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7. Das Leibniz-Projekt

7.1. Die Metaphysik der Programmierung

@:SOFTW_METAPHYSIK
(Extract from: DENK.DOC )

7.1.1. Der Turingsche Mensch
David Bolter hat in seinem Buch "Turing's Man" ein Bild des neuen Menschen des Computerzeitalters gezeichnet, das im Wesentlichen das Bild des Mentaten, minus der von mir postulierten metaphysischen Komponente, darstellt. (s.a. ->: NATUR , ->: STRUKTUR ) Wenn man im Sinne Gotthard Günthers von einer neuen Rasse des transklassischen Menschen redet, dann ist es wohl die Ausbildung eines Menschentyps, wie er vor allem in Kalifornien unter dem Einfluß der modernen Technik, und des neuen Mythos der SciFi entsteht, der sich ja in keiner Weise an der althergebrachten metaphysischen Tradition der alten Welt orientiert. Diese neue Rasse ist ahistorisch, wenn nicht sogar anti-historisch. Die Entwicklung wurde von einer ursprünglich sehr kleinen Gruppe getragen, von Menschen, die wie Steve Jobs, Bill Gates, und viele Mitstreiter, schon als halbe Kinder mit dem Computer vertraut wurden, und diesen in einer völlig anderen Weise kennenlernten, als es zum Beispiel bei Informatikstudenten passiert, die ersteinmal Numerische Mathematik büffeln dürfen, bevor sie an die Maschine gelassen werden. Heute ist diese Gruppe der "Computer-Kids" wesentlich größer, aber ihre Chance, die Geschicke der Industrie zu bestimmen, vermindert sich in dem Maße, wie diese Industrie zu einem Großkapitalsystem auswächst, in dem die Mechanismen des Kapitals wie bei allen anderen Industrien beherrschend sind, und die Coca-Cola Manager das Geschehen bestimmen. Ob und inwieweit Bolters Projektion des Turingschen Menschen oder die hier dargestellte des Mentaten, oder sonst eine, bisher weder geplante noch gedachte, letztlich den Gang der Geschichte weiterbestimmten wird, ist abzuwarten.

Der Turingsche Mensch hat kein Gefühl für den historischen oder intellektuellen Kontext seiner Arbeit. Er neigt dazu, in der Vergangenheit eine unbestimmte Ausdehnung der technischen Gegenwart zu sehen.
BIB:BOLTER90 , 275
7.1.2. Die historischen Wurzeln des Turingschen Menschen
Will man den Turingschen Menschen verstehen, so muß man sich für das Handwerk des alten Griechenland und Rom (von der Bronzezeit bis etwa zum 5. Jahrhundert n.Chr.) ebenso interessieren, wie für das spätere Maschinenzeitalter in Westeuropa und Nordamerika. Gewiß, Wissenschaft und Technik der industriellen Revolution haben die technischen Errungenschaften hervorgebracht (wie etwa Elektrodynamik und Werkzeugmaschinenbau), auf welchen die heutige Entwicklung des Computers basiert. Dazu trugen Wissenschaft und Handwerk des Altertums nicht unmittelbar bei. Die Erfahrung des alten Griechenland und Rom ist viel weiter von unserer entfernt, doch in bestimmter Hinsicht liegt in dieser Entfernung auch ihr Wert. Zwar waren die Alten nicht besonders erfindungsreich, was ihr Handwerk und ihre Werkzeuge angeht, doch ihre Literatur zeichnet sich durch eine phantasievolle Reaktion auf die Technik aus. Paradoxerweise führen einige Aspekte der Elektronik weg vom Denken der nahen Vergangenheit und näher an die Welt der Antike. In mancher Hinsicht ist das Zeitalter des Computers eine Rückkehr ins Zeitalter der Töpferscheibe.
BIB:BOLTER90 , 29

7.1.3. Das symbolische Universum des Computers
@:SCH
Für den Programmierer löst sich der heroische Kampf gegen die Natur, der die Technik des Abendlandes zumindest seit dem Mittelalter kennzeichnete, in einen harmlosen Streit auf, bei welchem der Gegner weniger die konkrete Welt selbst ist als vielmehr die fast metaphysischen Grenzen des elektronischen Universums. Dieses Universum ist teils natürlich (schließlich besteht es aus Elektronen), teils künstlich (als Wissenschaft der symbolischen Logik). Der Programmierer wird mit der Dichotomie von Vernunft und Notwendigkeit konfrontiert, betrachtet jedoch die ihm von der Notwendigkeit auferlegten Grenzen gelassener. Vielleicht wird sich der zu schreibende Schöpfungsmythos mit einem Hohen Programmierer als Schöpfer-Gott wesentlich von den griechischen und christlichen Mythen unterscheiden, ebenso wie von jenen der Aufklärung und des Marxismus. Der Programmierer-Gott erschafft die Welt nicht sofort und ein für alle Mal, sondern immer wieder von neuem, indem er ihre Bausteine so umstellt, daß sie zu jedem Schöpfungsprogramm passen. Diese Welt läuft dann wie ein Programm ab, bis zum Schluß oder zu einem Wirrwarr; dann wird die Tafel abgewischt, und ein neues Spiel beginnt.

Diese Beschreibung paßt ziemlich gut zur Art, in der die üblichen Mythen der modernen Physik entstehen. Der Kosmos begann mit einer großen Explosion, und jetzt spaltet sich die ganze Materie mit stets abnehmender Geschwindigkeit. Eines Tages könnte sie haltmachen, sich zurückbilden und in einem vernichtenden Kollaps enden. Dann entstünde vielleicht ein neuer Kosmos. Selbstverständlich hat Elektrotechnik mit der Aufstellung dieser auf der Astronomie und der Quantenphysik beruhenden Theorie nichts zu tun, doch die vom Computer angeregte Vorstellung von Kreativität könnte eine Hilfe sein, um die Einstellung der modernen Welt gegenüber den Mutmaßungen der Physiker zu definieren. Meist waren die früheren abendländischen Denker zu ernst, um die Welt als ein aus der Vorstellung eines spielerischen Gottes erwachsenes Spiel zu betrachten, doch östliche Philosophen scheuten nicht davor zurück. Eine solche Auffassung würde einen grundsätzlichen Wandel bedeuten, das Ende des Glaubens an den unendlichen Fortschritt und an das unendliche Streben der abendländischen Seele, und ein neues Denkmodell für den Einzelnen und die Gesellschaft könnte entstehen.
BOLTER90, 224,225

7.1.4. Programmieren und Glasperlenspiel
Der Computer fördert das Probieren, das Spielen mit den elektronischen Möglichkeiten, so daß man kaum der Versuchung widerstehen kann, Programmieren als das "Spiel aller Spiele" zu betrachten. Schließlich ist es auch ein den Regeln der endlichen Automaten und den Grenzen der elektronischen Bauteile unterworfenes "Turing-Spiel". Im Laufe seiner Arbeit entwickelt der Programmierer neue Regeln, welche die zulässigen Datenstrukturen und deren Verarbeitung bestimmen. So ist jedes Programm ein Spiel im Spiel. Wie der Spieler, der die Figuren auf dem Schachbrett bewegt, kontrolliert der Programmierer die ihm zur Verfügung stehenden elektronischen Mittel vollkommen und infolgedessen beinahe desinteressiert.
BOLTER90, p.223

"Der Programmierer... ist der Schöpfer von Welten, deren alleiniger Gesetzgeber er ist. Gewiß gilt dies auch für den Entwerfer jedweden Spiels ... (Programme) gehorchen bereitwillig den Gesetzen und stellen ihr gehorsames Verhalten voll zur Schau. Kein Dramatiker, kein Bühnendirektor, kein Kaiser, wie mächtig sie auch gewesen sein mochten, beherrschte je mit solch uneingeschränkter Macht eine Bühne oder ein Schlachtfeld und konnte solch unerschütterlich pflichtbewußten Schauspielern oder Truppen Befehle erteilen"
WEIZ76, 115

Welche schöpferische Kraft zeigt sich in einem gut gespielten Spiel? Wir sind wahrscheinlich erst seit kurzer Zeit bereit, das Spiel als eine schöpferische Tätigkeit anzuerkennen. Obwohl wir den erzieherischen Wert des Spiels für Kinder nicht leugnen wollen, liegt das Spielen immer zwischen ernster technischer, schöpferischer Tätigkeit (Maschinen bauen, die Arbeit leisten) und hoher Kunst, zwischen Arbeit und Freizeit. Wir erholen uns durch Spiele, um zur Arbeit zurückkehren zu können, und wahrscheinlich tun wir damit das Richtige. Dagegen besteht die Arbeit des Programmierers im Spielen. Seine Kreativität ist jedoch begrenzter als jene, die wir vom Künstler erwarten...
BOLTER90, 223

7.1.5. Das Leibniz-System und Symbolator-Denken
Ich möchte die Diskussion des Transklassischen Bewußtseins anhand der Überlegungen von Bolter und meiner eigenen Erfahrungen weiterführen. Ich kann eine auffallende Parallelität zwischen Bolters Gedanken und meinen eigenen feststellen. Ich war auf meiner eigenen Suche nach den Wurzeln des transklassischen Bewußtseins bei den selben Personen und Abläufen angekommen: Leibniz und seine Characteristica Universalis, Giordano Bruno , Benjamin Lee Whorf und die Theorie von der Entwicklung des Denkens und der Sprachen. Es gibt allerdings auch einige sehr wesentliche Unterschiede, die es lohnt, herauszuarbeiten.

