beim Enthülsen des Getreides, das im

alten Aegypten wie im heutigen Central- und Ost-

afrika, bei den Malayen wie bei den Chinesen von

zwei Arbeitern oder Arbeiterinnen durch Stampfen

der Körner in einem Mörser vorgenommen wird,

dürfen wir ähnliche Gesänge erwarten. In der That

wurden solche Gesänge beobachtet: zunächst bei den

 

 

 

134

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Wasegua^), wo von Frauen und Mädchen der Mais in

steinernen Trögen gestampft wird, ferner in Bornu,

wo G. Rohlfs im Hause eines Grossen die Weiber

Korn stampfen sah, »nach Art der Neger den Takt

der Stösse mit Gesang begleitend«.^ Endlich er-

zählt Wissmann^ von der Zubereitung des Gingü-

baöls durch die Weiber der Lunda: »Die entschalten

Erdnüsse werden in einen Holzmörser gethan und

kleingestampft; dann kommt Wasser hinzu, und vier

Weiber bearbeiten mit staunenswerther Geduld das

Gemisch zu einem Brei, indem sie unausgesetzt mit

grossen, an ihren Enden verstärkten Stöcken die

Mischung kneten. Wenn das Verfahren stundenlang

fortgesetzt ist, sammeln sich die Oelabsonderungen

an der Oberfläche und werden nach und nach von

dort abgeschöpft . . . Nur das weibliche Geschlecht

unterzieht sich der Arbeit der Oelerzeugnng, die mit

Gesang begleitet wird, und kein Mann darf dabei

zugegen sein, weil dessen Anwesenheit den Erfolg

vereiteln soll.«

 

Auch bei den Chinesen spielt der Gesang beim

Stampfen eine grosse Rolle*), wie überhaupt bei

 

 

 

i) Kallenberg, Auf dem Kriegspfad gegen die Massai, S. 103.

 

2) Ergänzungsheft Nr. 34 zu Petermann's Mittheilungen, S. 36.

 

3) Wissmann, Wolf etc. Im Innern Afrikas (Lpz. 1888), S. 62 f.

 

4) CoNRADY theilt mir darüber Folgendes mit: »Die Chinesen

pflegten das Stampfen des Getreides im Mörser mit Gesang oder allerlei

Rufen zu begleiten oder, wie sie es richtig nennen, zu unterstützen.

Das zeigt folgendes Verbot des Ritualbuches Li-ki (I, l, IV, 43; cf.

Legge, Sacred books of theEast XXVII, 89): lün y^u sang, c*üng

put sidng »wenn eine Trauerfeierlichkeit in der Nachbarschaft ist,

soll man das Stampfen im Mörser nicht (mit der Stimme) unterstützen

(sidng).« Hierzu bemerkt der eine Commentar: »sidng bedeutet:

durch Töne einander antreibend helfen; die mit dem Stampfen im

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. -i^e

 

allen ostasiatischen Völkern, bei denen der Reis das

Hauptnahrungsmittel bildet. Liedertexte aber liegen

weder aus Afrika noch aus China vor. Es hat sich

überhaupt nur ein Beispiel eines solchen auffinden

lassen, bestehend in einer längeren Improvisation,

die beim Enthülsen von Reis zu Seul in Korea ge-

sungen und von dem Uebersetzer des französischen

Kommissariats aufgezeichnet wurde. Leider liegt nur

eine französische Uebertragung des Textes vor. ^) Sie

schliesst mit den folgenden als Refrain zu betrach-

tenden Ausrufen:

 

Ei, ei ya, ei ei hei, ei ya ya, ei ya, hei yul

 

aus denen sich der anapästische Stampfrhythmus mit

seinen spondeischen Nachschlägen beim Aufhören

deutlich erkennen lässt.^

 

Aus derselben Quelle stammt der Text . eines

 

 

 

Mörser beschäftigten Menschen stossen nämlich Rufe aus (oder : singen ;

das betr. Wort kann beides bedeuten), um das Stampfen zu unter-

stützen«, und ein anderer (den das Tsi-tien s. v. sidng citiert):

)>sidng bedeutet einen Laut, durch den man einander hilft, einen Ruf

(oder : Gesang), durch den man das Stampfen im Mörser unterstützt, etwa

"wie die Leute, die etwas Schweres ziehen, a-hü rufen« (a-hü nach

GiLES Chin.-engl. dict. I, Nr. 4761; sonst y6-hü, tsd-hü).«

 

1) M. CouRANT, Bibliographie Cor^enne, I, p. 250.

 

2) Es verdient hier mindestens Erwähnung, dass wenigstens der

Refrain eines deutschen Stampfliedes erhalten ist, und zwar in

einem jener »geistlichen Ringeltänze«, die man im 16, Jahrhundert

den weltlichen Tanzmelodien unterlegte. Er lautet: »So stampen wir

die Hirse!« Bei der grossen Bedeutung, welche die Hirse in älterer

Zeit für die Volksemährung hatte, darf angenommen werden, dass auch

bei uns die Stampftechnik allgemein verbreitet gewesen ist. Schade,

dass uns jener Refrain erst sozusagen in tertiärer Form zugekommen

ist, durch Vermittlung des Tanzliedes und des geistlichen Liedes.

Bemerkt zu werden verdient die charakteristische Singweise. Man

findet sie bei Erk-Böhme H, S. 717.

 

 

 

136 Vierter Theil:

 

zweiten ähnlichen Gesanges, der ebenfalls in Seul

beim Stampfen der Erde zur Fundamentierung

eines Hauses von den Arbeitern gesungen wurde«

Der Herausgeber^) bemerkt dazu, >dass der Gesang

zwar in koreanischer Sprache abgefasst sei, aber viele

Anspielungen auf chinesische Dinge enthalte. Er

besteht aus imregelmassigen Strophen, von denen

jede einen kürzeren oder längeren Satz enthält und

die durch 8 — 10 sinnlose Silben von einander ge-

trennt sind. Die letzteren haben imitativen Cha^

rakter. Niedergeschrieben wurde der Gesang nach

dem Diktat von Arbeitern, die 1890 beim Bau des

Kommissariats in Seid beschäftigt waren.« Da der

Text inhaltlich für unseren Gegenstand von grosser

Bedeutung ist, lasse ich ihn hier trotz seiner Länge

in möglichst getreuer Uebersetzung folgen:

 

Nr. 72.

 

»Der Tag ist lang, und es ist sehr heiss; die Zeit der Rast ist

noch entfernt; wir spüren keine Kraft mehr in uns; wir haben Hunger.

Wie können wir unsem Arbeitstag vollenden?

 

Lasst uns schnell schlagen und rasch die Stöcke heben, den Boden

 

zu stampfen!

 

O o, y ri, hei hei ya!

 

ha ha, hei yo, hei hei!

 

Haben wir diesen Abend fünfzig dicke Sabeken empfangen, so

werden wir Reis, Holz, Oel und Tabak kaufen; dann bleibt uns keine

Sabeke mehr, um Zukost zu kaufen , die man zum Reis isst. Was

sollen wir da thun? Wie dem sei, wir müssen die Stöcke heben und

stark schlagen.

 

Wenn die Bambusblätter vom Winde bewegt werden, sollte man

den Lärm von hunderttausend Menschen zu hören meinen.

 

Die Nenuphar-Blüten, vom Regen benetzt, sind so schön wie

dreitausend königliche Sklavinnen, wenn sie sich baden.

 

 

 

I) M. CouRANT, a. a. O., S. 244 ff.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge, i^y

 

In dem Ku-uel-Gebirge wird das Gras im Frühling wieder grün.

 

Von dem Lusthaus O-kyeng strahlt am Abend das Licht def

Sonne roth.

 

Der Stein da unten ist der Ort, wo Kang Htai Kong den Fisch

fing. Während der ersten vierundzwanzig Jahre seines Lebens lebte

er in Armut: jeden Tag trug er seinen Binsenhut auf dem Haupte

und hieng seine Angel in das Wasser, welche weder Schnur noch

Haken hatte; so wartete er auf die Ankunft des Kaisers Mun-rang.

Wir dagegen müssen arbeiten und warten auch.

 

Letztes Jahr war das Wetter gut, die Ernte reichlich; der Regen

fiel zu rechter Zeit, und der Wind war günstig. Dieses Jahr wird

ebenso gut werden; wenn die Ernte schön ist, werden wir uns satt

essen können, und unsere Bäuche werden sich füllen; unsem Rücken,

werden wir warm halten, und wir werden überglücklich sein.

 

Lasst uns mit vereinten Kräften stampfen und unsere Stöcke

beben; lasst uns stark und schnell stampfen!

 

Als man baute die Terrasse Kim-hpo-tai im Bezirk Kang-neung,

das Lusthaus Sam-il-hpo im Bezirk Ko-syeng, das Bonzen-Kloster

Nak-sang im Bezirk Yeng-yang, den Kiosk Yen-koang in der Stadt

Hpyeng-yang, hätte sich's verlohnt dahin zu gehen, um zu sehen, ob

die damaligen Arbeiter den Boden ebenso stampften wie wir. Lasst

uns die Stöcke heben; lasst uns die hohen Stellen tapfer stampfen.

 

Gemüse essen, frisches Wasser trinken, schlafen mit dem Arm

unter dem Kopfe — das sind Vorrechte der grossen Herren (das

heisst der glücklichen Leute, die nicht arbeiten und nach Herzenslust

essen, trinken und schlafen können); darum lasst uns Gemüse essen,

Wasser trinken und den Boden stampfen (das wird uns Geld ver-

schaffen und uns in den Stand setzen, auch grosse Herren zu werden).

Lasst uns die Stöcke heben und tapfer zustossen!

 

Wo gehn denn alle Sabeken hin? Gewiss kommen sie nicht zu

uns; vielleicht haben sie den Weg nach unsem Häusern vergessen.

 

Heute Abend werden fünfzig dicke Sabeken in unsem Geldbeutel

ÜEillen, so schnell wie der Blitz. Lasst uns die Stöcke heben, lasst

uns zustossen und die Erhöhungen ebnen!

 

Da unten, wo zwischen den Weiden ein Lusthaus steht, ergötzen

sich die Schützen und die Tänzerinnen und machen Musik.

 

Kameraden, das Wetter ist heute schön; wir werden die Erde

gut stampfen.

 

Hei, hei y ri, hei, hei ya!

 

 

 

1^8 Merter Thefl:

 

Wir gellen auf und ab; an Stellen, wo es zn tief ist, klopfen

wir leise; Stellen, die zu boch sind, ebnen wir mit sehr starkem

Schlag.

 

Hei, hei y ri, hei, hei ja!

 

Wir verdienen nnr dritthalb Kandarin *) den Tag: können wir

davon unsere Familie ernähren?

 

O o, hei hei ya!

 

Als nnsre Eltern nns anferzogen,

 

hei, hei j ri

 

Hessen sie ans die chinesischen Buchstaben lernen, in der Hofihong,

dass wir später Beamte würden; ja, sie lehrten uns alle Tage; aber

wir hatten keine Fähigkeiten, und die Lehren haben uns nichts genützt.

 

hei, hei j ri!

 

So sind wir Arbeiter geworden und verkaufen unsre Lieder für fünfzig

dicke Sabeken.

 

hei, hei y ri, hei ya!

 

Stampfen wir heute die Erde gut, so werden wir sie morgen noch

besser stampfen (weü wir uns dann mehr an diese Arbeit gewohnt

haben);

 

hei, hei y ril

 

arbeiten wir morgen besser, vielleicht giebt dann der Herr uns eine

Belohnung. Giebt er sie uns oder giebt er sie nicht — wir müssen hoch

die Stöcke heben und sehr stark aufstossen,

 

o o, y ri, hei ya!

 

Unterdessen müssen wir unsre Taschentücher auf die Köpfe

legen*), die schweren Stöcke heben, unsre Lenden schütteln uud die

Erhöhungen stampfen. Lasst uns stampfen, stampfen!

 

Man sagt, dass I-Htai-paik, der viel zu trinken liebte, als er alt

geworden war, einen Walfisch bestieg und zum Himmel fuhr.

 

Ham-Sin '), welcher der berühmteste Mann der ganzen Welt war,

war in seiner Jugend sehr arm und sprach die Vorübergehenden um

ein Almosen an.

 

i) 2*/, ligatures = 25 Sabeken.

 

2) Zum Schutze gegen die Sonne.

 

3) Feldherr und Staatsmann, f 196 v. Chr.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. i2q

 

"Wie könnten kleine Leute, wie wir, ihr Lob singen?

 

y o tscha, y o tscha!

 

Lasst uns tapfer stampfen!

 

Ol ha; hei, hei y rij

hei, hei ya, ha ha, hei yo;

hei ei, hei; hei, hei yu;

hei, hei o ya!

 

Ja, ja, wir arbeiten alle Tage; deshalb haben wir nicht bemerkt,

wie die Zeit vergeht. Ist heute nicht der 8. des vierten Mondes

(Buddha-Fest)? Da wir nicht das Gebirge mit den zehntausend Gipfeln

ersteigen können, zu wandeln im Schatten der wieder ergrünenden

Bäume, um uns auf der Schaukel zu ergötzen, und da wir noch nicht

einmal eine Tasse schlechten Weins getrunken haben, sind wir nicht

wahrhaft unglücklich?

 

Diesen Abend, wenn wir 2*/^ Kandarin empfangen, werden wir

dann zum Weinwirth gehen, oder nicht?

 

Das wäre eine wahre Verschwendung; man darf also nicht daran

denken; wir werden unser Geld behalten fUr unsem Haushalt.

 

Hei, hei yu; hei, hei ya, ya; hei, hei yu!

 

Schmetterlinge, Schmetterlinge ! Lasst uns in die blauen Berge ziehen !

Getigerte Schmetterlinge! Kommt mit uns! Wenn die Nacht uns

auf dem Wege überrascht, werden wir uns in den blühenden Lust-

bainen niederlegen.

 

Wohlan! wenn die Blüten gefallen sind, werden wir im Schatten

der Bäume schlafen.

 

Wir haben mit unsem Pferden einen Blumenteppich überschritten;

jeder Schritt unserer Reitthiere, der die Blumen niedertrat, hat daraus

Wohlgerüche hervorgelockt.

 

Hei yu, hei yu, ei, hei ya; ha ha, hei yo! Kameraden! o y

tscha, ha tscha, ha, hei yu, hei ya, o ho, tscho yo tscha, tscho yo

tscha, lasst uns die Stöcke heben, erheben!«

 

(»Der Gesang endet mit einer langen Reihe von derartigen Aus-

rufen, die im Chor von allen Arbeitern wiederholt werden.«)

 

Es macht ganz den Eindruck, als ob der Theil

dieses schier endlosen Gesanges, welcher von der

Lage der Arbeiter handelt, eigens für die Franzosen

eingefügt worden wäre, welche den Text aufschrieben.

 

 

 

I40

 

 

 

Vaertcx Tbeü;

 

 

 

Mog^licher Weise ist sogar alles bis anf den sinn-

losen Refrain Improvisation. Leider hat der Heraus-

geber keine näheren Erläuterungen g-eg^ben. Aber

täuscht nicht alles, so haben wir ein Produkt der-

selben Gattung vor uns, welche die folgende von

Herrn Dr* Haxs Stumme mir freundlichst gemachte

Mittheilmig zeigt:

 

>Das Feststampfen des Pflasters oder Rammen

des Grundes wird in Tunis von Schwarzen besorgt,

die ihre Arbeit unter begleitendem Gesang aus-

fuhren. Sie haben einen Vorsänger, der ganz kurze

Verse mit zwei Hebungen impro\'isiert. Beim Ge-

sänge eines solchen Verses heben die Leute ihre

Handrammen empor, die sie mit dem, den Refrain

zum vorhergehenden Verse bildenden und richtig

den Rhythmus- und Melodie Verhältnissen angepass-

ten Ausruf äjä (;> wohlan*) niederfallen lassen. So

kann man z. B. Folgendes hören:

 

 

 

i

 

 

 

Vorsänger.

 

 

 

Nr. 73.

Arbeiter. V

 

 

 

^

 

 

 

w

 

 

 

Dügg err - zä - ma! ä - ja! u - dügg err - zä - ma!

Stoss mit der Ramme ! Los denn ! Und stoss mit der Kamme !

 

 

 

 

ä - ja ! ä - ja ! sl - di ! ä - ja ! a' - ti - ni si - gdr - ro !

Los denn ! He, mein Herr ! Los denn ! Gieb mir eine Cigarrette !

 

 

 

$

 

 

 

A.

 

 

 

V. 3

 

 

 

V.

 

 

 

iS

 

 

 

X

 

 

 

 

ä - ja! ä - ja

Los denn ! He,

 

 

 

ma - da - ma! ä • ja! thäbb ed-

Ma - da - me ! Los denn ! Willst du

 

 

 

$

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 14,1

 

A.

 

 

 

^

 

 

 

du les tau - wa? ä - ja! etc.

jetzt spazieren gehen? Los denn! u. s. w.

 

Wie in den beiden Gesängen aus Korea und« in

dem litauischen Drescherliede schliesst sich auch hier

der Refrain an das Arbeitsgeräusch an, und wenn

man nach den wenigen uns vorliegenden Beispielen

urtheilen darf, so bildet ein solcher oft wiederholter,

meist sinnloser Ausruf den ursprünglichen und bei

den meisten allein fest bleibenden Bestandtheil der

Gesänge dieser Gattung. Der übrige Text ist Im-

provisation; nur in dem Dreschliede, das einer ent-

wickelteren Kultur angehört, liegt wohl ein über-

lieferter Wortlaut vor. Immerhin muss bemerkt werden,

dass alle Beobachter des litauischen Volkslebens die

grosse Leichtigkeit hervorheben, mit der die bäuer-

liche Bevölkerung neue Dainos bildet, und dass auch

das hier mitgetheilte Lied in der letzten Strophe

deutliche Anzeichen des Gelegenheitsgedichtes auf-

weist.

 

Schliesslich muss noch erwähnt werden, dass das

Feststampfen des Bodens mit Holzschlägeln, wie es

bei uns nur etwa noch an Scheünentennen und beim

Asphaltieren geübt wird, bei allen Halbkulturvölkern

eine grosse Rolle im Haushalt spielt. Aus dem west-

lichen Sudan liegt darüber folgende Schilderung

vor:^) »Der Boden des Hauses oder der Hütte (in Loko)

wird möglichst geebnet; darauf kommt eine Lage

Lehm oder Thon, welcher festgeklopft wird. Diese

 

 

 

I) Staudinger, Im Herzen der Haussalander (2. Aufl.), S. 65 f.

 

 

 

U2

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

dient als Untergrund für eine zweite Schicht von

demselben Material, welches mit Kies und Steinen

vermischt wird. Auch diese Lage wird wiederum

durch tagelanges Klopfen und Reiben mit flachen

Holzschlägeln zu einer cementartigen Glätte und

Festigkeit bearbeitet . . . Die Arbeit des Fussboden-

klopfens wird von Frauen und Mädchen imter der

Aufsicht der obersten Frau ausgeführt. Taktmässiger

Gesang, oft auch noch Trommelspiel, begleitet das

Werk.«

 

3. Arbeiten im Gleichtakt. (142)

Während bei den bis jetzt besprochenen Arbeits-

gesängen das unterhaltende und ermunternde Element

bei allem Anschluss an den Arbeitsrhythmus deut-

lich hervortritt,, finden wir bei der Arbeit im Gleich-

takte dem gesungenen Worte eine ganz andere Rolle

zugetheilt. Hier ist seine Aufgabe in erster Linie

die, alle Mitarbeitenden zu gleichzeitiger und gleich-

artiger Kraftaufbietung zu veranlassen, ja erst zu

befähigen.

 

In sämtlichen hierher gehörigen Fällen handelt

es sich um die Bewegung einer schweren Last, zu

deren Bewältigung eine Mehrzahl von Personen er-

forderlich ist. Die Thätigkeiten, welche dabei er-

forderlich sind, können im Tragen, Ziehen oder

Rudern bestehen. Das Ziehen kann wieder eine

wagerechte oder eine senkrechte Bewegung be-

zwecken. Demnach' würden sich für diesen Abschnitt

vier Arten von Arbeitsgesängen ergeben: ;;

 

1) beim Heben oder Tragen von Lasten,

2) beim Emporziehen von Lasten,

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 145

3) beim Fortziehen oder Schieben schwere^ Gegen-

stände,

4) beim Rudern.

 

Indessen lassen sich diese Thätigkeiten und die

Arbeiter, welche sie verrichten, oft nicht scharf von

einander scheiden. Das Gleiche gilt auch von den

dazu gehörigen Gesängen, von denen uns oft nur

berichtet wird, dass sie bei gemeinsamer gleich-

zeitiger Kraftaufbietung angestimmt werden. Wir

werden desshalb bei der. ersten Gruppe zugleich eine

Anzahl solcher allgemeiner Nachrichten zusammen-

stellen.

 

a) Beim Heben oder Tragen von Lasten.

Wenn die Lhoosai, ein Gebirgsvölkchen an

der Grenze zwischen Indien und Barma, eine Last

tragen öder Bäume im Walde roden, stossen sie fort-

während in abgemessenen Zwischenräumen alle zu-

sammen den Ruf: hau! hau! aus; ohne diesen Ton

behaupten sie nicht arbeiten zu können. ^) Einen

ähnlichen Ruf (hü oder ahu). haben die Chinesen

schon seit sehr alter Zeit beim Fällien und Heben

von Baumstämmen.^ Bei den Javanern singt man.

 

 

 

1) Lewin, Wild races of South -eastem India, London 1876,

S. 271 (cit. bei Böckel a. a. O.). ' -

 

2) CONRADY theilt mir darüber Folgendes mit: Beim Fällen und

Aufheben von Bäumen gaben sich die chinesischen Arbeiter das Signal

zur taktmässigen Bewegung durch den Ruf hü oder a-hü (ye-hü),

und zwar kann man ihn dort tausend, ja vielleicht dritthalbtausend

Jahre verfolgen. In einem Liede des Shiking (11 , i , V , 2) aus dem

12. Jahrh. v. Chr., heisst tsi fat muk hü-hü. »Man fällt die Bäume

(unter den einander antwortenden Rufen) hü-hü<(. (v. Strauss 1. c. 261

nicht ganz correct: »man fället Holz und stöhnt dabei). Dies inter-

pretiert Hoai-nam-tsi (nach dem Citat im Tst-tien s. v. hü) im 2. Jahrh*

 

 

 

144

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

wenn ein Baumstamm gehoben oder nach einem

Flusse geschleift werden soU^):

 

Nr. 74.

 

Einer: öleleh djähö!

Alle: djähöe!

 

Diese Wörter sind sinnlos. Auch aus Japan

liegt ein Beispiel eines Lastträgergesanges vor, der

aus lauter Ausrufen besteht:

 

Nr. 75.

 

Hö hbiyo hö hoyo,

ye korä sassa!

hö ho yoi yoi,

ye kora sassa!

 

Der Gesang wird angestimmt, wenn die Träger

eilen. Die Japaner haben für solche Taktlieder, die

bloss aus sinnlosen Ausrufen bestehen und bei allerlei

gemeinsamen Arbeiten gesungen werden, sogar einen

eignen Namen: Kiyari — ein Beweis, dass sie sehr

häufig vorkommen.^

 

Bei einer Fahrt auf dem Benue schieben die

schwarzen Schiffer den auf den Grund gerathenen

 

 

 

V. Chr.: Wenn heutzutage die Leute einen grossen Baum (oder:

Balken) in die Hohe heben, so rufen die Vordersten aus a-hü (yi-hü)

und die Hintersten antworten ebenfalls (d. h. rufen dasselbe); dies

ist der Ruf, um etwas Schweres zu heben und die Kraft anzufeuern«,

 

und Cü-hT (Ts'i-tien a. a. O.) erklärt im 12. Jahrh. unserer Zeitrech-

nung dies hü- hü als den »Ton einer Menschenmenge bei gemein-

samer Kraftanstrengung«.

 

i) Miltheilung des Herrn Emil Stenzel an Herrn Professor

 

CONRADY.

 

2) Mittheilungen von Conrady. Er verweist noch auf Hkpburn,

Japan. -engl. Dict. s. v. Kiyari: the song of persons uniting their

strength to do anything, as lifting, pulling etc.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. '^45

 

Dampfer »mit Singen und taktmässigem Heiho ! in

das tiefe Fahrwasser zurück«.^) Im Hafen von Zan-.

zibar sah Richaio) Böhm^ »Sklaven, die zu zwei

unter eigenthümlichem Wechselgesang schwere Lasten

schleppten«. Näheres berichtet Stanley^ über diese

Leute: »In der Stadt Zanzibar hört man zu allen

Stunden Neger-Hamals (Lastträger) zu zweien beim

Transport von Säcken, Kisten u. dgl. eine Art von

monotoner Melodie singen, durch die sie sich gegen-

seitig aufmuntern und nach der sie marschieren, wenn

sie sich barfüssig durch die Strassen bewegen. Man

kann diese Leute in kurzer Zeit leicht als alte Be-

kannte an der Konsequenz erkennen, mit welcher

sie ihre Melodien singen. Mehrmals des Tages habe

ich dasselbe Paar imter den Fenstern des Konsulats

vorbeigehen und immer dieselbe Melodie mit den

gleichen Worten wiederholen hören. Mancher würde

diese Lieder wohl für albern halten; aber für mich

haben sie einen gewissen Reiz, und ich halte sie für

vollständig zweckentsprechend.«

 

Einen Schritt weiter führt uns ein Bericht über

Beobachtungen, welche bei der Ausräumung eines

verschütteten ägyptischen Tempels in der Oase Dachel

gemacht wurden*). Auch hier sangen die Arbeiter

bei jeder noch so kleinen gemeinschaftlichen Kjraft-

äusserung. »Hierbei macht stets einer derselben,

gewöhnlich einer der Aelteren, den Vorsänger, während

 

 

 

1) Passarge, Adamaua, S. 351.

 

2) Von Sansibar zum Tanganjika (Leipzig 1888), S. 7.

 

3) Wie ich Livingstone fand I, S. 18,

 

4) Zeitschr. der Ges. für Erdkunde zu Berlin IX (1874) S. 303.

 

305 f.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 10

 

 

 

1^6 Vierter Theil:

 

die anderen ihren eintönigen Refrain dazu geben.

Je nach den Umständen erfindet der Sänger irgend

eine Phrase, welche bei etwaiger poetischer Bega-

bung gelegentlich von Zeit zu Zeit durch eine andere

ersetzt wird und die alsdann auch einen anderen

Refrain bedingt. Meistens hat dieser Gesang einen

religiösen Charakter, oder er bedeutet gegenseitige

Aufforderung zur fleissigen Arbeit, und gewöhnlich

wird ein und dieselbe Phrase sehr häufig, mitunter

wohl fünfzigmal, wiederholt.« Der Berichterstatter

erzählt dann weiter, wie einmal auch er selbst als

Leiter der Ausgrabungen in den Gesängen bedacht

wurde, natürlich in Verbindung mit einer Extra-

belohnung, die man von ihm erwartete, ein ander-

mal auch ein deutscher Botaniker, der in der Ge-

gend bekannt war. Es wurde also hier bereits ein

Theil des Gesanges improvisiert, und derselbe hatte

in der Regel einen bestimmten Inhalt.

 

Eine stehende Erscheinung sind diese Gesänge

bei den Kuli, jener armen Menschenklasse, die

überall im Bereiche des indischen Oceans und in

Ostasien die Arbeiten von Tagelöhnern, Lastträgern

und dgl. verrichtet. Ellis^) hörte ihre einförmigen

Weisen in Port Louis auf Mauritius beim Entladen

der Schiffe, und Jacobsen^ fand sie selbst in den

kleinsten Häfen des Bandameeres. In Indien sind

sie genauer beobachtet und zum Theil, unmittelbar

wie sie bei der Arbeit gesungen wurden, aufgezeich-

net worden, sodass uns eine zutreffende Vorstellung

 

 

 

i) Three visits to Madagascar (London 1858) S. 53,

2) a. a. O., S. 180.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. iaj

 

ermöglicht ist^). Die Kuli theilen sich gfewöhnlich

in Rotten (gangs), die zusammen eine Arbeit über-

nehmen. »In der Regel singt ein Mitglied vor, imd

die übrigen fallen im Chor ein. Auf Schiffen ist

jedoch der Vorsänger immer der gleiche imd wird

zur Belohnung für die Ermunterung, die er durch

seinen Gesang den übrigen angedeihen lässt, von

schwerer Muskelanstrengung befreit. Sonst wechselt

man in den Kuli-Gangs mit dem Vorsingen ab, so-

dass jeder Mann ein vollständiges Lied liefert. Na-

türlich kommt es vor, dass einer oder der andere

nicht singen kann und sich nie über den Chor er-

hebt; aber das sind Ausnahmen von der Regel.

Manche von den Gesängen werden in langen Zeilen

langsam wiederholt: diese wendet man an, wo die

Arbelt grosse, in verhältnissmässig langen Zwischen-

räumen erforderliche Kraftaufbietung nöthig macht.

Andere dagegen sind darauf eingerichtet, rasche,

aber weniger starke Kraftäusserung zu begleiten.

Diese Arbeitsgesänge (labor songs) sind Aeusserungen

einer ungebildeten Volksklasse, und ihr Dialekt ist

den Indem aus angesehenen Kasten beinahe unver-

ständlich. Die erste der folgenden Proben ist ein

lustiges Opfer für Pillaiyar, der als Gott des Bauches

bekannt ist und mit seinem eigentlichen Namen Ga-

nesa heisst. Er wird allgemein als Gott des gün-

stigen Zufalls, als Beseitiger von Schwierigkeiten

verehrt, besonders in den unteren Klassen. Man

stellt ihn mit einem Elephantenhaupte und einem

Ungeheuern Magen dar. Ganesa steht in naher

 

 

 

I) Das Folgende nach Charles E. Gover, The Folk- Songs of

Southern India (London 1872), S. 180 ff.

 

 

 

10*

 

 

 

148

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Verbindung mit Saraswati, der Göttin des Lernens,

insofern als er nur solche Schwierigkeiten beseitigt,

die nicht mit Hülfe tüchtiger Kenntnisse überwunden

werden können. Die Volksmythologie macht beide

Gottheiten zu Geschwistern.«

 

Nr. 76.

 

1. Pillaiyar stets gut Glück euch bracht'

Und Saraswati "Witz.

 

Ho, ho! schafft hart!*)

Der Gott war, eh man Häuser macht'.*)

O ebne unsem Weg!

 

Ho, ho! schafft hart!

 

2. Eh Arbeit war, warst du — kein Traum!

Pillaiyar, ebne Bahn!

 

Dort unter dem Baaanenbaum

Bet' ich Pillaiyar an.

 

3. Goldfüss'ger Gott, stets schwebe mir

Vor Augen deine Huld!

Pillaiyar, Gott, begegn* ich dir,

Wie zahl* ich meine Schuld?

 

4. Werd' nehmen grüne Linsen, gut

Mit zehn Pfund Reis gemischt,

Oelsaat auch — wie sie duften thut,

Wenn man den Reis auflischt!

 

5. Nehm' Zuckerrohr 'nen Haufen dann,

Dick wie des Schäfers Stab —

 

Ein Wasserhebwerk wol gewann,

Dem solche Stang* man gab. ^)

 

 

 

i) Der Refrain wiederholt sich durch das ganze Lied alle zwei

Zeilen.

 

2) Die Uebersetzung ist hier und Str. 2, Z, i tinsicher. Ich

habe unter den beiden vom Herausgeber vorgeschlagenen Erklärungen

diejenige gewählt, welche den einfachsten Sinn ergibt. Es wäre danach

anzunehmen, dass das Lied beim Hausbau gesungen wurde.

 

3) D, h. das Zuckerrohr soll so dick sein wie ein Stab, mit

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. iaq

 

6. Pflück dann 'ne Jackfrncht, gross und schwer,

Grad von dem tiefsten Ast*),

 

Den Guavabaum ich auch entleer'

Der übersüssen Last.

 

7. Dies bring ich dir. Hab noch im Sinn

Zu pflücken grünes Laub;

 

Den Nordhang aufwärts st6hn im Grün

Platanen, wie ich glaub*,

 

8. Und auf der Südseit* prächtig prangt

Des Teakbaums spitzes Laub;

 

Die Blüte, die am Felsen hangt.

Ich mit der Leiter raub* ;

 

9. Mit Haken und mit Messer scheer*

Ich Knospen voll und rar.

 

Bald blühn sie auf und schmücken sehr

Manch pechschwarz Lockenhaar.

 

Nr. 77.

 

1. An jedem Mann ein Weibchen klebt;

Sie hängt an ihm, so lang er lebt.

 

Yo ho! Hebt*) o!

 

2. Zwei Theil nimmt sie von unserm Lohn

Und nähme gern noch mehr davon.

 

Yo ho! Hebt o!

 

3. Wenn wir nichts geben, einmal bloss,

Ist ihre Wuth ganz grenzenlos.

 

Yo ho! Hebt o!

 

 

 

dem man Vieh treibt, oder wie eine Stange, an die man ein Gefass

hängt, um das Wasser emporzuheben.

 

1) Wo die schönsten Früchte hängen«

 

2) Im Englischen heave. Vielleicht soll das Wort aber auch im

Sinne von heave ahead (vorwärts ! drauf los !) verstanden werden. Der

Herausgeber bemerkt bei einem ähnlichen Gesang, der Ruf des Chores

laute Yelli! — ein korruptes Wort, das bedeuten solle: work hard

oder well.

 

 

 

150

 

 

 

Vierter Theil:

 

4. Kaum dämmert's, treibt sie uns hinaus,

Schläft selbst zwei Stunden, noch zu Haus.

 

Yo ho! Hebt o!

 

5. Mit Schupp* und Stang den ganzen Tag —

Kein Essen bringt sie — welche Plag'l

 

Yo ho! Hebt o!

 

6. Wie schwitzen wir bis in die Nacht,

Indess für Putz sie Schulden macht!

 

Yo ho! Hebt o!

 

7. Wir quälen uns wie arme Hund*;

Sie arbeit*t höchstens eine Stund*.

 

Yo ho! Hebt o!

 

8. Zum Essen haben wir kaum Zeit;

Sie macht auf ihrem Sitz sich breit.

 

Yo ho! Hebt o!

 

9. Wohin sich unser Lohn verliert.

Kein Mann das je erfahren wird.

 

Yo ho! Hebt o!

 

10. Die Brust uns Seil und Stang' zerbricht;

Sie schlampt und kehrt daran sich nicht.

 

Yo ho! Hebt o!

 

11. Wir leiden Noth stets und Gefahr;

 

Sie kämmt und ölt ihr kohlschwarz Haar.

Yo ho! Hebt o!

 

12. Vor Hitz* und Müh* wir fast vergehn;

Zum Scheuem ist ihr Kleid zu schön.

 

Yo ho! Hebt o!

 

13. Wie karg ist unsrer Mühe Preis!

 

Zu Haus ihr Mund ist voll von Reis.

Yo ho! Hebt o!

 

14. Wir ruh*n — der Herr entlohnt uns nicht;

: Sie keifl, bis neu der Tag anbricht.

 

Yo ho! Hebt o!

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. jcj

 

15. Wie seltsam ist des Schicksals Schluss;

Die Arbeit uns, ihr den Genuss!

Yo ho! Hebt o!

 

 

 

Nr. 78.

 

I. Der Lohn ist klein! 2. Der milde Mann,

 

Yo ho! Hebt ho! Ist er uns hold,

 

O güt'ger Herr! Hilft uns auch dann

 

Yo ho! Hebt ho! Zu höherm Sold.

 

All im Verein 3, Sein(e) Herrlichkeit

 

Yo ho! Hebt ho! Hört unsre Bitt'

 

Erflehn wir mehr. Und theilt uns Leut*

 

Yo ho! Hebt ho! Was Gutes mit.

 

Der letzte dieser Gesänge schloss sich — offen-

bar in Rechnung auf die Freigebigkeit des Zuhörers

— unmittelbar an einen anderen weit längeren im

gleichen Versmasse an, der desshalb merkwürdig ist,

weil er die Geschichte des Sündenfalls imd der Erlö-

sung nach christlicher Auffassimg erzählt. Die Kuli-

schaar, welche ihn sang, bestand nur zu einem Drittel

aus Christen, und der Sammler hatte den Eindruck,

dass der Text ohne Rücksicht auf seinen Inhalt aus-

wendig gelernt war, weil die kurzen Verszeilen sich

für eine in raschem Takte verlaufende Arbeit eig-

neten. Aber bei der Art, wie die Gesänge vor-

getragen werden, genügte es offenbar, dass der Vor-

sänger ein Christ war; denn der Chor sang nur den

Refrain. Auch an das Ende dieses halbreligiösen

Gesangs sind ein paar Strophen über den Lohn an-

gehängt. Der Sänger fragt, warum man mit der

Arbeit so eilen wolle? Sie seien Tagelöhner, ihr

Lohn hoch genug, imi sie am Leben zu erhalten;

würden sie heute fertig, so hätten sie morgen nichts

zu thun.

 

 

 

152

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Das merkwürdigste Stück der Sammlung ist

aber ein Tanzlied der Bajaderen, das die Kuli

für ihre Arbeit angenommen hatten. Der Heraus-

geber meint, es sei unter ihnen entstanden, etwa in

einem Gefühl der Reaktion, das den Arbeiter vom

Glück der Faulen träumen und den Hungrigen in

der Vorstellung üppiger Mahlzeiten schwelgen lasse.

Dem scheint mir jedoch der ganze Inhalt des tief

empfundenen Liedes zu widersprechen, namentlich

aber die zu dem Ganzen nicht passende Schluss-

strophe. Nimmt man an, dass nur diese letztere

unter den Arbeitern entstanden ist, während die

übrigen vier Strophen einen wirklichen Bajaderen-

gesang darstellen, so wird das Ganze verständlich.

Wir hätten dann hier einen Fall, wo ein Gesang aus

der Sphäre des Spiels in die der Arbeit übergetreten

ist; wir werden später auch die entgegengesetzte

Erscheinung kennen lernen.

 

Nr. 79.

 

1. Von dem Ganges sie tragen das Wasser herbei

In dem Messinggefass.

 

Hebt oh! Hebt oh!

Meine Füsse ich wusch, als ein Tanzmädchen frei.

Wischt* mit Seide sie ab.

 

Hebt oh! Hebt oh!

 

2. Lasst uns treten vereint vor Madavans*) Altar:

Lasst uns beten zu ihm!

 

Bringen wir unsre Blüten dem Göttlichen dar,

Leuchtet neu uns die Freud*.

 

 

 

i) Abgekürzt aus Mahadevan, der grosse Gott, ein gewöhnlicher

Beiname des Siva. — Der Refrain der l. Strophe wird natürlich auch

in dieser und den folgenden Strophen wiederholt.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. jc^

 

3. Welche Wonne geht über der Liebenden Lust?

Und dies all ist für uns !

 

O, ihr Mädchen, mir schwillt wie der Pfauhenn' die Brust,

Bin zum Tanze gebor'n.

 

4. Welche Freude, geboren zu sein für den Tanz!

Und was wünsch* ich mir mehr?

 

Welche Lust das Gefühl: ich kann mehr als im Glanz

Selbst der Fürst auf dem Thron. —

 

5. Will lieber noch sein nur ein Klumpen von Thon

Als nur so eine Dim',

 

Denn ein Töpfer macht doch ein Geschirr noch davon,

Und das nützt doch zu was.

 

Auch in Japan hat die den indischen Kuli ent-

sprechende Arbeiterklasse, dort Nin-soku genannt^

neben den Kiyari der Träger eigentliche Arbeits-

lieder. Ich bin in der Lage zwei kleinere Stücke

hier mitzutheilen, die freilich nicht ganz leicht zu

erklären sind.^)

 

Nr. 80.

Fune wa, nääa

 

Oite-ni ho kakete hashiru, nän ye;

 

Hayaku, sää! Atsuta-ni tomaritaya.

 

Aye! Hachibei doshita mmad^mo nöndakä? ^

 

Nändaka hara-ne.

 

ä, dökkoi! dökkoi!

 

Uebersetzung.

Das Schiflf — näää

 

fahrt mit günstigem Wind und aufgespannten Segeln — nän ye!

Rasch — sää! — in Atsuta möchte ich rasten.

 

Ay6I Was hast du gemacht, Hachibei? hast wol gar ein Pferd ver-

schluckt?

Was es ist, weiss ich nicht.

 

ä, dökkoi, dökkoi!

 

 

 

I) Text und Uebersetzung von Nr. 80, 81 u. 83 erhielt ich wieder

durch die Freundlichkeit Conrady's (vgl. Anm. zur S. 128).

 

 

 

"54

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Nr. 8z.

Koi-no omo-ni onäää

 

Tsundara

 

Omma-ni ikuda aro yara shine nukui.

 

 

 

nanayeee !

 

Uebersetzung.

 

Wenn man der Liebe schwere Last

aufhäuft

 

auf ein Pferd, wie viel (Pferde) man brauchen wird, das ist schwer

 

zu sagen.

Nanayeee !

 

Eine besondere Klasse der Kuli bilden die

Palankin träger. Ueber die ganze Einrichtung

berichtet Emil Schmidt^): »Der Palki ist ein kräf-

tiger langviereckiger Holzrahmen, von dem nach

vom und hinten je eine lange, runde, am freien Ende

etwas aufgebogene Tragstange abgeht^. In dem

Rahmen ist ein schmaler Stuhl mit Schattenverdeck

angebracht. Von den Stangen hängen an kurzen

Schnüren dicke Baumwollkissen als Schulterpolster

für die Träger herab, die paarweise die Stange auf

der entgegengesetzten Schulter tragen, indem der

Hintermann seinen einen Arm auf den Rücken des

Anderen auflegt; die beiden Männer jedes Paares

Stämmen sich schräg gegen einander, um grösseren

Widerstand gegen seitliche Bewegung zu erzielen;

alle fünf Minuten wird die Schulter, alle fünfzehn

bis zwanzig Minuten die Träger selbst gewechselt.

Das Tempo des Marsches ist sehr rasch, etwa so,

wie der Laufschritt der italienischen Bersaglieri; da-

 

 

 

i) Reise nach Südindien, S. iiof.

 

2) Abbildungen bei Grierson, Bihar Peasant Life, S. 45 ff.

 

 

 

Die verscliiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

3^55

 

 

 

bei wird gern ein rhythmischer Gesang- von nur ein

bis zwei immer wiederholten Takten angestimmt*

Meine Träger sangen immer eine der folgenden

Weisen:

 

Nr. 82.

Damahaha ho ho! damahaha ho ho! damahaha etc.

 

 

 

etc»

 

 

 

E

 

 

 

4?^^

 

 

 

1

 

 

 

J^i i i^i i

 

 

 

t

 

 

 

\l. . I ¦ ¦ ¦ I

 

 

 

t

 

 

 

i

 

 

 

mahaha ngö

ehe om etc.

 

 

 

mahaha ng6 etc.

 

mahaha ng6 etc.

 

 

 

oder <

 

 

 

^^ß

 

 

 

r

 

 

 

etc. oder <

 

 

 

s^

 

 

 

Li

 

 

 

^

 

 

 

 

 

 

etc.

 

 

 

eh etc. maha maha etc.

 

ng6 mahaha ho ng6 etc.

 

 

 

oder i

 

 

 

 

 

 

 

 

 

etc.

 

 

 

 

 

 

maha maha etc.

 

 

 

Die Worte sind sinnlos; das sind aber die Marsch-

lieder dieser Leute nicht überall. »Die Palankin-

 

 

 

I<6 Vierter Theil:

 

träger«, erzählt Gover^), der Sammler der oben mit-

getheilten Kulilieder, »sind grosse Sänger, sehr da-

rauf erpicht, sich an geizigen Reisenden dadurch zu

rächen, dass sie auf diese Verse improvisieren, in

denen sie allerlei Betrachtungen anstellen über die

körperlichen und sittlichen Eigenthümlichkeiten ihrer

Passagiere und der nächsten weiblichen Verwandten

derselben. Da nur wenige Europäer ihre Mundart

verstehen, so gehen ihnen diese Angriffe fast immer

straflos hin. Ich erinnere mich eines stämmigen.

Herrn, der Träger für eine Gebirgsreise gemiethet

hatte, aber entweder so schlecht bei Kasse oder so

wenig freigebig war, dass er ihnen in Anbetracht

seines ungewöhnlichen Gewichts nicht ein ordent-

liches Trinkgeld versprochen hatte. Unglücklicher-

weise verstand er gut die tamulische Volkssprache.

Kaum waren sie recht in den Bergen, so fing sein

Leid an. Meile auf Meile wurde ein neues Spottbild

von ihm entworfen. Es ging gegen die Würde,

Einsprache zu erheben; aber es ging auch über

menschliche Kraft, geduldig zuzuhören. Der Rei-

sende schäumte vor Wuth. Er. befahl ihnen still zu

sein — er wolle schlafen. Sie gehorchten für eine

Weile; dann brach wieder die eintönige Klage her-

vor gegen das widrige Schicksal, das sie zwang,

»einen Berg auf einen Berg zu tragen«. Sie er-

reichten ihr Ziel, aber nicht in der Weise, wie sie

erwarteten. Der Reisende wollte nicht zahlen und

konnte auch ihre beleidigenden Anspielungen nicht

einstecken. Als sie noch eine gute Strecke vom

 

 

 

I) a. a. O. S. i8i. Vgl. auch Graul, Reise in Ostindien, V,

S. 76.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. icy

 

Ziele entfernt waren, beschloss er, die Träger zu ent-

lassen und sich seinen eigenen Beinen anzuvertrauen.

Stundenlang nachher langte ein erschöpfter Fuss-

gänger auf der Höhe an — ein trauriges Opfer dra-

vidischer Stegreifdichtung.«

 

Auch aus Japan liegt mir ein Gesang der Sänf-

tenträger (Oi-wake) vor, den ich hier folgen lasse«

 

Nr. 83.

 

Hakone hachi ri wa, na!

Mina-de mo kosu-ga, nä!

Kosu-ni kosarenu.

Oi gawa!

 

Uebersetzung.

 

Nach Hakone [ein Berg] sind acht Meilen, na!

 

Und wenn man mit einem Pferde (das Gebirg) überschreiten will, nä!

Kann man's nicht überschreiten.

Oi gawa ! *)

 

Das gleiche Beförderungsmittel findet sich in

Hinterindien ^ , in Madagaskar (Filansana)^) und in

We^tafrika (Tipoya). Ueber letzteres berichtet Pogge*) :

»Das Tempo einer Tipoya auf der Reise ist sehr rasch ;

die Träger legen y^ bis eine deutsche Meile in der

Stunde zurück. Die Träger lieben auf der Reise zu

singen oder begnügen sich damit, unartikulierte,

bestialische Töne auszustossen, oder aber sie gehen

still ihres Weges.«

 

 

 

i) Ausruf und zugleich Name eines Flusses.

 

2) Les Colonies fran9aises III, S. 249. 341.

 

3) SiBREE, Madagaskar, S. 194 fF. Keller, Ostafr. Inseln, S. 104.

 

4) Im Reiche der Muata Jamwo, S. 21.

 

158 Vierter Theil:

 

b) Beim Emporziehen von Lasten (158)

In erster Linie gehören hierher Arbeiten, bei

denen eine Last mittels eines Seiles von Meh-

reren emporgezogen werden soll und wo es

darauf ankommt, dass alle auf den gleichen Ruck

anziehen. Eines der schönsten Beispiele dieser Art

finden wir in Aristophanes »Frieden«, wo die Griechen

die in einer Grube verborgene Eirene mit einem

Seile emporziehen sollen. Ich will hier nur eine

kurze Stelle des sehr charakteristischen Chorliedes

anführen, das sich wahrscheinlich an bekannte Ge-

sänge anlehnte, die bei solchen Gelegenheiten auf

den Strassen Athens oder in den Häfen zu hören

waren.

 

Nr. 84.

 

"Ays VW, ays nag'

 

xal [ir]v byiov 'axiv i]8ri.

 

iirj VW &V&116V, &Xl' insv-

 

TSlvoaiiBV OCvdQLtlmTSQOV.

 

'^dri *axl tovt' instvo.

 

m elcc v^v, m sla n&g.

 

a sloc, sla, ala, sloc, sla, sla.

 

a sla, sla, sla, sla, sla nag. ^)

 

In vielen süddeutschen Städten gab es im Mittel-

alter eine Zunft der Wein- oder Fasszieher (Schrö-

ter), welche das Aufziehen der Weinfasser aus den

Kellern, das Beladen der Wagen und ähnliche Ar-

beiten besorgten. Diese Thätigkeit war ausser-

ordentlich mühsam; bedurfte man doch bisweilen 16

Weinzieher, um ein Fass emporzubringen ^. Zu dieser

 

 

 

1) Aristoph. Friede V. 512 — 519; vgl. schon von V. 453 ab.

 

2) Vgl. das Citat bei Schmeller, Wörterbuch II, Sp. 1106.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

159

 

 

 

Arbeit gehört folgender, nach Zeit und Ursprungsort

leider nicht genau bestimmbarer Gesang^):

 

Nr. 85. (Vass ziehen in Osterreich.)

 

So, Bodenknecht,

 

 

 

Hört zu al,

 

wie ein geschal

 

wir doch han,

 

so wir gan

 

und vass ziehen wollen,

 

so ruf wir nnsem gesellen:

 

kombt mit mir!

 

nembt mit geschir:

 

wagen-leiter,

 

kampf-leiter,

 

Schemel, die gar hohen schemel,

 

die geis-schemel, die böck-schemel,

 

 

 

halt uns entgegen recht!

 

gib her den Durchzug allein!

 

die peilhaken ") her!

 

So, Themel,*)

 

leich uns her den Dremel*),

 

dass man das vass recht ruck,.

 

nit zuck!

 

So, Gegenknecht, bücke dich!

 

schau auf dich!

 

halt an dich!

 

Das vass ligt auf dem höhel.

 

 

 

tragt mit euch her auch die klein- Zu! zu! zeuch hin! schau, dass

 

 

 

fädrige seil —

dreiling-, halbfüdring-seil ! —

vierzig eimer zeucht man damit.

Also mit spaten!

lauft und bringt spaten:

nebinger! *)

und versperr

uns das vass schir!

 

 

 

es bleib!

leg an die seil!

stet gleich an!

Nun, wolan!

in Gottes namen!

zieht alle gleich!

Ho! ha! ho!

 

halt fest, ir lieben gesellen!

halt fest!

 

 

 

2. Pars.

 

So, Gleseris, schmir die leiter bass,

dass es nem ein end!

 

 

 

1) Abgedr. im Katalog der in der Kreis- und Stadtbibliothek ,

dem städtischen Archive und der Bibliothek des histor. Vereins zu

Augsburg befindlichen Musikwerke, bearbeitet von H. M. Schletterer

(Beilage zu den Monatsheften för Musikgeschichte 1878) S. 154 ff.

 

2) Der Bohrer.

 

3) peil, das Spundloch.

 

4) Demmel? Nach Schmeller, Wörterb. I, 509 Prasser,

Schlemmer.

 

5) Knüttel, wohl die Hebestange.

 

 

 

l6o Vierter Theil:

 

Greift alle an behend!

 

Ho se hin! io ha!

 

Lieben gesellen, noch ein kleins!

 

Io se hin! zieht alle gleich!

 

Halt fest die Leiter an, dass nit weich;

 

das vass ruck um, herbass, dass gleich liegt!

 

Nun ligts gleich;

 

rucks hinter sich!

 

So ligt es recht!

 

So, Wagenknecht, nim hin das vass,

 

hüt sein bass!

 

ich gib dirs ganz in dein Gewalt.

 

Gott behüt uns jung und alt!

 

Die verbreitetste Spezies dieser Liedergattung-,

welche wir in Deutschland besitzen, sind die Zug-

schlägel-Reime, Rammer- oder Pilottenlieder.

Sie werden beim Einrammen von Pfählen (Pilotten)

mittels der Zugramme (bayrisch Hay oder Heye) ge-

sungen, um die Momente des gemeinsamen Anziehens

für die Arbeiter zu markieren. Die Zugramme be-

steht aus einem schweren Klotz (Bär, Litz), der von

8 — 12 Arbeitern mittels einer auf einem Gerüste be-

festigten Rolle durch Seile aufgezogen und bei einer

gewissen Hubhöhe losgelassen wird, um durch sein

Fallgewicht den zu rammenden Pfahl oder Baum-

stamm in die Erde zu treiben. Die Zugschlägelreime

finden sich durch ganz Deutschland, vom Lech und

der Donau bis zur Nord- und Ostsee, am meisten

natürlich in sumpfigen Niederungen, wie in Holland,

wo die Häuser auf Pfählen gebaut werden. Sie

werden entweder im Chor oder bloss von einem

Vorsänger gesungen, wobei die Andern an gewissen

Stellen einfallen. Nach der bayierischen Tagelöhner-

Ordnung von 1729 gebühren einem gemeinen Arbeiter

bei Wasserbauten 13 Kreuzer, demjenigen aber, so

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

I6l

 

 

 

beym Hayschlag-en vorsingt, 14 Kreuzer als Tag-

lohn ^). Da die ganze, recht schwerfallige Einrichtung

in Gefahr ist, durch die Dampframme verdrängt zu

werden und da sich die wenigen gedruckten Pilotten-

lieder alle an schwer zugänglichen Stellen finden, so

will ich hier zusammenstellen, was mir davon bekannt

geworden ist.

 

 

 

Nr. 86. (Bayerische Zugschlägel-Reime*).

 

 

 

Ey ja na" wider auf!

 

Und ziehhts na" wider a*!

 

Und gel, mer lieb Gespa*,

 

Und gel, mer li^e Bursch,

 

Schau, wi^ das Schiegal duscht^),

 

Schau, wie das Schiegal gallt

 

A* 'n Beergngen und & 'n Wald

 

Und dade bei der Au

 

Und bey de schöTn Jungfrau.

 

Bist gar e* schöne Zier,

 

Geh he^r und zoihh mit mier!

 

1 leihh enk ja mefn Strik,

 

KiTst ziehhe'-r-a' demit.

 

Mier war e* ja schcT fael,

 

en ied^ hat sein Thael;

 

a* *n Sael so hänge*ts dra".

 

Äfft*) ziehhr halt mier a",

 

 

 

Äfft ziehhe halt mier auf,

e" Boisal rast mS drauf!

 

Hammer e" Boisal grast't

Und hamm^r e~ Boisal dmacht,

letz schla'me wide * drauf

Und ziehhe" brav houch auf.

Er stet ja ef de* Kamp*),

De weist 'n sovel gwandt,

De weist 'n na' de Raes,

Wal e* den Weg net waes,

Wal e' den Weg net kennt.

Hat eem de Schlägl 'brennt.

Er feilt e6m. auf sefn Kopf;

Is gar. en arme* Tropff,

Is gar en arm^ Kee*n.*)

Er get ja ei~ di Ee'n.

 

 

 

1) Nach ScHMELLKR, B. Wörterbuch I, Sp. 1021.

 

2) Nach SCHMFXLER, Die Mundarten Bayerns, S. 526 ff. Das

Stück steht unter den Ostlech-Dialekten ohne nähere Bezeichnung der

Herkunft. >Jeder Vers ist für die Arbeiter das Signal zum gemein-

schaftlichen Anziehen«.

 

3) schallt.

 

4) hernach.

 

5) Der eiserne Ring, der den oberen Theil eines einzurammenden

Pfahles umfasst und aus der Bahn des Zugschlägel-Gerüstes (aus der

Kais) nicht weichen lässt. Schmfxler, Wörterb. I, 1251.

 

6) Kern = Kerl? Vgl. Schmeller, Wörterb. I, Sp. 1293.

Bücher, Arbeit und Rhythmus. II

 

 

 

l62

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Er get ja ei" das Kotit. ')

Das ZiShhe das thuSt nout,

Thiiet si' kaen^ spam,

Nemts *n na' recht ei' d* Arm,

Äfft macht er uns recht warm,

Äfft macht '^r uns recht ha^s,

 

 

 

A ja die büÄhe' Ga^s.

Äfft ziehh^ halt mier auf,

Äfft ßllt er e^m brav drauf»

Äfft fHlt ^r e^m brav drei*.

S^'n Rastn thü^m^ schrejT.

 

 

 

Nr. 87. (Frankfurter Pilottenlied. *)

 

 

 

I, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9!

Der Pfahl muss hinein

Durch Felsen und Stein,

Durch Wasser und Sand,

Dem König ins Land,

Dem Kaiser ins Reich.

Drum, Brüder, zieht allzugleich!

Ich seh* ein*n, der zieht nicht!

Ich seh* ein*n, der mag nicht!

Ich könnt ihn euch nenne;

Ihr werd*t ihn wohl kenne;

Ich bild' mir ihn ein:

 

 

 

Es muss der August^ wohl sein!

 

Warum zieht er denn jetzt?

 

Weil*s geht auf die letzt* ! *)

 

Hoch auf!

 

Einen darauf!

 

Einen aufs Haupt!

 

Einen oben auf den Pfahl!

 

Einen daneben!

 

Wir wollen ihm noch fünf geben!

 

I, 2, 3» 4» 5!

 

Festgesetzt!

 

Diess ist der letzt*!

 

 

 

Nr. 88. (Ein anderes.)

 

Hoch auf mit der Litz!

 

Es donnert und blitzt.

 

Es blitzt, es kracht!

 

Der Schlingel steht da und lacht!

 

Es ist der dumm Erbfeind*),

 

 

 

1) Den Koth.

 

2) Aus Battenberg, Die alte und die neue Peterskirche zu

Frankfurt a. M. (Lpz. u. Frkf. 1895), S. 224 f. Der Verf. bemerkt

zur ersten Zeile : »Bei jeder dieser Ziffern ziehen die Leute an und lassen

das Gewicht fallen. Dann fallt es je bei dem betonten Worte der

nächstfolgenden Verse«.

 

3) Mit dem Namen wird natürlich beliebig gewechselt.

 

4) Auf den Schluss los.

 

5) Der dumme Erbfeind ist nach Battenberg der Teufel, welcher

das Werk der Bauhandwerker in der Sage so oft stört. Hier macht er

die Pilotten rund, d. h. er zersplittert sie am Kopfende und hindert

damit die Wirkung des Schlages.

 

 

 

Die verschiedeneü Arten der Arbeitsgesänge. 163

 

Hat Haare wie ein Pudelhund,

Macht aUe Pilotten rund.

Hoch auf!

Einen drauf!

Einen daneben!

Wollen ihm noch zehn geben!

I, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10.

Hoch auf, und lasst ihn stehn ! ^)

 

Nr. 8g. (Lied der Bremer Zimmerleute.')

 

Fertig überall?

Hoch den Bär, hoch up und dal!

Von haben up den Pal!

Je höher dat he geit.

Je beter dat he fleit!

So geit he got;

So fleit he got.

Denn teit de Pal

Ok immer dal.

Hoch in de Luft!

Den Pal in de Gruft!

Hoch in den Scheer,

Dem Zuschauer zur Ehr!

Ein'n zuletzt!

Hoch up und setzt!

 

Nr. go. (Ostfriesisches Rammerlied. ^)

 

Twe Mantjes pumpen. Leg up de Scho!

 

Hog up de Klumpen*), Pastor steit up de Kansel

 

 

 

I) Ausser diesen beiden Liedern theilt Battenberg noch ein

drittes mit. Es ist ein in Nassau und Hessen sehr verbreitetes Volks-

lied , das auch von den Soldaten gern als Marschlied gesungen wird.

Abgedruckt bei Erk- Böhme, Deutscher Liederhort HI, Nr. 1388.

Wolfram, Nass. Volkslieder, Nr. 416. Lew alter, D. Volkslieder

aus Niederhessen IV Nr. 14.

 

• 2) Nach einer schriftlichen Mittheilung des Herrn Dr. E. Dünzel-

MANN in Bremen, vermittelt durch Herrn Dr. J. Plenge.

 

3) Angezeichnet durch Herrn Pastor Lüpke,

 

4) Holzschuh.

 

II*

 

 

 

164

 

 

 

Vierter THeil:

 

 

 

Un preekt der to.

Wo hoger dat he geit,

 

 

 

Wo deper dat he sleit.

 

Hog an de Steern!

 

Dat het de Meister gem.

 

 

 

Nr. gi. (Ein anderes. ')

 

 

 

*

 

 

 

fTr-^~r~rrrmrr:-r

 

 

 

Trekt mit al - le Man ! Lat't jo dar nich sür bi

 

 

 

y r-ii | j J' j J'p.i J' i r f i r- ^

 

 

 

warn,

 

 

 

wenn der 6k for'n mal en pund an - hangd.

 

 

 

pT^rifr^^f^^ r f, I r 1 J' l J 1'-^

 

 

 

S6t, wo he geid,

 

 

 

sßt, wo he sleid! Wo ho-gerdathe

 

 

 

j > f i J'i J j'i-g ga ^j j] r- n

 

 

 

geid, wo be - ter dat he sleid ! H6g in de Top, de

 

 

 

|t^H-g^

 

 

 

h:

 

 

 

^^£3\r^~i

 

 

 

Päl wol up sin Kop! H6g in de Rul! Stok-fis mit

 

 

 

I) Aufgezeichnet in Nordemey und veröffentlicht in der Ztschr.

d. Ver. für Volkskunde, VII (1897), S. 437. Der Text nach den Ver-

besserungen von C. Djrksen (ebendaselbst VIII, S. 96) mit einer

kleinen Abweichung. Der Sinn ist: Zieht zusammen alle Mann!

Lasst's euch nicht sauer dabei werden, wenn auch jetzt einmal ein

Gewicht daran hängt. Seht, wie er (der Rammblock) geht; seht,

wie er schlägt! Je höher er geht, um so besser er schlägt. Hoch

in die Spitze, dem Pfahl wol auf den Kopf! Hoch in die Rolle

(über die das Zugseil läuft)! Stockfisch mit Steckrüben (r), Kartoffeln

dazu: gute Schmauserei! Ich will dir noch einen Spass erzählen;

das soll jedem wohl gefallen. (Hier fehlt offenbar ein Stück.) Hoch

in die Scheren (die Winkel, welche die in der Spitze zusammen-

laufenden Stützen des Rammbockes bilden) ; das hat der Meister

gern! Hoch um die Wette, und dann nochmal eingesetzt!»*

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

165

 

 

 

Knul, Erd-ap-pels dar • bi. 'n go*de Knape

 

 

 

Erd-ap-pels dar • bi^

 

 

 

'n go * de Knape-

 

 

 

 

L^1±J_JL

 

 

 

9 ,tM

 

 

 

m

 

 

 

*k wil di noch en Späs fer^teln, dat sal elk wol

 

 

 

1

 

 

 

i

 

 

 

nJ-lr i JMJ 'j'^

 

 

 

god ge • faln. Hög in de Sehern, dat hed de Meister

 

 

 

*=ii

 

 

 

y ri^-i- J iff^i=?|j J'r nri ^

 

 

 

g^m. Hög in de Wed, un dannoch'nmälin • set!

 

¦Nr.. 92. (Ein drittes.*)

 

I. Hoifho! Nu man to! Bort') up mit alle Mann!

Fat hum wiss^) un holt hum fast;

Denn kamt he £eller ^) an !

Loat hum fiem*)! Soo geit he god!

Haut hum up sien hoge Höd! (Schlag,)

 

Bumsfallera! dar was he ja!

 

Dat firste Krös*) verdaut!

 

 

 

i) Aufgezeichnet von Herrn Lehrer Sundermann, der dieises

Lied 1896 bei den Hafenbauten in Norden singen hörte und a. a. O.

S. 440 veröffentlichte. Nach Herrn Sundermann pflegt der Witz des

Vorrammers für den Inhalt der Lieder entscheidend zu sein. >Ist

der ein Mann, der Sinn dafür hat, bringt er alles Mögliche und Un-

mögliche über die Bauverhältnisse, Verpflegung, Löhnung, über Per-

sönlichkeiten u. s. w. scherzend in- die Verse, hinein ; ist' er unbegabt,

so hört man wenig oder- gar -nichts. Als 1850 bei "Errichtung einer

ZoHniedalage in Norden gerammt wurde, hatte ein Vocrammer, der

ein )»gliel8oher4C (glatter, gewandter) Kopf war, allerlei Stddtklatsch und

MßgisliBtszänkereien vorgenommen.«

 

2) hebt. — 3) fesst ihn sicher. — .4) schneller. — 5) lasst ihn

schiessen. — * 6) Kanne (Mass).

 

 

 

i66

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

1

 

 

 

2. Her mit d*Fless *) un her mit*t Gless,

De't 6relk mit uns m^iit»

Wat wult du, Bar, dar achter stän?

Kumm mit dat Fatt'man her vandän!

Dat Fatt, dat Fatt — dat Fatt hett Natt,

Dat Natt, dat Natt — wel*) mag noch wat? (Schla£^,)

Bumsfallera! dar was he ja!

. . , All wer*) en Krös an d' Kant.

 

Nr. 93. (Rammerliedchen aus Westpreussen. *)

 

Hi, hopp!

Aufn Kopp!

Noch einmal

Op en dal! "

 

Nr. 94. (Russisches Rammerlied. '^)

Vorsänger. \

 

 

 

i>-t— #^

 

 

 

!s

 

 

 

N— N

 

 

 

^

 

 

 

^^^

 

 

 

 

Hy, pe-6x-Ta npH-HH-HaHcx, 3a Ay - ÖHHym-iey xsa-

Chor.

 

 

 

<'^WW ; ww>V i;p

 

 

 

laficA. 9h, Ay-ÖH-Hymica, yxHCM'b! 3h, se - Jie - naji ca-

 

 

 

Uh-^ ' U ^ '"^

 

 

 

3Öi

 

 

 

ua nofiAeT%.no;iAepHeM'b,noAJepHeM'b, ^a yx - - Hein»!

 

 

 

i) Flasche. — 2) wer. — 3) wieder.

 

4) Mitgetheilt von Herrn stud. A. Gottschewski , der es von

polnischen Erdarbeitern in Löbau gehört hat. . .

 

5) Der Text dieses vielgesungenen liedes findet sich in der

Sammlung CoJiOByaEKO (Nachtigal) von M. Lkderle (St. Petersburg 1891),

 

' S. 156. Die Melodie hatte Herr stud. Jos. Boujanski die Freund-

lichkeit für mich niederzuschreiben. Das Lied wird übrigens auch

 

. bei andern gemeinsamen Arbeiten angestimmt. Es ist durch wandernde

russische Sängergesellschaften auch bei uns bekannt geworden.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 15?

 

1. Hy, peÖJiTa, npHHHMafic«, i. Nun, ihr Bursche, angefangen,

3a AyÖHHyniKy XBaiaHCJi. An das Knüppelchen gegangen!

d&, Ay^HHymEa, yxneMi, Ei, du Knüppelchen, uchnem!

 

3fi, sejeHafl caHa nofiACn» I Ei, das grüne wird schon selber gehn.

nouepHeMi, uOM^pHCMi! Nun ziehet! Nun ziehet!

Jifik yxHCM'b! Und uchnem!

 

2. Hynca, npHMeMCA aa A'^^jio, 2. Vorwärts, lasst das Ding anfangen,

Hto6i oho y HaCb ksljAäO. Dass wir bald in Zug gelangen !

 

3h, Ay^HHymKa, yxHCM'b! Ei, du Knüppelchen, etc.

 

3. Hynca, npHMeMca mu 3. Vorwärts, greifen wir vereint an!

 

ApyKHO,

nqcKOp«£ OKOH^HTL HyacHO. Früher tritt das Ende ein dann.

3i, AyÖHHyniEa, yinem! Ei, du Knüppelchen, etc.

