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2. Über Wahrheit und Lüge im a-moralischen Sinne
(NOO2-2)





Die Noo-Serie: Band II-2

Version: 070417
© Andreas Goppold




Die Systematologie der Lüge

2.1. Preliminarien

2.1.1. Motto
Es ist elend schwer zu lügen, wenn man die Wahrheit nicht kennt.
Peter Esterhazy

Si non e vero, e bon trovato.
Wenn es schon nicht wahr ist, so ist es doch wenigstens gut erfunden.
Ital. Volksmund

2.1.2. Verschleierung und die Fähigkeiten des "Wahren Lügners"
Um stets die Wahrheit zu sagen, bedarf es keiner grossen Fähigkeiten.

Aber um über längere Zeit erfolgreich zu lügen benötigt man:
Eine reiche Phantasie,
Einen starken Willen,
Eine hohe Einfühlungsgabe, Menschenkenntnis oder Allgemeinpsychologie,
Eine aussergewöhnliche Sprachfähigkeit,
Ein gutes Gedächtnis, und
starke Nerven.
All dies sind Eigenschaften, die den aussergewöhnlichen Charakter
vom Menschen des Normal-Null unterscheiden.
Dies sind auch Merkmale, die erfolgreiche Manager, Politiker, und allgemein Menschenführer ausmachen, und die gute von mittelmässigen Rechtsanwälten unterscheiden.
A.G. nach Volksmund

Der "Wahre Lügner" , der "pseudos alaethaetes" , ist ein besonders gelungener , ist ein besonders gelungener Topo-Tropos der Philosophie des Platon, siehe "Hippias Minor" . Liessmann (2000, p. 22):
Das Verhältnis der Menschen untereinander ... ist gekennzeichnet durch Täuschung, Verführung und Verzerrung.
Siehe auch Baruzzi: PL. Die Mythologie der Griechen hat uns den Ur-Ober-Erzpatron aller Lügner überliefert: Odysseus. [156] Platon verachtete zwar die Homerischen Epen, die bis dahin im antiken Griechenland die Grundlage des Bildungskanons der aristokratischen Elite waren, und er formulierte seine Philosophie explizit als Alternative dazu, aber zu diesem Ur-Topo-Tropos konnte er nichts hinzufügen, oder etwas verbessern, das nicht schon in den Homerischen Epen angelegt war. In Anklang an das Zentralthema der Verschleierung aus der Odyssee, findet sich für die "Philosophie der Lüge" in der Noologie das Thema der Kalyptologie. [157] Platon verachtete und verfolgte die Sphisten und versuchte sie aus dem Pantheon des abendländischen Denkens zu vertreiben, das ist ihm und in der Nachfolge von Augustinus auch mehr oder weniger gelungen, aber zu welch furchtbaren Preis! Denn ohne die Lüge und die Täuschung ist die Intelligenz wie das Spiegel-Ei ohne Ei. Der lógos entsteht erst in der Vor-Spiegelung und durch die Ver-Spiegelung (pseudos / eidos), und daher ist es sinnlos, sich ein Urbild vor-zu-stellen. Die idea ist eine Phantasmagorie.

2.2. Einleitung

Mit dieser Betrachtung zu "Wahrheit und Lüge im a-moralischen Sinne" nehme ich den Denkfaden von Nietzsches kleinem Früh-Werk "Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne" (WLA) [158] wieder auf. Dazu eine kurze Erklärung.

Nietzsche schrieb dieses Opusculum 1873, mit 29 Jahren, damals war er noch Professor in Basel, aber seine Krankheit hatte sich schon massiv als Störfaktor in sein tägliches Lebens eingenistet. Er veröffentlichte es nicht, und es gehört daher zu seinen Nachlass-Schriften. Der "Zarathustra" erschien zwischen 1883 bis 1885. Kurz darauf folgen seine grossen polemischen Werke: "Jenseits von Gut und Böse" (1886), "Zur Genealogie der Moral" (1887), "Der Antichrist" (1888), "Die Götzendämmerung" (1889). Im selben Jahr erlitt er seinen finalen Zusammenbruch, von dem er sich nicht mehr erholte. Er starb am 23.8.1900.

Nietzsche hatte in der kurzen Schaffensphase nach dem "Zarathustra" in den folgenden Werken ausgiebig gegen die Moral und Doppel-Moral und die kleinen und grossen Lebenslügen seiner christlichen Herkunfts-Gesellschaft polemisiert. [159] Als Sohn eines protestantischen Pfarrers hatte Nietzsche in seiner Jugend ausreichend Erfahrungen mit der Frömmelei, Heuchelei und der Scheinheiligkeit gemacht, die zum Lebensstil so vieler der "Professionellen" der Religion gehören. In seinem Schaffen bemühte er sich, gegen diese Lebenslügen seine Polemiken aufzu- werfen und aufzu- stellen, ohne sich davon aber loslösen zu können, oder irgendeine Befreiung davon erlangen zu könnnen. Sein Haupt-Werk Zarathustra [160] war der Versuch eines solchen "Befreiungsschlages" , aber darin scheiterte er gründlich, zumindest was seine eigenen Lebens-Probleme betrifft.

Mit der Moral hatte Nietzsche sich also ausreichend beschäftigt. Der Titel seiner Schrift "Im außermoralischen Sinne" bedeutet in der Rückschau des Lebenswerks Nietzsches, dass er alles moralin-saure des christlichen Lebens-Gewebes in seinen Werken abgehandelt hatte, und nun wäre es an der Zeit gewesen, dass er sich grundlegenderen Problemen der Wahrheit an Sich und der Lüge als unverzichtbares Element der Lebenspraxis zuwendete. Dazu kam es leider nicht mehr, weil er inzwischen dement geworden war. [161] Vaihinger (1913) griff in seiner Philosophie des "Als Ob" diese Linie wieder auf, und ich möchte hier IMHO meinen Beitrag zum Weiterspinnen dieses Fadens anbieten.

2.3. Konstruktive Illusionen und nützliche Fiktionen

Der Hauptteil von Nietzsches Argumentation in WLA ist seine Betrachtung über die Unwirklichkeit der Begriffe, die wie ein Treibsand sind, und trotzdem schafft es die Wissenschaft, auf diesen Treibsand ihr imposantes "ungeheures Gebälk und Bretterwerk der Begriffe" aufzubauen, das auch noch in sich haltbar und stabil ist.

In seiner Schlussbetrachtung von WLA behandelt Nietzsche kurz bestimmte Charaktertypen des Menschen (der vernünftige und der intuitive Mensch). Ich möchte das umformulieren und lieber von trocken-sachlichen Pessimisten und imaginativenOptimisten sprechen. Dann können wir sagen, dass der Pessimist im strengeren Sinne die Wahrheit genauer sieht als der Optimist. Nietzsche nahm die Sichtweise des Pessimisten ein, womit er wohl recht hatte, aber die Wissenschaft schert sich nicht um die Fiktionalität vieler ihrer Denk-Konstrukte sondern setzt sie produktiv ein. Das hatte Vaihinger (1913) in seinem Werk herausgestellt. Es sind Fiktionen, aber sie haben dennoch praktischen Wert und Nützlichkeit.

Da der Mensch durch sein Handeln kontinuierlich Realität schafft, hat der imaginative Optimist mit seiner positiven Lebenseinstellung eine gute Chance, durch Handeln die Realitäten in eine ihm genehmere Form zu bringen, als wenn er sie nur passiv rezipiert und ob der offensichtlichen Widrigkeiten verzagt. Dies lässt sich wohl mit Berechtigung von Projekten sagen, die die gemeinsame Anstrengung vieler Menschen über längere Zeit erfordern. Neben dem puren Zwang ist es auch die Schaffung einer konstruktiven Illusion , die man Vision nennt, mit der die grossen Führer ihre Gefolgschaft dazu brachten, ihre Lebenszeit und öfter auch ihr Leben, solchen Projekten zu widmen, die weit jenseits der vorstellbaren Wirklichkeit des Einzelnen lagen.

Es gibt nur ein Kriterium, woran es sich messen lässt, ob es eine Vision war oder eine Phantasmagorie, die eine weit in die Zukunft reichende Handlungskette auslöst: Der Erfolg . Deshalb ist ein Wahrheitsbegriff, der sich nur an der Rückschau in die Vergangenheit des Faktum (des Getanen) ausrichtet, ist ungeeignet für die Betrachtungen der gesellschaftlichen Existenz.

Allerdings, Visionen grosser Projekte sind Hypotheken auf die Zukunft, für die irgendwann eine Bezahlung eingefordert wird. In seiner bekanntesten Ausprägung ist es der Zins und Zinseszins , ein Mechanismus, der sich in der augenblicklichen Phase des globalen Hyperkapitalismus in immer rasendere Spiralen hochschraubt. Und man kann einen Kredit plus Zinsen nur dann abzahlen, wenn man irgendwo einen Mehrwert herausholen kann. Früher gab es da ein endlos scheinendes Reservoir an natürlichen Ressourcen. Diese sind aber heute entweder aufgebraucht, [162] oder das Wachstum droht an anderen Engpässen zu scheitern, wie Umwelt-Verschmutzung und Überbevölkerung.

2.4. Einige Begriffsklärungen

2.4.1. Lüge und Wahrheit, Pseudos / Eidos / Idea
"Lüge ist bewusste und willentliche falsche Aussage" (Baruzzi: PL, 28). Diese Definition stammt von Augustinus. In der Definition ist das Wort "falsch" die Negation der Wahrheit, und impliziert, dass der Lügner die Wahrheit schon kennt.

Was aber die Wahrheit ist, das wissen im Gefolge von Augustinus nur die Theologen, und der Papst, denn die Wahrheit ist bei Gott, und Gott ist die Wahrheit (Hegel 1969, 33), und eigentlich sollte diese Wahrheit dann im Wort Gottes, der Bibel, auch zu finden sein, aber ach, wenn man dieses Buch aufschlägt, findet man Seite auf Seite immerzu nur Widersprüchlichkeiten. [163] Das "tolle lege" des Augustinus [164] ist wohl nur von dem nachzuvollziehen, der dazu die nötige Armut im Geiste mitbringt, die Torheit, oder den Glauben. "For all the rest of us" [165] ist dieser Weg leider nicht nachvollziehbar. Also halten wir uns an die Lüge. Nach Augustinus ist diese heute immer noch gültige Definition in kommunikations-theoretischer (Um-) Formulierung:
Lüge ist die Aussage (bzw intentionale Kommunikation) des Kommunikationspartners A, die dem/den Kommunikationspartner(n) B (C, D, ...) bewusst (willentlich, intentional) und meist zum Zweck (ziel-orientiert, teleo-logisch) der Erlangung des eigenen Vorteils von A, falsche (pseudo) und verdrehte (en-tropia) Darstellungen des faktisch Gegebenen vorzumachen (fingere, fingieren, Fiktion) .

Das Spannungsfeld von Pseudos und Eidos gibt eine passende Illustration, wie im Semantischen Rhizom [166] des alt-griechischen Denkens zwei irgendwie ähnlich klingende Terme mit einem auffallenden phonetischen Unterschied den spezifischen Gegensatz der zu benennenden Dinge markieren: Pseudos ist die Lüge, eigentlich das Trugbild, (Vor-/Ver-) Spiegelung, Fata Morgana , Phantasma. Im altgriechischen Denken machte man noch keinen Unterschied zwischen der unwillkürlichen (Selbst-) Täuschung, und der geplanten und mit Vorbedacht entworfenen Lüge. Das wahre, richtige, und korrekte Bild aber ist das eidos. Es ist aber nur das Bild, und nicht das Ding an Sich, die idea. Diese feine Unterscheidung eines im semantischen Rhizom des griechischen Denkens schon enthaltenen dritten Falls macht schon klar, dass alle Darstellungen, und damit handelt es sich um alle semantischen (bedeutungs-vermittelnden) Konstrukte, nur Ab-Bilder sein können, die nur approximativ an die Wahrheit der idea herankommen können, und auch nie den Anspruch erheben können, (absolute, reine) Wahrheit zu sein. (Glossar: Ontologie) Die Wahrheit residiert im Platonischen Himmelreich der reinen Ideen, und auf irdischen Gefilden hat sie nichts zu suchen, dort können wir nur mit Bildern handeln. Daher ist das Thema der "reinen Wahrheit, und nichts als der Wahrheit" im altgriechischen Denken bis hin zu Platon schon abgehandelt. Man kann von ihr immer nur als Fiktion, also in Form von Hypo-Thesis (Vaihinger) reden, und nur "so tun als ob" (Vaihinger). Das ändert sich im vollen zivilisatorischen Ernst mit Augustinus, der wie schon gesagt, die "absolute Wahrheit" einführte, denn die ist bei Gott (was auch nicht so verschieden ist, vom Platonischen Himmelreich der reinen Ideen), aber der gewagte "Sprung" im Denken ist nun, wie sie in die Hl. Schrift kommt, und von wem sie ausgelegt werden darf, denn für das Denken des Idiota, des Laien, oder des Common Sense -Gebildeten, enthält die Hl. Schrift nur Widersprüchlichkeiten.

2.4.2. Wahrheit / Lüge / Semantisch / Pragmatisch
Die folgenden Definitionen sind hier nicht als philosophisch letzt-gründige Erklärungen gedacht, sondern als grobe Anhaltspunkte, um anzudeuten, wovon hier die Rede ist.

Wahrheit be-deutet: Interpersonal kommunikativ korrekte Aussage über das faktisch Gegebene.