7.1.6. Die metaphysische Seite des Programmierens
Zunächst läßt sich bemerken, daß gewisse psychische Erscheinungen, die in der Literatur als Hackertum bezeichnet werden, nicht notwendigerweise so zu interpretieren sind, wie Bolter und Weizenbaum es sehen. Bolter übernimmt im Wesentlichen die Ansicht Weizenbaums von der Psychopathologie des Hackertums (ANM:INZEST [111] ). Etwas eingehender wird in dem Buch BIB:LEVY-HACK versucht, die Persönlichkeit des Hackers auf noch anderen Ebenen zu erforschen. Die von Levy beschriebene Hacker-Ethik (so. z.B. in dem Kapitel zu Richard Stallmann) entspricht in vielen Aspekten den eingangs genannten Wesenszügen des Mentaten. (S.a. ->: NATUR ) Aber alle diese Ansätze verstehen nicht die metaphysiche Komponente, sie übersehen die völlig faustische Seite des Hackers, und damit des Turingschen Menschen. Bolter stellt das so dar:

In der Tat kann die hypnotische Wirkung des Programmierens eine Art "Süchtigen" erzeugen, den Joseph Weizenbaum als "Hacker" bezeichnet, einen manischen Programmierer, für den die Tätigkeit selbst wichtiger ist als das Problem: "Überall, wo Rechenzentren eingerichtet wurden," schreibt er, "kann man intelligente junge Männer mit zerzaustem Haar und leuchtenden, eingesunkenen Augen vor einem Computer sitzen sehen, mit angespannten Armen auf den Augenblick wartend, in dem sie ihre startbereiten Finger auf die Knöpfe und Tasten loslassen dürfen, auf welche sie ihren Blick mit der gleichen gespannten Aufmerksamkeit heften, wie der Spieler auf den rollenden Würfel. Sind sie nicht in dieser Stellung angewurzelt, entdeckt man sie an einem Tisch , über einen Stoß ausgedruckter Blätter gebeugt, wie besessene Gelehrte beim Studium eines kabbalistischen Textes" (Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, S. 116).

Der Hacker verbringt Stunden mit der Verfeinerung von Programmen ohne wirklichen oder einleuchtenden Zweck. Alchimist oder Zauberer des 20. Jahrhunderts, ist er von der Wichtigkeit seiner neuen Idee überzeugt, ohne klar einsehen zu können, wohin sie führen soll. So kann er nur solipsistisch mit den Systembausteinen spielen, in der Hoffnung, beinahe zufällig etwas von großer Bedeutung zusammenzubasteln. Jeder Programmierer kennt die Faszination des elektronischen Spiels als Selbstzweck, den Reiz der Suche nach der korrekten und zugleich eleganten Lösung. Der Hacker karikiert eine wirklich positive Programmierereigenschaft, das Streben, ein sauberes, logisch zusammenhängendes Programm zu schreiben.
BIB:BOLTER90, 209

Bolter programmiert offenbar nicht selber, und muß sich in seinen softwaretheoretischen Ausführungen auf die Meinung von Experten verlassen. Und so ist seine Darstellung charakeristisch für die Meinung des Computer-Managements und der akademischen Informatik. Wie anhand des folgenden Zitats gezeigt werden kann, entspricht die alchimistische Tätigkeit des Hackers dem faustischen Muster der abendländischen Tradition identisch. Es gibt strukturell keinen Unterschied zwischen den frühchristlichen Denker/Asketen-Mönchen in ihren Zellen und Klausen, und den Hackern der 70er/80er Jahre an ihren Terminals. Hier wie dort wurde in der Geschichte der Menschheit ein geistiges Tor aufgestoßen, und die dieses Tor damals öffneten, ließen sich zwar von einer extensiven Religiosität leiten, aber ihr intensives Vorgehen war forschend und entdeckend. Heute mag der extensive Forscherdrang der Hacker äußerlich wenig mit Religion zu tun haben, aber es ist unverkennbar, daß es sich auch hier um eine intensive Entdeckungsreise des Geistes handelt, eines Geistes, der auf sich selbst reflexiv projizierend wirkt. Wenn man auf der Suche nach etwas grundsätzlich Neuem ist, dann kann man eben nicht sehen, wohin die Suche führt. Und wenn man es vielleicht ahnt, kann man es kaum jemandem erklären, der aufgrund seiner feststehenden Meinung von der Natur der Dinge sich nie dazu herablassen würde, eine grundsätzlich andere Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen. Gotthard Günther hat dies so aus Spengler zitiert:

7.1.6.1. Hacker, Mönche und die Kirche der Informatik

Entdecken, das was man nicht sieht, in die Lichtwelt des inneren Auges ziehen, um sich seiner zu bemächtigen, das war vom ersten Tage an ihre hartnäckigste Leidenschaft. Alle ihre großen Erfindungen sind in der Tiefe langsam gereift, durch vorwegnehmende Geister verkündigt und versucht worden, um mit der Notwendigkeit eines Schicksals endlich hervorzubrechen. Sie waren alle schon dem seligen Grübeln frühgotischer Mönche ganz nahe gerückt. Wenn irgendwo, so offenbart sich hier der religiöse Ursprung alles technischen Denkens. Diese inbrünstigen Erfinder in ihren Klosterzellen, die unter Beten und Fasten Gott sein Geheimnis abrangen, empfanden das als einen Gottesdienst. Hier ist die Gestalt Fausts entstanden, das große Sinnbild einer echten Erfinderkultur... Das bedeutet der Traum jener seltsamen Dominikaner wie Pertrus Peregrinus vom Perpetuum Mobile, mit dem Gott seine Allmacht entrissen gewesen wäre. Sie erlagen diesem Ehrgeiz immer wieder; sie zwangen der Gottheit ihr Geheimnis ab, um selber Gott zu sein. Sie belauschten die Gesetze des kosmischen Taktes, um sie zu vergewaltigen, und sie schufen so die Idee der Maschine als eines kleinen Kosmus, der nur noch dem Willen des Menschen gehorcht. Aber damit überschritten sie jene feine Grenze, wo für die anbetende Frömmigkeit der anderen die Stunde begann, und daran gingen sie zugrunde, von Bacon bis Giordano Bruno. Die Maschine ist des Teufels: so hat der echte Glaube immer wieder empfunden.
GÜN-OP-III , p.223

Die grenzenüberschreitende spekulative Forschertätigkeit eines Giordano Bruno war den damaligen Machthabern suspekt und eine tödliche Bedrohung, genauso wie die Datenreisen der heutigen Hacker in unerlaubte Paßworte, mit denen sie die Gesetze des Computer-Establishment unterwandern und untergraben, und mit ihrem Wissen die Schranken des Computermanagements überwinden. Deshalb werden die Hacker heute auf dieselbe Weise gesehen, wie damals Giordano Bruno. Hackertum ist Computer-Häresie. "Der Hacker karikiert eine wirklich positive Programmierereigenschaft, das Streben, ein sauberes, logisch zusammenhängendes Programm zu schreiben." Dieser Satz aus dem obigen Zitat von Bolter ist natürlich die Meinung des Managements (das den Programmierer dafür bezahlt, daß er nur von der Kirche der Informatik abgesegnetes tue).

7.1.6.2. Programmierung und Selbst-Reflexion

Die metaphysische Komponente des transklassischen Denkens kann sich daher wohl nur außerhalb der strikten Regeln des Computer-Managements entfalten. Ich habe mir in den Jahren von 1983 bis 1992 mit dem Leibniz System ein privates symbolisches Universum geschaffen, in dem ich völlig unabhänig von irgendwelchen Management-Entscheidungen der alleinige Gott und Herrscher war. In dieser Zeit lernte ich vieles, das zum Teil ähnlich war, dann aber wieder ganz anders, als sie Bolter in seinem Programmierer-Schöpfungsmythos beschrieben hat. ( ->: SCHÖPFUNG ) Ich habe es in einem Artikel so dargestellt:

Ein solches Software-System stellt eine Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk-Muster dar. Es ist, wenn es einmal einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes Universum für sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr überschaubar, und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird Er-Leb-bar. D.h. die Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig deterministisch aufgrund der programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der unüberschaubaren Menge der möglichen internen Zustände, nicht mehr exakt planbar, und gewinnen eine aktive Qualität. Der menschliche Benutzer des Systems, der Operator, erhält in seinem Erleben den Eindruck der Interaktion mit einem eigenständigen, mehr oder weniger unabhängigen Wesen, eben einem Aktor.

Da das geschaffene System nach den Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist, ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des Schöpfers. Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form wieder auf. Und somit kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft homerischer Qualität an einem Nachmittag aus- und durch-leben. Mal ist er der Blitze-schleudernde Zeus, der in seinem Universum nach belieben schaltet und waltet, hier kreiert, dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet und neu formatiert. Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer Tat-Energie den Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und dann wieder ist er der tragische Laokoon, der von den Schlangen-Schlingen der sich gegenseitig aufrufenden Subroutinen verschlungen wird.
BIB-AG:ART-TEAM.TXT

7.1.6.3. Das Software-System als Virtual Reality

@:VIRTUAL_REALITY
Wie aus diesen Beschreibungen und von Erfahrungen anderer Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten von eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an Wirklichkeitsgehalt der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem, das unsere physisch erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt wird heute unter dem Oberbegriff "Virtual Reality " (VR) in größerem Stil umgesetzt. Es ist dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die physikalischen Metaphern, mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein Umweg sind, da die körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben nur eine unter vielen möglichen ist - wenn sie auch als Einstiegsmetapher für die Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte darstellt. Für die weitere Diskussion soll hier festgehalten werden, daß VR zwar objektiv in dem Sinne ist, als es sich um eine Computersimulation handelt, andererseits das Erlebnis der Realität, also das für den Menschen wahrnehmbare Phänomen (im Sinne der Phänomenologie ) aber rein der subjektiven Kategorie angehört. Das heißt: Der Computer erzeugt ein Ensemble von Sinnes-Stimulatoren (Cues), die nur in einer bestimmten systematischen Weise untereinander verknüpft sein müssen, um in dem Menschen sofort das Gefühl zu erwecken, er bewege sich in einer "objektiven" Realität war empirisch überhaupt nicht der Fall ist. Erstaunlich ist, daß es in keiner Weise nötig ist, das komplette Spektrum sinnlicher Wahrnehmungen aus der physikalischen Umwelt zu erzeugen, um diese Illusion zu erlangen.