 

4. Hy, pe6flTa, ne s^BaHie, -^ 4. Nun, ihr Bursche, müsst nicht träumen,

PasOMi ApysKHO HanepaHTe. Drängt noch einmal an, nicht säumen!

3h, ^^yÖHHyniKa, yxHein! Ei, du Knüppelchen, etc.

 

5. Hy, TflHH, peÖjrra, cir&io, 5. Nun, ihr Bursche, tapfer. ziehet,

?To6i pa6oTa-TO KHir&ia. Dass die Arbeit uns erglühet!

3fi, Ay^HHyniKa, yxECMi! Ei, du Knüppelchen, etc.

 

6. Bu TXHHie nocHJibH'i^e, 6. Stärker ziehet jetzt, ihr Brüder!

OnycKaHTe Bpasi ApysH'i^e. AU' zusammen senket nieder!

3h, AyÖBHymKa, yxHeM'b! Ei, du Knüppelchen, uchnem!

 

3h, seJieHaii cana noHAerb! Ei, das grüne wird schon selber gehn.

IIoucpHeH'b, uojißfiuewb, Nun ziehet, nun ziehet!

 

jifi, yxHearB! Und uchnem!

 

Auch in Japan wird beim Einrammen von Pfählen

oder Steinen gesungen oder wenigstens durch laute

Ausrufe das Zeichen zum gemeinschaftlichen Anziehen

gegeben^). Zwei derartige »Eirdarbeiter-Lieder« (Jizuki-

 

 

 

I) y>An einer andern Stelle, wo eine Brücke erbaut werden sollte,

rammte man mit grossen Rammblöcken unter ungeheurem Lärm und

einem Chaos unartikulierter Laute Pfähle ein«: Spiess, Die preuss. Ex-

pedition nach Ostasien während der Jahre 1860 — 62, S. 166. Der-

selbe berichtet S. 154: »Kein Gesang ist (in Yokohama) in meine

 

 

 

i68

 

 

 

Vierter. Theil:

 

 

 

Uta) sind neuerdings bekannt geworden.^) Sie sind

sehr kurz, zeigen aber darin eine gewisse Verwandt-

schaft mit dem oben mitgetheilten koreanischen

Stampfgesang, dass sie an die Arbeiten Betrach-

tungen aus Natur und Menschenleben anknüpfen.

Sie lauten:

 

Nr. 95.

 

Ondotori: Der Vorarbeiter singt:

 

Kimi gSL ta to, Lasst uns unsere Felder bearbeiten,

 

.Waga ta wo narase, Die Haine ausbessern!

Aze narase!

 

 

 

Ninsoku:

Tani no nagare de

Käme asobu.

 

 

 

Ondotori:

Ugoki naki,

Shitatsu, iwane no

Futo-bashira!

Hiwo tatsuru yo no

Tameshi nari!

 

 

 

Chor der Arbeiter:

Dort im murmelnden Thalbach

Vergnügt sich die Schildkröte.

 

Nr. 96.

 

Der Vorarbeiter:

Unbeweglicher,

Im Boden unerschütterlicher,

Felsenfester, dicker Pfeiler!

Wie wir uns in der Welt fortbringen,

Wird unsere Prüfung sein.

 

 

 

Ninsoku: Chor der Arbeiter:

 

Miwo tatsuru yo no Wie wir uns in der Welt fortbringen.

Tameshi nari keri! Wird unsere Prüfung sein.

 

Der Sinn der letzten Zeilen wäre nach dem

Herausgeber: Wie es beim Hausbau die Hauptsache

ist, die Aussenpfeiler fest zu setzen, so soll auch bei

 

 

 

Ohren geklungen, und das lärmende Rufen der japanischen Lastträger

oder Zimmerleute, die beim Einrammen von Pfählen ein betäuben-

des Chorgeschrei, außtimmen, vermag für diesen Mangel nicht zu

entscliädigen.«

 

I) Nippon Gakfifu. Japanische Volkslieder, gesammelt und für

das Klavier bearbeitet von Rudolf Dittrich. Zwei Helle. Leipzig

(Breitkopf & Härtel) 1894/5. Heft I Nr. i und Heft 11 Nr. 9.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

169

 

 

 

uns Menschen die grundlegende Erziehung eine

gute sein, damit wir in der Welt ein gutes Fort-

kommen finden.

 

Aehnliche Gesänge werden überall von den

Schiffern beim Aufwinden der Anker und beim

Hissen der Segel gesungen. Die ältesten Bei-

spiele, welche ich kenne, sind aus Schottland, wo

sie ein patriotischer Mann um die Mitte des 16. Jahr-

hunderts mit andern Schifferrufen und Volksliedern

aufzeichnete.^) Ich lasse zwei derselben hier folgen:

 

 

 

Nr. .97. (Beim Aufwinden des Ankers.)

 

 

 

Veyra veyra,

 

 

Windet all*, windet

 

 

gentil gallandis,

 

 

edle Recken!

 

 

 

 

Veynde, i

 

 

see hym,

 

 

Windet! ich seh

 

 

' ihn,

 

 

pourbossa

 

 

!

 

 

(Das Wort ist nicht sicher erklärt.)

 

 

Hail al ande ane,

 

 

Holt, air und ein,

 

 

hail hym 1

 

 

iip til us!

 

 

holt ihn auf zu

 

 

uns!

 

 

 

 

Nr. 97». (Beim

 

 

Hissen der Segel.)

 

 

Heisau !

 

 

Hisset allM

 

 

thair, thair!

 

 

da, da!

 

 

vorsa!

 

 

(?)

 

 

Yallou hayr.

 

 

Gelbes Haar,

 

 

von!

 

 

Wau!

 

 

hips bayr!

 

 

Hüften bar!

 

 

Ane lang draucht

 

 

! Langer Zug!

 

 

Til hym al.

 

 

Zu ihm all.

 

 

Mair maucht!

 

 

Mehr Kraft.'

 

 

viddefullis al.

 

 

Galgenvögel all,

 

 

Yong blude,

 

 

Junges Blut,

 

 

grit and smal,

 

 

gross und klein.

 

 

mair müde!

 

 

Mehr Muth!

 

 

ane and al,

 

 

ein und all,

 

 

False flasche.

 

 

Falsches Fleisch,

 

 

heisau !

 

 

hisset !

 

 

ly a bak!

 

 

Lieg' dahinten!

 

 

Nou mak fast

 

 

Nun macht fest die

 

 

Lang suak,

 

 

Langer Ruck,

 

 

the theyrs!

 

 

Schooten !

 

 

that, that

 

 

dass, dass

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

i) Sie finden sich eingeschoben in eine politische Schrift aus dem

J. 1549: »The Complaynt of Scotlande^:, re-edited by James A. H.

MXTRRAT, London 1872 (Early English Test Society, Extra Series,

Nr. XVII), p. 40 iF. und Introduction p. LXIXif. Ich verdanke die

JCenntniss dieser Stellen dem freundlichen Interesse, das Herr Dr. Al.

 

 

 

IJO

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Jede Zeile wurde beim Gesänge wiederholt; ein-

zelne Stellen werden noch heute in der englischen

Marine gesungen. Wie nahe verwandt damit die

folgenden beiden Beispiele aus Helgoland sind, er-

giebt sich von selbst.

 

Nr. g8. (Skepperled om det Soel ap to wenn.^)

 

 

 

i

 

 

 

^

 

 

 

His em up, hu • ro, jol - ley! Hol em up, hu-

 

 

 

Tille in Glasgow an diesen Studien von ihrer ersten VeröfFenttichung

an genommen hat.

 

i) Erk-Böhme III, Nr. 1502. :>Beide Lieder sind erst langsam,

faul, geduldig, am Ende munter und vergnügt zu singen.4: Vgl. dort

auch das Danziger Schiffsjungenlied (Nr. 1501), das beim Ablaufen des

Schiffes vom Stapel gesungen wird. — Gesang beim Hissen auf einer

indischen Dali im Hafen von Bagamoyo : ; R. Böhm , Von Sansibar

zum Tanganjika, S. 13. — Griechische Matrosenlieder: Sanders a.a.O.

S. 107 und Fauriel, Neugriech. Volkslieder H, S. 12 f. Spanische:

Cabellero, Ausgew. Werke (Paderborn 1862), XVI, S. 55 f. Die

meisten in den deutschen Volksliedersammlungen stehenden Matrosen-

lieder (z. B. Erk-Böhme III, Nr. 1505 ff".) sind keine Arbeitslieder. —

Nach einer Aussage des Herrn Steuermanns K. A. Wilke , des

Herausgebers einer Sammlung »Gedichte und Lieder für Schiffer«

(Hamburg 1884), würden zwar von den deutschen Schiffern bei der

Arbeit .noch zahlreiche Lieder gesungen; es seien dies aber in der

Regel bekannte Volkslieder mit allerlei nicht gerade reinlichen Varianten

und Einschiebseln. Sie würden »schleppend und ruck - und tritt-

weise nach dem Takt der Arbeit« gesungen. Da aber das Treideln

und Mastrichten nicht mehr wie früher gehandhabt werde, so seien

sie im Einschlafen begriffen. Als ein Lied, das beim Treideln ge-

sungen worden sei, bezeichnet er das bekannte:

 

Es wollt* ein Mädchen Wasser hol'n

 

An einem kühlen Brunnen,

 

Hi, ha, heirassa!

 

An einem kühlen Brunnen.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

171

 

 

 

 

ro, jol-ley! His em up, hu - ro

 

 

 

i

 

 

 

^ ^^

 

 

 

m

 

 

 

Ho, ho!

 

 

 

K K

 

 

 

-w r-

 

. his em for de Krön, jol - ley!

 

Nr. 98*. (Om det Anker ap to wenn.)

 

Heav em up, huro jolley!

 

Hol em upi huro, jolley!

 

Heav em up met dem. huro, jolley!

 

Up met em huro, jolley!

 

Daran mögen in Uebersetzung ^) zwei Lieder an-

geschlossen werden, welche von den FlussschifFem,

die auf dem Indus fahren, ebenfalls beim Ein- und

Aufziehen der Segel gesungen werden.

 

 

 

Nr. gg.

 

 

 

Zieht, o ziehet!

Hebt die Schultern,

Stemmt die Füsse!

Das Boot will segeln.

 

 

 

Braucht alle Kraft!

 

Mit Gottes Gnade,

 

Mit der Heiligen Hülfe:

 

*S ist ein wackres Boot —

 

 

 

Der Steilermann ist ein Krieger. Das Wasser ist tief —

 

 

 

Der Mast ist hoch.

Schlagt die Trommel,

Der Hafen ist da.

 

 

 

Es kommt glücklich durch

Vt)m Shach Acbar

Durch Gottes Gnade!

 

 

 

Vgl. Erlach, Volkslieder H, S. 153 und Simrock, Die deutschen

Volkslieder, S. 96. Beim Mastrichten soll das nicht minder be-

kannte :^Als ich einmal am Sommertag^: (Erk und Irmer, Deutsche

Volkslieder, Heft 2, Nr. 64) gesungen werden und ein ähnliches beim

Hissen. Im Ganzen machen diese zu Arbeitsgesängen umgemodelten

Volkslieder den Eindruck der Entartung.

 

I) Nach Talvj a. a. O. S. 35 f., wo auf Burnes, Narrative of a

Voyage on the Indus, London 1834, p. 54. verwiesen wird.

 

 

 

1^2 Vierter Theil:

 

Nr. ZOO.

 

Heil, Peer Putta!*) Wer hat die Welt gesehn?

 

Heil, Stadt Tatta! Das Wasser ist süss.

 

Zieht zusammen, Zieht alle auf einmal!

 

Freudig ziehet! Der Hafen ist gut,

 

Der Hafen ist klein. Belutschen das Volk,

 

Sieh den Thurm im Hafen! Gott hats uns gezeigt,

 

Das Land ist Gottes. Mit Gott wir kamen.

 

c) Beim Fortziehen oder Schieben schwerer Gegenstände (172)

Die Neuseeländer haben eine Art von Gesängen,

die sie Toto-waka nennen^. »Obgleich ohne musi-

kalischen Werth, entsprechen diese Gesänge doch

in wunderbarer Weise dem Zwecke, für den sie be-

stimmt sind, nämlich eine Anzahl Personen in den

Stand zu setzen, beim Schleppen schwerer Holz-

stämme oder von Kanoes über Land eine gleich-

zeitige Kraftäusserung auszuüben. Wer die Gesänge

der Matrosen beim Entladen eines Schiffes oder beim

gemeinsamen Ziehen an einem Tau gehört hat, wird

die Art, wie sie gesungen werden, völlig verstehen.

Diese Gesänge bewegen sich in sehr verschiedenem

Zeitmass, je nachdem schwere oder leichte Lasten

zu ziehen sind. Wird bergan geschleift, so wird der

Vers aus langen Wörtern gebildet, von denen jedes

ebenso schwer imd mühselig aus dem Munde der

Ziehenden zu kommen scheint, wie sie über den

Boden vorrücken. Aber wenn das Hindemiss über-

 

 

1) Shah Peer ist ein Schutzheiliger der Sinden; Putta wahr-

scheinlich einer seiner Beinamen.

 

2) £d. Shortland, Tradition s and Superstitions of the New Zea-

landers (London 1856), p. 162 — 165.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. ij^

 

wunden ist und ihre Bewegungen freier und rascher

werden, wird ein anderer Takt angewendet, gebildet

aus einer Folge von kurzen Silben.«

 

»Die ersten fünf Zeilen des folgenden Beispiels

bilden einen Gesang, den man Puhwa oder Hari

nennt. Er ist bestimmt, von einer einzigen Stimme

gesungen zu werden, um das Zeichen zu geben, dass

man sich zum Ziehen anschickt. Dann folgt der

Toto-waka, dessen Verse abwechselnd gesungen

werden — einer von dem Vorsänger, während die

Zieher Athem holen, die Antwort von allen, welche

gerade zusammen ziehen.«

 

Nr. zoz.

 

Puhwa oder Hari.

 

Toia Tainui, te Arawa, Zieht, o Tainui ^), zieht die Arawa *),

 

Kia tapotu ki te moana. Sie vom Stapel zu lassen aufs Meer.

 

Koia i hirihara te mata- Sicher schoss nieder der Donner-

 

watitiri takataka-tumai keil, hierherzu fallend

 

I taku rangi tapu. Auf meinen heiligen Tag.

 

Toto-waka.

 

Vorsänger: Ka tangi te kiwi. Es schreit der Kiwi.')

 

Alle: Kiwi. {Kurzer, rascher Zug!) Kiwi.

 

Vorsänger: Ka tangi te moho. Es schreit der Moho. ')

 

Alle: Moho. Moho.

 

Vorsänger: Ka tangi te tieke. Es schreit der Tieke. ')

 

Alle: Tieke. Tieke.

 

Vorsänger: He poho anake. Nur ein Bauch. «.

 

Alle: To tikoko, tikoko ! (Anhaltender Gabelt ihn auf, gabelt ihn !

 

Vorsänger: Haere i te ara! [.Zu£^,) Haltet den Weg eini

 

Alle: Tikoko! (Starker Zug,) Gabelt ihn auf!

 

Vorsänger: Ko te tau-rua te rangi. Es istheute das zweite Jahr.

 

 

 

I) Stammname. 2) Name eines Bootes. 3) Namen von

 

Vögeln.

 

 

 

174

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Ko te hao-tane.

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Homai me kawe. '

 

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Me kawe kiwhea? <

 

Alle: Kauaea! .

 

Vorsänger: A-ki te take.

 

Alle: Take no tu.* (Langer Zug,)

 

Vorsänger: E hau!

 

Alle: Toia! {Langer Zug.)

 

Vorsänger: Hau riri!

 

Alle: Toia!

 

Vorsänger: Toia ake te take!

 

Alle: Take no tu.

 

Haiti u^d dann neuer Anlauf,

Vorsänger: Koia rimu h'aere! •

Alle: Kauaea! (Starker ZftgJ.

 

Vorsänger: Totara haere!

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Pukatea haere!

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Homai te tu!

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Homai te maro!

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Kia whitikia!

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Taku takapu.

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger: Hihi, e!

Alle: Haha, e!

 

Vorsänger: Pipi, e!

Alle: Tata e!

 

Vorsänger: Apitia!

Alle: Ha! (Kurzer rascher Zug.)

 

 

 

Munter, Leute!

Es ist der Menschenfanger.

Munter, Leute!

Macht Platz hier und

[schleppt es!

Munter, • Leute !

Aber wohin es schleppen?

Munter,. Leute!

Ah, die Wurzel!

Wurzel von Tu.

O Wind!

Zieht hinweg!

Rasender Wind!

Zieht «hinweg!

Zieht die Wurzel abwärts \

Wurzel von Tu.

 

Also, geh' weiter, Rimu ! ^)

 

Munter, Leute!

 

Geh weiter, Totara! *)

 

Munter, Leute!

 

Geh weiter, Pukatea! *)

 

Munter, Leute!

 

Gieb mir den Tu!

 

Munter, Leute!

 

Gieb mir den Maro!

 

Munter, Leute!

 

Straif anziehen!

 

Munter, Leute!

 

Mein Bauch.

 

Munter, Leute!

 

Drei lange Silben y_ um tu bezeichnen, dass .

ein langes starkes , Anziehen , nöthig ist,- um-

eine Unebenheit des Bodens zu .überwinden.

 

Zusammen!

Ha!

 

 

 

i) Namen von Waldbäumen, die zum Bau von Kanoes benutzt

werden.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

175

 

 

 

Vorsänger: Apitia!

 

Alle: Ha!

 

Vorsänger: Ko te here!

 

Alle: Ha!

 

Vorsänger: Ko te here!

 

Alle: Ha!

 

Vorsänger: Ko te timata!

 

Alle: E-ko te tikoko pohue.

 

Vorsänger: E-ko te aitanga a mata.

 

Alle: E-ko te aitanga a te

 

hoe-manuka.

Damit treten die Leute hitvweg. Dann

 

neuer Anlauf,

Vorsänger: Ko au, ko au.

Alle: Hitaue! (Langer Zug,)

 

Vorsänger: Mate ko te hanga.

Alle: Hitaue!

 

Vorsänger: Turuki, turuki!

Alle: Paneke, paneke!

 

Vorsänger: Oioi te toki!

Alle: Kauaea!

 

Vorsänger; Takitakina!

Alle: Ja!

 

Vorsänger: He tikaokao.

Alle: He taraho.

 

Vorsänger: He parera.

Alle: Ke, ke, ke, ke!

 

Vorsänger: He parera. '

Alle: Ke, ke, ke, ke!

 

 

 

Zusammen ! -

Ha!

 

Den Strick!

Ha!

 

Den Strick!

Ha!

 

Und den Speer!

Ah ! und die Pohue-Gabel.

Ah! und das Feuerstein-

Kind.

Ah ! und das Kind des

Manuka-Ruder s .

eine Pause, und darauf

 

Ich bin*s, ich bin's.

Ein langer Zug!

Das Ding ist tot.

Ein langer Zug!

Rutsch fort, rutsch fort!

Schlüpf zu, schlüpf zu!

Schwingt die Axt!

Munter, Leute!

Zieht's hinaus!

Also!

 

Es ist ein Hahn.

Es ist ein Taraho. ')

Es ist eine Ente.

Quak, quak, quak, quak

Es ist eine Ente.

Quak, quak, quak, quak!

 

 

 

Aus der alten Welt gehören hierher die Gesänge

der Schiffszieher, welche an den meisten schiffbaren

Flüssen, wo die Aufwärtsbewegung der Fahrzeuge

mittels Menschenkraft erfolgte (Treideln), gebräuch-

lich waren, sich aber manchmal auch da finden, wo

man sich der Leinpferde zu diesem Zwecke bediente.

 

 

 

I) Namen eines Vogels.

 

 

 

176

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Die primitivste Form stellt folgende Notenskizze des

Gesangs der sog. Boomätscher an der oberen Elbe

dar, wie er noch vor einem Menschenalter in Dres-

den gehört werden konnte^).

 

 

 

Nr. Z02.

 

 

 

 

ä

 

 

 

i

 

 

 

Pf

 

 

 

^

 

 

 

*^= ö>

 

 

 

Hi-i bei-i ho-o bei; hi-i bei-i ho-o bei!

 

Der Berichterstatter bemerkt dazu: »Dieser *Ge-

sang' ist eigentlich als solcher nicht zu bezeichnen.

Er bestand nur aus dem immerfort wiederholten: hi-

bei, hobei! Auf die Silben hi und ho wurde be-

sonderer Nachdruck gelegt, hierbei jedesmal der

rechte Fuss vorgesetzt und der Stock (eine Art

Bergstock) eingestemmt, wodurch das Nachziehen

des linken Fusses, bez. das Fortschreiten unterstützt

wurde.«

 

Nicht minder eintönig ist ein Gesang der Boot-

zieher in China, den G. Kreitner^ am Han-Flusse

aufgezeichnet hat. Ihrer acht schleppten mittels

eines aus Bambubast geflochtenen Strickes mühsam

das Boot bei heftigem Nordwind. »Es schien fast

eine Arbeit der Verzweiflung zu sein, die sie da

verrichteten. Mit so stark vorgebeugtem Ober-

körper, dass die Brust nahezu den Boden berührte,

kämpften sie gegen die Gewalt des Sturmes, welcher

das Schiff flussabwärts drängte. Die Füsse der Schiffer

gruben sich in den weichen Boden ein, und die starke

 

 

 

1) Mittheilungen des Vereins für sächsische Volkskunde 1899,

N. 9, S. 15 f.

 

2) Im fernen Osten (Wien 1881), S. 402.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

177

 

 

 

Brust keuchte krampfhaft unter dem Drucke des um-

gewundenen Seiles, welches sich tief in das Fleisch

einschnitt. Jetzt erreichten sie einen am Ufer ein-

getriebenen Baumstamm, woran sie das Seil be-

festigen. Nach einigen Minuten sauer verdienter

Rast beginnt die Arbeit von Neuem. Sie singen

einen SchifFergesang. In dumpfer, matt und matter

werdender Vibration dringen die abgerissenen Töne

 

zu uns«:

 

Nr. 103.

 

 

 

^^

 

 

 

^^

 

 

 

"^

 

 

 

'^-

 

 

 

 

p=t=#j

 

 

 

*

 

 

 

±:t:

 

 

 

^

 

 

 

Bekannt sind auch die Gesänge der Burlaken,

welche auf der Wolga die grossen Getreideschiffe

fortbewegen. Ich gebe das folgende Beispiel im

Stimmensatz, wie es mir von einem meiner Hörer

mitgetheilt worden ist^).

 

 

 

Nr. Z04.

 

du yx-uewb, ji,& sfi yx-ueMi! E - me pa-a-SHirb

 

 

 

' ^'=M=F=^

 

 

 

F= ^ r r M

 

 

 

'1 j J. ^i A

 

 

 

^

 

 

 

j j j

 

 

 

Vi ^

 

 

 

^

 

 

 

I) Herrn Jos. BoujANSKi. Der Text bei Lederle a.a.O. S. 153.

Uebersetzung von Herrn Dr. Mich. Gannuschkin.

 

BOcHBR, Arbeit und Rbythmns. 12

 

 

 

178

 

 

 

Aa e-n^e pa-soKi!

 

 

 

^

 

 

 

s

 

 

 

Vierter Theil:

 

Fa - 30 - BbeMt MH 6e - pe - e - 3y,

 

^ p^

 

 

 

i

 

 

 

 

 

 

^

 

 

 

i i

 

 

 

jFine, f

 

 

 

^

 

 

 

 

 

 

£

 

 

 

f

 

 

 

 

S

 

 

 

pa-so-BbeMi MH Ky - Apx - x-By - k), Afi, Aa-Aa, an - Aa!

 

 

 

^

 

 

 

g

 

 

 

£

 

 

 

^

 

 

 

^

 

 

 

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^

 

 

 

 

 

 

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^

 

 

 

H h

 

 

 

afi Aa - Aa au Aa-

 

 

 

I

 

 

 

fc

 

 

 

^E^

 

 

 

3

 

 

 

r

 

 

 

rf^ - tr^

 

 

 

^

 

 

 

scendo.

 

 

 

Da capo al fine.

 

 

 

'm

 

 

 

Uebersetzung:

 

Sehr laut:

£iy uchnem! ei, uclinem!

Noch einmalchen, — noch einmal!

 

Etwas leiser:

£i, uchnem! ei, uchnem!

Noch einmalchen, — noch einmal!

Wickeln wir nun ab die Birke,

Wickeln wir nun ab die lock'ge!

Ai da — da! ai da! ai da — da! ai dal

Wickeln wir nun ab die lock'ge!

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. lyn

 

Ganz leise:

Ei, uchnem! ei, uchnem!

Noch einmalchen, — noch einmal!

Ei, uchnem! ei, uchnem!

 

Auch die Hohenauer, d. h. die Schiffleute,

welche die grossen Schiffszüge (Hohenauen) auf dem

Inn und der Donau beförderten, hatten ihre eigen-

artigen Gesänge. Es liegt folgende Nachbildung

vor, die offenbar der Wirklichkeit sehr nahe kommen

musste \

 

Nr. 105.

 

Hagenauer, schlaget ein, alles Geschlecht

 

der Schiffknecht;

 

schnalzt zusammen, schreit und sprecht:

 

Ho ho ho, reidt an, reidt an!

 

Ho ho ho, dauch an, dauch an!

 

Jodl dauch an, Jodl dauch an!

 

Ho, dauch an, mein Steuer-Mann!

 

Thut Ehr beweisen der Wunder-Hagenau !

 

Die Rueder niedersenckt und grüesset dise Fraw!

 

Dein Gemüeth und Hertze wendt, den schönen Ort anschaw!

 

Den Schiif-Leuthn ist sie gewogn,

 

unser Liebe Fraw von Pogn.

 

Jodl dauch an, Jodl dauch an,

 

nur fein dapifer angezogn!

 

Zum Schluss muss noch des Fischfangs ge-

dacht werden, soweit er mit grossen Netzen erfolgt,

die an Seilen von zahlreichen Menschen durch das

Wasser gezogen werden. In Neuseeland haben diese

Netze oft eine Länge von tausend Ellen und bedür-

fen beim Gebrauch Hunderte von Händen^. In

 

 

 

1) Im »Azwinischen Bogen« des Abtes Dominik (Straubing 1679),

angeführt bei Schmeller, Bayr. Wörterbuch, I, Sp. 1043.

 

2) Ratzel, Völkerkunde, I, S. 234. Shortland a. a. O.,

S. 211.

 

 

 

12*

 

 

 

l8o Vierter Theil:

 

Arabien beobachtete Wellsted, dass dreissig bis vier-

zig Männer zugleich an Seilen solche Netze ans Land

zogen ^). Die gleiche Weise des Fischfangs übten

die alten Aegypter^. So dürfen wir denn auch hier-

bei Arbeitsgesänge erwarten, welche in diese Gruppe

gehören. In der That berichtet schon Diodor^ von

den Ichthyophagen, dass sie bei ihrer Arbeit sich

gegenseitig durch unartikulierte Gesänge {&vdQd'Qotg

Adatg) ermuntern, und Freycinet*) theilt aus Neu-

Südwales einen Gesang der Frauen beim Fischfang

mit, der in anschaulicher Tonmalerei das Aufwinden

der Netze anzudeuten scheint:

 

Nr. io6.

Adagio.

 

 

 

|3;^frTV^^^^^^fe g g ^ir?j ^

 

 

 

Ein Text ist nicht vorhanden; wahrscheinlich

besteht er, wie in vielen ähnlichen Fällen, aus sinn-

losen Lauten, welche die Beobachter der Aufzeich-

nung nicht werth fanden.

 

d) Beim Rudern (180)

Von allen dieser Gattung angehörigen Gesängen

erfreuen sich wohl die Bootgesänge oder Ruder-

 

1) Reise in Arabien, I, S. 132.

2) Ermann, Aegypten, S. 326.

3) III, 16. Fischfang mit Gong- und Tamtam-Begleitung in China:

Krkitner a. a. O., S. 396.

 

4) Voyage autour du monde, citiert bei K. Hagen a. a. O.,

Taf. III. — Dagegen gehört das litauische Liedchen bei Bartsch

a. a. O., S. 168 wohl nicht hierher. Das Gleiche gilt von dem

Fischerliedchen aus Rügen bei Erk-Böhme, III, Nr. 1504.

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. ^ßl

 

lieder der weitesten Verbreitung. Erfordert doch

das Rudern, wenn es von mehreren geschieht, inuner

ein genau gleichzeitiges Heben und Eintauchen der

Ruder, damit das Fahrzeug nicht aus der Richtung

geworfen und die Bewegungen des einen Arbeiters

nicht durch die des andern gehindert werden.

 

So finden wir denn überall, wo Ruderschiffe

gebraucht werden, künstliche Mittel angewendet, um

das Takthalten zu unterstützen. Bald sind es blosse

Zischlaute und Rufe der Ruderer selbst^), bald das

Kommando eines besonderen Rudermeisters (des

xsk€v0Ti]g bei den Griechen, hortator oder pausarius

bei den Römern), der dabei wohl den Takthammer

(portisculus) zu Hilfe nimmt ^, bald Schläge auf einen

laut schallenden Gegenstand^, bald die Weisen eines

Spielmanns (auf den Kriegsschiffen der Griechen des

TQiriQccvXrjg) oder einer ganzen Musikbande, wie im

indischen Archipel.

 

Ueber das Schiffswesen der christlichen Strand-

alfuren des südlichen Seram berichtet Joest*): )>Die

 

1) So bei den Japanern: Spiess a. a. O. S. 149.

 

2) Non. 151, 19. Sen. Ep. 56, 5. Mart. III, 67, 4. Rutil. I,

470. Daneben scheint aber doch auch von den Ruderern gesungen

worden zu sein, wie aus einem zuerst von Dümmler in Haupts Ztschr.

f. d. Alterth. XVII, S. 523 veröffentlichten »celeuma« hervorgeht, mit

dem Refrain: Heia naheia heleia naheia naheia heleia! Vgl. Rh.

Mus. f. PhU. N. F. XXXII, S. 523 und Bährens, Anal. Catull.

p. 70. Neues Archiv d. Gesellsch. f. d. Geschichtskunde, VI, 190.

 

3) Sittliche und natürliche Geschichte von Tunkin (Leipzig 1779)

S. 142: »Auf den Schiffen der Mandarine geschieht das Manoeuvre

nach dem Schall zweier kleinen Stöcke von einem klingenden Holz

oder einer Glocke mit dem Schwengel, wonach sich die Gleichheit

der Bewegung der Matrosen richtet.<(

 

4) Verh. der Berliner Anthrop. Ges. 1882, S. 83 und Intern.

Archiv f. Ethnogr. V, S. 4. — Bei den Wasserfesten in Cambodga

 

 

 

l82 Vierter Theil:

 

Orem-baai, grosse flachgehende Boote, nur aus zu-

sammengenähtem und geflochtenem Holze, Bambu

und Rottan bestehend, werden von i6 — 20 Mann

gerudert; in der Mitte des Bootes ist aus E^mbu

und Palmblättem eine Hütte für den Reisenden er-

richtet. Eine Fahrt in solchem Fahrzeuge würde zu

den angenehmsten der Welt gehören, wenn das

musikalische Gefühl bei diesen Leuten nicht in sol-

chem Masse ausgebildet wäre, dass sie einfach nicht

im Stande sind, ohne Musik zu rudern. Darum

thronen oben auf der erwähnten Hütte, wenige Zoll

über dem Kopf des Reisenden, drei oder mindestens

zwei Künstler, die mit nervenerschütternder Enei"gie

eine Trommel und ein Gong bearbeiten, mit denen

sie die Gesänge der Ruderer begleiten. Tag und

Nacht dröhnt ihr Daktylus; man glaubt anfangs taub

oder mindestens rasend zu werden, zumal wenn die

glühenden Sonnenstrahlen, mit doppelter Gewalt vom

Meere zurückgeworfen, sich auf dem Dach der mu-

sikalischen Hütte concentrieren; nach wenigen Stun-

den gewöhnt man sich indess auch hieran und schläft

dann ganz gut, trotz des unharmonischen Getöses.«

Auch an der Maclayküste in Neu-Guinea rudert man

mit Gesang und Trommelschlag^).

 

Viel verbreiteter ist aber jedenfalls der Ruder-

 

les pirogues luttent de vitesse au son du tamtam: Les Colonies fran-

9aises, III, p. 126. — Von dem kleinen Strandvölkchen der Liven am

Rigaischen Meerbusen, das sich hauptsächlich vom Fischfang ernährt,

berichtet ein finnischer Beobachter (Sitzungsberichte der gelehrten est-

nischen Gesellschaft zu Dorpat 1889, S. 98): »In ruhigen Sommer-

nächten, wo ein längeres Verbleiben auf der See angezeigt erscheint,

begleitet ein Musicus die Berufsarbeiter zur See, und beim Klange der

Musik wird die Arbeit zum Spiel.«

I) Fjnsch, Samoafahrten , S. 131.

 

 

 

Die verscWedenen Arten der Arbeitsgesänge. 183

 

gesang ohne Musikbegleitung. Es mag dahingestellt

bleiben, ob er bei den alten Griechen üblich war^);

sicher nachgewiesen ist derselbe bei nordamerika-

nischen Indianern^, bei den FlussschifFem in Kasch-

mir^), im ganzen ostindischen Archipel, bei den An-

namiten*), und auf zahlreichen Inseln und Insel-

gruppen der Südsee. So auf den Palau-Inseln^), der

Neu-Britannia-Gruppe^), in Tongatabu, Samoa''), Viti®),

Neu-Seeland.

 

Ueber letzteres erzählt der Missionar Nicholas^):

>Die Neuseeländer haben die Gewohnheit, in der

Arbeit des Ruderns sich nach einem gewissen Takte

gegenseitig aufzumuntern und zu erheitern, je nach-

dem die Tiefe des Wassers bald diese, bald jene

Art des Ruderns nöthig macht, indem sie alle zu-

gleich sich die Worte Tohihah hiohah, itokih itokih!

zurufen, mit welchen Worten theils das langsame,

theils das schnelle Rudern anbefohlen wird. Dies

geschieht mit der methodischsten Genauigkeit, und

ihr Takthalten im Rudern ist wirklich bewunderns-

würdig.«

 

1) Vgl. Becker, Charikles I, S. 212 und die Erklärer zu Aristoph.

Fröschen 207 ff. und Xenophon, Hell. V, i, 8.

 

2) Baker, Ueber die Musik der nordamerikan.Wilden, Nr. XXXIX

der Notenbeilagen, S. 75. Siehe den Anhang. Vgl. auch The Poetical

Works of Thomas Moore, p. 181 (A Canadian boat-song).

 

3) V. HÜGEL, Kaschmir und das Reich der Siek, I, S. 295. H, 410.

 

4) Ehlers, Im Sattel durch Indo-China 11, S. 104.

 

5) Semper, a. a. O., S. 93.

 

6) Parkinson, Im Bismarck- Archipel, S. 150.

 

7) Vgl. den Anhang und die Notenbeilagen bei Hagen, Ueber

die Musik einiger Naturvölker. Hamburg 1892.

 

8) M. Büchner, Reise durch den Stillen Ocean, S. 281.

 

9) Reise nach und in Neuseeland, S. 166. Vgl. M. Buchner

a. a. O. S. 150.

 

 

 

184 Vierter Theil:

 

Genaueres berichtet E. Shortland^). Nach ihm

bilden die Bootgesänge eine besondere Gruppe der

Arbeitsgesänge der Neuseeländer, die den Namen

Toitoi-waka oder Tukiwaka führt. >Auf den langen

Küegs-Kanoes stehen zwei Sänger (Kaituki) auf

Gerüsten, die in gleicher Höhe mit den Seitenborden

des Bootes angebracht sind, das eine beim Bug, das

andere beim Hiütertheil. Zu ihrem Gesang schwingen

sie im Takt eine ihrer heimischen Waffen, die sie

in der Hand halten, gerade wie der Leiter eines

Orchesters den Bogen seiner Violine schwingt. Bald

singen sie abwechselnde Verse, einander antwortend^

bald beide zusammen dasselbe. Dabei wird der

Takt ausserordentlich gut beobachtet. Ich habe

fünfzig oder sechzig Ruder genau in demselben

Augenblick ins Wasser tauchen sehen, ohne dass das

Auge einen Unterschied unter ihnen bemerken konnte.

Häufig bringen die Sänger aus dem Stegreif Scherze

in diese Gesänge oder berühren andere Angelegen^

heiten, um Heiterkeit hervorzubringen und die Mann-

schaft zu ermuntern und zu ermuthigen.« Short-

land theilt den folgenden Text eines Tukiwaka mit:

 

Nr. 107.

 

Tena toia! Nun ziehet!

 

Tena pehia! Nun drücket!

 

Tena tukia! Nun haltet Takt!

 

Tena tiaia! Nun taucht ein!

 

Tena kia mau! Nun haltet an!

 

Tena kia u! Nun seit fest!

 

Hoe, hoe atu! Stosst, stosst hinweg!

 

Runga, runga atu! Aufwärts, aufwärts hinweg!

 

Waipa atu! Nach Waipa hinweg!

 

 

 

I) a. a. O., S. 167 ff.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge.

 

 

 

185

 

 

 

Tena toia!

 

£ hara te puhi o tana

 

waka.

Te oreore.

Te oreore.

Toia!

Toia!

Tiaia!

He tuki!

He pehi!

Werohia !

Kia ngoto.

He kukumel

Ae, ae!

He pehi!

Tena tiaia!

Ane pehia!

 

Koroheke ki te whana.

Tishaua !

Ki te whana.

Tangohia !

He piko!

Tango mai!

He rae!

Waiho atu!

Toia!

Toia!

 

 

 

Nun ziehet!

 

Die Federn seines Bootes sind nicht werth

 

angesehen zu werden.

Der rasche (Ruder-)Schlag !

Der rasche Schlag!

Ziehet !

Ziehet !

Taucht ein !

Stimmt an einen Sang!

Einen Schub!

 

Stecht hinein (in das Wasser)!

Mag es tief sein.

Ein langer Zug!

Ja, ja!

Ein Schub!

Nun taucht es ein!

Schiebt es hin, so schwer es ist!

Da stösst ein alter Mann heraus.

Blickt munter!

Da stösst er heraus.

Weiter !

 

Eine Krümmung (des Flusses)!

Ueberwindet sie!

Eine Landspitze!

Lasst sie hinter euch!

Stösst ab!

Stösst ab!

 

 

 

Ausser diesen Tukiwaka giebt es noch eine

zweite Art von Bootgesängen (Haka), die von allen

Ruderern im Chor gesungen werden. Von diesen

giebt folgendes Beispiel eine Anschauung:

 

 

 

Haere nga wahie

 

Ki Maketu te kai ai.

 

£ timu ana,

 

Ki te kai mata ma puku.

 

Toia!

 

 

 

Nr. 108.

 

Geh, Brennholz! [bekommen.

 

Wir werden in Maketu Fleisch zu essen

Es ist Ebbezeit, [verhelfen»

 

Uns zu einem Bauchvoll Magerileisch zu

Stösst ab!

 

 

 

l86 Vierter Theil;

 

Nicht minder ausgebildet treten die Ruder-

gesänge bei den Negervölkern in Afrika auf. G.

RoHLFs^) fand sie bei den Akkra-Negem an der Gold-

küste und den Kakanda am mittleren Niger, »denen

es ganz unmöglich ist, ihr Kanoe weiter zu stossen,

ohne jeden Stoss mit Gesang zu begleiten.«. M. Büch-

ner^ schildert eine Kanoefahrt der Dualla in Ka-

merun mit begeisterten Worten. »Vollständig be-

mannt taucht das leichte Fahrzeug so tief ein, dass

ausser den zierlich verjüngten Enden, welche höher

emporragen, nur ein ganz schmaler Bord noch trocken

bleibt, und man sieht von dem Körper desselben

eigentlich weiter nichts als die taktmässig arbeitende

Doppelreihe der Insassen (50 — 60), wie sie ihre spitzen

Ruder ins Wasser stechen oder in kräftigem Bogen

wieder emporheben. In der Mitte steht aufrecht der

Kommandant mit irgend einem alterthümlichen bi-

zarren Federschmuck auf dem Haupte, wie es früher

Sitte gewesen, und vor ihm sitzt der eifrig häm-

mernde Trommler. Die Ruderer begleiten den Takt

ihrer Arbeit mit einem kriegerischen Gesang; lustig

flattern die Fahnen im Winde, und die ganze selt-

same Erscheinung schneidet durch die Wellen, wie

ein märchenhaftes Ungetüm.« Livingstone^ und

Stanley*) erzählen Aehnliches vom mittleren Kongo,

dem Tanganyika-See und der Küste von Zanzibar.

 

 

 

i) Land und Volk in Afrika, S. 45.

 

2) Kamerun, S. 36.

 

3) Letzte Reise, S. 6.

 

4) Durch den dunkeln Welttheü II, S. 68. 282 f. Wie ich

LiviNGSTONE fand II, S. 190 f. Vgl. Kollmann, Der Nordwesten

unserer ostafrikanischen Kolonien, S. 14. 88. Hqlub a. a. O., II,

S. 152.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. 187

 

Als Stanley's Leute auf seiner Reise zur Aufsuchung*

Livingstone's bei der Abfahrt von Udschidschi hörten,

dass es sich um Antritt des Rückwegs handelte,

waren sie troh erregt. »Sie stimmten den Freuden-

gesang der Zanzibarer Bootsleute an, welcher mit

dem begeisterten Chorgesang endigt:

 

Kinan de re re Kitunga.

 

So ruderten sie denn wie Tolle daher, bis sie

vor reiner Erschöpfung genöthigt waren, auszuruhen,

während der Schweiss stromweise an ihnen herab-

floss. Sowie sie ausgeruht hatten, machten sie sich

wieder an ihre Ruder und stimmten den Gesang der

Mrima an:

 

O Mama, re de mi Ky,

 

der sie bald wieder zu grossen Anstrengungen an-

spornte. Durch diese energischen ruckweisen An-

strengungen, sowie durch Gesang und Gelächter,

Gestöhne und Geschrei gaben unsere schwitzenden

und keuchenden Leute ihrem freudigen Gefühl über

den Gedanken Ausdruck, dass wir heimkehrten und

dass auf der Route, die ich nach Unyanyembe er-

wählt, durchaus keine Gefahr zu fürchten sei:

 

Wir sind den Wahha entgangen, ha, ha!

Die Wavinza werden uns nicht mehr plagen, oh! oh!

Mionvu bekommt kein Tuch mehr von uns, hy, hy!

Und Kiala wird nimmer uns wiedersehen, he, he!

 

schrieen sie mit wildem Gelächter und führten dabei

wuchtige Streiche mit den Rudern, welche die alten

ungelenken Boote vom Vordersteven bis zum Spiegel

erbeben Hessen.« Die letzten Zeilen waren impro-

visiert und spielten auf Vorgänge an, die sie auf

der Hinreise mit erlebt hatten.

 

 

 

l88 Vierter Theil:

 

Improvisierter Kanoegesänge gedenken auch die

Kenner Madagaskars^) bei ihren Schilderungen des

dortigen Flussverkehrs. »Einer der Ruderer trägt

ein Recitativ vor, das sich nicht selten auf eben

erst Erlebtes bezieht und sehr oft auch zierliche

Schmeicheleien für den Europäer enthält, in dessen

Dienst sie gerade stehen. Seine Freigebigkeit, sein

Reichthum und Aehnliches wird gerühmt, und an

diese Lobeserhebungen die Frage geknüpft, ob es

nicht an dem nächsten Anhaltepunkte Rindfleisch,

Reis und andere Speisen geben werde. In regel-

mässigen Zwischenräumen fallen die andern im Chore

ein, oft nur mit einem Refrain von wenigen Worten^

wie z. B. mit dem beliebten:

 

He! mioi va?

 

O, giebt es etwas? In einem dieser Gesänge schil-

dert der Chor die Stadt Tamatave als einen Ort^

wo man viel Geld verthun könne, während das Re-

citativ alle Dörfer auf dem Wege von Tamatave

nach der Hauptstadt der Reihe nach durchgeht und

mit einer Schilderung des nördlichen Eingangs des

Palastes von Antananarivo schliesst.«

 

Gleiches beobachtete Jacobsen^ auf der Seefahrt

imBanda-Meer. »Die Ruderer suchten sich auf der

mehrstündigen Fahrt durch Gesang anzufeuern und

bei uns die Gebelaune zu erwecken. Irgend einer

hob z. B. an: ^Der Herr hat viel Arrak und wird

ims davon geben', worauf der Chor die Zeile wieder-

holte. Da aber der Herr keinen Arrak gab, hiess

 

 

 

1) J. SiiREE, Madagaskar (Leipzig i88i), S. 197 f. Keller, Die

ostafrikanischen Inseln (Berlin 1898), S. 105.

 

2) Reise in die Inselwelt des Banda-Meeres, S. 96 f. 180.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. jgg

 

es weiter: *Der Herr hat viel Tabak, er wird uns

davon geben', und so ging es fort und fort mit dem

Herzählen aller Herrlichkeiten — ein Gebrauch, der

im ganzen Archipel bis zu den Arrow-Inseln wahr-

genommen werden kann.«

 

Die Japaner haben auch für die Ruderlieder

einen eignen Namen (Fune-nori-uta). Ich bin in den

Stand gesetzt, zwei Proben mitzutheilen.

 

Nr. log.

 

Sumida gawa>ni wa Auf dem Sumidafluss

 

Ki-no ha-wo nagas'; Lass' ich Baumblätter schwimmen;

 

Watasha nushi yue Deinetwegen

 

Na-wo nagas'. Lass' ich meinen (guten) Namen schwimmen.

 

Oichöng! gichöng! Gichong! gichong!

 

Nr. HO.

 

Itagomashima-no Unter der Schiffsmatte

 

Makomo naka-ni Bei Itagomashima

 

Ayame saku-to wa; Blüht eine Schwertlilie;

 

Nikurashiyal Ist das nicht scheusslich?

 

Nirgends aber sind diese Gesänge so entwickelt

wie inAegypten bei den Nilschiffern, die nicht nur

für jede Arbeit, sondern fast für jedes Ereigniss in

ihrem Berufsleben eine besondere Weise haben : eine

beim Rudern, eine beim Segelwechsel, eine andere,

wenn das Boot auf den Sand gerathen ist, oder wenn

sie es ziehen müssen, und diese Lieder wechseln

noch, je nachdem es sich um Berg- und Thalfahrt,

Arbeit am Morgen, Mittag, Abend oder in der Nacht

handelt*). Sie werden von dem Rais, der auch selbst

 

 

 

2) VoUständigste Sammlung bei Jos. H. Cru&i, Sea Nile, the

Desert and Nigritia: Travels in Company with Capt. Peel 1851 — 1852.

 

 

 

igo

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

mitrudert, vorgesungen, von der Mannschaft aufge-

nommen und enden meist mit oft wiederholten Aus-

rufen. Da es richtiger schien, alle diese dem gleichen

Berufe angehörigen Gesänge in ihrer Zusammen-

gehörigkeit vorzulegen, so sind sie in den Anhang

verwiesen worden.

 

Zum Beweise, dass auch das moderne Europa

solcher Gesänge nicht ganz entbehrt, füge ich zum

Schluss noch folgende beiden Stücke bei.

 

Nr. III. (Barkarole der illyrischen Küstenschiffer. ^)

 

1 . Pisombo, Pisombo ! *)

 

Der Himmel ist hell, das Wetter ist blau,

Es wehen die Lüftchen so sanft und lau,

Der Mond erhebet sich wolkenleer.

Nicht zauset der Sturm die Segel mehr.

Pisombo, Pisombo!

 

2. Pisombo, Pisombo!

 

Nehmt eure Ruder nur flink zur Hand,

Und rudert rüstig und rudert gewandt!

Habt ihr's zum weisslichen Schaum gebracht.

Sind wir in Ragusa noch heute Nacht.

Pisombo, Pisombo!

 

3. Pisombo, Pisombo!

 

Zur Rechten vom Strande nur hingelenkt,

Dass uns kein böser Pirat bedrängt!

Sie haben Flinten im langen Boot

Und scharfe Säbel und machen Noth.

Pisombo, Pisombo!

 

London 1853, S. 307 ff. Vgl. auch Kiesewetter, Die Musik der

Araber, Taf. XX, Nr. 21 und Ratzel, Völkerkunde 11, 427.

 

1) Aus Gerhard, Wila H, S. 138 f.

 

2) »Ein Wort ohne Bedeutung. Die illyrischen Matrosen singen

es beständig, wenn sie rudern, um die Bewegung der Ruder darnach

zu richten.«

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. j g i

 

4. Pisombo, Pisombo!

 

Sind bei der Kapelle des Stephan schon;

Sankt Stephan ist unser SchifFspatron.

Sankt Stephan, send' uns günstigen Wind,

Weil wir vom Rudern ermüdet sind!

Pisombo, Pisombo!

 

5. Pisombo, Pisombo!

 

Das schöne Schiff, wie fliegt es dahin!

Ich gab* es — so wahr ich ein Seemann bin

Nicht für die Caracke *), die Wellen staucht,

Und sieben Tage zum Wenden braucht.

Pisombo, Pisombo!

 

Nr. 112. (Gesang der Kohleuschiffer auf dem Tyne. *)

As I came thro' Sandgate ^), thro* Sandgate, thro' Sandgate,.

As I came thro* Sandgate I heard a lassie sing:

Weel (well) may the keel row, the keel row, the keel row,

Weel may the keel row, that my lad is in.

He wears a blue bonnet, a blue bonnet, a blue bonnet,

He wears a blue bonnet, and a dimple in his chin;

And weel may the keel row, the keel row, the keel row.

And weel may the keel row, that my lad is in. *)

 

e) Schlussbemerkungen (191)

Die grosse Mehrzahl der Gesänge dieser Gruppe

trägt unverkennbar ein sehr alterthümliches Gepräge ;

ja wir sind mit den ursprünglichsten derselben bis zu

 

1) Ein grosses Lastschiff.

 

2) G. Schwabe, Ztschr. f. Völkerpsychologie und Sprachwissen-

schaft, n (1862) S. 565 f.

 

3) So heisst eine Strasse in Newcastle.

 

4) >Die Keels werden wie unsere Spreekähne mittels langer Stangen

fortbewegt, gegen die sich die Keelmen mit der Brust anstemmen,,

während sie den Kahn mit den Füssen vorwärts treten. Bewegt sich

der obige Vers nicht so bedächtig dahin wie ein schwer beladener

Keel? Er bedarf gar keiner Melodie, er hat sie schon in sich.«

 

192 Vierter Theil:

 

•den einfachsten Naturlauten zurückgelangt, von denen

nach allgemeiner Annahme die menschliche Sprache

ausgegangen ist. Das hau hau der Lhoosai, das yo

ho! und ho ho! der indischen Kuli, das hu hu! ahu!

der Chinesen, das vä, sä, aye, onaaa! der Japaner,

das haha e! hihi e! der Neuseeländer, das haha,

hihi, hehe\ der schwarzen Bootsleute auf dem Tan-

ganyika, das hihi beii, hoho beii\ der Boomätscher

an der Elbe, das ai da, da\ der Burlaken an der

Wolga sind Laute, wie sie immer ynd überall die

:gepresste Brust bei rascher, schwerer Kraftaufbietung

ausstösst, sinnlos, unwillkürlich, und doch mit dem

Gefühle der Erleichterung. Sie sind zugleich das

Zeichen des Zusammenwirkens, das mit einem Ruck

•die zerstreuten Kräfte vieler schwacher Einzelnen

zur Riesengewalt zusammenrafft, und sie kehren des-

halb, wenn auch in verschiedenartigster Figuration,

als Kehrreime in den meisten Gesängen dieser Gruppe

wieder: in dem djahoe der Javanen, dem mahaha

hoho, mahaha ngo\ der indischen und dem Oi ga'wa\

•der japanischen Sänftenträger,^ in dem fröhlichen hi

hopp \ der Rammer, dem huro joley ! der Helgoländer,

dem pisofnbo\ der Dalmatier, dem eilenden gichong,

gichong\ der Ruderer in Japan, wie in dem schwer-

falligen, aus der Tiefe der Seele aufstöhnenden ei

uchnem\ der russischen Schiffszieher. Viele dieser

Laute werden sich durch Jahrhunderte hindurch fort-

gepflanzt haben wie das £?a, Bio, des Aristophanes

sich noch in dem ^a kdöa und ia fioka der heutigen

griechischen Schiffer wiederfindet.^) Manche Gesänge

dieser Gruppe sind wenig über diese Naturlaute

 

 

 

I) Vgl. BöCKEL a. a. O. S. LXII.

 

 

 

Die verschiedenen Arten der Arbeitsgesänge. ig^

 

hinausgewachsen, wie z. B. die SchifFerlieder aus

Helgoland; in andern sind sie mit sinnvollen Worten

verbunden oder durch solche ersetzt, wie bei dem

hoch auf! einen drauf! der Rammergesänge; wieder

in andern sind sie nur noch als Rudimente zu er-

kennen.

 

Sie gleichen darin den Gesängen der vorigen

Gruppe, während die zur Einzelarbeit gesungenen

Lieder nur ganz vereinzelt ähnliche Elemente auf-

weisen. Aber von den Refrains der Gesänge zur

Wechseltakt-Arbeit unterscheiden sich diese Aus-

rufe doch auch wieder; jene schliessen sich an das

Arbeitsgeräusch an und ahmen dessen Tonfall nach,

während diese ein geordnetes Zusammenwirken Aller

ermöglichen wollen und daneben incitativen Charak-

ter zu haben scheinen. Denn die meisten dieser

Arbeiten ergeben für sich keinen Tonrhythmus, und

darum genügt z. B. den Ruderern aus Seram der

Gesang allein nicht, um Takt zu halten; es müssen

Trommel und Gong hinzukommen. Aber im Ganzen

würde man doch wohl irren, wenn man annähme,

dass in diesen Fällen die Rhythmisierung der Arbeit

lediglich durch rhythmisch gegliederte Worte und

Musik bewirkt werde; vielmehr unterstützen die-

selben bloss den durch die technischen Voraus-

setzungen der Arbeitsaufgabe gegebenen Bewegungs-

rhythmus und haben sich in der Abfolge der Töne

den gleichen Bedingungen zu fügen wie dieser.

 

Im Ganzen überwiegen die Gesänge mit einem

längeren sinnvollen Worttext. Der grösste Theil

dieses Textes scheint — wenigstens in den vor-

liegenden Beispielen — ein feststehender zu sein;

höchstens dass einzelne Stellen (Namen u. dgl.) nach

 

BÜCHER) Arbeit und Rhythmus. I3

 

 

 

194

 

 

 

Vierter Theil:

 

 

 

Ort und Gelegenheit geändert werden. Im Inhalt

zeigen sie eine Anzahl gemeinsamer Züge:

 

1. sie fordern, dem Verlauf der Arbeit folgend,

zu gleichzeitiger vereinter Kraftaufbietung auf;

 

2. sie suchen die Genossen durch Spott und

Tadel, durch Hinweis auf die gute Meinung der Zu-

schauer anzuspornen;

 

3. sie geben die Gedanken der Zusammenwir-

kenden über die Arbeit und ihren Fortgang, das

Werkzeug und das Werk wieder, äussern Freude

oder Unbehagen, Klagen über grosse Mühsal und

schlechten Lohn«

 

Dazwischen finden sich mancherlei andere, lyrische

und selbst epische Elemente; im Ganzen sind diese

aber doch weit spärlicher vertreten als bei den Ge-

sängen der beiden andern Gruppen. Die Sänger

werden immer wieder auf die Arbeit selbst zurück-

geführt, deren wechselnder Verlauf ihre ganze Auf-

merksamkeit verlangt und deren gedeihliches Fort-

schreiten die Zusammenfassung aller Kräfte erfordert,

während bei der Einzelarbeit und der Arbeit im

Wechseltakt die Gedanken abschweifen mögen, wenn

einmal der passende Rhythmus der Körperbewegung

erzielt ist und die Thätigkeit automatisch ihren Fort-

gang nimmt.

 

V. Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten grösserer Menschenmassen (195)

Ueberall, wo eine sehr grosse Zahl von Men-

schen zu gleichem Thun sich zusammenfindet, macht

sich das Bedürfniss eines geordneten, gleichmässigen

Vorgehens unabweisbar geltend, auch wenn jeder

Einzelne für sich im Stande wäre, das Ziel, das er

sich gesteckt hat, zu erreichen. Der Gesang erweist

sich hierbei als ordnende Macht, wie als ein Mittel

der Ermunterung und Erfrischung. In fast instink-

tiver Empfindung bricht er desshalb hervor, und willig

fügt sich die Masse seiner Herrschaft. Jeder strebt

sich nach seinem Takte zu bewegen, und der un-

geordnete Haufe wird damit von selbst zu einem

einheitlich handelnden Körper.

 

Besonders anschaulich zeigt sich dies da, wo die

Hauptarbeitsleistung in der Fortbewegung des eignen

Körpers von Ort zu Ort besteht. Ich will bei den

Marschliedern nicht verweilen. Es giebt ihrer

eine ungeheuere Zahl von den ehrwürdigen Emba-

terien der Griechen bis zu den modernsten Soldaten-

liedern. Ihre Art und Wirkung sind allgemein be-

kannt. Nur das mag hervorgehoben werden, dass

sich schon bei den Naturvölkern Taktschritt mit

 

13*

 

igö

 

 

 

Fünfter Theil:

 

Gesang ganz allgemein findet, und dass die Marsch-

lieder vielfach sehr primitive Form aufweisen. Der

Zustand der Wege bedingt dabei die Fortbewegung

im Gänsemarsch.

 

Massengesang giebt der Arbeit etwas Feierliches.

Der Auszug zum Kriege oder zur Jagd gleicht bei

vielen Naturvölkern einem Festzuge; ihr Taktschritt

geht oft fast unvermittelt in den Tanz über. Statt

vieler vorliegender Zeugnisse nur eine kurze Schil-

derung^): »Gesang begleitet bei den Bassutos die

meisten militärischen Bewegungen; er gilt na-

mentlich als unerlässlich für den Marsch. Gewöhn-

licher Schritt, Geschwindschritt, Lauf, Sturmlauf,

alle haben ihre eigenthümlichen Sangweisen. Wenn

die Truppen beim Vorrücken gegen den Feind durch

die Weiler ihres Stammes marschieren, machen sie vor

der Thüre der durch ihre Tapferkeit ausgezeichneten

Personen Halt und führen einen Waffentanz aus. Es

ist di«s eine Aufforderung an die Kriegstüchtigkeit

des also Geehrten, eine Einladung, sich ihnen anzu-

schliessen. Selten geht der Tanz zu Ende, ohne dass

man den Herrn der Wohnung in die Mitte des to-

benden Klreises sich stürzen sähe, vollständig bewaff-

net und seine Lanze schwingend, als ob er bereits

auf dem Schlachtfelde wäre. Ein wildes Hurrah er-

tönt von allen Seiten; dann ein tiefes Stillschweigen:

die Linien schliessen sich wieder, und der Zug geht

weiter, indem er eine ernste und schwermüthige

Melodie anstimmt.«

 

Bei der Jagd bildet der Auszug in das Jagd-

gebiet und die Rückkehr mit der Beute einen Haupt-

 

i) Casalis, Les Bassoutos p. 351 f.

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten, igy

 

theil der ganzen Arbeit. Beides erfolgt ebenfalls unter

Gesang oder Trommelschlag, manchmal noch mit

Betheiligung der Frauen^). Auch die letzteren haben

ihre Marschgesänge für sich, z. B. beim Tragen

von Holz, Wasserholen u. dgl. Bei den Bantustämmen

scheinen sogar die jungen Mädchen in diesen Gesängen

besonders unterrichtet zu werden^), und »es gehört

zu den charakteristischen Scenen des Zululebens, wie

die Weiber in langen Reihen und mit einförmigem

Gesang jeden Morgen und Abend nach dem um-

zäunten Platze ziehen, wo die Soldaten ihre Mahle

halten, jede einen grossen Topf Bier auf dem Kopfe*)«.

 

Hier ist auch der Karawanengesang der afri-

kanischen Trägerschaaren zu erwähnen. R. Böhm*)

bezeichnet eine solche Karawane als eine »endlose

im Gänsemarsch wandernde Reihe von Schwarzen, die

unter rhythmischem Gesang und mannigfachem Ge-

schrei ihre schweren mattenverpackten Lasten

durch die Wildniss schleppen«. Nach Pogge^) besteht

dieser Gesang darin, »dass einer der Träger sehr rasch

und unverständlich einige Worte ausstösst, worauf

die ganze Trägerkolonne im Chor einstimmt.« Der

Eindruck, den er hervorruft, ist oft von den Reisen-

den geschildert worden^).

 

Auch bei uns haben sich merkwürdige Reste

 

1) BüRTON und Speke, Exped. (von Andree), S. 335. 359-

 

2) HOLUB, a. a. O. I, S. 483.

 

3) Ratzel, Völkerkunde II, S. 123; vgl. auch S. 64.

 

4) Von Sansibar zum Tanganyika, S. 19.

 

5) Im Reiche des Muata Jamwo, S. 14. 64. 77. 127.

 

6) Stanley, Durch den dunkeln Welttbeil II, S. 103. A. v. T.

in der »Tägl. Rundschau« vom 26. Jan. 1897, S. 94. Kallenberg

a. a. O. S. 56. 197. BuRTON und Speke a. a. O., S. 178. 218.

 

 

 

Iq8 Fünfter Theil:

 

alter Wanderlieder erhalten. Das merkwürdigste ist

wohl das Auswanderungslied der Niederländer,

das vermuthlich auf die Zeiten zurückgeht, als sie

die slavischen Gebiete im Osten besiedelten, aber

noch heute in Holland bei Dienstbotenumzügen ge-

sungen wird:

 

Naer Oostland willen wy ryden,

Naer Oostland willen wy mee,

AI over die groene Heiden,

Daer isser een betere stee. ^"i

 

Hierher gehören weiter die zahlreichen Wander-

lieder der Handwerksburschen und der fahrenden

Leute überhaupt^, namentlich aber die alten Wall-

fahrts- und Prozessionslieder^). Unter beiden

Gruppen sind wahre Perlen volksthümlicher Dich-

tung und ergreifend einfacher Sangesweise.

 

Zeigen diese Beispiele, wie der Gesang Menschen-

massen, die sich zufallig und vorübergehend in einem

gemeinsamen Wegeziele zusammengefunden haben,

bei Erreichung desselben fördert, so muss dies noch

in viel höherem Masse der Fall sein, wo eine sociale

Pflicht sie bei einer wirklichen Arbeit vereint auf-

treten lässt. Eine solche Pflicht entspringt bei einer

sehr grossen Zahl von Völkern aus dem Verhältniss

der Dorfnachbarschaft. Bei Feldarbeiten, beim Haus-

bau und gewissen häuslichen Verrichtungen, die keinen

Aufschub erleiden, werden freiwillige Hilfskräfte zur

 

 

 

i) BÖHME, Altdeutsches Liederbuch Nr. i86.

 

2) BÖHME a. a. O. Nr. 252 — 266. Erk und Böhme, Liederhort,

Nr. 1592 — 1614.

 

3) BÖHME, Altdeutsches Liederbuch Nr. 568 — 570. 573 — 580.

Erk und Böhme, Nr. 2019. 2075 fF. 2082. 2087. 2091. Hauffen,

Die Sprachinsel Gottschee, S. 197 f.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. igg

 

Unterstützung von den Nachbarn erbeten; an die

Arbeit schliesst sich in der Regel eine festliche Be-

wirthung im Hause des »Arbeitgebers« an^). Beruht

diese Bittarbeit bei den gewöhnlichen Dorfgenossen

auf Gegenseitigkeit, so wird sie dem Häuptlinge

gegenüber leicht zum Dienste oder zur Frohnde,

wie sie ähnlich von ihm auch für öffentliche Lei-

stungen in Anspruch genommen wird. Ohnehin ist

es einleuchtend, dass von den reicheren Dorfgenossen

bei jenen freiwilligen Arbeitsgemeinschaften mehr

empfangen als geleistet wird, und dass bei ein-

getretener Ungleichheit des Grundeigenthums daraus

leicht auch diesen gegenüber eine Frohnpflicht ent-

springen kann.

 

Wie dem sei, sicherer und wichtiger für unsere

Untersuchung ist, dass in vielen Ländern, wo wir

der Einrichtung der Bitt- und Frohnarbeit begegnen,

dem Gesänge eine Rolle zuertheilt ist, die unser

höchstes Erstaunen hervorruft. Wir sehen da selbst

solche Arbeiten, namentlich bei der Feldbestellung

und Ernte, aber auch beim Haus- und Festungsbau,

unter dem Einflüsse des Gesanges oder sonstiger mu-

sikalischer Begleitung sich taktmässig gestalten, bei

denen wir es technisch kaum für möglich halten.

Es wird zweckmässig sein, zunächst die Zeugnisse

dafür zusammenzustellen. Da es sich um eine erste

Sammlung handelt, so wird es genügen, den Stoff

nach ethnographischen Gesichtspunkten zu ordnen,

dabei aber auch den noch wenig bekannten Sitten

der Bittarbeit einige Beachtung zu schenken.

 

 

 

i) Mehr darüber in meiner Entstehung der Volkswirthschaft,

S. 258 ff.

 

 

 

200 Fünfter Theil:

 

I. Afrikanische Völker.

 

»Die Bassutos versammeln sich jedes Jahr, um

die Felder, welche für den persönlichen Unterhalt

ihres Häuptlings und seiner Hauptfrau bestimmt sind,

umzugraben und zu säen. Es ist ein merkwürdiger

Anblick, wenn bei dieser Gelegenheit Hunderte von

Schwarzen in schnurgerader Linie ihre Hacken mit

vollkommener Regelmässigkeit zugleich heben und

senken. Die Luft erschallt von Gesängen, welche

die Arbeiter unterstützen und sie befähigen sollen,

Takt zu halten. Der Häuptling macht sich's ge-

wöhnlich zur Pflicht, dabei gegenwärtig zu sein, und

sorgt dafür, dass einige fette Ochsen für die Arbeiter

geschlachtet und zubereitet werden. Alle Klassen

wenden das gleiche Verfahren an, um ihre Arbeiten

zu erleichtern und zu beschleunigen; nur beruht das-

selbe bei den gewöhnlichen Leuten auf Gegenseitig-

keit^).«

 

Die den Bassutos verwandten Sotho-Neger

haben die gleiche Einrichtung-). »Häuptlinge oder

reiche Leute bestellen ein Aufgebot von Ackerleuten,

welche in Reih und Glied hacken und säen. Zum

Tanze wird im Chore gesungen; ebenso bei den

im Takte ausgeführten Arbeiten« (vgl. S. 47). Der

Berichterstatter theilt zwei dieser Gesänge mit, von

denen der erste beim Umhacken des Ackers, der

zweite beim Bau eines Vorhofs für den Häuptling

gesungen wird.

 

 

 

1) Casalis a. a. O. p. 171; dazu die Illustration. Letztere auch

bei G. Gerland, Atlas der Ethnographie (Leipzig 1876), Taf. 22 Nr. 25,

 

2) Mittheilungen des Missionars K. Endemamn in d. Ztsch. f.

Ethnologie VI (1874), S. 27. 30. 61. 63.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 201

 

Nr. 113. (Beim Hacken.)

 

Ma inama, inaraa! Bücke dich, bücke dich!

 

O^! ö a inamalo;i;a; O, er (sie) richtet sich auf;

 

Mmaa;i;oe ke mol6i oa thuri. Seine (ihre) Mutter ist eine Hexe»

 

Nr. 114. (Baugesang.)

