7. Das Leibniz-Projekt
7.1. Die Metaphysik der Programmierung
(Extract from: DENK.DOC
)
7.1.1. Der Turingsche
Mensch
David Bolter hat in seinem Buch "Turing's Man" ein Bild des
neuen Menschen des Computerzeitalters gezeichnet, das im Wesentlichen das Bild
des Mentaten,
minus der von mir postulierten metaphysischen Komponente,
darstellt. (s.a.
->:
NATUR
,
->:
STRUKTUR
) Wenn man im Sinne Gotthard
Günthers von einer
neuen Rasse des transklassischen Menschen redet,
dann ist es wohl die Ausbildung eines Menschentyps, wie er vor allem in
Kalifornien unter dem Einfluß der modernen Technik, und des neuen Mythos
der SciFi entsteht, der sich ja in keiner Weise an der althergebrachten
metaphysischen Tradition der alten Welt orientiert. Diese neue Rasse ist
ahistorisch, wenn nicht sogar anti-historisch. Die Entwicklung wurde von einer
ursprünglich sehr kleinen Gruppe getragen, von Menschen, die wie Steve
Jobs, Bill Gates, und viele Mitstreiter, schon als halbe Kinder mit dem Computer
vertraut wurden, und diesen in einer völlig anderen Weise kennenlernten,
als es zum Beispiel bei Informatikstudenten passiert, die ersteinmal Numerische
Mathematik büffeln dürfen, bevor sie an die Maschine gelassen werden.
Heute ist diese Gruppe der "Computer-Kids" wesentlich größer, aber
ihre Chance, die Geschicke der Industrie zu bestimmen, vermindert sich in dem
Maße, wie diese Industrie zu einem Großkapitalsystem auswächst,
in dem die Mechanismen des Kapitals wie bei allen anderen Industrien
beherrschend sind, und die Coca-Cola Manager das Geschehen bestimmen. Ob und
inwieweit Bolters Projektion des Turingschen Menschen oder die hier dargestellte
des Mentaten, oder sonst eine, bisher weder geplante noch gedachte, letztlich
den Gang der Geschichte weiterbestimmten wird, ist abzuwarten.
Der Turingsche Mensch hat kein Gefühl
für den historischen oder intellektuellen Kontext seiner Arbeit. Er neigt
dazu, in der Vergangenheit eine unbestimmte Ausdehnung der technischen Gegenwart
zu sehen.
7.1.2. Die historischen Wurzeln des
Turingschen Menschen
Will man den Turingschen Menschen
verstehen, so muß man sich für das Handwerk des alten Griechenland
und Rom (von der Bronzezeit bis etwa zum 5. Jahrhundert n.Chr.) ebenso
interessieren, wie für das spätere Maschinenzeitalter in Westeuropa
und Nordamerika. Gewiß, Wissenschaft und Technik der industriellen
Revolution haben die technischen Errungenschaften hervorgebracht (wie etwa
Elektrodynamik und Werkzeugmaschinenbau), auf welchen die heutige Entwicklung
des Computers basiert. Dazu trugen Wissenschaft und Handwerk des Altertums nicht
unmittelbar bei. Die Erfahrung des alten Griechenland und Rom ist viel weiter
von unserer entfernt, doch in bestimmter Hinsicht liegt in dieser Entfernung
auch ihr Wert. Zwar waren die Alten nicht besonders erfindungsreich, was ihr
Handwerk und ihre Werkzeuge angeht, doch ihre Literatur zeichnet sich durch eine
phantasievolle Reaktion auf die Technik aus. Paradoxerweise führen einige
Aspekte der Elektronik weg vom Denken der nahen Vergangenheit und näher an
die Welt der Antike. In mancher Hinsicht ist das Zeitalter des Computers eine
Rückkehr ins Zeitalter der Töpferscheibe.