7.1.7. Der Symbolator als Erweiterung des Nervensystems
Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, daß der Symbolator wesentliche Veränderungen in den Denk- und Arbeitsstrukturen des Menschen bewirken kann, der ihn benutzt, sich damit aber gleichzeitig den Gesetzen des Denkzeugs unterwirft. Bevor ich einen Computer als kreatives Werkzeug zur Verfügung hatte, hatte ich keinerlei Neigung zum Schreiben, da mir der mechanische Prozeß der Handschrift oder per Schreibmaschine zu mühsam war. Erst durch die Korrektur- und Umorganisations- Möglichkeiten der Textverarbeitung konnte ich mich von der Mühsal des Schreibens genügend befreien und meine Experimente machen. Das erste, was ich tat, als ich 1983 einen Microcomputer ganz zu meiner eigenen Verfügung hatte, war ein Buch zu schreiben: "Werkzeuge für den Aufbruch", dessen Fortsetzung das "Leerstellendenken" ist. Es war mir sofort klar, daß ich hier das Mittel für einen "geistigen Bootstrap" zur Verfügung hatte, mit dem ich mich selbst aus meiner damaligen Position in eine andere hieven konnte (am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen, wie es Münchhausen formuliert hatte).

In der Folge entwickelte ich eine Art Symbiose mit dem Computer. Ich gelangte im Laufe von zehn Jahren dahin, daß ich mir mit dem Leibniz-System eine eigene, komplette, und eigenständige Software-Technologie schuf. Ich habe den Computer zu einer Erweiterung meines Nervensystems gemacht. Diese Eigenschaft scheint darauf zu beruhen, daß es gelingt, Reiz-Reaktions-Feedback-Zyklen zwischen der Maschine und dem Operator einzurichten, die innerhalb der Latenz-Zeit des Nervensystems liegen. Ein ähnlicher Effekt wurde von Tadhani berichtet. (BIB:THAD81 , BIB:THAD84 , BIB:GOLZ87 ).

7.1.8. Der Einfluß einer erweiterbaren, modifizierbaren Programmiersprache
Ich habe jahrelang den Symbolator als eine Art Denkstütze benutzt, so wie die Menschen einer früheren Periode die Schrift als Denkstütze benutzt haben, und sich ihr Denken allmählich an dieses Medium angepaßt hat. Mit einem Symbolator kann das, was vorher als gesellschaftlicher Entwicklungsprozess viele Jahrhunderte und Jahrzehnte dauert, in wenigen Jahren vollzogen werden. Meine Vermutung ist, nach zehn Jahren dieser Entwicklung, daß hier ein grundlegender Bewußtseinswandel eingetreten ist. Der Übergang zum transklassischen Menschen. Meine Erfahrung unterscheidet sich in einigen sehr wesentlichen Punkten von der Darstellung, wie sie Bolter bringt, und das beruht auf einem grundsätzlichen Faktor: Das Leibniz-System ist auf der Basis einer veränderbaren, erweiterbaren, und evolutionsfähigen Programmiersprache, LPL konstruiert worden. Dadurch unterscheidet es sich grundlegend von fast allen anderen Ansätzen, die Auswirkung des Symbolators auf das Denken zu bestimmen.

7.1.9. Das Leibniz System
Mit der Fertigstellung der Protoyp-Version des Leibniz-Interaktoren -Systems im Jahre 1992 wurde die Arbeit an der konkreten Software-System-Implementation und der Experimentation mit Software-Denkstrukturen abgeschlossen. Die Schriften BIB-AG:LPL-COEV88 , BIB-AG:GOP91-I bis BIB-AG:ART-TEAM.TXT (siehe AG-Bibliographie: Artikel und Schriften von A. Goppold) berichten von dieser Phase. Das System ist ein in sich vollständiges Software-Entwicklungs- und Testsystem , das keine weiteren externen Werkzeuge (z.B. Compiler, Debugger, Editoren) benötigt. Hier einige Daten zu seinem Umfang: Das Leibniz-System enthält ca. 200.000 Zeilen, abgerechnet white space und Kommentar vielleicht 100.000 Zeilen Code, ca. 10.000 Routinen, Programmtext im Umfang von ca. 6 MByte. Die Maximalgröße eines Programm-Systems, das normalerweise noch von einer einzigen Person bearbeitet werden kann, beträgt ca. 10-20.000 Zeilen. Nach Faustregeln der industriellen Programmierung benötigt man 2 Mannstunden für eine Codezeile Programm. Die Schätzungen gehen, inklusive Dokumentation und Wartung über einen längeren Zeitraum, sogar bis 2 Manntage. Das industrielle Arbeitsjahr hat 2400 Mannstunden. Also bräuchte man ca. 40 bis 80 Mannjahre, um 100.000 bis 200.000 Zeilen Code zu erstellen, und das zehnfache, um es zu warten und zu pflegen. (ANM:UMFANG [112] )

7.1.10. Irreflexive Programmierung ist unfaustisch
Bolters Vorstellung des Turingschen Menschen beruht auf der Irreflexivität zwischen den Denkprozessen des Programmierers und den Konstrukten, die er erstellt, seinen Programmen. Die Arbeit des Programmierers führt nach seiner Meinung zu keiner seelischen Veränderung, im Gegensatz zu dem faustischen Menschen der vergangenen Kultur des Abendlandes:

Der Mann auf der Suche muß bis zum Ende der Welt gehen, um seine schwere Lektion zu lernen; meist verändert er sich während dieses Prozesses. Nicht so der Computerprogrammierer, der in der begrenzten logischen Welt seiner Maschine, deren Elemente er den jeweiligen Aufgaben entsprechend umgruppiert, eingeschlossen ist. Der Programmierer bleibt derselbe, während die Welt um ihn herum sich ändert. Selbsterkenntnis ist nicht sein Ziel, vielleicht Selbstverbesserung, jedoch in rein praktischem Sinn einer gesteigerten Leistung. Der Programmierer bearbeitet seine logische Welt, um sie leistungsfähiger oder bequemer zu machen, und er fährt fort, bis die äußersten elektronischen Grenzen von Zeit, Raum oder Logik erreicht sind. Bei diesem Prozeß lernt er nicht mehr als was er selbst einsetzt, denn er entdeckt seine Welt weniger, als er sie erfindet. Seiner Natur nach ist dieses Erfindungsspiel nicht so ernst wie die Suche. Der Suchende hat mehr zu verlieren, vielleicht auch mehr zu gewinnen, denn unwiderruflich sind die Wandlungen, die er durchlebt, und unermeßlich gravierender seine Erfolge und Mißerfolge. Nichts weniger als seine Seele setzte Goethes Faust in seiner Suche nach Wissen und tätigem Leben ein. Kennzeichnend für den Menschen des Abendlandes war der Drang nach dem Höchsten und damit das Gefühl ewiger Unerfülltheit.
BIB:BOLTER90 , 268-269.

Das Unfaustische des Programmiererdaseins nach Bolters Darstellung ist leicht zu erklären: Programmierung ist bisher eine Kunst gewesen, die sich stark im Rahmen von strukturellen Normen bewegt hatte. Bisher hat kaum ein Programmierer ein großes Programmsystem entworfen, und parallel dazu auch noch die Programmiersprache konstruiert, in der das System erstellt wurde. Da große Programmsysteme immer von Teams entwickelt werden, kann man nicht umhin, eine feste, für alle verbindliche, und für die Dauer des Projekts unveränderliche Sprachspezifikation zugrundezulegen. Und der Rahmen eines unveränderlichen Formalismus, den eine Programmiersprache darstellt, läßt in der Tat keinerlei reflexive Effekte zu:

Programmiersprachen ... ändern sich geradezu autokratisch - auf Entscheidung des Managements. Der Programmierer ist nicht befugt, FORTRAN nach Belieben zu modifizieren, denn jede Abweichung von der starren, festgelegten Syntax führt unweigerlich zum Scheitern seines Programms. Eine Gruppe von Programmierern, die mit einigen untergeordneten Details in ihrer Sprache unzufrieden ist, kann versuchen, im Rechenzentrum Reformen zu initiieren. Die Vorschläge kommen vor das Management, und sobald eine Entscheidung gefallen ist, erhält ein Programmierer die Anweisung, das FORTRAN steuernde Programm neu zu schreiben. Größere Änderungen können entstehen, wenn eine Sprache einer neuen Reihe von Maschinen angepaßt werden muß.
BIB:BOLTER90, p.153

Dies ist aber genau anders im Leibniz Projekt. Ich habe in den zehn Jahren der Arbeit an dem Projekt aber nicht nur ein Software-System konstruiert, sondern parallel mit der Entwicklung des Systems die Sprache, in der es geschrieben ist, fortwährend verändert. Und hier tritt dann ein ganz anderer Effekt auf. Hier ist sehr wohl eine Weiterentwicklung zu verzeichnen, da sich die Sprache dynamisch verändert, in der der Kreator seine Kreation konstruiert. Wenn die Sprache des Kreators sich verändert, dann verändert sich der Kreator. Das Denken hat sich in Reflexion auf das Geschaffene verändert.