 

A ee ea ee ea ^e ^e, ea. ee ee, ea ee, a ee,

 

Ea ee ee, ea ee ^e,

 

Ea ee ee, ea ee ?e;

 

Ma. laku a k;|^oro, €, re a;|rela k;|fOsi

 

Re a;i;ela k;|;osi u. s. w.

 

Uebersetzung:

 

Stangen des Hofs, ja, wir bau*n für den Häuptling;

Wir bau'n für den Häuptling u. s. w. .

 

Auch die Zubereitung der Häute wird bei den

Bantustämmen durch freiwillige Arbeitsgemeinschaf-

ten besorgt. Ueber das dabei geübte Verfahren

liegen mehrere ausführliche Beschreibungen vor^).

Ich setze die lustige Schilderung des französischen

Missionars Casalis hierher: »Ein ungewöhnlicher Lärm

ruft uns in das Dorf zurück ; es ist ein vielstimmiges

Grunzen und Glucksen, vermischt mit schrillen

Schreien, deren Misstöne einem vollkommenen Rhyth«

mus untergeordnet sind. Man meint einen Chor von

Bären, Wildschweinen und Affen zu hören. Dieser

ganze Heidenlärm hat zum Mittelpunkt eine Ochsen«

haut, welche weich genug gemacht werden soll, um sich

dem Körper eines Zweifüsslers anzuschmiegen. Ein

Dutzend Männer in hockender Stellung fassen sie

bald hier, bald da an, reiben sie zwischen ihren

 

 

 

I) Endemann a. a. O., S. 26. — Holub, Sieben Jahre in Süd-

afrika n, S. 378. — Casalis, S. 140 ff. Vgl. auch oben 8.47»

Anm. 2.

 

 

 

202 Fünfter Theil:

 

Händen, quetschen, kneten sie mit solcher Schnellig-

keit, theilen ihr so seltsame Bewegungen mit, dass

sie sich unter der Misshandlung, die ihr widerfahrt,

zu beleben scheint. Jede Kraftäusserung, jede Dreh-

ung ist begleitet von einem jener seltsamen Töne,

von denen wir uns keine Rechenschaft geben können ;

jß mehr das* Werk vorschreitet, um so mehr nehmen

sie an Kraft und Schnelligkeit zu : bald steigern sie

sich zu wahrer Raserei. Der Lärm, die hinreissende

Gewalt des Rhythmus scheinen den Arbeitern den

Verstand zu benehmen; die Einen drücken ihrem

Rücken die anmuthigen Bewegungen der Gazelle

auf, andere stürzen sich mit der Wuth des Löwen

auf ihre Beute, noch andere ergötzen sich mit den

Enden der Haut wie die Katze mit einer Maus.

Plötzlich hört der Lärm auf; der Mantel ist so weich

wie ein Handschuh; man trägt ihn mit einem Tri-

umphgeschrei davon, und die Lärmmacher stärken

sich an einigen Krügen Bier, der einzigen Belohnung,

welche sie erwarten.«

 

Man denkt sich nichts Sonderliches dabei, wenn

man bei Pausanias liest, dass Messene unter böo-

tischem und argivischem Flötenspiele erbaut und be-

festigt worden sei, oder wenn Plutarch erzählt, dass

Lysander die Mauern von Athen unter Musikbeglei-

tung habe niederreissen lassen. In vorgeschritteneren

Theilen Afrikas herrscht nun aber heute noch die

gleiche Sitte, speziell im westlichen Sudan. Ein

Reisender^) erzählt: »Die Städte und Niederlassungen,

welche wir auf unserem Wege passierten, waren zum

Schutze gegen äussere Feinde mit Wall und Graben

 

 

 

i) StaüDINGER, Im Herzen der Haussaländer, S. 238.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 203

 

umgeben. Die Mauern befanden sich meist in gutem

Zustande. Wo dies nicht der Fall war, arbeiteten Freie

und Sklaven unter dem belebenden Schalle der

Trommel und Aufsicht mehrerer Grossen an der

Ausbesserung der Schäden.« Ein anderer^) berichtet:

»Vor dem Hause des Kaiga-ma war grosse Musik,

um die Leute anzufeuern, die an der Stadtmauer

arbeiteten, welche der Sultan beträchtlich erhöhen

liess. Die Musik bestand aus zwei Arten Harfen

mit fünf Saiten, die mit den Händen gegriffen wurden,

aus zwei langen hölzernen Trompeten, die abwechselnd

geblasen wurden, aus einer kleinen, mit Leder über-

zogenen Kürbisschale, in welcher kleine Steinchen

waren, endlich aus einer grossen Trommel. Man

kann sich denken, welche Musik aus diesen Instru-

menten in ihrem Zusammenwirken hervorging. Ein

Greis sass daneben und begleitete diesen Höllenlärm

mit einem Liede.«

 

Die Franzosen haben sich beim Bau der Eisen-

bahn, welche den Senegal mit dem Niger verbinden

soll, diese Sitte nutzbar gemacht, indem sie den

schwarzen Eingeborenen, die sie bei den Erdarbeiten

beschäftigen, eine Bande ihrer heimischen Spielleute

beigeben, die durch ihre Musik und ihren Gesang

die grabenden und schaufelnden Landsleute zu unter-

halten haben. Die letzteren sollen, wenn man dem

Berichterstatter einer Pariser illustrierten Zeitung^)

glauben darf, mit derselben feurigen Phantasie, mit

der sie früher die Räubereien und Blutthaten ihres

 

 

 

i) G. ROHLFS in Petermann's Mitth.., Erg.-Heft 34, S. 15.

 

2) L*niustration Nr. 2929 (15. April 1899), S. 236 f., mit Ab-

bildung, auf der zwei Männer mit Saiteninstrumenten und einer mit

der Flöte zu sehen sind.

 

 

 

204

 

 

 

Fünfter TheU:

 

 

 

Häuptlings Samory besangen, jetzt die Lokomotive,

den Schienenweg und die wunderbare Schnelligkeit

des modernen Verkehrs preisen.

 

2. Chinesen und andere Ostasiaten.

 

Den zuletzt erwähnten Gebrauch hatten auch

die Chinesen und übten ihn bei ihren Staatsfrohnden

in grosser Ausdehnung. A. Conrady theilt mir da-

rüber folgendes mit: »Die Chinesen, die sich über-

haupt des Werthes rhythmischer Begleitung der Arbeit

wohl bewusst waren, gebrauchten schon in sehr

alter Zeit die Trommel oder Pauke (und zwar eine

besondere Art von 12 Fuss Länge, die Kaö-kü), um

die staatlichen Frohnarbeiten zu regulieren, zu

denen u. A. die grossen Jagden, der Deich-, Stadt-

mauer- und Palastbau gehörten. Der älteste Beleg

dafür ist wohl eine Vorschrift des Ritualbuches

 

Cen-li (vom Ende des 12. Jahrh. v. Chr.)^); sie lautet:

 

i kaö-kü kü yik-ssi* »mit der Kaö-ku feuert man

die Frohnarbeiten an.« Sie wird zwar nur auf die

Jagdfrohnden bezogen^), aber wohl irrthümlich; denn

mehrere andere Zeugnisse beweisen, dass man sie

bei allen Frohnarbeiten angewendet hat. So sagt

dasSung-shu (5. Jahr. n. Chr.)^) geradezu: »Bei allen

strategischen Unternehmungen und Frohnarbeiten

schlägt man sie (die kaö-kü); heutzutage nennt man

das hiä-kao«, und ein Beispiel ihres Gebrauches

bei den Baufrohnden giebt folgende Strophe aus

 

 

 

1) Ceu-li K. III fol. 32*.

 

2) In einem mir nicht zugänglichen Commentar, dem £. Biox,

Le Tcheou-li I, 265 folgt.

 

3) Nach dem Pei-wen-yün-fu s. v. kaö, hiä-kaö.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 205

 

einem ebenfalls noch vom Ende des 12. vorchristlichen

Jahrhunderts stammenden Liede des Shi-king^), die

zugleich ein anschauliches Bild des Treibens bei einem

Palastbau giebt:

 

kiü ci ztng-zlng, )>Lehm schleppten ganze Scharen her,

 

tok ci kuäng-kuäng, und warfen ein und lärmten sehr,

 

cuk ci teng-teng, und stampften fest, wie Der so Der,

 

siok ci p'6ng-p*6ng, und putzten glatt die Kreuz und Quer,

 

pek tu kiäi hing, Manch* Hundert Wand* erstand umher,

 

kaö-kü fut sing. Die Grosspauk* überklang's nicht mehr. *)

 

Bei diesen Frohnarbeiten scheint man auch ge-

sungen zu haben. Eigentliche Taktlieder sind mir

allerdings nicht bekannt; aber man darf wohl die

beiden folgenden Lieder hierherziehen , die das

Tso-öuen überliefert hat^). Sie sind von Arbeitern

 

 

 

1) III, I, in, 6 (v. Strauss, Shi-king S. 396).

 

2) Wörtlich: >Sie brachten die Erde in Körben alle; sie warfen

sie in die Rahmen unter Rufen; sie stampften sie teng-teng; die

Mauer klang p*£ng-p'dng (wenn man daran klopfte, um sie auf ihre

Festigkeit zu prüfen); fünftausend Ellen (Mauer) stiegen gleichzeitig

empor, (sodass) die kaö-kü nicht übertönen konnte^: (das Geräusch der

emsig und freudig Arbeitenden). — Die Commentare citieren dazu

 

jene Stelle aus dem Ceu-li, und einer bemerkt (mit charakteristischer

Umkehrung des Sachverhalts): ^Die Leute des Alterthums wollten

nicht, dass das Volk bei den Frohnarbeiten zu hastig und eifrig sei;

deshalb gebrauchten sie die grosse Trommel (kaö-kü), um grössere

Langsamkeit zu erzielen«, und ein Anderer: »Durch die Frohnarbeiten

strengte man das Volk an; deshalb wollte man seine Arbeit ver-

langsamen, indem man sie (taktmässig) regulierte.« Immerhin kommen

aber beide darauf hinaus, dass die Trommel dazu da war, den Takt

 

der Arbeit anzugeben, wie sie das nach der Vorschrift des Ceu-li

{K. III fol. 31a), auch bei der Musik zu thun hatte.

 

3) J. Legge, Chin. Class. V, i, 289; V, 2, 475 u. IV, 1, Proleg.

20, 21.

 

 

 

2o6 Fünfter Theil:

 

an Staatsbauten gesungen worden und offenbar Im-

provisationen.

 

Das erste stammt vom J. 745 v. Chr. und ver-

spottet den Feldherm Hoa Yuen, der aus einer ver-

lorenen Schlacht wohlbehalten zurückgekehrt war und

dann die Oberaufsicht über ihre Arbeit hatte. Es lautet :

 

Nr. 115.

 

C*ing-c^ ngeu yuet: Die Bauleute sangen;

 

Hän k'l muk, Mit glotzenden Augen

 

pö k'i fuk, und dickem Bauch,

 

k'i kiap li' fuk. aber ohne sein Büffelkoller kam er zurück.

 

iü säi, iü säi, Seinen Bart hat er noch, seinen Bart hat er noch,

 

k'i kiap fuk läi! aber sein Koller wegwarf er doch!

 

Hoa Yuen antwortete:

 

Ni^n tsek yhu p*i, Die Ochsen haben Felle,

 

sT-ssi* sang to, Rhinocerosse giebt's noch viel,

 

k'i kiap tsek nö? was schadet*s denn, dass ich mein Koller wegwarf ?

 

Yik-zin yuet: Einer der Frohnarbeiter sagte:

 

Ts'üng k'i yeü p'i, Mögen sie auch noch Felle haben,

tan ts'it "ok-hö? aber wo ist die rote Bemalung?

 

Das zweite Lied, vom J. 633 v. Chr., ist eine

Beschwerde der Arbeiter, dass sie gegen das Herkom-

men in der Zeit ihrer Feldarbeiten bei einem Thurmbau

frohnen müssen; der Mann, von dem sie Hülfe er-

warten, ist ein Beamter, der dem Fürsten von dieser

Anordnung abgerathen hatte.

 

Nr. 116.

 

Tsik-men ci sik Der Weisse am Tsih-Thor

 

sit hing Dgö yik; Legt' auf uns diese Frohn!

 

yip-cüng ci k'im Der Schwarze am Markte,

 

sit wei ngö sim. Der brächt' uns davon.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 207

 

Auch bei Feldarbeiten, die in Gemeinschaft aus-

geführt werden, ist der Arbeitsgesang aus Ostasien

mehrfach bezeugt. Im westlichen China sah ein

neuerer Reisender^) »auf den Paddyfeldern häufig

zwanzig und mehr Männer und Knaben in einer

Reihe vorrücken, fast knietief in Schlamm und Wasser,,

indem sie mit ihren Zehen das Unkraut von den

Wurzeln der jungen Schösslinge entfernten und die

letzteren in den Grund festtraten. Ein rauschender

Chorgesang begleitete unablässig diese Arbeit.« Die

Tibetaner haben eine besondere Art von Volks-

gesang, die sieThongskad oder Pfluggesang nennen.

»Er wird besonders bei Feldarbeiten ausgeführt.

Doch kommt er auch beim Tragen von Lasten zur

Verwendung, und hat auch, je nach der Arbeit, ver-

schiedene Benennungen. So z. B. heisst er auch

Slaso, Erleichterung. Da die Ausführenden fast

immer ganz ungebildete Leute sind, kann man von

ihren Improvisationen nicht viel erwarten, und in

der That zeigen die Verse, wenn der Melodie ent-

kleidet, nicht die geringste Spur von Kunstleistung.

.... Der Thongskad wie der Slaso werden nur selten

von einem Einzelnen zur Ausführung gebracht ; fast

immer betheiligen sich zwei Leute oder zwei Gruppen

von Leuten am Gesang, und ein Wechselgesang tritt

in die Erscheinung. Aus dem folgenden Beispiel,

welches. eine der gewöhnlichsten Thongskad-Melodien

enthält, ist klar ersichtlich, dass darin die ersten

Versuche zu einer künstlerischen Formierung der

 

 

 

i) Alexander Hosie, Three years in western China (London

1 890), S. 1 65 f. ; vgl. Bridgman im Journal of the North China branch

of the Royal Asiatic Society, III (1859), p. 285.

 

 

 

:2o8

 

 

 

Fünfter Theil:

 

 

 

Musik hervortreten. Es ist die erste grobe Anwen-

dung vom Kontrapunkte. Man kennt ja hier, wie

^s auch im älteren Europa der Fall war, keine andere

Begleitung volksthümlicher Weisen, als dcis Aushalten

¦des tiefen Grundtones oder Accords. Man denke

nur an den Dudelsack und die Begleitsaiten indischer

Instrumente. Um nun diesen Grund- oder Begleitton

zu schaffen, hielt immer einer der Sänger den End-

ton seiner Zeile aus, während sein Kamerad neu

einsetzte.«^)

 

Nr. 117.

Erster Sänger.

 

 

 

^^

 

 

 

f=^

 

 

 

 

-?5?-

 

 

 

Gek*, mein Ochs, und spu - te

 

 

 

dich;

 

 

 

1

 

 

 

y:

 

 

 

^

 

 

 

jtzt

 

 

 

• —

 

 

 

Zweiter Sänger.

 

 

 

i

 

 

 

igt

 

 

 

es

 

 

 

 

¦yy

 

 

 

:s

 

 

 

bist ja so lang in den Ber-

 

 

 

hast von den schön sten Bln-men

 

 

 

gezehrt !

 

 

 

Vi.

 

 

 

B

 

 

 

u

 

 

 

Si

 

 

 

^m

 

 

 

22:

 

 

 

-Tg-

 

 

 

]

 

 

 

gen

 

 

 

gewesen, bist du denn nicht stark geworden ?

 

 

 

Geh*, mein Ochs, und spute dich!

 

Bist ja so lang in den Bergen gewesen,

 

Hast Tag für Tag von den schönsten Blumen gezehrt;

 

Bist du denn nicht stark geworden?

 

Komm, vorwärts nun!

 

Du bist ja doch wie des Tigers Kind;

 

Dem Löwen gleichst du an Kraft;

 

Zieh' doch den leichten Pflug!

 

 

 

I) H. Franke im »Globus« Bd. LXXV, S. 238 ff. Vgl. unten

Nr, 142.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 20Q

 

Diese Strophe enthält nach der Aussage des

Herausgebers die Grundgedanken, welche in den

meisten »Pfluggesängen« wiederkehren und in die

sich die Improvisationen einfügen.

 

In Kaschmir wird das Setzen der Safran-Zwiebel

»imter langgezogenen melancholischen, aber nicht un-

schönen Gesängen« vollzogen^), und auch bei den

indischen Bergstämmen an der Grenze Barma's

werden die meisten Arbeiten in der bei ihnen üb-

lichen Waldfeldwirthschaft (joom) mit Gesang be-

gleitet^. Endlich beobachtete Jacobsen*) auf der

Banda-Insel Kissar die Art, wie die Eingeborenen

den schwarzen Boden für die Bestellung vorbereiteten.

»Wir sahen sie in langen Reihen neben einander

stehen und hörten weithin ihren Gesang. Sobald

das Stichwort fiel, wendeten sie mit einem höchst

dürftigen Pfahl, der unserm Brecheisen ähnelt, die

Erde um, gewiss eine mühselige Art von Pflügen.

Ein Aufseher schien diese Frohnarbeit zu leiten.

Die Leute waren nur mit einem Schamgurt und

einem schlechten Hute bekleidet. Ersteres Kleidungs-

stück hatte aber auch, wie uns gesagt wurde, den

Zweck, durch feste Schnürung das Hungergefühl zu

dämpfen — eine sinnige Massregel, die Arbeitszeit

nicht durch Frühstückspausen zu verkürzen. Allent-

halben hallte das monotone Singen über die Felder.«

 

 

 

i) Ehlers, An indischen Fürstenhöfen (Berlin 1894), I, S. 128.

 

2) Lewin, Wild races of South -eastem India, p. 31 ff. 123 ff.

188. Freiwillige Arbeitsgemeinschaft bei der Ernte: S. 145 f. 204 f.

Frohnden für den Dorfvorsteher: S. 252.

 

3) Reise in die Inselwelt des Banda - Meeres , S. 117 f. — Auf

Bomeo geschieht der Hausbau durch Bittarbeit mit Gongbegleitung:

Journal of the Anthropological Institute of Gr. Br. XXIII, S. 161.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 14

 

 

 

^lO Fünfter Theil:

 

3. Georgien

 

Viel tiefer als die dürftigen Notizen der Reisenden

führen uns in diese Dinge ein die Mittheilungen eines

meiner Hörer, Herrn stud. cam. Ph. Gogitschayschwili,

der in seiner Heimat sie selbst erlebt und seine

Beobachtungen noch durch Anfragen bei seinen Lands^

leuten ergänzt hat. Sie beziehen sich auf Georgien,

wo noch heute die Bittarbeit sehr häufig vorkommt.

»Letztere besteht darin, dass sich auf Einladung die

näheren und entfernteren Nachbarn vereinigen und

die nöthigen Arbeiten für den, der sie eingeladen

hat, unentgeltlich verrichten. Besonders sind es solche

Arbeiten, welche keinen Aufschub dulden, z. B. die

Weinlese, das Säen des Mais, das Reinigen des-

selben von Unkraut durch Hacken, das Einernten

des Mais und das Schälen der Kolben, das Säen

und Schneiden des Walzens, das Fällen des Holzes

und die Abfuhr desselben aus dem Walde. Der

Wirth, für den die Arbeit verrichtet wird, giebt den

Helfern zweimal des Tages ein warmes Essen, das

von den Frauen auf das Feld gebracht wird: Vor-

mittags gegen 11 und Nachmittags zwischen 3 imd

4 Uhr. Mit dem Untergange der Sonne wird die Arbeit

eingestellt, und man zieht unter Gesang nach dem

Hause des Wirthes, wo noch ein gemeinsames Abend-

essen eingenommen wird. Dass der Gastgeber schon

aus Furcht vor übler Nachrede bestrebt ist, dabei

sein Bestes zu leisten, braucht kaum hervorgehoben

zu werden. Wein wird zwar zu jeder Mahlzeit ge-

trunken; aber Völlerei kommt bei diesen Gelegen-

heiten nur höchst selten vor. Nach dem Abend-

essen gehen die Helfer mit ihren Hacken, oder was

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenbalten. 2 1 1

 

sie sonst an Arbeitsgerät haben, in ihre Häuser

heim.«

 

»Die Arbeiten auf dem Felde werden in der

Regel unter Gesang ausgeführt; ja es giebt einige

Verrichtungen, mit denen der Gesang immer ver-

bunden ist. Dazu gehört vor allem das Hacken

des Mais. In ganz Westgeorgien (Imerethi) wird

vorzugsweise Mais gebaut. Er wird zweimal in ver-

schiedenen Zeiträumen vom Unkraut gereinigt. Die

Bittarbeit nennt man georgisch Nadi xmd den

Gesang, der bei derselben (besonders aber bei der

Hackarbeit auf den Maisfeldern) gesungen wird,

Naduri. Naduri wird sehr laut und kräftig ge-

sungen, sodass man ihn sehr weit hören kann. Der

französische Reisende Gamba, der in den zwanziger

Jahren dieses Jahrhunderts Georgien bereist hat,

fragt erstaunt, wie die Lungen dieser Leute einen

solchen Gesang und dazu eine so schwere Arbeit

so lange Zeit aushalten könnten. ^) Der ganze Gesang

besteht aus sinnlosen Ausrufen wie »io opa, opapa

opa, io opa, io io, opa io«; ein eigentlicher Lieder-

text ist dabei gewöhnlich nicht vorhanden. Man

fangt in der Regel mit einem langsamen Tempo an,

sodass der Gesang^rhythmus mit der Bewegung der

Hacken bei gewöhnlicher Kraftanstrengung über-

einstimmt. Aber je weiter man kommt, um so

 

 

 

I) Voyage dans la Russie m^dionale (Pam 1826) I, p. 287;

A r^oqne de la moisson et de la vendange, leurs filles et Icnn

femmes xivalisent avec les hommes d'ardeur ponr le travail, et ce

travail est toujours anim^ par nn cliant et des cris qui les ezcitent

les uns les autres. J'ai 6te t6moin de leur Emulation et j'ai eu de

la peine ä concevoir comment lenr corps, et surtout leur poitrine,

ne se ressentoient pas d'une double fatigue si longtemps prolong^e.

 

14*

 

 

 

212 Fünfter Theil:

 

schneller wird der Gesang und zugleich um so

lebendiger und rascher die Arbeit. Die letztere

ist ziemlich anstrengend; aber die Arbeiter merken

während des Gesangs keine Müdigkeit. Ich habe

bestimmt beobachtet, dass am Ende des Gesangs

viel rascher gearbeitet wird, als am Anfang. Freilich

ist es unmöglich, eine solche Anstrengung lange

Zeit auszuhalten, und wenn der Gesang die höchste

Schnelligkeit erreicht hat, hört er auf. Es folgt

eine bald kürzere, bald längere Pause, während

welcher mit gewöhnlicher Schnelligkeit gearbeitet

wird, oder vielleicht etwas langsamer als gewöhnlich,

bis der Gesang von neuem anhebt.«

 

Von den drei nachfolgenden beim Maishacken

üblichen Naduri versucht der erste den ganzen Verlauf

des Gesangs und damit der Arbeit zu veranschau-

lichen. Die gesamte Arbeitsgesellschaft hat man

sich für den Gesang in zwei Gruppen oder Chöre

getheilt zu denken. Zuerst singt die erste Gruppe

dreistimmig eine Zeile (A), jede Stimme mit ver-

schiedener Artikulation. Dann wiederholt die andere

Gruppe diese Zeile in der gleichen Weise. Hierauf

singt etwas rascher der erste Theil der Sänger die

zweite Zeile (B) mit neuer Artikulation für jede

Stimme; nachher der zweite Theil dasselbe, und so

die fünf Zeilen (A — E) hindurch, die ebenso viele

Schnelligkeitsgrade der Arbeit bezeichnen. Nun wird

im allgemeinen Chor gesimgen, entweder die Arti-

kulation E oder die kleine Liedstrophe, worauf noch

drei Doppelzeilen (F — H) mit blosser Artikulation

von je einem Halbchor vorgetragen werden.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 213

 

 

 

A^ n.

 

ni.

 

 

 

Nr. 118. (Imerethi, speciell in Guria.)

 

Erster Halbchor:

 

I. Stimme: Hoaa, oaa, ioa, haa, hooa!

O, io, io, io, io, io, io!

 

 

 

»

 

 

 

»

 

 

 

Jo, o o o o o, io o o o o o!

 

 

 

B

 

 

 

Wiederholt vom zweiten Halbchor.

 

I. Stimme: Oü, oa, ha, ha, ha, hoa!

n. „ Jo, io, io, io, io, io, io, io!

im. „ Joo, ioo, 100, ioo, ioo, ioö!

 

 

 

D

 

 

 

I. Stimme: £i, oaa, hoaa, hoa!

 

n. „ Jo, io, io, io, io!

 

m. „ Jooo, iooo, iooo!

 

I. Stimme: He, he, he, heaa, 000!

 

n. „ Jo, io, io, io, io, io!

 

III. „ Jo, 00. 000000!

 

Alle zusammen:

 

I. Stimme: Odilei, oida, odilei oida!

 

E^k II. „ Jo, io, io, uo, io, uo!

 

m. „ Jo, .io, io, io, io, io !

 

 

 

Statt der Artikulation singt auch wohl die

IL Stimme im Falsett folgende Strophe, während die

andern beiden Stimmen ihr Jodeln fortsetzen:

 

 

 

Aba, Nado, mogwechmare!

Da mouswith thochi tschkhara!

Napirebi gawitanoth,

Thorem msei gadiara.

 

 

 

Wohlauf, Nadi, hilf uns!

Rührt die Hacken schnell!

Machen wir die Furchen fertig,

Sonne sinkt sonst schnell hinab.

 

 

 

I. Stimme: Ei, oa, aai, 000, ioo, eio, ioopa!

 

II. „ Obaw delaw, obaw delaw, obaw delaw!

 

IIl. „ O, 000000000...

 

Schneller :

 

I. Stimme: Jo, io, io, io, io, io, io, io, io, io!

 

G^ II. „ Jo, io, io, io, io, io, io, io, io, io!

 

III. ,, Oooooooooo!

 

 

 

214

 

 

 

Fünfter Theil:

 

 

 

Sehr schnell:

 

I. Stimme: Jo, io, opa, io, io, io, io, io, io» io, io !

II. ff Opa, opa, io, opa, nela^), nela, nelal

III. „ Oooooooooooooo!

 

 

 

it

 

 

 

1. Stiipxne.

 

2. Stimme.

 

 

 

Nr. iig. (Kharthli und Kachethi.)

 

Langsam.

 

(2. Stimme beginnt.)

 

 

 

y*' f, r fit. ^' t- r

 

 

 

3. Stimme.

 

 

 

Wthoch-nofh da wthoch-noth- ssi • min - di,

Ha-cken, ha • cken wir den Mais,

 

 

 

^^

 

 

 

(i. Stimme.)

 

 

 

 

jjj|^j'jjj-j|

 

 

 

mer-me ka - nis mkaz mo- wa - o.

Später kommt des Ma-hens Stunde.

 

 

 

he

 

 

 

ri - la - Io -

 

 

 

m

 

 

 

¦^-

 

 

 

he,

 

 

 

he

 

 

 

wthoch-noth - ssi -min-di,

 

 

 

|JilL_- L

 

 

 

*

 

 

 

 

^

 

 

 

Wthoch-noth da wthoch-noth ssi-min-dida

Ha - cken, ha - cken wir den Mais,

 

 

 

a

 

 

 

f^^-f -4^ i^Li=J

 

 

 

 

wa - la - la • li

 

 

 

wthoch-noth ssi - min - di

 

 

 

I) langsam!

 

 

 

Die Anwendung des ArbeiUgesanges zum Zusammenhalten. 2 1 5

 

 

 

 

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i?-£/lf p~y^

 

 

 

 

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mer-me ka - nis mkazmo-wa- o. mer-me ka - nis

Spä - ter kommt des Mä • hens Stnn-de.

 

 

 

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Bur-sche

 

 

 

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(2. Stimme.)

 

 

 

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(lebhaft.)

 

 

 

ra - la - li ' tha - ru - le - da ha - ri la - lo

 

 

 

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2 1 6 Fünfter TheU :

 

Nr. I20. (Kachethi. *)

 

1. Ssimindsa thochna dawuzkoth,

Erthchmatli dawdsachoth muschuri,

Egeb maschin dagwawizkdes,

Rom glechni warth ubeduri.

BitschebOy waris warale waralali araleo!

 

2. Marto tschwenthwis ar wmuscliaobth,

S'chwissiz gwmarthebs ssamsachuri,

Batoni gwkaws, warth ssazkali,

Upatrono, ubeduri! etc.

 

3. Kwela thawschi gwitschatschunebs,

Garesche da schinauri;

 

Zchelsa mizas uchwad albobs

Ophli tschwengan monazuri etc.

 

4. Tschwenis dschaphith monakwani

S'chwasthan midis ssasrdo puri.

Schin zolschwils schimschili gwiklaws,

Magram win miugdos kuri? etc.

 

5. Mathsa Ssasrdos s'chwa itazebs,

Stiris zoli medsudsuri,

Schimschilisgan rdse uschreba,

Dtziwis schwili ussussuri! etc.

 

Uebersetzung.

 

1. Rein'gen wir den Mais von Unkraut,

Singen all das Lied der Arbeit!

Dann vielleicht wir auch vergessen,

Dass wir sind armsel'ge Bauern.

 

Burschen! waris warale wai*alali araleo;

 

2. Nicht für uns nur sind wir thätig,

Andern sind wir Dienste Schuldig!

 

 

 

I) Das Lied findet sich auch in einer georgischen Liedersamm«

lung, die unter dem Titel Ssalamuri (Flöte) mit Noten von S. J. TsCHCHlK-

Wadse, Tiflis 1896, erschienen ist (Nr. 26).

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenbalten. 2 1 7

 

Herren baben wir, wir Armen,

 

Wir sind elend und unglücklieb. etc.

 

 

 

3. Jedermann scblägt auf den Kopf uns,

Der Einbeim'scbe wie der Fremde;

Unser Scbweiss erweicbt die Erde,

Heiss uns von der Stime tropfend, etc.

 

4. Unsrer Hände Werk, der Waizen,

Unsre Nabrung gebt zu Andern.

Weib und Kind zu Hause bungem;

Aber wer soll für sie sorgen? etc.

 

5. Ibre Nabrung nimmt ein Andrer;

Tbränen weint die junge Mutter;

Ibre Brust versiegt vom Hunger,

 

Und es scbreit der scbwacbe Säugling, etc.

 

Dieser ergreifende Gesang stammt ohne Zweifel

noch aus der Zeit der Leibeigenschaft. Auf die

heutige Bittarbeit passt er nicht, scheint aber noch

immer dabei gesungen zu werden — ein Beweis, dass

in den Augen des Volkes sich äusserlich die Frohn-

arbeit von der nachbarlichen Hilfeleistung wenig

unterscheidet. Aus derselben Zeit scheinen zwei

kleinere Naduri erhalten zu sein, die keiner be-

stimmten Arbeitsart zugeschrieben werden und die

ich hier anschliesse. Beide kommen aus Ostgeorgien. ^)

Der erste ist ein gewöhnlicher Stossseufzer ; sein

Schwerpunkt liegt im Refrain. Der zweite schildert,

wie der Arme glaubt, dass der Reiche über ihn

denke. Mais essen in Ostgeorgien nur die armen

Leute, »Maisesser« ist geradezu ein Schimpfwort.

 

 

 

I) Ssalamuri Nr. 28 und 16.

 

 

 

2i8 Fünfter TheU:

 

Nr. 131.

 

Muscha unda muschaobdesso.

Der Arbeiter muss viel arbeiten.

Ari arale, ari araleo!

 

Nr. 122.

 

Ssazkalsa kazsa win miszems Wer wird Wein den Armen geben

 

Aghebis ghames ghwinossa? An dem Vorabend der Fasten?

 

Tschadi tscbamos da zkali swas, Mais mnss (er) essen, Wasser

 

[trinken,

Dazwes da daidsinossa? Niederlegen sieb nnd schlafen.

 

Von den Gesängen beim Maishacken unterscheiden

sich diejenigen bei der Waizenernte und beim

Grasmähen nur dadurch, dass eine successive Be-

schleunigung des Gesangs- und Arbeitstempos hier

nicht wahrzunehmen ist. Beide Arbeiten werden mit

der Sichel ausgeführt. Die Sense zum Grrasmähen

hat erst vor noch nicht langer Zeit in Georgien

Eingang gefunden und ist noch jetzt keineswegs all-

gemein verbreitet. »Bei der Waizenernte steht auf

jeder Furche ein Arbeiter, in der Mitte der Reihe

der Vorarbeiter. Dieser ist zugleich der beste

Schnitter. Er hebt den Gesang an imd giebt durch

ihn das Kommando. Der Gesang lässt sich als

Rhjrthmus gebend für die Arbeit ansehen. Der Vor-

arbeiter (Erste) beginnt ihn mit einem lauten: »Hoop!«;

die Andern wiederholen: >Hoop!«. Dann singt der

Vorarbeiter einen Vers des Liedes (z.B. von Nr. 124:

»Du, Bursche, Asamburier!«). Das wiederholen die

Andern. Der Vorarbeiter singt dann wieder »Hoop!«

und die Andern desgleichen. Hierauf folgt die Fort-

setzung des Liedes (»Es klang so weit die Stimme

dein«) und wieder »Hoopl hoop!« Das »Hoop« wird

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2 IQ

 

bis zu viermal wiederholt^) »Bei jedem >Hoop« oder

einer ihm entsprechenden Zeile des Liedes führt der

Schnitter eine Bewegung mit der Sichel aus und

behalt dabei den geschnittenen Waizen so lange in

der linken Hand, bis diese ihn nicht mehr halten

kann. Dann wird er auf die Erde gelegt und später

von den hinterher kommenden Arbeitern in Garben

gebimden.« Sind die Sicheln stimipf geworden, so

macht man eine Pause. Es werden die Wetzsteine

hervorgeholt, und das Schleifen geschieht wieder

taktmässig unter Begleitung eines besonderen Ge-

sanges, der imter Nr. 125 abgedruckt ist.

 

Nr. 123. (Ostgeorgien.)

 

1 . Bidscho, puri schemossula, i . Waizenemte ist's, ihr Burschen ;

Ghelaws, bsinaws okhrospherad. Golden wogt und blitzt der

 

Acker.

Aralale waralali, aralale eri Aralale waralali, aralale eri

 

ereloo ! ereloo !

 

2. Uphlis thwali schig trialebs, 2. Gottes Segen liegt darinnen,

Modith nacheth, thn ar gdsche- Kommt und seht , wenn ihr's

 

rath! etc. nicht glaubet! etc.

 

3. Schig nu tschawtzwawthi zodwa 3. Stehn ihn lassen wäre Sünde!

 

ans,

Nu gawchdebith tschwen ghwthis Das macht' uns zu Gottes-

 

mterad. etc. Feinden, etc.

 

4. Namglebs piri gawulessoth! 4. Lasset uns die Sichel schärfen!

Gadawikhzeth mthlath ssim- Dann gehn auf wir im Gesänge.

 

gherath. etc.

 

 

 

I) Richtiger wäre vielleicht zu sagen, dass die Worte des

Liedes nicht gesungen, sondern gesprochen werden, ein ganzer Vers

ziemlich so scbneU wie ein >Hoop4: alleiu.

 

 

 

220

 

 

 

Fünfter Theil:

 

 

 

5. Moimko da gailetza,

 

Dailoza scheni chwawi! etc.

 

 

 

5. Schon gemäht ist nnd ge-

droschen,

Deine Fülle sei gesegnet, etc.

 

 

 

6.- Marzwali hgaws schindis kurkas, 6. Kömer gross wie Mispel-

steine,

 

Ssathesle da dassaphkhwawi. Saatgut und zum Mahlen

 

etc. Kömer! etc.

 

7. Kwelas ekwis dschars, dscha- 7. Allen wird es voll genügen,

 

maaths,

 

Eknrthcheba mkwdars ssaph- Auch dem Toten ^) wird sein

 

lawi. etc. Antheil. etc.

 

 

 

8. Dschalabobaz Gamodsgheba,

Ar mogikwdes tschemi thawi,

Aralale waralali, aralale eri

ereloo !

 

 

 

8. Satt wird die Familie werden.

Ich schwör' es bei meiner Seele.

Aralale waralali, aralali eri

ereloo !

 

 

 

Nr. 124. Karthli und Kachethi.)

 

 

 

I. Sehen, bidscho, Asamburelo,

Scheni chma tschamodioda.

 

Scheni namgHssa dschnali

Zkal gaghma gamodioda.

 

 

 

I. Du, Bursche, Asamburier *),

Es klang so weit die Stimme

 

dein.

Und deiner Sichel Klirren hat

Jenseit des Flusses man gehört.

 

 

 

2. Asambureli momkali 2. Den Schnitter aus Asamburi

Me mowkal Utharelmao. Hab' ich Utharier') ausgestochen.

»Arza sehen mohkal, arza me, »Nicht du, nicht ich besiegte ihn,

Mindorma mohkla gdselmao.4: Das lange Feld ermüd(e)te ihn<:.

 

3. Zkal gaghmaurma gogoma 3. Vom andern Ufer gab die Maid

Tschikhila dagwikhnia tschwen. Ein Zeichen mit dem Schleier.

 

 

 

1) Bezieht sich auf die Sitte, auch den Verstorbenen an gewissen

Feiertagen (besonders Weihnachten, Ostern, Mariae Himmelfahrt) einen

Antheil von den Speisen zu bringen, der am Grabe niedergelegt wird,

nachdem er vom Popen geweiht worden ist. Diese Spenden fallen dann

z. Th. dem Geistlichen, z. Th. den Armen zu.

 

2) Asamburi und Uthari, Landschaften in Ostgeorgien.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2 21

 

Is ikhith mohkla ssurwilma, Die Sehnsucht tödtete sie dort,

 

Tschwen akheth zagwrakh- Und uns drückt hier sie nieder,

 

zia tschwen.

 

 

 

1. Stinmie.

 

2. Stimnie.

 

3. Stimme.

 

 

 

Nr. 125. (Kharthli.)

 

Langsam.

 

(i. Stimme.)

 

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(2. Stimme.)

 

 

 

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(lebhaft.)

 

 

 

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222:

 

 

 

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222

 

 

 

Fünfter Theil:

 

 

 

 

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bi - tscho, thi - wa mo - i - thi - be, ho,

Bur - sehe, mä • he schnei -1er das Gras, ho

 

 

 

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Nr. ia6. (Ostgeorgieu.)

 

 

 

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Langsam.

 

 

 

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Gaw - le - ssoth dsme - bo nam - ga - li ! Gaw - le-

Schär-fet, Bru - der, denn die Si - chel! Schar • fet,

 

 

 

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V-U \ t hi-TTfirm

 

 

 

ssoth dsme - bo nam - ga - li! Pu - ri scheg-wkhni-

 

Brü - der, denn die Si - chel ! Reif schon «steht jetzt

 

 

 

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Die Anwendung des Arbeitsgfesangcs zum Zusammenhalten. 223

 

 

 

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a Slam -ka - li.

da der Wai - zen

 

 

 

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I. |: Gawlessoth » dsmebo, nam-

 

gali!:[

Puri schegwklinia ssamkali.

 

Delao!

 

 

 

I. |: Schärfet I Brüder, denn die

 

Sichel!:]

 

Reif schon steht jetzt da der

 

Waizcn.

Delao!

 

 

 

2. |:Dscherhopumdawagugunoth,:| 2. |: Wollen nun erst »Hopum«

 

singen, :|

Da mere hariarali! Dann auch lustig >Hariarali<!

 

 

 

3. |: Wera hchedaw tschwens me- 3. [: Sieh doch heute unsem Ersten, :|

 

thaurs, :|

Rogora chtis, guli uchurs. Wie er springt mit heissen

 

Wangen,

 

4. [: Ra fsiamith da fsicharbith :[ 4. |: Und wie er mit Lust und

 

Freuden :|

Schehkurebs damziphebuls purs! Auf die reiche Ernte schauet!

 

5. |: Methauro» dagwazale, : 5. [: Gieb uns, Erster, Zeit zum

 

Trinken, :j

Dscher es kan2i gamozale! Trink zuerst aus diesem Hörnet

 

6. {: Mere gnachaw, raz bidschi 6. |: Wollen sehn, was du far'n

 

char, :| Bursche :|

 

Namgali daatriale. Und wie du die Sichel schwingest.

 

Ausser bei den hier genannten Arbeiten wird auch

beim Säen gesungen. Improvisationen werden häufig

in die Gesänge eingefügt, besonders um vorbei-«

gehende Mädchen zu necken.

 

 

 

224

 

 

 

Fünfter Theil:

 

 

 

4. Südslaven.

 

 

Bei den Serben heisst die Bittarbeit Moba,

in einigen Gegenden auch Porno 6 (Hilfe), bei den

Bulgaren Tluka oder Tlaka. Sie wird in Anspruch

genommen beim Hausbau, bei der Getreideernte, beim

Pflügen, seltener beim Grasmähen, Maishacken, der

Pflaumenemte, der Weinlese, manchmal auch beim

Spinnen und Weben. Oft wählt man dafür Familien-

feiertage aus, an welchen die erbetenen freiwilligen

Hilfskräfte in der eigenen Wirthschaft nicht arbeiten

dürfen. Dagegen sind die Sonn- und allgemeinen

Festtage ausgeschlossen. Zur Moba gehen gewöhn-

lich nur jüngere Leute: Burschen, Mädchen und junge

Frauen; sie kleiden sich in ihre Festtagsgewänder.

Singend zieht man am Morgen aus und am Abend

heim; auf dem Felde wird ebenfalls gesungen; ja

die Erntelieder heissen in Serbien geradezu Moben-

lieder. Eine solche freiwillige Arbeitsgemeinschaft

zählt oft dreissig und mehr Köpfe. Freunde aus

fremden Dörfern nehmen bisweilen auch daran Theil

und bringen junge Mädchen und Frauen mit. »Die

Moba versammelt sich gewöhnlich in der Zeit, in der

man nicht fastet, und der Hausherr muss sie aufs

glänzendste bewirthen; daher können auch nur Wohl-

habende die Moba aufnehmen.« In Bulgarien und

in der Herzegowina kommt sie jedoch bisweilen auch

ungerufen und ohne den Anspruch auf Bewirthimg,

wenn Witwen oder Arbeitsunfähige nicht im Stande

sind, ihr Feld selbst abzuernten. Sonst wird nach

^ethaner Arbeit bis spät in die Nacht hinein im

Hause des Bauern, der die Moba eingeladen hat,

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2^e

 

gesungen und getanzt^). Ich lasse einige Moben-

lieder nach der Uebersetzung von W. Gerhard^ hier

folgen.

 

Nr. 127.

 

Lustig zur Arbeit, o rüstige Schnitter!

Winken dort unten euch Wasser und Mädchen.

Kühl ist das Wasser, und jung ist das Mädchen:

Trinket das Wasser, und liebet das Mädchen!

 

Nr. 128.

 

Rührt euch, muntre Schnitter; 's winkt der Quersack,

Hirsenbrot, beschimmeltes, ist drinnen;

Rühret euch! Es nahet schon der Abend

Und das 'Mahl vom kratzen Ziegenbocke.

 

Nr. 129.

 

Rührt euch, Helfer *) ; denn der Abend winket !

 

Dass das Schnittermädchen wir erringen,

 

Ob auch Mutter spricht, sie sei noch schwächlich,

 

Ihre Füsschen taugten nicht für Socken,

 

Ihre kleinen Finger nicht für Ringe,

 

Ihre zarten Wangen nicht zum Küssen.

 

Nr. 130.

 

Junges Mädchen hat geflucht der Gerste:

»O du Gerste, schöne Gottesgabe!

Möchte dich wohl schneiden, doch nicht essen:

Swaten-Rosse *) sollen dich verzehren !«

 

 

 

1) Vgl. Krauss, Sitte und Brauch der Südslaven, S. 151 f. Vuk

Karadschitsch in s. serb. - deutschen Wörterbuch s. v. moba.

GrdjI(5 BJELOKOS16, Iz naroda i o narodu, S. 1 54. J. Jwantschoff,

Primitive Formen des Gewerbebetriebs in Bulgarien (Leipzig 1896),

S. 43 f.

 

2) Wila. Serbische Volkslieder und Heldenmärchen. 2 Bde.

Leipzig 1828, I, S. 22 — 26.

 

3) Im serbischen Text steht moba. Gerhard übersetzt »Fröhner«,

was eine ganz falsche Anschauung giebt»

 

4) Swaten sind die Hochzeitsgäste, die zu Pferde die Braut im

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 15

 

 

 

226 Fünfter Theil:

 

 

 

Nr. 131.

 

Knab' und Mädchen schnitten um die Wette;

Dreiundzwanzig Garben schnitt der Knabe,

Vierundzwanzig aber schnitt das Mädchen.

Als sie bei dem Abendessen waren.

Trinkt der Knabe dreiundzwanzig Gläser,

Und das Mädchen trinket vierundzwanzig.

Aber als der Morgen angebrochen,

Kann der Bursche nicht das Haupt erheben.

Und das Mädchen sitzet schon und sticket.

 

Nr. 13 a.

 

Mädchen schlief auf Wurzeln der Berberitze ;

 

Kam eine Herde mit zwei jungen Hirten,

 

Ruhig vorbei zog einer, nicht der andre;

 

Spricht zum Mädchen.: >£rwach% o schönes Mädchen!

 

Wollen dort hinunter ins goldnis Feld gehn

 

Und den Waizen um die Wette schneiden!

 

Wenn du gewinnst, so geh' ich dir die Heide,

 

Doch Übertreff' ich dich, wirst da mein Weibchen.4C

 

Stand sie auf, hing über die Schnker die Sichel,

 

Ging mit dem Hirten das goldne Feld hinunter;

 

Schnitten den Waizen vom Morgen bis zum Abend;

 

Neun geliebte Brüder banden dem Mädchen

 

Und dem Burschen neun getreue Gefährten.

 

Schnitt das Mädchen dreihundertunddrei Garben,.

 

Und der Bursche nur zweihundertundzweie.

 

Spricht hierauf das Mädchen: »Hirt*, o höre!

 

Gieb die Herde mir, ich hab' gewonnen I^c

 

Ihr entgegnet der junge Schäfer bittend :

 

>>Wozu. brauchst du, Mädchen, soviel Schafe,

 

Da du doch kein Gras hast, sie zu weiden

 

Und kein kühles Wasser, sie zu tränken.

 

Auch nicht Schatten, wo sie ruhen könnten ?i^

 

 

 

Hause ihrer Eltern abholen. — Das Lied erinnert an das deutsche:

»Ich ess' nicht gerne Gerste, Steh auch nicht gern früh auf.« EbK"

BÖHMS, II, Nr. 920.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenbalten. 227

 

Da erwiedert das Mädcben: »Hör, o Knabe!

Feld besitz* icb wohl, die Herde zu weiden :

Sei mein feines Haar ihr grüne Wiese!

Wasser hab* icb aucb, die Herde zu tränken,

Meine scbwarzen Augen sind klare Quellen,

Schatten geben meine Augenbräuncben.«

 

 

 

Nr. 133.

 

»Gott sei Dank, dem Einzgen, dass am Sonntag

Christen mir den Waizen schneiden müssen !<:

Und drei Wolken schweben über'm Felde:

Erste Wolke Donnerer Elias,

Zweite Wolke flammende Maria,

Dritte Wolke heil'ger Pantelemon. ^)

Heü'ger Pantelemon ruft entrüstet:

»Wirf den Donner, Donnerer Efias !

Sohleudre Feuer, flammende Maria!

Und ich Pantelemon sende Stürme.«

Drauf versetzt die flammende Maria:

»Donn're nicht, o Donnerer Elias !

Keinen Sturmwind sende, Pantelemon!

Keine Flamme schleudr' auch ich Maria,

Weil die Türken nicht den Christen glauben^

Und die Frucht nicht auf den Werittag wartet.«

 

 

 

1) Serbisch für Pantaleon. Der Tag des h. Elias fallt auf den

20., der der Maria Magdalena auf den 22. und der des Pantaleon

auf den 28. Juli, also alle drei in die kritische Zeit der Ernte. Die

Heiligen treten nach Art heidnischer Wind-, Wolken- und Wetter-

götter auf. Der stürmische Pantaleon wiE im Zorn gegen den Türken,

der am Sonntag arbeiten läsBt, durch Grewitter und Sturm die- Ernte

venäehten^ aber die milde Maria beschwichtigt seinen Zorn; yi»ien.n die

Türken würden, den Christen nicht glauben, dass wiv das Getreide

vernichtet hätten, und die reife Frucht wartet nicht bis zum Werktage.«

 

2) In der Uebersetzung. von Kappeb. lautet diese Zeile: »Denn

dem Türken kann der Christ nicht trauen.«

 

 

 

IS*

 

 

 

228 Fünfter Theü:

 

Nr. 134.

 

Lass, o Gebieter, nun uns nach Hause gehn!

Unsre Höfe liegen weit, weit durch Wälder hin.

"Wer eine alte Mutter hat, sorgt die Mutter um ihn;

Wer ein kleines Knäbchen hat, weint das Kind sich ab;

Wer einen jungen Gatten hat, der wird ausgeschmält.

 

Die beiden letzten Lieder wollen auf die Ver-

hältnisse der Moba nicht recht passen. Wie es

scheint, hatte dieselbe unter den Türken den Cha-

rakter der Zwangsarbeit angenommen, für die sie

selbst den Sonntag in Anspruch nahmen, an dem

die Christen für sich nicht arbeiteten. Gerhard über-

schreibt das letzte Lied geradezu : »An den Gutsherrn«.

In ausgedehnter Weise macht heute der Dorfipriester

von der Moba Gebrauch, dessen Wirthschaft oft nur

durch die Bittarbeit im Gang erhalten wird.

 

Eine eigenthümliche Uebertragimg der bei der

Bittarbeit herrschenden Sitten auf die Lohnarbeit

findet man in Bulgarien. Aus den Balkandörfem

ziehen alljährlich zahlreiche Schnitter und Schnitte-

rinnen zur Zeit der Ernte in die rumelische Ebene,

besonders in die Gegend von Philippopel. Sie wan-

dern aber nicht einzeln, sondern meistens gehen

sämtliche Leute aus einem Dorfe oder aus mehreren

benachbarten Dörfern zusammen unter der Führung

eines Obmanns (Dragoman), der die Arbeiter an-

wirbt, mit den Gutsbesitzern an Ort und Stelle ein

Gedinge schliesst und den Verdienst unter die Theil-

nehmer vertheilt. Während der Wanderung und bei

der Arbeit wird regelmässig zur Sackpfeife gesungen.

Am Feierabend werden unter Gesang die heimischen

Tanzreigen und Spiele aufgeführt, oft bis tief in die

Nacht hinein. Ja selbst auf der staubigen Land-

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 220

 

Strasse sieht man an den Rastplätzen die wandern-

den Mädchen ihre Reigen tanzen, »um sich von den

Strapazen des Marsches zu erholen.«^)

 

Nicht minder eigenthümlich ist die Fortbildung,

welche die Bittarbeit in der Teppichweberei er-

fahren hat. Die Anfertigung kunstvoller Teppiche

(Kilim) wird am ganzen Nordabhang des Balkan vom

südöstlichen Serbien bis zum Pontus im Hauswerk

betrieben. Die Teppiche werden entweder durch

die Producenten selbst im Wanderhandel oder durch

Verleger verkauft. Letztere finden sich hauptsäch-

lich in Pirot in Serbien und im bulgarischen Cipro-

vica. »An Teppichen grossen Formats arbeiten oft

gleichzeitig vier bis sechs Frauen und Mädchen.

Giebt es deren nicht so viel im ganzen Hause, so

helfen die Nachbarn gegen eine Entschädigung von

4 — 6 Piastern pro Tag. Im Winter wird bei Licht

bis zur späten Nachtstunde emsig geschafft. Die

Arbeiterinnen sitzen auf einer langen Holzbank dicht

neben einander; jede webt den ihr durch die Haus-

frau zugewiesenen Streifen von unten nach oben.

Mädchen im zartesten Alter bewegen gleich den Er-

wachsenen ihre verschiedenfarbigen Schützen und

die Festschlagkämme mit unglaublicher Flinkheit und

Kraft.« ^ Dabei wird viel im Chor gesungen, und

zwar so, dass alle in demselben Räume anwesenden

Personen ihre Bewegungen beim Weben nach dem

Rhythmus des Gesanges richten. Leider ist mir nur

 

 

 

i) JWANTSCHOFF a. a. O., S. 69 fF. DozoN, Chansons pop,

Bulgares p. XVI.

 

2) Kanitz, Donaubulgarien und der Balkan, II, S. 295 fF. Jwant-

SCHOFF a. a. O. S. 60 ff. Damyanoff, Der Hausierhandel und das

Marktwesen in Bulgarien, S. 1 8 ff.

 

 

 

2 so

 

 

 

Fünfter TheU:

 

 

 

der Anfang eines solchen Liedes, und zwar aus der

Stadt Pirot selbst, mitgetheilt worden.^) Es lautet:

 

Put putnje bezridjance, Es reist ein Handelsmann,

 

Nigde selo ne nahodi; Kein Dorf findet er;

 

Malko projde, selo najde. Ging etwas weiter, &nd ein Dorf.

 

U seloto nikoj nema, In dem Dorfe gab es niemanden,

 

Samo ima stara baba, Nur giebt es eine alte Frau,

 

Stara baba, stara luma! Alte Frau, alte Pest!

 

 

Das Lied soll noch einige weitere Verse enthalten.

Wie es scheint, nimmt es Bezug auf Erlebnisse eines

Wanderhändlers. Die Lieder dieser Gattung werden

immer nur in der Jahreszeit der betreffenden Arbeit

gesungen, also hier im Winter, wo allein Teppiche

gemacht werden. »Verlangt man von einem Bauem-

burschen oder Mädchen, dass sie ein Erntelied singen,

so wird man immer die Antwort bekommen, es sei

eine Schande, ein solches Lied zu singen, wenn nicht

die Zeit dafür sei« — jedenfalls ein Beweis, wie fest

diese Lieder an die Arbeit gebunden sind.

 

5. Russen.

 

In Russland heisst die Bittarbeit Toloka. Sie

findet sich hier in grosser Ausdehnung von Weiss-

russland bis weit hinein nach Sibirien^. Sie wird

 

 

 

1) Briefliche Mittheilungen des Herrn Dr. M. V. Smiljanic in

Belgrad.

 

2) Schilderungen findet man bei Schein. Materialien zum Stu-

dium der Sitten und Sprache der russischen Bevölkerung des Nord*

Westens, St. Petersburg 1887 (russ.), I*, S. 201 f. und in den von der

kaiserl. Geogr. Gesellschaft herausgegebenen Ethnographischen Unter-

suchungen, Xm (1892), S. 234 fF. (Gouv. Tomsk) und S. 238 (Gouv.

Pensa). — Ueber die mit der Toloka zusammenhängenden Emte-

bräuche: Ralston, The Songs of the Russian People, p. 250.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 23 1

 

namentlich in Anbruch genommen bei der sommer-

lichen Bearbeitung des Brachfeldes, insbesondere zum

Düngerfahren, femer in der Heu- und Gretreideemte,

beim Kohlhacken, beim Fällen des Holzes und der

Abfuhr desselben aus dem Walde, beim Bau und

der Ausbesserung der Häuser, von den Frauen bei

der Flachsarbeit, beim Spinnen und selbst beim

Scheuem des Hauses. Am verbreitetsten dst die

Mistfuhr-Toloka. In manchen Gegenden, wo über*-

haupt der Acker gar nicht gedüngt wird, kann diese

Arbeit nicht eigentlich zum Ackerbau gerechnet

werden. Es handelt sich mu* darum, den Dünger-

haufen auf dem Hofe loszuwerden, und die Nachbarn

werden dabei zu Hülfe gebeten, um der schmutzigen

Arbeit bald überhoben zu sein. Die Toloka wird

gern auf einen Sonn- oder Festtag verlegt, nament-

Hch dann, wenn zwei Feiertage hintereinander liegen.

Natürlich kommt sie den Reichern am meisten zu

Gute; aber die Bauern leisten diese Arbeit gern;

viele würden sich beleidigt fühlen, wenn sie dazu

nicht eingeladen würden. Zur Zeit der Ernte sind

oft von mehreren Personen desselben Hausstandes

die eine bei diesem, die andere bei jenem auf Bitt-

arbeit. Für Viele hat schon die Lust und Fröhlich-

keit bei der Arbeit, die Aussicht auf eine reichliche

Bewirthimg und namentlich auf Schnaps Verlockendes

genug. Ueberdies werden die Eingeladenen nicht

als Arbeiter, sondern als Gäste betrachtet. Bei den

Mordwinen gilt es als unerlässliche Höflichkeitspflicht,

sich zum Essen und Trinken nöthigen zu lassen. Drei

Mahlzeiten werden gegeben; das Abendessen artet

oft in ein arges Trinkgelage aus, und der Wirth

wird nachher am meisten gelobt, bei dem die grösste

 

 

 

^32

 

 

 

Fünfter TheU:

 

 

 

Zahl der Gäste betrunken gewesen ist. Manchmal

wird auch getanzt.

 

Gesungen wird überall bei der Toloka. Die

Lieder sitid entweder kurze Strophen, welche auf

den zu erwartenden Schnaps Bezug nehmen, oder

allgemeine Volkslieder. Ich darf mich darum wohl

damit begnügen, zwei derselben hier wiederzugeben,

weil diese besonderen Arbeiten zugeschrieben werden.

Ob sie als Arbeitsgesänge im strengen Sinne gelten

dürfen, lasse ich dahingestellt.

 

Nr. 135. (Gouv. Tula.*)

Beim Kohlhacken.

 

 

 

SL KOjninisH lerny,

£[ oropoA'b roposy,

Sl sanycxy cassy,

H caasy Kanycry,

Caasy ÖUHHLsyE),

PasBecejiHHBKyjD :

Th poAHCB, MOJi KanycTa,

M 6«jia H BHJia

 

M CO TWLOWb poBHa!

 

Ax'b peÖJiTa, BH peöflia,

y^ajEHe mojioauh!

KoMy HaÄOÖHO Kanyciy,

UpHXOAH EO MH« ToproBaib,

 

A n 6yAy npoAaBaib!

Tjifi HH 33JULCE uopeueicb,

SamejCb vb A^Bm bi oropo^'b;

Owb Kanycxy He lopryert,

CaMi na A^BymKy cmotphte»,

Owb na A^ByniKy rjAAHTb,

3%pH0 xonerb uojao6wrb,

 

 

 

Pfahlchen ich behaue,

 

Zäune meinen Garten ein,

 

Will nun Kohl ansetzen,

 

Kohl ich setzen will,

 

Setze rechten weissen;

 

Recht vergnüglich sei er!

 

Du mein Kohl, nun wachse üppig,

 

Werde weiss und köpfig,

 

Wie der Zaun an Höhe.

 

Oh, ihr Burschen, oh, ihr Burschen,

 

Braves tapfres, junges Volk!

 

Wer von euch Kohl brauchen kann,

 

Komm' zu mir zum Handel her.

 

Und ich will ihn halten feil.

 

Plötzlich kommt ein junger Bursch,

 

Tritt in Mädchens Garten ein.

 

Aber Kohl will er nicht kaufen,

 

Schauet nur das Mädchen an,

 

Sieht das Mädchen immer an;

 

Möchte ihre Liebe gern,

 

 

 

i) Schein, Russische Volkslieder (russ.) I, S. 404. Dieses Lied

hatte A. Leskien die Güte für mich zu übersetzen.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 233

 

 

 

3a ce6n ee ctohobetb.

KaÖH BOiDinsa 6iua,

Ho^esaTB Apysssa BS^jia;

Hepeat BOjnoiincy ciynjii),

 

HOHCBaTb APySKSa B03BMy.

 

Mh cnajm, Ho^eBajin,

BApyrs npocHyjmcA, z&pa,

Ilopa MHJiOMy CO ABopa.

KaiTb Ha yjon^« ösinä CHsrb,

üorjuisy MHJiOtfy bi cji^a'b,

Ey^a UHJieHbKÜ nomejii,

Ky^a csopo no6«Eaj['B,

 

BaOIB yJOD^I CTOJIÖOBOH.

 

Ko J(yHflm£ BAOBHHoä!

Kam ^yHAma BAOBHHa,

^fbwb se Jiy^me ona mcha?

Qua yMsubH^i rjA^nTb,

IIoy^iHB^H roBopHrb.

 

 

 

Möcht* sie gerne für sich selbst.

Hätt* ich nur den Willen frei,

Nahm* den Liebsten ich zur Nacht;

Doch was kehr* ich mich daran,

Nehm* den Liebsten mir zur Nacht.

So wir schliefen durch die Nacht,

Wachten auf — schon Morgenroth !

Der Liebste muss vom Hofe fort.

Auf der Strasse liegt weisser Schnee,

Da seh* ich dem Liebsten nach,

Wohin er gegangen ist

Und so schnell gelaufen ist,

Längs der grossen Strasse hin.

Zu der Witwe Dunjascha!

Wie, die Witwe Dunjascha,

Ist sie besser denn als ich?

Sie blickt zärtlicher als ich.

Redet feiner auch als ich.

 

 

 

Nr. 136. *) (Weissrussland.)

 

Beim Mähen der Sommerfrucht.

 

Auf dem Berge mäht* ich Gerste,

 

Band sie nicht in Garben;

 

Den ich treulich liebte.

 

Sagt* ihm nicht die Wahrheit.

 

Dann werd* ich die Garben binden,

 

Wenn der Mond am Himmel;

 

Dann werd* ich die Wahrheit sagen.

 

Wenn er heim mich führet.

 

Mädchen ging hinaus zum Thore,

 

Mancherlei im Sinne,

 

Folgt ihm nach der junge Bursche,

 

Spielte auf der Fiedel.

 

^Du mein Mädchen, schönes Mädchen,

 

Willst du mich verachten?

 

Wirst noch einmal deinen Hochmut

 

Vor mir brechen müssen.

 

 

 

I) Schein, Materialien. I^ S. 259.

 

 

 

234 Fünfter Theil:

 

Deine blonden Zopfe werden

 

Mir zu Füssen liegen;

 

Deine schönen blonden Zöpfe

 

Werden losgebunden;

 

Viele Thränchen, viele Thränchen

 

Wirst du noch vergiessen.

 

6. Esten und Letten.

 

Ein Reisender, der im vorigen Jahrhundert die

russischen Ostseeprovinzen besuchte, erzahlt: »Wie

ich unterwegens in der Erntezeit die Schnitter im

Felde antraf, horte ich allenthalben ein wüstes Gre-

sänge, welches diese Leute bei ihrer Arbeit trieben,

und vernahm von einem Prediger, dass es noch alte

heydnische Lieder ohne Reimen wären, die man

ihnen nicht abgewöhnen könnte^).« Von mehreren

andern ist uns überliefert, dass die Gutsbesitzer in

der Ernte ihre leibeigenen Bauern oft zu Hunderten

zugleich aufgeboten hätten, und dass sie zu ihrer

Ermunterung beim Schneiden des Getreides den

Dudelsack hätten blasen lassen^. Einer dieser Be-

richterstatter schildert den Vorgang etwas ausführ-

licher: »Es gewährt einen gar seltsamen Anblick, wie

die schneidenden Schwadronen zusehends allmählich

immer weiter rücken, der Dudelsack als die Feld-

musik hinterdrein, und auf beiden Seiten jene Heer-

führer (die beiden Aufseher über die Frohnarbeiter,

der Kubjas und der Schilter) mit dem Kommando-

 

 

 

1) Herder, Werke Bd. XXV, S. 391 ff., der dabei »Weber*s

veränd. Russland« S. 70 citiert, das mir nicht zu Gebote steht.

 

2) Petri, Neuestes Gemähide von Lief- und £hstland, S. 438 f.

Petri, Ehstland und die Ehsten (Gotha 1802) S. 215. Vgl. auch

S. 27 und 171. HuPEL, Topogr. Nachr. von Lief- u. Ehstland, II, S. 290

und Wieland's Teutscher Merkur 1788, S. 416.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 235

 

Stabe in der Hand. Die Schnitter halten es für eine

grosse Schande, wenn der Sackpfeifer hurtige Stücke

zu blasen anfangt, weil dies ein Zeichen der Lang-

samkeit im Arbeiten ist; daher gehet es auch, so

lange der Dudelsack pfeift, ohne Absetzen in einem

fort wie nach dem Takte ^); schweigt hingegen jener,

so halten auch diese inne, und die Sichel scheint

ihnen in der Hand zu ermatten. Ist nun dergestalt

auf den Hofsfeldem alles geschnitten, so wird ein

Tag zum Amtefest angesetzt Man nennt diesen Tag

in der Ehstnischen Sprache Talkus^, und er ist

einer der frohesten im ganzen Jahre für die armen

Bauern. Manchmal geben auch wohlhabende Bauern

ihren Schnittern einen Talkus.«

 

Die Frohnarbeit hat also hier ganz ähnliche

Formen, wie die Bittarbeit bei den slavischen Stäm-

men, imd es tritt bei ihr auch die gleiche Benennung

auf, wie dort. Vor allem findet sie in grosser Ge-

sellschaft statt, und es wird dabei gesungen. An

 

1) An einer andern Stelle (Ehstland, S. 172) sagt Petri gerade-

zu, die Leute ^schnitten nach dem Takte«.

 

2) Nach Petri soll das Wort Talkus einen für geleistete Arbeit

anstatt des Lohnes oder zur Ermunterung gegebenen Bauemschmaus

bedeuten. Doch fügt er hinzu, ein Talkus werde bisweilen auch nach

andern Arbeiten, z. B. nach der Heuernte oder beim Reinigen der

Wiesen, abgehalten. Im Lettischen kommt Talks und Talka vor.

Merkel, Die Letten S. 97 erklärt es mit ^Gesammtarbeit bei der

Frohnde.« Es bedarf kaum der Auseinandersetzung, dass diese Worte,

wie das litauische talka, gleichen Ursprungs und gleicher Bedeutung

sind wie das russische toloka und das südslavische tluka, tlaka.

Dass bei den Esten das Wort an dem haften bleibt, was von der

alten Bittarbeit unter der Leibeigen schafl allein noch übrig war, dem

Emteschmaus, darf nicht Wunder nehmen; es ist ebenso bei den

Weissrussen: Ralston, The Songs of the Russian People (London

1872), p. 250.

 

 

 

236 Fünfter Theil:

 

Stelle des Gesangs, durch den die Fröhner das

Tempo ihrer Arbeit selbst bestimmen, benutzte der

Gutsherr, um die Arbeit zu beschleunigen, das Lieb-

lingsinstrument der Esten, den Dudelsack, durch den

der Arbeitstakt vom Aufseher reguliert werden konnte.

Die Vertheidiger der damaligen Zustände halten es

für nöthig, den Gutsherrn gegen den Vorwurf in

Schutz zu nehmen, dass er damit die Arbeitskraft

der Leute über Gebühr zu seinem Vortheile ausnutze*

Noch viel grösser als bei der Getreideernte waren

die aufgebotenen Arbeiterschaaren bei der Heuernte,

wo selbst die kleinen Kinder (die Fingerlangen, wie

es in dem Liede Nr. 140 heisst) aufgeboten wurden.