S.a. die Korrespondenz-Theorie:
Wahrheit ist Korrespondenz von Aussagen mit Dingen (pragmata).
Baruzzi: PL, 173, 178
Veritas est adaequtio intellectus et rei.
Baruzzi: PL, 174

Richtig nennen wir das Vorstellen, das sich nach seinem Gegenstand richtet. Man setzt seit langem diese Richtigkeit des Vorstellens mit der Wahrheit gleich, d.h. man bestimmt das Wesen der Wahrheit aus der Richtigkeit des Vorstellens. ...
Urteilen ist: richtiges Vorstellen.
Heidegger, WHD, p. 14

[Die Aufgabe der Philosophie...] Eine sinnige Betrachtung der Welt unterscheidet... was von dem weiten Reiche des äussern und innern Daseins nur Erscheinung, vorübergehend und bedeutungslos ist, und was in sich wahrhaft den Namen Wirklichkeit verdient... so ist ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit und Erfahrung notwendig. Ja diese Übereinstimmung kann für einen wenigstens äussern Prüfstein der Wahrheit einer Philosophie angesehen werden...
(Hegel 1969, p. 38)

Lüge be-deutet: bewusste und willentliche falsche Aussage (über das faktisch Gegebene).

Semantisch be-deutet: In Bezug auf die Be-Deutung.
Pragmatisch be-deutet: In Bezug auf die praxis, das Handeln.
Sinn be-deutet: Der Sinn .

Die Be-Deutung ist wiederum eine Be-Deutungs-Facette aus dem Semantischen Rhizom des tiefgründigen deutschen Wortes "Sinn" .

2.5. Wirk-lichkeit und Wahr-Nehmung

... und das Entstehen unterschiedlicher Standpunkte
@ :WAHR_NEHMUNG
2.5.1. Wahr-Nehmung, Prä-Selektion und unbewusste Wertung
Die Wahr-Nehmung und Wertung von Wirk-lichkeit ist abhängig von dem jeweiligen Standpunkt des Beobachters, und dies ist in anderen Worten, eine Wertung.

Der deutsche Begriff Wahr-Nehmung führt leicht in eine Denkfalle: Phänomenologisch gesprochen, ist es die Empfindung, die immer wahr ist: Man kann eine Empfindung nur auf eine Weise haben, nämlich so wie man sie hat. Aber über die Ursachen der Empfindung kann man sich täuschen, und das passiert auch oft. (Bei Whitehead, "Process and Reality" gibt es ein ähnliches Konzept: das "feeling" ). Eine unreflektierte Verwendung des Begriffs "Wahr-Nehmung" impliziert ungerechtfertigt schon das Ergebnis von etwas "Wahren" , das man ja erst am Ende eines Erkenntnisprozesses erwartet.

Die "Wahr" -nehmung ist Wertung in zweierlei Hinsicht:
1) Biologisch. Das sensorische neuronale Instrumentarium macht qua autonomer Filterfunktionen schon eine sehr selektive Auswahl aus der Unzahl von Sinneseindrücken, die wir erhalten, um uns ein Bild der "Sensorisch vermittelten Realität" zu fabrizieren. Andere Lebewesen haben (vermutlich) durch ihr verschiedenes Sensorium auch eine ganz anderes Erleben der Realität (Nietzsche: WLA und heutige Naturforschung). [167]

2) Kulturell moduliert. Was man "wahr-" nimmt, hängt genauso von der Vorerfahrungen des Beobachters ab, also was man aufgrund von Training und ethnischer und psychischer Wahrnehmungs-Schwellwert-Funktionen unterscheiden kann. Ein Beispiel ist etwa die Interpretation von Röntgen- oder Ultraschall-Bildern im medizinischen Bereich, oder die Wahrnehmung von Affekten, Akzenten, Kleider-Besonderheiten, Tics und anderer Besonderheiten an einer Person.

2a) Ein Beispiel für eine rassische Wahrnehmungs-Schwellwert-Funktion:
Chinesen und Japaner unterscheiden sich voneinander in bestimmten Merkmalen, die sie als Angehörige der jeweilig anderen Gruppe kenntlich machen. Nicht-Asiaten, also Europäer und Amerikaner können Chinesen und Japaner dagegen kaum unterscheiden, womit man die jeweilig anderen tief beleidigen kann, wenn man sie für eine/n Angehörige/n der reweilig anderen Rasse hält.

2.5.3. Die Wirk-lichkeit der Natur-Wissenschaft

Wirklich ist, was messbar ist
Max Planck, nach PL 148

Der (natur-) wissenschaftliche Beobachter ist mehr oder weniger auf den Standpunkt festgeschrieben, den Max Planck formuliert hat. Aber schon 300 Jahre früher hatte Galileo etwas ähnliches, aber vorsichtiger formuliert: "Das Buch der Natur ist in der Sprache der Zahlen geschrieben." Es muss daher auch in der Sprache der Zahlen (ab-) gelesen ie. gemessen werden. Immerhin macht Galileo da keine apodiktische und normative Aussage über das was ist (philosophisch streng genommen über das Wesen, und das Sein der Dinge ), sondern nur darüber wie sie (im Rahmen der wissenschaftlichen Methode) zu interpretieren sind. Damit setzt Galileo so etwas wie einen Normenkodex des wissenschaftlichen Diskurses, und ohne so ein Normensystem wäre ein interpersonell stabiler Diskursvorgang über mehrere Jahrhunderte auch kaum möglich. Noch früher vor 2500 Jahren hatten die Pythagoräer ein ähnliches Prinzip so formuliert: "Das Wesen der Dinge ist die Zahl". Auch hier machte man eine normative (aber mehr mythisch gefärbte) apodiktische Aussage über das Wesen der Dinge, und zwar so krass, dass es für den gesunden Menschenverstand (Common Sense) kaum nachzuvollziehen ist.

Noch weitergehend, sind Aussagen wie die von Planck auch (recht willkürliche) normative Eingrenzungen dessen, was und wie man überhaupt etwas wahr-nehmen kann. Wissenschaftler müssen sich in ihrem professionellen Schaffen daran gewöhnen, die Dinge und damit auch die Welt durch genau diese Brille zu sehen. Wenn sie vergessen, dass das eigentlich nur ein Normensystem für den innerwissenschaftlichen Diskurs sein sollte, vergessen sie allzu leicht, dass die Welt noch aus anderen Perspektiven gesehen werden kann und auch sollte.

2.5.4. Unterschiedliche Standpunkte zur Wirk-lichkeit
Das folgende Bonmot bietet eine Auswahl unterschiedlicher Standpunkte zur Wirk-lichkeit, die zu Aussagen über den "Stand der Dinge" führen, die alle irgendwie wahr sind. Aber anhand der Gegenüberstellung ist es leichter zu sehen als im normalen Leben, dass solche Aussagen einseitig bzw. restriktiv sind.

Der Optimist: Das Glas ist halb voll.
Der Pessimist: Das Glas ist halb leer.
Der Ingenieur: Das Glas ist doppelt so gross als notwendig wäre.
Der Philosoph: Das Glas hat 50% Aktualität und 50% Potentialität.
A.G., nach Volksmund

Im Gegensatz zum einfachen Dualismus von Optimist und Pessimist, der in der volkstümlichen Version erzählt wird, liegt hier eine vierfache Unterscheidung (nach impliziten Kriterien) der Wahr-Nehmung von Wirk-lichkeit vor. Demzufolge ergibt sich auch die vierfach- andersartige Beschreibung des sachlich korrekten Standes der Dinge. Man könnte versuchen, den Standpunkt des Ingenieurs wieder aus dem Feld zu schlagen, und behaupten, dass "der Stand der Dinge" nichts damit zu tun hat, was sie "sein sollten". Aber bei genauerer Analyse sehen wir, dass der Begriff "voll" und "leer" genau die Intentionen, "wie oder was die Dinge sein sollten" semantisch versteckt . Die Sichtweise und Bewertung des Optimisten und Pessimisten ist logisch vom gleichen Erwartungswert der "Fülle" vorherdeterminiert. Der Philosoph kann dieses Spiel nur eine Runde weiterspielen, indem der die "Fülle" in einen höheren Abstraktionsgrad hebt, und dies mit Aktualität und Potentialität markiert. Die Aktualität ist der Grad der Er-füllung des Zwecks (die en-telechie) [168] des Geräts, nämlich ge-füllt zu sein. Oder auch: das Wesen des Glases ist eher darin zu suchen, dass es ge-füllt ist, nicht aber, dass es aus einer Schmelze von Quarz und Pottasche gefertigt ist. Deshalb wird jeder gut sortierte Haushaltswarenladen das Glas in einem Regal nahe bei den Tassen und bei den Bechern einsortieren, und nicht aber bei den Spiegeln.

Ergänzend lässt sich noch bemerken, dass der sittlich-schickliche Füllgrad eines Glases sehr (ethnisch) Normen-abhängig ist. Bei Wasser ist es etwa 7/8, bei Wein 2/3, bei Champagner 1/2, bei echtem Cognac ist es 1/7, und die grosse Ausnahme dazu setzt der russische Brauch : Ein Wodka-Glas muss immer 10/10 voll sein.

Anhand dieser kleinen Diskussion kann man schon einen Geschmack dafür bekommen, dass "die reine Wahrheit und Nichts als die Wahrheit" schon in ganz einfachen Situationen ziemlich schwer zu erfassen ist.

Es ist die kritische Frage bei einseitigen (restriktiven) Aussagen, die Wahrheit(s-Gehalt) beanspruchen, ob eine einseitige Wahrheit überhaupt Wahrheit genannt werden darf, und welche Folgen das für ganze Wahrheitsgebäude hat, die auf solch einseitigen Prinzipien aufgebaut sind. (Wie etwa die Naturwissenschaften). Weiterhin stehen solche Wissensgebäude ja nicht im leeren Raum, sondern im Sinn- und vor allem Handlungs- Zusammenhang einer Gesellschaft, und die konsequent anschliessende Frage muss daher lauten: Was für Folgen ergeben sich in einer Gesellschaft, wenn diese sich in ihren politischen Handlungen einseitig auf solche restriktiven Wahrheitssysteme stützt?

2.5.5. Wahrheit, Zeit und Meso-Kosmos
Der "Stand der Dinge" ist eine Hypostasierung (Vaihinger) nach der man so tut "als ob" sich die Dinge auf irgendeinem Stand festhalten liessen. Für die Gegebenheiten des Mesokosmos, also der Dinge der menschlichen Lebens- und Arbeits-Welt (Häuser, Bäume, Berge, Flüsse etc.) lassen sich mit guter Näherung Aussagen über einen solchen Stand machen, weil im Rahmen der menschlichen Aufmerksamkeits- und Lebens-Spanne tatsächlich eine gewisse Konstanz herrscht, über die man auch berichten kann.

Problematischer wird es bei makrokosmischen Dingen wie fernen Sternen. Wenn die Dinge sich in menschlich unübersehbaren Zeiträumen nicht verändern, hat es keinen Sinn, etwas über einen Stand zu sagen, weil sowieso alles auf "ewig" gleich bleibt. Die Astronomie behauptet zwar, dass auch die fernen kosmischen Gebilde in unaufhörlicher, und ungeheuer schneller Bewegung sind, aber davon ist hier & heute nichts spürbar.

Ebenso problematisch ist es im Mikrokosmos, wo sich die Dinge sehr viel schneller ändern als jede menschliche Wahrnehmung und Aussage dem nachkommen könnte. Hier hilft nur der Verweis auf die Statistik, die grosse Zahl und die Wiederholbarkeit, nach der sich die Dinge in immer denselben Mustern wieder reproduzieren lassen.

2.6. Wahrheit und Lüge nach Nietzsche

Die widernatürliche Moral, das heisst fast jede Moral, die bisher gelehrt, verehrt und gepredigt worden ist, wendet sich umgekehrt gerade gegen die Instinkte des Lebens.
Nietzsche, Götzen-Dämmerung, Moral als Widernatur. 4, 5, 6
2.6.1. Differenz von ausser-moralisch / a-moralisch / un-moralisch
... were the treatment of the insane in early Biblical times on the same scientific plane that it is to-day, the Bible would never have been written.
Havelock Ellis
(URL) (LOC_DVD) www.positiveatheism.org/hist/lewis/lewun01.htm

Wenn es im Jahre 1800 schon Haldol und Tabor gegeben hätte, wären die Werke Hegels der Menschheit erspart geblieben.
AD

Sex is hereditary. If your parents never had it, chances are you won't either.
JOSEPH FISCHER
(LOC_DVD)

Die folgende Diskussion basiert auf Nietzsches Absatz "Moral als Widernatur" in der "Götzen-Dämmerung" [169] Ich setze einen kleinen feinen Unterschied zwischen den Begriffen ausser-moralisch, a-moralisch, und un-moralisch.

Ausser-moralisch, wie Nietzsche es in WLA gebraucht hat, soll hier bedeuten: Betrachtet unter den Vorzeichen, die nicht unter Moral-Geboten stehen. Dies gild insb. für die (Natur-) Wissenschaft. Erwähnenswert ist, dass WLA eine Jugendschrift Nietzsches ist, zeitlich danach folgte der Zarathustra, und erst danach schrieb er seine polemischen Werke gegen die herrschende christlich geprägte Moral des Abendlandes.