7.1.11. Die Dynamik von Struktur und Inhalt in der Programmierung
Wenn Bolter weiter oben feststellt, daß der Computer ein Überwiegen der strukturellen Elemente gegenüber dem Inhalt gebracht hat, so läßt sich diese Beobachtung noch wesentlich weiter verfeinern. Die Evolution eines Software-Systems ergibt sehr überraschende Erkenntnisse über die dynamische Wechselbeziehung des Verhältnisses von Struktur und Inhalt. Diese Ausarbeitung ist noch im vollen Gange, und hier soll deshalb der augenblickliche Stand der Erkenntnis berichtet werden, auch wenn zu erwarten ist, daß der weitere Fortgang der Arbeiten noch wesentliche Re-Definitionen der Darstellung erfordern wird.

Das Thema von Form und Inhalt ist vermutlich eines der grundlegenden Kernthemen der gesamten Philosophie, das so tief und so entscheidend am Grunde allen Philosophierens liegt, daß bei einer wesentlich neuen Beurteilung ihrer Dynamik die gesamte Philosophie davon betroffen sein wird. Und dies scheint nach der augenblicklichen Erkenntnis der Fall zu sein.

7.1.12. Hyle und Morphe:
Der Dualismus von Subjektiv und Objektiv
Aristoteles hat mit dem Dualismus von Hyle und Morphe die philosophische Basis gelegt, nach der das Abendland seither verfahren hat. Hyle, die Substanz , ist das unveränderliche, das Seiende , während Morphe, die Form, das ist, was der Veränderung unterworfen ist. (s.a. BIB:ARI-META1 , Buch VI) Nun ist Hyle das Objektive des Objekts, während Morphe das Subjektive des Objekts, und zwar die Form, wie wir sie wahrnehmen. Morphe ist eine Leistung des menschlichen Sinnes- und Erkenntnis-Systems (der Reflexion ), damit subjektiv, und nicht-wirklich im Sinne der griechischen und modernen positivistischen Wissenschaftsphilosophie. Im Laufe der Zeit ist aber die Erkenntnis von der naiven Betrachtung der Form als ein rein oberflächliches Phänomen abgerückt, und ist zu dem Begriff der Struktur übergegangen, welcher nun nicht mehr oberflächlich ist, sondern sich in die Tiefe des Objekts erstreckt. Das logische Problem hierbei ist, daß wir nun den metaphysischen Begriff der Hyle aufweichen. Man ist heute da angelangt, Struktur anstelle von Hyle zu setzen. Wie oben gesagt, ist Struktur aber keine Kategorie des Seienden sondern eine Kategorie der Reflexion, also des menschlichen Sinnes- und Erkenntnis-Systems. Man ist also sozusagen von hinten herum beim Subjektivismus angelangt. Und genau hier befinden wir uns in der Programmierung. Software-Strukturen sind reine Benennungssysteme, deren Ausformung völlig willkürlich ist. Deshalb muß das Software-Management auch so starke Einschränkungen und Konventionen einführen, um die Team-Arbeit von Programmierern zu irgendeinen Ergebnis zu bringen, und nicht in einer Orgie von solipsistischer Hackerei ausarten zu lassen. Insofern ist die Klage Bolters und Weizenbaums über die Hacker durchaus berechtigt. In einer Produktionsumgebung sind solche Umtriebe extrem gefährlich.

Das bedeutet aber keinesfalls, daß es nicht möglich ist, durch kreatives Hacking zu wichtigen und wertvollen Ergebnissen zu kommen. Die Geschichte der Microcomputer-Industrie ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, daß hier wahre Goldminen liegen. (BIB:LEVY-HACK )

7.2. Kreative Maschinen, Symbolische Universen, und das Leibniz Projekt

@:SYMBOL_UNIVERSE
Das Leibniz Projekt ist ein Langzeitexperiment, das nun seit etwa zehn Jahren das Wachstum und die Entwicklung eines kleinen symbolischen Universums im Computer studiert. Dieses Mini-Software-Universum, genannt das Leibniz-Software-Kreations-System (im folgenden auch Leibniz-System genannt), entstand ca. 1983 als ein Nucleus-System im 64 KB-Adressraum eines Z-80 Computers. Es wies schon damals, als Nucleus-Version in ca. 30 Kbyte Object, alle Komponenten eines in sich geschlossenen, vollständigen Software-Entwicklungs-Systems mit Konstruktor und Debugger, Massenspeicher-Verwaltung, Input-Output-System und User-Interface auf. Dieses System ist dann in den 640-K Bereich eines IBM-PC Computers eingewachsen, und "lebt" heute im Megabyte-Adressraum einer Workstation. Ursprünglich war das System als Software-Entwicklungs-Umgebung gedacht. (Im Jahre 1983 gab es auf den CP/M und frühen PC-Computern bestenfalls Ansätze zu der heute standardmäßigen Technologie) Ich habe das System im wesentlichen alleine erstellt. Sein Umfang beträgt ca. 100.000 Codezeilen, 10.000 Routinen und 6 MB Source. Obwohl in der Breite und Tiefe der Anwendung heute Systeme wie die Microsoft- und Borland- Software-Umgebungen mit ihrer Manpower-Investition von vielen hunderten Mannjahren für ein Einmann-Projekt wie das Leibniz-System unerreichbar sind, ergeben sich aus dieser Arbeit einige ganz wesentliche Erfahrungen und Erkenntnisse, die in den zukünftigen Phasen des Leibniz Projekts und in meiner Arbeit "Umrisse des Leerstellendenkens" (BIB-AG:DENK.DOC ) noch weiter ausgearbeitet werden sollen. Dieser Bericht gibt einen vorläufigen Ausblick auf diese Perspektiven.

7.2.1. Der Kreator und sein Universum
Zuerst ist festzustellen, daß die obige Bezeichnung: "(Ein Projekt, das) das Wachstum und die Entwicklung eines kleinen symbolischen Universums im Computer studiert" am Kern der Sache weit vorbeigeht. Es ist nämlich nicht die Entwicklung des objektiven Computersystems, die hier die interessante ist, sondern die Entwicklung des subjektiven Geistes, des Denkens, das dieses Computersystem konstruiert. Die Tatsache, daß ich das Leibniz-System im wesentlichen alleine konstruierte, (im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Projekten dieser Größe, die von vielen Personen bearbeitet worden waren) eröffnet die Perspektive auf eine Tatsache, die zwar schon immer bekannt war, aber im Bereich der Software noch nicht so recht beachtet wurde: Der Prozess der individuellen Wandlung des Kreators in Interaktion mit seiner Kreation. Als Kreator des Systems ist es mir möglich, das geschaffene System als eine Art Spiegelbild meiner eigenen Denkstrukturen zu erkennen. Das Software-System ist nicht nur Konstruktion und Kreation im alten objektivistischen Sinne, sondern es ist Selbst-Reflektion, und zwar einer ganz anderen Art als der früheren Selbst-Reflektion, wie sie z.B. in der Philosophie betreiben wurde. Ich habe aus diesem Grund das Leibniz Projekt auch die Fortsetzung der Philosophie mit anderen Mitteln genannt. Hier ein Ausschnitt aus einem Artikel zu dem Thema:

Ein solches Software-System stellt eine Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk-Muster dar. Es ist, wenn es einmal einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes Universum für sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr überschaubar, und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird Er-Leb-bar. D.h. die Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig deterministisch aufgrund der programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der unüberschaubaren Menge der möglichen internen Zustände, nicht mehr exakt planbar, und gewinnen eine aktive Qualität. Der menschliche Benutzer des Systems, der Operator, erhält in seinem Erleben den Eindruck der Interaktion mit einem eigenständigen, mehr oder weniger unabhängigen Wesen, eben einem Inter-Aktor.

Da das geschaffene System nach den Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist, ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des Schöpfers. Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form wieder auf. Und somit kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft homerischer Qualität an einem Nachmittag aus- und durch-leben. Mal ist er der Blitze-schleudernde Zeus, der in seinem Universum nach Belieben schaltet und waltet, hier kreiert, dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet und neu formatiert. Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer Tat-Energie den Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und dann wieder ist er der tragische Laokoon, der von den Schlangen-Schlingen der sich gegenseitig aufrufenden Subroutinen verschlungen wird.
aus: ART-TEAM.TXT

Auch bei anderen Autoren wie z.B. Bolter (Turing's Man / Der Digitale Faust) und Weizenbaum wird über den Universums-Charakter eines Software-Systems gesprohen: Bedeutsam sind vor allem bei Bolter die Anklänge einer neuen Metaphysik des Turingschen Menschen, des neuen Menschentyps also, der den Computer als sein Denk-Instrument benutzt.

7.2.2. Das symbolische Universum
Dieses Universum ist teils natürlich (schließlich besteht es aus Elektronen), teils künstlich (als Wissenschaft der symbolischen Logik). Der Programmierer wird mit der Dichotomie von Vernunft und Notwendigkeit konfrontiert, betrachtet jedoch die ihm von der Notwendigkeit auferlegten Grenzen gelassener. Vielleicht wird sich der zu schreibende Schöpfungsmythos mit einem Hohen Programmierer als Schöpfer-Gott wesentlich von den griechischen und christlichen Mythen unterscheiden, ebenso wie von jenen der Aufklärung und des Marxismus. Der Programmierer-Gott erschafft die Welt nicht sofort und ein für alle Mal, sondern immer wieder von neuem, indem er ihre Bausteine so umstellt, daß sie zu jedem Schöpfungsprogramm passen. Diese Welt läuft dann wie ein Programm ab, bis zum Schluß oder zu einem Wirrwarr; dann wird die Tafel abgewischt, und ein neues Spiel beginnt.