Klagen über die Härte der Herren und über die

Aufseher, welche zu rascherer Arbeit trieben, sind

namentlich in den estnischen Volksliedern nicht

selten.

 

Unter den Arten der Gesellschaftsarbeit, bei

welchen gesungen wurde, stehen durch die vorliegen-

den Berichte völlig sicher: der Komschnitt, das

Mähen und das Wenden des Heues. Bei den Letten

wird auch während der Düngerfahrt gesungen, und es

sind verschiedene Liedchen dafür bekannt; aber der

Herausgeber bemerkt, dass die Weiber sie in den

Pausen sängen, nachdem der angefahrene Dünger

auf dem Felde ausgebreitet sei und neue Fuhren

noch nicht angelangt wären ^). Endlich vernehmen

wir, dass die Esten beim Pfluge sängen: >einer singt

vor, der andere nach 2).« Obwohl darnach der Cha-

rakter dieser Gesänge nicht sicher steht, so ist doch

 

 

 

1) BlELENSTEIN a. E. O. S. 324.

 

2) Teutscher Merkur, 1788, S. 416.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 237

 

ein kleines dahin gehöriges Stück (Nr. 142) unter

die nachfolgenden Beispiele^) aufgenommen worden.

 

A. Estnisch.

 

a. Schnitterlieder.

 

Nr. 137.

 

Scheine, scheine Sonne,

 

Klar nnd heiter sei die Witterung,

 

Scheine, dass wir ohne Tuch heiss werden.

 

Treib mit deiner Wärme das Linnen, auseinander

 

Und mache Schweiss ohne Kleider. *)

 

Scheine, Sonne, auf den Perg

 

Und auf die silbernen Korallen :

 

Die Hitze verderbe den Perg nicht,

 

Das helle Wetter die bunten Korallen nicht!

 

Scheine nicht auf die Deutschen,

 

Scheine immer auf uns!

 

 

 

Leikage, öed töslifed!

 

Ma tuUen nurme leikamaie,

 

Minna lamin laia wälja,

Kül ma pöimin pitka pöldo,

Minna waene ostet' orja,

Ostet' oija, peästet* päwa,

Kinni kihlatud fullane!

Ikka pean minna minnema,

 

 

 

Nr. 138.

 

Schneidet, rüstige Schwestern ihr!

Auf das Feld komm ich zu

 

schneiden,

Fälle die weite Fläche nieder,

Ernte ab den langen Acker,

Arme Magd ich, kaufgeknechtet,

Kaufgeknechtet, sonnenselig,

Festgefesselte Dienerin!

Immer muss ich, immer gehen,

 

 

 

i) Nr. 137 und 140 nach dem Teutschen Merkur von 1787, III,

3. 243 f. (veröffentlicht von einem Herrn von Schlegel), Nr. 138,

I39i 141 ^nd 142 aus Neus, Estn. Volkslieder, S. 217 ff. 337 und

222. Die lettischen Stücke sind der Sammlung von Bielenstein ent-

nommen und von A. Leskien übersetzt. Es sind die Nr. 4065. 4064.

4061. 4059.

 

2) Der ganze Anzug der Estin beim Komschnitt bestand aus

einem leinenen Hemde, das über der Hüfte mit einem Bande gegürtet

war, dem Kop^utz (Perg) und einer Korallenl^ette um den Hals.

 

 

 

238

 

 

 

Fünfter Theü:

 

 

 

Ikka pean ees ollema:

Tulli tvlda taewadesda^

Wallas wilima warwadesda!

Enne päwa leikan parmo,

 

Leikan parmo, leikan kakß.

 

Perre tüttar pitka, laiska,

 

Ta maggab wota wodtdesüs,

Linna alla, teine peäle.

Ku tal paistab koppelisfe,

Pääw tal paistab peälusfelle,

 

Siis on motte pöUal miana:

:^Seppakenne, poifikenne,

 

Te mul tinnafe lirbi,

Walla wafkne warrekenne.

 

Ma lall' pöllnl leikamaie

Keskelt kero kaerokesfi,

Nurme ot£a. odrakesH,

Nasfe peäl naepekesfi;

Ei jätta libled likumaie,

Egga korke köikumaie!«

 

 

 

Perremecs, perremeliliike,

Perrenaene, naefokenne!

Argo olgo meli pahlia,

Südda armas liaig«emba,

Et jäi päida peäle pöllo,

Södile fealabboda:

 

Kül tuUeb homme ufi päwa,

Tunnahomme teine ufi !

Siis a'an hanned otfimaie,

Pörfokesfed poimimaie,

 

 

 

Immer mnss ich die erste s^n,

Strömt aucli Feuer von den Himmeln,

Fiel ein Regen wie von Flegeln.

Schon vor Tag schneid' ich ein

 

Mandel,

Schneid* ein Mandel, schneide

 

zweie.

 

 

Lang und trag des Hauswirths

 

Tochter

Schläft des Gürtels bar in Betten,

LimxeB oben^ Linnen unten.

Sieht der Mond ihr a«f die Matten,

Sieht die Sonn' ihr auf die Schlaf-

statt,

Fällt's ihr ein aufs Feld zu gehen:

»Liebes Schmiedchen, liebes Knäb-

 

chen,

Mach von Zixnie mir die Sichel,

Giess ein GrifFchen dran von

 

Messing.

Auf das Feld geh ich zu schneiden»

Mitten drin den dichten Hafer,

An des Ackers Rand die Gerste,

Auf dem Felsenriff die Rübchen;

Nicht lass' ich die Acheln flattern-,

Auch nicht einen ECalm üch wiegen W

 

Nr. 139.

 

Herr des Hauses, o Herrriein,

Frau des Hauses, o Fräuelein,

Wollt nicht werden wirren Sinnes,

Nicht das liebe Herz- verleid* each's,

Stehn noch Aehren auf dem Acker,

Auf dem Felde Schwcineschwäaz-

 

chen:

Naht ein neuer Tag doch morgen,

Neu ein andrer übermoiigen!

Dann zum Suchen send* ich Gänse,

Ferkelchen darauf zur Ernte,

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 239

 

Kalkunid kabbaldamaie. Indische Hühner schweren Schrittes.

 

Anni nokkib nokkallana, Pickt die Gans mit ihrem Schnabel,

 

Pörfas poimib pölwilista, Erntet das Ferkel auf den Fersen,

 

Sigga furella fuulla, Mit dem mächtigen Maul das

 

Schwein,

Wanna ligga watfulista, Auf dem Bauch die alte Bache,

 

Kulti tuhnib kummuliste : Auf dem Wanste wühlt der Eber:

 

Siis fawad otfa ommetigi! Dann sind endlich sie doch zu

 

Ende.

 

b. Beim Heuen.

 

Nr. 140.

 

So lange ist der Heuschlag schon,

 

Als das Heu ungemäht ist,

 

So lange gehn die Schwaden wohl an,

 

Bis die Spreu ist aufgenommen.

 

Bis die Saden abgeharkt sind,

 

"Wenn der Schober noch nicht gemacht ist.

 

Ach, besser ist das Leben im Abgrund,

 

Glücklicher das Unglück in der Hölle,

 

ATs auf unserm Hofe zu sein.

 

Vor Sonnenaufgang wird schon gearbeitet,

 

Im Mondenlicht ein Heuschober geschlagen;

 

Nach Sonnenuntergang wurde geschnitten.

 

Die Ochsen frassen im Joch,

 

Die armen Wallachen angespannt,

 

Die Arbeiter stehen auf Zaunstecken^

 

Die kleinen Helfersazbeiter auf spitzigen Pflöcken.

 

Herr der weissen Flur,

 

Frau mit der goldnen Krone,

 

Junge Herr^i. mit sübemen Ringen!

 

Steiget auf den Stuhl,

 

Gehet auf den Saal,

 

Blickt auf das arme Volk,

 

Wie es erbärmlich geplagt wird.

 

Wie die Kleinen gepeinigt werden.

 

Die Fingerlangen bei der Arbeit gescholten,

 

Und die Wenigen zerstreut werden!

 

 

 

240

 

 

 

Fünfter Theil:

 

 

 

Nr. 141.

 

 

 

Nicht ich kreise bei der Kühle,

Noch auch kreisch' ich in dem

 

Thaue,

Noch auch dröhn' ich durch die

 

Dürre I

In der Kühle kreist die Sense,

In dem Thaue kreischt das

 

Eisen,

Durch die Dürre dröhnt die Sichel !

 

Sieh* die Sens*, ein zornig Eisen,

Gar ein treulos gleissend Eisen,

Ein gekrümmtes Ackereisen,

Diese nahm das Blut dem Bruder,

Roth dem Preiselbeerenblättchen,

Meinem einz'gen Freund die Farbe.

Blutlos nun das Brüderchen,

Ohne Roth das Beerenblättchen,

Farblos blieb des Hauses Hühnchen.

 

 

 

Wart*, wart*, Bruder, nun, nun

 

Bruder !

Flieht der Sommer, folgt der Herbst

 

nach.

Kehrt der Kaufinann ein im

 

Dorfe,

Bei der Flur der Ladenbursche,

Kauf ich Ahl* um eine Denge,

Meth in eines Eies Schale,

Schweinefleisch ein schönes Quent-

chen,

Butter auch für einen Ferding,

Speise, tränke meinen Bruder,

Leit* in*s Kühl* ihn hin zum

 

Schlafen,

Führ ihn in ein frisches Zimmer,

Senk* in*s Kissen ihn zum Schlafen :

Dann kommt Brüderchen zu Blute,

Beerenblättchen dann zu Röthe,

Färb* erhält des Hauses Hühnchen.

 

 

 

c. Beim Pflügen.

 

Nr. 142.

 

O, o, meiner raschen Rinder,

Dieses raschesten Paars der Rinder!

Stiegen brüllend das Berglein an.

Springend zu des Sprudels Tränke,

Schreiend an des Ackers Furche;

Erz aufwarfen des Pfluges Führer,

Zinn entrollte der Rinder Hörnern,

Gold aufgruben des Pfluges Stangen!

 

 

 

B. Lettisch.

 

a. Bei der Roggenernte.

 

Nr. 143.

 

Roggenähre steht so stolz da:

 

Nun wird sich mein Rücken biegen;

 

 

 

Die Anwendung der Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 24 1

 

Bieg* dich selber, Roggenähre,

Nicht wird sich mein Rücken biegen.

 

Nr. 144.

 

Schnarre, Schnarrwachteichen *)

 

In den Roggenhalmen,

 

Wachtelchen in der Kette!

 

Schneide, Brüderchen, ins Brot;

 

Der Neider mag in den Stein schneiden.

 

b. Bei der Heuernte.

 

Nr. 145.

 

Schön die Wiese, abgemähet,

Schöner noch, wenn abgeharket;

Doch weit besser macht es doch sich,

Wenn das Heu im Schober stehet.

 

Nr. 146.

 

Bienchen bittet schön den Mäher,

Auf der £rd' sich niederlassend,

Dass vom weissen Klee am Rande

Er ein Büschel übrig lasse.

 

Die hier mitgetheilten estnischen Arbeitsgesänge

unterscheiden sich wesentlich von den georgischen,

stimmen aber mit den russischen und einem Theile

der serbischen darin überein, dass sie Frauenlieder

sind. Sie schildern das Empfinden der Frau bei der

Arbeit. Bei Nr. 137 ist dies sofort klar. Nr. 138

beklagt in der vorderen Hälfte das Loos der armen

Schnitterin und stellt ihrem Fleisse in der zweiten

Hälfte die Trägheit der Töchter wohlhabender Bauern

gegenüber. Nr. 139 soll den Besitzer des Ackers

 

 

 

l) greesch, greesnite — ein nicht übersetzbares Wortspiel, greest

bedeutet )>schnarren«, aber auch »knirschen« und »schneiden« (von der

Sichel). Leskien.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 16

 

 

 

i

 

 

 

242

 

 

 

Fünfter Theü:

 

 

 

nach dem Schnitt begütigen. Die Schnitterin hat

schlechte Arbeit gemacht; auf dem Acker sind Aehren

stehen geblieben; da wird auf das Vieh vertröstet,

das auf der Weide über die Stoppeln gehen und

Nachernte halten wird. Nr. 140 beklagt die harte

Frohnarbeit und fordert die Gutshermfamilie auf,

doch einmal selbst zu schauen, wie des arme Volk

geplagt werde. In Nr. 141 verspottet das Mädchen

den jungen Mäher, der sich leicht verwundet hat,

mit dem bei den Esten so charakteristischen über-

treibenden Humor, der auch in dem kleinen Pflüger-

liede (Nr. 142) seine Purzelbäume schlägt. Die lang-

samen und trägen Pflugthiere sollen so mächtig

arbeiten, dass die Pflugschar einen Schatz aufwühlt.^)

In den kleinen lettischen Liedern überwiegt die

sinnige Naturbetrachtung, welche sich bei der Arbeit

einstellt; auf die Mühe des Arbeitens wird nur in

gutmüthig scherzender Weise Bezug genommen.

 

Auch die Nachbarstämme der Esten und Letten,

Finnen und Litauer, kennen die Bittarbeit und

haben für sie den gleichen Namen wie jene.^ Bei

den Finnen kommt sie besonders für die Holzarbeit

zur Anwendung, namentlich für das HeimschaflFen

grosser Baumstämme aus dem Walde; bei den Li-

tauern für jede grössere landwirthschaftliche Arbeit,

namentlich die Heuernte und das Flachsbrechen.

 

7. Aus deutschem Sprachgebiet.

 

In Deutschland hat sich die Bittarbeit, soweit

sich das jetzt übersehen lässt, nur noch bei land-

 

 

 

i) Man vergleiche oben Nr. 117.

2) Finnisch tdlkoo, litauisch talka.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 243

 

wirthschaftlichen Nebenarbeiten, wie der Zubereitung

des Flachses, dem Bohnenschnitt u. dgl. erhalten;

beim Feldbau ist sie verschwunden. Aber auch in

diesem muss sie früher nicht selten vorgekommen

sein. In Bayern hiessen die für die Ernte zugebetenen

Helfer Bittschnitter; ^) für ihre Lieder wurde im

Mittelalter derselbe Ausdruck gebraucht wie für die

Ruderlieder (celeimia); es scheint daraus der Schluss

gezogen werden zu dürfen, dass beide Arten von

Gesängen in gleichem Verhältniss zur Arbeit standen.

In Amberg wurde 1554 die Verordnung erlassen,

>dass kein Burger seine ßchnitter und Arbeiter

mehr mit Drumeln, Pfeiffen und Saitenspieln herein

in die Stat und daraus fürn und folgend Abendtänz

mit ihnen anfangen und halten soll.« In einem

bayreuthischen Ausschreiben von 1652 wird gerügt^

»dass an Sonn- und Feyertägen sowohl bey hellem

Tag als nächtlicher Weile und Mondenscheine Bitt-

schnidter, meistentheils von ledigem Gesinde, ange-

stellt werden, denen man nach vollbrachter Arbeit

Essen und Trinken geben und einen Tanz halten

muss.« Dies genügt, um zu zeigen, dass hierbei

dieselben Sitten üblich waren wie bei der serbischen

Moba und der russischen Toloka.

 

Erntelieder, besonders Schnitterlieder sind in

den deutschen Volksliedersammlungen ziemlich häu-

fig^; manche von ihnen verrathen durch ihre dick

aufgetragene MoraP), dass sie jedenfalls keine Ar-

 

 

 

1) SCHMELLER, Bayerisches Wörterbuch II, Sp. 586 f.

 

2) Vgl. Firmreich, a. a. O. III, S. 631. 687. 693. Böhme, Alt-

deutsches Liederbuch S. 277. Erk- Böhme I, Nr. 123 f. III, Nr. 2152.

 

1555-

 

3) Vgl. z. B. Frommann*s Mundarten I, S. 283.

 

16*

 

 

 

244

 

 

 

Fünfter Theil:

 

 

 

beitsgesänge sind ; andere wieder sind volksthümlicher.

ScHMELLER bringt die bayerischen Schnadahüpfeln

{Schnitterhüpflein ?) mit den Bittschnittem in Verbin-

dung und sieht in ihnen Begleitweisen zum Schnitter-

tanze. Ist seine Erklärung richtig, so könnten es

ebensogut Scherzlieder sein, die beim Getreideschnitt

gesungen wurden. Aus der Grafschaft Mark hören

wir, dass die Ernte mit einem Wechselgesang zwischen

dem Mäher und dem Mädchen begonnen habe. »Im

Zürichgau arbeitete das Geschnitt wohl nach der

Musik eines Geigers, und dem nicht Schritt halten-

den wurde zum Spott ein Fulacher (Faulacker), ein

kleiner Getreidezipfel, zurückgelassen^).« Im braun-

schweigischen Kreise Isenhagen erscheinen am letzten

Erntetage »die Musikanten schon am Vormittage auf

dem zum Abmähen bestimmten Felde, wo unter den

Klängen der Musik imd bei fröhlichem Jauchzen die

letzten Schwaden gemäht werden. Selbst diejenigen

Bauern, die schon früher mit ihrem Roggenmähen

hätten fertig sein können, lassen noch einen Rest

desselben stehen, damit er am Tage des Erntefestes

unter den Klängen der Musik abgebracht werden

könne ^.« Das alles scheint auf künstliche Unter-

stützung taktmässigen Arbeitens durch Gesang und

Musik auch auf deutschem Boden hinzudeuten.

 

Die Sitten der Bittarbeit geben sich in den

durch ganz Deutschland verbreiteten Emtebräuchen

unschwer zu erkennen, und das Gleiche trifft auch

auf die Frohnarbeit zu. In einem Weisthum aus dem

17. Jahrhundert für das den Rittern von Hohenstein

 

 

 

1) Beide Notizen aus E. H. Meyer, Deutsche Volkskunde, S. 231.

 

2) Ztschr. d. Ver. f. Volkskunde, VI (1896), S. 372.

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 245

 

gehörige Dorf Lindschied im Taunus^) heisst es:

Wenn die Junker ihr Korn schneiden lassen, so

»sollen sie einen Pfeifer haben, der den Schnittern

pfeife, und wann die Sonne noch baumeshoch steht,

so sollen sie tanzen bis es Nacht wird«, und man

soll ihnen gesundes Essen und Trinken geben.

 

Nur ein echtes Arbeitslied, das seinem ganzen

Gehalt und seiner Form nach dieser Gruppe zuge-

wiesen werden muss, kann mitgetheilt werden. Es

ist ein sehr alterthümliches Lied, das die Gottschee-

erinnen beim Hirsejäten anstimmen, ein Wechsel-

gesang zwischen dem Chor und einer Vorsängerin^).

Der Chor beginnt und lässt sich vor jeder neuen

Strophe wieder vernehmen; die Vorsängerin trägt

einen Text vor, der mit den in der dortigen Gegend

üblichen Marienliedem nahezu übereinstimmt: »Der

Gesang geht immer eintönig in der Tonica fort und

hört darin, nach vorhergegangenem unteren halben

Ton, auch auf.«

 

Nr. 147.

 

Chor.

 

De bochtl schlüget haier in inshrm waude.

Got, gib insch haier a guetes jaer,

In bainparge unt in hirschpodn!

 

Vorsängerin:

 

I. Shi trit bol auhin af proitn 'bak,

Af proitn bak, af schmuein schtaik.

 

 

 

1) Grimm, Weisth. IV, S. 576, § 5.

 

2) Veröffentlicht von Schröer in den Sitzungsberichten der

philos.-histor. Cl. der Wiener Akademie, LX (1868), S. 274 f. und

Hauffkn, Die deutsche Sprachinsel Gottschee, S. 196.

 

 

 

I

 

L

 

 

 

Fünfter Tlieil:

 

 

 

m bochtl schlüget u. s. w.

 

(Ebenso vor jeder der folEendea Strophen.)

 

Vorsängerin:

 

2. Af schmufln schtaik, af hoachn park,

Af tioachn park, in roashaingnSrtn.

 

3. Bos belt shai täSn in roashnguEitn?

Sbai belt pracbn geliScbtS reaablain.

 

4. GSliEchtai roashn piachSt shai,

G^iSchtai kranzlain nlacbtSt shai.

 

5. Zbai hent ir di kranzlain gi^iScbt?

Zum hailign kraizS belt shai shE hengn.

 

6. Bu belt shai hin mitm hailign kraiz?

Zum gotscbbak shean, ins himliaich.

 

Uebert ragnng.

Chor:

Die Wachtel schlaget heuer in unserm Felde.

Gott, gleb uns heuer ein gutes Jahr,

In Weinbergen und in Hirscnfeldem I

 

Vor.«i,ge,i«i

I. Sie tritt wohl hinauf auf breiten Weg,

Auf breiten Weg, auf schmalen Steig.

 

Chor:

Die Wachtel schlaget u. s. w.

 

 

 

Auf schmalen Steig, auf hoben Berg,

Auf hohen Berg, in (den) Rosengarten

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 247

 

5. WoÄU sind ihr die Kränzlein licht?

An*s heiPge Kreuz wollt* sie sie hängen.

 

6. Wo wollt* sie hin mit dem heiligen Kreuz?

Zum Gottesweg schön, ins Himmelreich.

 

Schlussbemerkung.

 

Unser Ueberblick, so dürftig er bei dem Mangel

jeder Vorarbeit ausfallen musste, hat uns den Ar-

beitsgesang in einer ganz neuen Rolle gezeigt: als

Regulator der Massenarbeit. Und zwar ist er uns

in dieser Eigenschaft an so vielen Stellen der alten

Welt entgegengetreten, dass die einzelnen Erschei-

nungen das Seltsame, das sie auf den ersten Anblick

für uns haben mussten, schliesslich verloren haben,

und dass wir nunmehr in groben Zügen einen grossen

weltgeschichtlichen Entwicklungsprozess der Arbeits-

gemeinschaft vor uns sehen, durch den wie ein

rother Faden sich ein psychophysisches Element hin-

durchzieht, das wir an dieser Stelle am wenigsten

erwartet hätten. Anfangs bloss ein Mittel der Selbst-

zucht, durch das freiwillige Arbeiterscharen sich

zusammenhalten und ermuntern, wird der Arbeits-

gesang oder an seiner Stelle rhythmisch wirkende

Musik später zu einem Behelf herrschaftlicher Dis-

ciplin, den der afrikanische Häuptling anwendet wie

der chinesische Mandarin und der baltische Grund-

herr. Auch im Inhalt der Gesänge vollziehen sich

deutliche Wandelungen. Drückt der Bittarbeiter

seine Freude aus über die reiche Ernte, scherzt er

mit den Mitarbeitern, oder giebt seiner Liebessehnsucht

Ausdruck, so athmet der Gesang des Fröhners oft

bitteren Hass gegen seine Unterdrücker oder ergeht

sich in beweglichen Klagen über das eigene Elend.

 

 

 

248 Fünfter Theil:

 

In den meisten Fällen gehen die Gesänge noch von

der Arbeit selbst aus; aber in manchen sind doch

auch die Beziehungen zu ihr sehr entfernte, oder es

sind solche überhaupt nicht vorhanden. Die ver-

schiedenen Nationen weisen darin erhebliche Unter-

schiede auf. Doch würde es zu weit führen, hier

darauf einzugehen, wie denn überhaupt bei der

Lückenhaftigkeit des Stoffes allgemeine Schlüsse nur

mit grosser Vorsicht gezogen werden dürfen.

 

Nur einen Gesichtspunkt können wir wohl noch

einen Schritt weiter verfolgen. Haben sich Arbeits-

gesang und Instrumentalmusik bei der Frohnarbeit

als Disciplinarmittel erwiesen, so mussten sie bei der

Sklavenarbeit erst recht Bedeutung gewinnen. Skla-

ven faulenzen, wenn sie nicht beaufsichtigt werden; sie

müssen truppweise beschäftigt werden, weil sonst

die Kosten der Beaufsichtigung zu gross würden.

Taktmässiger Vollzug der Arbeit, wo er möglich war,

empfahl sich hier durch die Erwägung von selbst,

dass dabei keiner zurückbleiben konnte ^). Den Alten

war es nichts Ungewohntes, dass bei Massenarbeiten

der Takt durch die Flöte angegeben wurde ^, und

wenn der römische Satiriker uns berichtet, in dem

Hause des reichen Trimalchio sei alle Sklavenarbeit

unter Gesang verrichtet worden^), sodass man sich

 

1) Im Frühjahr 1895 konnte man auf den Berliner Rieselfeldern

die Sträflinge von Rummelsburg die Grasflächen nach dem Kommando

des Aufsehers im Takte abharken sehen.

 

2) Vgl. oben S. 42 f.

 

3) Petron. Sat. 31. — Dass schon die Griechen die Vortheile

rhythmisierter Massenarbeit wohl erkannten, zeigt Xenoph. Oec. VIII, 8,

wo es u. a. heisst (§ 8): Siä rt Sh äXXo aXvnoi icXkr^koig slölv ol

ifiTfXiovtsg ?) didtL iv td^si ^ihv xa-dTjvrof t , iv td^si de jtgovsvovüLV,

iv ra|£t d' icvaitCntoveiv^ iv xd^H d* iiißaivovßt, %al i%ßaivovaLv;

 

 

 

Die Anwendung des Arbeitsgesanges zum Zusammenhalten. 2 49

 

unter einen Pantomimen-Chor hätte versetzt glauben

können, so liegt darin ja gewiss eine ungeheuerliche

Uebertreibung; aber ohne thatsächlichen Hintergrund

ist doch auch eine solche nicht denkbar. Ueber

Arbeitsgesänge der Ackersklaven vermögen wir nichts

Sicheres festzustellen^); sie werden ebensowenig ge-

fehlt haben, wie bei den Negern der amerikanischen

Kolonien. Fanden doch die Alten es selbstverständ-

lich, dass zu jeder schweren Arbeit im Freien ge-

sungen werde ^.

 

LiviNGSTONE^ macht einmal mit Beziehung auf

das Personal der Karawanenzüge arabischer Kauf-

leute in Ostafrika die Bemerkung: »Die Kllänge der

Trommel und des Kuduhomes scheinen eine Art von

Korpsgeist in solchen wachzurufen, welche einmal

Sklaven gewesen sind.« Sie sind unter den übrigen

herauszuerkennen. Das sagt Alles.

 

 

 

1) Wallon, Histoire de Pesclavage dans Pantiquit^, I, p. 456.

 

2) Theocrit, X, 56; j^gri iiox^s^vrag iv aXio} &vS(fas asiSsiv.

 

3) Letzte Reise, I, S. 290.

 

VI. Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.

Unsere Untersuchung hat uns wiederholt auf die

Thatsache geführt, dass in den Frühzeiten mensch-

licher Kulturentwicklung Arbeit und Spiel sich nicht

von einander scheiden. Das umfassende Thatsachen-

material, welches die beiden letzten Kapitel uns vor

Augen gestellt haben, zeigt uns eine Gestaltung der

Arbeit, bei welcher ebenso der nützliche Zweck der-

selben, als die von ihr unzertrennlichen Unlustmomente

in den Hintergrund gedrängt, dafür aber ein doppeltes

Lustmoment eingeschoben erscheint: rhythmische

Körperbewegung und ermunternder Gesang oder

Musik. Mehrfach traten Erscheinungen auf, wie die

tanzartigen Bewegungen bei der Feldbestellung und

beim Austreten der Getreidekömer (S. 36 und 131),

die auch einem für diese Dinge noch wenig ge-

schärften Auge den Unterschied zwischen Arbeit und

Spiel fast aufgehoben sein Hessen.

 

Diese Feststellungen könnten es als überflüssig

erscheinen lassen, den Thatsachen noch besonders

nachzuforschen, welche jenseits der Grenzen der

Arbeit in unserem heutigen Begriffe liegen. Aber

es hat für den weiteren Gang dieser Untersuchung

doch einige Bedeutung, darzulegen, dass auch bei

denjenigen Thätigkeiten, welche wir heute nicht zur

Arbeit rechnen, sobald sie längere Zeit fortgesetzt

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 5 I

 

werden, rhythmische Bewegung mit Gesang oder

rhythmisch wirkender Instrumentalbegleitung ausser-

ordentlich häufig auftritt, bei Naturvölkern so häufig,

dass man diese Verbindung als Regel bezeichnen

muss. Wenn wir nun diesen Thätigkeiten in dem

gegenwärtigen Kapitel noch nachgehen, so kann es

sich dabei nicht um die Frage handeln, ob Körper-

bewegung ohne Gesangs- oder Instrumentalbegleitung

unter primitiven Zuständen überhaupt vorkommt.

Ich halte d^ für ausgemacht. Auch bei den Arbeiten,

für die besondere Gesänge bestehen, wird nicht

immer und fortwährend gesungen. Es kann sich nur

um die Frage handeln, ob Gesang und Musik unter

primitiven Zuständen ohne rhythmische Körperbe-

wegung, also völlig selbständig, zu finden sind, und

dies lässt sich nur dann entscheiden, wenn wir die

Gelegenheiten möglichst genau feststellen, bei denen

überhaupt gesungen wird.

 

Zu diesen gehört in erster Linie der Tanz. Ueber

den Tanz bei den Naturvölkern ist unendlich viel

geschrieben worden. Jeder, auch der oberflächlichste

Reisende hat ihn beobachtet und mehr oder minder

ausführlich geschildert. Dass er stets mit Musik

oder Gesang verbunden ist, unterliegt keinem Zweifel.

Ja, diese Verbindung erscheint beim Tanze noch

weit inniger als bei der Arbeit; haben doch manche

Völker für Tanz und Gesang nur einen sprachlichen

Ausdruck^): Der Tanz ist in viel ausgesprochenerer

Weise rhythmische Körperbewegung als die Arbeit.

Er ist dies von Haus aus und immer, während die

 

I) M. Buchner, Reise durch den St. Ocean, S. 143. Paulitschke,

a. a. O. n, S. 217. Ehrenberg, Ztschr. f. Ethnologie 1887, S. 33.

K. V. D. Steinen, a, a. O., S. 267.

 

 

 

252

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

Arbeit nur unter der Voraussetzung gleichmässiger

Dauer — und auch da nicht immer — sich rhyth-

misch zu gestalten vermag.

 

Man hat sich viele Mühe gegeben einen den

Tänzen der Naturvölker zu Grunde liegenden Ge-

danken herauszufinden, bis jetzt freilich vergeblich.

Denn die Tänze werden bei den verschiedenartigsten

Gelegenheiten ausgeführt, bei Freude sowohl als

Trauer, vor und nach der Jagd oder dem Fischfang,

wenn diese Arbeiten eine Beute ergeben und ebenso,

wenn es nicht der Fall ist, bei der Hochzeit, beim

Krieg, bei Mondwechsel, bei der Gottesverehrung,

aber auch ohne jede äussere Veranlassung. Man

kann darum nicht einmal mit einiger Zuversicht be-

haupten, dass der Tanz irgend eine Art der gemüth-

lichen Erregung zum Ausdruck bringen oder eine

solche hervorrufen solle, dass er der blossen »Lust

an der Entladung der erregten Gefühle« entspringe.

Denn es steht doch ziemlich fest, dass er nicht bloss

den Mitwirkenden Freude und Erregung verursacht,

sondern ebenso den Zuschauenden, dass den aller-

grösstenTheil der Tänze primitiverVölker rhythmisierte

Nachahmungen von Vorgängen des Menschen- und

Thierlebens bilden, also Aufführungen, deren rhyth-

mische Gestaltung auf Andere wirken, ihnen Freude

machen, den Aufführenden selbst aber Ehre bringen

soll. Es gilt dies besonders von den Solotänzen,

die neben den Reigentänzen schon sehr früh auftreten.

So betrachtet würde der Tanz der Naturvölker wirth-

schaftlich ebenso gut als Arbeit aufgefasst werden

können, wie etwa die Produktionen des Balletkorps

auf unsern Theatern, und wir hätten keine Ursache,

ihm in diesem Zusammenhang eine besondere Be-

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 253

 

handlung zu widmen. Der an anderer Stelle (S. 152)

mitgetheilte Bajaderengesang wäre dann auch vom

Standpimkte der Tänzerinnen, die ihn erfunden haben

müssen, als Arbeitsgesang anzusehen, nicht bloss von

demjenigen der Kuli, die ihn sich aneigneten.

 

Aber manches spricht doch auch gegen diese

Auffassung. Vor allem muss darauf hingewiesen

werden, dass beim Tanze doch allgemein der Rhyth-

mus als etwas frei Erfundenes angesehen wird, während

er bei der Arbeit sich, wie wir annehmen müssen,

aus unserer inneren Körperconstitution und aus den

technischen Voraussetzungen der Leistung mit Noth-

wendigkeit ergiebt, bez. aus der Anwendung des

ökonomischen Prinzips auf die menschliche Thätig-

keit von selbst folgt. Ferner wäre zu beachten, dass

der Tanz, bei welchem Anlass er auch zuerst her-

vorgetreten sein mag, doch jedenfalls nicht der Lebens-

nothdurft entsprungen sein kann, wie die Arbeit.

Endlich kann nicht übersehen werden, dass viele

Tänze der Naturvölker nichts anderes sind als be-

wusste Nachbildungen bekannter Arbeitsvorgänge

(Bootbau, Jagd, Fischfang, Krieg, Ernte). Bei diesen

mimischen Aufführungen muss also doch nothwendig

die Arbeit früher vorhanden gewesen sein als der

Tanz, und so wenig wir geneigt sind, in dieser Unter-

suchung einen Unterschied zwischen Arbeit und

anderweiter menschlicher Thätigkeit gelten zu lassen,

so müssen wir doch in diesem Falle, wo die Natur-

völker selbst beide Thätigkeiten als gegensätzlich

empfinden, einen solchen Unterschied annehmen.

 

Wir kommen also damit nicht zum Ziel. Aber

vielleicht können wir uns von einer anderen Seite

demselben nähern. Der Tanz der Naturvölker ist

 

 

 

254

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

nicht, wie unser Tanz, bloss Beweg^ung der Füsse.

Es giebt Tänze, die im Stehen und im Sitzen aus-

geführt werden, das letzte namentlich bei den Süd-

seeinsulanem ; die javanischen Tänzerinnen gebrauchen

fast nur die Hände und Finger; viele orientalische

Tänze sind Knie- und Hüftenbewegungen; der Ober-

körper, der Kopf, kurz alle einer eigenthümlichen

Bewegung fähigen Körpertheile werden in Anspruch

genommen. Wir müssen also sagen, dass der Tanz

dieser Völker rhythmische Körperbewegung schlecht-

hin ist, sein Ziel rhythmische Darstellung solcher

Vorgänge und Handlungen, die an und für sich nicht

rhythmisch verlaufen oder rhythmische Figuration

solcher Thätigkeiten, bei denen auch im gemeinen

Leben der Rhythmus nicht fehlt. Es wird also der

rhythmisch sich bewegende menschliche Körper im

Tanze zum künstlerischen Ausdrucksmittel, und die

in der menschlichen Natur liegende Neigung zu

rhythmischer Gestaltung der Bewegungen findet im

Tanze ihre höchste Vollendung, indem es ihr gelingt,

ästhetische Wirkungen zu erzielen. Hat man die

Poesie als die Plastik des Innenlebens bezeichnet,

so wird der Tanz der Naturvölker zu einer Plastik

des Aussenlebens, nachdem das letztere das gei-

stige Centrum des Menschen passiert hat. Damit

ist gegeben, dass neben dem mimetischen Elemente

der Tanz auch begleitende Gefühle zum Ausdrucke

bringen kann und muss. Immer aber ist es bei den

Naturvölkern die gesamte, in bestimmten Massver-

hältnissen verlaufende, auf das Wohlgefallen der Zu-

schauer berechnete Körperbewegung, die in untrenn-

barer Verbindung mit Gesang und Musik das Wesen

des Tanzes ausmacht. Dies entspricht auch der Auf-

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 255

 

fassung der Griechen, bei denen die Orchestik die

Kunst der Gebärden und Bewegungen überhaupt ist

und Poesie und dramatische Darstellung mitumfasst^).

Wir können hier nicht tiefer auf den Gegenstand

eingehen. Es muss zum Beleg des Gesagten genügen,

dass beispielsweise eine Schilderung hier wiederge-

geben wird. »Die Tänze der Ostjaken«, berichtet

P. S. Pallas^), »welche keine geringe Uebung, Fer-

tigkeit und Anstrengung erfordern und den Tänzern

Seh weiss genug auspressen, stellen theils ihr Ver-

fahren bei der Jagd verschiedener Thiere oder Vögel

und beim Fischfang, theils das Betragen, die ver-

schiedenen Posituren und Gänge der ansehnlichsten

Thiere und Vögel, theils auch satyrische Nachah-

mungen ihrer Nachbarn, alles nach dem passlichsten

musikalischen Takt vor, welchen der Spieler, nach

den verschiedenen Vorstellungen des Tänzers, oft

abwechselt. So habe ich zum Exempel die Zobel-

jagd, die Sitten des Kranichs, des Elennthieres, den

Flug imd Raub des Mäusefalken, das Betragen der

russischen Weiber beim Waschen am Fluss und an-

dere noch lustigere Handlungen auf eine überaus

possierliche und lächerliche Art vorstellen gesehen.

Am mühsamsten hat mir die Vorstellung des Kra-

nichs geschienen, da der Tänzer sich niedersitzend

unter einem Pelze verbirgt, dessen Zipfel er um einen

langen Stock befestigt, auf welchem oben ein Kra-

nichskopf vorgestellt wird, und solchergestalt auf

den Hacken sitzend oder doch ganz gebückt tanzen

 

1) Krause, Gymnastik und Agonistik der Hellenen (Leipzig

1841). — M. Emmanuel, La danse grecque antique (Paris 1896).

 

2) Reise durch verschiedene Provinzen des russischen Reichs

(1772/73), in» S. Ö4f.

 

 

 

256 Sechster Theil:

 

und mit dem Stock alle Bewegungen des Kranichs

nachahmen muss. Bei den Vorstellungen des Elenn-

thiers muss die Musik die verschiedenen Bewegungen

des Thieres, wenn es im Schritt, im Trott oder im

Lauf geht, ausdrücken und die Pausen vorstellen,

die das Thier macht, um sich nach dem Jäger um-

zusehen. Man sollte kaum so viel Künstliches imd

Wohlausgesonnenes bei einer so rohen Nation ver-

muthen, Ihre liebsten Vorstellungen sind die saty-

rischen Tänze, so wie es auch ihre beste Ergötzlich-

keit ist, in den selbstersonnenen Liedern diesen

oder jenen durchzuhecheln; obschon sie auch sonst,

wenn sie trunken und lustig sind, alles, was ihnen

nur einfallt, aus dem Stegreif in einen Gesang

bringen.«

 

In der That wird man der grossen Bedeutung,

welche der Tanz im Leben der Naturvölker behaup-

tet, nie gerecht werden, wenn man das Hauptge-

wicht darauf legt, dass er die Tänzer selbst in einen

sich fortwährend steigernden Grad der Erregung ver-

setzt, die sich schon äusserlich dadurch zu erkennen

giebt, dass das Tempo ihrer Bewegungen und damit

auch des sie begleitenden Gesanges immer mehr be-

schleunigt wird und schliesslich in wahre Raserei

ausartet. Diese Folge rhythmischer Körperbewe-

gungen ist auch gewissen Arbeiten nicht fremd, wie

wir an dem Beispiel der georgischen Maishacker

(S. 212) sehen konnten. Zum weiteren Beleg theile ich

nachstehend die Singweisen zweier ägjrptischen Fe-

lachenlieder mit, die bei der Arbeit gesungen werden^).

 

i) Aus SwoBODA, Musikgeschichte I, S. 158. A. DE LA FAge,

dessen Histoire de la musique et de la danse (Paris 1844) sie S.

entnimmt, »weist auf eine musikalische Absonderlichkeit hin, welche

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.

 

 

 

257

 

 

 

Die besondere Arbeitsart, zu der sie gehören, ist

leider nicht angegeben.

 

 

 

Nr. 148.

 

 

 

Gemässigte Bewegung.

 

 

 

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Sehr lebhafte und starke Bewegung.

 

 

 

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Langsamere aber noch starke Bewegung.

 

 

 

 

 

 

 

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Nr. 149.

 

 

 

l# a _y L.' 1 11 u -' 1 i-Hi

 

. f\ m ' '1 r 111 1 1 1 ¦

 

 

"70 • — ^ — ^"^ ^ — Ü

 

 

 

darin besteht, dass Tagelöhner im heutigen Aegypten bei der Arbeit

die Dauer ihrer körperlichen Bewegungen mit dem wechselnden Zeit-

werthe desselben Tones in Einklang bringen, den sie beharrlich, aber

ohne Grazie immer wieder singen.« Das Verhältniss ist natürlich ge-

rade umgekehrt.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 17

 

 

 

258

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

^^^^

 

 

 

 

 

So wenig der Lustwerth, den fortgesetzte starke

rhythmische Bewegungen für den Ausführenden haben,

zu bestreiten sein wird, so wird doch nun für die in

gleicher Weise gestaltete Arbeit dasselbe in Anspruch

genommen werden dürfen, wie für den Tanz, und es

wäre damit der am Schlüsse des ersten Kapitels ge-

forderte Nachweis geliefert. Soweit die Arbeit sich

rhythmisch gestalten lässt, trennt sie vom Tanze kein

Artunterschied mehr, sondern nur ein Gradunter-

schied. Und auch darin wären beide verwandt, dass

wie bei der Arbeit, so auch beim Tanze ein ausser

der Thätigkeit selbst liegender Erfolg erstrebt wird:

die Ergötzung, die Bewunderung der Genossen. End-

lich muss die »socialisierende Wirkung«, die dem

Massentanze der Naturvölker zugeschrieben worden

ist^), mit Entschiedenheit auch ihrer Massenarbeit

zugesprochen werden. . ^

 

Nicht selten tritt der Tanz noch dadurch in ein

eigenthümliches Verhältniss zur Arbeit, dass er die

Einleitung oder den Schluss eines grösseren Werkes

bildet, indem dabei dieses selbst noch einmal in fi-

guriert rhythmischer Weise vorgeführt wird. So

beim Fischfang, der Jagd, dem Hausbau, dem Boot-

zimmem, besonders aber bei der Ernte. Ein Ueber-

rest dieser Sitte sind unsere Schnittertänze beim

 

 

 

i) Grosse a. a. O. S. 219.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 259

 

Erntefeste. Bei vielen Völkern führen die Weiber,

während die Männer auf einer Jagd oder einem Kriegs-

zuge abwesend sind, zu Hause einen Tanz auf, der sich

auf die Unternehmung bezieht, indem sie damit ihren

innem Antheil am glücklichen Gelingen derselben

zum Ausdruck bringen.

 

Ja es finden sich noch seltsamere Verbindungen

zwischen Tanz und Arbeit. Wir haben oben (S. 46)

bereits erfahren, dass bei den Ussukuma eine Art

Vorsänger den lasttragenden Leuten etwas vortanzt.

Im Hafen von Maskat fand Wellsted (1835) ein

grosses Lastschiff, dessen Mannschaft aus etwa 150

Persem, Arabern, Belutschen, Armeniern und Negern

bestand. Die letzteren waren in der Mehrzahl. »Zur

Ermunterung und Belustigung bei der Arbeit wählen

sie etwa zehn aus ihrer Mitte, die den übrigen etwas

vorsingen. Ein Bursche mit einer scharfen Tenor-

stimme leitet gewöhnlich den Gesang; seine Kame-

raden stimmen in einem tiefen Bass ein und begleiten

den Gesang mit einigen rohen Instrumenten und

einem wilden malerischen Tanze. Jene Instrumente

sind ganz kunstlos; eins gleicht dem Tamtam Hin-

dustans, ein anderes dem Tamburin der Europäer,

und wenn sie kein solches Instrument zur Hand

haben, schlagen sie wohl auf einer ihrer kupfernen

Essschüsseln den Takt. Einem Europäer klingen

diese Misstöne freilich nicht wie Musik; aber für

diese Afrikaner haben sie etwas unbeschreiblich Auf-

regendes«^). Eine ähnliche Erscheinung beobachtete

Jacobsen^) in einem Hafen der Key-Inseln auf dem

 

 

 

^

 

 

 

1) Wellsted*s Reisen in Arabien I, S. 25.

 

2) Reise in die Inselwelt des Banda-Meeres, S. 170 fF.

 

17'

 

 

 

26o Sechster Theil:

 

grossen Boote eines Radjah: »Rechts und links sehen

wir je zwanzig Ruder sich im Takte bewegen und

zwar derart, dass je zehn Ruderer auf der Bank im

Boot sitzen, während zehn andere von dem Oberdeck

aus ihre beträchtlich längeren Riemen schwingen.

Verwunderlich erscheinen uns allerdings einige bunt-

gekleidete Tänzer, die auf dem Vorderdeck am Steven

zum Klange des Gongs und einiger Trommeln ihren

Klewang schwingen und ihren Oberkörper hin und

her wiegen.« Derselbe Beobachter fand aber später

in Timorlaut ein Häuptlingsgrab in Gestalt einer

Prau, die auf ihrem Verdeck eine tanzende Holz-

puppe, einen Gong- und einen Trommelschläger

trug^) — ein Beweis, dass es sich um eine stehende

Einrichtung handelt.

 

Die Tanzgesänge unterscheiden sich in ihren

Eigenschaften von den Arbeitsgesängen nicht. Wie

diese bestehen sie oft nur in einem unablässig wieder-

holten »ho ho ho!« oder »hu hu hui«, oder es wird

ein einziger kurzer Satz immer wieder angestimmt.

Diese Ausrufe oder Sätze werden dann mit einem

eigentlichen Text versehen, der sich zwischen sie

einschiebt und den sie als Kehrreim immer wieder

unterbrechen. In der Regel stimmt der Chorführer

den Gesang an und giebt damit das Zeichen zum

Beginne der Aufführung; nicht selten führen dann

die verschiedenen Glieder des Tanzreigens den Ge-

sang als Wechselgesang weiter; oft betheiligen sich

auch die umherstehenden oder sitzenden Frauen mit

Gesang und Händeklatschen an der Aufführung; fast

immer aber findet der Rhythmus der Bewegungen

 

 

 

i) a. a. O. S. 209 und Abbildung S. 210.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.

 

 

 

261

 

 

 

nicht bloss am Gesang eine Unterstützung, sondern

mit diesem auch Halt und Mass in dem Schall der

stampfenden Füsse und dem Klatschen der Hände.

Das letztere kann auch durch Zusammenschlagen

der Waffen, Patschen mit den Händen auf die

Schenkel, Klappern von Schallhölzern oder den Ton

eines Schlaginstruments ersetzt werden. Wie sich

ein solches »Ensemble« musikalisch ausnimmt, zeigt

folgende Tanzweise ^) der Barabra (in der Nähe der

Nilkatarakte) :

 

 

 

Erster Chor.

 

 

 

Nr. 150.

 

 

 

' ^.r^-idriLtilr -^ ^ \^SiUif\f^:^=^^=m

 

 

 

Zweiter Chor.

 

 

 

^^

 

 

 

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i=T

 

 

 

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r-iMr-T

 

 

 

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Rhythmus der Hände.

 

 

 

.j^ju — U j] j u j:

 

 

 

-(5>-

 

 

 

inj Uli

 

 

 

Rhythmus der Füsse.

 

 

 

J A' IJ ^i

 

 

 

lM-ii4

 

 

 

Was den Inhalt der Tanzgesänge betrifft, so

lässt sich allgemein nur sagen, dass das Lied nur

bisweilen mit einer Aufforderung Bezug nimmt auf

die Bewegungen der Tanzenden, dass aber regel-

mässig der darzustellende Vorgang wenigstens be-

rührt wird. Oft wird er auch lebhaft und ausführ-

lich geschildert; aber es ist das durchaus nicht immer

nöthig, da eine ausgebildete konventionelle Gebärden-

sprache den Zuschauem keinen Zweifel über die

 

 

 

I) Aus Ambros, Geschichte der Musik I^ S. 549 f.

 

 

 

26 2 Sechster Theil:

 

Bedeutung der Aufführung lässt. Improvisationen

sind in den Tanzgesängen ebenso häufige wenn nicht

häufiger, wie in den Arbeitsgesängen. Ein völliger

Irrthum ist die Annahme, dass die Tanzlieder der

Naturvölker wesentlich lyrischer Natur seien. Epische

Elemente sind ihnen durchaus nicht fremd. Als

Probe sei hier der Gesang mitgetheilt, der unter

Trommelschlag bei dem Abschiedstanze gesungen

wurde, welchen in Unyanyembe Eingeborene und

Träger Stanley zu Ehren aufführten^).

 

Nr. 151.

 

Chorführer: Oh, oh, oh! Der weisse Mann geht nach Hause.

Chor: Oh, oh, oh! er geht nach Hause.

 

Er geht nach Hause, oh, oh, oh!

Chorführer:In das glückliche Eiland auf dem Meere,

 

"Wo es Perlen giebt in Menge. Oh, oh, oh!

Chor: Oh, oh, oh! Wo es Perlen giebt in Menge.

 

Oh, oh, oh!

Chorführer: Während Singiri (der Karawanenfiihrer) uns zurückge-

halten hat, oh, so lange

 

Von unsrer Heimat, so lange; oh, oh, oh!

Chor: Von unsrer Heimat, oh, oh, oh

 

Oh, oh, oh!

Chorführer: Und wir hatten gar kein Essen so sehr lange Zeit.

 

Wir sind halb verhungert, oh, sehr lange Zeit!

 

Bana Singiri!

Chor: Sehr lange Zeit, oh, oh, oh!

 

Bana Singiri, Singiri!

 

Singiri! oh, Singiri!

Chorführer: Mirambo ist in den Krieg gezogen,

 

Zu kämpfen gegen die Araber;

 

Die Araber und die Wangwana

 

Sind fort, Mirambo zu bekämpfen.

 

 

 

i) Stanley, Wie ich Livingstone fand, H, S. 240 f.; über die

Improvisation S. 173.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 263

 

Chor: . Oh, oh, oh! Mirambo zu bekämpfen.

 

Oh, Mirambo! Mirambo!

 

Oh, Mirambo zu bekämpfen!

Chorführer: Aber der weisse Mann wird uns erfreuen;

 

Er geht nach Hause! Denn er geht nach Hause,

 

Und er wird uns erfreuen! Seh — seh — seh!

Chor: Der weisse Mann wird uns erfreuen. Seh — seh — seh!

 

Seh — sch-h-h — sch-h-h-h-h-h !

 

Um-m — um — um-m-m — seh!

 

Stanley versichert, dass er diesen Gesang «wegen

seiner merkwürdigen epischen Schönheit, rhythmischen

Vortrefflichkeit und gewaltigen Leidenschaft als eines

der wunderbarsten Erzeugnisse der chorliebenden

Kinder Unyamwezi's« wörtlich wiedergegeben habe.

 

Bezeichnender noch sind die Tanzgesänge der

Faröer, in welchen Stoffe aus der nordischen My-

thologie und Heroen weit, Legenden, Elfenmärchen,

ja selbst aus Dänemark herübergekommene Ritter-

romanzen abgehandelt werden. »Von Weihnachten

bis zu Fassnacht ist* die eigentliche Tanzzeit; aber

auch ausserdem wird an Feiertagen und bei fest-

lichen Gelegenheiten getanzt. Man braucht keine

Instrumentalmusik; man tanzt nach Gesang. Bald

ist der, bald jener Vorsänger, und alle, die singen

können, stimmen wenigstens in den Kehrreim mit

ein. Der Tanz besteht darin, dass Männer und Weiber

sich wech^lsweise bei den Händen halten und drei

taktmässige Schritte vor- oder seitwärts thun, dann

balancieren oder einen Augenblick stille stehen; wer

diese Bewegungen nicht genau beobachtet, stört

sogleich den ganzen Tanz. Die Aufgabe des Ge-

sanges ist nicht allein, die Schritte zu regulieren,

wie andere Tanzmusik, sondern auch durch seinen

Inhalt gewisse Gefühle zu wecken. Man kann an

 

 

 

264 Sechster Theil:

 

der Tanzenden Betragen leicht merken, dass sie nicht

gleichgültig dem Gesänge zuhören; sie lassen sich's

vielmehr angelegen sein, den jedesmaligen Inhalt der

Lieder durch Mienen und Gebärden auszudrücken«^).

Als Probe sei der Anfang des Sigurdsliedes hier

mitgetheilt:

 

Vorsänger:

 

1. Wollet ihr mir nun hören zu,

Und lauschen meinem Singen:

Ich will von mächtigen Königen

Euch eine Kunde bringen.

 

Kehrreim:

 

Grani') trägt das Gold aus der Haide,

Sigurd schwinget das Schwert in Freude,

Den Wurm, den hat er bezwungen.

Und Grani trägt Gold aus der Haide.

 

Vorsänger:

 

2. Sigmundur, der König,

 

Er war eines Jarls Sohn gut, u. s. w.

 

LuKiAN giebt in seinem Dialog über die Tanz-

kunst eine lange Aufzählung der Gegenstände, welche

die Griechen in ihren Tänzen darzustellen pflegten.

Dieselbe 'umfasst die ganze Götter- und Heldensage,

und wir erkennen daraus, dass nichts aus diesem Ge-

biete der Orchestik fremd blieb; aber die Freude an

rhythmischer Bewegung reichte weit über den Tanz

hinaus: auch die meisten Bewegungsspiele (z. B.

Ballspiel, Stelzenlaufen, Radschlagen) und die gymna-

stischen Uebungen der Palästra wurden in rhyth-

mischer Weise mit Flöten- oder Gesangbegleitung

 

 

 

1) Talvj, Versuch, S. 191 ff.

 

2) Sigurd's Ross.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 265

 

ausgeführt.^) Und Aehnliches begegnet uns ander-

wärts. Die Neuseeländer haben »ein Ballspiel, in

welchem besonders die Mädchen geübt sind. Der

schön verzierte Ball ist an einem langen Bindfaden

befestigt. Mit einer Hand hält man den Faden, mit

der andern wird der Ball wiederholt und in ver-

schiedener Richtung fortgeschnellt, immer aber im

Takt und nach dem Tonfall eines gleichzeitig ge-

sungenen Liedes.«^ Ein anderes Spiel haben die

Knaben, das sie Poroteteke nennen. »Mehrere

ordnen sich in eine Reihe; plötzlich auf ein ge-

gebenes Zeichen stellen sie sich auf den Kopf und

bewegen dann ihre Beine in der Luft, indem sie

mit den Fersen gegen das Hintertheil schlagen nach

dem Takte eines von allen angestimmten Gesanges.

Es ist eine Art Kriegstanz auf dem Kopfe, der so

lächerlich aussieht, dass niemand, der ihn sah, sich

vor Lachen fassen konnte.«^)

 

Besonders interessant sind die Schaukellieder.

Schon bei den alten Griechen gab es besondere

Schaukelgesänge, die von den Frauen am Eoren-

feste gesungen wurden und die Athenaeus^) in

einer Reihe mit den Arbeitsgesängen nennt. Aller-

dings handelte es sich dabei um das Schaukeln von

Wachsfiguren, die an Bäumen aufgehängt waren.

Spielgesänge zur Brettschaukel singen noch heute

die serbischen Mädchen^) und namentlich die Estinnen.

 

 

 

1) Emmanuel a. a. O. S. 275 fF.

 

2) Shortland, Traditions, p. 160.

 

3) Shortland a. a. O., S. 157.

 

4) XrV p. 618«; vgl. Preller, Gr. Mythologie I», S. 526.

 

5) Ein serbisches Schaukellied findet man bei Gerhard I, S. 73 f.

 

 

 

266 Sechster Theil:

 

Schon im vorigen Jahrhundert schrieb ein Reisender^):

»Die Schaukel ist ein Lieblingszeitvertreib der Ehsten.

Jung und Alt kommt da zusammen; der Vater freut

sich seiner Söhne, die Mutter ihrer Töchter. Man

redet von Neuigkeiten und bringt etwas Speise mit,

weil man an einem Feiertage die mehrste Zeit des

Nachmittags und den ganzen Abend hier bleibt.

Wer was hat, theilt dem, der nichts hat, mit.« »Bei

jedem Dorfe, bei den meisten Krügen imd auch

selbst auf manchen adlichen Höfen findet sich eine

Schaukel. Sie ruht oder hängt zwischen zwei Pfosten

von Holz, und es können sich ihrer zwei bis drei

darauf schaukeln. Das Mädchen setzt sich auf den

hölzernen Sitz, und der Bursche tritt so darauf, dass

jenes sich zwischen den Füssen des. letzteren be-

findet; durch die Bewegung der Kniee und An-

strengung des ganzen Körpers bringt er den Sitz

in solchen Schwung, dass er sich nebst dem Mädchen

rund um die Achse, und oft mehrmals, herum-

schlendert.«^ Meistens jedoch halten die Burschen

bei der Schaukel nicht lange aus; sie ist wesentlich

ein Vergnügen der Mädchen. Bei den estnischen

Setud (im Gouv. Pleskau) werden die Schaukeln nur

 

zu Ostern auf dem Dorfwege errichtet und nach

 

 

Pfingsten wieder auseinandergenommen. »Es exi-

stieren specielle Schaukellieder, die in dieser Zeit

gesungen werden. Eine Vorsängerin beginnt die

Zeile ; beim letzten Wort fallt die übrige Gesell-

schaft ein und wiederholt die Zeile. Unterdessen

legt sich die Vorsängerin einen neuen Vers bereit.

 

 

 

1) Teutscher Merkur vom Jahr 1787, IJI, S. 248 f.

 

2) Petri, Ehstland und die Ehsten, S. 251 f.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 267

 

Da die Dörfer einander recht nahe sind, so hört

man zuweilen von vier bis fünf Stellen Stimmen

herüberschallen«. ^) »Die zahlreichen Schaukellieder

(kikelaulud) nehmen auch fremde Stoffe in sich auf

und scheinen mitunter eine Art Berauschung zu

athmen.«^ Ich theile drei Proben mit:

 

Nr. 152.

 

Dorfes "Weiber, kommt zur Schaukel !

 

Bringet Hühner mit, bringt Eier,

 

Bringet brütende Gänse,

 

Bringet Enten paarweise,

 

Bringt Füsse der Schwimmvögel,

 

Kommt zur Schake zu schwenken.

 

Schiebt die Kinder in die "Wiege,

 

Der Vater wird die Kinder schon säugen.

 

Ich ging zur Scliake zu schwenken,

 

Fand da viele schwarze Strümpfe,

 

Von Annen zwei bunte Bänder,

 

Von Lise städtisches Garn,

 

Von des Kubjas Tochter goldne Tressen,

 

Von einer armen "Waise unechte Tressen. *)

 

Nr. 153.

 

Höher schwinge dich, o Schaukel,

Höher auf und für und fürder,

Dass ich leuchte fern ins Land hin,

"Weit nach Weissenstein hin leuchte.

In des Städtchens Gasse glänze.

Mir der Kranz bis Pemau leuchte,

 

 

 

1) Sitzungsberichte der Gelehrten Estn. Gesellschaft, 1894, S. 89.

Vgl. HUPEL, Topogr. Nachr., H, S. 159.

 

2) Neüs , Esthnische Volkslieder 362 ff. Von den hier abge-

druckten Stücken stammt Nr. 152 aus dem :^Teutschen Merkur^

S. 249 f. ; die beiden andern aus der Sammlung von Neus.

 

3) Diese und andere Sachen hatten die Mädchen, weil sie sich

so wild schaukelten, verloren.

 

 

 

Z6S Sechster Theil:

 

Seine Bänder bis nach Deutschland,

Mir das Kleid bis Kurland leuchte :

Dass der Knabe komm' aus Polen,

Der Beweibte nah' aus Narwa

Ob der Klarheit meines Kranzes,

Ob dem Blinken meines Bandes,

Ob des goldnen Kleides Glanzstoff.

"Wer bringt mir den Kranz aus Pemau?

Vater bringt den Kranz aus Pemau.

Wer bringt Stiefeln mir aus Deutschland?

Mutter Stiefeln mir aus Deutschland.

Wer bringt mir das Kleid aus Kurland?

Bruder mir das Kleid aus Kurland.

 

Höher schwinge dich, o Schaukel !

Schiffe, Schaukel, jenem Lande zu.

Wo die Hähne Goldes trinken,

Hähne Goldes, Hühner Lahnes,

Gänse Silbers, des glänzenden,

Feine Vögelchen Pfennige !

 

Nr. 154.

 

Lasst mich nieder, ich bitte sehr!

 

Lasst ihr nicht, so bitt' ich nimmer,

 

Wiege willig bis zum Abend,

 

Schaukle bis zum schönen Morgen,

 

Singe bis zum Tage selber!

 

Melkt die Föhre wohl die Färse,

 

Führt die Hasel wohl die Herde,

 

Tränkt der Blondkopf traun das Kälbchen,

 

Führt zur Feme fort die Herde!

 

Auf der Herde Steig, was fand sie?

Auf der Herde Steig ein Hühnchen,

Hob und trug es heim zur Mutter.

In die Truhe that's die Mutter,

Unter'm Deckel aufzuwachsen.

So erwuchs ein Sachsenfräulein,

Der erschienen drei der Freier,

Fünf und sechs der Krüge Weines,

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 260

 

Kallewingen, zweie, dreier

 

Der des Mondes, der der Sonne

 

Und der dritt' ein Spross der Sterne.

 

Sie doch versteht es, sie entgegnet:

 

»Nein, ich gehe nicht zum Monde,

 

Nein, ich gehe nicht zur Sonne;

 

Gehe zu der Sterne Sprossen.

 

Bald ja scheint der Mond im Schimmer;

 

Bald ja scheint die Sonne sengend.«

 

In den Saal lud man den Stern ein,

 

Stellte vor ihn hin die Speisen

 

In der silberschönen Schüssel

 

In dem Kelch von edlem Golde.

 

Der Eingang des letzte» dieser Gesänge wird

vielen Schaukelliedern vorgesetzt, um sie einem

vorausgegangenen anzureihen. Der zweite Theil

nimmt auf die finnische Göttersage Bezug. Kalle-

wingen sind die Söhne Kallewi's, des Riesen, des

im Meere treibenden Gottes Wäinämöinen. Die

Jungfrau, die aus dem Hühnchen entsteht, ist die

göttliche Salme, welche sich mit dem ebenbürtigen

Sterne vermählt. Uebrigens' sollen die Finnen selbst

ähnliche Schaukellieder besitzen, wie denn auch das

sonntägliche Vergnügen bei der Schaukel unter ihnen

ganz in den gleichen Formen sich bewegt, wie unter

den Esten. ^)

 

Die estnischen Mädchen haben noch eine ganze

Anzahl Gesellschaftsspiele und zu ihnen eigenthüm-

liche Singweisen. ^ Auch hierbei handelt es sich

um Bewegungen im Takte; doch würde es zu weit

 

1) Neus a. a. O. S. 363 und mündliche Mittheilungen von Herrn

Mag. Hugo Palander.

 

2) Neus a. a. O., S. 382 — 389 theilt allein zu acht derselben die

Lieder mit. — Die Gesellschaftsspiele der Südslaven sind in der Regel

mit Reigentänzen verbunden: Krauss a. a. O. S. 142 ff.

 

 

 

270

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

führen, darauf näher einzugehen, da sie ohne ge-

nauere Schilderung des Vorganges nicht verständ-

lich sind.

 

Wie in den Tanz, so geht die Arbeit nicht

selten unmittelbar auch in solche Spiele über. Es

mag genügen, zwei Beispiele anzuführen. Das erste

betrifft das Halmspiel in Serbien. Ist die Moba

beim Kornschneiden mit einem Acker fertig, so

nimmt einer der Schnitter so viel Halme in eine

Hand, als Mädchen da sind. Jedes Mädchen und

jeder Bursche fasst an einem Ende einen Halm an.

Dann lässt jener die Halme los, und nun müssen

sich diejenigen küssen, die an demselben Halme

angefasst haben. Dabei wird folgendes Lied ge-

sungen:

 

Nr. 155.

 

Lass uns greifen an den Halm, zarten, zartesten!

 

Dass wir sehen, welches Paar, welches Paar sich küsst.

 

Greifet an den zarten Halm, zarten, zartesten!

 

Dass wir sehen, wem das Glück freundlich lachen wird.

 

Dem was Altes, dem was Junges, wie das Glück es schenkt!

 

Sei's was Altes, sei*s was Junges, küssen werd* ich*s doch.

 

Die sich gar nicht küssen wollen, die erschlage Gott!

 

Töte sie die heilige Paraskewia!

 

Thue nun dich auf, o Hand; halte länger nicht!

 

Die an einen Halm gefasst, diese küssen sich!*)

 

Das zweite ist das Sichelwerfen der Esten.

»Um zu sehen, wer von den ledigen Schnitterinnen

zuerst werde Braut werden, treten sie, gewöhnlich

nach Beendigung des Roggenschnittes, singend zu-

sammen, beugen sich, wie beim Schnitt, mit den

Köpfen zur Erde und werfen die Sicheln über die

 

 

 

I) Gerhard a. a. O. H, S. 25.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 7 1

 

Schulter rückwärts. Diejenige, deren Sichel sich

am weitesten entfernt hat, wird für die Glückliche

gehalten.« Eines der hierbei gesungenen Lieder lautet:

 

Nr. 156.

 

Sirrife, ßrrife, firpikenne. Sause denn, sause denn, Sichelchen,

 

KeUife, kellife, köwwera rauda! Klirre denn, klirre denn, krummer

 

Stahl !

 

Kes fe nieift mehhele lähhab, Wer von uns zum Manne wallet,

 

Se firpi eli mingo! Deren Sichel dringe weitest;

 

Kes fe meid koio jääb. Wer von uns zu Haus muss harren,

 

Se firpi mahha waiogo ! Deren Sichel sinke nieder ! ')

 

Mit diesem Liedchen stossen wir bereits an

das Gebiet der Zaubersprüche, Beschwörungs-

formeln, Heilsegen, auf dem das gebundene, stark

rhythmisch vorgetragene, geraunte oder gesungene

Wort die bedeutendste Rolle spielt. Aber das Wort

allein ist nicht kräftig genug, um die erhoffte Wir-

kung zu erzeugen. Die Herbeiziehung übernatür-

licher Kräfte kann überall nur durch Vermittlung

besonders vorgeschriebener symbolischer Handlungen

und Bewegungen erfolgen; viele der letzteren ver-

rathen auf den ersten Blick rhythmischen Charakter:

Streichung des erkrankten Gliedes, Umwickelung mit

einem Faden, Besprengen und sonstige Bewegungen

mit einer Zaubemithe, Hammer- und Axtschläge,

Nachahmung eigentlicher Arbeitsbewegungen. Allein

dieses ganze in der sog. folkloristischen Litteratur

einen so breiten Raum einnehmende Gebiet liegt doch

einer ernsthaften wissenschaftlichen Forschung zu

wenig offen. ^ Nur das eine können wir deutlich

 

 

 

1) Neüs a. a. O., S. 74.

 

2) Ich wenigstens fühle mich nicht im Stande, dieses schwierige

 

 

 

272

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

wahrnehmen, dass überall bei den Naturvölkern die

Schamanen^ Priester, Zauberer, Medizinmänner, oder

wie sie sonst heissen, ihr eigenes Handwerkszeug,

ihre rituellen Gesänge und Tänze besitzen, dass

Lärminstrumente, Masken und Maskentänze bei ihren

Produktionen die grösste Rolle spielen, und dass

diese letzteren doch wohl auch von unserem Stand-

punkte aus unter den Begriff der Arbeit fallen.

Wenn nun aber schon bei der gemeinen Arbeit des

täglichen Lebens Gesang und rhythmische Bewegung

unzertrennlich verbunden sind, wenn hier offenkundig

diese Verbindung in zahlreichen Fällen das Werk

forderte, so miisste es uns fast Wunder nehmen,

wenn man nicht in dem Wortrhythmus selbst ein

Moment des Gelingens, eine Art Zauber erblickt

und ihn auch da dem Bewegungsrhythmus gesellt

hätte, wo man das mit natürlichen Mitteln Unvoll-

bringbare vollbringen wollte.