7.1.3. Das symbolische Universum des
Computers
Für den Programmierer löst sich
der heroische Kampf gegen die Natur, der die Technik des Abendlandes zumindest
seit dem Mittelalter kennzeichnete, in einen harmlosen Streit auf, bei welchem
der Gegner weniger die konkrete Welt selbst ist als vielmehr die fast
metaphysischen Grenzen des elektronischen Universums. Dieses Universum ist teils
natürlich (schließlich besteht es aus Elektronen), teils
künstlich (als Wissenschaft der symbolischen Logik). Der Programmierer wird
mit der Dichotomie von Vernunft und Notwendigkeit konfrontiert, betrachtet
jedoch die ihm von der Notwendigkeit auferlegten Grenzen gelassener.
Vielleicht wird sich der zu schreibende Schöpfungsmythos mit einem Hohen
Programmierer als Schöpfer-Gott wesentlich von den griechischen und
christlichen Mythen unterscheiden, ebenso wie von jenen der Aufklärung
und des Marxismus. Der Programmierer-Gott erschafft die Welt nicht sofort und
ein für alle Mal, sondern immer wieder von neuem, indem er ihre
Bausteine so umstellt, daß sie zu jedem Schöpfungsprogramm passen.
Diese Welt läuft dann wie ein Programm ab, bis zum Schluß oder zu
einem Wirrwarr; dann wird die Tafel abgewischt, und ein neues Spiel
beginnt.
Diese Beschreibung paßt ziemlich gut
zur Art, in der die üblichen Mythen der modernen Physik entstehen. Der
Kosmos begann mit einer großen Explosion, und jetzt spaltet sich die ganze
Materie mit stets abnehmender Geschwindigkeit. Eines Tages könnte sie
haltmachen, sich zurückbilden und in einem vernichtenden Kollaps enden.
Dann entstünde vielleicht ein neuer Kosmos. Selbstverständlich hat
Elektrotechnik mit der Aufstellung dieser auf der Astronomie und der
Quantenphysik beruhenden Theorie nichts zu tun, doch die vom Computer angeregte
Vorstellung von Kreativität könnte eine Hilfe sein, um die Einstellung
der modernen Welt gegenüber den Mutmaßungen der Physiker zu
definieren. Meist waren die früheren abendländischen Denker zu ernst,
um die Welt als ein aus der Vorstellung eines spielerischen Gottes erwachsenes
Spiel zu betrachten, doch östliche Philosophen scheuten nicht davor
zurück. Eine solche Auffassung würde einen grundsätzlichen Wandel
bedeuten, das Ende des Glaubens an den unendlichen Fortschritt und an das
unendliche Streben der abendländischen Seele, und ein neues Denkmodell
für den Einzelnen und die Gesellschaft könnte
entstehen.
BOLTER90, 224,225
7.1.4. Programmieren und
Glasperlenspiel
Der Computer fördert das Probieren,
das Spielen mit den elektronischen Möglichkeiten, so daß man kaum der
Versuchung widerstehen kann, Programmieren als das "Spiel aller Spiele" zu
betrachten. Schließlich ist es auch ein den Regeln der endlichen Automaten
und den Grenzen der elektronischen Bauteile unterworfenes "Turing-Spiel". Im
Laufe seiner Arbeit entwickelt der Programmierer neue Regeln, welche die
zulässigen Datenstrukturen und deren Verarbeitung bestimmen. So ist jedes
Programm ein Spiel im Spiel. Wie der Spieler, der die Figuren auf dem
Schachbrett bewegt, kontrolliert der Programmierer die ihm zur Verfügung
stehenden elektronischen Mittel vollkommen und infolgedessen beinahe
desinteressiert.
BOLTER90, p.223
"Der Programmierer... ist der Schöpfer
von Welten, deren alleiniger Gesetzgeber er ist. Gewiß gilt dies auch
für den Entwerfer jedweden Spiels ... (Programme) gehorchen bereitwillig
den Gesetzen und stellen ihr gehorsames Verhalten voll zur Schau. Kein
Dramatiker, kein Bühnendirektor, kein Kaiser, wie mächtig sie auch
gewesen sein mochten, beherrschte je mit solch uneingeschränkter Macht eine
Bühne oder ein Schlachtfeld und konnte solch unerschütterlich
pflichtbewußten Schauspielern oder Truppen Befehle erteilen"
WEIZ76, 115
Welche schöpferische Kraft zeigt sich
in einem gut gespielten Spiel? Wir sind wahrscheinlich erst seit kurzer Zeit
bereit, das Spiel als eine schöpferische Tätigkeit anzuerkennen.