Diese Beschreibung paßt ziemlich gut zur Art, in der die üblichen Mythen der modernen Physik entstehen. Der Kosmos begann mit einer großen Explosion, und jetzt spaltet sich die ganze Materie mit stets abnehmender Geschwindigkeit. Eines Tages könnte sie haltmachen, sich zurückbilden und in einem vernichtenden Kollaps enden. Dann entstünde vielleicht ein neuer Kosmos. Selbstverständlich hat Elektrotechnik mit der Aufstellung dieser auf der Astronomie und der Quantenphysik beruhenden Theorie nichts zu tun, doch die vom Computer angeregte Vorstellung von Kreativität könnte eine Hilfe sein, um die Einstellung der modernen Welt gegenüber den Mutmaßungen der Physiker zu definieren. Meist waren die früheren abendländischen Denker zu ernst, um die Welt als ein aus der Vorstellung eines spielerischen Gottes erwachsenes Spiel zu betrachten, doch östliche Philosophen scheuten nicht davor zurück. Eine solche Auffassung würde einen grundsätzlichen Wandel bedeuten, das Ende des Glaubens an den unendlichen Fortschritt und an das unendliche Streben der abendländischen Seele, und ein neues Denkmodell für den Einzelnen und die Gesellschaft könnte entstehen.
BOLTER90, 224,225

Der Programmierer... ist der Schöpfer von Welten, deren alleiniger Gesetzgeber er ist. Gewiß gilt dies auch für den Entwerfer jedweden Spiels ... (Programme) gehorchen bereitwillig den Gesetzen und stellen ihr gehorsames Verhalten voll zur Schau. Kein Dramatiker, kein Bühnendirektor, kein Kaiser, wie mächtig sie auch gewesen sein mochten, beherrschte je mit solch uneingeschränkter Macht eine Bühne oder ein Schlachtfeld und konnte solch unerschütterlich pflichtbewußten Schauspielern oder Truppen Befehle erteilen.
WEIZ76, 115

7.2.3. Die Grundthemen der Kreation

7.2.3.1. Kreation, Kognition und freier Wille

Das Thema der Kreativität hat einen erheblichen philosophischen Tiefgang. Wir stehen hier vor Fragen, die einen wesentlich metaphysischen Charakter haben. Die Thematik ist schon in der Scholastik in dem Streit zwischen den Thomisten (im Gefolge von Thomas Aquinas) und den Scotisten (nach Duns Scotus) deutlich geworden. Kognition, also das Erkennen dessen, Was Ist, ist eine Leistung, die von einem Wesen erbracht werden kann, das keinen Willen hat. Kreation, also: "Es Werde" erfordert aber einen Willen. Nach Scotistischer Ansicht ist Vernunft vom Willen abhängig. Dies würde auch die Frage maschinellen Bewußtseins um eine ganz neue Dimension erweitern. Im übrigen ist die Idee eines freien Willens einer der Lieblingsmythen unserer westlichen Kultur. Zu fast allen Zeiten und in fast allen anderen Kulturen hätte die Frage nach einem freien Willen bei ihren jeweiligen Repräsentanten ein ungläubiges Kopfschütteln und verursacht oder bestenfalls eine Antwort wie: "Eine gute Idee aber für unsere Kultur zu gefährlich". Wie Jaynes überzeugend darstellt, wäre sogar die Frage nach dem Bewußtsein, das für uns moderne Menschen so fraglos selbstverständlich ist, je nach Kultur und Zeit anders beantwortet worden. (JAYNES76)

Verfolgen wir das Thema der Kreation ein wenig weiter, so finden wir sofort zwei wesentliche Grundthemen:

7.2.3.2. Transformation: Die faustische Kreation

Das erste Grundthema ist die menschliche Kreation: Kreation im faustischen Wirken des Menschen, und seinem Kampf mit der Natur, der er die Rohstoffe für seine Werke abringt, sie transformiert, und sie in eine Schöpfung nach seinem Willen umgießt. Diese Kreation ist es, der ja die Maschine selber entstammt. Die Maschine ist dem Menschen nicht nur Hilfsmittel zur Kreation, sondern sie ist in gewissem Sinne verkörperte, quasi-autonome, manifeste Kreation. Eine Produktionsmaschine kann etwa, mit einem vollgefüllten Magazin und laufender Energieversorgung, für einige Zeit ohne das Zutun eines Menschen die Kreationsvorgänge autonom weiterführen, für die sie eingerichtet war. Dies würden wir intuitiv nicht "Kreativität" der Maschine nennen. In ihrer Zweckerfüllung ist diese Maschine zwar nicht kreativ, aber sie ist ein Stück Kreation.

Wenn wir der Frage nachgehen, warum wir den Produktionsvorgang der Maschine nicht gern Kreativität nennen, dann kommen wir auf einen weiteren, sehr tiefgehenden Punkt. Die Grundlage aller Produktionsprozesse, die die menschliche Zivilisisation ausführt, ist in der aristotelischen Unterscheidung von Hyle und Morphe, also von Substanz und Form zu suchen. Der menschliche Wille ist nur in der Lage, das Material, das wir der Natur entreißen, umzuformen. Eine solche Transformation bewegt sich aber unentrinnbar innerhalb des Sein des Seienden, siehe auch: GÜN-OP-III , "Maschine, Seele und Weltgeschichte", p. 218-229.

7.2.3.3. Die Kreation als Ursprung

Es gibt noch eine andere Kreation, die bisher der Theologie vorbehalten gewesen ist: Die Genesis drückt es so aus: Und Gott sprach: "Es werde Licht". Dies ist Kreation als Ursprung, Kreation aus dem Nichts. Diese Kreation ist metaphysisch. Und wie ich in den obigen Abschnitten andeute, bewegen wir uns im symbolischen Universum eines Computers in einem Feld, das eine frappierende Ähnlichkeit mit den Vorstellungen der alten Kreations-Mythen der Völker hat. Die Konsequenz der Erfahrbarkeit und Erlebbarkeit des Symbolischen Universums ist eine Entwicklung in Richtung auf eine neue metaphysische Repräsentation. Um Kreativität des Mechanismus vorstellbar, denkbar, und installierbar zu machen, muß eine neue Vorstellung existieren, über das, was bisher als zwei Antagonismen: Geist und Materie, Subjekt und Objekt, gedacht wurde. Zuse hat in seiner Schrift "Rechnender Raum" (ZUSE-RAUM) schon vor langer Zeit Ansätze unternommen, eine Kosmologie zu denken, in der die Grundlage ein informationsverarbeitender Agent ist. Die Theorie von Jean Charon geht ebenfalls in diese Richtung (CHARON82). Nun sind solche Konzepte aber in keiner Weise neu. Die alt-indische Philosophie kennt so etwas seit ca. 4000 Jahren: Die alte vedantische Vorstellung des Brahman, des Bewußtseinsfeldes, das der Ursprung von Geist und Materie ist. (DEUSSEN66, VEDA-BODHA, VEDA-VIVEK) Solche Vorstellungen sind der heutigen Metaphysik des Computerdenkens wesentlich näher verwandt, als ein allmächtiger Schöpfergott, der als reiner Geist die Materie irgendwie "erschafft". Der Fundamental-Agent, der solcher Metaphysik zugrundeliegt, ist in neuer Sprechweise Information. Diese Kategorie der Information ist aber nicht mehr von den alten aristotelischen Kategorien ableitbar.

7.2.4. Neue Denkformen
Es liegt nahe, daß vorzugsweise Personen, die eine intensive und direkte Erfahrung solcher Universums-Erlebnisse, wie oben berichtet, gemacht haben, bereit und vor allem konzeptuell in der Lage sind, eine neue Metaphysik zu denken, und sie auch auf die konventionelle Welt anzuwenden. Die Virtual Reality ist hier nichts weiter als ein Anzeichen für die konsequente Entwicklung:

7.2.4.1. Das Software-Universum und Virtual Reality

Wie aus diesen Beschreibungen und von Erfahrungen anderer Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten von eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an Wirklichkeitsgehalt der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem, das unsere physisch erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt wird heute unter dem Oberbegriff "Virtual Reality" (VR) in größerem Stil umgesetzt. Es ist dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die physikalischen Metaphern, mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein Umweg sind, da die körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben nur eine unter vielen möglichen ist -- wenn sie auch als Einstiegsmetapher für die Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte darstellt.
aus: BIB-AG:ART-TEAM.DOC


Die heutige Entwicklung der Computersysteme bringt eine neue Epoche dessen, was man früher "Die Geistes-Entwicklung" genannt hätte. Aber der Term "Geistes-Entwicklung" gehört dieser vergangenen Epoche an, und ist überholt. Ebenso wie der Begriff "Materie". Die Trennung zwischen Materie und Geist der zurückliegenden Epoche, wie sie mit dem aristotelischen Denken von Subjekt und Objekt begann und in dem kartesischen Rationalismus kulminierte, wird durch das neue Computerdenken auf eine ganz andere metaphysische Basis gebracht. Von dieser Basis ist es dann auch sinnvoll, die Kreativität der Maschinen zu betrachten.