 

Statt langer Auseinandersetzungen möge die Er-

zählung eines Missionars^) über die Art, wie man in

Madagaskar Kranke kuriert, das veranschaulichen.

»Zweimal am Tage wird ein Tanz aufgeführt. Die

ödy oder Hauszauber werden in den Hof gebracht

und nebst einem Silberthaler auf den hölzernen

Reismörser gelegt. Hierüber breitet man eine Matte

und setzt dann die in wunderlicher Weise geschmück-

ten Kranken auf das Ganze . . . Dann wurden die

Trommeln und Bambusen, die einheimischen Guitarren

oder Banjos bearbeitet und die Flöten geblasen:

 

 

 

Gebiet in grösserem Umfange hier hereinzuziehen. Einiges hat der

Recensent der i. Aufl. im »Literar. Centralblatt« , 1897 Nr. 15 bei-

gebracht.

 

I) SiBREE, Madagaskar, S. 232.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 273

 

alle Einwohner des Dorfes bildeten einen Kreis

um die Kranken und klatschten fortwährend in die

Hände, während die Frauen und Mädchen ein ein-

töniges Lied sangen. Nun begann eine für diese

Gelegenheit erwählte Frau von vornehmem Range

einen Tanz aufzuführen, während eine andere, die

hinter den Kranken sass, unaufhörlich mit einem

Beile gegen einen alten, an einem Stricke hängenden

Spaten schlug und auf diese Weise dicht neben

ihren Ohren ein entsetzliches Getöse vollführte. Man

glaubt hierdurch den ängatra (den bösen Geist, von

dem die Kranken besessen sind), in einen der Tan-

zenden zu treiben. Die beiden Kranken sassen voll-

kommen regungslos, während die Trommeln lauter

und immer lauter erschallten und immer mehr Hände

und Stimmen sich an dem Klatschen und dem Ge-

sänge betheiligten, der zuletzt in ein gellendes

Kreischen ausartete: da sah ich plötzlich zu meinem

grössten Erstaunen die beiden kranken Mädchen auf-

springen und in dem Kreise der Musicierenden herum-

tanzen. Diese Aufführungen werden zwei-, manchmal

auch dreimal an einem Tage veranstaltet, und wenn

trotzdem die Genesung der Kranken nicht bald er-

folgen will, wendet man sich an die Wahrsager, die

allerhand Erklärungen und Entschuldigungen dafür

anzugeben wissen, z. B. dass nicht genug Rindfleisch

oder Rum verabfolgt worden, oder dass die tan-

zenden Personen von nicht genügend hohem Range

gewesen seien.«

 

Das ist ungefähr das Bild aller Exorcismen bei

den Naturvölkern: immer handelt es sich darum,

durch Lärminstrumente, Tanz und besonders kräf-

tige, dem Sänger selbst oft unverständliche Worte

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 18

 

 

 

274 Sechster Theil:

 

die übernatürliche Kraft zu bannen. Auch im Kultus

der Götter, bei Familienfesten (Hochzeit, Be-

schneidung, Totenfeier) ist die Verbindung von Ge-

sang mit Tanz und feierlichem Taktschritt ganz ge-

wöhnlich. Die Lieder der Klageweiber enthalten

meist nur in den Kehrreimen Ueberliefertes und

werden sonst improvisiert. Aehnlich steht es mit

den Leistungen berufsmässiger Sänger. Nach Living-

stone's Tode erschien bei der Leiche ein einhei-

mischer Totenbeklager. »Er trug die bei diesen

Gelegenheiten üblichen Zierraten, bestehend aus

aufgereihten Samenkapseln, an denen kleine klir-

rende Steinchen befestigt sind, führte einen Tanz aus

und sang dabei mit tiefer klagender Stimme:

 

Nr. 157.

 

L^lo kwa Eng^r^s^, Heute starb der Engländer,

 

Muana sisi oa könda; Der andres Haar hatte als wir:

 

Tu kamb* tamb .Eng6r6s6 ! Kommt herbei und seht den Eng-

 

länder !

 

Als diese Aufführung beendet war, zogen sich

der Leidklagende imd sein Sohn mit einem angemes-

senen Geschenk von Perlen zurück.«^)

 

Auch bei Musik- und Gesangsaufführungen, die

lediglich der Unterhaltung dienen sollen, fehlt dieses

Bewegungselement nicht. Bei den Stämmen am

Victoria - Nyanza besitzt jeder grössere Herrscher

seine Kapelle von Trommlern, Hom- und Flöten-

bläsern, welche auf Befehl ihrer Gebieter öfter auch

Europäern ihre Kunststücke vormachen. Kollmann ^

schildert eine derartige Aufführung: »Einmal avan-

 

 

 

i) Waller, Livingstones letzte Reise II, S. 377.

2) Der Nordwesten unserer ostafr. Kolonie, S. 69.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 7 S

 

eierte eine Kapelle schon von weitem mit Musik

vom See aus. Genau im Takt sprangen, krochen

förmlich auf dem Boden und tanzten die Leute

heran. In wilden Sprüngen, oft mit beiden ge-

schlossenen Beinen zugleich, einzeln und im Trupp,

dabei ihre geschmeidigen Körper zeigend, näherten

sich die Spieler immer mehr und mehr. Dann

machten sie plötzlich Kehrt, später wieder Front,

stets dabei die Füsse genau im Takte auf die Erde

stampfend. Bei allen diesen Bewegungen werden

fortgesetzt die Flöten oder Homer geblasen wie auch

die Trommeln gerührt. Den Lärm vermehren noch

kleine eiserne Schellen mit Eisenkugeln darin, die

um die Beine gebunden werden und noch dazu dienen,

den Takt genau anzugeben. Bei mir angelangt, musi-

cierte die Kapelle, die immer noch in einem Glied

dastand, unverdrossen weiter. Ab und zu sprang

einer aus der Reihe näher heran imd gab einige

Solotänze und Sprünge zum Besten; dann tanzte er

wieder an seinen alten Platz zurück . . . Um die

Kapelle herum steht die gaflfende Menge, und die

meisten können sich nicht versagen, selbst mit zu

dem Konzert zu tanzen. Ich sah zwei Weiber, die

die tollsten Sprünge und Verbeugungen riskierten,

wiewohl sie etwa halbjährige Kinder auf dem Rücken

trugen, die ihrerseits nun ebenfalls alle Bewegungen

ihrer vergnügungssüchtigen Mütter nothgedrungen

mitmachen mussten, ohne dass eines derselben einen

Laut der Misstimmung von sich gegeben hätte. Ein-

mal beobachtete ich auch, dass die Musikanten zur

Flötenmusik Lieder sangen, alles unter taktmässigem

Stampfen mit den Füssen. Die Mitglieder solcher

 

Kapellen sind Musiker von Beruf.«

 

18*

 

 

 

2 70 Sechster Theil:

 

Noch eigenartiger tritt rfas Bewegungs-Element

in nachfolgender Erzählung Emin Pascha's^) hervor:

»Ein Sänger macht mir sodann seinen Besuch, Vom

Felle langhaariger Ussoga- Ziegen hat er sich einen

stattlichen schwarzweissen Hängebart zurecht ge-

macht, der ihm den Mund halb verdeckt und nur

dumpf zu sprechen erlaubt. Nachdem er sich im

Kreise der Zuschauer niedergelassen, beginnt er mit

kundiger Hand die Laute zu schlagen, eine sieben-

saitige Guitarre. Schwirrend folgen sich die Töne

eines kleinen Vorspiels, aus dem in einförmiger

Rhythmik eine Art Recitativ sich entwickelt, des

weissen Fremdlings Glasperlenschätze und seine Frei-

gebigkeit preisend. Bemerkenswerth ist die genaue

Takteinhaltung in Gesang und Spiel. Wie der

Gesang sich hebt, so beginnt nun ein regelmässiges

Auf- und Niederbeugen des grossen Bartes, und es

nimmt sich wirklich drollig aus, wenn der Sänger,

seinen Kopf rechts oder links zur Schulter nieder-

beugend, den Bart zur Guitarre tanzend lässt. Als

Haupteffekt aber, der stets unauslöschliches Gelächter

hervorruft, beugt er den Kopf ganz nach dem Rücken

zu so, dass die Bartspitze gerade in die Luft starrt,

und lässt in dieser Stellung ein lang anhaltendes

gurgelndes Rrrr ertönen, zu dem der Bart schwingt.«

 

Diese Erzählung erinnert an die Art, wie die

finnischen Bauern nach dem Berichte Porthan's^

 

 

 

1) »Reisen in Aequatorial- Afrika« in Petermann's Mitth. XXIV

<i878), S. 370.

 

2) Opera selecta, HI, p. 364 sq. und RÜHS, Finnland, S. 327 f.

Der Vorsänger beginnt den Gesang; ist er bis etwa zur dritten Silbe

vom Ende des Verses gelangt, so fallt der Helfer ein, weil er aus

dem Zusammenhange und dem Metrum das kommende Wort leicht

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 277

 

ihre Gesänge vortragen. Es singen immer, auch

in grösserer Gesellschaft, nur zwei: der Vorsänger

und der Helfer. Bei Gesängen aus dem Stegreif

ist der erstere zugleich der Dichter. Beide sitzen

entweder nahe neben einander oder einander gegen-

über, sodass sie sich die rechte Hand reichen können,

die sie auf die aneinander stossendeh Kniee stützen.

»Während des Singens bewegen sie langsam den

Oberkörper, gleichsam als ob sie einander mit den

Köpfen berühren wollten, und machen ein ernstes,

nachdenkliches Gesicht.« Andere Beobachter^ be-

zeichnen diese Bewegung als ein »stetes Vor- und

Rückwärtsbeugen.« Es ist eine Art feierlichen Cere-

moniells, das als uralt gilt. Zu bemerken ist dabei

noch, dass diese finnischen Sänger nicht zum Zwecke

des Erwerbs auftreten, wie es in den beiden vorher-

gehenden Fällen der Fall war.

 

Eins aber scheint aus diesen Beispielen zu er-

hellen. Wie es ursprünglich keine Dichtung giebt,

die nicht gesungen wird, so giebt es keinen Gesang,

der nicht mit irgend einer Art der Körperbewegung

begleitet würde, mag diese nun durch eine Arbeit,

einen Tanz, ein sonstiges Bewegungsspiel oder durch

das Schlagen eines Instruments oder durch willkür-

lich ersonnenen Gebrauch der Gliedmassen herbei-

 

 

 

errathen kann; der Helfer wiederholt darauf mit etwas verändertem

Ton den Vers allein, gleich als wenn er seine Zustimmung gäbe.

Unterdessen schweigt der Vorsänger, bis jener wieder zum letzten

Fusse kommt, den sie zusammen absingen. Dann setzt er den folgen-

den Vers aUein hinzu, bis der Helfer wieder einfallt. Die Zeit, die

dieser ihn ablöst, verwendet der Stegreifdichter dazu, auf die Fort-

setzung zu denken.

 

2) H. Paul, Kanteletar, Einleitung S. VIII.

 

 

 

2*7 8 Sechster Theil:

 

geführt sein. Selbst der Australier, der im Busch

bei seinem Feuer sitzt, begleitet sein eintöniges Lied

dadurch, dass er den Bumerang gegen die Keule

schlägt ^). Oft, wenn an schonen Abenden auf Neu-

seeland Burschen und Mädchen zu gemeinsamem

Gesänge sich versammeln, >kann man sie in einer

Reihe sitzen sehen, das Haar mit Federn geschmückt

und das Gesicht mit rothem Ocker und Holzkohle

beschmiert. Die besten Stimmen beginnen und en-

digen den Vers; aber der Refrain wird vom ganzen

Chor herausgeschrieen, der zugleich eine Art musi-

kalischer Begleitung dadurch bewirkt, dass eine Hand

auf die Brust klatscht, während die andere in die

Höhe 'gehoben und in Schwingungen versetzt wird,

was für das Auge denselben Eindruck macht, wie

der Triller in der Musik für das Ohr,«^ »Machen

die Nilschiffe abends Station, so setzen sich die

Schiffleute (deren Arbeitslieder unser Anhang wieder-

giebt) am Ufer im Kreise auf den Erdboden nieder

und führen händeklatschend ihren Gesang aus, wäh-

rend einer mitten im Kreise tanzt.« ^)

 

Somit bleibt bei diesen Völkern auch in den

Momenten der Ruhe der Gesang, wenn er lediglich

der Erholung und Unterhaltung dient, an die Körper-

bewegung gebunden; beide bilden eine untrenn-

bare Einheit. Ohne rhythmische Körperbewegung

kommt der Gesang bei diesen Völkern überhaupt

nicht vor.

 

Aber diese Erscheinung beschränkt sich nicht

 

1) LuMHOLTZ, Unter Menschenfressern, S. 200 f.

 

2) Shortland a. a. O., S. 169.

 

3) Ambros, Geschichte der Musik, I*, S. lOi. Vgl. Anhang,

Nr. 192.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2 7Q

 

auf die Naturvölker; sie ragt noch in unsere euro-

päische Kulturwelt hinein, wo immer neben der

Kunstdichtung sich eine eigentliche Volksdichtung

auf breiterer Grundlage erhalten hat. In dem

Vorwort einer Sammlung von Uebersetzungen spa-

nischer Volkslieder^) ist zu lesen: »Tanzen, Singen

und Spielen gehört beim spanischen Volke

durchgängig zusammen. Man tanzt nicht , ohne

ein Lied dazu zu singen und ein Instrument zu

spielen; man hört kein Lied und kein Instrument,

ohne dem Körper die flüchtige Bewegung des Rhyth-

mus zu geben. Weil aber Tanzen, Singen und Spie-

len zu gleicher Zeit geübt werden, so liegt darin

auch eine Schranke dieser Belustigungen: der*Tanz

wird kein wildes Springen, das Lied kein Geschrei;

die begleitende Musik bleibt einfach (roh, wenn man

will), seit Jahrhunderten, seit Jahrtausenden. Meist

tanzen im eigentlichen Nationaltanze die Geschlechter

getrennt; die betreffenden Paare beziehen sich in

ihren Bewegungen auf einander, doch ohne die lei-

seste gegenseitige leibliche Berührung, da die Hände

mit Tamburin oder Castaghetten beschäftigt sind.

Dies ist der nationale Tanz in Spanien, die nationale

Lust am Rhythmus der Bewegung. Der Spanier

findet dies alles so rein, so erlaubt, so natürlich, dass

er dem Tanze sogar im Gottesdienste einen Raum

gewährt. Bei den Knabentänzen, welche unter dem

Namen der Seises in der Kathedrale zu Sevilla

während der Octave nach Mariae Empfangniss, in

der Carnevalszeit und am Frohnleichnamsfeste vor

dem Hauptaltare zu Ehren der Jungfrau Maria auf-

 

 

 

I) HosÄus, Spanische Volkslieder u. Volksreime, Vorwort, S. X f.

 

 

 

28o Sechster Theil:

 

geführt werden, erschallen zu den von den tanzenden

Kindern gesungenen geistlichen Sarabanden die

Castagnetten, und ebenso arbeitet Dudelsack, Tam-

burin und Zambamba, wenn in der Woche vor Weih-

nachten in den Kirchen die Musik der Hirten von

Bethlehem aufgeführt wird.« Die Gabe der Impro-

visation ist bei diesen spanischen Volkstänzen noch

fortgesetzt rege.

 

Aehnlich sind bei den Neugriechen »Tanz und

Poesie unzertrennlich verbunden. Der neugriechische

Tanz hat überhaupt etwas von dem mimischen Ele-

ment der alten Orchestik bewahrt. Jede Provinz hat

ihren eigenthümlichen mimischen Tanz. Alle diese

Tänze haben ihre eigenen Weisen und Gesänge, mit

denen sie seit undenklichen Zeiten verbunden sind.

Daneben entstehen aber manche neue Lieder, Weisen

und Tänze. Nie tritt ein solcher neuer Tanz ohne

ein neues Lied auf, dessen mimischen Theil er aus-

macht; nie wird eins gesondert von dem andern aus-

geführt, imd beides sinkt gemeinschaftlich wieder in

Vergessenheit.«^) Dasselbe Hesse sich von den Al-

banesen und Bulgaren sagen. Die Brüder Miladinow,

welche eine grosse Sammlung bulgarischer Volkslieder

herausgegeben haben, nennen den Tanz geradezu

die »Schule, in welcher sich die nationale Poesie

ausgebildet hat.« Dieser Ausdruck lässt sich ohne

grosse Einschränkung auf alle europäischen Völker

übertragen.

 

Es liegt nicht in meiner Aufgabe, die Spuren

des Bewegungsgesanges bis in die litterarische Zeit

der Dichtung hinein zu verfolgen, so reizvoll es an

 

 

 

I) Fauriel, Neugriechische Volkslieder, Einleitung S. LVII.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.

 

 

 

281

 

 

 

sich für den Litterarhistoriker sein möchte; für uns

heisst es auch hier: »Der Buchstabe tötet.« Viel dank-

barer wird es für uns sein, das lebendige Wort auf-

zusuchen, und zwar da, wo es in der europäischen Civi-

lisation fast allein noch seine alte Kraft erhalten hat,

im Kinder lied. Wir bedienen uns da desselben

Mittels, das die Völkerkunde so oft mit Erfolg an-

gewendet hat. Um das Denken und Treiben kultur-

armer Menschenrassen zu verstehen, flüchtet sie zu

dem Leben des Kindes. In diesem aber finden wir

Gesang mit rhythmischer Bewegung fast überall un-

trennbar verbunden. Wenn die Mutter die Wiege

in Bewegung setzt oder den Säugling auf dem Arme

schaukelt, singt sie:

 

 

 

Nr. 158.

 

 

 

^T g ^ .

 

 

 

^^

 

 

 

Schlaf, Kind - eben schlati Dein Va - ter hüt't die

 

 

 

I

 

 

 

^i~J--^

 

 

 

!sz=!s=

 

 

 

?

 

 

 

^ — Ü— f

 

 

 

Schaf; dei - ne Mut - ter hüt*t die Läm - me - lein ;

 

 

 

i

 

 

 

mm.

 

 

 

^:

 

 

 

^ ä

 

 

 

Schlaf mein sü - sses En - ge - lein!

 

Das Kind wirkt hier sozusagen passiv im Rhyth-

mus des Gesanges mit, indem sich die von den Ar-

men der Mutter ausgehende schaukelnde Bewegung

seinem Körper mittheilt, und ebenso geschieht es,

wenn der Vater den Knaben auf dem Knie reiten

lässt und eines der bekannten Hopp-hopp-Liedchen

anstimmt. Aber auch unter den zahlreichen Kose-

 

 

 

282 Sechster Theil:

 

liedchen sind viele von rhythmischen Bewegungen

unzertrennlich. In erster Linie die Händeklatsch-

verschen, z. B.

 

Nr. 159.

 

Bitsche, batsche Kuchen!

 

Der Bäcker hat gerufen.

 

Wer will gute Kuchen backen.

 

Der muss haben sieben Sachen:

 

Eier und Schmalz,

 

Butter und Salz,

 

Milch und Mehl,

 

Safran macht den Kuchen gehl.

 

Femer der Singsang beim Streicheln über das Ge-

sicht oder über die Hand (»Da hast 'nen Thaler« u. s. w.),

beim Berühren verschiedener Körpertheile des Kindes,

wobei diese benannt werden, beim Fingerspiel:

 

Nr. 160.

 

Das ist der Daumen,

 

Der schüttelt die Pflaumen,

 

Der liest sie auf.

 

Der trägt sie heim.

 

Und der klein' Spitzbub isst sie all' allein!

 

Besonders charakteristisch sind die Heilsprüche,

die gesungen werden, wenn das Kind sich gestossen

hat, und zwar unter rhythmischem Streichen der

schmerzenden Stelle:

 

Nr. 161.

 

Heile, heile, Segen !

 

Drei Tage Regen,

 

Drei Tage Schnee,

 

Thut's dem Kindchen nimmer weh!

 

Wenn die Kinder grösser werden und selbstän-

dig zu spielen beginnen, kommt ihre Neigung, Körper-

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.

 

 

 

283

 

 

 

bewegungen mit Gesang zu begleiten, erst recht

zur Geltung. Jean Paul hat einmal das Spiel die

Arbeit des Kindes genannt; aber es giebt einzelne

Spiele, die der Arbeit der Erwachserven besonders

ähnlich sind, und bei diesen lassen sich denn auch

Arbeitstaktlieder von typischer Reinheit nachweisen.

Am verbreitetsten sind die Bastlöselieder (Huppen-

lieder), welche zum Klopfen der Rinde bei der An-

fertigung von Weidenflöten gesungen werden. Hier

zwei Beispiele, das erste aus Westfalen^), das zweite

nach mündlicher Ueberlieferung aus Nassau.

 

Nr. 162.

 

 

 

m

 

 

 

ä

 

 

 

Säpp-ken, Säpp-ken Sun-ner-hot, dat Wa-ter lep da-

 

 

 

^

 

 

 

^

 

 

 

5

 

 

 

4 j^ 4

 

 

 

run-ner ut; de Mo-der was de Pa-pe, de kan dat Säpp-ken

 

 

 

i

 

 

 

X

 

 

 

-&•

 

 

 

ma - ken. Da kam de In - se Kat - ten an nn

 

 

 

^^

 

 

 

nahm de Mo'er dat Säpp-ken af un lep dor-met to

 

 

 

i

 

 

 

3

 

 

 

X

 

 

 

 

 

 

-&-

 

 

 

4 — #

 

 

 

Hol - te, to Hol - te. Säpp-ken, wult du no nich af, ik

 

 

 

i

 

 

 

\

 

 

 

^^

 

 

 

i

 

 

 

5

 

 

 

-^^

 

 

 

ho - we di dre - mol'n Kopp af, Kopp af, Kopp af.

 

 

 

l) Aus der Vierteljahrsschr. f. Musikwissenschaft, VIII, S. 509 f.

 

 

 

284 Sechster Theil:

 

Nr. 163.

 

Saft, Saft Weideholz!

 

Der Bäcker hat en* junge Wolf;

 

Werft en in de Grawe,

 

Fressen *n die junge Rawe.

 

Mudder, geb mer einen Pfennig!

 

»Was willst de mit dem Pfennig du*?«

 

Nadelche kafe!

 

»Was willst de mit dem Nadelche du*?«

 

Seckelche nahe!

 

»Was willst de mit dem Seckelche du*?«

 

Steinercher lese!

 

»Was willst de mit de Steinercher du*?«

 

Vögelche werfe!

 

»Was willst de mit dem Vögelche du*?«

 

Brore, sore!

 

Vögelche ufF 'em Owe!

 

Pfeifche muss gerore.

 

Vögelche ufPm Dach!

 

Dass das Pfeifche wulle, wuUe krach'!

 

Dieser Gesang wird unter starker Hervorhebung

des Rhythmus vorgetragen. Jeder betonten Silbe

entspricht ein Schlag auf das Stück Weidenzweig,

dessen Rinde gelöst werden soll. Besonders be-

merkenswerth ist das absteigende Metrum in der

Rede des Kindes gegenüber dem aufsteigenden in

den Fragen der Mutter, sowie das Ausfallen der bei-

den unbetonten Silben in der ersten Zeile ^).

 

Aehnliche Liedchen werden in Ostfriesland beim

B eiern gesungen, wobei der Klöppel der Kirchen-

glocke von Schulknaben mit der Hand an die Wan-

 

 

 

i) Weitere Beispiele von Bastlöseliedern bei Firmenich a. a. O.,

I, S. 121. 131. 230. 295. 352. 426. 442. II, S. 102. 561. III, S. 175.

Ztschr. für Volkskunde IV, S. 74 ff. VI, S. 99 f. SiMROCK, D. Kinder-

buch Nr. 648 — 660.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 285

 

dung'der Glocke angeschlagen wird. Folgende beiden

Proben verdanke ich freundlicher Mittheilung ^):

 

Nr. 164.

 

Bim, bam, beierlot!

»Wel ist der döt?«

Jan Pokken

 

mit sien krümme Stokken!

»Wel sal hum begrafen?«

De Ranken un de Raven.

»Wel sal hum verlüden?«

Janmann mit sien Buden.

»Wel sal hum versingen?«

De Mester mit al sien Kinner.

»Wel sal hum verpreken?«

Pastor mit sien Deken.

 

Nr. 165.

 

Hund in 't Tau, Hund in 't Tau,

Mesterohm schlöpt noch by sien Frau.

 

Wenn zwei Mädchen in der Schweiz gemeinsam

ein Seil auf und ab schwingen, während ein drittes

darüber springt, (Seilgumpen), so singen sie:

 

Nr. 166.

 

Stümperli, Gümperli, Rumbisbumb,

Chum, mer hänt en Seiligump I *)

 

Wenn die Kinder im Spätsommer und Herbst

schaarenweise in den Wald ziehen, um Heidelbeeren

oder Haselnüsse zu pflücken, Bucheckern und Eicheln

zu lesen, auch wohl beim Ährenlesen auf dem Felde,

 

 

 

1) Die erste von Herrn Pastor W. Lüpkes in Marienhafe, die

zweite von Herrn Dr. Ch. J. Klumker.

 

2) Rochholz, Alemannisches Kinderlied u. Kinderspiel aus der

Schweiz, S. 456.

 

 

 

286

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

pflegen sie in manchen Gegenden Deutschlands Lied-

chen zu singen, die den Ernteliedern der Erwachsenen

verwandt sind^). Sie werden besonders beim Hinaus-

gehen und auf dem Heimwege angestimmt. Als

Probe lasse ich ein in Sachsen bekanntes Heidelbeer-

liedchen folgen.

 

Nr. 167.

 

 

 

^^

 

 

 

5

 

 

 

^

 

 

 

s

 

 

 

I

 

 

 

Heedelbeer'n ! Heedelbeer'n ! Wer will mir das denn verwehren,

 

 

 

w

 

 

 

^

 

 

 

^ — K

 

 

 

^

 

 

 

1

 

 

 

^

 

 

 

^

 

 

 

dass ich schrei-e Hee - del- bee-ren ? Heedelbeer'n ! Heedelbeer*n !

 

Man kann hier schon fast von wirklicher Kinder-

arbeit sprechen. Ebenso in einem von Holub^ er-

wähnten Falle, in dem Betschuanenkinder von 6 bis

10 Jahren den Lehm, welchen ihre Mütter zum Ueber-

schmieren der Wände brauchten, unter monotonem

Gesänge mit den Füssen stampften. Da^s Kinder die

Arbeiten Erwachsener gern nachahmen, besonders

solche von rhythmischem Verlauf, ist bekannt. Ich

führe dafür die Bewegungen des Säens und des Holz-

sägens an, welche imter Gesang ausgeführt werden^).

Viel zahlreicher und über die ganze Welt verbreitet

sind die Ringelreihen- und Tanzspiele, die sich zu

rhythmischen Aufführungen ganzer Geschichten und

Märchen gestalten und in denen sich die Grund-

elemente des Tanzes der Naturvölker noch täglich

 

 

 

1) Beispiele bei Böhme, Kinderlied, S. 190—198 (Nr. 940—974

 

und 976).

 

2) Sieben Jahre in Südafrika, I, S. 459.

 

3) BÖHME a. a. O., S. 216 f. 118 f.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 287

 

vor unsem Augen wiederholen. Sie finden sich in

allen Abstufungen vom einfachen Umzugslied und

Reigentanz mit gleichmässigem Singsang bis zur

ausgeführten Pantomime mit je nach den nöthigen

Körperbewegungen wechselndem Rhythmus und dem

entsprechendem Gesang^). Wer kennt nicht das

Nachahmungsspiel von dem Bauer, der seinen Samen

ausstreut oder von den sieben Söhnen Adams?

 

Sie machten alle so wie ich:

Mit dem Fingerchen tip, tip, tip,

Mit dem Köpfchen nick nick nick,

Mit den Fässchen trab trab trab,

Mit den Händchen klapp klapp klapp!

 

Das lebt alles und bewegt sich alles von selbst

im Rhythmus. Sogar die einfachen Abzählreime

entbehren dieses Elementes nicht, indem dabei der

Arm und Finger bei jeder Zahl oder jedem Verse

die Streck- und Einziehbewegung ausführt.

 

Um über die Vortragsweise der Kinderlieder

auch ein Wort zu sagen, so wird wohl die Mehrzahl

derselben halbsingend recitiert; viele aber werden

auch wirklich gesungen. So namentlich die Ringel-

reigen- und ähnliche Spieltexte. Erst in neuester

Zeit hat man den Melodien einige Aufmerksamkeit

geschenkt^. Der naturwüchsige Kindergesang kennt

 

 

 

i) Es kann auf diese Dinge ohne genaue Beschreibungen der

einzelnen Spiele nicht eingegangen werden. Der Kürze halber ver-

weise ich auf das zweite Buch von Böhmens Kinderlied und Kinder-

spiel und die ähnUchen Sammlungen.

 

2) Hübsche Melodien mit Spielbeschreibungen bei J. Lewaltkr^

Deutsche Volkslieder, in Niederhessen gesammelt (2. Aufl. Kassel 1896)

und bei BÖHME a. a. O. Dort auch die nachfolgende Beurtheilung

der Musik: Einleitung S. LIV fF.

 

 

 

288

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

eigentlich nur eine Melodie. »Diese geht aus Dur,

hat Zweivierteltakt und ist die beständige Wieder-

holung eines Motivs von zwei Takten. Die Stimme

bewegt sich gewöhnlich länger auf einem Tone fort,

welcher bald die Quinte, bald der Grundton ist, be-

rührt zur Abwechslung den Obemachbarton, geht

auf den Anfangston zurück und sucht einen Ruhe-

punkt auf der Terz, mit welcher auch vielfach das

Stückchen geschlossen wird, wenn es nicht am

Schlüsse bis zum Grund abwärts geht. Auf jede

Silbe wird nur ein Ton gesungen. Weil das Vers-

mass der Kinderlieder gewöhnlich trochäisch ist, so

beginnt die Musik mit dem Volltakte. Wo iambische

Verse den Auftakt fordern, wird dieser dadurch her-

gestellt, dass die Unterquarte dem Grundton voran-

gesetzt wird oder der Grundton vor der Oberquinte

hergeht. Bei überzähligen Silben wird eine Viertel-

note in Achtel aufgelöst; wo eine Silbe fehlt, werden

zwei Noten zusammengezogen. Muss des Textes

wegen eine grössere Note in zwei kleinere zerlegt

werden, so geschieht's stets auf der schweren Note.«

Hier ein einfaches Beispiel^):

 

 

 

Nr. i68.

 

 

 

i

 

 

 

b

 

 

 

^mm

 

 

 

ft

 

 

 

=?

 

 

 

p=

 

 

 

IHat eins ge-schla-gen, kommt im - mer noch nicht.

Hat zwei ge-schla-gen, kommt im - mer noch nicht

 

 

 

:l

 

 

 

Hat

 

 

 

i) Das bekannte Kinderlied: »Das böse Thier«. Die Kinder

ziehen paarweise oder in einer Reihe dahin und singen diesen Ge-

sang. Eines der Mitspielenden lauert als wildes Thier in einem Ver-

steck. Bei »zwölf« stürzt es auf die unter Geschrei sich Zerstreuen-

den los und sucht eins davon zu fangen, welches dann an seiner

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.

 

 

 

289

 

 

 

 

i

 

 

 

i:

 

 

 

zehn ge-schla-gen, da ruckt* s! Hat elf ge-schla-gen, da

 

A A

 

 

 

^H-"^=q i

 

 

 

^=i-

 

 

 

^

 

 

 

^

 

 

 

zuckt's !

 

 

 

Hat zwölf ge - schla-gen, da kommt*s!

 

 

 

So einfach das ist, so wird sich doch nicht ver-

kennen lassen, dass unser Kinderlied unter der fort-

währenden Einwirkung der Kindergärten, der Schule

und des Gesangs der Erwachsenen steht und aus

diesen Quellen manche melodische Elemente auf-

nehmen konnte, die ursprünglich dem Bewegungs-

gesange fremd waren. Wir dürfen uns darum nicht

wundern, wenn die Gesänge derjenigen Naturvölker,

die man als die niedrigststehenden anzusehen pflegt,

ein noch einfacheres Gepräge aufweisen, indem das

Musikalische in ihnen sich fast ganz auf den Rhyth-

mus beschränkt.

 

Am genauesten sind in dieser Richtung die

Mincopie auf den Andamanen erforscht^). Sie haben

eigentlich nur eine Weise, einerlei, wovon der Ge-

sang handelt. Hauptgegenstände des letzteren sind

die täglichen Arbeiten: Bootbau, Anfertigung eines

Bogens, die Jagd auf Schweine, das Schiessen von

Fischen, das Spiessen von Schildkröten. Religiöse

Gesänge giebt es ebensowenig als Ammen- und

Liebeslieder. Musik, Rhythmus, Accent und Into-

 

 

 

Stelle wildes Thier wird. Böhme a. a. O. S. 563 f. Vgl. oben

Nr. 37.

 

I) M. V. Portmann im Journal of the R. Asiatic Society of

Gr. Br. XX (1888), S. 181 ff. Das Folgende ist aus dieser Arbeit

meist wörtlich ausgezogen.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. I9

 

 

 

390

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

nation sind kein Kennzeichen für den Inhalt eines

Gesanges, und wer die Sprache nicht versteht, könnte

nicht wissen, ob ein Lied von einem Gefecht, einer

Jagd oder der Anfertigung eines Bootes handelt.

 

Der englische Beobachter hat eine Reihe dieser

Gesänge in unserer Notenschrift aufgezeichnet. Ob-

wohl nach seiner Aussage der Stimmumfang der

Andamanesen, Männer und Frauen, gewöhnlich eine

Oktave erreicht, so bestehen doch jene Gesänge

sämtlich in der rhythmischen Aneinanderreihung ein

und desselben Tones. Manchmal erscheint derselbe

allerdings etwas erhöht oder vermindert; allein diese

Nachbartöne weichen vom Grundton (meistens e) nur

um je einen Viertelton ab^). Die einzigen Elemente,

welche für den Aufbau einer Melodie zur Verfügung

stehen, wären daher:

 

 

 

^aAJTr'i

 

 

 

Man darf fragen, ob Singweisen, die sich in so

ausserordentlich engen Grenzen bewegen, noch als

Melodien bezeichnet werden können, ob sie nicht

vielmehr für sich schon als ausschliesslich rhyth-

mische Gebilde angesehen werden müssen. Aber

für sich allein kommt der Gesang bei den Andama-

nesen überhaupt nicht vor. Er wird entweder zur

 

 

 

I) Portmann notiert an einigen Stellen sogar Verschiebungen

um einen Achtelton. Für das Gehör eines musikalischen Europäers

ist schon eine Hebung oder Senkung um einen Viertelton schwer

fassbar. Da der Verfasser an anderer Stelle sagt, »das Ohr der An-

damanesen sei nicht scharf genug, um kleine musikalische Intervalle

zu unterscheiden«, so liegt ein unerklärlicher Widerspruch vor.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 201

 

Arbeit oder zum Tanze vorgetragen; dort bildet er

mit der Arbeitsbewegung und dem Arbeitsgeräusch

eine rhythmische Einheit; hier wirkt er mit dem Tanz-

schritt, dem Klatschen der Hände und dem Schall

der Pukuta^) zusammen — lauter streng rhythmischen

Bestandtheilen, in deren Vereinigung . kleine Ab-

weichungen der Stimme verschwinden müssen.

 

Obwohl die Andamanesen zu jeder Beschäftigung

singen, so ist doch der Tanz ihre einzige wirklich

musikalische Aufführung. Er wird bei jedem wich-

tigeren Ereigniss in ihrem Leben veranstaltet, nach

einer erfolgreichen Jagd, bei den Trauer- und Weihe-

ceremonien, beim Besuch von Freunden u. s. w. Ihr

Haupttanz, der in jeder grösseren Niederlassung fast

alle Abend aufgeführt wird, vollzieht sich in folgen-

der Weise. An einem Ende des wohl gereinigten

Tanzplatzes stellt sich der Leiter des Ganzen mit

der Pukuta auf, einem unten etwas ausgehöhlten

schildartigen Brette, das vor ihm am Boden auf einem

untergeschobenen Steine liegt. Eine Anzahl Frauen

sitzt in einer Reihe zu seiner Linken und ein Haufe

Männer hinter und rechts von ihm. Statt der Frauen

oder neben ihnen nehmen auch Kinder an der Auf-

führung Theil. Die Tänzer stehen oder sitzen am

andern Ende des Platzes. Der Leiter beginnt als

Vorsänger den Gesang ; an einer bestimmten Stelle fallt

der Chor ein, und damit beginnt auch der Tanz. Die

Frauen sitzen aufrecht, die Beine vor sich ausge-

streckt und etwas oberhalb der Knöchel gekreuzt;

mit der einen offenen Hand, die sie mit der andern

 

 

 

i) Vgl. oben S. 54 f. Dieses Schallholz * ist übrigens das einzige

musikalische Instrument der Mincopie.

 

19*

 

 

 

292

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

am Gelenk halten, klatschen sie auf die innere Seite

der Schenkel, während die nicht am Tanze bethei-

ligten Männer die Hände im Takte zusammenschlagen.

Der Leiter schlägt die Pukuta mit einem Fusse, bez.

mit der Ferse desselben. Wie sich das Ganze mu-

sikalisch ausnimmt, zeigt folgendes Beispiel.

 

 

 

Solo.

 

 

 

Nr. 169.

 

 

 

^

 

 

 

F=5=iE

 

 

 

^

 

 

 

p

 

 

 

ä

 

 

 

Ik ngät köpa löka t^ - tän oi - tan

 

 

 

i

 

 

 

f=ll!

 

 

 

i lf I i t- I It f

 

 

 

^m

 

 

 

uch - obd dön klchal dö, uch 6ba

 

 

 

d.

 

 

 

I

 

 

 

Kinderstimmen.

 

 

 

^^

 

 

 

¥==

 

 

 

I

 

 

 

Weiberstimmen.

 

 

 

li^^

 

 

 

t

 

 

 

Männerstimmen.

 

 

 

grig

 

 

 

m

 

 

 

^

 

 

 

: ^ ^ \ f \ k f lif^=y

 

 

 

V V , V

 

 

 

 

 

 

o

 

CO

 

 

 

i

 

 

 

Uch-öba - dd

Tanzschritt.

 

 

 

kö d6dd oh! oh! oh!

 

 

 

Uch-öba-

 

 

 

w==

 

 

 

s^

 

 

 

«0

 

B

 

 

 

^

 

 

 

Pukuta- Schläge , Händeklatschen.

 

 

 

% — ^

 

 

 

m

 

 

 

^

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung.

 

 

 

293

 

 

 

 

Dieser Gesang ist das Werk eines Mannes Na-

mens WoiCHELA vom Stamme der Aka Jawai; er

schildert, wie der Dichter einen Bogen machte, und

zwar ganz allein. Er lautet in Uebersetzung :

 

Vorsänger: Ihr habt das nicht gemacht; ich machte es.

 

Ich, ich, ich machte es.

Chor: Ich, ich, ich machte es.

 

Wie dieser, so bestehen alle bekanntgewordenen

Andamanesen-Gesänge nur aus zwei oder drei kurzen

Sätzen^). Der letzte Satz ist meist der inhaltlich

 

 

 

I) Einige weitere Proben mögen hier noch stehen (bezeichnet

nach den Nummern Portmann*s): Nr. 6. Solo: Maia Poro sah

von meinem Boote aus eine fette Schildkröte im Wasser und schoss

ihr in das Auge. Poro lachte, als er sie in das Auge schoss. Chor:

Poro lachte etc. — Nr. 7. Solo: Am Ende des Tages gingen wir

langsam (durch den Wald nach Hause) und hörten den Schall von

einem Kanoe, das gezimmert wurde. Chor: Wir gingen langsam.

 

 

 

294

 

 

 

Sechster Theil:

 

 

 

wichtigste; er wird auch allein vom Chor als Refrain

aufgenommen und nach Belieben wiederholt. Während

nun der Vorsänger, der zugleich der Dichter und

Komponist des Gesanges ist, sich nach Aussage des

Beobachters etwcis frei im Takte bewegt, geht der

Chor immer im festen Rhythmus des Zweiviertel-

taktes. Männer und Kinder singen beim Refrain

die Töne des Solos unisono mit, während die Frauen

dazu die oberen Quintenparallelen anstimmen. Die

 

Pukuta ertönt bei jedem Viertel (J J), und das Stam-

pfen der Tänzer (J J^ J^) begleitet das Ganze. Ist

man des Refrains müde, so wird oft noch ein eignes

Finale angehängt, das aus lauter sinnlosen Ausrufen

besteht und bei den verschiedenen Stämmen kon-

ventionell zu sein scheint, z. B.

 

Vorsänger: Obe date are a!

Chor: Te are are a!

 

Damit endet der Gesang; es folgt eine Pause,

in der nur die Pukutaschläge und das rhythmische

Stampfen zu hören sind; das letztere wird immer

 

rascher und wilder, indem es aus dem J ^ ^ \J ^ ^

 

in das S'J'I'J'WJ'J'I'j' übergeht und nach

wenigen Takten gänzlich aufhört.

 

Wir haben somit in den Tanzaufführungen der

Mincopie ein vierfach zusammengesetztes rhythmisches

Gefüge: Tanzbewegung, Pukutaschlag , Händeklat-

schen und Gesangsstimmen, die sich wieder in Män-

 

— Nr. 8 (Lied einer Frau). Solo: Ich richtete das Steuer und liess

das Boot in die See, und dann brachte ich es zurück. Chor: Dann

brachte ich es zurück. Nr. 9. Solo: Ich zimmre unten am Vorder-

theil eines Bootes; ich zimmre an einem Boote. Chor: Ich zimmre

an einem Boote.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 205

 

ner-, Frauen- und Kinderstimmen gliedern. Alle diese

Elemente wirken akustisch; bei drei von ihnen aber

sind die Töne nur Folgeerscheinungen von rhyth-

mischen Körperbewegungen: beim Schall der Tanz-

füsse, bei dem Klappern der Pukuta und beim Klat-

schen der Hände. Dass aber die Körperbewegungen

die Grundlage des Ganzen sind, geht klar aus dem

vom Beobachter hervorgehobenen Gegensatze des

Solos zuxn. Chorgesang hervor. Die Zeitverhältnisse

des Solos sind unsicher; »nur der Chor bewegt sich

streng im Takte;« denn jenes beginnt ohne Beglei-

tung; dieser aber ist gebunden an die festen Masse

rhythmischer Gliederbewegung ^). Wir erkennen da-

ran, dass der Gesang dieser Völkchen das einzige

musikalische Merkmal, auf das er Anspruch erheben

darf, den Rhythmus, nicht aus sich selbst besitzt,

dass er überhaupt noch nicht zu selbständigem Da-

sein gelangt ist.

 

Dies zeigt sich auch in der Art, wie der Gesang

entsteht und wie er die Sprache behandelt. »Jeder

Andamanese dichtet und komponiert Gesänge. Von

einem Manne oder einer Frau, die das nicht ver-

möchten, würde man wenig halten. Selbst kleine

Kinder sind dazu im Stande. Wer einen Gesang

für den Abendtanz komponieren will, thut das bei

einer Arbeit, die ihn nicht aufregt oder zerstreut.

 

 

 

I) Aehnliche Verhältnisse scheinen bei den Gesängen der Australier

obzuwalten, von denen Lumholtz a. a. O. S. 59 und 199 zwei längere

Proben mittheilt, darunter ein Korriborritanzlied. Beide Gesänge be-

ginnen mit einem melodisch bewegteren Eingang, gehen aber nach

kurzer Zeit in ein andauerndes rhythmisches Gebrumme auf demselben

Tone über. Der Berichterstatter bemerkt auch hier : »Die Eingeborenen

haben weniger Gehör für Melodie als für Takt.«

 

 

 

2q6 Sechster Theil:

 

indem er es so lange damit versucht, bis er zufrieden

und die Weise ihm geläufig ist.« Ist so das Lied

bei der Körperbewegung entstanden, so trägt es der

Komponist des Abends auf dem öffentlichen Tanz-

platze vor, ist dabei aber anfangs etwas unsicher,

bis nach wenigen Takten die gewohnte Begleitung

einsetzt. »Dem Rhythmus zu Liebe verändern und

kürzen die Andamanesen die Worte ihrer Sprache,

sodass man fast sagen kann, sie besässen eine eigene

Dichtersprache.« Nach einem andern Beobachter

wäre es »nichts Seltenes, dass der Dichter eines

neuen Liedes sowohl die Sänger als das Publikum

erst in gewöhnlicher Sprache über den Sinn auf-

klären muss.« Auch das wäre unerklärlich, wenn

der Gesang ein selbständiges sprachliches Gebilde

wäre, wird aber völlig verständlich, wenn wir ihn

einem der Sprache fremden rhythmischen Gesetze

untergeordnet denken.

 

Dieselben Eigenthümlichkeiten weisen die Ge-

sangsaufführungen anderer tiefstehender Völker auf.

Auf den Inhalt scheint ihnen wenig anzukommen;

sie wissen oft selbst nicht anzugeben, was sie singen.

Entweder werden Wörter und Sätze im Liede an-

einandergereiht, die keinen Sinn ergeben, oder es

werden sinnlose Naturlaute immer von neuem wieder-

holt. Australische Stämme sollen Lieder von andern

Stämmen übernehmen, deren Sprache sie gar nicht

verstehen. Aber auch, wo der Gesang einen sinn-

vollen Inhalt erlangt, erhebt derselbe sich selten

über das Nächstliegende: die Leiden und Freuden

des Dichters und seine unmittelbaren Erlebnisse.

Das formale Element, auf das die Naturvölker darnach

allein Werth legen, ist jedoch nicht die Melodie.

 

 

 

Gesang mit andern Arten der Körperbewegung. 2Q7

 

Ihre Gesänge sind monoton, fast melodienlos; auch

die entwickelteren unter ihnen erreichen fast nie

den Tonumfang einer Oktave, und ebenso vermisst

man bei ihnen das harmonische Element. Alle Be-

obachter weisen vielmehr darauf hin, dass bei ihnen

allein dem Rhythmus Bedeutung beigelegt, dieser

aber auch mit aller Stärke hervorgehoben wird^).

Ueberall aber treten diese Gesänge in Verbindung

mit Körperbewegungen auf, an die sie sich anlehnen.

So hat uns das Zurückgehen auf die unterste

unsrer Beobachtung noch zugängliche Stufe socialen

Daseins dasselbe gelehrt, wie das Hinabsteigen in

die Kinderwelt: die unzertrennliche Verbindung des

Gesanges mit dem Bewegungsrhythmus des mensch-

lichen Körpers, und nachdem wir die gleiche Ver-

bindung in zahlreichen Fällen auch bei Völkern

höherer Gesittungsstufen kennen gelernt haben, ver-

liert die merkwürdige Vereinigung von Arbeit und

Gesang das Befremdliche, das sie für den ersten An-

 

 

 

I) Vgl. oben S. 44. 47 f. Ratzel a. a. O. I, S. 465. Manches

hierher Gehörige hat Grosse, Die Anfänge der Kunst, S, 236 fF. und

S. 270 fF. zusammengestellt. Derselbe irrt nur darin, dass er die Ge-

sänge der »Wilden« wesentlich als Träger von Melodien, also als

musikalische Leistungen, betrachtet wissen will, während die von ihm

citierten Gewährsmänner allein die rhythmische Seite betonen. So

Eyre (Discoveries in Central Australia II, 229): »Viele Australier

können nicht einmal über den Sinn der Lieder ihrer eigenen Heimat

Auskunft geben, und ich bin geneigt anzunehmen, dass die Erklä-

rungen, welche sie liefern, im Allgemeinen sehr unvollkommen sind,

da man auf das Mass und die Quantität der Silben ein weit

grösseres Gewicht zu legen scheint als auf den Sinn«. Und

ein anderer Berichterstatter schreibt : »In allen Korriborriliedem wieder-

holen und versetzen sie die Worte, indem sie offenbar reinen Unsinn

singen, um den Rhythmus zu variieren oder einzuhalten«

(Barlow, Joum. Anthrop. Inst. II, 174).

 

 

 

J

 

 

 

2q8 Sechster Theil: Gesang mit anderer Körperbewegung.

 

blick hatte und tritt in einen grossen Zusammenhang.

Die Gesamtheit der rhythmischen Bethätigungen des

Menschen, die in unserer Kulturwelt jede für sich

ihr selbständiges Dasein haben und scheinbar eignen

Gesetzen folgen, stellt sich uns, je weiter wir zurück-

gehen, um so mehr als eine Einheit dar, die auf der

festen Grundlage der anatomischen und physiolo-

gischen Verhältnisse unseres Körpers beruht. Diese

Einheit ist über den blossen Mechanismus der auto-

matischen Bewegung hoch emporgehoben durch das

poetisch-musikalische Begleitelement, das sie zwar

missen kann, das aber selbst zu einem Eigendasein

noch nicht gelangt ist.

 

 

 

VII. Der Ursprung der Poesie und Musik.

Unsere Untersuchung hat uns Körperbewegung,

Musik und Dichtung in engster wechselseitiger Ver-

bindung gezeigt. Wie sind sie ursprünglich zu-

sammengekommen? Waren diese drei Elemente vor-

her, jedes für sich unabhängig vom andern sein

Sonderdasein führend, wie in unserer heutigen Kul-

turwelt, bereits vorhanden und erscheinen hier nur

zufallig mit einander verbunden? Oder sind sie etwa

alle drei zusammen entstanden und nur später durch

einen langsamen Differenzierungsprozess von einander

getrennt worden? Und wenn dies der Fall ist,

welches von den drei Elementen bildet in ihrer ur-

sprünglichen Vereinigung den Kern, an den die

andern sich anschliessen?

 

Wenn wir diese Fragen zu beantworten versuchen,

so können wir von der Thatsache ausgehen, die all-

gemein anerkannt wird, dass nämlich Poesie und

Musik ursprünglich nie getrennt vorkommen. Poesie

ist regelmässig auch Gesang; Wort und Weise ent-

stehen zugleich mit einander; keins kann ohne das

andere bestehen. Nun wissen wir bereits, dass das

Wesentliche an diesem Doppelgebilde, dem Gesang,

für die Naturvölker sein Rhythmus ist. Woher

stammt dieser?

 

 

 

302

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

und da ihnen ähnliche Laute gerade in den ur-

wüchsigsten unserer Arbeitsgesänge das Grundele-

ment bilden, so liegt die Vermuthung nahe, dass

diese Gesänge, bez. ihre Refrains nur als Figuration

jener von der Arbeit unzertrennlichen Naturlaute

anzusehen sind.

 

Der erste Schritt, den der primitive Mensch bei

seiner Arbeit in der Richtung des Gesanges gethan

hat, hätte also nicht darin bestanden, dass er sinn-

volle Worte nach einem bestimmten Gesetze des

Silbenfalls aneinander reihte, um damit Gedanken

und Gefühle zu einem ihm wohlgefälligen und andern

verständlichen Ausdrucke zu bringen, sondern darin,

dass er jene halbthierischen Laute variierte und sie

in einer bestimmten, dem Gang der Arbeit sich

anpassenden Abfolge aneinanderreihte, um das Ge-

fühl der Erleichterung, das ihm an und für sich jene

Laute gewähren, zu verstärken, vielleicht es zum

positiven Lustgefühle zu steigern. Er baute seine

ersten Arbeitsgesänge aus demselben UrstofF, aus

dem die Sprache ihre Worte bildete, den einfachen

Naturlauten. So entstanden Gesänge, wie sie oben

noch mehrfach mitgetheilt werden konnten (Nr. 74, 75

 

 

 

Entstehungsgrund hat? Der hart arbeitende Mensch pflegt auf der

Akme der einzelnen Muskelspannung eine Inspirationspause zu machen,

indem er durch einen Muskelverschluss der Stimmritze die gespannte

Luft in der Lunge am EntweicTien hindert. Mit der Erschlaffung des

arbeitenden Muskels wird dann zumeist die Glottis ^durch einen Ex-

spirationsstoss gesprengt' und es kommt durch Schwingen der Stimm-

bänder zu einer sogenannten tönenden Exspiration. Diese äussert sich

je nachdem als ein offener Vokal a, aoh, höh! oder als ein dumpfer

Vokal mit einem Lippenverschluss-Consonanten als Endung: uff^ up!

Es wäre Sache des Versuchs, ob auf diesen Laut die Körperstellung

— gebückt, aufrecht u. s. w. — von massgebendem Einfluss ist.«

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 303

 

118), die lediglich aus sinnlosen Lautreihen bestehen

und bei deren Vortrag allein die musikalische Wir-

kung, der Tonrhythmus, als Unterstützungsmittel des

Bewegungsrhythmus in Betracht kommt.

 

Der nächste Fortschritt hätte dann darin be-

standen, dass man einfache Sätze zwischen jene

Lautreihen einschob. Aber die ungelenke Sprache

wollte sich der Einspannung in ein rhythmisches

Gesetz nicht sofort fügen, und so wurde sie verge-

waltigt. Man wich von der gewöhnlichen Art des

Sprechens ab, liess Silben ausfallen und zog andere

auseinander. So entstanden jene besonderen Dichter-

sprachen neben der Sprache des gewöhnlichen Lebens,

wie wir eine bei denMincopie gefunden haben (S. 296),

wo der Dichter-Komponist sein Lied erst durch eine

Erklärung verständlich machen muss. Aber als Kehr-

reime dauern jene sinnlosen Lautreihen noch sehr

viel länger fort und schieben sich ohne Rücksicht

auf den Inhalt der Gesänge überall ein, in epische

wie in lyrische Stücke. Insbesondere spielen sie beim

Wechselgesang der Arbeitsgemeinschaften eine grosse

Rolle, wo nur der Vorsänger einen wirklichen Text

giebt, der Chor sich aber auf Wiederholungen und

den Refrain beschränkt. Dieser ist also das Feste, Ur-

sprüngliche; der Text aber wird improvisiert, und so

entsteht mit jeder neuen Arbeit eine neue Variation

des alten Gesangs.

 

Schliesslich emancipiert man sich auch noch von

diesen Kehrreimen, und der Arbeitsgesang wird ganz

und gar zur dichterischen Schöpfung. Aber auch die

entwickeltsten Beispiele desselben erscheinen noch —

mit wenigen Ausnahmen — eng mit der Arbeit selbst

verbunden. Fast alle knüpfen stofflich an die Arbeit

 

 

 

304

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

oder die sie begleitenden Umstände an, oder bringen

Gefühle und Empfindungen der Arbeitenden zum Aus-

druck. Auch wo sie unter dem Einfluss der allge-

meinen Kulturentwicklung über diesen Vorstellungs-

kreis hinausgreifen, kann kein Zweifel sein, dass sie

mit und bei der Arbeit entstanden sein müssen.

Noch immer handelt es sich nicht um fixierte Texte.

Ueberall erscheint nur der durch die Arbeit gegebene

Rhythmus als das Feste; er haftet so sicher im Ge-

dächtniss der,Menschen, wie sich ihre Glieder durch

fortgesetzte Uebung dem einfachen Gang der Arbeit

angepasst haben. Der Inhalt dagegen ist wandelbar;

er wird durch Zeit und Gelegenheit immer wieder

von neuem gegeben. Daher die von den Beobach-

tern überall mit Staunen bemerkte Leichtigkeit der

Improvisation, in die der Fremde selbst mit hinein-

gezogen wird und die auf jedes neue Ereigniss sich

einen neuen Vers zu machen weiss. Und hier voll-

zieht sich wieder etwas Ahnliches, wie auf der vor-

ausgegangenen Stufe. »Fast alle Völker, die den

improvisierten Gesang als Volkslied pflegen, verfügen

über einen Schatz von allgemein bekannten Versen,

die den eisernen Bestandtheil aller Improvisationen

bilden und den dichterisch weniger Begabten als

Zuflucht dienen.«^) An diesen Bestand hat auch der

begnadete Dichter anzuknüpfen, und das einzig Dau-

ernde, was er schaffen kann, besteht darin, ihn zu

vermehren.

 

So ist die Arbeit selbst eine Quelle und ein

Tragwerk, zunächst künstlerischer Sprachgestaltung

und weiterhin auch urwüchsiger, volksthümlicher Poe-

 

 

 

I) H. Franke im »Globus« LXXV, S. 238.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. .•105

 

sie. Während Tausende der vom Augenblick ge-

borenen Cantilenen rasch wieder verschwanden, wie

sie gekommen waren, vermochte besonders Gelunge-

nes sich länger zu erhalten, ^e jenes griechische

Mühlenliedchen, welches die Erinnerung fortpflanzte,

dass auch Pittakos einst sich der harten Arbeit des

Mahlens unterzogen hatte. So entstanden traditio-

nelle Liedertexte, die auch von ändern in ihrem

ganzen Umfang bei der gleichen Arbeit gesungen

wurden. Aber die Improvisation verschwindet da-

neben nicht vollständig. Hat sie sich doch selbst

bei uns in den landschaftlich oder lokal überlieferten

Flachsreff- und Brechliedem der Bauern insofern er-

halten, als dort die Namen der jedesmal angesunge-

nen Personen in den fixierten Text eingefügt und

ihre Attribute nach den Umständen geändert werden.

 

Wir kommen damit zu der Entscheidung, dass

Arbeit, Musik und Dichtung auf der primitiven Stufe

ihrer Entwicklung in eins verschmolzen gewesen

sein müssen, dass aber das Grundelement dieser

Dreieinheit die Arbeit gebildet hat, während die

beiden andern nur accessorische Bedeutung haben.

Was sie verbindet, ist das gemeinsame Merkmal des

Rhythmus, das in der älteren Musik wie in der äl-

teren Poesie als das Wesentliche erscheint, bei der

Arbeit aber nur unter bestimmten, in primitiven

Wirthschaftsverhältnissen allerdings weit verbreiteten

Voraussetzimgen auftritt.

 

Damit hat uns unsere Untersuchung auf einen

Punkt geführt, an den bei ihrem Beginne nicht ge-

dacht werden konnte, dem aber auch jetzt nicht mehr

auszuweichen ist: auf die alte Räthselfrage nach dem

Ursprung der Poesie. Ich glaube nicht, die meinem

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 20

 

 

 

2o6 Siebenter Theil:

 

Fache gesteckten Grenzen zu überschreiten, wenn

ich auf diese Frage eine Antwort wage, die vor den

bis jetzt versuchten Lösungen wenigstens den einen

Vorzug hat, dass sie keine blosse Hypothese, sondern

den Schlusssatz einer auf empirischem Wege gewon-

nenen lückenlosen Beweiskette bildet. Meine Ant-

wort lautet aber nicht, wie man vielleicht erwarten

wird, schlechthin: Der Ursprung der Poesie ist in

der Arbeit zu suchen. Denn die Naturvölker — es

kann das nicht oft genug wiederholt werden — kennen

unseren Begriff der Arbeit in seinem technisch- wirth-

schaftlichen und berufsmässig-ethisqhen Sinne über-

haupt nicht, und es müsste darum zu Missverständ-

nissen führen, wenn ihnen zugeschrieben würde, was

sie nicht besitzen konnten. Was wir Arbeit nennen:

die Körperbewegung, welche ein ausser ihr liegendes

nützliches Ergebniss hat, fallt bei ihnen noch zu-

sammen mit jeder andern Art der Bewegung, auch

derjenigen, deren Zweck in ihr selbst oder in den

begleitenden Umständen liegt. Wir werden darum,

um nicht gegen den Sprachgebrauch zu Verstössen,

sagen müssen: es ist die energische rhythmische

Körperbewegung, die zur Entstehung der Poesie ge-

führt hat, insbesondere diejenige Bewegung, welche

wir Arbeit nennen. Es gilt dies aber ebensowohl

von der formellen als von der materiellen Seite der

Poesie.

 

In Beziehung auf die materielle Seite lehrt uns

schon eine flüchtige Durchmusterung der oben mit-

getheilten Arbeitsgesänge, dass in ihnen alle Haupt-

gattungen der Dichtung vertreten sind. Allerdings

herrscht die Lyrik vor; dazwischen finden sich aber

auch epische Stücke, und das dramatische Element

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. ¦207

 

ist Überall zu erkennen, wo bei Arbeiten im Gleich-

takt ein Vorarbeiter (Vorsänger) mit seinen Gehilfen

(dem Chor) im Gesänge wechselt. Doch ist auf diese

Unterscheidungen bei dem* embryonalen Zustande

der Arbeitspoesie kein allzu grosses Gewicht zu

legen ^).

 

Wenden wir uns darum sofort zu der formellen

Seite unserer Frage als der bei weitem wichtigeren,

so leuchtet sofort ein, dass bei der Arbeit die rhyth-

mische Reihe den gleichen Ablauf aufweist wie bei

der Poesie. Ihre Einheit bildet dort die einzelne

Xörperbewegnng ; für den Dichter ist sie durch den

Versfuss gegeben. Nun wissen wir bereits (S. 26),

dass jede einzelne Arbeitsbewegung etwas Zusammen-

gesetztes ist: Hebung und Senkung, Einziehung und

Streckung des Glieds oder Werkzeugs (Zusammen-

ziehung und Ausdehnung des Muskels), entsprechend

der Arsis und Thesis beim Versfusse — allerdings

nur im antiken Sinne dieser Ausdrücke, der bekannt-

lich dem Sprachgebrauche der neueren Metrik ent-

gegengesetzt ist. Nim könnte man daran denken,

die Analogie dieser beiderseitigen rhythmischen Ein-

heiten zu einander in direkte Beziehung zu setzen,

dergestalt, dass man annähme, es habe die Körper-

bewegung selbst den Anläss geboten ihre Massver-

hältnisse auf die sie begleitenden Laute oder Worte

zu übertragen, indem man den Wortictus immer mit

dem Moment der höchsten Muskelanstrengung habe

zusammenfallen lassen.

 

In der That wird sich bei der Begleitung eines

Arbeitsvorgangs durch Gesang das gegenseitige Ver-

 

 

 

I) Vgl. auch Grosse, a. a. O., S. 225.

 

 

 

20*

 

 

 

oo8 Siebenter Theil:

 

hältniss von Körperbewegung und Liedertext in

manchen Fällen so gestaltet haben (z. B. bei dem

lesbischen Mühlenliedchen). Aber der blosse Be-

wegungsrhythmus und der Sprachrhythmus sind doch

durch eine zu grosse Kluft von einander geschieden,

als dass man den einen unmittelbar aus dem andern

entstanden denken könnte. Vielmehr ist eine Brücke

zwischen ihnen zu suchen, und wir finden diese in

den im zweiten Kapitel (S. 28) schon erwähnten

Tönen, welche viele Arbeiten bei der Berührung

des Werkzeugs oder Körpergliedes mit dem Stoffe

von selbst ergeben. Die Wirkung dieser Arbeits-

geräusche, soweit sie rhythmischen Verlauf von sich

aus haben oder durch das Zusammenwirken mehrerer

Arbeiter erhalten, ist zweifellos eine musikalische.

Sie regen unwillkürlich zur vocalen Nachahmung an,

wie wir noch an unseren Kinderliedern beobachten

können, welche das Klappern der Dreschflegel und

die verschiedenen Handwerksgeräusche in Worten

nachbilden^), ebenso aber auch an den volksthüm-

lichen Texten, welche in manchen Gegenden dem

Klange desjenigen Musikinstrumentes untergelegt

werden, das in seiner Wirkiing den Arbeitsgeräuschen

am meisten verwandt ist, der Trommel^. Aehnlich

 

 

 

1) Zahlreiche Beispiele bei Böhme, Deutsches Kinderlied und

Kinderspiel S. 229 ff. Vgl. oben S. 109.

 

2) Bei BÖHME a. a. O. S. 233 ff. und Erk- Böhme, Deutscher

Liederhort III, S. 597, sind Proben mitgetheilt, von denen folgende

hier Abdruck verdienen:

 

I. Oesterreichischer Zapfenstreich.

 

Gehts ham, gehts ham, ihr Lumpenhiind,

Ihr fresst dem Kaiser 's Brot umsunst!

Gehts ham, gehts harn, gehts ham!

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 30O

 

werden wir uns auch die Anregung denken müssen,

welche von den Tonrhythmen vielgeübter Arbeiten

ausgegangen ist und den Naturmenschen veranlasst

hat, sie mit der Stimme nachzubilden, und es wird

nun nur noch darauf ankommen, solche Tonrhythmen

nachzuweisen, deren einfachste Glieder den gewöhn-

lichsten Massen der Verse entsprechen. Wir können

dies hier nur in allgemeinster Weise thun.

 

Alle Arbeit beginnt mit dem Gebrauch der

menschlichen Gliedmassen, der Arme und Beine,

bez. Hände und Füsse, die sich, wie wir wissen,

schon von Natur rhythmisch bewegen. Und zwar

gebraucht der nackte, waffen- und werkzeuglose

Mensch fast ebenso häufig die Füsse zu seiner Ar-

beit, als die Hände, weil er bei jenen die ganze

Schwere des Körpers die Muskelkraft des Beines

verstärken lassen kann. Ich erinnere an die Häufig-

keit des Stampfens oder Tretens bei älteren Arbeits-

processen: das Treten der Wäsche in der Grube bei

 

 

 

2. Preussischer Zapfenstreich.

 

Putzt mir nicht mit Hammerschlag,

 

Putzt mir nicht mit Sand!

 

Mit Kreide, mit Kreide!

 

Sonst kommt der Herr Sergeant!

 

3. Französischer Appell.

 

Kam'rad komm, Kam'rad komm !

Kam'rad komm mit Sack und Pack!

Kommst du nicht, so hol ich dich.

So kommst du in Prison.

 

Vergl. auch das berühmte Trommellied der deutschen Landsknechte

über die Schlacht bei Pavia : Vilmar, Handbüchlein für Freunde des

deutschen Volksliedes (2. Aufl. Marburg 1868), S. 45 f. u. Wolfram,.

Nass. Volkslieder Nr. 19..

 

 

 

3IO

 

 

 

Siebenter Tbeil:

 

 

 

Homer, das Stampfen der Aehren beim Dreschen,

der Tücher beim Walken, der Felle beim Gerben,

der Trauben beim Keltern, das Kneten des Teiges

mit den Füssen beim Backen, des Thones bei der

Arbeit des Töpfers, des Lehmes beim Ziegelstreichen ^).

 

Die ersten Werkzeuge sind Stein und Keule,

jener zum Schlagen, Reiben und Stossen, diese bald

als Schlägel, bald als Stampfe dienend. Zwei Steine,

von denen einer auf dem andern mit pressender Kraft

bewegt wird, geben die älteste Form der Mühle, ein

festliegender in Verbindung mit einem beweglichen

Steine Amboss und Hammer, die Keule in Verbin-

dung mit einem ausgehöhlten Stück Baumstamm

oder einem vertieften Steine den Mörser, das Haupt-

gerät des primitiven Haushalts.

 

So gelangen wir zu den Grundformen der Ar-

beitsbewegung: Schlagen, Stampfen, pressendes Rei-

ben (Schaben, Schleifen, Quetschen). Nur die zwei

ersteren sind in ihrem Zeitmass durch den kurz ab-

gebrochenen Schall, den sie erzeugen, und durch den

räumlichen Verlauf der Bewegung scharf genug ab-

gegrenzt, um bei ihrer rhythmischen Gestaltung von

selbst eine musikalische Wirkung zu erzeugen. Kommt

hier die menschliche Stimme hinzu, so braucht sie in

Hebung und Senkung, in Dehnung und Kürzung des

Lautes nur dem Schall der Arbeit selbst zu folgen

oder ihn zu begleiten. Wir werden also unser Augen-

merk auf diese Stampf- und Schlagrhythmen zu rich-

 

 

 

i) > Jeder regt nicht nur die ileissigen Hände, sondern häufig

auch die Füsse,* die früh gelernt haben das Werk der Hände zu unter-

stützen.« Jagor, Ostindisches Handwerk und Gewerbe, S. 9. Viele

Beispiele bei Andree, »Der Fuss als Greiforgan« in s. »Ethnogr.