A-moralisch soll hier bedeuten: Ausserhalb jeder Moral stehend. A-moralisch ist Nietzsches Übermensch, also der, der gemäss dem "Zarathustra" den "letzten Menschen" übersteigen sollte. [170] Nietzsche verwendet dafür in dem Text "Götzen-Dämmerung, Moral als Widernatur" auch den Begriff des "Immoralisten".
Für einen "normalen" Menschen ist es unmöglich, a-moralisch zu sein, er kann bestenfalls un-moralisch sein und handeln, oder wie es meist passiert, ein Doppelleben führen und öffentlich moralisch posaunen, aber im Versteckten dann umso heftiger die propagierten Gebote übertreten. [171]

Man kann die Werke des Herrn DeSade als Un-Moralisch bezeichnen. Immer da wo eine Ekel-, Scham-, Peinlichkeits-, oder Angst-Grenze sichtbar ist, bemüht sich Herr DeSade mit seinen Protagonisten, diese Grenze zu überschreiten. Ähnliches wird heute ganz banal und alltäglich in den zahllosen TV-Reality und Enthüllungs- Shows zelebriert, und ähnlich wie bei DeSade geht das trotz aller Peinlichkeiten und Unsäglichkeiten immer noch schön gesittet und artig vor, denn man erzählt höchstens darüber, aber darstellen und ausführen tut man wenig. Denn die Selbstzensur der Fernseh-Medien filtert sorgfältig alle expliziteren und brutaleren Darstellungsmöglichkeiten aus. [172]

Es ist ungefähr so, wie mit dem (Gott-) Glauben und dem A-Theismus. Der A-Theismus bemüht sich, alle Reflexe und Reflexionen des Theistischen zu überschreiten und überwinden, aber im Endeffekt ergibt sich durch diese Bemühung der Negation (eines vorhandenen Kanons des Göttlichen) dessen Verstärkung der (Af-/Con-) Firmation . [173] Das Un-Moralische verstärkt nur die Grenz-Ziehung des Moralischen, und stärkt im Endeffekt den Zusammenhalt der Moralischen Konsens-Gemeinschaft. Das A-Moralische ist dagegen ein pures "Als Ob" , eine Chimäre, ein Pseudos, und eine Lüge. Das A-Moralische kann nur als Grenzwert gedacht werden, weil jeder Mensch qua seiner sozialen Im-Prägnierung immer auch Moral hat, ob er das nun mag oder nicht. Moralin-Prägung ist wie man im Englischen sagt: dyed in the wool. Man kann tun und lassen was man möchte, man wird es nicht mehr los.

2.6.2. Die Umwälzungen der Moral in den 100 Jahren nach Nietzsche
In den ca. 100 Jahren seit Nietzsches Tod haben sich viele Veränderungen im moralischen Gewebe der abendländischen Gesellschaften zugetragen. Heute würde eine Polemik gegen die christliche Moral nur ein müdes Schulterzucken hervorrufen. Die gesellschaftlichen, politischen, medialen Veränderungen der letzten 100 Jahre haben schon längst alles unter- und um-gegraben, was Nietzsche damals noch als festes Gesellschafts-Normen-Gefüge vorfand, und gegen das er hilflos rebellierte, und vor dem er sich nur noch in den Wahnsinn flüchten konnte. Freud, der seine Arbeit um 1890, also zur Zeit von Nietzsches Siechtum und Tod begann, [174] nahm die Herausforderung an, an der Nietzsche zerbrach, und schuf seine Wissenschaft des Unbewussten. Diese offenbarte eine klaffend grosse Kluft im Leben der Menschen: man kann sagen, das Unbewusste ist die Dunkelkammer, in der sich all die Lebenslügen entwickeln können, und in der sie ihre rechtmässige Heimat finden, die sich zwischen den gelebten Lebenspraxen der Menschen und den Leitvorstellungen der gesellschaftlichen Moral auftaten, und die nicht wahrgenommen werden dürfen. In den ca. 50 Jahren nach Nietzsches Tod nahm die Ethnologie [175] (oder kulturelle Anthropologie) ihren Aufstieg und brachte die systematische Erforschung der Denk- Empfindungs- Werte- und Normensysteme (Ethoi) fremder Völker (bzw. Ethnien), deren Strukturen sich z.T. erheblich von den westlich- abendländischen Normensystemen unterschieden, die zwischen Platon, Aristoteles, Augustinus und Kant die Grundlage der philosophischen Ethik bildeten. [176] So bildete sich auch bald eine Denkrichtung der Ethnopsychoanalyse, [177] die das Thema des Unbewussten vom individual-Psychologischen auf die Ebene von Kollektiven übertrug. Die kommunikativen Revolutionen der Medientechnologie begünstigten den Aufstieg der Super-Demagogen am Anfang des 20. Jh., wie Lenin, Mussolini, Hitler (bzw. Goebbels), Mao etc. Ab den 1950ern setzte dann die nächste Medien-Revolution ein, das Fernsehen, das völlig neue Gestaltungs-Räume und Möglichkeiten im Umgang mit Wahrheit und Lüge brachte. Seitdem werden Politiker-Wahlen dadurch entschieden, wer am telegensten ist. Letztlich findet diese Betrachtung ihr vorläufiges Ende mit dem seit den 1990ern herangebrochenen Zeitalter der globalen Medien-Vernetzung über Computer, wodurch sich wiederum ungeahnte Perspektiven ergeben in der Gestaltung dieses philosophischen Urstoffs, der Wahrheit, und seines Antagonisten, der Lüge.

2.6.3. Die wesentlichen kulturhistorischen Markierungspunkte
Unsere Betrachtungen von Wahrheit und Lüge spannen ihren Bogen über ca. 3500 Jahre. Sie nehmen ihren Ausgang bei den grossen Kultur- fundierenden Texten des Abendlandes:

1) Der Illias und Odysee des Homer, mit der Einführung der grossen Heldentaten des Ober-Erz-Patrons aller Lügner: Odysseus.

2) Der Bibel, wobei hier die Unterschiede zwischen der jüdischen Torah (Altes Testament, -500) und den christlichen Evangelien NT (Neues Testament, +100) besonders gewürdigt werden sollen. Die Torah ist Semitisch-Jüdisch- Babylonisch, aber das NT ist durch und durch178, aber das NT ist durch und durch [178] Hellenistisch.

3) Den griechischen Philosophen, die die Suche nach der Wahrheit zum Leit-Thema ihrer Arbeit und aller Philosophen nach ihnen machten: Parmenides, Platon, Aristoteles. (-500 ... -300)

4) Dem römischen Philosophen Augustinus (+400), der IMHO der spiritus rector für das Wahrheits- und Moral-Verständnis der christlich- abendländischen Kultur der nächsten 1500 Jahre war.

Es ist nicht Ziel der vorliegenden Arbeit, all dieses Material wieder durchzusortieren und neu zu präsentieren. Dies ist auch schon oft genug von anderen, berufeneren Geistern (mit venia legendi ) geleistet worden. Deshalb wird die Schrift PL als Basis angenommen, mit Vaihinger (1913) für weitere Vertiefungen.

Die wesentlichen Fundierungen des neuzeitlichen Wahrheitsbegriffs wurden zwischen 1600 und 1800 geleistet:

5) Die Philosophen der Neuzeit, die die wissenschaftlichen Wahrheitsnormen prägten (etwa Descartes) und die Ethik dem Gedankengut der Neuzeit anpassten (Kant). Weiterhin können wir hier einige Denker listen, die mithalfen, die modernen Gesellschafts- , Staats-, Politik- und Wirtschafts- Ethiken zu formulieren, die die Läufe der Welt bis ca. 1950 bestimmten: etwa Machiavelli, Hobbes, Adam Smith, Hegel, Marx, Lenin, Mao. [179] Auch hier wird wesentlich auf PL und Vaihinger (1913) Bezug genommen.

6) 1789 brachte die Französische Revolution den ersten Zusammenbruch des alteuropäischen Ethos-Systems von aristokratisch-klerikaler Macht und Herrschaft, welches ca. 120 Jahre weiter bröckelte, und dann 1918 endgültig zerbrach.

7) Zu Ende des 19. Jh. leistete dann Nietzsche seinen Beitrag zur Erschütterung des festgefügten alteuropäischen christlich-abendländischen Denk- Werte- und Normensystems, das dann 1918 zersprang.

8) Anfang des 20. Jh. (1880-1900) kam Freud und die Lehre vom Unbewussten.

9) Ab 1950 setzten verschiedene Entwicklungen ein, die zusammenfassend als Postmoderne bezeichnet werden können. Das Erbe Nietzsches wurde vollendet, und die abendländische Denkordnung der Rationalität wurde vollends dekonstruiert.

10) Ab ca. 1990 setzte eine starke Strömung "zurück zu den alten Werten ein", die Bewegung zurück zum Fundamentalismus. Karol Wojtyla mag auf christlicher Seite als Beispiel dafür stehen, G.W. Bush in USA, und die islamischen Fundamentalisten auf ihrer Seite der Welt.

2.6.4. Das Thema des Freud'schen Unbewussten
Die einfache bipolare Unterscheidung (Dualismus) zwischen Wahrheit und Lüge, die Augustinus als erster rein römisch denkender unter den christlichen Philosophen eingeführt hatte, brachte zwar in den folgenden Jahrhunderten einigermassen geordnete Verhältnisse, aber dafür umso mehr Gewissensqualen für die armen sündigen Christenmenschen. Die hatten zwar immer das Bild der Reinen Wahrheit vor Augen, die bei Gott ist, und die aus Gott spricht, aber mit der ungeordneten Welt der Menschen war das alles nicht so leicht zu vereinbaren. Wo es Moral gibt, da gibt es Doppel-Moral und Verdrängung und Lebenslügen. Freud zerbrach mit seinen Arbeiten die Versiegelung, die über der Lebenslüge der (christlichen, Augustinischen) Sexual-Moral gelegen hatte. Darüber hinaus öffnete er mit seinem Thema des Unbewussten einen Denkraum, in dem sich das entfalten konnte, wovon man vorher nicht einmal lügen konnte, weil man es gar nicht denken, bzw. sich explizit vorstellen konnte. Das Thema des Freud'schen Unbewussten ist also darüber zu sprechen, worüber man qua Sozialisation und Imprägnierung sowie Verdrängung nicht sprechen kann, ausser in seinen Träumen.

Man kann das Freud'sche Unbewusste in zwei grundlegende kategorielle Phasen unterteilen:

1) Die Phase der vor-bewussten Prägungen oder Im-Prägnierungen
Alles, was in der Kindheit vor dem ca. 6.-10. Lebensjahr an prägenden Erfahrungen stattfand, an die man sich später nicht mehr erinnern kann, weil das Erinnerungsvermögen von der schon vorhandenen Persona abhängig ist. Die Persona bildet sich aber erst durch solche Prägungs-Erfahrungen. Hier finden wir auch Erfahrungen, die das kindliche emotionale Fassungsvermögen sprengen, wie z.B. die Freud'sche Urszene und frühkindliche Missbrauchs-Erfahrungen. Die vor-bewusste Prägung oder Im-Prägnierung (dyed in the wool) ist aber vor allem der Prozess des mit-der-Muttermilch-Aufnehmens des ethnischen (kulturellen) Wertesystems, des Ethos. Diese Prägung ist im späteren Leben nicht mehr (aus-) zu löschen, und kann höchstens überlagert und vergessen werden.

2) Die Phase der Verdrängungen
Alles, was im späteren Leben nach dem ca. 6.-10. Lebensjahr mit dem schon vorhandenen moralin-sauren Prägungs-System nicht mehr vereinbar ist, und daher als Lebenslüge in das Unterbewusste abgeschoben wird.

2.7. Wahrheiten I., II. & III. Ordnung, Mittelbar und Un-Mittelbar

@ :WAHRHEIT_ORDNUNG
Was aber ist die Wahrheit?

Wir wollen uns dem Thema der Wahrheit aus Sichtweise einer Lebensphilosophie (oder Seinsphilosophie aus der Sicht des Menschlichen Er-Lebens) nähern. Hierbei können wir verschiedene Arten (oder Kategorien) von Wahrheit(s-Empfindung) aufstellen:

Wahrheiten I., II. & III. Ordnung, die man auch durch Unterscheiden von Mittelbar oder Un-Mittelbar, bzw diskursiv und intuitiv differenzieren kann.

Diese lassen sich mit den zugehörigen Fragestellungen determinieren:
Was ist die lebenswert richtige Antwort auf ... ?

2.7.1. Wahrheit I.Ordnung, die individuelle Wahrheit
Wer bin Ich?

Am Anfang aller Wahr-Nehmung steht das unmittelbare Empfinden von sich Selbst, das unreflektiert für Wahr genommen wird, und damit die Wahrheit I.Ordnung bedingt. Diese Selbst-Empfindung wird der Funktion des limbischen Systems zugeordnet.

Auf höherer Stufe der Reflexion stehen Erlebnisse von individueller un-mittelbarer Wahrheit, wie das Verhältnis von Individuum und Gott .
Im heutigen Kontext Maslowscher und ähnlicher psychologischer Vorstellungen heisst das vielleicht so:
Was ist meine persönliche Lebenswahrheit , nach deren Ver-Wirklichung ich in meinem Leben strebe, meine Selbst-Verwirklichung? Die Wahrheit des Lebens, das Lebenswerte eines Lebens wird an dem Grad der individuellen Selbst-Verwirklichung gemessen.

Die Frage der individuellen Selbst-Verwirklichung kann nur im Kontext des modernen europäischen (ie. nach-christlichen) Werte-Systems gestellt werden, in dem die In-dividualität [180] zum Zentralfaktor des Lebenszusammenhangs geworden ist. Sie ist in Lebens-Gewebe-Systemen der II. Ordnung nicht vorhanden, oder darf nicht gestellt werden.