7.2.4.2. Der Teufel steckt im Detail -- oder: Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein.

Etwa im Jahre -600 [113] "erfand" Zoroaster oder Zarathustra die vermutlich älteste systematische Fassung des Dualismus mit der Lehre des Gegensatzes des absoluten Guten und des absoluten Bösen. Ahura Mazda der gute Schöpfergeist und sein Wiedersacher Ahriman als Prinzip des absoluten Bösen. Dieses System wurde die Staatsreligion des persischen Großreichs. Nachdem Kyrus die Israeliten aus ihrer Gefangenschaft befreit hatte, begannen diese, ihre Religion neu zu strukturieren, und übernahmen die dualistische Systematik von den Persern. Kurze Zeit später "erfanden" dann auch die Griechen den absoluten Dualismus von Geist und Materie, oder Hyle und Morphe, bzw. Seiendem und Nichtseiendem. Die Synthese des griechischen und hebräischen Gedankenguts ergab dann später die Grundlage des Christentums.

Die Theologen hatten schon immer das größte Problem, zu erklären, wieso der angeblich allmächtige gute Schöpfergott es zugelassen hat, daß ihm der Teufel so ins Handwerk pfuschte, und die Welt zu dem verkommen ließ was sie heute ist. Wer aber die Erfahrung des Programmierer-Schöpfergottes gemacht hat, der ist eines Besseren belehrt worden: Der Teufel ist nicht ein böser Widersacher, der dem allmächtigen Schöpfer das Werk verdirbt, sondern die Kreation selber ist es, die dem Schöpfer die Fesseln anlegt. Der Teufel steckt, im wahrsten Sinne des Wortes, im Detail. Das Potential der Kreation ist unendliche, allmächtige Freiheit und Kreativität. Die einmal geschaffene Kreation aber ist absolute, eisenharte, unentrinnbare Bindung. In den indischen Schöpfungsmythen wird dies auch Karma genannt. Der Schöpfergott gibt seine Allmacht an die Kreation ab und unterwirft sich den Gesetzen der Kreation, die er selber geschaffen hat. Lediglich durch einen entschlossenen Aktes des Delete und Neuformatierens ist es dem Schöpfer möglich, diesen Fesseln zu entkommen, und eine neue Kreation zu beginnen. Dabei gesteht er sich aber sein eigenes Versagen ein. Das ist sowohl für den Gott als auch für den Programmierer ein schwerer Schlag gegen das Ego. Damit sind solche biblischen Geschichten wie die Sintflut aus einer ganz anderen Sicht zu sehen. Wie Bolter richtig bemerkt, muß aber ein Programmierer solche Niederlagen so oft auf sich nehmen, daß er irgendwann eine gewisse Abgeklärtheit gegenüber solchen Katastrophen erlangt.

Eine interessante metaphysische Frage läßt sich stellen, ob der Kreator überhaupt einen freien Willen, also eine freie Entscheidung hat, wie er die Kreation weiterentwickelt. Ich habe mit dem Leibniz-System die Erfahrung gemacht, daß hier durchaus keine freie Entscheidung vorliegt. Wenn erst einmal gewisse Design-Entscheidungen am Anfang gemacht worden sind, so ziehen sich ihre Konsequenzen über Generationen und Generationen der Software hindurch. Es ist durchaus möglich, davon zu sprechen, daß die Kreation dem Kreator ihre Konsequenz aufzwingt. Weiterhin ergibt sich eine psychische Dynamik auf der Seite des Kreators, dass er sich beinahe gezwungen sieht, die Kreation unablässig weiter und weiter zu perfektionieren. Dieses ewige Verbessernmüssen wird auch oft als Kennzeichen von Hackertum angesehen, hat aber, wie wir hier sehen, durchaus tieferliegende metaphysische Bewandtnis. Man kann sogar soweit gehen, anzunehmen, die Kreation "möchte" sich weiterentwickeln, und benutzt den Kreator als ihr Werkzeug.

7.2.4.3. Der Programmierergott und sein Interaktor

Im alten Sumer und in Ägypten entstand die Priesterkaste, die man in der neueren Sprechweise das Interface zwischen der Götterwelt und ihrer Kreation, der dinglichen Welt nennen kann. Nicht umsonst hat die Wortprägung des Interface noch einen sehr deutlichen Bezug auf die Masken, die zu den Zeremonien der Kommunikation mit den Göttern getragen wurden. Das göttliche Gundproblem war schon immer das der Kommunikation zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung. Auch wenn ein Textverarbeitungsprogramm anscheinend völlig stillsteht, wenn der Benutzer keine Eingabe macht, so täuscht dieser Eindruck: In Wirklichkeit läuft das Programm in einer endlosen Schleife in der Abfage der Tastatur-Eingaberoutine, während (bei einem Multitasking-System) andere Systemteile ihre periodischen Wartungs- und Updatevorgänge verrichten. In der Sprechweise der mythischen Kulturen geht der Priester jeden Morgen zum Tempel und findet kein Zeichen des Gottes vor, kehrt zu seinem Volk zurück und die verfahren weiter so wie gehabt.

7.2.4.4. Die Zeitmauer des Software-Universums

Einerseits verarbeitet der Computer elektronisch gespeicherte binäre Symbole, wobei der Arbeitsablauf von der Uhr gemessen wird, andererseits verarbeitet er die Zeit selbst, indem er Billionen von inhaltlosen Impulsen elektrischer Energie in nützliche Befehle zur Datenverarbeitung verwandelt... der Computer verwandelt Sekunden, Mikro- oder Nanosekunden in Informationen.

Die ungeheure Geschwindigkeit, mit der diese Verwandlung stattfindet, versetzt den Arbeitsablauf in eine Zeitwelt, die außerhalb der menschlichen Erfahrung liegt. Ein Programm ist ein Rezept, eine Liste von Einzelbefehlen, die im Bruchteil einer Sekunde ausgeführt werden können. Der Programmierer kann die Befehle lesen, sie ändern, in maschinenlesbarer Form eingeben, doch sobald das Programm im Kernspeicher geladen ist, hat er keine Vorstellung vom Ablauf des Prozesses. Er kann zwar beobachten, wie ein Band mit seinen Daten abläuft, oder das Ticken des über die Platte laufenden Magnetkopfes hören, aber da gewöhnlich mehrere Programme im Computer gleichzeitig verarbeitet werden (time-sharing) , weiß der Programmierer nicht einmal genau, wann die CPU mit der Arbeit an seinem beginnt. Ingenieure, die Computer entwerfen, wissen wenig über das, was sich in jeder Nanosekunde in der CPU abspielt, denn ihre Arbeit befaßt sich mit Signalen für Ablauf und Logik. Mehr als die Programmierer müssen sie ihren Weg durch die verborgene zeitliche Welt der Maschine suchen. Sie bauen elektronische Krücken, Oszilloskope und Ähnliches, welche die in Sekundenbruchteilen eintretenden Veränderungen auf dem Bildschirm zeigen. Mehr als alle anderen sind sie sich des Paradoxon dieser zweiten zeitlichen Welt bewußt.
BOLTER90 , 126

Ein Programmierer in einem Compiler-Batch-System ist in genau derselben mißlichen Situation wie Gott in den rationalistischen philosophischen Systemen (z.B. der prästabilierten Harmonie nach Leibniz): Er kann sein Programm nur starten und dann beten, daß seine Logik diesmal korrekt war, und es nicht wieder, wie bei den 129 Versuchen vorher, irgendwo "hängenbleibt" und "abstürzt". Bolters Ausführungen stammen aus einer Zeit und Technologie vor dem Personal Computer und sind demgemäß nicht auf dem neuesten Stand. In der heutigen Technologie stellen Debugger-Systeme den ersten Schritt zu einer Verbindung zwischen der übergeordneten Welt des Programmiers und dem durch die Zeitmauer getrennten Software-Universum dar. Die technologische Entwicklung weist somit überraschende Parallelen zu der mythologischen auf. Und während die Mythologie sich in tausenden von Jahren entwickelt, springt die Technologie innerhalb von zehn Jahren auf Ebenen einer neuen Qualität. Es lohnt sich aber auch heute noch, in der Mythologie auf Parallelen zu der technologischen Entwicklung zu achten.

7.2.4.5. Hat ein Interaktor Bewußtsein?

Ich habe in dem Leibniz-System das Konzept des Interaktors geschaffen (BIB-AG:ACTOR.DOC ), das anscheinend eine weitere Stufe der Entwicklung der Wesenheiten in den symbolischen Universen des Computers darstellt. Die Frage nach dem Bewußtsein in softwaretechnischer Analogie ist die Frage nach den internen Repräsentationen der Zustände, in denen sich ein Programm(teil) befindet, und ihre Modifikationsmöglichkeiten. Hier hat die Technologie mehrere qualitative Stufen erzeugt.

In der ältesten Form von Programmen nach dem vonNeumannschen Next-Instruction Schema, die z.B. in Fortran vorliegt, gibt es nur eine einzige Stelle, den Programmzeiger. Die ausführende Maschine hat lediglich die Möglichkeit, den Instruktionen des Programms zu folgen, und bei Verzweigungen an andere Programmteile zu springen, um endlich vielleicht an einem Ergebniszustand anzulangen, oder "sich aufzuhängen".

Die Strukturierte Programmierung führt mit dem Routinen-Stack ein "Erinnerungsvermögen" ein. Wenn ein besonderer Mechanismus feststellen kann, daß die weitere Abarbeitung in einem bestimmten Unterprogramm aussichtslos ist, dann ist es dem Programm möglich, durch "backtracking" zu einer früheren Ebene des Subroutinen-Stacks zurückzukehren, und eine andere Bearbeitungsmöglichkeit zu wählen.