Parallelen u. Vergleichen« (Lpz. 1889), S. 228 ff.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. ^ 1 1

 

ten haben, und in der That finden wir hier leicht die

einfachsten Metren der Alten wieder.

 

Der lambus und Trochäus sind Stampfmasse: ein

schwach und ein stark auftretender Fuss; der Spon-

deus ist ein Schlagmetrum, überall leicht zu erkennen,

wo zwei Hände im Takte klopfen; Daktylus und

Anapäst sind Hammermetren, noch heute in jeder

Dorfschmiede zu beobachten, wo der Arbeiter

einem Schlage auf das glühende Eisen zwei

kurze Vor- oder Nachschläge auf den Amboss vor-

ausgehen oder folgen lässt^). Der Schmied nennt

das »den Hammer singen lassen«. Endlich kann man,

wenn man noch weiter gehen will, die drei Päo-

nischen Füsse auf jeder Dreschtenne oder auf den

Strassen unserer Städte beobachten, wo immer drei

Steintreiber mit Handrammen im Takt die Pflaster-

steine einstampfen. Je nach der verschiedenen Kraft-

aufwendung der Einzelnen, bez. der Fallhöhe der

eisernen Rammen kommt bald der Creticus, bald der

Bacchius bald der Antibacchius zu Stande.

 

Soviel bloss zur Veranschaulichung. Es soll mit

dieser Darstellung nicht gesagt werden, dass die

betreffenden Metren gerade so entstanden sein müssten

und nicht auch aus anderen ähnlichen Arbeitsvor-

gängen, bez. -Geräuschen entstanden sein könnten.

Jedenfalls dürfte es sich lohnen, wenn von kundiger

Seite dieser Weg einmal weiter verfolgt würde. Nur

darf man nicht erwarten, dass sich auf demselben

sofort alle Räthsel der antiken oder irgend einer

 

 

 

I) Es ergiebt sich von selbst, dass, wenn diese Vor- oder Nach-

schläge einmal unterlassen werden, ebenfalls der Spondeus, bez. Mo-

lossus herauskommen muss.

 

 

 

? 1 2 Siebenter Theil :

 

andern Metrik lösen werden. Man darf hier eben

nicht vergessen, dass alle ältere Poesie nur gesangs-

weise vorgetragen wurde, wobei das Sprachmaterial

nur zu leicht vergewaltigt wurde, dass aber die Vers-

kunst, einmal vorhanden, ihre eigenen Bahnen ver-

folgt, sobald das Gedicht von Musik und Körper-

bewegung sich losgelöst hat und genügend selb-

ständig geworden ist, um sein Sonderdasein zu

führen.

 

Dieser Loslösungsprocess ist an einzelnen Stellen

seiner Bahn noch ziemlich gut zu erkennen. Aber

er vollzieht sich viel langsamer, als man auf den

ersten Blick anzunehmen geneigt sein wird; er voll-

zieht sich auch nicht bei allen Gattungen der Dich-

tung gleich leicht und vollständig. Am schwersten

bei der dramatischen, die wir desshalb auch zuerst

betrachten.

 

Erinnern wir uns zunächst wieder, dass bei

der desultorischen Veranlagung des Naturmenschen

für ihn eine scharfe Scheidung zwischen Arbeit und

Spiel oder sonstiger Thätigkeit nicht besteht, so

werden wir verstehen, dass beide sehr leicht in

einander übergehen konnten. Die Malinke und Bam-

bara im westlichen Sudan bearbeiten ihre Felder,

wie die meisten Völker Afrikas, mit einer kurz-

stieligen Hacke. Alle stehen in einer Reihe, Männer

und Frauen, tief herabgebückt, und munter schreitet

so die Arbeit vom Morgen bis zum Abend voran,

fast ohne Ruhepause. Die Frauen verlassen das

Feld etwas früher als die Männer, um die Abend-

mahlzeit zu Hause zu bereiten. Kommen die Männer

zurück, so gehen manchmal die Frauen ihnen ent-

gegen, und alle zusammen ziehen singend, tanzend

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 313

 

und mit den Händen den Takt schlagend in das

Dorf ein, voraus ein paar Tamtam- und Flötenspieler^).

Ahnliche Scenen spielen sich überall bei der Rück-

kehr von der Jagd, vom Fischfang, von einem Kriegs-

zug ab, und wie hier die Arbeit unmittelbar in Spiel,

Gesang und Tanz ausläuft, so werden wir uns auch

nicht wundem können, dass vielfach der Arbeits-

gesang auf andere Lebensverhältnisse übertragen

wird, dass er den Zwecken der geselligen Unterhal-

tung, der Festfeier, ja der Gottes Verehrung dient.

 

Aber so fest ist noch der Zusammenhang zwischen

Körperbewegung und gebundener Rede, dass das

Lied nicht für sich bestehen kann. Es nimmt viel-

mehr die Arbeitsbewegungen mit sich, gestaltet ihre

rhythmisch-künstlerische Seite weiter aus, während

die wirthschaftlich-technische verkümmert, und so ent-

stehen jene weitverbreiteten pantomimischen Tänze,

deren beste man für werth hält, auch im Dienste der

Götter verwendet zu werden.

 

So hatten die Neuseeländer nach der Erzählung

des englischen Missionars J. L. Nicholas^) einen Ge-

sang, den sie beim Pflanzen der Bataten zu singen

pflegten. Dieser Gesang, berichtet er, »beschreibt

die Verwüstung von einem sich erhebenden heftigen

Ostwind. Dieser Wind vernichtet der armen Insu-

laner Bataten. Sie pflanzen sie von neuem, und da

sie nun glücklicher damit sind, so äussern sie beim

Ausnehmen derselben ihre Freude mit den Worten:

Ah kikil ah kiki! ah kikil »Esset nun zu! esset nun

zu! esset nun zu!« welches der Schluss des Gesanges

 

 

 

1) Les Colonies fran9aises V, p. 305 f.

 

2) Reise nach u. in Neuseeland, a. a. O. S. 46 f.

 

 

 

314

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

ist.« Der Missionar fügt dann weiter hinzu, dass

dieser Gesang auch bei allen Festen der Maori ge-

sungen werde. »Gewohnlich ist er (dann) von Tanz

begleitet, und die Attitüden und Bewegungen steilen

das ganze Verfahren des Pflanzens sowohl als des

Ausgrabens der Bataten vor.« Ich theile hier den

Text des Gesanges, wie ihn Nicholas wieder-

giebt, mit:

 

Nr. 170.

 

MäränghT tähöw nämackäh üteeäh

 

mitühu nihuni

Mytängbo hö wy üteeäh närtäckö thöwhy

 

Nartäcko thöwhy

He-äh-äh, üteeäh-üteeah-üteeäh,

He-äh-äh cärmothü

Hg-äh-äh cärmothü

He-äh-äh tätäpT

Tärhäh tätäpär-tätäpar-tätäpär.

He-äh-äh tennä tönäh

 

He-äh-äh

Kl-e-äh tennä tönäh

He-äh-äh-tennä tönäh

He-äh-äh kiki, he-äh-äh kiki

Ah-äh kiki, äh kiki, äh kikl!

 

Wie man sieht, ist der Rhythmus ein ausser-

ordentlich wechselnder, stellenweise sehr bewegter,

an die verschiedenen Arbeitsverrichtungen von der

Saat bis zur Ernte der Lieblingsfrucht sich an-

schmiegender. Ein anderer ähnlicher Gesang schil-

dert einen Mann, der ein Boot baut, von den Fein-

den dabei überrascht, verfolgt und erschlagen wird.

Er ist reines Tanzlied, scheint aber ursprünglich auch

ein Arbeitsgesang der Bootzimmerer gewesen zu sein.

In beiden Fällen kommen zur spielenden Wiedergabe

der Arbeitsvorgänge im Tanze noch andere drama-

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 5 1 e

 

tische Momente, und man erkennt leicht die Anfange

des Weges, der zur Ausbildung einer eigentlichen

dramatischen Dichtung führen kann.

 

Noch einfacher gestaltet sich die Uebertragung

solcher Arbeitsgesänge in den Kultus da, wo die

Arbeit sich auf einem Gebiete bewegt, das einer

bestimmten Gottheit heilig ist. Es kann dann nicht

fehlen, dass diese Gottheit in den Liedern, die zur

täglichen Arbeit gesungen werden, genannt und ge-

priesen wird. Aber auch umgekehrt wird die Ar-

beit selbst, die man im gewöhnlichen Leben zur

Nothdurft und im Schweisse seines Angesichts ver-

richtet, in festlicher Aufführung zu Ehren des Gottes

symbolisch wiederholt und mit ihr der sie beglei-

tende Gesang, wobei der letztere allmählich die

Kunst form annimmt. So ist jenes altgriechische

Schnitterlied mit dem Refrain

 

nXsiarov oiXov tsL, ovXov isl

 

geradezu zu einem Hymnus auf Demeter ausgestaltet

worden^), und eine ähnliche Uebertragung scheint

bei den Festen der ackerbauenden. Indianer statt-

gefunden zu haben. »Das Erntefest der Irokesen

wird alljährlich zur Zeit des Reifwerdens des Mais

wiederholt. Es sind im Ganzen 89 Lieder, die von

zwei Sängern und stets in derselben Ordnung ge-

sungen werden. Die Aufführung dauert ßY^ — 4 Stun-

den mit einer längeren Pause und trägt einen gottes-

dienstlichen Charakter.« ^) Die Feste, welche sich an

die verschiedenen Arbeiten des Ackerbaus anknüpfen.

 

 

 

1) Athen. XIV p. 618^.

 

2) Th. Baker, Ueber die Musik der nordamerikanischen Wilden

(Leipzig 1882), S. 59.

 

 

 

^ 1 6 • Siebenter Theil :

 

sind ein Gemeingut aller Völker^); feierliche Auf-

züge, mimischer Tanz und Gesang sind ihnen ge-

meinsam und geben Gelegenheit zu symbolischer

Wiederholung jener Arbeiten und der ihnen eige-

nen Gesänge, die so von selbst zu Kultgesängen

werden^.

 

Aber ausser dieser symbolischen Wiedergabe

alltäglicher Arbeiten erfordert der Dienst der Götter

noch andere, die ihm eigens gewidmet sind. Man

braucht nur an das Weben des Peplos der Pallas

Athene durch attische Jungfrauen zu denken, an das

Mahlen des Mehls zu den Opferkuchen und Aehn-

liches^), wobei rhythmische Bewegung^) und Gesang

eine Hauptrolle spielten. Viel reicher noch ist dieses

Element im indischen Kultus^) entwickelt. Ich er-

innere hier nur an die Somalieder des Rig-Veda,

welche das ganze Arbeitsverfahren vom Sammeln

des Krauts bis zum Stossen und Auspressen desselben

begleiten. So wird z. B. (I, 28) der Mörser ange-

redet:

 

Wenn du in jedem Hause auch,

O Mörsereben, wirst angeschirrt,

So töne doch am hellsten hier,

Gleichwie der Sieger Paukenschlag.

 

I) Vgl. Mannhardt, Mythologische Forschungen, Kap. I (Lity-

erses). Preller, Griech. Mythologie I, S. 601. Rom. Myth. S. 406 f.

Ratzel, Völkerkunde I, 296. 394. 571.

 

2)' Man vergleiche die Aussagen der Alten über die Entstehung

der bukolischen Dichtung: Bucolici Graeci ed. Ahrens, p. i sq.

 

3) Vgl. z. B. Aristoph. Lysistr. 641 ff.

 

4) Deren gedenkt z. B. mit Bezug auf das Mahlen des Opfer-

mehls ein frgm. adesp. Anthol., S. 1047 Nr. 21 (Bergk):

 

xai TtaxvöTisXiig ccXst'glg ngbg ^ivXriv 'KLVovy.ivri.

 

5) Vgl. Hili.ebrandt, Das altindische Neu- und Vollmondsopfer,

Jena 1879. Schwab, Das altindische Tbieropfer, Erlangen 1886.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. ^17

 

Und dir, o Mörserkeule, weht

Der Wind vor deinem Angesicht;

Dem Indra presse nun zum Trunk

Den Soma aus, o Mörser du!

 

Und darauf die beiden Pressplatten:

 

Die opfernd reichlich Kraft verleihn,

Sie sperren weit den Rachen auf.

Wie Rosse, welche Kräuter kau'n.

 

Ihr Bretter, presset beide heut'

Dem Indra süssen Somasaft,

Durch hohe Presser ihr erhöht!

 

Nimm, was noch in der Schale bleibt.

 

Den Soma giesse auf das Sieb,

 

Und bring ihn in den Lederschlauch! *)

 

Wie man sieht, folgt das Lied genau den ein-

zelnen Arbeitsverrichtungen, die sich bei der heiligen

Handlung ergaben, und das Gleiche lässt sich bei

den Agni-Liedem beobachten, wo die Erzeugung des

Reibfeuers und das ganze Opfer-^Ritual in seinem

Verlaufe anschaulich geschildert wird.

 

Und so scheint ein grosser Theil der religiösen

Dichtung sich ursprünglich eng an die rituellen Be-

wegungen angeschlossen zu haben, welche der Dienst

der Götter erforderte, an die »Arbeit« der Priester

und Kultgenossen; ja rhythmische Bewegung des

Körpers und begleitender Gesang verschmelzen auf

dieser Stufe der Entwicklung so sehr in eins, dass

sie bei den Griechen mit einem Worte (jioksci^ aus-

gedrückt werden^). Die grosse Rolle, welche der

 

 

 

1) Nach der Uebersetzung von H. Grassmann, II, S. 28.

 

2) K. O. MÜLLER, Gesch. der griech. Litteratur I, S. 37. Vgl.

das attische Priestergeschlecht der Eumolpiden: Preller, a. a. O. I,

615 und oben S. 251.

 

 

 

3i8 Siebenter Theil:

 

Tanz und der feierliche Taktschritt in ihrem älteren

Kultus spielte, die mancherlei symbolischen, von

Chorgesängen begleiteten Handlungen, welche nicht

bloss den Dienst der Demeter, sondern auch den

des Dionysos kennzeichneten, brauchen hier nicht

weiter geschildert zu werden. Aber daran muss er-

innert werden, dass vielfach im täglichen Leben

Arbeit und Kultus fast unmerklich in einander über-

gingen. Am schönsten ist dies in der Homerischen

Erzählung von der Weinlese ausgedrückt, die auf

dem Schilde des Achilleus abgebildet war: ein Fuss-

pfad führt zu dem Rebgarten; darauf tragen mun-

tere Jungfrauen und Jünglinge die süsse Frucht in

geflochtenen Körben, in ihrer Mitte ein Knabe, der

die Phorminx spielt und dazu mit zarter Stimme ein

schönes Linoslied singt; »jene aber folgen im Tanz-

schritt, alle zugleich mit den Füssen stampfend, amter

Gesang und Jauchzen.«^)

 

Fast alle Arbeiten, welche mit dem Weinbau in

Beziehung stehen, haben ihre besonderen Lieder bei

den Altena, und viele gewiss auch ihren eignen

Rhythmus, sodass TibuU in doppeltem Sinne Recht

haben dürfte, wenn er vom Weine sagt^):

 

nie liquor docuit voces inflectere cautu,

Movit et ad certos nescia membra modos.

 

Die bekannteste dieser Arbeiten ist das Treten

der gelesenen Trauben in der Kelterkufe, das in der

Regel von mehreren Männern mit nackten Füssen

 

 

 

1) II. i8, 561—572.

 

2) Reiche Stellen Sammlung bei Magerstedt, Der Weinbau der

 

Römer (Bilder aus der röm. Landw.), S. 183 fF.

 

3) El. I, 7, 37 f.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 2 ig

 

geschah, und das schon im alten Testament häufig

erwähnt wird^). Israeliten wie Griechen und Römer

kannten dazu gehörige Lieder [i^ik'i^via ^ikri).

 

Tbv iisXavdxQOiva ßdTQVv

TocXccQOLg (f^QOVTSg ävdgsg

fiera nocQ^ivav in' io^Kov,

narcc Xrivbv Sh ßaX6vtsg,

^ovov agasveg narovaiv

araq)vlriv^ Xvovtsg olvovy

^iya xbv d'sbv HQorovvrsg

iniXrivioiaiv viivoig,

iQcctbv nid'OLg ögannsg

viov ig iiovrot Bd%%ov' xrX. *)

 

Das laute Stampfen der Keltertreter erscheint

dem Dichter hier geradezu als ein Preisen des Gottes

neben ihren Gesängen, von deren muthwilligem Inhalt

die weiter folgenden Verse eine Vorstellung geben.

Man wird zugeben müssen, dass es hier einen Unter-

schied zwischen der unter lautem Gesang sich rhyth-

misch vollziehenden Tagesarbeit und der symbolischen

Darstellung derselben bei der Festfeier des Dionysos

kaum noch giebt^). Als Vermittler zwischen beiden

tritt auch hier der Tanz ein, von dem sich die Fuss-

arbeit der Keltertreter ja kaum unterscheidet*).

 

1) Z. B. Jerem. 25, 30. 48, 33. Aehnlich war das Verfahren bei

der Oelgewinnung. Vgl. Magerstedt, Die Obstbaumzuclit der Römer,

S. 263.

 

2) Anacreont. 58 (Bergk, S. 833).

 

3) Es ist uns bei Athen. V, p. 199* die Schilderung eines Fest-

zugs erhalten, welchen Ptolemaios Philadelphos in Alexandria ver-

anstaltete. Dort heisst es u. a. : h^f^g biX%bxo aXXr] xBtqdyf.v%Xog ^if]-

Tiog nrix&v stuoai, nXdtog ixxaidfxor, vnb icvdg&v r^ianoaCov' iq>'

^g Tiocrsa'KSvaaro Xrivbg nrix&v s^noat, Tsaadgcavy nXdxog nsvrsHaiSs'Ka,

nXi/JQrig, aragwXijg. incctovv Sh k^rjyiovra adrvQOi, ngbg avXbv aöov-

zsg fiiXog iniXtiviov icpsLari/jyLSL d' a'brotg öSiXrivog ntX.

 

4) LONGUS, Past. II, 36 erwähnt die iittXrivLog ÖQX'fl^'^S der

 

 

 

S20

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

Einmal in die höhere Lebenssphäre der Fest-

verherrlichung eingetreten, erfahrt das natürlich aus

der Arbeit erwachsene Dreigebilde von Körperbe-

wegung, Musik und Dichtung eine rein künstlerische

Ausgestaltung. Dieselbe zeigt sich wohl zunächst

in der reicheren Figuration der Körperbewegungen,

dann in der gehaltvolleren Art der Liedertexte und

ihrer Melodien. Schliesslich wird das, was früher

die blosse Nachahmung einer Arbeitsverrichtung war,

zur Darstellung eines ganzen Menschenschicksals, das

die blosse Mimik des tanzenden Chores nicht mehr

völlig zu veranschaulichen vermag. Es tritt der

Schauspieler hinzu, oder vielleicht richtiger gesagt:

der Vorsänger wird zum Schauspieler, und so ent-

steht das attische Drama. Immer aber bleiben in

ihm die Chöre der Hauptbestandtheil der Tragödie

und Komödie, wenn auch ihre Tänze und Lieder

sich differenzieren^).

 

Wer die ältere Geschichte des antiken Dramas

verstehen will, wird die mimischen Tänze der heu-

tigen Naturvölker oder das Theaterwesen der Ost-

asiaten studieren müssen. Auf Schritt und Tritt

wird er sich auf die rhythmisierte Körperbewegung

zurückgeführt sehen, die an Arbeitsvorgänge anknüpft ;

ja, wenn wir einer Versicherung des Livius*) trauen

dürfen, so wäre auch die altitalische Komödie aus

tuskischen Tänzen entsprungen, die zuerst bloss mit

 

 

 

Hirten und Bauern. Seneca Ep. 15, 4 spricht von dem saltus saliaris

aut fullonius, findet also, dass die Bewegungen bei dem altehrwürdigen

tripudium der Salier mit den Arbeit'sbewegungen der Walker identisch

sind.

 

I) Vgl. K. O. MÜLLER, Gesch. d. griech. Litteratur II, S. 29 ff.

 

2) vn, 2.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. ^21

 

Flötenbegleitung, aber ohne Text aufgeführt wurden

und mit denen später die römischen Saat- und Ernte-

gesänge verbunden worden wären ^). Wir hätten

dann hier das erste Beispiel einer zeitweisen Los-

lösung des Gesanges von der Körperbewegung und

könnten uns dadurch belehren lassen, dass das Drama

in erster Linie ein mimisches, nicht ein poetisches

Gebilde ist.

 

Aber die Nachricht des Livius ist unsicher, und

so wird im Ganzen festzuhalten sein, dass die dra?-

matische Dichtung alle drei Elemente der rhythmi-

schen gesangbegleiteten Arbeit zunächst künstlerisch

weitergebildet hat. Dass ihre Trennung erst in hi-

 

 

 

i) Auf alle Fälle knüpft die Entstehung des nationalrömischen

Dramas an ländliche Feste und Aufführungen an. Vgl. Teuffel,

Gesch. d. röm. Litteratur § 3 — 9. Ribbeck, Gesch. d. röm. Dichtung,

I, S. 8 fF. Die römischen Dichter (vgl. TibuU, I, 51 fF,, Lucret. V,

1390 fF., Hör. Ep. II, I, 140 fF.) betrachteten es als ausgemacht, dass

alle Poesie zuerst bei den Bauern und Hirten entstanden sei. — Von

den mancherlei Vermuthungen , die über das älteste römische Vers-

mass und die Entstehung seines Namens- (versus Satumius) vorgebracht

worden sind, scheint mir die schon von den Alten vertretene, welche

es mit dem Saatgott Satumus in Verbindung bringt, allein haltbar.

Vielleicht ist versus Saturnius nicht sowohl der Vers des Saatgottes,

xds der Vers des Säers. Dass das Komsäen eine rhythmische Arbeit

ist, weiss schon Plinius, N. H. XVIII, 54, und er schreibt geradezu

vor, dass die Hand mit dem Schritte des rechten Fusses gleiches

Zeitmass bevbachte, oder, wie man bei uns sagt, über das rechte Bein

werfe. Während also die erste Bewegung des Sämanns darin besteht,

dass der linke Fuss antritt und die rechte Hand in den Sack greift,

hat er bei der zweiten gleichzeitig mit dem rechten Fuss vorzuschreiten

und den Samen auszuwerfen. Dies bedingt ein stärkeres Auflreten

des rechten Fusses. Das alles würde mit dem Metrum

 

 

 

vortrefFlich stimmen. Noch heute wird in Italien beim Säen gesungen.

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 21

 

 

 

32 2 Siebenter Theil:

 

storischer Zeit sich vollzogen hat, ist bekannt. Voll-

ständig ist sie nie durchgeführt worden. Ja wir

haben in dem Musikdrama Richard Wagners eine

Wiederanknüpfung an die ältesten Stadien dieser

Entwicklung erlebt, die auch darin sich als »Renais-

sance« zu erkennen giebt, dass sie rhythmische Ge-

staltung der Bewegungen der Schauspieler-Sänger

verlangt.

 

Etwas anders vollzieht sich die Verselbständi-

gnng der lyrischen und der epischen Dichtung. Da

die älteren Arbeitsgesänge keinen feststehenden Text

haben, sondern je nach Zeit und Gelegenheit impro-

visiert werden, so kann das Gedicht selbst auch zu-

nächst noch keine selbständige Existenz gewinnen.

Vielmehr ist es der musikalische Theil des alten

Arbeitsprozesses, der erst zu einem Sonderdasein

gelangt: die Melodie. Eine solche textlose Melodie

verzeichnet z. B. Hagen ^) aus Upolu mit der Be-

merkung: »Der Text des Gesanges wird improvisiert

und bezieht sich auf jüngst stattgefundene Ereig-

nisse.« Es ist also auch bei dieser freigewordenen

Melodie das Wort mit der Weise durchaus nicht

solidarisch, und das ist lange so geblieben. Spuren

dieses Zustandes finden ^ich sogar noch bei vielen

unserer älteren Volkslieder, die »nach bekannter

Melodie« gedichtet sind.

 

Mit der Feststellung dieser Thatsache finden wir

uns unversehens vor eine neue Aufgabe gestellt.

Denn nun ist es unmöglich, dem ewig wandelbaren

Theile der alten dreigliedrigen Verbindung, der Dich-

tung, für sich nachzugehen. Es wird vielmehr noth-

 

 

 

I) a. a. O. Taf. XI, 5 und S. 24.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. x2Z

 

wendig, uns zuvörderst an das einzig Festbleibende,

die Melodie, zu halten, und damit stehen wie vor der

Frage nach der Entstehung der Musik. Bei ihrer

Beantwortung kann ich mich sehr kurz fassen^).

 

Wir wissen bereits, dass die Geräusche vieler

rhythmisch verlaufenden Arbeiten von sich aus mu-

sikalisch wirken. Ebenso steht vollkommen fest, dass

die Naturvölker an der Musik allein den Rhythmus

schätzen, während sie für die verschiedene Tonhöhe

und für Harmonie keine Empfindung haben ^). Um

also in ihrem Sinne jene Arbeitsgeräusche zur Höhe

von Kunstgebilden zu erheben, kam es offenbar nur

darauf an, die Töne, welche das Werkzeug bei der

Berührung mit dem Stoffe abgab, zu verstärken und

zu veredeln, ihren Rhythmus mannigfaltiger und dem

Gefühlsausdruck angemessener zu gestalten.

 

Natürlich mussten zu diesem Zwecke die Arbeits-

werkzeuge, zu welchen wir auch die Waffen zu

rechnen haben, sich differenzieren: Es mussten ahn-

liehe Vorrichtungen, wie sie bei der Arbeit bestan-

den, hergestellt und dabei versucht werden, die

Schallwirkung nach Tonstärke und Klangfarbe zu

vervollkommnen. Es lag nahe, dass man sich dabei

in erster Linie an die Schlagrhythmen und Schlag-

werkzeuge hielt, bei denen die erstrebte Art der

musikalischen Wirkung am ausgesprochensten her-

vortritt und bei denen überdies der Spielmann ähn-

liche rhythmische Körperbewegungen auszuführen

hat, wie bei der Arbeit. So entstanden aus Arbeits-

 

 

 

1) Dies um so mehr, als ich bezüglich der seitherigen Ansichten

auf das betreffende Kapitel bei Grosse, Anfange der Kunst, S. 265 fF.,

verweisen kann.

 

2) Grosse a. a. O., S. 270 f.

 

 

 

21*

 

 

 

324

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

instrumenten Musikinstrumente, und es ist ausser-

ordentlich bezeichnend, dass unter ihnen die mehr

rhythmischen als tonischen Schlaginstrumente am

frühesten auftreten und noch heute bei den Natur-

völkern am weitesten verbreitet imd am beliebtesten

sind. -So vor allem Trommel und Pauke, Gong und

Tamtam, Schallhölzer und -Stöcke, Klappern und

Rasseln der verschiedensten Art^). Die Trommel,

bez. Pauke, ist für manche Naturvölker das einzige

musikalische Instrument geblieben; sie muss desshalb

auch bei der Frage nach der Entstehung der Musik

vor allen andern Instrumenten ins Auge gefasst

werden. Aber gerade bei ihr kann der hier ange-

nommene Zusammenhang nicht einen Augenblick

zweifelhaft sein; denn sie trägt in ihrer Form die

Spuren ihres Ursprungs noch deutlich an sich. Sie

ist nichts anderes als der mit einem Fell überspannte

hölzerne Getreidemörser, dessen weite Verbreitung

über die bewohnte Erde wir bereits kennen gelernt

haben, bei einzelnen Völkern auch ein ähnlich vor-

gerichteter Topf ^). Die primitiven Saiteninstrumente

 

1) Ueber die Musikinstrumente der Naturvölker findet man manches

bei Ratzel, Völkerkunde I, 80. 179 ff. 205 f. 369 f. 418 f. 464. 466.

636. 687 f., einiges auch bei Grosse a. a. O., S. 274 ff. Letzterer

fasst S. 277 die charakteristischen Züge der primitiven Musik folgender-

massen zusammen: »Auf der untersten Kulturstufe überwiegt die

Vocalmusik über die Instrumentalmusik. Beide bewegen sich nur in

kurzen einstimmigen Melodien. Polyphonie und Symphonie sind un-

bekannt. Von den beiden Faktoren der Melodie ist der Rhythmus

vorherrschend entwickelt, während die Harmonie sehr mangelhaft aus-

gebildet ist. In dieser letzten Beziehung unterscheiden sich die pri-

mitiven Melodien von den unseren — abgesehen von der Verschieden-

heit der Intervalle — erstens durch die geringe Mannigfaltigkeit der

Töne und zweitens durch das Schwanken der Tonhöhe.«

 

2) So bei den Nilschiffem die Darabukka: Junker's Reisen in

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 225

 

sind dem Bogen nachgebildet, der bekanntlich nicht

bloss als Waffe sondern auch als eigentliches Werk-

zeug gebraucht wird. Sie sind, soweit ich sehe,

überall ursprünglich ebenfalls Schlaginstrumente —

ich erinnere an das Plektron der Griechen — ; das

Reissen der Saiten und das Streichen derselben sind

offenbar spätere Erfindungen^). Die Blasinstrumente

scheinen durchweg jüngeren Ursprungs zu sein.

Uebrigens treten sie bei den Naturvölkern sehr zu-

rück; am häufigsten sind die vorzugsweise rhythmisch

wirkende Flöte und die Rohrpfeife. Bei den alten

Griechen noch war bekanntlich die Flöte in erster

Linie Taktierungs- und Begleitungsinstrument ^).

 

Man darf natürlich nicht erwarten, auf dem hier

angedeuteten Wege die Entstehung sämtlicher Arten

von Musikinstrumenten zu erklären^). Einmal von

 

Afrika, I, S. 175, Anm. 2. Die Trommel der B^ssutos n*est autre

chose, qu'une calebasse ou un pot d*argile recouvert d'une peau for-

tement tendue: Gas ALIS a. a. O., p. 156.

 

1) Anderer Ansicht scheint E. B. Tylor, Einleitung in das Stu-

dium der Anthropologie und Civilisation , übers, von G. Siebert,

S. 352 f. — Eine Uebergangsstufe zwischen Arbeits- und Musikinstru-

ment scheint die Pukuta der Mincopies (oben S. 291) zu bezeichnen.

 

2) Nachträglich finde ich die hier vorgetragene Ansicht über die

Entstehung der Musik schon in dem griechischen Mythos von den

Daktylen ausgesprochen, die man »für die Erfinder des musikalischen

Klangs und des Taktes hielt, wozu die Kunst der Schmiede von selbst

Anleitung gab, daher die Daktylen für die Lehrer des Paris in der

Musik galten^:. Preller, Gr. Mythol. I, 519. — Wie sehr die

Schlaginstrumente bei den Griechen den ganzen Charakter der Musik

bestimmten, zeigt der Gebrauch der Wörter %QOvet,v (-» 7i6nr£iv) und

TiQOvaig für musicieren überhaupt. Man sagte tlqovblv a'bXov, yigifi-

ßaXoi^, qpö^jtityyof, Tiv&dQav, Xvqocv etc. und nannte jedes auf einem

Instrument vorgetragene Tonstück yiQOViia oder yigova^a, z. B. hqov-

\Loixa xa iv aifXriti^fjy aalniatiTtd bei Poll. 7, 88. 4, 84.

 

3) Diesen und den folgenden Satz scheint K. Groos übersehen

 

 

 

7 26 Siebenter Theil:

 

(Jpr Arbeit emancipiert, kann die Musik auch in der

Wahl ihrer technischen Mittel freier verfahren, und

bei den europäischen Kulturvölkern blickt sie ja auf

eine Entwicklung voi> mehreren Jahrtausenden zu-

rück. Nur die erste Loslösung von der Arbeit sollte

gezeigt werden, und wenn wir den dafür gefundenen

Weg weiter verfolgen, so erkennen wir leicht, dass

mit der Umgestaltung des Arbeitsgeräts zum Musik-

instrument noch lange keine selbständige Instrumen-

talmusik gegeben war. Denn einerseits ergeben die

blossen Schlaginstrumente keine volle ästhetische

 

 

 

zu haben, wenn er in dem (mir erst während des Druckes bekannt

gewordenen) Buche: »Die Spiele der Menschen« S. 59 behauptet, ich

hätte meine Ansicht über die Entstehung der Musikinstrumente ge-

ändert. Seine Behauptung gründet G. auf eine ihm von mir gelegent-

lich geschriebene — Postkarte, in der ich ihm für eine auf diesen

Gegenstand bezügliche litterarische Zusendung gedankt hatte. Ich

hatte dort, wenn ich mich recht erinnere, wiederholt, was in obigen

beiden Sätzen schon in der i. Aufl. zu lesen war, dass nicht alle

Musikinstrumente aus Arbeitsinstrumenten hergeleitet werden könnten,

sondern bloss die ältesten, bei allen Naturvölkern ohne Ausnahme

sich findenden. Für mich ist überhaupt die Frage nach dem Ursprung

der Instrumente nebensächlich. Was nützt mir die Trompete, wenn

ich sie nicht blasen kann? Es handelt sich um den Ursprung der

Musik. Und da ist Groos bei seiner H5rpothese, welche die Er-

findung der Instrumente auf spielerisches Experimentieren zurückführt,

den Beweis schuldig geblieben, wie die Wilden dazu kamen, auf den

glücklich erfundenen »Schallerzeugem« ästhetisch wirkende Tonfolgen

hervorzubringen. Welche Erfindung ginge nicht aufs Experimentieren

zurück? — Einen zweiten Versuch, mich mit mir selbst in Wider-

spruch zu setzen, macht Groos S. 58, Anmerkung. Dort führt er

eine Stelle aus der 2. Aufl. meiner »Entstehung der Volkswirthschaft«,

in der ich die Grundanschauung des vorliegenden Buches über die Arbeit

der Naturvölker tiefer zu fundieren gesucht habe, als Beweis dafär an,

dass ich »inzwischen meine Ansicht wesentlich modificiert« hätte. Eine

recht billige Art der Kritik!

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 227

 

Wirkung, anderseits war damit, dass die alten Ar-

beitsmelodien keinen festen Wortinhalt hatten, nicht

gesagt, dass sie nunmehr ohne Wortbegleitung über-

haupt zum künstlerischen Vortrag gelangen konnten.

Der Gesang bleibt vielmehr nach wie vor die Grund-

lage des neuen Kunstgebildes; die mit eigens dafür ge-

schaffenen Werkzeugen hervorgebrachte Musik weist

ihm Mass und Gang an; aber diesen empfangt sie

doch selbst wieder nur von den rhythmischen Arm-

bewegungen, welche nöthig sind, die Instrumente zu

schlagen, und überdies begleitet beide auch noch

die durch den Tanz in das Gebiet der Kunst er-

hobene taktmässige Körperbewegung, die mit den

Armbewegungen der Spielleute korrespondiert und

mit diesen die Ursache des das Ganze zusammen-

haltenden Rhythmus wird.

 

Am deutlichsten ist dies in der Entwicklung der

Lyrik zu erkennen. Ihre Sondergeschichte beginnt

überall, wo wir sie weit genug zurückverfolgen können,

mit der volksthümlichen Form des Tanzliedes, das

sich aus der dritten Gattung unsrer Arbeitslieder

entwickelt hat, zunächst so, dass die Körperbewe-

gungen der Tanzenden und das begleitende Musik-

instrument den Rhythmus ergeben, dem der aus dem

Stegreif hinzugefügte Liedertext zu folgen hat^). Die

Bewegungen der Stimmen empfangen ihr Mass von

 

 

 

I) Beispiele solcher Improvisation beim Tanze, Talvj a. a. O.,

S. 60 f. und namentlich in der reichen Sammlung von Joest, Intern.

Archiv f. Ethnogr. V. — Vgl. auch Passarge, Adamaua, S. 476:

»Die Haussa und Fulbe Adamaua* s hatten je eine Melodie, welche sie

stundenlang mit grosser Ausdauer sangen. Der improvisierte Text

war dabei die Hauptsache«. Die beiden nationalen Tanzmelodien sind

a. a. O. S. 477 mitgetheilt.

 

 

 

328 Siebenter Tbeil:

 

den Bewegungen des Körpers und werden aufs in-

nigste mit ihnen verflochten^). Nicht selten wird

schon auf dieser Stufe die Ausübung des Tanzes zu

einem Berufe, und damit ist weiter gegeben, dass

die Erfindung neuer Tanzweisen und Liedertexte an

Einzelne übergeht. Die zweite Stufe der Entwick-

lung zeigt uns den vom Tanze abgelösten musik-

begleiteten Gesang. Der musikalische Sinn hat sich

inzwischen genugsam entwickelt, um selbständig die

Ueberlieferung vorhandener und die Schaffung neuer

Melodien zu bewerkstelligen. Aber das Wort ist

mit der Weise noch aufs engste verbunden, jedoch

so, dass die letztere den festeren Bestandtheil aus-

macht. Sie wird durch ein Instrument angegeben,

oder es wird wenigstens mit den Händen der Takt

zu dem Gesänge geschlagen. Die Gabe der Impro-

visation ist noch immer sehr rege^). Sänger und

Dichter sind also noch eine Person; aber nur den

begnadeten unter ihnen gelingt die Erfindung eigner

Melodien. Die dritte Stufe beginnt mit dem Weg-

fallen der musikalischen Begleitung. Die lyrische

Dichtung bringt immer noch Lieder hervor; aber sie

werden von einzelnen zu bekannten Melodien ge-

dichtet und gehen dann in den allgemeinen Gebrauch

über. Es ist die Periode des Volksliedes in dem

Sinne, in welchem dieser Ausdruck gewöhnlich ver-

standen wird. Erst die vierte Stufe ergiebt die

 

 

 

1) lieber den Tanz der Buschmänner, Ratzel, Völkerkunde I,

S. 688.

 

2) Beispiele bei Talvj a. a. O. aus Indien S. 18, Afghanistan

S. 25. 41, Persien S. 26; aus Tibet: Landor a. a. O. S. 91; aus

dem Sudan: R. Semon, Mitth. d. afrikan. Gesellschaft in Deutschland,

 

V, S. 31.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 320

 

eigentliche lyrische Kunstpoesie; es vollzieht sich

eine Scheidung: auf der einen Seite entsteht das

reine (melodienlose, bloss auf dem Wortrhythmus

beruhende) Gedicht, die »gebundene Rede«, auf

der andern die reine (der Worterklärung entwachsene

Instrumental-)Musik^). Damit trennt sich vom Dich-

ter der Componist und von beiden oft wieder der

Recitator und der ausübende Musiker. Die Arbeits-

theilung wird so weit geführt als möglich. Mit der

Sonderexistenz von lyrischer Poesie und Musik ist

die Möglichkeit auch einer Sonderentwicklung beider

gegeben; jede vervollkommnet für sich ihre Technik

und nutzt die ihr eigenthümlichen Mittel euifs äus-

serste aus; schliesslich gelangen sie zu Gestaltungen,

welche kaum mehr die frühere Gemeinschaft ahnen

lassen.

 

Minder deutlich ist der Entwicklungsgang der

epischen Poesiezu erkennen. Zwar haben sich

in den im vierten und fünften Kapitel mitgetheilten

Arbeitsgesängen Beispiele erzählender Dichtung nach-

weisen lassen. Ein chinesisches Weberinnenlied, das

 

 

 

i) Die ganze vierstufige Entwicklung ist in typischer "Weise in

der Geschichte der griechischen Lyrik zu erkennen. Die erste Stufe

wird durch die chorische Dichtung repräsentiert mit ihren Hymnen,

Paianen» Dithyramben, Prosodien, Parthenien, Hyporchemen u. s. w.,

welche sich alle den rhythmischen Forderungen des Reigentanzes an-

passen. Daneben als Repräsentantin der zweiten Stufe die melische

Lyrik, die bloss unter Musikbegleitung gesungen wird. Beide ge-

langen bei den Griechen früh zur Kunstform, während sie anderwärts

nur in volksthümlicher Weise sich ausgestalten. Es folgt in der Ent-

wicklung das bloss gesungene Lied (ohne Begleitung) und weiterhin

auf der einen Seite die selbständige Musik {ipili] a^Xriaigy ipiXt} xt-

d'dgteig), auf der andern die bloss gesprochene Dichtung {ipiXrj

noiriaig).

 

 

 

330

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

sogar in seinen Eingangsworten den Ton des Weber-

schiffchens nachahmt, berichtet von den Thaten einer

kriegerischen Jungfrau^); auf denFaröem singt man

die Heldenlieder in den Spinnstuben und zum Reigen-

tanze ^, und Ahnliches finden wir auch bei den Al-

ten^. Aber bis zur Stufe des Tanzliedes lässt sich

von einer epischen Dichtung eigentlich nicht sprechen,

oder vielmehr ihre Entwicklung fallt bis dahin mit

derjenigen des Dramas zusammen. Dann trennen

sich ihre Wege. Das Drama bildet das orchestisch-

mimetische Element weiter aus; das Epos streift die-

ses allmählich ab. Wo uns die sogenannten Helden-

lieder zuerst als eine besondere Gattung entgegen-

treten, werden sie nur noch gesungen {aoLS^^ bei

Homer), und zwar in der Regel unter Begleitung

eines Musikinstruments (z. B. der Phorminx bei

Homer, der Gusla bei den Südslawen, der Balalaika

bei den Kirgisen), oft vom ganzen Stamme in der

Weise der Volkslieder (oben S. 50), nicht selten aber

auch von berufsmässigen Sängern, die um Lohn ihr

Gewerbe üben*). Sie sind aber auch hier von der

 

 

 

1) Talvj a. a. O., S. 38 fF. — Vgl. oben S. 73. 85. Anm. i.

 

136 ff.

 

2) Vgl. oben S. 264 und Hammershaimb's Faer0sk Anthologie

(1891) I, S. 42 f. Ztschr. d. Ver. f. Volkskunde in (1893) S. 292.

 

3) Vgl. oben S. 88 f. und Bergk, Griech. Litteraturgeschichte I,

 

s. 349.

 

4) Um ausser den Homerischen Aöden noch einige Beispiele an-

zuführen, verweise ich auf Talvj a. a. O., S. 17 (Inder), 26 (Afghanen),

29 (Kalmücken), 33 (Kurden), 87 (Mandingo); femer Casalis a. a. O.

S. 158 (Bassutos), Wissmann, Wolf etc.. Im Innern Afrikas, S. 253.

Stanley, Durch den dunkeln Welttheil II, S. 506. Mehreres auch

bei Bruchmann, Poetik, S. 150 ff. — Dass die Zwischenstufe des epi-

schen Tanzliedes hier ausgeschlossen werden musste, liegt auf der

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. ß7i

 

Körperbewegung noch nicht völlig frei (vgl. oben

S. 2 76 f.), und es ist kaum mehr zu bezweifeln, dass

sie noch auf der Stufe des Tanzliedes ebenso innig

mit ihr zusammenhingen wie die dramatischen und

die lyrischen Gesänge. Das alles erweist die Epik —

ganz im Gegensatze zu der herrschenden Auffassung

— entwickelungsgeschichtlich als eine jüngere poe-

tische Formation. Ihre weitere Geschichte ist be-

kannt. Sie hat sich vom musikalischen Vortrag

völlig frei gemacht, sobald sie schriftlich fixiert wer-

den konnte, und damit ist auch eine Konsolidation

des Inhalts Hand in Hand und die Liedform völlig

verloren gegangen. —

 

Unsere Darstellung hat einen Entwicklungsgang

offen gelegt, der vom Zusammengesetzten zum Ein-

fachen führt. Wie aus dem Einfachen wieder ein

Zusammengesetztes wird, nachdem Musik und Poesie

dem Gängelbande der Körperbewegung entwachsen

 

 

 

Hand; wo es vorkommt, ist es als Vorstufe des Dramas aufzufassen.

Immerhin will ich wenigstens ein Zeugniss für diese Stufe hier an-

fuhren. »Die Indianer kommen zu Zeiten auch in der Absicht zu-

sammen, ihre kriegerischen Thaten durchzuerzahlen , welches halb

singend oder in einer Art von Recitativ geschieht. Der älteste unter

den Kriegern erzählt zuerst; dann folgen die übrigen dem Alter nach

in der Reihe , und dazu schlägt die Trommel immerfort, um gleichsam

die Erzählung noch mehr in die Wirklichkeit zu versetzen. Nachdem

ein jeder, wie ihn die Reihe traf, eine kurze Erzählung vorgetragen

hat, £ängen sie wieder in eben der Ordnung an und fahren in einer

Art von abwechselndem Gesänge in der Runde fort, bis ein jeder mit

seiner Erzählung zu Ende ist.« Wie aus dem Zusammenhang hervor-

geht, findet die Recitation zum Tanze statt. Jos. Heckewelder's

Nachricht von der Geschichte, den Sitten und Gebräuchen der india-

nischen Völkerschaften, welche ehemals Pennsylvanien und die be-

nachbarten Staaten bewohnten, übers, v. F. Hesse, Göttingen 1821,

 

s. 333.

 

 

 

332 Siebenter Theil:

 

sind, kann hier nicht weiter verfolgt werden. Es

gehört das in die Geschichte dieser Künste. Wenn

aber in der selbständigen künstlerischen Ausgestal-

tung von Musik und Poesie das, was anfanglich als

das Wesentliche erschien, in den Hintergrund treten,

und später aufgenommene Elemente jetzt wichtiger

erscheinen können, wenn jede von beiden Künsten

einem ihrer eignen Natur angehörigen Entwicklungs-

gesetze zu folgen scheint, wenn wir heute rhythmi-

sierte Rede nicht für sich schon Poesie und rhyth-

misierten Schall nicht Musik nennen, so hat das

darin seinen Grund, dass unser ästhetisches Empfin-

den im Laufe der Kulturentwicklung Wandlungen

erfährt, deren Tragweite man sich einigermassen

wird zur Anschauung gebracht haben, wenn man an

den Geschmacks Wechsel denkt, der sich oft in der

kurzen Spanne Zeit einer einzigen Generation voll-

zieht. Von dem gebundenen Rhythmus des alten,

dem vollen Leben angehörenden und dem Leben

dienenden Arbeits-, Spiel- und Tanzgesanges bis zu

der freien Bewegung des modernen, am Schreib-

tische ersonnenen Gedichtes, das nur gelesen oder

im besten Falle deklamiert wird, für sich aber voll-

kommen ausreicht, um uns ästhetischen Genuss zu

verschaffen, ist ein ungeheurer Weg, den auch unter

den Kulturnationen nur der Gebildete ganz zurück-

gelegt hat. Die grosse Masse des Volkes dagegen

geniesst auch heute noch die Poesie nur im Liede;

sein ästhetisches Empfinden bedarf noch stärkerer

Reizmittel und kann durch die »poetische Schönheit«

allein gar nicht oder nur in sehr schwachem Masse

hervorgerufen werden. Und Aehnliches gilt von der

musikalischen Komposition.

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 972

 

Das scheint mir von denjenigen übersehen worden

zu sein, welche von den ästhetischen Kategorien der

Kulturvölker ausgehend den Weg zum Ursprung der

Poesie und Musik zu finden versucht haben, und

darum haben ihre Konstruktionen auch so wenig

befriedigt^). Ich halte es nicht für meine Aufgabe,

auf Aufstellungen dieser Art hier näher einzugehen,

zumal da sie von dem eigentlichen Felde meiner

wissenschaftlichen Arbeit weit ab führen.

 

Dagegen möchte ich noch mit einigen Worten

einer Einwendung begegnen, die gegen den von mir

verfolgten Weg wohl erhoben werden kann und die

der eigenthümlichen psychisch -physischen Doppel-

natur desjenigen Elements, das ich in den Vorder-

grund gestellt habe, des Rhythmus, entnommen ist.

 

Jedermann weiss, wie stark rhythmische Musik

auf unsere motorischen Nerven einwirkt, wie sie

Bewegungen des Kopfes, der Arme, der Füsse her-

vorruft, oder wie wenigstens in diesen Gliedern ein

starker Drang empfunden wird, Marsch- oder Tanz-

musik mit Körperbewegimgen zu begleiten. So grosse

Fortschritte nun auch die psychologische Analyse

der rhythmischen Gefühle durch die bahnbrechenden

Untersuchungen von W. Wundt^) gemacht hat, so

 

1) Man vergleiche z. B. das lange Kapitel über den Ursprung

der Poesie in W. Scherer's Poetik S. 73 — Ii8 und die auf dem

.einzig zuverlässigen Wege der ethnographischen Forschung gewonnenen

Ergebnisse von Grosse, Anfange der Kunst, S. 222 — 264. Der erstere

sieht u. a. in dem Erotischen ein »Urmoment der Poesie« ; der letztere

konstatiert (S. 233), dass in der Poesie der Naturvölker das Erotische

überhaupt kaum vorkommt. Leider hat Grosse der formalen Seite

des Gegenstandes zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und darum

können seine Untersuchungen in diesem Kapitel auch nicht befriedigen.

 

2) Vgl. insbesondere dessen Physiologische Psychologie II *,

 

 

 

334

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

scheint es doch nicht gelungen zu sein, auf physio-

logischem Gebiete gleich sichere Ergebnisse zu er-

zielen. Vor allem scheint noch die Brücke vollstän-

dig verborgen zu sein, welche psychische und or-

ganische Wirkungen des Rhythmus mit einander

verbindet^).

 

Unter diesen Umständen bleibt der Vermuthimg

auf unserem Gebiete noch ein weites Feld, und dies

um so mehr, als auch nach tder psychischen Seite

der Rhythmus der Körperbewegimg weniger ein-

gehend untersucht zu sein scheint als der Musik-

und Sprachrhythmus. Insbesondere könnte man auf

den Gedanken kommen, dass an dem letzteren das

rhythmische Gefühl der Menschen sich zuerst ent-

wickelt habe und darnach für die Erleichterung der

Arbeit in der Weise ausgenutzt worden sei, wie wir

oben gesehen haben ^). Es würde dann der ganze

 

 

 

S. 84 ff. 280 ff. und Grundriss der Psychologie, S. lyofF. 174 ff. I95f.;

ausserdem Meumann^ Untersuchungen zijr Psychologie und Aesthetik

des Rhythmus, Leipzig 1894.

 

i) Vgl. Meumann a. a. O., S. 23 ff.

 

2) So namentlich die Musikschriftsteller, welche dem Arbeitsrhyth-

mus Beachtung geschenkt haben, und die Aesthetiker. Vgl. z. B.

Hennigk, Grundriss der Geschichte der Musik bei den Völkern des

Alterthums (Dresden 1837), S. 14 f. und R. Benedix, Das Wesen

des deutschen Rhythmus , S. 9 f. Besonders aber sind die Schrift-

steller der sog. Musico-Medizin , welche in den dreissiger und vier-

ziger Jahren blühte, diesem Gesichtspunkte nachgegangen. Vgl. z. B.

P. J. Schneider, Die Musik und Poesie nach ihren Wirkungen

historisch-kritisch dargestellt (System einer medizinischen Musik), Bonn

1835, Theil I, S. 324: »Betrachten wir die Wirkung, welche der

Rhythmus auf den Körper äussert, so ist offenbar, dass er, wenn das

Willensvermögen auf die Muskelbewegung geringen Einfluss geäussert

hat, specifisch auf die Muskelnerven und auf den ganzen Körper ein-

wirke, indem die Erfahrung lehrt, dass von Krämpfen begleitete Be-

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. ^35

 

Gang der Entwicklung in einer der unsrigen genau

entgegengesetzten Weise zu konstruieren sein.

 

Allein dem widerspricht in erster Linie der Um-

stand, dass auch ohne die Unterstützung des Ton-

rhythmus unsere Körperbewegungen bei gleichmässig

fortgesetzten Arbeiten sich von selbst rhythmisch

gestalten^). Sodann müsste doch auch die Entstehung

 

 

 

wegungen bei Anwendung von Musik und bei Schmälerung des Willens

sich nach Melodie und Taktordnung richten; ja, jene sollen sogar zu-

weilen gleich, im Falle rhythmische Folge gänzlich fehlt, unterdrückt

werden. Der Rhythmus also, kann man sicher behaupten, ist kein

Produkt der Kunst, sondern ein in unserem tiefsten Seyn urgründ-

liches Wesen. Ihn selbst schaffen können wir nicht; er liegt in der

animalischen Natur, gleichsam ein Atom unseres Grundstoffes . . .

Nur da, wo die Natur einfacher Mechanik das Spiel der Einbildungs-

kraft nicht hemmt, wo also das Urmenschliche dem Naturmenschen

näher liegt, kann der Rhythmus seine Anwendung finden. — Die

Schuhputzer, Haarkräusler, Kornschnitter, Spinner und Weber, alle

Hand- und Fussarbeiter , die den Körper anstrengen, ohne den Geist

zu beschäftigen, suchen und finden Hülfe beim Rhythmus; oder viel-

mehr allen diesen bietet er, ohne dass sie wissen wie, seine unver-

ächtliche Hülfe an. Ich bin überzeugt, dass in Fabriken und Manu-

fakturen wenigstens ein Sechstel durch rhythmische Beihilfe gewonnen

wird, sei es durch den ermunternden Rhythmus der Volkslieder, oder

selbst durch die Regelfolge in den fortrückenden Bewegungen der

verschiedenen Manipulationen.« Vgl. E. Hanslick, Vom Musikalisch»

Schönen (7. Aufl.), S. 119 f.

 

i) Es könnte auch auf die Entwicklung des Kindes hingewiesen

werden, dieWuNDT, Grundriss der Psychologie, S. 344f., so schildert:

»In den ersten Lebensmonaten beginnt es (das Spiel des K.) als Er-

zeugung rhythmischer Bewegungen der eigenen Glieder, der Arme und

Beine, die dann auch auf äussere Gegenstände, mit Vorliebe nament-

lich auf schallerregende oder auf lebhaft gefärbte, übertragen werden.

In ihrem Ursprung sind diese Bewegungen offenbar Triebäusserungen,

die durch bestimmte Empfindungsreize ausgelöst werden und deren

zweckmässige Coordination auf vererbten Anlagen des centralen Nerven-

systems beruht. Die rhythmische Ordnung der Bewegungen, sowie

 

 

 

336

 

 

 

Siebenter Theil:

 

 

 

des sprachlichen und musikalischen Rhythmus bei

dieser Hypothese selbst wieder erklärt werden. Und

endlich scheint es falsch, das entwickelte rhythmische

Gefühl des Kulturmenschen, das sich allerdings vor-

zugsweise am sprachlichen und musikalischen Rhyth-

mus ausbildet, auf die Anfange des Menschenge-

schlechts zu übertragen.

 

Gewiss wird der poetische und musikalische Rhyth-

mus, so lang er besteht, die Seelen der Menschen

bezaubert haben. »Der Rhythmus ist ein Zwang«,

sagt Fr. Nietzsche^) in einer sehr interessanten Aus-

führung über den Ursprung der Poesie; »er erzeugt

eine imüberwindliche Lust nachzugeben, mit einzu-

stimmen; nicht nur der Schritt der Füsse, auch die

Seele selber geht dem Takte nach — wahrscheinlich,

so schloss man, auch die Seele der Götter ! Man

versuchte sie . also durch den Rhythmus zu zwingen

und eine Gewalt über sie auszuüben.« Aber diese

zwingende Gewalt wohnt doch auch dem blossen

Rhythmus der Körperbewegung inne, wo irgend bei

einem Naturvolk die Gemüther im Tanze sich bis

zur Raserei aufregen und kein anderer Ton zu ver-

nehmen ist als der Schall der Füsse und etwa noch

das Klatschen der Hände. Gewiss finden Wechsel-

wirkungen zwischen dem Rhythmus der Töne und

demjenigen der Körperbewegungen statt, die durch

das psychische Centrum vermittelt werden, und die

Rückwirkungen des musikalischen Rhythmus auf den

menschlichen Organismus haben im Verlaufe der

 

der von ihnen hervorgerufenen Gefühls- und Schalleindrücke, erzeugt

dann aber sichtlich Lustgefühle, die sehr bald die willkürliche Wieder»

holung solcher Bewegungen veranlassen.« Vgl. auch oben S. 300.

I) Die fröhliche Wissenschaft (Leipzig 1887), S. 105.

 

 

 

*,

 

 

 

Der Ursprung der Poesie und Musik. 9 57

 

oben geschilderten Entwicklung ohne Zweifel an Be-

deutung gewonnen. Damit ist aber über die Prio-

rität der einen oder der andern Rhythmusart nicht

das Geringste entschieden.

 

Bei jeder derartigen Untersuchung wird ja

immer der Ausgangspunkt mehr oder weniger will-

kürlich gewählt werden können. Für die Beurtheilung

des wissenschaftlichen Werthes einer Theorie wird

es aber immer darauf ankommen, auf welchem Wege

die grösste Zahl von Erscheinungen zutreffend er-

klärt werden kann. Unter diesem Gesichtspunkte

möchte auch der Inhalt des vorstehenden Kapitels

gewürdigt werden.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 22

 

VIII Frauenarbeit und Frauendichtung.

Was die Völker bei ihrer Arbeit singen, hat

dieses Buch auf vielen Seiten gezeigt. Was sie aber

singen, das denken und dichten sie auch bei der

Arbeit. Darüber kann nach den zahlreichen mit-

getheilten Proben und den Berichten der Beobachter

kein Zweifel bestehen: die Arbeitenden selbst sind

auch die Dichter ihrer Arbeitsgesänge. Manche der

letzteren sind unmittelbar bei der Arbeit entstanden

in dem Augenblicke, als sie von unsern Berichter-

stattern beobachtet wurden; andere hängen minde-

stens so fest an der Thätigkeit, zu der sie gesungen

werden, dass sie gar nicht losgelöst von ihr gedacht

werden können. Nur ganz vereinzelt ist einmal ein

allgemeines Volkslied in die Arbeitssphäre einge-

drungen, und dies auch nur bei Völkern von vor-

geschrittener Entwicklung. Weit zahlreicher aber

müssen die Fälle sein, in welchen bei der Arbeit

entstandene Gesänge erst zu Tanz- und Kultliedem

und dann zu allgemeinen Volksliedern geworden sind.

Auf diesem Wege werden naturgemäss viele die auf

die Arbeit Bezug nehmenden Stellen durch Ab-

schleifung verloren haben; sie sind darum aus den

überlieferten Volksliederbeständen heute nicht mehr

auszusondern.

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendichtung. 7 2q

 

Ist die Beweisführung des letzten Kapitels richtig,

so haben wir in den Arbeitsgesängen den Nieder-

schlag des ältesten und ursprünglichsten poetischen

Schaffens der Völker zu erblicken. Es müssen dem-

nach diese Gesänge bei ihrer engen Beziehung zur

materiellen Arbeit noch die Ordnung dieser Arbeit

im Haushalt der Völker widerspiegeln. Schon das

sechste Kapitel bot uns Gelegenheit, ein Stück dieser

Ordnung, das Ethnographen und Nationalökonomen

bis dahin fast ganz unbeachtet gelassen haben, und

das hinter der Stufe der Sklaverei und Leibeigen-

schaft weit zurückliegt, in helles Licht zu setzen:

die Bittarbeit.

 

Aber die Bittarbeit tritt im Leben dieser Völker

immer nur bei besonderen Gelegenheiten auf; sie

will ausserordentlichem Bedürfniss genügen, dem die

schwachen Kräfte des einzelnen Hausstandes nicht

gewachsen sind. Die Arbeitsaufgaben dagegen,

welche in jedem Hause Tag für Tag in gleicher

Weise wiederkehren, werden von ihr nicht berührt.

Für sie hat ein anderer Theil der älteren Social-

ordnung ausschlaggebende Bedeutung: die Verthei-

lung der zur Befriedigung des Hausbedarfs noth-

wendigen Arbeit auf die beiden Geschlechter.

 

Längst war bekannt, dass auf den älteren Stufen

der gesellschaftlichen Entwicklung ein grosser Theil

der produktiven Arbeit den Frauen obgelegen hat

und dass im Laufe des Kulturfortschritts eine Ver-

schiebung stattgefunden hat, dergestalt, dass der

Mann nach und nach alle Theile der Produktion

übernommen hat, während der Frau nur die Rege-

lung des Konsums in der Haushaltung geblieben ist.

Aber das jener alten Arbeits vertheilung zu Grunde

 

22*

 

 

 

340

 

 

 

Achter Theil:

 

 

 

liegende Princip ist doch erst in letzter Zeit aufge-

hellt worden. Es besteht in der Hauptsache darin,

dass der Frau alle Arbeit zufällt, die mit der Ge-

winnung und Verwendung der PflanzenstoflFe zu-

sammenhängt, auch die Herstellung der dabei nö-

thigen Vorrichtungen und Gefässe, dem Manne

Jagd, Fischfang, Viehzucht und ebenfalls die Be-

schaffung der dazu erforderlichen Waffen und Werk-

zeuge^).

 

In das Arbeitsgebiet der Frau fielen somit von

vom herein verschiedene sehr langwierige und müh-

same Arbeitsprocesse, wie das Stampfen und Mahlen

des Getreides, das Backen des Brotes, die Zuberei-

tung von Speisen und Getränken, die Töpferei, die

Verarbeitung der SpinnstoflFe. Ein grosser Theil

dieser Thätigkeiten erfordert schon aus technischen

Gründen rhythmische Gestaltung, während das Ar-

beitsgebiet, auf dem der einzelne Mann wirkt, dazu

viel weniger Gelegenheit bietet. Dazu kommt, dass

auf früher Entwicklungsstufe die Frauen gesellig bei

den Hütten oder in den Feldern arbeiten, während

der Mann einsam im Walde das Wild beschleicht.

Daraus lässt sich ganz allgemein schliessen, dass die

Frau früh in viel umfassenderem Masse auch lieder-

schaffend thätig geworden sein muss als der Mann.

 

Unsere Sammlung von Arbeitsgesängen kann

allerdings zur Erhärtung dieser Annahme wenig bei-

tragen. Es ist das aber nicht auffallig. Denn da diese

Sammlung vorzugsweise aus litterarischen Quellen

zu schöpfen hatte, so müssen in ihr die Kultur- und

Halbkulturvölker in weit umfassenderem Masse ver-

 

 

 

I) Vgl. meine Entstehung der Volkswirthschaft ^2. Aufl.), S. 36 fF.

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendichtung. xaX

 

treten sein, als die Naturvölker. Dazu kommt die

grosse Abgeschlossenheit des weiblichen Geschlechtes

bei vielen hier* in Betracht gezogenen Nationen, die

der Sammlung und Aufzeichnung der Frauenlieder,

zumal durch Fremde, fast unüberwindliche Schwie-

rigkeiten bereitet^). Dennoch sind unter den 70

Liedertexten unsrer Sammlung, die zur Einzelarbeit

gesungen werden, nicht weniger als fünfzig poetische

Schöpfungen arbeitender Frauen; die zu Gleichtakt-

und Wechseltaktarbeit gehörigen sind naturgemäss

fast ausschliesslich Männerlieder, während die zur

Regulierung der Massenarbeit gesungenen Texte des

fünften Kapitels, soweit ihr Gedankeninhalt einen

Rückschluss auf die Urheber gestattet, sich ziemlich

gleichmässig auf beide Geschlechter vertheilen mögen.

Auch unter den Tanz- und Spielliedem sind hervor-

ragende Beispiele der Frauendichtung, und die Kin-

derlieder werden sicher bei allen Völkern bis auf

einen ganz geringen Theil ebendaher stammen, woher

das Kind seine erste Nahrung erhält.

 

Dass die Frauen bei den meisten primitiven Völ-

kern fleissig singen, wird durch zahlreiche Zeugnisse

bestätigt. Bei den Mincopie hat jede Frau ebenso

gut ihr eignes, von ihr selbst komponiertes Lied, wie

jeder Mann^). Bei den Indianern in Neu-Californien

hatten ebenfalls die Weiber ihre besonderen Gesänge

und ihre eigene Art zu tanzen ^. Bei den Koluschen,

 

 

 

1) Vgl. oben S. 66 f. und 72. Grierson bemerkt ausdrücklich,

dass er die von ihm veröffentlichten indischen Frauenlieder ohne die

Hülfe eines angesehenen Eingeborenen nicht hätte sammeln können.

 

2) Journal of the R. Asiatic Society of Gr. Br., XX, p. 184.

 

3) G. H. VON Langsdorff, Bemerkungen auf einer Reise um

die Welt (Frankfurt a. M. 18 12), II, S. 169.

 

 

 

342

 

 

 

Achter Theil:

 

 

 

WO der Tanz allein den 'Männern zukommt, »ersetzen

die Frauen die Stelle der Musikanten und singen,

meist im Dreiachteltakt, eine nicht • unharmonische

Melodie«.^) Auf den Fidschi-Inseln singen Männer

aus den höheren Ständen nie, sondern nur Frauen

und Kinder; auf den Radak-Inseln werden die Ge-

sänge, obwohl sie sich ausschliesslich auf Krieg und

Seefahrt beziehen, von den Weibern vorgetragen.

Auf Lukunor (Karolinen- Archipel) gab es Lieder, die

nur von Frauen und andere, die nur von Männern

gesungen werden durften. Die Australier lassen sich

durch die Gesänge ihrer Weiber zu den leidenschaft-

lichsten Handlungen anstacheln^. Die Spott- und

Schimpflieder der Hottentottinnen sind berüchtigt.

 

Singen ist auf dieser Stufe überall gleichbedeu-

tend mit dichten und komponieren. Dass in Afrika

die Negerinnen bei ihrer Arbeit Gesänge improvi-

sieren, haben mehrere Reisende bezeugt, die von

ihnen besungen worden waren (S. 7 1 f. 89). Auf den

Molukken singen nach Joest die Mädchen so gut ihre

Tanzlieder aus dem Stegreif wie die jungen Männer.

In Kamschatka sind die Frauen die Dichterinnen und

Kompohistinnen, und von den Botokuden wird aus-

drücklich bezeugt, dass sich die Weiber wie die Er-

findung neuer Worte, so auch diejenige neuer Lieder

und Klagegesänge angelegen sein Hessen. Selbst

bei Indern und Chinesen, Arabern und Kabylen giebt

es eigene Frauenlieder, die nur unter den Frauen

entstanden sein können, ausschliesslich von ihnen

gesungen, von Geschlecht zu Geschlecht übertragen

 

1) a. a. O. n, S. 98.

 

2) Diese und ähnliche Notizen mehr bei Simmel in der Ztschr.

f. Völkerpsychologie u. Sprachwissenschaft, XIII, S. 282 f.

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendichtung. ¦342

 

und von begabten Sängerinnen durch poetische Neu-

produktion vermehrt werden^).