Für die Philosophie und die Wissenschaft (III.Ordnung) ist die Wahrheit I.Ordnung ebenfalls keine Wahrheit, weil sie un-mittelbar ist. Die philosophischen und wissenschaftlichen Definitionen der Wahrheit fundieren aber auf der ver-Mittelbarkeit als Grundvoraussetzung. Ie. Wahrheit wird dort verstanden als (interpersonell gültige und korrekte) Aussage über den Stand der Dinge.

2.7.2. Wahrheit II. Ordnung, die kollektive Wahrheit
@ :WAHRHEIT_KOLLEKTIV
Was bin ich?
Was bin ich im Werte-, Normen-und Funktionszusammenhang einer Communitas oder eines Ethnos?

Diese Empfindung basiert auf der Selbst-Empfindung in der Widerspiegelung im Wir. Neurologisch wird hier ein bestimmter Typ von Neuronen angesetzt: Die Spiegel-Neuronen.
Siehe: V.S. Ramachandran: (LOC_DVD)

Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie generiert ein oft unbewusstes Verständnis von "wahr" und "falsch" in Bezug auf die Bewertung des Habitus einer Person, ob (das Verhalten) diese/r Person sie als ein korrektes oder irgendwie deviantes oder gar kein Mitglied der Ethnie markiert.

Im Sinne des gesellschaftlichen Funktionszusammenhangs stellt sich die Frage:
Welche Rolle ist mir vom Leben bzw. vom Schicksal aufgegeben? Was wird von mir erwartet? Wie gut erfülle ich sie?
Hier finden wir menschheitsgeschichtlich herausragend die Chinesische Staatsphilosophie, wie sie in 2500 Jahren immer wieder neu definiert und interpretiert wurde, und die Indisch- Vedische Philosophie des Rita (Rta).

Das Leben des Menchen ist ein politisches (anthropos zoon politikon ), so hatten Platon und Aristoteles die gesellschaftlichen Voraussetzungen ihrer Philosophiesysteme verstanden. Ihre restliche Philosophie stand völlig integriert in und abhängig von dieser Voraussetzung, und kann ohne sie nicht gedacht werden. Die Wahrheit II. Ordnung ist der gesellschaftliche Sinn des (guten) Lebens, der eu-daimonia.

Die wesentlichen Unterschiede in den verschiedenen Philosophien des sozialen Lebens sind vor allem in der Bedeutung, und dem Wert, der der Individuellen Autonomie zugemessen wird. In stark kollektiv bestimmten Systemen wie dem Indischen, Chinesischen und Islamischen, wird das Lebenswerte eines Lebens an dem Grad der sozialen Erwartungs-Erfüllungswerte gemessen. Auch bei Platon (Politeia) und Aristoteles wurde dem politischen Kollektiv grössere Bedeutung zugemessen, als dem Individuum.

Wie unter I. Ordnung angedeutet wurde, ist in (den etremeren) Ethos-Systemen der II. Ordnung die Frage der I. Ordnung ein Tabu. Denn hier gilt das Rasenmäher-Prinzip: Wer zu weit herausragt, dessen Kopf wird abgeschnitten. Wer das Fundamental-Tabu der II. Ordnung übertritt, ist des Todes schuldig.

Heute drehen sich die tieferen Kulturkämpfe zwischen dem europäischen Ethos und dem islamischen und asiatischen um die Dissonanzen zwischen den Wahrheiten I.Ordnung und II.Ordnung. Besonders krass entladen sie sich im islamischen Fundamentalismus. Der Islam hat seine Gesellschafts-Ordnung II in das sakrosankte Wort Gottes eingebettet, den Koran und die Scharia. Daher ist aus dem Zusammenprall dieser unvereinbaren Ordnungen ein Kulturkonflikt unvermeidlich. Der islamische Fundamentalismus unterscheidet sich vom christlichen in einem entscheidenden Punkt: Nirgendwo in der Bibel steht: "Dies ist das Wort Gottes, du sollst es wörtlich und im buchstäblichen Sinne nehmen und lesen" (tolle lege ). Aber genau dies ist das Zentralmotiv der allgemein in (den meisten) islamischen Ländern gültigen Verständnis-Praxis des Koran.

"Fortschrittliche" islamische Denker wie Bassam Tibi riskieren immer noch die Fatwa, also die Todesstrafe, wenn sie den Fehler machen sollten, sich in einem fundamentalistisch islamisch bestimmten Land wie etwa Saudi-Arabien öffentlich auf die Strasse zu wagen und ihre Meinung dort zu verkünden. In vielen Fernseh-Aufnahmen bekommen wir seit Jahren immer wieder Bilder aus hunderten Glaubenskämpfer-Schulen in Pakistan, wo wir die Taliban (Koranschüler) eifrig damit beschäftigt sehen, den Koran auswendig zu lernen. Was aber keiner der Kommentatoren erwähnenswert findet, ist dass diese Schüler den Koran auf Arabisch auswendig lernen, ohne aber auch nur Wort dieser Sprache zu verstehen. So etwas ist für das westliche Denken schlicht undenkbar, markiert aber einen der tiefsten Unterschiede zwischen europäischen und islamischen Ideen vom (wahren) Glauben.

Das chinesische Wertesystem des Konfuzianismus und der Taoisten basiert ebenfalls auf den Gesetzen des Himmels , die sich in den irdischen Verhältnissen widerspiegeln. Die Staats- und Gesellschafts-Systeme des Konfuzius und der Taoisten basieren beide auf Prinzipien der universellen Harmonie, die von einer Entsprechung von Himmel und Menschenwelt ausgeht. Während die Taoisten gemäss ihrer Denktradition alles so vage und luftig-wolkig wie nur möglich formulierten, hatte Konfuzius seine Aufgabe hauptsächlich darin gesehen, diese zu kodifizieren und als Staatstheorie nutzbar zu machen, was im wesentlichen darin besteht, aus allgemeinen Prinzipien dann Recht und Gesetze zu machen, die von einem hinreichend geschulten Beamten-Apparat verstanden und angewendet werden können. Allerdings muss man hinzufügen, dass unter der Herrschaft von Shin Chi Huang-Di -200 alle konfuzianischen Texte verbrannt worden sind, und sie wurden von späteren Kaisern auf wundersame Weise "wiederentdeckt" , was möglicherweise darauf hindeutet, dass Konfuzius etwas ganz anderes geschrieben und gepredigt hatte, als was man heute über ihn liest.

Mit dem anscheinend unaufhaltsamen Machtaufstieg der Chinesen werden sich diese tieferen kulturellen Reibungsflächen wohl nicht mehr lange überkitten lassen.

2.7.2.1. Wahrheit, Ordnung IIa
@ :HABEN_SEIN
Was habe ich?

Dies wird ua. von Erich Fromm in "Haben oder Sein" thematisiert. Im Rahmen des westlichen Ethos der kapitalistischen Normen-Ordnung dreht sich alles um den Besitz.

Das "Was bin ich?" kann nur in Termen von "Was habe ich?" gestellt und beantwortet werden.

Dazu ein Zitat, in dem Johannes Heinrichs Erich Fromm zitiert, der wiederum Karl Marx zitiert:

Die Dinge werden als Waren erlebt. Die Beziehungen des Menschen zu sich selbst und zum Mitmenschen sieht Fromm unter der großen Überschrift „Entfremdung“, womit Hegel und Marx ja die Verstellung, das Unbewußt- und Unkenntlichwerden der Ursprungs-Beziehungen zwischen dem Menschen und der Welt seiner einer Produkte sowie seiner sozialen Sinnwelt bezeichnet hatten.

„Die Entfremdung in unserer modernen Gesellschaft ist fast total. Sie kennzeichnet die Beziehung des Menschen zu seiner Arbeit, zu den Dingen, die er konsumiert, zum Staat, zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst“ (ebd., 90).
Das Hauptmedium für die entfremdeten Beziehungen der Menschen zu ihren Produkten wie zueinander ist das Geld. Fromm zitiert hier ausführlich den jungen Marx:

„Das Geld ... verwandelt ebenso sehr die wirklichen menschlichen und natürlichen Wesenskräfte in bloß abstrakte Vorstellungen und darum Unvollkommenheiten, qualvolle Hirngespinste, wie es andererseits die wirklichen Unvollkommenheiten und Hirngespinste, die wirklich ohnmächtigen, nur in der Einbildung existierenden Wesenskräfte desselben zu wirklichen Wesenskräften und Vermögen verwandelt... Es verwandelt die Treue in Untreue, die Liebe in Haß, den Haß in Liebe, die Tugend in Laster, das Laster in Tugend, den Knecht in den Herrn, den Herrn in den Knecht, den Blödsinn und Verstand, den Verstand in Blödsinn... Wer die Tapferkeit kaufen kann, der ist tapfer, wenn er auch feig ist... Setze den Menschen als Menschen und sein Verhältnis zur Welt als ein menschliches voraus, so kannst du Liebe nur gegen Liebe austauschen, Vertrauen nur gegen Vertrauen etc. Wenn du die Kunst genießen willst, mußt du ein künstlerisch gebildeter Mensch sein; wenn du Einfluß auf andere haben willst, mußt du ein wirklich anregend und fördernd auf andre wirkender Mensch sein. Jedes deiner Verhältnisse zum Menschen – und zur Natur – muß eine bestimmte. Dem Gegenstand deines Willens entsprechende Äußerung deines deines wirklichen individuellen Lebens sein. Wenn du liebst, ohne Gegenliebe hervorzurufen, das heißt, wenn dein Lieben als Lieben nicht die Gegenliebe produziert, wenn du durch deine Lebensäußerung als liebender Mensch dich nicht zum geliebten Menschen machst, so ist deine Liebe ohnmächtig, ein Unglück“ (K. Marx, 1971, S. 300f, zit. GA IV, 95 f).
J. Heinrichs (2001, S. 49-62), 3. Entfremdung und Geld, p. 14
(URL) (LOC_DVD) www.johannesheinrichs.de/pdf/Fromm.pdf

2.7.3. Wahrheit III. Ordnung, die Wahrheit der Dinge
Was ist Es?

Hier setzt die Wahrheits-Theorie der klassischen Philosophie und der Wissenschaft an. Es geht um den Zusammenhang und die Auseinander-Setzung der Dinge (pragmata) und der Aussagen, die man über die Dinge machen kann.

2.7.4. Schlussbemerkung
... zu dem Ordnungs-System von Wahrheiten I, II und III

Diese vorgestellte Ordnung ist eine etwas andere Darstellung der SUB-SEM-OBJ Triade. [181] Hier ist es etwas schärfer formuliert: Es handelt sich bei SUB-SEM-OBJ um "Wahrheits-Bereiche" . denn in jedem dieser Bereiche gilt eine andere (Form von) Wahrheit. Gotthard Günther hatte IMHO ein ähnliches Konzept, in dem er solche Bereiche Kontexturen nannte. Dabei dachte er aber vor allem an logische Formalisierungen wie etwa entsprechend Erweiterungen der Booleschen Logik. Soweit sind wir hier noch nicht. Ausserdem müsste noch hinreichend diskutiert werden, warum es sinnvoll ist, so etwas wie disjunkte Wahrheits-Bereiche einzuführen, wo wir schon sowieso genug Probleme mit der einfachen Wahrheit haben.

2.7.5. Lebensphilosophie und essentielle Wahrheiten
Die hier eingeführte Ordnung hat nur einen Sinn im Kontext einer Lebensphilosophie. Das antike Griechenland brachte verschiedene Richtungen der Lebensphilosophie hervor, wie die Kyniker, Stoiker, Epikuräer etc. Natürlich formulierten auch Platon und Aristoteles ihre jeweils eigenen Systeme von Eu-Daimonia, (der Anleitung zu) dem guten Leben, und was sie dafür hielten. Mit Augustinus als Schlüsselperson und spiritus rector kann ein geschichtlicher Wendepunkt markiert werden, an dem die Lebensphilosophie zur terra interdicta , also die verbotene Zone der abendländischen Philosophie wurde, und die Philosophie zur ancilla theologiae wurde.

Im Sinne der Lebensphilosophie generieren die Fragen der I.Ordnung und II.Ordnung die essentiellen Wahrheiten und Lebenslügen.

Die Themen der Warhheit III. Ordnung sind in den Philosophiegeschichten zwischen Platon, Aristoteles, Descartes, Leibniz und der heutigen Wissenschafts-Theorie schon ausreichend abgehandelt wurden. IMHO kann ich hier nichts wesentliches hinzufügen. Deshalb verweise ich für weiterführendes Material auf PL.

2.8. Moral, Ethik und Ethos, Ethnos und Ethnie

@ :MORAL_ETHOS
Credo quia absurdum
Tertullian

Hier geht es um die kleinen aber signifikanten Unterschiede zwischen Moral, Ethos und Ethik, zwischen Ethnie und Ethnos. Die Ethnologie hat in den ca. 100 Jahren seit Nietzsches Tod dazu einiges an interessantem Material zusammengetragen. (Die verschiedenen Ansichten zum Zivilisationsbegriff bzw. zu Scham und Sitte bei Naturvölkern von H. P. Duerr und Norbert Elias mögen ein Beispiel dafür geben).

2.8.1. Nietzsche: Was ist ein Volk?
@ :EIN_VOLK
Etwas, das "sich versteht" , ein Volk

Nietzsche hat in seinem Absatz: "Was ist ein Volk?" den Begriff von Empfindungs-Gruppen geprägt, von dem aus er die sprachliche Grundlage für "ein Volk" definiert. In den Begriffen der Noologie wird dies eine Stufe der Abstraktion weitergetragen, zum Konzept der Verhaltens- und Wertegemeinschaften der Ethnien.