In der Objektorientierten Programmierung besitzt die Programmroutine (das Objekt) einen Katalog von zulässigen, ausführbaren Operationen, den Methoden, die über eine private Subsprache der Routine, die Messages zu aktivieren sind. Weiterhin besitzt das Objekt seinen privaten Datenbereich, auf den kein anderes Programm zugreifen kann. Dies ist schon eine sehr weitgehende technische Bewußtseinsanalogie. Zu bemerken ist, daß es sich hier um ein Bild handelt, in dem wie in dem Leibnizschen System der prästabilierten Harmonie, der Kreator nur einmal den Anstoß zum Programmlauf geben kann, aber dann aus der Interaktion mit den Programm-Modulen ausgeschlossen ist. Zwar gibt es bestimmte Module (z.B. Maus- und Tastatur-Routinen, Benutzer-Interfaces), die speziell für den Benutzer eingerichtet sind, aber das einzelne Objekt bleibt in seinem privaten symbolischen Universum des Computers ein- und abgeschlossen.

Der Interaktor ist ein Schritt weiter, in Richtung auf eine Öffnung zwischen den Welten des Programmierers und der Software. Ein Objekt hat zwar einen genau definierten inneren Zustand, der sich aus der augenblicklichen Belegung seiner internen Datenfelder ergibt (man könnte in der Analogie von einer Subjektivität sprechen), aber in dem rationalen System der prästabilisierten Harmonie ist es für die anderen Routinen völlig uninteressant, etwas über diesen inneren Zustand zu erfahren. Die Kommunikation ist rein funktional, und besteht in dem Ausführen von Aufträgen. Für den Programmierer (-Gott) ist dies aber überhaupt nicht uninteressant. Im Gegenteil: Die interne Information der Routinen ist entscheidend wichtig für ihn, wenn er Modifikationen oder Eingriffe in den Programmlauf machen will. Der Interaktor ist also ein Objekt, das mit einer Kommunikationsschnittstelle zum Benutzer ausgestattet ist. Er ist ein Objekt, das nicht nur interne Zustände hat, sondern sie auch mitteilen kann. Ist der Interaktor damit vom Objekt zum Subjekt geworden? Wenn wir den Ausführungen von Jaynes folgen, so hat die Sprache, also die Mitteilungsfähigkeit der eigenen inneren Zustände einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins gehabt. Ein Universum von Objekten, die rein funktional über ihre Messages miteinander kommunizieren, ist behavioristisch, seelenlos. Die Einführung einer speziellen Sprache zur Kommunikation über die inneren Zustände ist in der Analogie die Hiero-Glyphe, das heiligen Zeichen der Kommunikation mit den Göttern. Und diese war nach Jaynes ein entscheidender Faktor in der Bewußtwerdung der Menschheit.

7.3. Team-Integration durch vernetzte Aktoren


@:TEAM_AKTOR
7.3.1. Die unoffensichtlichen Faktoren der Team-Zusammenarbeit
Auf welche Art und Weise Menschen in einem Team, z.B. während eines Meetings, zusammenarbeiten, scheint jedem von uns aus eigener Erfahrung geläufig zu sein. In den letzten Jahrzehnten ist den Psychologen jedoch zunehmend bewußt geworden, daß wir nur einen oberflächlichen Teil dieser Realität bewußt wahrnehmen. Daneben gibt es zahlreiche wichtige Prozesse, mit denen wir zwar intuitiv manchmal sehr erfolgreich umzugehen verstehen, die uns jedoch nur unterschwellig oder überhaupt nicht bewußt sind.

Heute stehen wir im Rahmen von Groupware vor der Aufgabe, mit virtuellen Teams zu arbeiten, d.h. mit Menschen, die räumlich und teilweise zeitlich voneinander getrennt sind, sich in ihrer Zusammenarbeit aber wie ein wirkliches Team verhalten sollen.

Die bekannten Schwierigkeiten mit der Akzeptanz von Groupware zeigen, daß die Abbildung der Oberflächenstruktur eines Teams (Arbeitsabläufe) in eine Computer-Umgebung nicht ausreicht, eine effektive und effiziente Zusammenarbeit zu ermöglichen. Es bedarf eines Konzeptes, das der vielschichtigen unterbewußten Teamstruktur Rechnung trägt.

7.3.2. Das Team als Rollenspiel von Aktoren
Unser Ansatz dazu ist das Aktor-Konzept. Ein Aktor ist, wie der Name sagt, eben nicht nur re-aktives Element, eine Instanz, die auf bestimmte Anforderungen in festgelegter Weise reagiert, sondern ein Aktor besitzt Eigenschaften, die einem hohen Grad von Autonomie entsprechen. Ein Aktor hat Intentionen, Vorstellungen auf vielen Ebenen, die er in Realität umsetzen möchte: er hat Bedürfnisse, Wünsche und Ziele. Er möchte sich in seiner Welt als eigenständiges Wesen nicht nur behaupten, sondern auch ausdrücken. Dies sind die Eigenschaften und Fähigkeiten der beteiligten Menschen - ein Programm, eine Maschine kann von sich aus immer nur reaktiv sein.

7.3.3. Aktoren und Marionettentheater
Es geht beim Aktor-Konzept also darum, die Intentionen der Menschen, die das Team bilden, in der virtuellen Umgebung, in der sie zusammenarbeiten, programmtechnisch auszudrücken. Ein Aktor ist eine tiefgreifende Einheit zwischen einem Menschen, der am Computer sitzt und einer programmierten Instanz, die ihn im Rahmen des virtuellen Teams vertritt. Eine gute Metapher scheint das Marionettentheater zu sein, bei dem ja auch für den Zuschauer nicht nur die Bewegung von Puppen zu sehen ist, sondern wo eine sehr tiefe emotionale Kommunikation zwischen dem - verborgen bleibenden - Puppenspieler, und seinem Publikum entsteht. (Siehe Heinr. v. Kleist: "Über das Marionettentheater"). Diese wird durch das Medium der Puppen nicht etwa vermindert, sondern hier stellt sich ein bemerkenswerter Effekt ein: Durch die Vermittlung (die mittelbare statt der unmittelbaren Kommunikation) kann sich das Spiel der menschlichen Emotionen sogar noch feiner und deutlicher auszeichnen. Dies ist unbedingt zu bedenken, wenn ein Kommunikationskanal mit eigenen Gesetzmäßigkeiten eingesetzt wird, wie es beim Computer der Fall ist. Die praktische Aufgabe ist: Wie gestaltet man nun den "Marionetten-Teil" des Aktors, das Computer-Programm, so kommunikativ, daß es in der Lage ist, die Intentionen des zugeordneten Menschen auszudrücken und zu verfolgen?

7.3.4. Ansätze zur Implementation von Aktoren-Strukturen auf Rechnern
Ein erster Schritt war sicherlich die Einführung der Objekt- Orientierung in der Version von Smalltalk. Objekte haben, als Entitäten im Rechner, so etwas wie ein "Eigenleben": Ein Objekt besitzt also eine eigene Datenverwaltung und einen Satz von Methoden. Er unterscheidet also in gewissem Sinne zwischen sich und der Außenwelt.

Der zweite Schritt ist die Zuweisung eines eigenen (oder ggf. mehrerer) Rechnerprozesses. Aktoren laufen - je nach technischer Implementation - parallel oder quasi-parallel. Im Gegensatz zum üblichen OOP-Konzept ist asynchrone Zusammenarbeit zwischen den Instanzen möglich. Nun hat die bisherige Software- Technologie bisher nur geringe Aufmerksamkeit auf menschliche Faktoren gelegt. Die Ansätze von Smalltalk-System sind in der heutigen Software-Technologie wieder zugunsten von nicht-interaktiven, compilierten Systemen wie C++, Eiffel und anderen in den Hintergrund gedrängt worden.

7.3.5. Die Maschine: Extension des menschlichen Körpers
Der dritte und entscheidende Schritt ist eine Sache der Flexibilität der Schnittstellen zwischen Mensch und Programm. Das Programm muß zur Extension des Menschen werden, in der er - im wörtlichen Sinne - Körpergefühl entwickelt. Dies ist ein Effekt, der vielen von uns sehr vertraut ist. Wir können in einem Auto unser Körpergefühl so ausdehnen, daß das Auto eine Erweiterung unseres Körpers wird: Wir schätzen nicht nur geistig ab, sondern wir spüren physisch, wie nah oder wie weit die äußeren Grenzen des Autos - also der Erweiterung unseres Körpers - von einem Hindernis entfernt sind.

Es ist ein durchaus unangenehmes Gefühl im eigenen Körper, wenn es dann doch irgendwo fast oder tatsächlich schrammt. Nur auf diese Weise können wir auch intuitiv mit einem Auto umgehen, d.h. wir sind auch in der Lage, unsere unbewußten Intentionen auszudrücken. Die geschieht tatsächlich in hohem Maße, und wie man - leider - im Straßenverkehr beobachten kann, hauptsächlich im Bereich der sonst sorgsam zurückgehaltenen Triebkräfte, den Aggressionen, dem Imponiergehabe, und der Rücksichtslosigkeit. Wie beim Marionettentheater, werden Emotionen verstärkt, und akzentuierter ausgedrückt, wenn auch hier in weniger schöner Form.

7.3.6. Groupware und die somatische Extension des Menschen
Um genau das geht es bei Groupware. Und das Wort Körpergefühl ist hier auch nicht als Metapher gemeint: Nonverbale Kommunikation geht tatsächlich über Gefühle. Gefühle sind, qua Fühlen, ausschließlich Körperwahrnehmungen. Wie ist es nun möglich, ein Programm so zu gestalten, daß wir Menschen es als zu uns gehörig, als Ausdehnung des eigenen Körpers, empfinden?