 

Vieles spricht dafür, dass diese weibliche Rich-

tung der Volkspoesie unmittelbar an den Arbeits-

gesang anknüpft und in ihm fortgesetzt ihren Mittel-

punkt behält. Aber der Arbeitsgesang nimmt unter

den Frauen sehr leicht einen Charakter an, der dem

des Zauberspruchs nahe verwandt ist. Mason beob-

achtete eine Pueblo- Indianerin, welche die ganze

Zeit, während sie einen Topf aus Thon formte, mit

ihrer Stimme das Klingen eines gutgebrannten Ge-

fasses nachahmte, um ihr Werk vor dem Misslingen

und dem Bersten beim Brennen zu bewahren. Von

einem andern Stamme derselben Gegend, der zu den

fortgeschritteneren gehört, den Zufli, wird berichtet,

dass ihre Frauen zu jeder Arbeit, die sie verrichten,

eigne Lieder dichten. »Die Gesänge , welche sie

singen, wenn sie ihr Korn, ihre Bohnen oder Melo-

nen pflanzen, sollen das Wachsen dieser Pflanzen

befördern. Wenn sie bei ihrer steinernen Backmulde

knieen, um Brot zu bereiten, stimmen sie einen Ge-

sang an, der viele kleine Nachahmungen des Ge-

räusches enthält, das der Mahlstein verursacht. Sie

haben dabei den Gedanken, dass das Gerät unter

solchen Umständen besser seinen Dienst thun wird.

Ahnlich denken sie aber auch, wenn sie ihren Kleinen

etwas vorsingen. Ihren Säugling nennt die Mutter

ihren kleinen Mann und spricht von allem, was sie

 

 

 

i) Reiche Stellensammlung bei Böckel, Deutsche Volkslieder aus

Oberhessen, S. CLII— CLVII. Vgl. auch O. T. Mason, Womans

share in primitive culture (London 1895), chap. VIII. IX und Scherer

im Anzeiger für deutsches Alterthum und deutsche Litteratur I, S. 204.

 

 

 

344

 

 

 

Achter Theil:

 

 

 

hofft, dass er künftig thun und werden soll, indem

sie glaubt, dies sei zu seinem Wachsen und Gedeihen

nothwendig,« ^)

 

Gleiche Bedeutung scheinen die Tänze und Tanz-

gesänge zu haben, welche bei vielen Naturvölkern

die Weiber im Dorfe aufführen, wenn ihre Männer

in den Krieg oder zur Jagd ausgezogen sind. Sie

sollen den Männern Glück bringen, ihnen den Sieg

oder reiche Beute und gesunde Heimkehr sichern,

sie vor bösem Zauber bewahren. Kehren endlich

die Ausgezogenen wieder heim, so ziehen ihnen die

Frauen mit Gesängen und im Tanzschritt entgegen.

Ihr Lied ertönt jetzt zum Preise der tapfern Thaten

der Ihrigen.

 

Nirgends ist diese Sitte so schön bezeugt wie

im alten Testament. Als nach dem Auszug der Is-

raeliten das Meer die nachfolgenden Ägypter ver-

schlungen hatte, »nahm die Prophetin Mirjam, Aarons

Schwester, die Pauke zur Hand, und alle Weiber

zogen hinter ihr drein mit Pauken und im Reigen.

Mirjam aber sang ihnen vor:

 

Singt Jahwe ein Lied! Denn hoch erhaben ist er,

Rosse und Reiter hat er ins Meer gestürzt.«*)

 

Jephtha erblickt nach seinem Siege über die

Ammoniter bei der Heimkehr zuerst seine Tochter, die

ihm »mit Pauken und im Reigentanze« entgegen-

kommt^. Den Riesenbezwinger David empfangen

sogar aus allen Städten Israels die Frauen im Reigen

 

 

 

i) Mason, a. a. O. S. 176; dort auch zwei sehr bezeichnende

Kinderlieder.

 

2) II. Mos. 15, 20 f.

 

3) Richter 11, 34.

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendiclitung. ^45

 

und singen das Lied, das den König Saul so sehr

erbittert^). Grössere Reste solcher Siegesgesänge

der Frauen sind uns im Deboraliede erhalten, dessen

letzter Theil auch . inhaltlich seinen Ursprung deut-

lich zum Ausdruck bringt^).

 

Diese Erscheinung steht nicht vereinzelt. Im

frühem Mittelalter sangen in Deutschland wie in

England, in Frankreich und Portugal die Frauen

Lieder zum Reigentanze, in denen Zeitereignisse be-

handelt und Männer des Tages gerühmt oder ver-

spottet wurden^). Karl der Grosse untersagt den

Klosterfrauen, Mädchenlieder (winileodes) zu schreiben

und zuschicken^); in Frankreich gab es eine beson-

dere Gattung erzählender Lieder, die chansons ä

toile, welche von Mädchen und Frauen bei Hand-

arbeiten gesungen wurden; in England sang man

Balladen beim Spinnen und Wasserholen. Noch

heute feiern auf den Palau-Inseln die Mädchen den

Sieg über den toten Feind, sowie Lebende, denen

sie wohlwollen, durch besondere Lieder^).

 

Verwandt mit den Sieges- und Heldenliedern

sind die Totenklagen, die fast bei allen Völkern der

Erde den Frauen obliegen. Es werden die Vorzüge

des Verstorbenen und seine ruhmvollen Thaten in

die Klage über den Verlust desselben verwoben.

Der Gesang muss seiner Natur nach immer wieder

 

 

 

1) Sam. I, i8, 6. 29, 5.

 

2) Richter 5. Vgl. das oben S. 73 und 77 über die epischen

Lieder indischer Frauen Bemerkte.

 

3) Die Zeugnisse hat Böckel a. a. O. , S. CLVI f. zusammen-

gestellt.

 

4) Wackernagel, Gesch. der deutschen Litteratur, II, S. 47 f.

 

5) Semper, Die Palau-Inseln, S. 213. 314 ff.

 

 

 

140 Achter Theil:

 

von neuem gedichtet werden, wenn auch wohl regel-

mässig alte Weisen und alte Kehrreime dabei mit-

benutzt werden. Früh treten gemiethete Klagefrauen

auf, die statt der Nachbarinnen und Verwandten es

übernehmen, das Lob des Toten zu singen. Der

jüdische Prophet^) spricht von den »des Wehgesangs

kundigen Weibern«, von denen eine die andere ein

Klagelied lehre. Bei Griechen und Römern wurden

diese Gesänge unter Flötenspiel vorgetragen, und

die ganze Trauerversammlung stimmte in den Kehr-

reim ein*). Allerdings genügten diese einfachen Er-

zeugnisse weiblicher Dichtung dem verfeinerten Ge-

schmacke einer fortgeschrittenen Zeit nicht mehr,

und das Wort naenia wurde in der spätem römischen

Zeit geradezu als Bezeichnung einer einfaltigen Lob-

rede gebraucht. Es liegt aber doch darin zugleich

ein Beweis, dass diese Gesänge keinen feststehenden

Text hatten.

 

Noch jetzt sollen in Corsica die , Lieder der

Frauen auf ermordete Angehörige wesentlich dazu

beitragen, die Blutrache immer wieder von neuem

anzufachen^). Auch im Leben des modernen Grie-

chenlands spielen die Myriologia der Frauen noch

immer eine grosse Rolle. »Sie sind ihrer Natur oder

ihrem Ursprünge nach immer Improvisationen und

werden in den Augenblicken des frischen Schmerzes

 

 

 

1) Jerem. 9, 16 — 19.

 

2) Vgl. Hermann, Griech. Privatalterthümer § 39, 15. Teuffel,

Gesch. d. röm. Litt. § 72. Ribbeck, Gesch. d. röm. Dichtung, I,

S. 7 f. Marquardt, Das Privatleben der Römer, S. 352.

 

3) Gregorovius, Corsica, I, S. 148. — Improvisation von Trauer-

gesängen in Verbindung mit Tänzen in Neu-Seeland: Shortland

a. a. O., S. 148 f.

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendichtung. ^aj

 

und der ungeschwächten Trauer gedichtet. Zwar

giebt es auch . für diese Lieder hergebrachte Formeln

und Gemeinplätze in Einleitungen, Uebergängen und

Schlüssen ; aber die Verschiedenheit des Todesfalles,

des Verstorbenen und des Verhältnisses der Sängerin

zu demselben macht doch jedes zu einer neuen und

eigenen Improvisation. Sie werden in dem gewöhn-

lichen Liederversmasse gedichtet, und ihre Weise,

zwar in einzelnen Stellen variierend, bleibt doch im

Allgemeinen dieselbe — eine klagende Melodie, lang-

sam fortschreitend und in hohen Tönen ausgehend,

gleichsam wie in dem Aufkreischen des Schmerzes.

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, schüchterne

und ganz unwissende Frauen in dem ersten Anfalle

des Schmerzes zu Dichterinnen werden zu sehen . . .

Es bedarf indessen wohl kaum der Erwähnung, dass

nicht alle griechischen Frauen in gleichem Grade

diese wunderbare Gabe besitzen. Einige von ihnen

sind durch ihre myriologische Begeisterung berühmt

und werden daher gewöhnlich eingeladen, das Ab-

schiedslied an den Todten zu singen. Eine solche

Myriologistin gilt in Griechenland so viel, wie in

Italien ein ausgezeichneter Improvisator. Auch lassen

die griechischen Weiber es nicht an Uebungen und

Vorbereitungen zu ihrem traurigen poetischen Amte

fehlen und singen oft unter einander bei ihren

Feldarbeiten Klagelieder auf eingebildete Todes-

falle, sey es nun, dass sie einen Nachbar oder einen

Freund bejammern, oder auch in Bildern spielen,

indem sie den Verlust einer Blume, eines Vogels,

eines Lammes zum Gegenstande ihrer Verse machen.

— Die meisten Myriologien verfliegen als Improvi-

sationen, und die Dichterinnen selbst bleiben ihrer

 

 

 

348 Achter Theil:

 

nicht mächtig, wenn die Begeisterung des Schmerzes

sie verlassen hat.«^)

 

Aber die schöpferische poetische Thätigkeit der

Frauen beschränkt sich nicht auf die Klagegesänge;

sie erstreckt sich vielmehr auf alles, was in das

Leben des Weibes tiefer eingreift. Insbesondere sind

bei vielen Völkern (vielleicht bei allen) die Weisen,

welche die Hochzeitsgebräuche begleiten, ihre Auf-

gabe, und auch unter den Resten alter deutscher

Volksdichtung hat sich manches dieser Art erhalten.

Beispielsweise sei an die merkwürdigen Lieder zum

Kranzbinden erinnert, die sich den Arbeitsgesängen

nähern oder vielleicht als Uebertragung derselben

in die Sphäre des Festes betrachtet werden müssen^).

Bei den Tanzliedern wetteifert wenigstens das weib-

liche Geschlecht mit dem männlichen; viele Lieder

zu Gesellschaftsspielen gehören ihm allein an.

 

Was Fauriel von den Neugriechen sagt, dass sie

den Frauen ȟberhaupt einen grossen Theil der

schönsten und rührendsten Stücke aus allen Gat-

tungen der Volkspoesie verdanken«^), das gilt noch

von vielen andern Völkern, auch in Europa. So zu-

nächst von den Serben und Bulgaren. In der

vollständigsten mir bekannten Sammlung von Ueber-

setzungen serbischer Volkslieder kommen auf 164

 

 

 

1) C. Fauriel, Neugriech. Volkslieder, S. LXIV ff. Dort auch

ein sehr bezeichnendes Beispiel.

 

2) Sehr alterthümliches Beispiel aus Gottschee bei Hauffen,

S. 339f. Andere Hochzeitslieder bei Erk-Böhme, III, Nr. 1275 ff.

Wolfram, Nass. Volkslieder, Nr. 265^.

 

3) Vgl. Ueber anmuthige Improvisationen zum Reigentanze bei

Königsbesuchen in den Dörfern berichtet Ross, Wanderungen in

Griechenland, II, S. 119. 189 f.

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendichtung. ^dQ

 

Frauenlieder nur 7 1 Heldenlieder, die von Gusle-

spielem gesungen zu werden pflegen, womit freilich

nicht gesagt ist, dass sie alle von Männern gedich-

tet sind, während von den Frauenliedem mir völlig

festzustehen scheint, dass sie von Frauen ersonnen

sind, wie sie auch nur von ihnen gesungen werden.

Noch bedeutender scheint der Antheil dichtender

Frauen an dem Volksliederbestande der Bulgaren

zu sein. Einer der besten Kenner des letzteren^)

schreibt geradezu gewisse Eigenthümlichkeiten in

Form und Inhalt der Lieder demJJmstande zu, dass

die Frauen in der Volksdichtung tonangebend sind,

wie sie denn auch am meisten dazu beitragen, diesen

Schatz der Nation zu erhalten. Werkowitsch hat

nicht weniger als 270 unter den 335 Nummern

seiner Sammlung bulgarischer Volkslieder aus dem

Munde einer einzigen Frau in Seres niedergeschrieben,

und die Brüder Miladinow verdanken einem Mädchen

in ihrer Heimat 150 Liedertexte.

 

Wie hier, so weist auch bei den jungen Völkern

des Nordens der Volksliederschatz die deutlichen

Spuren der Frauendichtung auf. Unter den wunder-

bar vollendeten Volksliedern der Finnen bilden die

Mädchen^, Frauen-, Braut- und Hochzeitslieder eine

ganz hervorragende Gruppe. In der Auswahl, welche

H. Paul aus Elias Lönnrots Kanteletar in deutscher

Sprache veröffentlicht hat, befinden sich, wenn wir

die kleinen Gruppen der Fabeln und Beschwörungs-

runen unberücksichtigt lassen:

 

 

 

1) DozoN a. a. O., Vorrede, p. XVII f.

 

 

 

350

 

 

 

Achter Theil:

 

1. Mädchenlieder 88

 

2. Braut- und Hochzeitslieder 26

 

3. Frauenlieder 18

 

4. Wiegen- und Kinderlieder 17

 

5. Sängerlieder 20

 

6. Männerlieder 31

 

7. Hirten- und Jagdlieder 27

 

8. Balladen 8

 

9. Gedichte vermischten Inheilts 59

 

 

 

Zusammen 294

 

 

 

Auch wenn wir nur die vier ersten Gruppen für

die Frauen in Anspruch nehmen, so würde ihr An-

theil an dem ganzen Bestände den der Männer be-

reits überwiegen. Aber unter den Liedern der beiden

letzten Gruppen geht zweifellos auch noch ein nicht

unerheblicher Theil auf Dichterinnen zurück.

 

Noch weit ausgesprochener ist dieser weibliche

Charakter der Volkspoesie bei den Esten. Schon

HuPEL^) schreibt (1777): »Der Gesang gehört eigent-

lich den Weibspersonen zu. Auf Hochzeiten sind

besondere Weiber zum singen; doch stimmen auch

Mannspersonen mit ein, sobald Getränke die Freude

allgemein machen. Bey der Feldarbeit, bey ihren

Spielen u. dgl. hört man nur die Dirnen durch ihre

schreyenden Gesänge allgemeine Zufriedenheit ver-

breiten.« Noch Neus (1850) bezweifelt nicht, »dass

das weibliche Geschlecht viele der schönsten Lieder

ursprünglich gedichtet hat«, obwohl zu seiner Zeit

der urwüchsige Volksgesang schon stark in den Hin-

tergrund gedrängt war. Auf Hochzeiten und Kind-

 

 

 

i) Nachrichten, II, S. 133 u. 158 f.; vgl. auch Petri, Ehstland,

S. 67 f. und Neus, Einleitung, S. XIII.

 

 

 

Frauenarbeit und Frauen dichtung. ^ej

 

taufen pflegten sich die weiblichen Theilnehmer so-

gleich in zwei Chöre zu theilen; der eine sang eine

Zeile vor, der andere wiederholte sie. Neue Lieder

wurden von Einzelnen improvisiert. »Solche Lieder

darf nur Einer einmal vorsingen und dann wieder

von neuem anstimmen, so wiederholt sie der ganze

Haufe. Sie sind oft voll der beissendsten Spötte-

reien, darin sie vorzüglich die Deutschen nicht ver-

schonen und bisweilen auch den Hochzeitsvater mit-

nehmen, wenn er sich beim Hochzeitsschmause zu

sparsam oder knauserig finden lässt.«

 

Von den Letten berichtet Merkel^) das Gleiche*

»Bei den Letten ist die Dichtkunst auf die Kunkel

gefallen . . . Finster, verschlossen und schweigend

thut Jüngling und Mann seine Arbeit. Nie erhebt

sich sein Herz bis zum Hochtönen der Freude; er

müsste denn so betrunken seyn, dass er sich selbst

nicht kennte. Die Mädchen hingegen, in süssen

Träumen hinter ihrer Herde hinschleichend, besingen

diese und jeden Gegenstand, der sich ihnen darbeut.

Kein Wanderer kommt unbeverselt vorbey. Man

kann leicht denken, dass sie vorzüglich auf den Hoch-

zeiten glänzen. Ich habe sie zuweilen Impromptus

absingen hören, deren caustisches Salz von einem

Kästner entlehnt schien.«

 

Auch die litauischen Volksliedersammlungen

sind stark mit Elementen durchsetzt, die sich nur

aus einer selbstschöpferischen Betheiligung des weib-

lichen Geschlechtes an der Dichtung erklären lassen.

Die Zartheit und Innigkeit des Empfindens, das Be-

wegen im engen Gedankenkreise des bäuerlichen

 

 

 

i) Die Letten, S. 62, Anm. 14.

 

 

 

352

 

 

 

Achter Theil:

 

 

 

Hauses, die Schilderung der Mädchenträume, der

Vorbereitung zur Hochzeit, des schmerzvollen Ab-

schieds der Tochter vom Mütterlein, der kalten

Fremde, wo rohe Gatten, zornige Schwiegermütter,

neidische Schwägerinnen die Neuvermählte ängstigen,

 

— alles dieses weist die Mehrzahl der Dainos ent-

schieden den Frauen zu. »Das litauische Volkslied«,

sagt Ch. Bartsch^), »ist durchweg lyrisch, mit sehr

geringen Ansätzen zu epischer Darstellung und ist

 

— seinem wesentlichen Inhalte nach — eine von

Mädchen und Frauen gemachte poetische Ab-

spiegelung des litauischen Bauemiebens, bei der

eine frauenhafte Empfindsamkeit, eine innige Ver-

schwisterung mit der imigebenden Natur und eine

Unmittelbarkeit und Naivetät in der Ausdrucksweise

herrscht, wie sie in jeder Kunstdichtung als höchstes

Ziel der Lyrik aufgestellt und doch von den genialsten

Dichtern nur selten erreicht wird.«

 

Bei Esten, Letten und Litauern scheint auch

heute noch die Gabe der Improvisation unter den

Frauen und Mädchen nicht völlig erloschen zu sein.

Die gedruckten Volksliedersammlungen derselben

bestehen freilich wohl nur aus überlieferten Texten.

Aber es muss doch nach dem Gesagten von grossem

Interesse sein, festzustellen, wie weit dieser Nieder-

schlag des poetischen Schaffens der Vergangenheit

mit Liedern durchsetzt ist, die mit einer gewissen

Sicherheit als Erzeugnisse der Frauendichtung in

Anspruch genommen werden können. Ich habe da-

raufhin sämtliche Stücke in je einer grösseren mir

 

i) Dainu Balsai, Einleitung S. XXV f. Vgl. auch das Vorwort

zu NesselmaNx\, Lit. Volkslieder und Tetzner, Dainos (Reclam*s

Universal-Bibliothek 3694).

 

 

 

K

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendichtung. ^e»

 

vorliegenden Sammlung von estnischen, lettischen

und litauischen Volksliedern^) durchgenommen, solche

Lieder als unbestimmbar ausgeschieden, welche rein

erzählender Natur sind und über Geschlecht oder

Lebensstellung des Dichters keinerlei Auskunft geben*

Die übrigen wurden in Männer- und Frauenlieder

geschieden, je nachdem der Inhalt konkrete Merk-

male bot, die auf einen Sänger oder eine Sängerin

hinwiesen. Ueberall wurde sorgfaltig vermieden,

aus der in den Liedern sich aussprechenden Gefühls-

weise auf das eine oder das andere Geschlecht zu

schliessen. Dadurch hoffe ich aus diesem statistischen

Verfahren die Momente der Unsicherheit nach Mög-

lichkeit ausgeschlossen zu haben. Um jedoch ein

Kontroimittel zu haben, wurde auf mein Ersuchen

von anderer Seite eine zweite Sammlung litauischer

Volkslieder nach den gleichen Grundsätzen ausge-

zählt und da diese Kontroizählung im Resultat von

der meinigen nur um ein Procent abwich, so darf

ich für das Ergebniss wohl einen gewissen Grad von

Zuverlässigkeit in Anspruch nehmen. Unter den be-

handelten Volksliedern waren:

 

 

 

Nationalität:

 

 

 

Männer- Frauen- unbe- über-

 

lieder lieder stimmbar haupt

 

Estnisch 64 ^58 36 258

 

Lettisch 114 314 84 512

 

Litauisch 177 206 49 432

 

Zusammen 355 678 . 169 1202

 

 

 

i) Es sind die oft erwähnten Sammlungen von Neus, Ulmann

und Nesselmann. Ausgeschieden wurden von den estnischen Liedern

ulle Kinderlieder» Zählgeschichten und Räthsellieder.

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 23

 

 

 

354

 

 

Achter Theil:

 

 

 

 

 

 

Nationalität:

 

 

Männer-

lieder

 

 

Frauen-

lieder

 

 

unbe-

stimmbar

 

 

über-

haupt

 

 

 

 

/o

 

 

/o

 

 

/o

 

 

/o

 

 

Estnisch

 

 

24.8

 

 

61.2

 

 

14.0

 

 

100.^

 

 

Lettisch

 

 

22.3

 

 

61.3

 

 

16.^

 

 

100.0

 

 

Litauisch

 

 

 

41-0

 

 

47-7

 

 

11.3

 

 

lOO.Q

 

 

Zusammen 29.5

 

 

564

 

 

14.1

 

 

100.0

 

 

 

Es würden darnach bei Esten und Letten die

Frauenlieder verhältnissmässig etwas stärker vertre-

ten sein als bei den Litauern, und selbst wenn wir

alle nicht nach dem Geschlecht der Urheber be-

stimmbaren Texte den Männern zuweisen wollten, so

würden auf den Antheil des weiblichen Geschlechtes

immer noch über drei Fünftel des ganzen Bestandes

entfallen. Wenn wir dagegen diesen unsicheren Be-

standtheil gänzlich ausscheiden, so kommen von je

hundert der übrigen Lieder auf das weibliche Ge-

schlecht bei den Letten 73.3, bei den Esten yo.g und

bei den Litauern immer noch 53.3.

 

Alle drei Völker verdanken also, wie die Finnen

und die Südslaven, den überwiegenden Theil ihres

Volksgesanges den Frauen. Und zwar den einfachen

Frauen des Volkes, die Tag für Tag des Lebens kleine

Sorgen tragen und auf deren Schultern auch im mo-

dernen Bauernhause, wenigstens dieser Länder, noch

ein grosser Theil der güterschaffenden Arbeit ruht.

Darüber kann kein Zweifel bestehen: Bauernmädchen

und gewöhnliche Dienstboten ^) haben in diesen sämt-

 

I) Die Dienstbotenlieder bilden eine auch inhaltlich sehr

interessante Gruppe unter den estnischen und finnischen Volksliedern.

Vgl. Neus a. a. O. S. 204 ff. Paul, Kanteletar, S. 82 ff. Das

folgende Gedicht daselbst, S. 93. — Dass übrigens ähnliche Lieder

 

 

 

Frauenarbeit und Frauendichtung. ^ee

 

lieh einem augenblicklichen Impuls oder einer zu-

falligen Gelegenheit entsprungenen Liedern eine

Kraft des dichterischen Empfindens bewiesen, die

unsere höchste Bewunderung erregen muss. Man

lese nur folgende Zeilen aus der Dichtung eines fin-

nischen Bauemmädchens:

 

Böses hör' ich alle Tage,

Bin in aller Leute Munde,

Alle hassen mich im Dorfe,

Lästern mich zu jeder Stunde.

 

Doch je mehr sie mich verleumden,

Tückisch mich zu schmähen wagen,

Desto stolzer will ich scheinen,

Will den Kopf noch höher tragen;

Will dem edlen Rosse gleichen.

Keck und muthig vorwärts schreiten.

 

Aber kam' man, mich zu loben.

Mir ein rühmend Wort zu sagen.

Wollt* ich still den Nacken beugen.

Tief die Augen niederschlagen.

 

»Wer lehrte die Magd die alltäglichen Wahr-

nehmungen in so poetische Formen kleiden?« fragt

erstaunt der Uebersetzer dieser Lieder, denen die

bleichsüchtige Damenpoesie unserer Kulturvölker

nichts an die Seite zu stellen hat. Wer unserer

Darstellung mit etwelchem Verständniss gefolgt ist,

dem wird die Antwort nicht schwer fallen.

 

Nicht auf den steilen Höhen der Gesellschaft ist

 

 

 

auch heute noch selbst bei uns gelegentlich unter der arbeitenden

Klasse entstehen, beweist das schweizerische Spottlied : >Die Fabrikante

z* Dideldum« bei Tobler, Schweiz. Volkslieder I, S. 159 und ein

anderes Arbeiterlied aus Nassau über schlechten Verdienst beim Eisen-

bahnbau: Wolfram, Nass. Volkslieder Nr. 374.

 

23*

 

 

 

3^6 Achter Theih Frauenarbeit und Franendichtung.

 

der Dichtung Quell entsprungen, sondern aus den

Tiefen der reinen und starken Volksseele ist er her-

vorgequollen. Frauen haben über ihm gewaltet, und

wie die Kulturmenschheit ihrer Arbeit viel des Be-

sten verdankt, was sie besitzt, so ist auch ihr Denken

und Dichten eingewoben in den geistigen Schatz,

der von Geschlecht zu Geschlecht überliefert wird.

Es wäre eine lohnende Aufgabe, die Spuren der

Frauendichtung weiter zu verfolgen in dem geistigen

Leben der Völker. Sind sie auch vielfach verschüt-

tet durch die nachfolgende Periode der Männerpoesie,

die in dem Masse die Herrschaft zu erlangen scheint,

als auch die materielle Produktion an die Männer

übergeht, so lassen sie sich doch bei einer Reihe

von Völkern bis tief in die litterarische Zeit hinein

verfolgen^).

 

 

 

I) Einiges Rohmaterial hat Bruchmann, Poetik, S. 58 ff. zusam-

mengestellt — freilich nur unter dem Gesichtspunkte der Kuriosität.

 

 

 

IX. Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungs-princip.

Unsere Untersuchung hat eine Reihe von Fäden

blossgelegt, deren Enden in der heutigen Welt weit

auseinanderliegen, deren Anfange aber in dem Masse,

als man sie weiter zurückverfolgt, einander sich nähern

und schliesslich allein einem Punkte zusammenlaufen.

Dieser Punkt liegt hart an der Grenze des Gebietes,

wo pfadloses Dunkel die Urgeschichte der Mensch-

heit deckt, und wenn wir von diesem Schnittpunkte

aus die zurückgelegten Wege noch einmal mit den

Augen des Geistes durch die Jahrtausende hindurch

verfolgen, so erkennen wir, dass wir es mit einem

socialen Evolutionsprozess zu thun haben, der nach

der sachlichen Seite als Differenzierung und Inte-

gration, nach der persönlichen als Arbeitsvereinigung

und Arbeitstheilung betrachtet werden kann.

 

An jenem Convergenzpunkte erblicken wir die

Arbeit noch ungeschieden von Kunst und Spiel. Es

giebt nur eine Art der menschlichen Thätigkeit,

welche Arbeit, Spiel und Kunst in sich verschmilzt.

In dieser ursprünglichen Einheit der geistig-körper-

lichen Thätigkeit des Menschen erkennen wir bereits

die spätere wirthschaftlich-technische Arbeit, die

Hauptformen des Spiels und alle Künste, sowohl die-

 

358 Neunter Theil:

jenigen der Bewegung als auch diejenigen der Ruhe,

in ihren Keimpunkten eingeschlossen, und wenn wir

unsere Begriffe auf diesen Zustand übertragen wollen,

so müssen wir sagen: die Künste der Bewegung

(Musik, Tanz, Dichtkunst) treten beim Vollzug der

Arbeit mit zu Tage, und die Künste der Ruhe (Bild-

nerei, Malerei) erscheinen in den Ergebnissen der

Arbeit — wenn auch oft nur in der Gestalt der

Ornamentik — verkörpert^). Diesem allem aber fehlt

noch das wirthschaftliche Moment. Es ist reine, in-

stinktive Lebensbethätigung.

 

Das Band, welches diese, nach unserem Em-

pfinden so verschiedenartigen Elemente zusammen-

hält, ist der Rhythmus: die geordnete Gliederung

der Bewegungen in ihrem zeitlichen Verlauf. Der

Rhythmus entspringt dem organischen Wesen des

Menschen. Alle natürliche Bethätignng des thie-

rischen Körpers scheint er als das regulierende Ele-

ment sparsamsten Kräfteverbrauchs zu beherrschen.

Das trabende Pferd und das beladene Kameel be-

wegen sich ebenso rhythmisch wie der rudernde

Schiffer und der hämmernde Schmied. Der Rhyth-

mus erweckt Lustgefühle; er ist darum nicht bloss

eine Erleichterung der Arbeit, sondern auch eine

der Quellen des ästhetischen Gefallens und dasjenige

Element der Kunst, für das allen Menschen ohne

 

 

 

i) Vgl. oben S. 15. — Nach Grosse a. a. O. S. 142 ff. findet

sich in der Ornamentik der Naturvölker das »Princip der rhythmischen

Anordnung^: in grösster Ausdehnung vor. Dasselbe würde somit nicht

bloss die verschiedenen hier behandelten Elemente der Thätigkeit

dieser Volker beherrschen, sondern sich auch auf die Produkte dieser

Thätigkeit übertragen. Doch würde es zu weit führen, hier diesem

Gesichtspunkte nachzugehen.

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. ^^q

 

Unterschied der Gesittung eine Empfindung inne-

wohnt. Durch ihn scheint in der Jugendzeit des

menschlichen Geschlechts das ökonomische Princip

instinktiv zur Geltung zu kommen, welches (nach

Schäffle) uns befiehlt, möglichst viel Leben und

Lebensgenuss mit möglichst geringer Aufopferung

an Lebenskraft und Lebenslust zu erstreben.

 

Schon die alten Philosophen sind auf diese uni-

versale Bedeutung des Rhythmus aufmerksam ge-

worden. Platon leitet ihn aus der Natur des Men-

schen ab, indem er auf die Freude der Jugend an

lärmender Bewegung hinweist. Die übrigen Lebe-

wesen hätten keine Empfindung für die Ordnung in

den Bewegungen, die man als Rhythmus und Har-

monie bezeichne; den Menschen aber sei diese mit

Lust verbundene Empfindung von den Göttern ver-

liehen, welche am Tanze Antheil hätten (den Musen,

ApoUon und Dionysos). Durch jene Lust erweckten

die Götter in uns die Neigung zur Bewegung und

zum Tanze, und verbänden durch Gesänge und Tanz-

reigen die Menschen mit einander^). Aristoteles

unterscheidet einen dreifachen Rhythmus: einen

Rhythmus der Gestalten (öxrjfian^öfiEvog), der sich in

den Bewegungen des Tanzes zu erkennen giebt,

einen Rhythmus der Töne, der zusammen mit der

Harmonie im Liede zum Ausdruck gelangt, und einen

 

 

 

I) Platon bringt an der betr. Stelle (Ges. II, 653 D ff.) das Wort

XOQOS sogar in etymologischen Zusammenhang mit x^Q^* — ' ^^^ ^™

letzten Satze ausgesprochene socialisierende Seite des Tanzes findet

sich in wirkungsvollster Weise rhetorisch verwerthet bei Xenoph.,

Hell. II, 4, 20 — ein Beweis, dass es sich um eine für die Griechen

anerkannte Wahrheit handelte. — Vgl. auch Cicero de or. III, 51, 197:

Nihil est tam cognatum mentibus nostris quam numeri atque voces.

 

 

 

•aÖO Neunter Theil:

 

Rhythmus der Rede, dessen Theile die Metra sind.

Auch ihm ist der Rhythmus etwas der menschlichen

Natur Entsprechendes {xatä q)v6i,v) oder Verwandtes

(övyyevdg). Mit der Harmonie zusammen bewirkt er

das Lustgefühl, das wir bei der Musik empfinden;

im Verein mit der Nachahmung und der Harmonie,

die ebenfalls angeboren sind, hat er die Menschen

von selbst zur Erfindung der Poesie geführt^).

 

Die Griechen legten desshalb dem Element der

formalen Gliederung in der Musik eine hohe Be-

deutung für die Erziehung der Jugend bei. Rhyth-

mus und Harmonie sollten die menschliche Seele

erfüllen und das ganze Leben durchdringen, weil sie

tüchtig zum Reden und Handeln machen*). Aber

 

1) Aristot. Poet. c. 4 und Polit. Vin, 5 — 7. — Mein verehrter

College O. Immisch macht mich auf eine interessante Stelle in den

Arist. ProbL p. 920^ 29 fF, aufmerksam, in welcher die Frage erörtert

"wird, ob der Rhythmus und überhaupt das musikalische Gefühl an-

gewöhnt oder angeboren seien, und in der sich auch ein Hinweis auf

den Rhythmus der Arbeit findet. Ich setze die Stelle desshalb hier»

her: /Jiä xi QV^fitp %ocl {iiXu nal oXtog rcctg aviKpavlaig x^^QOvai

Ttdvtes; ri ort taig xam q)vaLv mvqasaL x'^^Q^i^^'^ Tiatcc q)vaLv; ori-

fislov d^, tä Ttccidlcc s'bd'vg yevo^isva x^^Q^*''^ ccinoCg. diä Sh t6

^d'og tQonoLg ^isX&v x^^QO^isv. (vd'iim Sh x^'^i'QOii'Sv dUc t6 yvmQi\i.ov

TLul tstocy^iivov icQid'nbv ^x^lv xal hlvsIv rm&g vsrayuivovg' oliisto-

xiqa yccQ 7} tsrccyiiivri nivrioig (pvaeL tfjg ictayitov, mors ticcl ncctcc

tpvaiv \LaXXov. ari^stov dh^ Ttovovvrsg yccQ xal nlvovTsg xccl iad'i-

ovrsg rsTccyiiiva a&^ofiev xal aij^o^sv tiiv tpvaiv xal xriv dvvcciiiVy

axaxxK 8h qj^sigofiev xal i^Lara^sv ccbrrjv. ccl yäg vöaoL rf}g Toi>

Gm^ccTog o'i) xatcc qjvaiv td^sag xtvrjastg slaiv. öviitpavia de %aL-

QO^iev, ort HQ&aig ictL X6yov ^;i;({vrcöi/ ivavxLav Ttgbg aXXriXcc. 6 [ihv

ovv Xoyog rd^i^g, rjv q)vasL rjSv. tb ds tls'kqccii^vov tov Sixgcitov

^av rjÖLOV, äXXtog rs ticiv ala9'ritbv ov &iiq)olv totv &xqolv i^ Haov

rriv dvvaftfcv ^x^^ ^^ '^V cviKpavia 6 Xoyog.

 

2) Plat. Protag. p. 326 B: xal rovg Qvd'iiovg ts xofl rag oiQfio-

viocg ScvccyTtd^ovaiv olTistovad'aL tatg ijyvxcctg x&v naldav, ivcc i7fie-

 

 

 

f

 

I

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 36 1

 

nicht minder schätzten sie den Rhythmus der Körper-

bewegung, den sie als Ausdruck feiner Bildung und

sittlicher Selbstzucht ansahen. Den von Musik

und Gesang begleiteten Tanz, als die vollkommenste

Ausprägung des Rhythmus, betrachteten sie als eine

religiöse Handlung; ihm zu Ehren waren die my-

thischen Figuren der Kureten und Korybanten ent-

standen; er ist an der Entwicklung der poetischen

Litteratur des alten Hellas in hervorragendem Masse

betheiligt, und bis in späte Zeiten hinein hat er eine

nicht unwichtige sociale und politische Rolle ge-

spielt. Bei den Thessalern war das Amt des »Vor-

tänzers« eine hohe staatliche Würde, und die kriege-

rischen Erfolge der Lakedämonier schrieb man nicht in

letzter Linie der durch die orchestischen Uebungen der

Jugend erzielten Disciplin zu. Die Alten hatten

darum auch ein ausserordentlich feines Gefühl für

den Rhythmus der Körperbewegungen und der

Sprache und Hessen Verstösse gegen beides im The-

ater nicht leicht ungerügt^). Aber sie haben auch

schon den Begriff des Rhythmus auf ursprünglich

ihm fern liegende Gebiete übertragen, wie nament-

lich auf Werke der Kunst und selbst des Handwerks^.

Rhythmisch war ihnen schliesslich alles in richtigen

Verhältnissen Gegliederte und durch seine innere

 

 

 

QCiTSQoL T£ mot xal s{}Qvd'^6tSQ0t> Tial svaQ^oarorSQOi^ yLyvöiisvot

XQTjatiiot &6IV slg t6 Xiyuv ts xal TtgaTTSiv n&g yäg 6 ßlog toij

Scvd'QODTtov sijQvd'nLag xofl svccQ[i06rlccs dsttat.

 

1) Cic. Parad. 3, 2, 26: histrio si paulum se movit extra nume-

rum aut si versus pronuntiatus est syllaba una brevior aut longior,

exsibilatur, exploditur. Cf. Or. 51, 173.

 

2) Vgl. z. B. Xenoph. Mem. III, lO, 10. Piaton Polit. in, 400.

413®. Diod. Sic. I, 97.

 

 

 

V

 

 

 

«52 Neunter Theil:

 

Ordnung Wohlgefällige. Der Rhythmus war ihnen

ein Princip, welches das Weltall durchdringt, gleich-

zeitig entstanden — wie uns Lukian in seiner Schrift

über den Tanz erzählt — mit dem alten orphischen

Eros, der das uranfängliche Chaos ordnete und den

»Reigen der Sterne« in Bewegung setzte.

 

Der heutigen Menschheit muss diese Auffassung

fremdartig vorkommen. In unserer Erziehung spielt

der Rhythmus keine Rolle mehr; bei den Körper-

bewegungen wird er kaum beachtet, und selbst in

der Tonkunst ist er so sehr hinter Melodie und Har-

monie zurückgetreten, dass sogar Musikgelehrte Miene

machen, ihm nur eine Nebenrolle zuzuerkennen^).

Allerdings beobachten wir noch den Einfluss, den

ein frischer Militärmarsch oder eine lustige Tanz-

weise auf die ermüdeten Glieder ausüben, wie sie

gleichsam die Muskeln straffer zu spannen, die ver-

lorene Kraft wieder zu bringen, den Geist zu er-

muntern und die Stimmung zu heben scheinen. Wir

empfinden, dass unrhythmische Geräusche uns nach

kurzer Zeit unerträglich werden; aber an unrhyth-

mischen Bewegungen nehmen wir kaum noch An-

stoss; das Tanzen erscheint uns als eine bedeutungs-

lose konventionelle Belustigung*, und ein politischer

Redner, der wie jener Athener seine Zuhörer als

seine »Mittänzer« anreden wollte, würde sich dem

Gelächter aussetzen.

 

Diese Umkehr der Anschauungen scheint mir

nicht in letzter Linie mit der tiefgreifenden Verän-

derung unserer Lebensbedingungen und speciell

 

 

 

I) Vgl. z. B. E. Hanslick, Vom Musikalisch-Schönen (7. Aufl.)

S. 161 ff.

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 363

 

unserer Arbeitsweise zusammenzuhängen, insbeson-

dere aber mit dem Einfluss, den der Gebrauch künst-

licher Arbeitsinstrumente auf die Haltung und Be-

wegung des Körpers ausübt.

 

Versetzen wir uns einen Augenblick auf den

Anfangs- und Ausgangspunkt aller wirthschaftlichen

Thätigkeit, den Zustand des rohen Naturvolkes, zu-

rück, so erblicken wir auf der einen Seite den be-

dürftigen Menschen mit den ihm angeborenen, noch

unentwickelten Körper- und Geisteskräften, auf der

anderen" Seite die äussere Natur, aus der er ver-

mittelst der Arbeit die Mittel zu seiner Bedürfniss-

befriedigung heranzuholen hat. Alle Arbeit richtet

sich auf Orts- oder Formveränderung an den Dingen

der Aussenwelt. Zu ihrer Ausführung stehen dem

Menschen zunächst nur seine Gliedmassen zur Ver-

fügung, die er entsprechend der anatomisch-physio-

logischen Naturanlage seines Körpers bewegt und

so auf den Stoff wirken lässt. Diese Einwirkung

ist eine unmittelbare; es giebt keinerlei künstliche

Hilfsmittel, durch welche eine Umsetzung der Mus-

kelbewegungen stattfinden könnte. Kraftaufwendung

und Kraftwirkung sind im besten Falle einander

gleich, da kraftersparende mechanische Vorrichtungen

noch unbekannt sind.

 

Unter diesen Umständen ist die Orts- und Form-

veränderung der Dinge ein äusserst mühsames, lang-

wieriges Geschäft, da sie nur durch direkte Einwir-

kung der Arme, der Hände, der Füsse, der Nägel,

der Zähne auf den Stoff bewerkstelligt werden kann.

Aber zugleich ist auch jede Arbeitsbewegung eine

vollkommen willkürliche, lediglich durch die natür-

lichen mechanischen Hilfsmittel des Körpers bedingte.

 

 

 

^64 Xcnnter Tbeil:

 

Mit Xoth wendigkeit muss darum die übergrosse Menge

der Arbeitsvorgänge sich von selbst rhythmisch ge-

stalten.

 

Auch die Erfindung der ersten Werkzeuge ändert

an diesem Zustand nur wenig. Denn sie sind zu-

nächst nur eine Vervollkommnung der Gliedmassen

in derjenigen Eigenschaft, welche für den Arbeits-

prozess am wichtigsten ist*). Der Hammer ist eine

härtere und unempfindliche Faust, die Feile, die

Schabmuschel, das Grabscheit treten an Stelle der

Fingernägel, die Ruderschaufel ist nur eine verbrei-

terte hohle Hand, die Mörserkeule ersetzt den stam-

pfenden Fuss, der Reibstein die pressende Handfläche.

Das Werkzeug wird zwar zwischen den menschlichen

Körper und den Stoff eingeschoben; aber die Be-

wegungen des ersteren wirken noch immer unmittel-

bar auf den letzteren; der arbeitende Mensch regu-

liert diese Bewegungen noch immer selbständig; sie

sind durchaus in seinen Willen gestellt; ihr räum-

liches Ausgreifen, ihre Dauer, ihre Schnelligkeit sind

lediglich durch seine Körperkonstitution, seine tech-

nische Einsicht, seine Stimmung bedingt. Keine

äussere Macht erzwingt sie.

 

Die ganze Gestaltung des Arbeitsverfahrens ist

sonach durchaus individuell. Selbst das Werkzeug

wird gleichsam zu einem Theil des Individuums, wie

wir noch heute bei der gewöhnlichen Handarbeit

beobachten können, wo jeder mit der eigenen Schau-

fel oder Hacke, dem eignen Beil oder Schlägel am

 

 

 

I) Vgl. Rau, Grundsätze der Volkswirthschaftslehre I, § 125».

M. Chevalier, Die heutige Industrie, ihre Fortschritte und die Vor-

aussetzungen ihrer Stärke, S. 12.

 

 

 

Der Rhythmus als Ökonomisches EntwickluDgsprincip. 265

 

besten fertig wird*). Dazu sind die meisten dieser

Arbeitsmittel noch relativ wenig wirksam; jede ein-

zelne Arbeit muss lange gleichmässig fortgesetzt

werden, wenn die erstrebte Wirkung erreicht werden

soll: alles Umstände, die auch auf dieser Stufe noch

der rhythmischen Gestaltung der Arbeitsbewegnngen

den weitesten Spielraum sichern.

 

Zugleich aber ergeben sich mit der Anwendung

von Werkzeugen aus hartem, stark schwingendem

Material rhythmisch verlaufende und darum musi-

kalisch wirkende Arbeitsgeräusche, die auf den pri-

mitiven Menschen einen incitierenden Einfluss üben,

weil sie Lustgefühle erregen, die er zu wiederholen

und zu verstärken strebt. So gesellt sich zum Klang

des Werkzeugs der nachahmende Laut der Stimme:

es entsteht der Arbeitsgesang.

 

Offenbar haben wir damit alle Voraussetzungen

gegeben, welche beim Tanze der Naturvölker zu-

treffen: automatische Gestaltung der Körperbewegung,

Gesang und begleitendes oder bloss taktierendes In-

strument, und in der That beobachten wir, wo sich

eine derartig gestaltete Arbeit noch erhalten hat,

z. B. bei den Ruderfahrten der Südseeinsulaner, auch

die Wirkungen des Tanzes: grosse Ausdauer in den

Körperbewegungen und wachsende Schnelligkeit der-

selben, verbunden mit einer sich steigernden Fröh-

lichkeit (vgl. S. 2 56 f.). Wir haben mehrfach Arbeits-

bewegungen kennen gelernt, die sich von Tanzbe-

wegungen kaum unterscheiden Hessen; die Römer

verglichen das Stampfen der Walker mit dem Waffen-

 

 

 

i) Darin liegt mit ein Grund dafür, wesshalb viele der alten Zunft-

handwerke fordern, dass der Geselle sein eigenes "Werkzeug besitze.

 

 

 

5 56 Neunter Theil:

 

tanz der Salier; die Arbeit der antiken Keltertreter

(oben S. 319) gestaltete sich wie ein Fest, und die

Abbildung des Teigknetens (mit den Füssen) in einer

altägyptischen Bäckerei nimmt sich wie eine orche-

stische Scene aus^).

 

Natürlich darf man derartige vereinzelte Be-

obachtungen nicht verallgemeinem; aber man darf

auf der andern Seite noch viel weniger in den Ton

der modernen Nationalökonomen einstimmen, welche

jede einförmige Arbeit als »geisttötende« und be-

sonders »aufreibende« Arbeit ansehen. Gerade die

Einförmigkeit der Arbeit ist die grösste Wohlthat

für den Menschen, so lange er das Tempo seiner

Körperbewegungen selbst bestimmen und beliebig

aufhören kann. Denn sie allein gestattet rhythmisch-

automatische Gestaltung der Arbeit, die an sich be-

friedigend wirkt, indem sie den Geist frei macht und

der Phantasie Spielraum gewährt. Rhythmische Ar-

beit ist aber auch an sich nicht geistlose, sondern

in hohem Masse vergeistigte Arbeit; nur dass die

dafür nöthigen psychischen Operationen (oben S. 24 f.)

an den Beginn der Verrichtung verlegt sind und ihre

späteren Wiederholungen nur beeinflussen, wie das

aufgegossene Oel den Gang der Maschine. Auf- .

reibend werden nur solche einförmige Arbeiten, die

sich nicht rhythmisch gestalten lassen und bei jeder

neuen Operation eine neue, wenn auch gleichartige

Aktion unseres Vorstellungsvermögens erfordern, wie

 

 

 

i) Vgl. Erman, Aegypten und ägyptisches Leben im Alterthum,

S. 269; dort auch das Treten der Trauben, S. 278. — Bei den Israe-

liten wird der Refrain im Gesänge der Keltertreter (hedad, hedad!)

geradezu zum allgemeinen Jubelruf. Vgl. Jer. 48, 33. 25, 30. 51, 14;

Jes. 16, 9. 10.

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwlcklungsprincip. 367

 

das Addieren von Zahlenreihen, das Abschreiben von

Schriftsätzen u. dgl.^).

 

Auf die Arbeit der Naturvölker angewendet,

ergiebt dies auf der einen Seite möglichste Einschrän-

kung dessen, was ihnen am schwersten wird, des

Nachdenkens, und auf der anderen Seite die Her-

beiführung dessen, was sie bei ihrer Indolenz und

Energielosigkeit am meisten brauchen, einer »geho-

benen Stimmung, ohne die sie zu energischen Klraft-

leistungen nicht fähig sind« 2). Es liegt also in der

 

 

 

i) Sehr feine Beobachtungen über den Einfluss des automatischen

Arbeitens auf die Seelenstimmung des Arbeitenden und auf die Qua-

lität der Arbeit, sowie insbesondere auch über die Wirkung von

"Widerständen, welche den rhythmischen Gang der Arbeit unterbrechen

und erneutes Nachdenken verlangen, bei L. Tolstoi, Anna Karenin,

Bd. I, dritter Theil, Kap. 4 und 5.

 

2) Vgl. Fkitsch, Die Eingeborenen Südafrikas, S. 35 1. Schneider,

Naturvölker II, 202. — Der »Musikalisch -kritischen Bibliothek« von

J. N. FoRKEL (Gotha 1778; Bd. I, S. 229 entnehme ich folgende Aus-

führung »über den Zustand der Musik bei den Egyptiem und Chinesen« r

»Die Missionarien bemerkten, dass die Melodien, welche sie zu Canton

hörten, mit denen, welche man im ganzen südlichen Asien hört, eine

Aehnlichkeit haben. Die Reisebeschreiber, welche diesen Theil der

Welt durchreist sind, haben gleich anfanglich bemerkt, dass die Men-

schen daselbst beständig durch das Geschrey oder Geräusch, dergleichen

man auf den Schiffen in Japan, China, Siam und allen Inseln des

Indianischen Archipelagus , um die Ruderknechte zur Arbeit zu er-

halten, macht, zur Bewegung und Arbeit ermuntert werden müssen»

In diesen Ländern, schreibt Chardin, können die Arbeitsleute keinen

Balken aufheben, oder einen Stein fortbringen, ohne dabei zu schreyen.

Die Ursache, welche er dafür anführt, ist gegründet. Es kömmt dieses

nämlich von der Trägheit der Seele her, welche alle Augenblicke durch

einen rauhen oder scharfen Schall, als der von einer Trommel oder

Flöte ist, gleichsam aufgeweckt werden muss, wie man denn dergleichen

Instrumente auch in allen heissen Gegenden des Weltkreises antrifft*

Liebliche und melodische Töne würden die sinnlichen Werkzeuge bey

 

 

 

5 58 Neunter Theil:

 

Möglichkeit, ja Noth wendigkeit rhythmischer Ge-

staltung der primitiven Arbeitsprozesse ein mächtiges

kulturfordemdes Element, das bei aller Unergiebig-

keit der Arbeitsmethoden und aller Unvollkommenheit

der Hilfsmittel doch unter günstigen Verhältnissen

Werke hervorzubringen gestattet, die noch das Stau-

nen der späten Nachkommen erwecken. Man be-

denke z. B. nur, dass es bei den meisten Naturvölkern

kein anderes Transportmittel giebt, als den Kopf

oder Rücken des Menschen. Werden doch noch

heute in China die Feldfrüchte an einer über die

Schulter gelegten Stange transportiert^), und in Ja-

pan erfolgt selbst die Fortbewegung des Materials

zu grossen Bauwerken in Netzen, die an einer solchen

Stange getragen werden^. Auf der Pariser Welt-

ausstellung von 1889 waren mehrere Dörfer von Ein-

geborenen aus den französischen Kolonien dargestellt,

in deren Hütten die verschiedenen gewerblichen

Arbeiten dieser Völker vor den Augen des Publi-

kums ausgeführt wurden. Nicht einer dieser Pro-

duktionsprocesse bedurfte mehr Werkzeug, als dass

es sich bequem in einer Hand hätte forttragen lassen.

Und Ahnliches gilt selbst von den ostasiatischen

Völkern mit ihrer alten Kultur^). Unter solchen

 

diesen Völkern nicht genug rühren; und eben aus diesem Grunde

haben sie es niemals in der Musik weit gebracht und dürften es wohl

schwerlich jemals weit darin bringen.«

 

1) Scherzer, Fachmännische Berichte über die österr.-ung. Exp.

nach Siam, China und Japan (1868 — 1871), Anhang, S. 64.

 

2) G. Spiess a. a. O., S. 165.

 

3) >Die indischen Handwerker arbeiten fast ohne Werkzeug; ihre

Werkstätte ist allenthalben. Da kommt z. B, ein indischer Schmied,

der Eisenwerk für das Haus anfertigen soll. Er macht an Ort und

Stelle eine Grube, sammelt umherliegendes Holz und brennt sich seine

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 260

 

Umständen vermag die schwache Kraft des Einzelnen

nur wenig zu leisten. Es müssen Massen von Men-

schen aufgeboten werden, um eine grössere Arbeits-

aufgabe zu bewältigen, und gerade hier zeigte sich

uns die rhythmische Gestaltung der Arbeit bei der

Bitt- und Frohnarbeit als ein Faktor von zusammen-

fassender Kraft.

 

Ueberall regt die gesellige Arbeit von selbst zu

taktmässiger Gestaltung der Thätigkeit und zum Ge-

sang an, in welchem wir. somit einen wichtigen Fak-

tor für die Ausbildung der Arbeitsgemeinschaft

und auch ein Erziehungsmittel zur Arbeitsamkeit zu

erblicken haben werden^).

 

 

 

Kohlen. Den andern Tag kommt er wieder, seine Schmiede unter

dem Arme. Er pflanzt seinen Ambos in den Boden, baut sich eine

Esse von ein wenig Erde, mischt die Kohlen mit Reishülsen und

zündet ein Feuer an. Dann setzt er sich mit untergeschlagenen Beinen

dahinter und lässt seinen Blasebalg (ein zusammengenähtes Kalbfell)

lustig spielen. Wenn das Eisen glüht, so streckt er es auf den

Amboss; seine Füsse braucht er ohne Weiteres zum Schraubstock.

Auf diese Weise fertigt er Riegel, Haken, Schlösser u. s. w^. So ein-

fach geht es aber nicht bloss bei dem Grobschmied her; selbst der

Goldschmied arbeitet die feinsten Sachen, man möchte beinahe sagen,

aus freier Hand. In der Wohnung eines Europäers sahen wir ein-

mal einen solchen in einem Winkel des Hausflurs kauern, emsig be-

schäftigt mit der Verfertigung einer goldenen Kette. Er hatte dazu

nichts als seine zehn Finger und ein Zängelchen.« K. Graul, Reise

nach Ostindien IV, S. 96 f.

 

I) Das letztere gilt auch von der Einzelarbeit. In einem lettischen

Volkslied (Ulmann, a. a. O. Nr. 236) giebt die Schwester dem

Bruder für die Brautwahl folgenden Rath:

 

»Such* dir, Brüderchen, zum Bräutchen

Eine gute Sängerin,

Eine gute Sängerin

Ist auch fleissig bei der Arbeit.«

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 24

 

 

 

370

 

 

 

Neunter Thefl:

 

 

 

Noch viel eindringflicher treten uns diese Ge-

sichtspunkte bei etwas vorgeschritteneren Kultur-

verhältnissen entgegen, wie wir sie etwa bei den

vorderasiatischen Völkern und bei den alten Aegyp-

t e r n finden. Die Ausrüstung der letzteren mit Werk-

zeugen und sonstigen Arbeitsmitteln, welche uns aus

den zahlreichen Denkmälern in ziemlicher Vollständig-

keit entgegentritt, war eine wahrhaft klägliche. Beim

Ackerbau scheint der hölzerne, von Menschen ge-

zogene Pflug die Regel gebildet zu haben. Die

grossen Schollen des schweren Bodens wurden mit

hölzernen Hacken oder Hämmern zerkleinert, die

Saat durch Schafe eingetreten. Egge und Walze

kannte man nicht; den Wagen benützte man min-

destens nicht zu landwirthschaftUcben Zwecken^).

 

Zum Transport der grossen Baustücke verwen-

dete man gewöhnlich nur Menschenkräfte, die sie

auf hölzernen Schleifen an langen Seilen paarweise

gereiht fortbewegten. Zur Bearbeitung der härtesten

Steine hatte man nur die primitivsten Werkzeuge.

»Alle Bilder, die die Bildhauer bei ihrem Werke

darstellen, lassen sie mit einem kleinen metallenen,

in Holz gefassten Meissel und einem grösseren Schlägel

die Statuen bearbeiten, während sie die Politur durch

Schlagen und Reiben mit Quarzstücken erzeugen.

Mögen sie nun auch diese unvollkommenen Instru-

mente sich noch durch allerlei Kunstgriffe verbessert

haben, immerhin musste ihre Arbeit eine sehr müh-

same und zeitraubende sein^«. Auch »die Instru-

mente, deren sich die ägyptischen Tischler und

 

1) Ebwan a. a. 0„ S. 569 tF. 6+9 ff,

 

2) Ekman, S. 551.

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. ^yi

 

Zimmerleute bedienten, waren ziemlich einfacher

Natur, und es ist jedenfalls nicht das Verdienst dieser

Werkzeuge gewesen, wenn ihre Arbeiten oft so voll-

endet ausgefallen sind. Die metallenen Theile der

Werkzeuge bestanden aus Bronce und wurden nur

bei den Meissein und Sägen in den Stiel eingelassen,

während man bei allen Aexten und Queräxten sich

begnügte, sie mit Lederriemen an den Griff zu bin-

den.« Das Universalinstrument war der Dächsei

unserer Zimmerleute, eine kleine Queraxt, deren Stiel

die Gestalt eines spitzen Winkels mit ungleichen

Schenkeln hat; an dem kurzen Schenkel war das

broncene Blatt angebunden, der längere wurde als

Griff benutzt. »Als Hobel diente ein grosses spaten-

förmiges Instrument, mit dessen breitem Blatte der

Arbeiter die kleinen Unebenheiten des Holzes ab-

stiess; die feinere Politur ward schliesslich durch

unablässiges Reiben mit einem glatten Steine er-

reicht. Die Säge hatte, wie unsere Stichsägen, nur

einen Griff, und es war jedenfalls eine höchst müh-

same Arbeit, einen dicken Sykomorenstamm mit

diesem ungeschickten Instrumente in Bretter zu zer-

schneiden. Der Balken, den man zersägen wollte,

ward in der Regel senkrecht an einen im Erdboden

eingegrabenen Pfahl gebunden, und auch die durch-

schnittenen Theile des Holzes wurden umschnürt,

damit sie nicht durch ihr Auseinanderklaffen das

Sägen störten. In älterer Zeit steckte man dann

noch schräg durch diese Binden einen Stab, an dem

ein Gewicht hing; er sollte sie offenbar in der richtigen

Spannung halten und am Heruntergleiten verhindern.«^)

 

 

 

I) Erman, S. 6oi f.

 

24*

 

 

 

372

 

 

 

Neunter Theil:

 

 

 

Man mxiss sich solche Einzelheiten vergegen-

wärtigen, um zu begreifen, eine wie ungeheure

Menschenmenge erforderlich war, um mit so schwachen

technischen Hilfsmitteln Grosses und Dauerndes zu

leisten. Um einen Steintransport aus den Brüchen

von Hammamat nach dem zwei Tagereisen entfern-

ten Nil zu bewerkstelligen, bedurfte es einmal einer

Expedition von 8368 Köpfen. Diese Massen mussten

in wirksam zusammenfassender Weise zum Werke

vereinigt, die Arbeit selbst musste für jede Aufgabe

besonders organisiert werden. Und hier bot der

Rhythmus ein Bindemittel, wie es nicht besser ge-

dacht werden kann, indem er eine Mehrzahl von

Arbeitern zu einem energisch thätigen Körper ver-

einigte, der seine Obliegenheiten mit ähnlicher Prä-

cision erfüllte wie heute die Maschine. Freilich ist

er nicht, wie die letztere, unermüdlich; aber er hält

doch länger aus, arbeitet munterer und gleichmässiger

als der auf sich gestellte isolierte Arbeiter. Die in

ihm vereinigte Vielheit von Arbeitern leistet mehr

als das gleich Vielfache der Arbeit eines Einzigen;

ja sie leistet in kurzer Zeit, was der Einzelne nie

vermöchte, auch wenn er Jahrzehnte lang sich ab-

mühte.

 

Schon eine flüchtige Durchmusterung einer

Abbildersammlung ägyptischer Denkmäler bot fol-

gende Beispiele von Arbeiten, bei welchen je zwei

Arbeiter im Wechseltakt thätig waren: das Schlagen

und das Auswinden der Wäsche, das Fällen eines

Baumes, das Stampfen des Getreides, das Kneten

des Teiges, das Ausmeissein und das Abschleifen

einer Bildsäule, das Treten der Blasbälge beim

Schmiedefeuer, das Blasen des Glases, das Weben,

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 275

 

das Flechten des Papyrusschilfes, das Zusammen-

drehen eines Seiles mittels eines durch eine Schlinge

gesteckten Stabes^). Das letztere war offenbar ein

technisches Universalmittel, das bei den verschieden-

sten Gelegenheiten angewendet wurde. Grössere

Arbeiterschaaren erblicken wir bei der Feldbestellung

und Ernte, beim Ziegelstreichen, beim Fischfang,

beim Lastenbefördern, und hier finden wir auch zahl-

reiche Gleichtaktarbeiten. Beim Beladen eines Schiffes

schleppen die Träger, zu je 6 vereinigt, auf ihren

Schultern die an langen Stangen hängenden Lasten ;

30 und mehr Ruderer sind geschäftig, um das Schiff

in Bewegung zu setzen^. »Am Vordertheile steht

der Kapitain und lässt es nicht an seiner Stimme

fehlen« (vgl. oben S. 189 f.). Bei starker Strömung und

konträrem Winde muss das Fahrzeug von der Mann-

schaft getreidelt werden. Ueberhaupt kommt das

Seilziehen (S. 158 ff.) zu vielfältiger Anwendung. Beim

Fischfang ziehen 7 bis 8 Mann an langen Tauen das

Schleppnetz durch das Wasser aufs Trockne^), und*

selbst beim Vogelfang sind 3 oder 4 Menschen an

einem Stricke mit sichtlicher Anstrengung bemüht,

die Falle zuzuziehen. Beim Transport einer Statue

sieht man nicht weniger als 172 Männer an vier

langen Seilen vor die gewaltige Last gespannt. »Auf

den Knieen des Kolosses steht der Aufseher, der

mit Händeklatschen und Rufen den Ziehenden das

Kommando ertheilt; ein anderer sprengt von der

Basis aus Wasser auf den Weg; neben der Statue

 

i) Die meisten auch bei Erman abgebildet; vgl. S. 301. 538.

277 f. 552. 608 f. 595. 584. 278. 604.

 

2) Erman, S. 640 fF. 678.

 

3) Erman, S. 326. 535; der Vogelfang, S. 324.

 

 

 

374

 

 

 

Neunter Theil:

 

 

 

gehen Leute, die das nöthige Wasser und einen

grossen Balken tragen, sowie Aufseher mit ihren

Stöcken.«^) Die Tragsessel der Vornehmen werden

je von 12 und mehr Dienern fortbewegt; die heilige

Barke des Ammon R6' tragen 26 Träger auf langen

Stangen, sechsmal zu je 4 und einmal zu 2 neben-

einandergereiht ^. Um einen kleinen thönemen

Schmelzofen durch Rohre anzublasen, sind 6 Mann

nöthig, und beim Keltern sehen wir in der Kufe 7

Treter stampfen, die sich mit den Händen an von

der Decke herabhängenden Stricken halten, um bei

ihrer Arbeit nicht zu fallen *). Diese Beispiele Hessen

sich leicht vermehren. Einzelarbeit findet sich sehr

selten; um so häufiger sind Gruppen von Arbeitern,

die verschiedenartige, aber zusammengehörige Thä-

tigkeiten vornehmen. Natürlich lässt sich nicht sagen,

wie weit hierbei rhythmische Bewegung stattfand.

 

Das aber wird ohne weiteres einleuchten: überall

wo Häufung der Arbeitskräfte technische oder wirth-

schaftliche Nothwendigkeit war und wo demgemäss

der Chorgesang der Arbeiter oder die Trommel das

Werk begleitete, musste dieses eine Art festlichen

Charakters annehmen. Die Arbeit wurde in geho-

bener Stimmung verrichtet; sie konnte dem Einzelnen

nicht als Last erscheinen. Und noch bis auf den

heutigen Tag finden sich Reste dieses festlichen

Grundzuges, wenn man auch den Gesang, der bei

der Arbeit selbst keine Stätte mehr findet, an den

 

 

 

i) Erman, S. 632. — Aehnliches noch heute in Madagascar:

SiBREE a. a. O. S. 255 f.

 

2) a. a. O. S. 100. 648. 374.

 

3) Erman, S. 609. 278.

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwickluogsprincip. 2ye

 

Anfang oder das Ende derselben verlegt hat. Die

Wilden ziehen unter Gesang oder Trommelschlag

und im Taktschritt zur Jagd, zum Fischfang und

tragen im Triumphzuge die Beute nach Hause. Die

Schnitter und Schnitterinnen legen zur Ernte ihre

besten Kleider an; singend, an manchen Orten mit

Musikbegleitung, wandern sie hinaus und kehren

ebenso am Abend wieder heim. Ihre Beköstigung

ist eine bessere, und nach Vollendung der Ernte

schliesst sich ein Fest mit Tanz an^). In Korea »be-

findet sich in jedem Orte die noth wendige Anzahl

von Trommeln, Flöten, Hörnern und Cymbals, da

nicht nur Abends nach der Arbeit, sondern auch in

der Mittagspause die Landleute verschiedene Weisen

aufspielen, die zumeist von Gesängen begleitet wer-

den.«^) In Nassau singt man, wenn man von der

Schafwäsche im Sommer heimkehrt, und wenn wir

auch nicht mehr zum Hausbau die Trommel schlagen,

so ist doch an das Ende desselben das Richtfest ge-

legt, bei dem der Gesang nie fehlt.

 

Bei der Einzelarbeit wirkt der Gesang wenig-

stens tröstend und ermunternd oder unterhaltend.

Mag ihn die Negerin zum Reibstein oder zur Korn-

stampfe anstimmen, mag der Tischlergeselle zur Säge,

der Zimmermaler zu den Bewegungen des Pinsels

sein Lied ertönen lassen, immer hilft es über die

Beschwerden und die Einförmigkeit des Werkes hin-

weg, erleichtert die Arbeit. Das Werk, das sich

taktmässig mit Gesang verrichten lässt, gelingt, wie

 

1) Vgl. z. B. in der Ztschr. des Vereins für Volkskunde VII

(1897) S. 151 eine Schilderung aus Anhalt.

 

2) M. A. PoGio, Korea. Aus d. Russ. übers, von Ursyn-

Prüscyüski (Wien u. Lpz. 1895), S. 167..

 

 

 

1^5 Neunter ThcU:

 

von Zauberhänden beschleunigt. Ein estnisches

Bauemliedchen*) hat dies in einer Weise ausge-

sprochen, die an die griechische Sage von Orpheus

erinnert.

 

Klinge du, klinge du, Waldung,

Schalle du, schalle du, Haide,

Halle wider, halle, Hainlein!

Töne wider, o du Wüstlein,

Wider meine weiche Stimme,

Wider meine milde Kehle,

Wider mein Lied, das lieblichste!

 

Wo die Stimme zu verstehen ist,

Möchten bald die Büsche brechen.

Selbst die Bäume bilden Klafter,

Kreuzweis schliessen sich die Scheiter,

Schreiten vor zum Hof die Schober,

Häufen sich im Hof die Lachter,

Sonder junger Männer Zuthun,

Sonder angeschärfte Aexte.

 

Müssen wir somit den Arbeits-Rhythmus und

-Gesang als wichtige Hilfsmittel für die Entstehung

und erste Entwicklung der Arbeit im heutigen volks-

wirthschaftlichen Sinne betrachten und können wir

ihnen auch für die ersten Versuche zu einer zu-

sammenfassenden Organisation der Arbeit eine ge-

wisse Bedeutung zuerkennen, so ergiebt sich doch

leicht, dass mit der Erfindung besserer Arbeitsinstru-

mente und mit der zunehmenden Indienststellung von

Naturkräften seine Wichtigkeit für die menschliche

Wirthschaft zunächst zurücktreten musste. Als man

die Kräfte des Hebels, des Keils, der Rolle, der

Schraube kennen und in der mannigfachsten Weise

anwenden lernte, als der Pflug an Stelle des Grab-

 

I) Nki'S a. n. O. S. 82. Vgl. dazu das Holzfällerlied S. 228.