Obwohl wir den erzieherischen Wert des Spiels für Kinder nicht leugnen
wollen, liegt das Spielen immer zwischen ernster technischer,
schöpferischer Tätigkeit (Maschinen bauen, die Arbeit leisten) und
hoher Kunst, zwischen Arbeit und Freizeit. Wir erholen uns durch Spiele, um zur
Arbeit zurückkehren zu können, und wahrscheinlich tun wir damit das
Richtige. Dagegen besteht die Arbeit des Programmierers im Spielen. Seine
Kreativität ist jedoch begrenzter als jene, die wir vom Künstler
erwarten...
BOLTER90, 223
7.1.5. Das Leibniz-System und
Symbolator-Denken
Ich möchte die Diskussion des Transklassischen
Bewußtseins anhand der Überlegungen von Bolter und meiner eigenen
Erfahrungen weiterführen. Ich kann eine auffallende Parallelität
zwischen Bolters Gedanken und meinen eigenen feststellen. Ich war auf meiner
eigenen Suche nach den Wurzeln des transklassischen Bewußtseins bei den
selben Personen und Abläufen angekommen: Leibniz und seine Characteristica
Universalis, Giordano Bruno
, Benjamin Lee Whorf
und die Theorie von der Entwicklung des Denkens und der
Sprachen. Es gibt allerdings auch einige sehr wesentliche Unterschiede, die es
lohnt, herauszuarbeiten.
7.1.6. Die metaphysische Seite des
Programmierens
Zunächst läßt sich bemerken, daß gewisse
psychische Erscheinungen, die in der Literatur als Hackertum
bezeichnet werden, nicht
notwendigerweise so zu interpretieren sind, wie Bolter und Weizenbaum es sehen.
Bolter übernimmt im Wesentlichen die Ansicht Weizenbaums
von der Psychopathologie des Hackertums
(ANM:INZEST
[111]
).
Etwas eingehender wird in dem Buch BIB:LEVY-HACK
versucht, die Persönlichkeit des Hackers auf noch anderen Ebenen zu
erforschen. Die von Levy beschriebene Hacker-Ethik (so. z.B. in dem Kapitel zu
Richard Stallmann) entspricht in vielen Aspekten den eingangs genannten
Wesenszügen des Mentaten. (S.a. ->:
NATUR
) Aber
alle diese Ansätze verstehen nicht die metaphysiche Komponente, sie
übersehen die völlig faustische Seite des Hackers, und damit des
Turingschen Menschen. Bolter stellt das so dar:
In der Tat kann die hypnotische Wirkung des
Programmierens eine Art "Süchtigen" erzeugen, den Joseph Weizenbaum als
"Hacker" bezeichnet, einen manischen Programmierer, für den die
Tätigkeit selbst wichtiger ist als das Problem: "Überall, wo
Rechenzentren eingerichtet wurden," schreibt er, "kann man intelligente junge
Männer mit zerzaustem Haar und leuchtenden, eingesunkenen Augen vor einem
Computer sitzen sehen, mit angespannten Armen auf den Augenblick wartend, in dem
sie ihre startbereiten Finger auf die Knöpfe und Tasten loslassen
dürfen, auf welche sie ihren Blick mit der gleichen gespannten
Aufmerksamkeit heften, wie der Spieler auf den rollenden Würfel. Sind sie
nicht in dieser Stellung angewurzelt, entdeckt man sie an einem Tisch ,
über einen Stoß ausgedruckter Blätter gebeugt, wie besessene
Gelehrte beim Studium eines kabbalistischen Textes" (Die Macht der Computer und
die Ohnmacht der Vernunft, S. 116).