Was ist zuletzt die Gemeinheit? - Worte sind Tonzeichen für Begriffe; Begriffe aber sind mehr oder weniger bestimmte Bildzeichen für oft wiederkehrende und zusammen kommende Empfindungen, für Empfindungs-Gruppen. Es genügt noch nicht, um sich einander zu verstehen, dass man die selben Worte gebraucht: man muss die selben Worte auch für die selbe Gattung innerer Erlebnisse gebrauchen, man muss zuletzt seine Erfahrung mit einander gemein haben. Deshalb verstehen sich die Menschen Eines Volkes besser unter einander, als Zugehörige verschiedener Völker, selbst wenn sie sich der gleichen Sprache bedienen; oder vielmehr, wenn Menschen lange unter ähnlichen Bedingungen (des Klima's, des Bodens, der Gefahr, der Bedürfnisse, der Arbeit) zusammen gelebt haben, so entsteht daraus Etwas, das "sich versteht" , ein Volk. In allen Seelen hat eine gleiche Anzahl oft wiederkehrender Erlebnisse die Oberhand gewonnen über seltner kommende: auf sie hin versteht man sich, schnell und immer schneller - die Geschichte der Sprache ist die Geschichte eines Abkürzungs-Prozesses -; auf dies schnelle Verstehen hin verbindet man sich, enger und immer enger. Je grösser die Gefährlichkeit, um so grösser ist das Bedürfniss, schnell und leicht über Das, was noth thut, übereinzukommen; sich in der Gefahr nicht misszuverstehn, das ist es, was die Menschen zum Verkehre schlechterdings nicht entbehren können. Noch bei jeder Freundschaft oder Liebschaft macht man diese Probe: Nichts derart hat Dauer, sobald man dahinter kommt, dass Einer von Beiden bei gleichen Worten anders fühlt, meint, wittert, wünscht, fürchtet, als der Andere. (Die Furcht vor dem "ewigen Missverständniss" : das ist jener wohlwollende Genius, der Personen verschiedenen Geschlechts so oft von übereilten Verbindungen abhält, zu denen Sinne und Herz rathen - und nicht irgend ein Schopenhauerischer "Genius der Gattung" -!) Welche Gruppen von Empfindungen innerhalb einer Seele am schnellsten wach werden, das Wort ergreifen, den Befehl geben, das entscheidet über die gesammte Rangordnung ihrer Werthe, das bestimmt zuletzt ihre Gütertafel. Die Werthschätzungen eines Menschen verrathen etwas vom Aufbau seiner Seele, und worin sie ihre Lebensbedingungen, ihre eigentliche Noth sieht. Gesetzt nun, dass die Noth von jeher nur solche Menschen einander angenähert hat, welche mit ähnlichen Zeichen ähnliche Bedürfnisse, ähnliche Erlebnisse andeuten konnten, so ergiebt sich im Ganzen, dass die leichte Mittheilbarkeit der Noth, dass heisst im letzten Grunde das Erleben von nur durchschnittlichen und gemeinen Erlebnissen, unter allen Gewalten, welche über den Menschen bisher verfügt haben, die gewaltigste gewesen sein muss. Die ähnlicheren, die gewöhnlicheren Menschen waren und sind immer im Vortheile, die Ausgesuchteren, Feineren, Seltsameren, schwerer Verständlichen bleiben leicht allein, unterliegen, bei ihrer Vereinzelung, den Unfällen und pflanzen sich selten fort. Man muss ungeheure Gegenkräfte anrufen, um diesen natürlichen, allzunatürlichen progressus in simile, die Fortbildung des Menschen in's Ähnliche, Gewöhnliche, Durchschnittliche, Heerdenhafte - in's Gemeine! - zu kreuzen.
Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, Neuntes Hauptstück: was ist vornehm? 268

Weiteres Material dazu in dem og. Aufsatz von Erich Fromm:
Das Ganze konkretisiert und bestätigt sich, wenn wir Fromms zentralen Begriff des Sozialcharakters etwas beleuchten. Gemeint ist mit diesem Begriff nach Fromms eigener Definition: „der Kern der Charakterstruktur, den die meisten Mitglieder ein und derselben Kultur miteinander gemeinsam haben, im Unterschied zum individuellen Charakter, in welchem sich Menschen ein und derselben Kultur voneinander unterscheiden“ (Wege aus einer kranken Gesellschaft, GA IV, 59).
J. Heinrichs (2001, S. 49-62), 3. Entfremdung und Geld, p. 14
(URL) (LOC_DVD) www.johannesheinrichs.de/pdf/Fromm.pdf

Bei Hegel findet sich ein dazu passendes Kapitel über den Volksgeist, der seine höchste Vollendung nach Hegels Staats-Idealismus in dem (preussischen) Staat findet:
Die Volksgeister ... ein Pantheon, dessen Element und Behausung die Sprache ist.
...
Die Sittlichkeit des wirklichen Volksgeistes beruht teils auf dem unmittelbaren Vertrauen der Einzelnen zu dem Ganzen ihres Volkes, teils auf dem unmittelbaren Anteil, den alle... an den Entschlüssen hnd Handlungen der Regierung nehmen.
Hegel (1986, p. 529-530)

2.8.2. Analogien zur Semiotik: Sprachfähigkeit und Kulturfähigkeit
Die folgende Diskussion verläuft in ähnlichen Bahnen, wie in der Semiotik nach Saussure der Unterschied von parole und langue entwickelt wird, wie durch Erweiterung der Spezifikation ein Artbegriff hinzu gefügt wird: die language. Parole ist der jeweilige Sprechakt. Aufgrund der morphologischen Ähnlichkeit und zeitlichen Konstanz einer grossen Menge von Sprechakten einer Gruppe von Sprechern können wir auf das Vorhandensein einer langue, also einer spezifischen (National- oder Dialekt-) Sprache schliessen. [182] Wir brauchen aber noch eine Unterscheidung sui generis [183] zwischen dem Artbegriff der verschiedenen jemals gesprochenen menschlichen Sprachen, und der logisch davon verschiedenen Klasse der Sprache an Sich , wie es z.B. bio-logische Voraussetzung für den Erwerb von Sprache sein muss, [184] und z.B. von Chomsky verwendet wird. Dies wird mit language bezeichnet.

In den entsprechenden Diskursen wurde analog zur Sprachfähigkeit der Begriff der Kulturfähigkeit geprägt. Allerdings soll der Begriff Kultur im Hintergrund gehalten werden:
1) weil er sowieso nie auf eine Definition gebracht werden kann, über die man sich kultur-übergreifend einigen kann, und
2) weil Kultur meistens die Kultur-Artefakte bezeichnet, nicht aber die Kultur-Akte bzw. die Performanz, (was äquivalent mit Parole wäre), und noch weniger das Abstraktum dahinter, das bei Chomsky die Sprach-Tiefenstruktur wäre.

2.8.3. Moral, Sitte und intuitive Wahrheit
@ :MORAL_SITTE
Von den Stachelschweinen
Eine Gesellschaft Stachelschweine drängte sich an einem kalten Wintertage recht nah zusammen, um durch die gegenseitige Wärme sich vor dem Erfrieren zu schützen. Jedoch bald empfanden sie die gegenseitigen Stacheln, welches sie dann wieder voneinander entfernte. Wann nun das Bedürfnis der Erwärmung sie wieder näher zusammen brachte, wiederholte sich jenes zweite Übel, so dass sie zwischen beiden Leiden hin und her geworfen wurden, bis sie eine mäßige Entfernung voneinander herausgefunden hatten, in der sie es am besten aushalten konnten. Und diese Entfernung nannten sie Höflichkeit und feine Sitte.
Arthur Schopenhauer

Genau 613 Gebote und Verbote sind es, die das Leben der Juden bestimmen. Aber auch der frommste unter den frommen Juden weiß, dass kein Mensch alle Regeln einhalten kann. Deswegen besteht der Alltag der gläubigen Juden zur einen Hälfte daraus, die "halachischen" (religionsgesetzlichen) Vorschriften zu befolgen, und zur anderen Hälfte daraus, sie zu umgehen.
Henryk M. Broder, Spiegel, 22. Dezember 2000

Die Fragen der intuitiven Wahrheit berühren Themen wie Sitte (nomos, dikae, ethos) und Moral, die jeweils für eine spezifische Ethnie gültig sind, und die auf automatischen und unreflektierten Unterscheidungen für die "Wahrheit an Sich" beruhen, die z.T. auf Im-Prägnierung basieren, also auf irreversiblen, vorbewusstlichen, frühkindlichen Prägungen. Dies sind Faktoren, die die Menschen dazu zwingen, die Welt ihrer sozialen Wahr-nehmung unreflektiert in "passend" oder "unpassend" aufzuteilen. Hierbei geht es um das Verhalten, das Auftreten, etc. eine{s/r} Anderen. Die Kulturkämpfe der heutigen Zeit drehen sich genau um solche automatischen und unreflektierten Unterscheidungen, die schon fertig vorfabriziert sind, bevor sie in das (vernünftige) Bewusstsein treten.

In der folgenden Diskussion sollen die Begriffe Moral, Ethos, Ethik, Ethos, Ethnos und Ethnie in ein Spannungsfeld von Semantischen Rhizomen eingespannt werden.

Common-Sense Definition der Moral
Der Begriff Moral ist schon mit einem Verweis auf das Common-Sense Wissen (zumindest vorläufig) zu umreissen: Moral ist das , was man aufgrund eines expliziten und/oder impliziten gesellschaftlichen Vorschriften-Systems tun oder lassen sollte.
Das paradigmatische Beispiel dafür sind die 10 Gebote der Bibel, die alle in der "du sollst" Form gehalten sind. [185]

2.8.4. Ethos
@ :NOO_ETHOS
gr.: ethos := Gewohnheit, Brauch, Sitte
Als Ausgangspunkt der weiteren Diskussion nehme ich Nietzsches Schrift WLA und "Moral als Widernatur" . [186]

Der Ethos als Generalbegriff umfasst sowohl { Sitte, Brauch, Gewohnheit}, Moral und Schattenmoral. Sitte und Brauch sind Gewohnheitsformen, die "an sich" moralfrei sind, und die unhinterfragten Codifikationen folgen. "Man tut es" eben so und nicht anders. Eine mögliche Begründung ist höchstens, dass man sagt, so hätten es die Vorväter immer schon getan.

Eine Moral ist ein gesellschaftliches Spannungsfeld: Überall da, wo eine Moral existiert, existiert auch eine Schattenmoral oder Doppelmoral. Zwar haben alle menschlichen Gesellschaften Vorschriften-Systeme des "du sollst" , also Moralen, aber das tatsächliche Verhalten der Menschen folgt meistens nicht (ganz genau) diesem System. Entweder sind einige gleicher als die gleichen, oder es gibt verschwiegene Zonen (oder Zeiten, wie der Karneval) der Gesellschaft, in denen diese Gesetze aufgehoben werden.

Ethos ist daher ein Kunstbegriff: Es ist "Als Ob" man ein kodifizierbares Werte- und Normensystem für eine Gesellschaft aufstellen und explizit in Begriffen darstellen könnte. (Immerhin versuchen die Ethnologen seit ca. 150 Jahren genau das). Auch wenn es vielleicht nicht praktisch umsetzbar ist, so ist Ethos als Kunstwort doch geeignet, den Klassenbegriff zu setzen für alles, was die kleinen, feinen Unterschiede zwischen den Ethnien so ausmacht, und warum diese Unterschiede immer wieder zu so schwerwiegenden Streitereien, Auseinandersetzungen, bis hin zum Genozid führen.

Ich akzentuiere nun den Begriff der Moral, um ihn den Umständen anzupassen: Moral ist ein Anleitungs- und Vorschrifts-System zum Handeln, das abhängig vom Wertesystem einer jeweiligen Ethnie (Kultur-Konsens-Gemeinschaft) ist . Und was für die eine Ethnie völlig sinnvoll, logisch und selbstverständlich ist, ist es keinesfalls bei einer anderen. Moral wird meist als "selbstverständlich" oder "gottgegeben" begründet, und bedarf keiner Vernunft-Argumente.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Kulturstreit um das Kopftuch bei islamischen Frauen. Es ist mit keiner abendländisch geprägten Vernunft zu begründen, warum das Kopftuch in (bestimmten Interpretationen des) Islam genauso wichtig ist, wie in den westlichen Ländern die Bedeckung der Geschlechtsteile . Der Islamische und der Abendländische Ethos stimmen insofern überein, dass die Bedeckung der Geschlechtsteile eine unhinterfragte selbstverständliche Sitte ist. [187]
Für viele islamische Ethnien ist das Haar der Frau ebenso ein Geschlechtsteil wie die Brüste und die Vulva, und daher muss es bedeckt werden. Das ist nur logisch. Aber warum es ein Geschlechtsteil sein soll, will dem westlichen Denken nicht so recht einleuchten.
->:ISLAM_JIHAD, p.169

2.8.5. Ethik
Ethik kann so wenig zur Tugend verhelfen, als eine vollständige Ästhetik lehren kann,
Kunstwerke hervorzubringen.
Schopenhauer

Der General- Oberbegriff von Moral und Ethik ist, dass beide Anleitungs- und Vorschrifts-Systeme zum Ver-halten, also Handeln und Unterlassen (pragma, praxis) sind. Nietzsche kannte nur die jüdisch-christliche Moral, und von anderen Moral-Systemen hatte er nur schemenhafte Ahnungen (z.b. sein etwas naiver Lobgesang auf die islamischen arabischen Töchter der Wüste im Zarathustra).
Verkürzt lässt sich der Unterschied von Moral und Ethik so darstellen:

Moral ist ein Common-Sense System, das auch vom Common-Sense Menschen verstanden und angewandt werden soll, während Ethik ein philosophisches System ist, in dem es vor allem um Vernunft und Logik, also Kohärenz, Prägnanz, Wiederspruchsfreiheit, Allgemeingültigkeit, etc. geht, was das Verhalten (bzw. sich ent-halten) und die Handlung (bzw. das Unter-lassen) angeht.