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 7*7*7

 

scheits trat, die Walze an Stelle der Stampfe, die

Presse an Stelle des Schlägels, die Walkmühle und

Schraubenkelter an Stelle der Füsse des Walkers

und Keltertreters, der Wagen an Stelle des Trag-

sessels; als das Ruder dem Segel, der Schiffszieher

dem Leinpferd weichen musste; als Stampfmörser

und Reibstein der Rossmühle und diese wieder der

Wind- und Wassermühle Platz machten: da war

zwar auf allen diesen Gebieten eine ungeheure Ar-

beitslast, von den Schultern des Menschen genom-

men; aber für den immerhin noch ansehnlichen Rest

von Arbeit, der ihm überall noch verblieb, war er

in der freien Gestaltung seiner Körperbewegungen

beschränkt und von den neuen Hilfsmitteln der Pro-

duktion in gewissem Grade abhängig geworden. Seine

körperliche Thätigkeit wirkte jetzt vielfach nur noch

indirekt auf den Stoff; in dem räumlichen Ausgreifen

imd in der Zeitdauer der Muskelbewegungen war er

nicht mehr ganz frei ; das Werkzeug war nicht mehr

eine blosse Verstärkung seiner Gliedmassen, die die-

sen unbedingt gehorchte, sondern es begann eine

gewisse Herrschaft über den Menschen auszuüben.

Die neuen Werkzeuge und Geräte schlössen

allerdings meist eine rhythmische Gestaltung der

durch sie entstandenen Arbeitsarten an sich nicht

aus. Aber sie waren ungleich ergiebiger als die

früher gebrauchten Arbeitsmittel; die Arbeit selbst

war bedeutend produktiver; ihr unmittelbares Ein-

greifen bei dem einzelnen Produkt nahm viel weniger

Zeit in Anspruch. In der früheren Periode hatte der

Mensch dasselbe Arbeitsverfahren und das gleiche

Werkzeug bei den verschiedensten Produktionspro-

zessen angewendet. Schlägel, Reibstein, Mörser

 

 

 

37»

 

 

 

Neunt«" Theil:

 

 

 

waren Universalgeräte, mit denen die mannigfachsten

Materialien bearbeitet wm-den* Dies ergab eine Fülle

von gleichartigen Muskelbewegungen und eröflFnete

dem Rhythmus das weiteste Anwendimgsgebiet. Jeder

konnte alles erzeugen und in allem geschickt sein.

Mit dem Aufkommen besserer Werkzeuge und mit

der durch die Erfahrung empfohlenen verschieden-

artigen Behandlung verschiedener StoflFe änderte sich

das. Die Werkzeuge differenzierten sich; sie wurden

jedem Material besonders angepasst (Gebrauchsthei-

lung), und damit begann auch beim arbeitenden Men-

schen ein ähnlicher Anpassungsprozess, den man all-

gemein Arbeitstheilung nennt ^). Immer mehr zeigte

sich die Nothwendigkeit einer berufsmässigen Ge-

staltung der Arbeit und einer Scheidung der ver-

schiedenen Elemente, die bis dahin in der mensch-

lichen Thätigkeit vereint waren.

 

Es wird immer beachtenswerth bleiben, dass bei

dieser frühesten Berufsbildung die vorwiegend gei-

stige und künstlerische Thätigkeit sich zuerst ver-

selbständigt. Der Priester, der Arzt (Medizinmann),

der Zauberer, der Sänger, der Tänzer, bez. die Tän-

zerin heben sich am frühesten aus der Masse der

Stammgenossen heraus und gelangen als die Träger

besonderer Gaben zu einer Sonderstellung; es folgt

in der Regel der Schmied und lange nachher die

übrigen Handwerker und Künstler. Die Arbeit stösst

also alle fremdartigen Elemente ab; sie scheidet sich

von den Künsten der Bewegung, dem Spiel, der

Religionsübung; sie wird zu einem ernsten Geschäft,

 

 

 

i) Vgl. meinen Vortrag über Arbeitsgliederung und sociale Klassen-

bildung in der »Entstehung der Volkswirthschaft«, S. 317 ff.

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. 770

 

einer Lebens;aufgabe. Zugleich aber sammelt sich

wieder gleichartige Arbeit in den einzelnen Berufen.

Werkzeuge, die wegen ihrer grossen Ergiebigkeit

für den Bedarf der einzelnen Haushaltung immer

nur ganz kurze Zeit hätten benutzt werden können,

mussten nun beständig in Aktion erhalten werden,

da sie in der Hand des Berufsarbeiters dem Bedarf

vieler Haushaltungen zu dienen hatten. Damit wurde

dem Arbeitsrhythmus ein neues Feld eröffnet; es

bildete sich für jedes Handwerk sozusagen ein eigner

Arbeitstakt aus, der nicht selten sich auch dem Wesen

derjenigen mittheilte, die es ausübten und oft in

ihrer ganzen Körperhaltung und -Bewegung zu er-

kennen ist.

 

Auch hier hat die Anwendung des Rhythmus

zweifellos die Produktivität der Arbeit gesteigert,

und dies hat bei fortschreitender Entwicklung den

Anlass zu immer weiter gehender Theilung der Ar-

beit gegeben. Allerdings nicht dies allein. Aber

es muss aufs stärkste betont werden, dass die grossen

technischen Fortschritte des letzten Jahrhunderts und

unser heutiges »Maschinenzeitalter« nicht möglich ge-

wesen wären ohne den langen ihnen vorausgegan-^

genen Entwicklungsprozess der Arbeitszerlegung und

der Sammlung gleichartiger, der Rhythmisierung zu-

gänglicher Arbeit an bestimmten Concentrations-

punkten, wie sie die Werkstätten der Berufsarbeiter

boten.

 

Die Maschine hat dem Menschen zunächst immer

nur einzelne Arbeitsbewegungen abgenommen, und

es wird eine denkwürdige Thatsache in der Geschichte

des Maschinenwesens bilden, dass viele der ältesten

Maschinen rhythmischen Gang haben, indem sie so-

 

 

 

qSo Neunter Theil:

 

zusagen die Hand- und Armbewegnngen des bis-

herigen Arbeitsverfahrens bloss nachahmen. Die

ältesten Hobelmaschinen ahmen die Stosse des Hand-

hobels nach; die ältesten Sägewerke zeigen in der

Gattersäge das Abbild der Handsäge, die älteste

Wursthackmaschine die Bewegungen des Wiege-

messers ; die ältere Schnellpresse in der Buchdruckerei

lehnt sich eng an die Handpresse an; die Lederglätt-

maschine wiederholt die Bewegungen des Glättsteins.

Mit der weiteren Entwicklung des Maschinenbaues

strebt man darnach, den mit dem rhythmischen Gang

des Mechanismus meist verbundenen toten Rück-

gang zu vermeiden und geht, wo nur immer mög-

lich, von der wage- oder senkrechten zur gleich-

förmigen rotierenden Bewegung über, die jenen Kraft-

verlust vermeidet. An die Stelle der Gattersäge tritt

die Kreis- und später die Bandsäge ; für die Glättung

des Holzes kommen Scheiben- und Walzenhobelma-

schinen auf; an Stelle der einfachen Schnellpresse

tritt die Rotationsschnellpresse. Damit schwindet

die alte Musik der- Arbeit, welche die rhythmisch

gehenden Maschinen noch deutlich erkennen Hessen,

aus den Werkstätten; bei der raschen Bewegung der

Triebwerke sind nur noch wirre, ohrenbetäubende

Geräusche zu vernehmen, in die man wohl einen

Rhythmus hineinhören kann, die aber für unsere

Wahrnehmung nicht mehr rhythmisch sind und da-

rum auch nur Unlustgefühle erwecken können.

 

Was dem Menschen bei den vollkommeneren

Maschinen an Handarbeit übrig bleibt (Zuführung

von Material u. dgl.), braucht nicht nothwendig rhyth-

mische Gestaltung der Körperbewegungen auszu-

sch Hessen. Im Gegentheil haben manche Maschinen

 

 

 

Der Rhythmus als ökonomisches Entwicklungsprincip. ^Sl

 

an Punkten rhythmische Bewegung ermöglicht, wo

ein älteres Arbeitsverfahren sie nicht kannte. Aber

diese neuen Arbeitsrhythmen sind von den alten sehr

verschieden. Der arbeitende Mensch ist nicht mehr

Herr seiner Bewegimgen, das Werkzeug sein Diener,

sein verstärktes Körperglied, sondern das Werkzeug

ist Herr über ihn geworden; es diktiert ihm das Mass

seiner Bewegungen; das Tempo und die Dauer seiner

Arbeit ist seinem Willen entzogen; er ist an den

toten und doch so lebendigen Mechanismus gefesselt.

 

Darin liegt das Aufreibende der Fabrikarbeit

und das Niederdrückende : der Mensch ist ein Knecht

des nie rastenden, nie ermüdenden Arbeitsmittels

geworden, fast ein Theil des Mechanismus, den er

an irgend einer Stelle zu ergänzen hat. Und damit

ist auch der Arbeitsgesang verschwunden. Was ver-

möchte die Menschenstimme gegen das Knattern des

Räderwerks, das Surren der Transmissionen und alle

jene unbestimmbaren Geräusche, welche die meisten

Fabriksäle erfüllen und aus ihnen das Behagen ver-

scheuchen! Zum Glück ist nur ein kleiner Theil der

Maschinenarbeit auch Fabrikarbeit, und im Uebrigen

bleibt auch die Arbeit an der Maschine immer »Hand-

arbeit«. Wo aber die Arbeit körperliche Bewegung

erfordert, da strebt sie auch, wo immer sie sich in

gleichmässiger Dauer fortsetzt, nach rhythmischer

Gestaltung imd wird immer darnach streben.

 

Ob aus dieser Erkenntniss für die technische

Gestaltung des Arbeitsprozesses praktisch wichtige

Fingerzeige entnommen werden können? Fast möchte

man es glauben. Behauptete doch schon P. J. Schnei-

der im Jahre 1835, »dass durch kluge und aufmerk-

same Anwendung rhythmischer Kraft bei den meisten

 

 

 

3 t .4**r\r->t^ A2xt:

 

ja7>t.*'.>r:cir-rr. i^t-zz::z3- n irr- * i.iiLHen'aatti c rrfei iroil

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'la,> ..^i»^"!X i.-^s junr-^.jzi'^Q irnaer.

 

 

 

Der Rhythmus als ökoDomisches EntwickluDgsprincip. 383

 

nüchterner geworden; die Arbeit ist ihm nicht mehr

Musik und Poesie zugleich; die Produktion für den

Markt bringt ihm nicht mehr persönliche Ehre und

Ruhm, wie die Produktion für den eignen Gebrauch;

sie verlangt Dutzendwaare und würde individuellen

künstlerischen Neigungen keine Bethätigung gestatten,

auch wenn sie vorhanden wären; die Kunst geht

selbst nach Brot. Die beruflich ausgestaltete Thätig-

keit ist nicht heitres Spiel und froher Genuss, son-

dern ernste Pflicht und oft schmerzliche Entsagung.

Aber es darf daneben nicht übersehen werden, was

die Gesamtheit bei diesem Entwicklungsprozess ge-

wonnen hat. Technik und Kunst haben sich durch

Differenzierung und Arbeitstheilung zu einer unge-

ahnten Leistungsfähigkeit entwickelt; die Arbeit ist

produktiver, unsere Ausstattung mit wirthschaftlichen

Gütern reicher geworden, und es darf die Hoffnung

nicht aufgegeben werden, dass es gelingen wird,

Technik und Kunst dereinst in einer höheren rhyth-

mischen Einheit zusammenzufassen, die dem Geiste

die glückliche Heiterkeit und dem Körper die har-

monische Ausbildung wiedergiebt, durch welche sich

die besten unter den Naturvölkern auszeichnen.

 

 

 

Anhang (Bootgesänge) (384)

Um der fachmänniscben Weiterverfolgung des im Vorstehenden

behandelten Gegenstandes auch nach der musikalischen Seite einiger-

massen vorzuarbeiten, will ich nachstehend für eine bestimmte Art von

Arbeitsgesängen, die SchifFerlieder oder Bootgesänge, eine Anzahl von

Notenbeispielen zusammenstellen, in der Hoffnung, dadurch zu weiterem

Sammeln anzuregen und Musikern von Fach Gelegenheit zu geben,

das vorliegende Urmaterial eingehender zu untersuchen.

 

Von den nachfolgenden Stücken sind Nr. 171 und 1 72 den Noten-

beilagen (Nr. XXXIX, S. 75) der Dissertation von Th. Baker, lieber

die Musik der nordamerikanischen Wilden, entnommen, Nr. 173 der

Musikbeilage zu Spix und Martius, Reise in Brasilien (Nr. 12);

Nr. 177 — 180 gebe ich nach Hagen, Ueber die Musik einiger Natur-

völker, Hamburg 1892 (Taf. V Nr. 19, Taf. X Nr. 3, Taf. XI Nr. 2

und 3); endlich Nr. 182 — 194 nach Joseph H. Churi, Sea Nile, the

Desert andNigritia: Travels in Company with CaptainPeel 1851 — 1852,

London 1853, Appendix S. 307 fF. Die Ueberschriften und Citate sind

wörtlich aus diesen Büchern übernommen. Den ägyptischen Gesängen

habe ich die englische Uebersetzung des Originals beigefügt, da der

Text durch eine weitere Uebertragung ins Deutsche zu viel verloren

haben würde. Ich habe in diesem Theile auch diejenigen Stücke bei-

behalten zu müssen geglaubt, welche nicht als Arbeitsgesänge im

strengen Sinne angesehen werden dürfen, da ihr Charakter als Be-

wegungsgesänge feststeht und sie manchem zur Vergleichung will-

kommen sein dürften.

i

 

I. Amerika.

 

Nr. 171. Bootgesang der Indianer.

 

Ah yah ah yah ah ya ya ya! ah ya ya ya!

 

AnbaDg.

        385

p g f p-iiTjzjrgt r~rj^

ah ya ya ya!

ya ya ya ya ya ya

 

Nr. 172. Bootgesang der Indianer.

 

Nr. 173. Bootgesang der rudernden Indianer in Rio Negro.

 

Allegretto.

 

        n. Asien.

Nr. 174. Bootgesang aus Ost-Bengalen.

(Journal of the Royal Asiatic Society XX (1888), S. 218.)

Der Ruderschlag ßllt immer auf den ersten Takttheil.

 

Bücher, Arbeit und Rhythmus.

 

 

 

25

 

Nr. 176. Chinesischer Rudergesang.

(BaRbow, Reise durch China, 1793 u. 1794, Weimar 1804, I, S. 99.)

'^°'- Solo.

Anhang. 387

        III. Polynesien.

 

Nr. 177. Kanoegesang der Strandbewohner von Neu-

 

Britannien.

 

(R. Parkinson, Im Bismarck- Archipel, Leipz. 1887.)

 

^M- j,^ n \ P ijn^ m

 

Nr. 178. Bootgesang von Tongatabu.

 

(Ch. Wilkes, Narrative of the United States Exploring Expedition

during the years 1838 — 42. Philadelphia 1845. HI, p. 20.)

 

j^- j^ j-BQrT-r-;^i=

        Anhang.

Nr. 17g. Samoanischer Bootgesang.

 

(Ch. Wilkes, Narrative of the United States Exploring Expedition,

 

n, p. I45-)

 

 

C.

 

Nr. 180. Samoanischer Bootgesang. ^)

Solo : Tu - te ta - ma - i le fou ane !

Chor: Tu ta - na

lo

S. Tu - te ta - ma - i le fou aue

C. Tu

 

i) Weitere Beispiele Samoanischer Rudergesänge bei Fried-

länder in »Westermanns Monatsheften«, Mai 1899.

 

 

 

        Anhang. 389

        IV. Aegypten: Gesänge der Nilschiffer.

Nr. 181. Ruderlied.

(Ambros, Musikgeschichte (3. Aufl.), S. 449, Nr. 6.)

 

da - wy

 

 

Be .

 

 

• da

 

 

 

- wy!

 

- wy!

 

- wy!

 

 

 

Nr. 182. Bei der Thalfahrt und wenn sie an ein Dorf (bandar)

 

kommen.

Moderato.

 

Solo. He ! il Fa-i- um ba - la - dac

 

 

        390 Anhang

Solo. He Li - sa!

Translation.

 

Solo. He! the Faium is thy country, O Greek!

 

Coro. (Repeat the same words with a different air)

 

Solo. He! Beni Suef is the land of the beloved one.

 

Coro. (Repeat the same words with a different air.)

 

Solo. He, Lisa!

 

Coro. He, Lisa!

 

 

Nr. 183. Bei günstigem Winde, wenn die Dababie gut segelt

oder sie selbst zu bleiben wünschen.

 

Erster Vers.

 

 

 

Moderato e tutti.

 

 

 

|hv- i rrr gi^_c_c-^^Ai:

 

 

 

Ma - SU - da, ia Ma • su - da

 

 

 

j^ ^^ p -»^f^A-g, JTJV;r^:gz:p ! p^

 

 

 

ua-buch*-il Ba - da - ui

 

 

 

Kas-sar • ti mal - al Pa-

 

 

 

fi-^j' j. 1 i\ p r pg^

 

 

 

cia

 

 

 

fi cerb il am - ba - ri

 

 

 

la-

 

 

 

(j-PM-^n^ dT TüA^-Ju.

 

 

 

lel ia - lel ia - lel

 

 

 

ia • lel ia - - lel

 

 

 

3

 

 

 

/TN

 

 

 

E

 

 

 

^

 

 

 

'I±

 

 

 

ia tan • ta - ui!

 

 

 

Anhang.

 

 

 

391

 

 

 

Zweiter Vers.

 

 

 

i

 

 

 

^

 

 

 

T-;-^-i-f-^

 

 

 

tt

 

 

 

?

 

 

 

p=p

 

 

 

i

 

 

 

s

 

 

 

Ad • di - ni ia - mad-da - ui

 

 

 

[t, r, - "pi"-m^=»p ry^i

 

 

 

ua • ra • ueh ba - la - di

 

 

 

A-rau-eh bes-sa-lam -

 

 

 

[t r, - -pj^-m^tp-Tf-^i

 

 

 

ua- tah-her ua-la di

 

 

 

J^ p r. J J^ p i^

 

 

 

ia-lel ia-lel ia-lel

 

 

 

/TS

 

 

 

P^

 

 

 

^

 

 

 

ia - lel ia - lel ia tan - ta

 

 

 

Dritter Vers.

 

 

 

ui!

 

 

 

\ l r, -. i J' J' | _f, 1^ fi C if J' J j

 

 

 

Jal - li slai - ti al - cia eb

 

 

 

w

 

 

 

1^

 

 

 

 

^^ ^Jlf r r^ ^

 

 

 

E

 

 

 

ua - ec - il am - ra - di

 

 

 

ia-lel ia-lel ia-lel

 

 

 

 

i

 

 

 

$

 

 

 

 

 

 

ia - lel ia - lel

 

 

 

ia tan

 

 

 

ta

 

 

 

ui!

 

 

 

1. Masuda, O Masuda! thy father is a Beduin; thou hast made the

Pacha lose money in drinking ambari (liquor). lalel, ialel, ialel,

iatantaui!

 

2. Take me, o Maaddaui! I will go to my own land; I will go in

peace, and purify my son. lalel, ialel, ialel, ialel, ialel!

 

3. Thou Masuda hast melted the hoary-headed also — and why so?

Ialel, ialel, ialel, iatantaui!

 

 

 

392

 

 

 

Anhang.

 

 

 

Nr. 184. Wenn sie zur Nacht vor Anker gegangen sind,

singen sie vor dem Abendessen.

 

Maestoso e con espressione, tutti.

 

 

 

 

r=£B3^^ ^g

 

 

 

t

 

 

 

^

 

 

 

Leh, ia - ha-mam bet • na-ueh bet - na

 

 

 

ueh.

 

 

 

j,;f f c^'-r i JJW'^iiij j'j'jrn

 

 

 

Fac-car-ta - ni bel-ha-ba - ieb

 

 

 

ia hal-ta - ra-nar-gia

 

 

 

ji^' > ^ j 'ifff^wrr^

 

 

 

 

lel - au

 

 

 

tan,

 

 

 

uel-la na-mu-na mutga-ra -ieb,

 

 

 

tri

 

 

 

öiz:^^

 

 

 

^F^

 

 

 

Q=±

 

 

 

al - gos - na gia - ni, gia - ni iet ma

 

 

 

iel,

 

 

 

ual - ca - SU moz-hab moz • hab fi iad - doh,

 

 

 

fTTi^ rr^

 

 

 

[TT'J'^'-i *^

 

 

 

mod - dai • tu iad - di Ia a • koz ol

 

 

 

cas,

 

 

 

tVt f-U.feffJ'J' ^'^ rjrl

 

 

 

Ia - cai - tu - cia a - o - cia o ala kad - doh,

 

 

 

1 >M t UJH

 

 

 

'^m

 

 

 

 

m

 

 

 

col-tu-la hu on-zor Ia - ha

 

 

 

li,

 

 

 

col-tu-la hu

 

 

 

fr^^-MlJSl;-^

 

 

 

i

 

 

 

ha - li ia ha - li,

 

 

 

iaki ia - bul e ui - nis

 

 

 

Anhang.

 

 

 

393

 

 

 

i

 

 

 

SU - di'l Bam - ba

 

 

 

44-M^^

 

 

 

m.

 

 

 

Eh lern - al

 

 

 

a

 

 

 

la

 

 

 

f^r r ^ 77?F-r^-j' j ' j- f f I I

 

 

 

ala - ia ai si - di. Leb, ia - ham bot-na - ueh bet.

 

II primo versetto.

 

Translation.

 

»Why, O dove, why dost thou weep? Thou makest me think of

the beloved one. Dost thou think we shall retum to our own houses,

or shall we die in a foreign land?« The bough inclined towards me,

and had a golden cup in its band. I extended my band to take it

and drink from it; but found its rays in its cheeks. »O brother«, ex-

claimed she, »with thy brilliant eyes thou prevented the sweetness of

my sleep.« I said to her, »O! why — why dost thou weep? why?«

 

Nr. 185. Beim Rudern.

 

Andante espressivo.

 

Solo.

 

-K— h-^-K — Kt-N

 

 

 

m

 

 

 

rTn^-^Y rnm;F7V'=f^^'m

 

 

 

u

 

 

 

Ha-di ha ia ua-li ha - set it ta - chi e - di.

 

 

 

Coro.

 

 

 

 

Ha - di ha ia ua - li ha - set it ta - chi e - di.

 

 

 

Solo.

 

 

 

I' f ! fJUfafeJ

 

 

 

T7 i' bf, f^

 

 

 

 

üel-keit hu - min bah-giu ra - uel-eb re-bmai di - e.

 

Solo.

 

 

 

Coro,

 

" &~~"j^ J^ ~ b J^ ~J^ Wiederholung der

(ff) y > r^ "" ersten Chormelodie.

 

 

 

Ha - di ha ia

 

 

 

ues-na bal- lad

 

 

 

394

 

 

 

Anhang.

 

 

 

|rH^-^jprJ:tf:^ B3

 

 

 

Coro.

 

Wiederholung der

ersten Chormelodie.

 

 

 

sa - fi - e • umor-sat U sau ua-hin.

 

 

 

Solo.

 

 

 

l f r c^r^f.u JW ' J/3i j j'j-jpp

 

 

 

Ha - di ha ia ua - li ha • set it ta - chi e - di.

 

 

 

Coro.

 

 

 

Coro. Solo.

 

 

 

^^-

 

 

 

-&¦

 

 

 

Ha • di ha - ia ! Allah iacanui alcebab ! Ocsct !

 

Solo. Direct her, O Sheik, she is the maker of this cap.

 

Coro. (Repeat always the first verse,) Direct her, etc.

 

Solo. The thread is from Bahgiura, and the needle is bought

 

for one parä.

Coro. Direct her, etc.

 

 

 

Nr. i86. Beim Rudern auf der Xhalfahrt.

 

 

 

Andante.

 

Solo.

 

 

 

pp^ \ j.' ¦!' ii^ m

 

 

 

Coro.

 

 

 

E

 

 

 

 

^fS

 

 

 

Ja han da-la fau-cir ram-la, ia bentSceik-il ba-ua-

 

 

 

Solo.

 

 

 

i

 

 

 

^

 

 

 

 

 

 

Coro.

 

 

 

T i=t-r:i

 

 

 

c""Qn

 

 

 

di. AI - nas, fad - da ucas dir, uen - ti - da

 

 

 

Solo.

 

 

 

p^^p^^S

 

 

 

Coro.

 

 

 

 

hab-ia mo-ra-di; ia kail-nag-di'l barri - a, il - te ca-fi

 

 

 

Anhang.

 

 

 

Solo.

 

 

 

i

 

 

 

^m

 

 

 

JF^f^tn-^rrl h ^

 

 

 

395

 

 

 

Coro.

 

 

 

^

 

 

 

com-a - sa iel, ia han-da - la fau - cir ram-la, ia<

 

 

 

^ Solo. ^ C oro. ^

 

 

 

bent Sceik-il . ba - ua - di. He, Li - sa! He, Li - sa!

 

Solo. O Handala on the sand.

 

Coro. O daughter of the Sheik of Bauadi,

 

Solo. The men are silver and tin;

 

Coro. And thou purest gold, O my will.

 

Solo. O mares of the Nagiadi of the Desert.

 

Coro. Noble races are found among you.

 

Solo. ("Da capo with other additional verses, which nee notni-

 

nanda sint in nobis.)

 

Coro. (Repeat the same.)

 

 

 

i

 

 

 

Nr. 187. Beim Rudern auf der Thalfahrt.')

 

Andante espressivo.

 

Solo. (Jeder Vers vom Chor wiederholt.)

 

- h — ^ I h h I ^ N

 

 

 

^ J J i^

 

 

 

^s^^^s

 

 

 

SB

 

 

 

^

 

 

 

Gal - in nac ia fau - di - na, ma - ci ala - ed

 

 

 

m

 

 

 

fr,J'J'; il ! J' J^J'JUHHmiJ. J'bJ' n

 

 

 

m

 

 

 

de - ua-lib. Umestaa mel-ha-min Dam-iat uem-dab ber-ha«

 

 

 

i | ) j' tJ'^i-jiM i rr m v~^^-

 

 

 

 

min Ra - cid.

 

 

 

Uleh-mat ge - ni ia kai - te,

 

 

 

i) Der Herausgeber bemerkt hier: This foUowing is connected

with the last, as it is sung to the same air.

 

 

 

396

 

 

 

Anhang.

 

 

 

L-f-^lMM'-^ \ i J'J-.'p^

 

 

 

tal - la - li - ro lal - la - ro.

 

 

 

la ulad Da - miat chal-

 

 

 

!S=^

 

 

 

^^^^^

 

 

 

&

 

 

 

ua - di • com ua - din ah - san min - ua - di - com.

 

Solo. And thy pipe, O our Lord, walks on the wheels.

Coro. (Repeat always the firsi verse.) And thy pipe, etc.

Solo. Its director £rom Damietta, and its Commander from Rosetta.

Coro. And thy pipe, etc.

Solo. O sons of Damietta, how is your Valley? Our Valley is

 

better than yours.

Coro. And thy pipe, etc.

Solo. And why don't you come, O my sister? -7- tallalliro

 

hallaro !

 

 

 

Nr. 188. Beim Wechseln der Segel.

 

 

 

Largo.

Solo.

 

 

 

i

 

 

 

feö

 

 

 

Coro.

 

 

 

S.

 

 

 

r ß B

 

 

 

C.

 

 

 

iM=j^^f f f fi

 

 

 

He, Li - sa! He, Li - sa!

 

 

 

He-le, he-le, he-le, he-le.

 

 

 

S.

 

 

 

^Et

 

 

 

c.

 

 

 

s.

 

 

 

^^^

 

 

 

c.

 

 

 

^ f r r '

 

 

 

E

 

 

 

 

a - bu -üg. He-le, he - le, uelne ke-le, he-le, he-le,

 

 

 

S.

 

 

 

C.

 

 

 

S.

 

 

 

iSBt

 

 

 

^ vr'"' '

 

 

 

^

 

 

 

'^ c.

 

 

 

/T\

 

 

 

^

 

 

 

&

 

 

 

he-le, he-le, he-le, he-le! Salem, ia sa-lem, Salem, ia sa-lem!

 

Anscheinend sinnlos bis auf die Namen: Lisa, Hele, Abutig und

Nekele; die beiden letzten bezeichnen nach Angabe des Herausgebers

Dörfer in Oberägypten, Lisa ein schönes Mädchen.

 

 

 

Anhang.

 

 

 

397

 

 

 

Nr. i8g. Beim Rudern in der Nacht auf der Thalfahrt.

Andante.

 

 

 

Solo.

 

 

 

I^tT T - l

 

 

 

ß ß

 

 

 

^, (wiederholt Vers i

Unor V i." j« \

 

bestandig).

 

« « * =g:

 

 

 

(r-frH^lf- t rtTfS

 

 

 

•tt r, - X 1 [^

 

 

 

M

 

 

 

n leh il leh ü le H, II leh il leh il le H.

Solo. Chor.

 

 

 

^ ^^^ u

 

 

 

E

 

 

 

t

 

 

 

Leh ma-tgi-ni iab nai ia, IL leh il leh il le li.

Solo. Chor.

 

 

 

^ylTT-iif.

 

 

 

 

 

 

:f=P

 

 

 

Uen-rau-eh bet sa-la-me, H leh il leh il le li.

Solo. Solo.

 

 

 

')!ii c c f, m

 

 

 

^^

 

 

 

iChor.ii

 

 

 

Al-a-mes-ril ca-he-ra,

 

Solo.

 

 

 

Unacol aicma ah-le-na.

 

 

 

^

 

 

 

^^m

 

 

 

:Chor.:

 

 

 

Un - ar - gia la - ba - ni Su - ef.

 

 

 

:Chor.llE

 

 

 

Solo.

 

 

 

/TN Chor. ^

 

 

 

 

Ua-i - la il a os-uan.

 

 

 

He,Li-sa! He,Li-sa!

 

 

 

nieh, Illeh, lUeH!

 

Why don*t you come, O girl?

 

And we go in peace,

 

To Cairo, the oppressor,

 

And we will see the beloved ones.

 

And we eat bread with our families.

 

And we will come back in peace

 

To Beni Suef,

 

And to Osuan.

 

He, Lisa!

 

 

 

398

 

 

 

Anhang.

 

 

 

Jede Zeile wird vom Rais vorgesungen und von den Matrosen

wiederholt. So auch bei den folgenden Nummern. At the end the

Icader of the choir cuts short his solo, without any finale, or he says:

Allah lainuciababl (God help the youths.) The others answer:

^Oscitl« (live.)

 

 

 

Nr. 190. Am Morgen.

 

 

 

Moderato.

Solo.

 

 

 

Vers I wird bestandig vom

Chor wiederholt.

 

 

 

P^ £F ^e^^^e HTT ~nrt^ ^

 

 

 

Sbah U ker ia sbah il ker, Sbah il ker ia ugh il ker.

 

 

 

Solo,

 

 

 

p^t";r;?iSr|

 

 

 

 

W ? ) ji \/

 

 

 

t

 

 

 

'Chor.zl

 

 

 

 

lal li shab tom bei sa-lam, Uer>cheb tom a Ia il kel.

 

 

 

Solo»

 

 

 

 

 

 

IhI U ua^bac metlaluard. Ucaed ammal tek-maktar.

 

 

 

SvxUk

 

 

 

 

 

 

ta- k) »ti-nnUnM rsi-ie« Hamai oiKcor uardsib-inar.

 

 

 

S^>Uv

 

 

 

Pi^s^r ktst«- Vers wiiti wiederholt.

 

 

 

 

 

 

Chor.

 

 

 

U iaI U b»*h-tt V* Us Äusw. B<^:u:5 <CvUib fctxivlihiai:

 

 

 

Vs^^ >fcV V-*x<« vV4r.;< <jt>f ^v^ i^ct^- r::v^:r:r^* jltvi rs!« os tjbe hoc^es.

V>.o^ >fc^o >-sVv: citvXi^t >,Xif t\*!>^f^ ir>l Art vi^ir:^^ :Lr :5:t:si^

 

 

 

Anhang.

 

 

 

399

 

 

 

Nr. igi. Wenn das Boot auf eine Sandbank aufgelaufen ist>

und die Schiffer es frei zu machen suchen.

 

 

 

Largo un poco.

Solo.

 

 

 

1

 

 

 

feö

 

 

 

^ Chor.

 

 

 

/f\

 

 

 

^^

 

 

 

¥

 

 

 

S- ew

 

^^^^^

 

 

 

c.

 

 

 

^

 

 

 

He, Li- sa! He, Li - sa! la na - bi - na, He, he,

 

 

 

P^^^t-t

 

 

 

 

 

 

Der Chor wiederholt

Vers I beständig.

 

 

 

ia Li - sa, ia rsul AI - Iah,

 

 

 

S.

 

 

 

^

 

 

 

^

 

 

 

S.

 

 

 

: Chor."

 

 

 

rT_5 J

 

 

 

:Chor.

 

 

 

in al go - dan,

 

 

 

go - dan mus - le - min,

 

 

 

S.

 

 

 

i

 

 

 

w

 

 

 

 

ES

 

 

 

S.

 

 

 

 

Chor.:

 

 

 

 

1

 

 

 

:Chor

 

 

 

m

 

 

 

uer-sel al ha - ua.

 

 

 

ha - ua bah - ri,

 

 

 

S.

 

 

 

i

 

 

 

^M

 

 

 

^

 

 

 

s.

 

 

 

^^

 

 

 

:Chor.;

 

 

 

; Chor.;

 

 

 

unem-ci ta-ieb

 

 

 

metl il kel.

 

 

 

He, Li - sa.

 

 

 

^^

 

 

 

S.

 

 

 

/r\

 

 

 

c.

 

/TN

 

 

 

1

 

 

 

22:

 

 

 

is:

 

 

 

9^

 

 

 

He, Li - sa ! Allaiain alce - bab ! Osct !

 

 

 

He Lisa! O our Prophet, O Prophet of God, help the youths;

the Mussulman youths. Send us the wind, the north wind, and let

US walk fast, like horses. He Lisa!

 

 

 

400

 

 

 

Anhang.

 

 

 

Nr« 192. Wenn sie das Tau nm ihre Nacken winden, um das

 

Boot zu ziehen, schreien sie:

 

 

 

Solo.

 

^7\ /TN

 

 

 

ia^

 

 

 

Chor.

 

 

 

i^

 

 

 

-Ä>-

 

 

 

-^-

 

 

 

^F*

 

 

 

3^

 

 

 

He, iauadi ma - dan.

 

 

 

He, iauadi ma - dan.

 

 

 

S.

 

^7\

 

 

 

ia^

 

 

 

c.

 

 

 

eg"^r:i>"

 

 

 

-ö^

 

 

 

-<5>-

 

 

 

^.

 

 

 

He, iagod - an,

 

Solo. He, O Valley of Madan!

 

Coro. He, O valley of Madan!

 

Solo. He ee!

 

Coro. CTke same,J

 

Solo. God preserve the brave.

 

Coro. (Answer:) Long life!

 

 

 

He!

 

 

 

Nr. 193. Nubierlied.

 

 

 

i

 

 

 

Solo. (Der Chor wiederholt.)

 

 

 

An-dar-ba-dic, an-dar-ba-di, uo ie a ziz an-dar-ba-di.

 

Child, child of dear mother, thou speakest Arabic like the crow of

 

the young cock.

 

Der Herausgeber bemerkt dazu: This song is sung by the Nubian

sailors when they come down from Uadi Hälfe to Osuan. The coro

repeat always the first verse with the same melody: and the solo also

repeats the same melody with different words.

 

 

 

Anhang.

 

 

 

401

 

 

 

Nr. 194. Chorgesang zur Unterhaltung am Abend.

 

 

 

y Maestoso con espressione, tutti.

 

"^ Vers I.

 

 

 

lrrrJ".'3 ß f ^^ l J.; J^£l^M^-J-

 

 

 

Gia-ni-sa la

 

 

 

mac, min mesra lel - ciam, ah-

 

 

 

L_f ^'^ ' - J

 

 

 

 

=*^

 

 

 

^:

 

 

 

t

 

 

 

^ti±

 

 

 

W—r

 

 

 

ma - hla cla - ma cia e

 

 

 

ni ah ia le la ia le la ial

 

 

 

Vers 2.

 

 

 

 

li zlam-tu - na.

 

 

 

Gia - ni-sa la

 

 

 

mac, ma-hla-sa

 

 

 

I

 

 

 

^a

 

 

 

¥ — #

 

 

 

§^^

 

 

 

^

 

 

 

^^

 

 

 

^

 

 

 

la

 

 

 

mac, ah - ma - hla cla - mac ia

 

 

 

ni ah

 

 

 

Vers 3.

 

 

 

l f r c^r'"M^^'^^i j.j'j.'rP

 

 

 

 

ia le la ia le la ial 11 zlam-tu - na lab nil a ca

 

 

 

^^t= &=B

 

 

 

• ä~^

 

 

 

±=ili

 

 

 

 

ber, ueh lern a - la

 

 

 

g^ j. j^-j^fT^ j j^-^ ^

 

 

 

ia, ueh lem a - Ia - ia, ia

 

Da capo.

 

/TS

 

 

 

ni ah ia le la ia le la ial li zlam-tu - na.

 

Thy Salute came to me from Cairo to Damascus.

O, how sweet are thy words to me!

O, how sweet is thy salute!

 

O, son of a great people, do me the favour.

 

O, my eyes ; O you, who had oppressed us !

Bücher, Arbeit und Rhythmus. 26

 

 

 

1

 

 

 

402

 

 

 

Anhang.

 

 

 

V. Europa.

 

Nr. 195. Venetianischer Gondoliergesang.

 

 

 

^^

 

 

 

, I 1

 

 

 

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Ä* Ä A ?

 

I Li r-r-

 

 

 

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t=p

 

 

 

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ö

 

 

 

p/>

 

 

 

/TS

 

 

 

 

 

 

 

Nach Kretzschmar (Führer durch den Concertsaal I' S. 191,

Leipzig 1888) sind die LagunenschüFer heute stumm geworden. Aber

noch vor wenigen Jahrzehnten sangen sie bei jeder Fahrt, und einer

ihrer Lieblingsgesänge, fast ihr stehendes Abendlied, war die Anfangs-

strophe von Tasso's »Jerusalem«. Franz Liszt verwendete d|esen

Gesang als Thema einer sinfonischen Dichtung: Tasso, und sagt

darüber im Vorwort (s. Partitur, Breitkopf & Härtel): »Wir wählten

zum Thema unseres musikalischen Gedichtes die Melodie, auf welche

wir venetianische Lagunenschiffer drei Jahrhunderte nach des Dichters

Tode die Anfangs Strophen seines »Jerusalems: singen hörten;

 

Canto Parmi pietose e'l Capitano,

Che'l gran Sepolcro liberö di Cristo!

 

Vgl. auch R. Wagner, Beethoven (Ges. Werke IX, S. 92 und übei

die Art dieser Wechselgesänge Goethe, »Italienische Reise« (Ges.

Werke, Cotta, Bd. XIX, S. 8of.) und »Ueber ItaUen« (Bd. XX,

S. 241 ff.). Freundliche Mittheilung des Herrn H. Duncker.

 

Nachträge (403)

Zu S. 62. Tetzner, Dainos, S. 9 führt aus Fistorius, Folonicae

historiae corpus (Basel 1582) I, S. 46 f. folgende Stelle über die

Litauer an: Dum molendina manibus vertunt, patrio more, agrestem

quendam concentum edere solent, dicentes: Melior, hocque verbum fre-

quentius ad cantilenae similitudinem repetunt; id vero est tarn viris

quam mulieribus peculiare, quod de illa re, quam tunc in opere ha-

bent, cantilenas agrestes canant.

 

Zu S. 107. Taktmässiges Arbeiten mit Gesang beim Brunnen-

graben in der Wüste: Sven Hedin, Durch Asiens Wüsten (Leipzig

1899), I, S. 374. Das Beispiel ist um so bemerkenswerter, als der

singende Gräber sich in der höchsten Noth des Verschmachtens befand.

 

Zu S. 109. Nach den Aufzeichnungen eines böhmischen Tischler-

gesellen aus der Nähe von Königgrätz theilt mir Herr stud. phil.

Hermann Duncker einige czechische Arbeitslieder mit, von

denen ich drei mit Uebersetzung von A. Leskien hier folgen lasse.

Das erste wird zum Häckselschneiden gesungen und zwar so, dass

der Arbeiter immer drei Schnitte thut, während er eine Zeile singt,

dann das Stroh vorschiebt, wieder drei Schnitte unter Gesang aus-

führt und so fort. Nach freundlicher Mittheilung Leskien' s steht ein

ähnliches Liedchen bei Erben, Frostonärodni cesk6 pisne (Prag 1864),

S. 418, mit Melodie. Die beiden andern gehören zur Kategorie der

eigentlichen Handwerkslieder. Bemerkenswerth ist die Mittheilung

unsers Gewährsmannes, dass unter den Czechen in den Werkstätten

bei der Arbeit viel mehr gesungen werde als in Deutschland.

 

Nr. igC. (Beim Häckselschneiden.)

 

Kdyz jsi ty, sedUce, pdn. Wenn du, Bauer, Herr sein willst,

 

iezej si i-ezanku sdm; Schneide deinen Häcksel selbst;

 

jd se budu divat. Ich will dir dann zuschaun,

 

jak ti bude litat Wie er dir herabfliegt,

 

fezanka od stolice; Häcksel von der Futterbank;

 

ja pujdu k svä milence. Gehe dann zu meinem Lieb.

 

26*

 

 

 

404

 

 

 

Nachträge.

 

 

 

Nr. 197.

 

1. Proc bychom nebyli

truhliri veseH,

kdyz mdme prkynka

hoblovany.

 

2. Z prkynek postylka,

na ni md milenka,

 

a ta me vdbila

k miloväni.

 

 

 

(Beim Hobeln.)

 

1. Soll'n wir uns nicht freuen.

Wir vergnügten Tischler?

Haben doch die Bretter

Abgehobelt.

 

2. Bretter werden Bettchen,

Auf dem Bett mein Liebchen,

Und sie ruft mich. lockend

Zur Umarmung.

 

 

 

Nr. igS. (In der Schmiede.)

 

 

 

Koväf u sv^ kovadliny

stoji pevne postaven;

pevn6 rany ddvä

svym kladivem.

 

 

 

Schmied steht da bei seinem Ambos,

Hat sich fest dort hingestellt;

Feste Hiebe giebt er

Mit dem Hammer.

 

 

 

Zu S. 126, Anm. Dass das Packen der Kameele von den Somali

stets unter Gesang vollzogen wird, berichtet auch Graf Wickenburg,

Wanderungen in Ostafrika (Wien 1899), S. 119.

 

Zu S. 167. Zwei finnische Rammerlieder theilt mir Herr

Magister Hugo Palander aus Tavastehus mit. Am häufigsten wird

Nr. 199 gesungen.

 

Nr. igg.

 

1. Hei juu juntanapoo!

 

Hei heilari ylös-ja laskekaa jo!

 

2. Hei juu juntanapoo!

 

Hei mestari tulee-huilataan jo!

 

1. Hei ju, ziehet auf!

 

Hei, Ramme auf, lasst nun los!

 

2. Hei ju, ziehet auf!

 

Der Meister kommt; ruhen wir nun!

 

 

 

Nr. 200.

 

Haluvilu von, haluvilu von, Haluwilu won, haluwilu won,

 

Huono palkkani on. Schlecht ist mein Lohn,

 

Jonkatähden mä valitan. Wesshalb ich klage.

 

 

 

Nachträge. 4^05

 

Zu S. 302 fF. In einem Vortrage über die Volkslieder der

Wotjaken bemerkt Dr. M. Buch (in den Sitzungsberichten der ge-

lehrten estnischen Gesellschaft zu Dorpat 1883, S. 133 fF.): »In einigen

Gegenden besitzen die Wotjaken nur Lieder ohne Worte; sie singen

z. B. Ai dai ai mai etc. Das Lied besteht also nur aus emotiven

Ausrufen, Reflexlauten, aus denen ja auch die menschliche Sprache

hervorgegangen ist. Auch die Melodie der wotjakischen Lieder ist

die einfachste überhaupt denkbare; denn sie besteht nur aus drei

Noten: re mi fa. Dasselbe beobachtete der Sibirienreisende Sommier

auch bei den Samojeden. Bei den Letten sollen dieselben drei Noten

sich finden in einem Liede, dessen Text auch nur aus den Lauten ligo

besteht . . . Auch als schon der Text zum Liede sich eingefunden,

bildete sich zunächst keine feste Form: die Lieder- werden mit Varia-

tionen gesungen, sodass jede Wiederholung desselben Liedes, immer

wieder eine neue kleine Variante aufweist. Dasselbe hat Middendorf

bei den Tungusen beobachtet,. Nordquist (Vega-Expedition) bei den

Tsckuktschen.«

 

 

 

Register (406)

 

Die Zahlen bedeuten die Seiten. Das Zachen f weist auf mnen Liedertext, das

Zeichen * auf ein Notenbeispiel hin.

 

Aegypten, altes: Arbeitsver-

verfahren 370 ff. ; Saat- u. Dresch-

gesänge I27f; — neues: Arbeits-

gesang 45; bei der Erdarbeit

145J Fellachenlieder 257*; Nil-

schiffer 189, 278, 389—401*;

Wasserschöpfer 53, 108*.

 

An am, Rudergesang 183.

 

Andamanesen, Gesang u. Poesie

54» 294, 341; Musik 289 ff.;

Tanzlied 291*.

 

Ankeraufwinden i69f, 171t.

 

Anpassung, gegenseitige 31, 57.

 

Araber 34, 342; Treiberge sänge

125; Kaffeestossen 34, 102.

 

Arbeit, Begriff i; Entwicklung

306, 376, 378 ff.; festliche Ge-

staltung ders. 374 ; im Gleichtakt

57, 142 ff.; Intensität 2, 28, 58;

mit Kunst und Spiel 357; mit

Musik und Dichtung 305 ; psy-

chophysische Natur ders. 24, 366;

Quelle der Poesie 301 ; und Tanz

46, 252, 258, 312, 365; im

Wechseltakt 29, 57, 130; Nach-

ahmung bei der Zauberei 271,

beim Kult 315, 318, beim Tanz

 

253, 313, 365.

Arbeitsbewegung24; Elemente

ders. 26, 307, 310; Grundformen

310» 363; rhythmische Gliede-

rung 26, 300, 364, 381; Ver-

hältniss zum Tonrhythmus 28,

 

44» 53» 55» 295»* Verhältniss zum

Werkzeug 377.

 

 

 

Arbeitsgemeinschaft 29, 38,

56, 198; Entwicklung 247 J 369 ff.

 

Arbeitsgeräusche 27,39^ rhyth-

mische 28, 308.

 

Arbeitsgesänge 45 f.; Arten

55, 60 ff.; Entwicklung 301 f.,

365; Wirkung 125, 195, 375;

im Kult 313 f., 317; zur Zu-

sammenifissung 58, 195 ff.; 247;

Anpassung an die Körper-

bewegung 44, 53, 307; Rhyth-

mus ßls wesentliches Element

43 f., 289, 304; Dichter 71, 89,

 

338, 342.

Arbeitsmotive 9, 16 ff., 250,

 

367» 374» 383.

 

Arbeitsprocesse, Kompliziert-

heit 12 ff., 363, 368, 371.

 

Arbeitsrhythmus 26, 31; Ent-

stehung 365; Bereich 33, 364;

als disciplinierendes Element 3 1 f.,

248, 368, 372; Regelung des

Kräfteverbrauchs 33, 358; social-

ethische Bedeutung 39, 369.

 

Arbeitsscheu 3.

 

Arbeitsverkettung 31.

 

Arbeitsvertheilung zwischen

den Geschlechtem 339.

 

Arbeitsweise der Naturvölker

5, 9, 15 f., 20, 25, 363, 383.

 

Aristoteles, über den Rhyth-

mus 359.

 

Australien, Musik 295.ff.; Ge-

sang 278, 296, 342.

 

 

 

Register.

 

 

 

407

 

 

 

Bajaderengesang 152t.

Bandainseln, Rudergesang 188

 

(s. Letti, Key u. Kissar).

Bantu 197; Häutebereitung 201.

Barabra, Tanzlied 261*.

Barkarolen igof, 402*.

Bassongei Hirsereiben 71.

Bassuto, Feldbestellung 200;

 

Mehlbereitting 71; Gerben 201 ;

 

Kriegstanz 196.

Bastlöselieder 283*.

 

Batusi, Mahlgesang 71 ff.

 

Bauarbeit, Gesang 46, 148t,

201 tf 204 t» 375; mit Musik-

begleitung 202 f., 209.

 

Bayern, Bittschnitter 243; Zug-

scblägelreime 161 f.

 

Beduinen, Gesang 124; Wasser-

schöpfen 53.

 

Beiern 2&^f.

 

Bengalen, Kesselreinigen I02f ;

Rudergesänge 385*.

 

Berufsbildung, früheste 378.

 

Beschneidung I23.

 

Betschuanen, Kinderarbeit 286.

 

Bettelhochzeiten 90f.

 

Bewegungsrhythmus 26, 31,

55. 253, 271, 297, 301, 307,

 

323, 327-

 

Bewegungstempo, wachsendes

211, 256 f., 365.

 

Bittarbeit 58, 198, 209 f., 224,

228, 231, 242 f., 339, 369; Cha-

rakter der Lieder 211 f., 241,

247.

 

Bittschnitter 243.

 

Blasinstrumente, älteste 325.

 

Böhmen, Hopfenpflücken 115*;

czechische Arbeitslieder 403 f.

 

Bomätscher 176*.

 

Borneo, Hausbau 209.

 

Bornu, Komstampfen 134.

 

Botokuden, Frauendichtung 3 42 .

 

Brechlieder 86*ff.

 

Bremen, Zimmerleute 163 f.

 

Brunnenlieder 106 f., 403.

 

Bulgaren 104, 224; Tanz 280;

Lohnarbeit 228; Frauendichtung

 

349.

 

 

 

Burlaken 177*.

Buttern io6f.

 

Chinesen 180 f, 342, 368; Bau-

frohnden 204 f; Feldarbeit 207;

Rufe beim Getreidestampfen 134,

beim Baumfallen 143 ; Bootziehen

176*; Rudern 386 •; Pflücken

 

119t, I2it.

Corsika, Totenklage 346.

Czechen, Arbeitsgesang 403 f.

 

Dachel, Oase 145.

 

Danäkil 54; Mehlreiben 71; In-

 

fibulation 123.

Dauerarbeit, Rh3rthmns 32 f.,

 

124, 335-

Deutschland (siehe auch Böh-

men, Gottschee, Mähren, Kai-

nachthal) 91 fF., 135, 170 f.,

242 fr., 258, 345; Handwerk

not ff.; Kinderlieder 281* ff.;

Fuhrmannslieder 129; Erntelieder

 

243-

Dichtersprache 296, 303.

 

Dienstboten 198, 354.

 

Drama, Entstehung 307, 3 1 2 ff.,

 

320.

 

Dreschen I27f, 131, 132*.

 

Dualla, Kanoefahrt 186.

 

Edda, Grottasang 61 f.

Einförmigkeit der Arbeit 366.

Einzelarbeit 56, 341, 375.

England, KohlenschifFer 191 f;

 

Frauendichtnng 345.

Epik, Entstehung 329 ff.; im

 

Arbeitsgesang 50, 73, 85, 88,

 

136 f., 330» 345; im Tanz- und

 

Spiellied 262 ff., 268, 331.

Ermüdung 24, 26, 33, 358.

Ernte 51, 219*, 225t ff., 233f,

 

237tff.,240tff., 3i5;Tänze258.

Esten 234 ff.; 376t; Feldarbeit

 

237 1 ff. ; Mehlbereitung 64t, 1 3 1 ;

 

Buttern io6f ; Flachsbrechen 87t ;

 

Spiellieder 266 f f. , 270 f f. ;

 

Frauendichtung 241, 350.

Etrusker 42, 320.

 

 

 

4o8

 

 

 

Register.

 

 

 

Fabrikarbeit 381.

Faröer, Tanzgesänge 263 f.

Fassbinder 113.

Fasszieher 195t'

Feldbestellung 35, 200, 207,

209, 211*, 232 t, 242 t, 245 t,

 

370-

Fellachen 257*.

 

Ferrero, Theorie 20 f.

 

Fidschiinseln, Frauendichtung

 

342.

Finnland 242, 269 ; Mühlenlieder

 

66t ff.; Rammen 404t; Gesangs-

weise 276; Frauendichtung 66 f,

 

349 f-, 355 t.

Fischfang 179*, 182, 373.

 

Flachs, Bereitung 13, 77, 80,

 

85; Lieder 78* ff., 86* f.

 

Flechtlieder lOit«

 

Flottmachen der Schiffe 144,

 

399*.

Frankfurt, Pilottenlieder 162t.

 

Frankreich 309t; chansons ä

toile 345; Wäschebläuen 103 t.

 

Frauenarb-eit 13 f., 18, 35 f.,

61, 66, 70, 77, 88, 97, 134,

141, 229, 339 ff.

 

Frauendichtung 63, 66, 71,

76, 89, 121, 241, 295, 340 f.,

355; Arbeitslieder 342; Helden-

lieder 73, 77, 344; Hochzeits-

lieder 348, 350; Kinderlieder

341» 343; Tanzlieder 294, 344,

348; Klagelieder 342, 345; Zau-

berlieder 343; Antheil an der

Volkspoesie 348 ff.

 

Friaul, Gesang 51.

 

Frohnarbeit 58; mit Gesang

199 ff.; Verhältniss zur Bittarbeit

199, 217, 228, 235; mit Musik-

begleitung 204, 234, 244, 369;

Charakter der Lieder 247.

 

Fuhrmannslieder 129t.

 

Galla, Feldarbeit 35; Dreschen

 

131.

Gemeindehäuser 38, 71.

 

Georgien, Feldarbeit und Ernte

 

211*, 217t, 218*, 222* f.

 

 

 

Gesellenlieder 113, 198.

 

Gleichtakt 41, 57, 142 ff., 373;

Inhalt der Lieder 193.

 

Gondoliergesang 402*.

 

Gottschee, Hirsejäten 245 ti

Fuhrmannslied 130 t.

 

Griechenland, alteß: 42, 81,

195, 202, 264, 325; Arbeits-

gesänge S2, 6it, 88, 319; Be-

legstellen aus Dichtungen 98,

158t, 3i8tJ Lieder zu Spiel,

Tanz und Kult 265, 315, 318,

361; Orchestik 255, 264, 36iff.;

attisches Drama 320; Lyrik 329;

Metrik 311; — neues-: 170;

Spinnen 97 t» mimische Tänze

280; Myriologien 346.

 

Häckselschneiden 403t.

Hausindustrie 100, 229.

Häutebereitung 47, 201.

Helgoland, Schifferlieder lyo^.

Herzegowina 224.

Hirse, Jäten 245t; Reiben 71;

 

Stampfen 135, Anm. 2.

Hobeln 404t.

Hochzeitslieder 348, 350.

Hohenauer 179t.

Holzfäller 50, 124t, 143.

Hopfenpflücken 115*.

Huppenlieder 283*.

Hottentotten, Frauendichtung

 

342.

 

Jagd 196.

 

Japan 368;. Erdarbeiten 167t;

Rudern 181, 189t; Gesang der

Träger I57tf der Pferdefiihrer

128t.

 

Jäten des Flachses 79 t» ^^^

Hirse 245 ti des Mais 211*.

 

Java 254; Lastenheben 143t.

 

Illyrien, Barkarole 190t.

 

Improvisation 51, 71, 76, 85,

89, 96, 125, 140, 146, 156, 187,

207, 262, 274, 280, 304, 322,

 

327» 338, 342, 345» 352.

Indianer, Arbeitsweise 7, 12,

14; Gesang 50, beim Korb-

 

 

 

Register.

 

 

 

409

 

 

 

flechten 43, zum Kommahlen 75,

zum Rudern 183, 384*; Ernte-

fest 315; Tanz 33 1 ; Frauendich-

tung 341, 343.

Indien, Arbeit beim Kult 316;

Feldarbeit 209; Handwerk 368;

Schifffahrt 170t, 181 ; Lieder

zur Handmühle 72 f; Wasser-

schöpfen 107*; Frauendichtung

 

73» 342.

Indischer Archipel i8i, 183.

 

Infibulation 123.

 

Israeliten, Keltern 319, 366;

Lied der Müllerin 61; Brunnen-

lied I07f ; Frauendichtung 344,

346.

 

Kabylen 342; Schleifen iio.

 

Kaffeestossen 34, 102.

 

Kainachthal, Melklied 105*.

 

Kameeltreiber 125, 404.

 

'Kamschatka 342.

 

Kanoeschleppen 172t.

 

Karawanengesang 197.

 

Karolinen 342.

 

Kaschmir, Flussschiffer 183;

Feldbestellung 209.

 

Kelterlieder 52, 318, 366.

 

Kesselreinigen 102.

 

Kesslerlied 111+.

 

Keyinseln, Tanz 259.

 

Kind 19, 25, 281 ; rhythmische Be-

wegungen 335; Lieder 28i*ff.,

Nachahmung von Arbeitsgeräu-

schen 109, 308, entstanden aus

Arbeitsliedern 50, 93, 100, 116;

Vortragsweise der Lieder 100,

287.

 

Kissar, Ackerfrohnden 209.

 

Kohlhacken 232'!'.

 

Koluschen 342.

 

Kontrapunkt 208.

 

Körperbewegung mit Gesang

250 f., 254,264,271, 274, 276 ff.,

282 ff., 297 ; Grundlage des Rhyth-

mus 44, 295, 327, 335; Quelle

der Poesie 306.

 

Korea, Stampfgesänge 1 3 5 f ff.,

Musik 375.

 

 

 

Kredj, Kommahlen 71.

Kuli Höfff., 155.

Kultlieder 314 t» 344-

Kunst bei den Naturvölkern 15,

 

358» 382.

Kurland 50 f.

 

Lausitz, Vorsängerin 96.

 

Letten 78t» 96 f., I04ti 369t»

405; Emte Ii7t> 240t; Melken

104-1-; Mühlengesänge 63-1-;

Frauendichtung 351 ff.

 

Letti, Dreschen 131.

 

LhoQ&ai, Baumfallen 143.

 

Litauen 242 ; Hopfenpflücken

117t; Dreschlied 132*, 141 ;

Volkslieder 62 t, 98*, 103*,

403; Frauendichtung 351 ff.

 

Livland 182; Gesang 50.

 

Lunda, Oelstampfen 134.

 

Lustmoment bei der Arbeit 250,

 

367, 374.

Lyrik, Entstehung 327 ff.

 

Madagaskar, Feldarbeit 35;

Rudern 188; Exorcismus 272.

 

Madeira, Dreschgesang 127.

 

Mähren, Flachsbrechen 86*.

 

Mahltechnik 60, 70, 72, 75.

 

Maishacken 2ii*ff.

 

Malayen 42 f.

 

Marschlieder 195 ff.

 

Maschine 379 f.

 

Matrosenlieder 170 (s. Schiffer-

lieder).

 

Melklieder 105*.

 

Melodie der Naturvölker 46, 296,

322 f, 328, 367, 405.

 

Metrik 132, 300, 307, 309, 311,

321.

 

Mincopie (s. Andamanesen).

 

Mingrelier 48.

 

Mittelalter, Emtebräuche 244;

Stampflied 135; Frauendichtung.

 

345.

moba 97, 224 f.

 

Molukken 342, Träger 49.

 

Mühlenlieder 6itff. , 66t ff.,

 

70t ff., 75» 88.

 

 

 

4IO

 

 

 

Register.

 

 

 

Musico-Medizin 334.

Musik 39, 251; Entwicklung

 

323 ^M 331 ^'i ^^s Disciplinier-

mittel 234 ff., 247; des Kindes

287; der Naturvölker 44, 47,

289 f., 295 f., 323, 367.

Musikinstrumente, Entstehung

 

323 ff.

Musikkapelle, tanzende 274.

 

Myriologien 346.

 

nadi, naduri 211.

 

Nassau 51, 283, 375.

 

Naturlaute 41, 134, 192, 201,

211, 260, 301; als Gesang 144,

176, 213, 302, 405; und Rhyth-

mus 191.

 

Naturvölker 6, 9, 15, 34; Ar-

beitsmotive 16, 367; Frauenarbeit

 

339.

Neger 9, il, 259; Rhythmus

 

34; Mahlen 70; Spinnen 89 f;

Rudern 186; Frauenarbeit und

-Dichtung 70, 89, 342; Last-

tragen 44, 157, 197; Tanz und

Arbeit 259; Sänger u. Musiker

274 ff.

Neu-Britannien, Kanoegesang

 

387*.

Neu -Guinea, Arbeitsweise 5,

 

15; Rudern 182.

 

Neu-Seeland 5 f., 278, 346;

Arbeitsgesänge 50, beim Rudern

183+, beim Kanoeschleppen 172-1-,

beim Kult 313 f, beim Spiel 265,

beim Tättowieren 122 f.

 

Neu-Süd Wales, Fischfang 180*.

 

Niederlande, Auswanderungs-

lied 198 t.

 

Niederrhein, Flachsjäten 79*.

 

Nil Schiffer (s. Aegypten).

 

Nubier 400*.

 

Oeffentlichkeit der Arbeit 38,

 

71, 114.

Oelbereitung 134, 319.

Oesterreich,Zapfenstreich3o8+;

 

Fasszieher 159 t.

 

 

 

Ostafrika 42, 46; Getreideent-

hülsen 37; Wegebau 124t.

 

Ostfriesland, Rammen 163*,.

Beiem 284 t.

 

Ostjaken, Tanz 255.

 

Palankinträger 154*.

Palauinseln, Frauenlieder 345.-

Papuas, Beschneidung 123.

Pflücklieder 114t» der Kinder

 

286*.

Pfluglieder 207*, 240t.

Pilottenlieder (s. ZugschlägeK

 

lieder).

Plato über den Rhythmus 359.

Poesie 331, 339, 356; Ursprung

 

305; u. Gesang 299, 312, 328,.

 

332.

Polynesien 34, 254; Lieder 50,"

 

Rudern 183, 365, 387*.

Preussen 309f, Rammen lööf.

Produktivität u. Arbeitsgemein-,

 

Schaft 31, 372; und Rhythmus

 

379, 381.

Prozessionslieder 198.

 

Radakinseln, Frauendichtung

 

342.

 

Rammlieder 136t ff., 140*^

160* ff., 404 t.

 

Refflieder 81 »ff.

 

Refrain 141, 193, 303; Figura-

tion der Naturlaute 192, 302.

 

Rheinland, Weinlese Ii8f.

 

Rhythmus 359, 369; gegeben

durch die Arbeit 26, 44, 300^

304; frei beim Tanz 253 f., 260,

295» 301 f.; psycho - physische

Wirkung 125, 333, 336, 362^

375 ; der Lebensfunktionen 33,.

 

309, 358.

Rindenstoff 36.

 

Rom, Spinnen 88; Weben 98?

 

Keltern 319; Sklavenarbeit 248 r

 

versus Satumius 321 ; naenia

 

346; Komödie 320.

Rudern, Gesang 181, 183, 185 f.^

 

189, 190, 384* ff.; Musik 42^

 

181, 260.

 

 

 

MT

 

 

 

Register.

 

 

 

411

 

 

 

Russland, Toloka 230 ff. ; Feld-

arbeit 232 f; Rammen 166*; Bur-

lakenlied 177*.

 

Sachsen, Kinderlied 286 *,

 

Spitzenklöppeln 99 f.

Säelieder 223, 321.

Saiteninstrumente,Entstehung

 

324.

Samoa 122; Rudern 183, 388*.

 

Sansibar, Kuli 135 ; Rudern

186.

 

Saturnischer Vers 321.

 

Schaukellieder 265f, 269.

 

Scheerenschleifer iiof.

 

S c h i f f e r li e d e r (s. Ankeraufwin-

den, Segelhissen u. Rudern).

 

Schiffsziehen 170, 175 *fF.,

179t, 191t» 400*.

 

Schlag- u. Stampfrhythmen

29 ff,, 39 f., 332; mit Wechsel-

takt 130 ff.; im Tanz 365; in

der Metrik 310.

 

Schlag- und Stampftechnik

29 fr., 34 fr., 42, 103, 107, 130 fr.,

141, 283, 286, 309, 319, 366,

 

374.

Schlesien, Flachslied 78t.

 

Schlosser- u. Schmiedelieder

Ulf ff., 404t.

 

Schroiedetakt 29, 112,311,325.

 

Schnadahüpfeln 244.

 

Schottland, Schifferlieder i69f.

 

Schweiz, Kinderlied 285 f.

 

Sklavenarbeit 248.

 

Segelhissen 169* ff., 396*.

 

Seilziehen 158, 373.

 

Senegambien, Erdarbeiten 203,

 

Seram, Rudern 181.

 

Serbien, Flechten lOif j Weben

229 t; Mobenlieder 97, 224tff. ;

Spiellieder 265, 270 f; Frauen-

dichtung 241, 348.

 

Sichelschärfen 222*.

 

Sigurdslied als Tanzlied 263 f.

 

Somali 54, Beladen der Kameele

126, 404.

 

Sothoneger, Gesang 47; Frohn-

den 200 f.

 

 

 

Spanien 170; Tänze 279.

 

Spiel und Arbeit 5, 152, 250,

3 1 2 ff. ; -Trieb 1 9 ; -Lieder 264 f.,

270 f., 288*.

 

Spinnlieder 88t ff., 9^*» 96f.;

Charakter 94.

 

Spinnstube 91, 95.

 

Spitzenklöppeln loof.

 

Sprachrhythmus 55, 296,

300 ff., 308, 334.

 

Stampflieder 134+ ff. , 140* f.,

286.

 

Sudan, Baufrohnden 202; Fär-

berei 37 ; Kommahlen 7 1 f J Fuss-

bodenklopfen 141 ; Arbeit und

Spiel 312.

 

Tättowieren I22f.

 

Taktierung, künstliche 41, 54.

 

Taktruf 41, 134, 143, 176, i8l,

192, 211, 218, 260.

 

talka, talkus 235.

 

Tanz 196, 319, 327; Erklärung

20 f., 252, 254; u. Arbeit 36,

46, 49, 78, 131, 152, 258, 313,

319» 365; als Auffuhrung 252,

264, 313; beim Kultus 274, 279,

318, 361; socialisierende Wir-

kung 258, 359; Lieder 49, 78t,

152, 26i*ff., 279, 291* ff., 341 ;

Charakter der s. 260 ; epische 262 f.,

268 , 330 ; lyrische 327 ; als

Zauberlieder 259, 344.

 

Technik der Naturvölker 9 ff.,

 

34» 363» 368, 370; Entwicklung

 

377.

Text dem musikalischen Bedürf-

 

niss angepasst 47, 73, 172, 296,

 

312; dem Sänger unverständlich

 

151» 273, 296, 303.

Thätigkeitstrieb 18.

Theepflücken 119+.

Tibet, Feldarbeit 207*.

Timor, Gesang 49.

Timorlaut 260.

toloka 230.

Tongainseln, Gnatuhschlagen

 

36; Bootsgesang 387*.

Tonrhythmus 27 f., 130; inci-

 

 

 

I