Der Hacker verbringt Stunden mit der
Verfeinerung von Programmen ohne wirklichen oder einleuchtenden Zweck. Alchimist
oder Zauberer des 20. Jahrhunderts, ist er von der
Wichtigkeit seiner neuen Idee überzeugt, ohne klar einsehen zu können,
wohin sie führen soll. So kann er nur solipsistisch mit den
Systembausteinen spielen, in der Hoffnung, beinahe zufällig etwas von
großer Bedeutung zusammenzubasteln. Jeder Programmierer kennt die
Faszination des elektronischen Spiels als Selbstzweck, den Reiz der Suche nach
der korrekten und zugleich eleganten Lösung. Der Hacker karikiert eine
wirklich positive Programmierereigenschaft, das Streben, ein sauberes, logisch
zusammenhängendes Programm zu schreiben.
BIB:BOLTER90, 209
Bolter programmiert offenbar nicht selber, und muß sich
in seinen softwaretheoretischen Ausführungen auf die Meinung von Experten
verlassen. Und so ist seine Darstellung charakeristisch für die Meinung
des Computer-Managements und der akademischen Informatik. Wie anhand des
folgenden Zitats gezeigt werden kann, entspricht die alchimistische
Tätigkeit des Hackers dem faustischen Muster der abendländischen
Tradition identisch. Es gibt strukturell keinen Unterschied zwischen den
frühchristlichen Denker/Asketen-Mönchen in ihren Zellen und Klausen,
und den Hackern der 70er/80er Jahre an ihren Terminals. Hier wie dort wurde
in der Geschichte der Menschheit ein geistiges Tor aufgestoßen, und die
dieses Tor damals öffneten, ließen sich zwar von einer extensiven
Religiosität leiten, aber ihr intensives Vorgehen war forschend
und entdeckend. Heute mag der extensive Forscherdrang der Hacker
äußerlich wenig mit Religion zu tun haben, aber es ist unverkennbar,
daß es sich auch hier um eine intensive Entdeckungsreise des
Geistes handelt, eines Geistes, der auf sich selbst reflexiv projizierend wirkt.
Wenn man auf der Suche nach etwas grundsätzlich Neuem ist, dann kann man
eben nicht sehen, wohin die Suche führt. Und wenn man es vielleicht ahnt,
kann man es kaum jemandem erklären, der aufgrund seiner feststehenden
Meinung von der Natur der Dinge sich nie dazu herablassen würde, eine
grundsätzlich andere Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen.
Gotthard Günther hat dies so aus Spengler zitiert:
7.1.6.1. Hacker, Mönche und die Kirche der Informatik
Entdecken, das was man nicht sieht,
in die Lichtwelt des inneren Auges ziehen, um sich seiner zu bemächtigen,
das war vom ersten Tage an ihre hartnäckigste Leidenschaft. Alle ihre
großen Erfindungen sind in der Tiefe langsam gereift, durch vorwegnehmende
Geister verkündigt und versucht worden, um mit der Notwendigkeit eines
Schicksals endlich hervorzubrechen. Sie waren alle schon dem seligen
Grübeln frühgotischer Mönche ganz nahe gerückt. Wenn
irgendwo, so offenbart sich hier der religiöse Ursprung alles technischen
Denkens. Diese inbrünstigen Erfinder in ihren Klosterzellen, die unter
Beten und Fasten Gott sein Geheimnis abrangen, empfanden das als einen
Gottesdienst. Hier ist die Gestalt Fausts entstanden, das große
Sinnbild einer echten Erfinderkultur... Das bedeutet der Traum jener seltsamen
Dominikaner wie Pertrus Peregrinus vom Perpetuum Mobile, mit dem Gott seine
Allmacht entrissen gewesen wäre. Sie erlagen diesem Ehrgeiz immer wieder;
sie zwangen der Gottheit ihr Geheimnis ab, um selber Gott zu sein. Sie
belauschten die Gesetze des kosmischen Taktes, um sie zu vergewaltigen, und
sie schufen so die Idee der Maschine als eines kleinen Kosmus, der nur noch dem
Willen des Menschen gehorcht. Aber damit überschritten sie jene feine
Grenze, wo für die anbetende Frömmigkeit der anderen die Stunde
begann, und daran gingen sie zugrunde, von Bacon bis Giordano Bruno. Die
Maschine ist des Teufels: so hat der echte Glaube immer wieder
empfunden.