Die bekanntesten Philosophen des Abendlandes, die im Zusammenhang mit Ethik zitiert werden, sind Aristoteles und Kant. Nach diesen ist das Anleitungs- und Vorschrifts-System zum Handeln von der Vernunft geleitet und abhängig, damit auch von einer Logik. Diese Logik des Verhaltens und der Werte war aber bei Platon und Aristoteles noch naiv und einseitig nur auf den Konsens-Kreis ihrer jeweiligen Ethnie bezogen. Kant nahm auch als selbstverständlich an, dass seine ethischen Vernunftgründe Gültigkeit für die ganze Menschheit, nicht nur von Europa, und dazu noch über alle Zeiten hinweg, haben müssten.

2.8.6. Der Ethos der Ethnie
@ :ETHOS_ETHNIE
Ethnien sind beobachtbare Verhaltens- und Wertegemeinschaften, wie sie in der (und durch die Arbeit der) Ethnologie definiert werden. [188] Ein Mensch kann (in der Regel) nur in eine einzige Ethnie (hin-) eingeboren sein. Er kann zwar später durch Konversion oder Assimilation Angehöriger einer anderen Ethnie werden, aber seine Herkunft kann er nie verleugnen (wenn er ca. bis zum 6.-10. Lebensjahr der Prägung einer einzigen Ethnie unterworfen war). [189] Jede Ethnie hat (im Als Ob) ihren Ethos, also ein Werte- und Normensystem, in dem sie sich von den anderen Ethnien unterscheidet. Sprachgemeinschaften und Ethnien sind etwas Verschiedenes. Sie fallen nur manchmal zusammen, aber müssen es nicht. Weiterhin sind die meisten Ethnien geschlechtliche Vermehrungs- bzw. Propagations- Gemeinschaften. Ie. der Ethos der Ethnie wird von den Eltern auf die Kinder übergeben. Der entscheidende Faktor hierbei ist die frühkindliche Im-Prägnierung. In der Regel werden Kinder von ihren Eltern unbewusst auf das Normensystem ihrer Ethnie geprägt. Hierbei sind auch irreversible somatische (körperliche) Modifikationen im Spiel. Wenn man das Chinesische nicht als kleines Kind gelernt hat, wird man die Tonal-Unterschiede dieser Sprache nie richtig beherrschen können. Es sind neuronale und motorische Grundmuster, die von der Plastitizität des Körpers später nicht mehr dargestellt werden können.

Anhand der Chinesen lässt sich auch gut demonstrieren, wie fliessend die Grenzen zwischen einer Ethnie und einem Volk sind: Die heutigen Chinesen sind das Produkt von ca. 3000 Jahren kontinuierlicher Bemühungen der Autoritäten und Machthaber, auf dem gewaltigen Territorium des chinesischen Reiches eine rassische und kulturelle Vereinheitlichung zu schaffen, was ihnen auch gelungen ist. Mithin ist das heutige China das Ergebnis eines Projekts, einen Schmelztiegel von Rassen und Völkern zu schaffen, das 10-mal mehr Zeit für seine Entwicklung hatte, als die USA. [190]

Was die Chinesen eint, ist ihre seit ca. 2500 Jahren genormte Schrift (der Beamten) und ihr Verhaltens- und Werte-System, der Lebensstil, ihr Ethos. Die gesprochenen Sprachen der verschiedenen Regionen Chinas unterscheiden sich untereinander nicht weniger als z.B. die romanischen Sprachen zwischen Portugal, Spanien, Frankreich, Italien und Rumänien (gesehen von West nach Ost). In China gehen die Sprach-Differenzlinien von Nord nach Süd. So ist die Sprache ein schlechtes Kriterium der Zugehörigkeit zur Ethnie der Chinesen. Sprachgemeinschaft ist zwar meistens, aber nicht immer, das wesentliche Kriterium einer Ethnie. Hinzu kommt, dass sich die Chinesen auch als Rasse physiologisch von ihren Nachbarvölkern unterscheiden. Nur für Europäer sehen die Japaner so ähnlich aus wie die Chinesen.

2.8.7. Ethnie und Ethnos
Und nun zu dem nächsten, von mir mit spezieller Bedeutung belegten Begriff, dem Ethnos. Was ist der Unterschied zwischen einem Ethnos und einer Ethnie?
(ethnos := Herde, Schar, Schwarm, Völkerschaft).

Wenn man einige der Spezifika einer Ethnie weglässt, dann erhält man einen Ethnos. Der Ethnos ist eine Konsens- Normen- und Werte- Gemeinschaft , die nicht mit Im-Prägnierung verbunden ist, sondern mit In-Doktrinierung, das heisst, ihr Ethos ist über Worte und Begriffe (vollständig) vermittelbar. [191] Daher kann der Ethos eines Ethnos in jedem Lebensalter übernommen werden. Im Gegensatz zur Ethnie ist ein Ethnos oft auch eine un- (bzw. gleich-) geschlechtliche Vermehrungs- bzw. Propagations- Gemeinschaft. Bestes Beispiel hierfür sind die christlichen und buddhistischen Mönche. Die Gemeinschaft der Wissenschaftler ist ein Ethnos, die 7-Tage Adventisten auch. Man kann sich tagsüber zum Ethos der Wissenschaftler bekennen und abends, bzw. Sonntags zum Ethos der 7-Tage Adventisten. Dabei ist es erforderlich, den Ethos der Wissenschaftler und den der 7-Tage Adventisten gut ausseinanderzuhalten. Um das im Fall von Wissenschaft und Adventisten machen zu können, bedarf es einer gewissen "sophistication" des Geistes, es ist also nichts für schlichter gestrickte Gemüter. Man braucht dazu Fähigkeiten, wie die, die den guten oder wahren Lügner (Motto am Anfang) ausmachen. Allerdings gibt es auch viele Menschen, die so einen Wechsel völlig unbewusst machen, und gar nicht merken, dass sie zwischen verschiedenen, sich gegenseitig ausschliessenden Wertesystemen, permanent hin- und herpendeln. Und die machen sich nicht einmal durch besondere psychische Abnormitäts-Erscheinungen auffällig.

Nach dieser Definition ist die Gemeinschaft aller Christen, also die Christen heit ein Ethnos. [192] Das Christen tum ist ein Ethos, weil es das verbindende Konsens- und Werte- System aller Christen ist. Dabei können die Christen beliebigen Ethnien angehören und tun es auch, mit der kleinen Ausnahme dass sie nicht irgendeiner islamischen oder jüdischen Ethnie angehören. Der Begriff kat-holisch (kata-holon, kata := herab, herunter; holon := das Ganze [Weltall]) markiert hier das Ethnien-überschreitende Spezificum des Christen tums, das in den entscheidenden frühen Jahrhunderten auch einer der wesentlichen Unterschiede zum Juden tum war, das wesentlich eine ethnische Religion ist, dh. die Gemeinschaft der Juden propagiert sich praktisch nur über die Familie, aber kaum über Konvertiten. [193] Christentum, Islam und Buddhismus sind eher kat-holische Religionen, Judaismus, Hinduismus und Shintoismus sind eher ethnische Religionen. Ich habe jedenfalls noch von keinem Westler gehört, der zum Shintoismus konvertiert ist. [194]

Das "Credo quia absurdum" des Tertullian ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Ethos des Christentums nicht nur keinen Anspruch auf logische Konsistenz macht, sondern ganz im Gegenteil seine Be- oder Ab-Sonderheit gerade in solchen a-logischen bis absurden Annahmen findet, die die rationalen Vernunft-Menschen nicht nachvollziehen können. Damit ist auch ein gutes Fallbeispiel gegeben, was den Ethos von der Ethik unterscheidet.

2.8.8. Ethnische Typologie
Hier die ethnische Typologie [195] :

Ethnos ist eine etwas weiter gefasste, und
Ethnie ist eine etwas enger gefasste,
Instanz der Oberklasse "Werte- und Normengemeinschaften" .
Das entscheidende Kriterium solcher Gemeinschaften ist die Wahrheit (II. Ordnung: Was bin Ich), bzw. was intuitiv als Falschheit erkannt und aus-segregiert wird. Wahrheit ist sehr schwer zu definieren und zu fundieren.

Falschheit ist seltsamerweise ein Prozess, der unfehlbar automatisch und kategorisch abläuft und die Unpassenden [196] innerhalb von Sekunden-Bruchteilen sofort aussondert (segregation) und aussortiert (discrimination, secession).

Inwieweit Ethos und Ethik in eine begriffliche Konvergenz gebracht werden können, ist das Kernthema heutiger Auseinandersetzungen von Kultur-Relativismus bzw. Kultur-Hegemonie, oder allgemein die Frage nach menschheitlich general-verbindlichen Wertesystemen, die den Bedingungen der abendländischen Ethik genügen.

IMHO ist die westlich-philosophische Ethik (möglicherweise) noch nicht ausreichend gerüstet für völlig andere aussereuropäische Verhaltens- und Werte-Systeme. Es ist ein akutes tages- sozio- politisches Streitproblem, ob es überhaupt irgendwelche für alle Menschen verbindlichen Wertesysteme gibt. (Menschenrechte, Eigentumsrechte, Freiheit [197] etc.). Sogar das Leben des einzelnen Menschen ist laut chinesischer Staatstheorie dem Wohlergehen des Volkskörpers untergeordnet und damit antastbar. Noch einmal das obige Beispiel spezifisch für unterschiedliche Auffassungen zur Individualität zwischen Chinesen und Europäern:
(URL) (LOC_DVD) _050421emot/zeit-hirn/www.zeit.de/2004/41/N-Kognition_China.html


2.8.9. Sapientia: Geruch und Geschmack
... als gefährliche Wahrnehmungs-Schwellwert-Funktionen

@ :SAPIENTIA
Geruch und Geschmack sind die direktesten der Sinne, denn sie beeinflussen das Limbische System direkt ohne rationale Kontrolle, und aus dem Limbischen System kommen alle unsere Bewertungs-Funktionen über unseren gerade vorherrschenden Lebenszustand. Der Geschmack, also lat. sapor, findet sich wieder in dem bekannten philosophischen Begriff sapientia. [198] Das griechische Äquivalent von Sapientia ist wiederum Sophia. Der Unterschied von Geruch und Geschmack ist der: Um etwas schmecken zu können, muss man es sich (schon) einverleibt haben, [199] Geschmack ist eine Vorstellung des Ich, eine Propriozeption, Geruch ist eine Vorstellung des Nicht-Ich , ie. eine Allo-zeption, die sowohl includierend als auch excludierend wirken kann. [200] Der Extremfall von Exklusion wird mit dem Begriff "Ekel" markert: Liessmann (2000, p. 208): "Ekel ist ein Phänomen der Nähe". Eine erste Philosophie des Ekels hat Spinoza entworfen, der "bedeutendste Analytiker der Emotionen". Liessmann (2000, p. 206).

Der Geruchssinn fällt eine Entscheidung über includierend oder excludierend vor dem Einsetzen von Verstandes-Funktionen. (Glossar, Antipathie). Daher wird Geruch hier als "gefährlich" bezeichnet. Diese unbewussten, visceralen Bewertungs-Funktionen werden intuitiv als "wahr" erlebt, sie legen die ersten Parameter unseres Erlebens der Welt. Verstandes-Funktionen setzen erst danach ein oder an. [201] Wenn einem etwas besonders an dem Geruch des Anderen auffällt, so kann das sowohl rein sensorische oder psychische oder auch ethnische Gründe haben. Frauen haben im allgemeinen einen besseren Geruchssinn als Männer, und in der Zyklusphase des Eisprungs sind sie besonders empfindlich für männliche Pheromone, meistens ohne es zu merken. Das ist dadurch wissenschaftlich bewiesen, dass zu diesem Zyklus-Zeitpunkt auch solche Frauen, die eigentlich überzeugte Monogamist(inn)en sind, sich (ab & zu) einen Seitensprung gönnen, an den sie sich hinterher nicht einmal erinnern können.

Die Unterscheidung im Geruch ist eines der beliebtesten (meist abwertenden) ethnischen Abgrenzungs-Systeme. Hier wäre es voreilig, von einem primitiven Rassismus zu sprechen. Denn Geruch hängt entscheidend davon ab, was man isst. Generell können wir sagen, dass hier uneingeschränkt das Gesetz gilt: Du bist, was Du isst. Die ethnischen Speise-Regeln und -Tabus gehören mit zu den grössten Unterscheidungs-Faktoren der Ethnien. Was zählt, ist die Differenz-Funktion zwischen der eigenen Körper-Chemie, und die des Anderen, die sich im Geruch ausdrückt. Geruch ist ein Differenz-Sinn. Daher kommen auch solche Ausdrücke wie "Stallgeruch" wenn man einen Anderen als Mitglied der eigenen Gemeinschaft erkennt, bzw. als Aussenstehenden diskriminiert (dis-crimen, lat. heisst erst einmal ganz aussermoralisch: die Unterscheidung, der Unterschied). [202]

Z.B.: Die Hindu-Brahmanen essen lakto-vegetarisch, und dazu nur bestimmte Milchprodukte [203] und nur bestimmte Gewürze, und für diese sind die Angehörigen anderer Kasten "unrein" , weil sie Fleisch und stark riechende Gewürze wie Knoblauch essen. Deshalb "stinken" Europäer (besonders in der indischen Hitze) für die Brahmanen buchstäblich, und eine Ablehnungs- und Ekel-Reaktion wird allein durch den visceralen Effekt eines nach Schweiss stinkenden Europäers bewirkt. Gegen diesen Visceral-Effekt hilft keine noch so ausgeprägte Toleranz, auch wenn der Brahmane das vielleicht im nachhinein noch rational gegen-korrigieren kann.