7.3.7. Das System Leibniz
Die Lösung dazu wurde in ihren Grundzügen von A. Goppold vor annähernd 10 Jahren gefunden. A. Goppold ist es gelungen, in einem Software-System eine Abbildung seiner Denkstrukturen zu erstellen. Dieses System nannte er, in Anlehnung an ein ähnliches Projekt von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) das LEIBNIZ System. Ein solches Software-System stellt eine Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk- Muster dar. Es ist, wenn es einmal einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes Universum für sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr überschaubar, und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird Er-Leb-bar. D.h. die Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig deterministisch aufgrund der programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der unüberschaubaren Menge der möglichen internen Zustände, nicht mehr exakt planbar, und gewinnen eine aktive Qualität. Der menschliche Benutzer des Systems, der Operator, erhält in seinem Erleben den Eindruck der Interaktion mit einem eigenständigen, mehr oder weniger unabhängigen Wesen, eben einem Aktor.

7.3.8. Ein Computersystem als Spiegel der Person
Da das geschaffene System nach den Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist, ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des Schöpfers. Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form wieder auf. Und somit kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft homerischer Qualität an einem Nachmittag aus- und durch- leben. Mal ist er der Blitze- schleudernde Zeus, der in seinem Universum nach Belieben schaltet und waltet, hier kreiert, dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet und neu formatiert. Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer Tat-Energie den Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und dann wieder ist er der tragische Laokoon, der von den Schlangen- Schlingen der sich gegenseitig aufrufenden Subroutinen verschlungen wird.

7.3.9. Das Aktoren-System als Virtual Reality
Wie aus diesen Beschreibungen und von Erfahrungen anderer Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten von eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an Wirklichkeitsgehalt der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem, das unsere physisch erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt wird heute unter dem Oberbegriff "Virtual Reality" (VR) in größerem Stil umgesetzt. Es ist dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die physikalischen Metaphern, mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein Umweg sind, da die körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben nur eine unter vielen möglichen ist - wenn sie auch als Einstiegsmetapher für die Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte darstellt.

7.3.10. Die Übertragung des Aktors auf andere Personen
Der nächste Schritt besteht nun folgerichtig darin, das Erlebnis der Reflexion durch ein Programm-System anderen Menschen zu vermitteln, die dann in die Lage versetzt werden, ihre individuelle Version ihres einzigartigen Aktor selbst zu gestalten. Dies ist A. Goppold zwar in einem Einzelfall - mit einem Informatik- Studenten - gelungen. Eine allgemein brauchbare Lösung benötigt aber Voraussetzungen, die in den früheren Versionen des Leibniz Systems noch nicht gegeben waren, da es recht wenig systematische Möglichkeiten gab, den Aktor auf die Denkstruktur seines menschlichen Partners einzustellen. Dadurch konnte eben nur jemand mit einer äußerst feinen Sensibilität für die Denkstrukturen einer anderen Person diesen Aktor "übernehmen" und mit ihm "spielen" (Der Vergleich mit einer überaus komplizierten Marionette mag hier vielleicht hilfreich sein.)

Ein Vergleich mit konventionellen Software-Systemen ist ebenfalls anschaulich: In einem konventionellen System überwiegt meistens noch das Diktat der Struktur, wie es durch den Programmdesigner, oder die gerade vorherrschende Moderichtung des User-Interface Designs vorsieht. Die Einstellmöglichkeiten sind, wenn überhaupt gegeben, hinter dermaßen kryptischen Formulierungen verbarrikadiert, daß nur in einem verschwindend geringen Anteil der Fälle tatsächlich von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Ein gutes Beispiel sind hier die programmierbaren Programm-Editoren in der Nachfolge von EMACS, die alle ein LISP-ähnliches Interface besitzen. Dies zu beherrschen ist aber eine Wissenschaft für sich. Aber da Programmierer ja zu solcher Geistesakrobatik neigen, haben hier die Programm-Skript-Schnittstellen eine gewisse Beliebtheit erlangt.

7.3.11. Voraussetzungen für die persönliche Einstellung des Aktors
Die Problematik ist weniger eine der Möglichkeit, sondern eine der Ökonomie. Die Entwicklung der Benutzerschnittstellen auf dem Macintosh und dem NeXT zeigt die allgemeine Richtung. Verschiedene Menschen haben verschiedene Repräsentationssysteme von Wissen. Hier seinen die Grundtypen genannt, wie: Auditiv, Visuell, Kinesthetisch. Der Repräsentations-Typ, der im Bereich der Programmierung am erfolgreichsten ist, muß erst mit langem Training erworben werden: Stark Symbolorientert, und vor allem Pedantisch. Da jeder Grundtyp eine eigene Datenstruktur erfordert, sind hier mit der augenblicklichen Technologie gewisse Grenzen gesetzt, aber die Entwicklung in Richtung Multi-Media und Virtual Reality zeigt, daß die Technologie hier genau die Vorraussetzungen zu schaffen im Begriff ist.

7.3.12. Die Schaffung eines Flow-Zustands
In welcher Weise kann das Arbeiten mit Aktoren eine Verbesserung der erzielten Ergebnisse bringen? (Irgendjemand muß ja diese Systeme bezahlen, und das werden zuerst Firmen sein, die ihren Teams auf diese Weise zu einer besseren Produktivität verhelfen wollen). Hier ist der Punkt, an dem wir glauben, eine neue Vision beitragen zu können, die Ergebnisse vor allem in Bereichen bringen wird, an die wir bisher überhaupt nicht gedacht haben.

Eine Vorstellung davon, in welche Richtung das zielt, hat jeder erfahrene Programmierer, der sich so intensiv in seine Arbeit vertieft, daß er das Gefühl hat, mit der Maschine eins zu werden. Wir sprechen auch vom Flow-Zustand, oder einem induktiven Zustand, in dem wir, z.B. am PC, zu enormen Leistungen in der Lage sind. Hier geht es jedoch nicht um einsames Arbeiten am PC sondern - im Gegenteil - um intensivste Kooperation mit anderen Partnern. Ein besseres Beispiel ist daher wohl ein Spiel, daß so spannend ist, daß wir total hineingehen und weitgehend vergessen, daß es sich "nur" um ein Spiel handelt.

Wie oben schon bemerkt, muß immer der besondere Effekt eines Mediums mit in die Überlegung einbezogen werden, wenn man etwas altbekanntes mit diesem neuen Medium durchführen ("rationalisieren") will. Das gilt beim Computer besonders. Daher ist es doppelt verfehlt, die gewohnten Arbeitsstrukturen in irgendeiner schematischen Arbeitsweise auf den Rechner übertragen zu wollen. Zu dieser Erkenntnis wacht die DV-Industrie nach einem 40-jährigen DV-Traum gerade auf. Auch dies ist ein Symptom dessen, was wir heute "die Software-Krise" nennen.

Im Gegenteil: Die überraschenden Effekte, die ungeplanten, die unvorhergesehenen, werden die Effekte sein, die die größte Wirksamkeit haben werden, und den größten Produktivitätsdurchbruch bringen werden. Daher muß vor allem die Flexibilität im Vorder- Grund stehen, vor allem die Flexibilität der Gruppenmitglieder, sich ihre Systeme "selbst zu schaffen". Dazu ist das Aktor- Prinzip aber gerade geeignet. Damit ist auch gleichzeitig der Hinweis gegeben, wie man Menschen dazu hinführen kann, sich in der abstrakten virtuellen Realität von Aktoren bewegen zu lernen und wohl zu "fühlen". Die synergistische Lösung des Führungsprinzips ist: Die Menschen führen sich selber, und sie schaffen und erschaffen sich ihre Aktoren-Umwelt.

Als Ziel schwebt uns vor, Menschen binnen weniger Stunden so weit zu bringen, daß sie so viel Spaß an der Sache finden, daß sie auf das "Spiel" im Rahmen ihrer realen Umwelt nicht mehr verzichten möchten.

[111]ANM:INZEST
Die wunderbare Wortprägung Weizenbaums, vom inzestuösen Programmierer darf hier keinesfalls ausgelassen werden. Vermutlich hat Weizenbaum den in der Computerei so beliebten Ausdruck des "mindfucking" im Hinterkopf gehabt. Ob er wohl wußte, auf was für einen reichen "pay dirt" einer mythologischen Goldader er hier gestoßen war? Der "informatische Inzest" ist die mythologische Neufassung reinster Form dieser uralten Vorstellung vom Oruborus, der Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt. Auf menschliche Maße übertragen, erfordert dies wahre akrobatische Leistung. So hat es der "mindfucker" schon wesentlich leichter. In der Tat hatten viele Schöpfungsmythen die Komponente eines sich selbst begattenden Gottes. Siehe auch Gesang des Avatar:
->: AVATAR, p. 345.
[112]ANM:UMFANG
Wenn wir 40 Zeilen auf eine Schreibmaschinenseite rechnen, kommen dann 5000 Seiten zusammen. Da aber recht viel "white space" darin ist, entsprechen 2000 Seiten eher dem Umfang nach vollgeschriebenen Seiten. Das ist etwa der Umfang von Gotthard Günthers Gesamtwerk, oder anderer Monsterstücke der Weltliteratur. Irgendwann ist mir noch eingefallen, daß Computerprogramme einem epischen Werk wesentlich ähnlicher sind, als einem Prosastück. Das Versmaß ist zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, aber eindeutig. Das Mahabharata-Epos der indischen Tradition hat ca. 100.000 Zeilen. Insofern hoffe ich, meine Werke irgendwann einmal in diese Nachbarschaft einordnen zu dürfen.
[113]Einige Quellen datieren Zoroaster bis auf -1200.

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