2.9. Die Wahrheit und die Drogen

@ :WAHR_DROGE
Reality is for those only who can't handle drugs
Spruch aus der Hippie-Szene

Der Gebrauch von bewusstseinsverändernden Substanzen steht in hoher Verehrung bei fast allen aussereuropäischen Traditionen der Wahrheitssucher. Die verschiedenen Traditionen des indigenen Schamanismus kamen eher nur in Einzelfällen ohne Drogen aus, z.b. da wo nichts dafür Brauchbares wächst, wie bei den Eskimos. Je weiter man in die Tropen geht, desto mehr stellt die Natur auch an Substanzen zur Verfügung. Um der Eingebung auf die Sprünge zu helfen, wurde fast alles eingesetzt, was nur so im Kräutergarten wächst. Generell wird allen Kulturschaffenden (besonders aber Rock- / Pop-Musikern) eine besondere Affinität zu solchen Substanzen nachgesagt.

Hier ist eine unvollständige Liste:
Die grossen drei Konsumdrogen: Tabak (Nikotin), Koffein (Tee), Alkohol, [204]
und die exotischeren:
Haschisch, [205] Absinth, Amanita Muscaria, Soma, [206] Aconitum, Bilsenkraut, Stechapfel, Datura, Lopophoria (Peyote, Mescalin), Psilocybe, Ayahuasca, Pfeilgift-Frösche, Opium, Morphium, Heroin, Kokain, bis zu LSD, MDMA, Ketamin, Amphetamin, etc.

Kulturschaffende sind bekannt für ihre Affinität zu Drogen jeder Art. Wirkliche Philosophen sind nur wenige darunter (Sartre), vielleicht kann man Aldous Huxley einen solchen nennen. Bertrand Russell kann man es sicher zutrauen. Im deutschen Umkreis war Freud der einzige, der sich weit genug vorwagte, und seinen Drogenkonsum (Kokain) öffentlich machte, aber er schwor ihm dann bald darauf wieder ab, nachdem er seine Psycho-Analyse erfunden hatte.

Hinter der Statistik wer von den Wahrheitssuchern nun mit welchem Erfolg welche Droge genommen hat, und was an Wahrheit er dabei gefunden hat, steht aber das grosse Enigma: warum glaubten alle, die so etwas mehr als einmal genommen hatten (und die an die Droge als einen Weg zur Wahrheit glaubten), dass die Droge sie der Wahrheit näher brachte, als das was man mit dem normalen Menschenverstand errreichen kann? Es gab auch drogen-freie Methoden zur Bewusstseinsveränderung, wie z.B. stunden- tage- und wochenlang an irgendeinem Platz zu sitzen, sich möglichst wenig zu bewegen, und sich darauf zu konzentrieren, Nichts zu denken. Aber auch hier wäre zu fragen, warum das irgendwie wahrheitsfördernd sein sollte.

Bewusstseinsverändernde Substanzen schaffen bei dem, der sie konsumiert, ein Erlebnis von Un-Mittelbarkeit, das an Intensität bei weitem alles übertrifft, was sonst durch die Filter der Wahrnehmung (doors of perception, Huxley) in das Bewusstsein tritt. Dieses Gefühl der Un-Mittelbarkeit lässt einen nur zu leicht vergessen, dass die Droge natürlich das Mittel ist, durch das die Effekte zustandekommen. Soweit ist die erlebte Un-Mittelbarkeit aber eine Selbst-Täuschung.

2.10. Augustinus, der erste wirklich lateinische Philosoph

@ :AUGUST_LATEIN
Augustinus bekennt es in seinen "Confessiones" (den Bekenntnissen) dass er als Junge keinerlei Neigung und Interesse hatte, Griechisch zu lernen, dass ihm diese Sprache sogar "wesensfremd" und unheimlich erschien. Und so lernte er sie erst gar nicht, sondern bezog sein ganzes Wissen der christlichen Lehren aus lateinischen Übersetzungen der Evangelien [207] , die ja in Griechisch als Ursprache abgefasst waren, weil ihre Chronisten griechisch schrieben und dachten, auch wenn die Protagonisten der Evangelien ziemlich ungebildete aramäisch sprechende Juden (Jesus, Petrus), oder lateinisch-römisch gebildet waren (Paulus). Das Johannes-Evangelium sticht hier besonders hervor, weil es sozusagen durch und durch hellenisiert ist. Die Verwendung der Schlüsselterminologie "en archae en ho logos" verrät hier schon alles, und das was im Folgenden dort gesagt wird, folgt diesem Schlüsselbegriff durch alle Instanzen, bis hin zur Apo-Kalypsis, dem krönenenden Schluss-Stein des Werkes.

Von alledem hatte Augustinus nur durch Übersetzungen eine Kenntnis, und durch die Auslegungen seiner Mutter Monica, seiner christlichen Mitdenker in Mailand, dem Bischof Ambrosius, und als er auf die Schlüssel-Erkenntnis seines Lebens kam: "Tolle lege" (Nimm und lies), da konnte er nur die lateinische Übersetzung der Hl. Schrift zur Hand nehmen, die er auch verstehen konnte. IMHO hatte Augustinus eine Verständnislücke der wichtigsten Schriften des christlichen und jüdischen Kanons, und nur mit dieser grundlegenden Unbefangenheit (auch eine Art von Lüge, wenn auch eine wohlmeinende), konnte er dann herangehen, und die fundamentalen Denkmuster niederlegen, die das Christentum dann für die nächsten 1500 Jahre entscheidend beeinflussen. IMHO war das auch eine der grössten Niederlagen des Denkens überhaupt in der Menschheitsgeschichte, weil damit das Griechentum aus der Philosophie exorziert wurde, wie es dann ca. 100 Jahre nach Augustinus durch Justinian mit Schliessung der athenischen Philosophenschulen dann auch bruto facto in die geschichtliche Welt der Christenheit und des Abendlandes umgesetzt wurde. Gleichzeitig setzte Justinian mit dem Codex des Römischen Rechts (~530) auch die fortan allgemein gültige Prozedur zur sozialen Wahrheits-Findung.

Augustinus war in seinem weltlichen Leben vor der Konversion ein Rhetor und Anwalt gewesen, also einer von den römischen Sophisten, die perfekt darin geübt waren, durch geschickte Verdrehung von Umständen und Verhältnissen die Gerichte davon zu überzeugen, dass die Version seines jeweiligen Klienten das bessere Gehör und auch den genehmeren Richterspruch fanden. Diese perfekt ausgeübte Kunst der geschickten Manipulation von Sachverhalten muss im Wirken des Augustinus als einer der Kern-Faktoren angesehen werden, warum er so grossen Einfluss auf seine Mitmenschen, und die darauf folgenden Denker der Christenheit hatte. Und nicht ganz zufällig, liefert uns Augustinus einen der ersten und umfangreichsten Traktate über "Wahrheit und Lüge", der ebenfalls das Denken der nachfolgenden Menschheitsgeschichte entscheidend beeinflusste. In seiner Nachwirkung auf die Mensch- und Christenheit war er damit wohl einer der grössten Meinungs-Manipulatoren, die die römische Rhetoren-Gelehrsamkeit je hervorgebracht hatte. Er konnte meisterhaft auf dem schmalen Grad zwischen "Wahrheit und Lüge" balancieren, denn als Anwalt hatte er natürlich gelernt, dass ein krasse Lüge nur geschäfts-schädigend wirken kann, denn dass so etwas ganz sicher "ans Licht der Sonnen" (alaetheia) kommen wird, ist nur zu offensichtlich. So hatte sich also der "Bock zum Gärtner" gemausert, und damit wohl einen vergleichbaren Rösselsprung vollzogen, wie der von Saulus zu Paulus.

Augustinus war wohl der entscheidende Denker, der die christliche, und damit die abendländische Philosophie weg von den Griechen, hin zu den Römern, lenkte, jedenfalls bis etwa zur Renaissance, als nach dem Fall Konstantinopels wieder griechische Schriften in grösserer Zahl im Original in Europa in Umlauf kamen, und ua. die Philosophie von Marsilio Ficino und Picco della Mirandola beeinflussten (Neoplatonismus), und sich die Gelehrten, die etwas auf sich hielten, fortan mit graecisierten Namen schmückten. (Wie Melanchthon, der vorher Schwarzerdt hiess).

Arno Baruzzi weist in seinem Werk "Philosophie der Lüge" (PL) auf einen wesentlichen Unterschied der abendländischen (lateinischen) Philosophie im Gegensatz zur altgriechischen hin, der in einem verschiedenartigen Umgang mit der "Wahrheit" besteht, der " alaetheia" (alätheia bei Baruzzi). Alaetheia heisst die "Unverborgenheit", oder die Lichtung bei Heidegger (Sturm 1996, 461-462), aber die Wahrheit des römischen Denkens ist die Gewissheit [208] , und IMHO ist dieser subtile, aber wie ein tiefer Graben die beiden philosophischen Lager trennende Unterschied darin zu suchen, dass das römische Denken einen ganz anders gearteten Stil der Philosophie hervorbrachte als das griechische Denken, nämlich in diesem subtil aber grundlegend anderen Verhältnis zur "Wahrheit an Sich" , dem Kernthema allen Philosophierens.

2.11. Odds & Ends

2.11.1. In-dividuum, A-tomos und Monade
In-dividuum und A-tomos bedeuten das Gleiche: Das Unteilbare .
Die sozio- und physio- Theorie-Systeme der Neuzeit entwickeln ihre Gebäude auf der Grundlage dieser Annahme... Strukturelle Zusammenfassung in der Denkfigur der Monade bei Leibniz...

2.11.2. Der Sinn
Um es anders zu formulieren: Es ist ein logischer Un-Sinn, wenn man den Sinn eines Dings (er-) klären will, das als eines seiner Grund-Komponenten schon den Sinn enthält. Aber leider ist das mit dem Philosophieren über die "letzten Dinge" kaum zu vermeiden, und dazu gehören sowohl der "Sinn" wie das "Wesen" (ousia), und die "Wahrheit" (alaetheia), dass es sich hierbei immer um Randgänge und Schlingerwege handeln muss, ein andauernder Wandel von Wandlungen in Selbst-und Reflexions-Bezüglichkeiten. Genau genommen können wir keinerlei Anspruch auf er-klären stellen, im Sinne von der römischen Philosophie als Gewissheit [209] , sondern wir können nur einen Rand- und Wandelgang im Sinne der altgriechischen alaetheia anstellen, dass wir sicher nicht zu endgültigen Wahrheiten und Gewissheiten gelangen, aber darauf hoffend, auf unseren Schlinger-Wegen ein paar Erhellungen und Lichtungen finden werden.

2.11.3. Der Wahre Lügner
@ :WAHR_LUEGE
Was also ist der Wahre Lügner ?

Ist es der, der in seiner Lüge doch noch eine geheime Wahrheit ausspricht,
die vielleicht niemand anders zu sagen oder zu denken wagte, oder

ist er der Diabolos [210] persönlich, der Herr aller Lügen (und Fliegen)
der da mit der neuesten und perfektesten aller Kreationen und Fiktionen auf uns einredet,
um uns noch tiefer in sein Gespinst zu verwickeln, in dem wir schon sowieso unentwirrbar verstrickt sind?














2.11.4. Von 1/2 und 3/4 Wahrheiten
Themensetzung:
In Kontrast zu dem Absolutheits-Anspruch des Wahrheitsprogramms, das von Augustinus eingeleitet wurde,

die Grauzonen der 1/2 und 3/4 Wahrheiten,
die keine kompletten Lügen sind,
das was sich sowieso in ökonomischen Termen nicht beweisen lässt, weil das zu aufwendig wäre,

Wahrheit und die Medien.
Wahrheit im Zeitalter des Internet.

Die Notwendigkeiten der sozialen Praxis, in der Rechtsprechung, dass für irgendeine Verursachung ein Schuldiger gefunden werden muss, der bei einem entstandenen Schaden bezahlen muss.

Die soziale Lüge des guten Benehmens: Saving face, oder keep smiling. Freiherr v. Knigge.
Die Regeln des guten Benehmen erzwingen es, dass man die soziale Umwelt nicht mit detailgenauen Wahrheiten über die eigenen Befindlichkeiten belästigt.
Freud: Civilizations and its Discontents.

Wahrheiten, die niemand wissen will.

2.11.5. Das Thema von Narziss / Echo
Der Mythos vom Narziss ist strukturell gesehen das Thema der Selbst-Reflexion unter Ausschluss des Anderen, während die Nymphe Echo hier den undankbaren Part der Hetero-Reflexion (also Reflexion des Anderen) unter Ausschluss des Selbst spielt.

2.11.6. Die Suche / Sucht nach Ordnung und das wohltemperierte Klavier
Das Göttliche ist in der Sicht der christlichen Denker nicht nur die vollkommene Liebe, die absolute Wahrheit, sondern auch die absolute Ordnung. Die Ordnung ist ein übergeordnetes Prinzip der Wahrheit, denn sie spezifiziert ein Hierarchie-Prinzip von Wahrheiten untereinander. [211] Nur wenn sich alle Wahrheiten des Kosmos unter ein General-Prinzip unterordnen lassen, ist die göttliche Ordnung perfekt. Die Un-Ordnung ist das Prinzip des Dia-Bolos (Durcheinander-Werfen), heute wird es auch Entropie genannt. Leibniz versuchte mit seiner Theodizee, das göttliche Ordnungs-Prinzip mit den verwickelten Gegebenheiten der Menschenwelt in Einklang zu bringen. Sein Erfolg ist fraglich. Aber zeitgleich mit Leibniz erfand Joh. Seb. Bach das Ordnungsprinzip der tonalen Welt, das wohltemperierte Klavier. Im Gegensatz zu Leibniz war Bach damit extrem erfolgreich. Vor ihm liefen die Tonarten unkontrollierbar immer weiter auseinander, das Prinzip des Dia-Bolos schien sich in dieser schönsten aller Künste auf ewig eingenistet zu haben. Bach konnte es erfolgreich exorzieren. Damit hatte er mehr zur Verwirklichung einer universalen Harmonie getan, als alle Philosophen es je hätten machen können.


[156] S.a. Jean Gebser, mens, mind, mentiri: ->:MENTIRI, p.161
[157] NOO1, p. 171 ff.
->:KALYPTOLOGIE, p. 162
->:WAHR_LUEGE, p.102
->:ECHTE_HEUCHELEI, p.188
[158] NOO1, p. 162 ff.
[159] Hier wird insb. das Material aus Nietzsche (1994-1) behandelt:
Band I, "Jenseits von Gut & Böse", "Ecce homo".
[160] Durch das er im Er-Innern der Menschheit wesentlich verewigt wurde...
[161] Über die hintergründigen Ursachen von Nietzsches Zusammenbruch und Demenz kann man getrost spekulieren: IMHO war Nietzsche als ehemaliger Sanitäter des preussischen Heeres im 1870er-Krieg bestens vertraut mit den damaligen Methoden der pharmakologischen Kriegsführung. Jeder Soldat trug eine Ration Morphin im Tornister, im Falle von Verwundung. Es hatte sich sehr schnell herumgesprochen, dass Morphin auch ohne Verwundung ganz gut tut, und so kamen Tausende von Heimkehrern süchtig in die Heimat zurück. Dass Nietzsche davon nichts wusste, ist eher unwahrscheinlich. Er selber hat in seinen Aufzeichnungen nichts darüber hinterlassen, ausser ein paar Notizen über seinen unmässigen Verbrauch von Schlafmitteln, die er sich als Dr. Nietzsche selbst verschreiben konnte. Weitere kleine Exkurse in diese Richtung finden sich in dem Kapitel: "Die Wahrheit und die Drogen".
->:WAHR_DROGE, p.99
Siehe auch: Ecce homo: 406
Alles erwogen, hätte ich meine Jugend nicht ausgehalten ohne Wagnerische Musik. Denn ich war verurtheilt zu Deutschen. Wenn man von einem unerträglichen Druck loskommen will, so hat man Haschisch nöthig.
->:ECCE_KLUG, p.186
[162] Man denkt dabei zuerst an Erdöl oder Metalle. Tatsächlich wird aber Süsswasser in der kommenden Zukunft die knappste Ressource für 3/4 der Menschheit sein, über die die Kriege geführt werden.
Der Kampf zwischen Israel und den Palästinensern ist ein Kampf um das Wasser.
[163] (URL) (LOC_DVD) sceptics/www.skepticsannotatedbible.com/index.html
[164] "tolle lege": Nimm und Lies
->:TOLLE_LEGE, p.181
[165] Jerry Pournelles Umschreibung für die "Idiotas", die Laien, aus seiner Byte Magazine Kolumne in den 1980er Jahren.
[166] Siehe die Diskussion zu:
"Altgriechische Philosophie, Heidegger und das Denken in Semantischen Rhizomen"
->:SEMANT_RHIZOM, p.35
->:HEIDEG_SEMANT, p.36
[167] Thomas Nagel: "What Is It Like to be a Bat?"
[168] Nach Aristoteles
[169] ->:MORAL_WIDERNATUR, p. 189
[170] Heidegger: WHD, 24-33, 67-70, 73-76
[171] Sprichwörtliche Beispiele hierfür sind die "kleinen moralischen Ausrutscher" von wortgewaltigen amerikanischen Fernseh-Predigern. Überhaupt ist das gesamte Gebäude der puritanisch geprägten amerikanischen "öffentlichen Moral" durchsetzt von Doppelmoral.
[172] So ist es das ungeschriebene Gesetz, dass in all den netten Erotik-Filmchen, die spät Nachts in RTL und Pro7 gezeigt werden, die Geschlechtsteile niemals direkt gezeigt werden dürfen. Es könnten ja noch Kinder auf sein und sich das ansehen.
[173] Als Kontrastprogramm dazu die erhellende Aussage von Daniel Dennett: Alle Gott-Gläubigen irgendeiner monotheistischen Religion sind Atheisten (Ungläubige) mit Referenz zu allen anderen monotheistischen Religionen. Der Atheist führt diesen Prozess nur noch einen Schritt weiter.
[174] Recht unterhaltsam hat der Psychiater David Yallum in seinem Roman "Und Nietzsche weinte" die Vorgänger-Protagonisten von Freud ins fin de siecle Wien zusammengedichtet. Etwas wissenschaftlicher hat Breidbach in seinen Werken wie "Materialisierung des Ich" die damaligen pyscho- / neuro- / und natur-wissenschaftlichen Faktoren und Denker aufgeführt, aus denen Nietsche und Freud ihre Denkvoraussetzungen schöpften: Wundt, Golgi, Haeckel, Helmholtz...
[175] In Deutschland mit dem grossen Wegbereiter Adolf Bastian. Devereux, Ethnopsychoanalyse, p. 76
[176] Folgende Materialsammlung behandelt die philosophische Ethik und Sozial- (Wirtschafts-) Theorie wird in . Insbesondere interessant sind die Kapitel zur Management- Moral und -Ethik in Zeiten des Global-Kapitalismus:
(LOC_DVD)
(URL) (LOC_DVD) www.pe.uni-bayreuth.de/indexad62.html
(URL) (LOC_DVD) www.pe.uni-bayreuth.de/downloads
(URL) (LOC_DVD) pe.uni-bayreuth.de/downloads/materialien
Eine Einführung in die Philosophie von Rainer Hegselmann:
(URL) (LOC_DVD) pe.uni-bayreuth.de/downloads/materialien/26_A_Teil1.pdf?did=560
[177] z.B. Erdheim (1984), Devereux, Gfäller (1987)
[178] Dyed In The Wool.
[179] Dies soll keine Liste nach irgendwelchen Kriterien der Wichtigkeit sein. Sonst müssten wir mit Hammurabi anfangen, weitergehen mit Moses, dann die indischen Philosophen des Rita (Rta) Mani, erwähnen, auch Konfuzius und die Taoisten nicht vergessen, eine gebührende Erwähnung von Minos, Solon, Lykurg, und Justinian machen, und uns wieder durch die ganze Weltgeschichte der Gesellschafts- und Rechts-Philosophie bis heute durchwühlen.
->:MENIS, p.159
[180] a-tomos auf Griechisch
[181] ->:SUB_OBJ_SEM, p. 56
[182] Im Französischen sagt man dann: "la langue francaise, la langue anglaise..."
Natürlich ist der logische Schluss nur im "Als Ob". Jeder kompetente Sprecher einer Sprache weiss intuitiv, dass er über Sprache verfügt, und nicht nur Sätze spricht.
[183] Ie. dem logischen Typos nach Whitehead und Russell.
Siehe auch: Glossar: Gattungsbegriffe.
[184] Die Sprach-Fähigkeit als genetische menschliche Eigenschaft bedeutet, dass ein Kind jede beliebige menschliche Sprache lernen kann, aus diesem Vermögen wird darauf geschlossen, dass es so etwas wie Sprache an Sich geben muss.
[185] ->:HERDEN_TIER, p. 190
[186] ->:MORAL_WIDERNATUR, p. 189
->:AFFEKT_ZEICHENSPR, p.190
[187] Von allen mir bekannten Ethnien gibt es nur zwei Beispiele, wo das nicht so ist /war: Die ausgestorbenen Indigenen Feuerlands und die australischen Aborigines. In Feuerland ist die Situation insofern etwas ungewöhnlich gewesen, weil die Temperaturen dort etwa dem Klima von Schottland entsprechen.
[188] Verschiedene Ethnologen (-Schulen) machen deshalb auch etwas verschiedene Grenzziehungen zwischen den Schlüsselbegriffen ihrer Wissenschaft, die ihr Feld ja wesentlich durch ihre Arbeit prä-definiert. In der Ethnologie gibt es keine unbeteiligten (objektiven) Beobachter, und jeder Feldforscher beeinflusst das soziale Feld der Menschen, die er gerade beobachtet.
Siehe auch: Gfäller (1987, p. 86).
[189] Grenzfälle von gleichzeitiger multi-ethnischer Zugehörigkeit von Kindern in Mischehen-Familien lasse ich hier weg.
[190] Es sollte aber nicht vergessen werden, dass immer noch eine Vielzahl von Sub-Ethnien, vor allem in den Gebirgsregionen, leben, deren Ethos sich stark von denen der Mainstream-Chinesen unterscheiden, z.B. das Volk der Moso.
Hier ein Beispiel für tiefgreifende Unterschiede des Ethos zwischen Chinesen und Europäern:
(URL) (LOC_DVD) _050421emot/zeit-hirn/www.zeit.de/2004/41/N-Kognition_China.html
[191] Auch hier ist es eine reine Definitionsfrage, der man widersprechen kann, aber nicht ob es wahr oder falsch ist, sondern ob es zweckmässig ist oder nicht, solche Unterscheidungen zu machen. Denn das was man Wahr-nimmt, hängt entscheidend davon ab, wie man sich seine vorher Definitionen zurechtgelegt hat.
[192] Natürlich widersprechen die Christen, die den Wahren Glauben gefunden haben, heftig der Unterstellung, das Christentum sei über Worte und Begriffe (vollständig) vermittelbar. Hier kommt es entscheidend auf das "Erweckungs-Erlebnis" an, das uns angefangen von St. Paulus bis hin zu G.W. Bush immer wieder so lebhaft be-eindruckt.
[193] Die grosse Ausnahme von dieser Regel waren die Khasaren, also die Vorläufer der Ashkenasim, welche ein Turkvolk waren, das (auf Geheiss ihres Königs) zum Judentum konvertierte. Die Sephardim waren die "originalen" Juden aus Israel, Judäa, und vor allem aus Babylon. Zwischen diesen beiden Subgruppen des Judentums gab und gibt es natürlich auch gewisse Spannungen und Spaltungen (Schismata), die aber bei der heutigen gemeinsamen Frontstellung gegen die Araber nicht so auffallen.
[194] Das noch weiter zu verfeinern wäre etwas haarspalterisch. Shintoismus im Besonderen und Hinduismus partiell definieren sich mehr durch ihre Rituale (bzw. Segregations-Gebote, Speise- und Reinheits-Rituale) als durch ihre kognitiven Lehren.
[195] Principia Mathematica von Whitehead und Russell. "Theory of Types" sind Hierarchien von Logischen Typenklassen.
[196] Das Passen oder Nicht-Passen wurde von Darwin als Ausschlusskriterium seiner Evolutionstheorie als Fitness bezeichnet.
[197] Freiheit ist ein völlig vager Begriff, weil es immer nur "Freiheit von und zu irgendetwas" geben kann. Selbstredend hat in keiner noch so "freien Gesellschaft" irgendjemand die Freiheit, alles zu tun oder zu lassen was ihm gerade beliebt. Für chronische Formen solcher Missverständnisse gibt es dann die Psychiatrien und Gefängnisse.
[198] Siehe Kants bekanntes Diktum: "Sapere Aude" (NOO1, p. 23).
[199] Mao Tse Dong: Der Geschmack einer Birne wird erst durch das Draufbeissen offenbar.
(URL) http://www.brainyquote.com/quotes/quotes/m/maozedong146717.html
[200] Siehe weiter unten: der bekannte Begriff der Stallgeruchs-Gemeinschaft.
->:VORST_KLASSEN, p.59
[201] Bei Nietzsche die entsprechenden Stellen: (1994-1):
"Alle Vorurtheile kommen aus den Eingeweiden." (Ecce homo Warum ich so klug bin, 1. (p. 408)
->:ECCE_GERUCH1, p.186
->:ECCE_KLUG, p.186
->:DAS_RIECHEN, p.189
[202] Nietzsche (1994-3), p. 219: sie "können sich nicht riechen!"
[203] Die Butter und Ghi (geklärte Butter), sind sozusagen heilige Substanzen im Hindu-Weltbild.
[204] Kulturschaffenden, was aber nur eine Statistik ist. Wenn 10 % der Allgemein-Bevölkerung europider Kulturen (Europa, USA, Südamerika) starke Alkohol-Konsumenten bis Alkoholiker sind, dann trifft es die Kulturschaffenden mit ca. 20 % eben etwas häufiger.
[205] Indische Sadhus, Sufis, die Hashishinen, War schon im 19. Jh eine Modedroge.
[206] Soma oder Haoma ist das Weisheitsgetränk der Veden bzw. des Zend Avesta, Ohne Soma ging damals gar nichts. Seine biologische / pharmazeutische Identität ist aber unbekannt.
[207] Eu-angelios
[208] Baruzzi PL, Register: Gewißheit.
[209] Baruzzi PL, Register: Gewißheit.
[210] Im folgenden verwende ich das Pseudonym AD, wenn ich vermeiden möchte, dass ich nicht dem Diabolos persönlich verwechselt werde.
[211] ->:LETZTES_ERSTES, p. 187

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