Die grenzenüberschreitende spekulative
Forschertätigkeit eines Giordano Bruno war den damaligen Machthabern
suspekt und eine tödliche Bedrohung, genauso wie die Datenreisen der
heutigen Hacker in unerlaubte Paßworte, mit denen sie die Gesetze des
Computer-Establishment unterwandern und untergraben, und mit ihrem Wissen die
Schranken des Computermanagements überwinden. Deshalb werden die Hacker
heute auf dieselbe Weise gesehen, wie damals Giordano Bruno.
Hackertum ist
Computer-Häresie.
"Der Hacker karikiert eine
wirklich positive Programmierereigenschaft, das Streben, ein sauberes, logisch
zusammenhängendes Programm zu schreiben." Dieser Satz aus dem obigen Zitat
von Bolter ist natürlich die Meinung des Managements (das den Programmierer
dafür bezahlt, daß er nur von der Kirche der Informatik abgesegnetes
tue).
7.1.6.2. Programmierung und Selbst-Reflexion
Die metaphysische Komponente des transklassischen Denkens kann
sich daher wohl nur außerhalb der strikten Regeln des Computer-Managements
entfalten. Ich habe mir in den Jahren von 1983 bis 1992 mit dem Leibniz System
ein privates symbolisches Universum geschaffen, in dem ich völlig
unabhänig von irgendwelchen Management-Entscheidungen der alleinige Gott
und Herrscher war. In dieser Zeit lernte ich vieles, das zum Teil ähnlich
war, dann aber wieder ganz anders, als sie Bolter in seinem
Programmierer-Schöpfungsmythos beschrieben hat. (
->:
SCHÖPFUNG
) Ich habe es in einem
Artikel so dargestellt:
Ein solches Software-System stellt eine
Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk-Muster dar. Es ist, wenn es einmal
einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes Universum für
sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr überschaubar,
und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird Er-Leb-bar. D.h. die
Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig deterministisch aufgrund der
programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der unüberschaubaren Menge der
möglichen internen Zustände, nicht mehr exakt planbar, und gewinnen
eine aktive Qualität. Der menschliche Benutzer des Systems, der Operator,
erhält in seinem Erleben den Eindruck der Interaktion mit einem
eigenständigen, mehr oder weniger unabhängigen Wesen, eben einem
Aktor.
Da das geschaffene System nach den
Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist,
ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des
Schöpfers. Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form
wieder auf. Und somit kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft
homerischer Qualität an einem Nachmittag aus- und durch-leben. Mal ist er
der Blitze-schleudernde Zeus, der in seinem Universum nach belieben schaltet und
waltet, hier kreiert, dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet
und neu formatiert. Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer
Tat-Energie den Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und
dann wieder ist er der tragische Laokoon, der von den Schlangen-Schlingen der
sich gegenseitig aufrufenden Subroutinen verschlungen wird.
7.1.6.3. Das Software-System als Virtual Reality
Wie aus diesen Beschreibungen und von Erfahrungen anderer
Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten von
eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an Wirklichkeitsgehalt
der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem, das unsere physisch
erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt wird heute unter dem
Oberbegriff "Virtual Reality
"
(VR) in größerem Stil umgesetzt. Es ist
dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die physikalischen Metaphern,
mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein Umweg sind, da die
körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben nur eine unter
vielen möglichen ist - wenn sie auch als Einstiegsmetapher für die
Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte darstellt.
Für die weitere Diskussion soll hier festgehalten werden, daß VR zwar
objektiv
in dem Sinne ist, als es sich um eine
Computersimulation handelt, andererseits das
Erlebnis der Realität,
also das für den Menschen wahrnehmbare
Phänomen
(im Sinne der
Phänomenologie
) aber rein der subjektiven
Kategorie angehört. Das heißt: Der Computer
erzeugt ein Ensemble von Sinnes-Stimulatoren (Cues), die nur in einer bestimmten
systematischen Weise untereinander verknüpft sein müssen, um in dem
Menschen sofort das Gefühl zu erwecken, er bewege sich in einer
"objektiven" Realität
war empirisch
überhaupt nicht der Fall ist. Erstaunlich ist, daß es in keiner
Weise nötig ist, das komplette Spektrum sinnlicher Wahrnehmungen aus der
physikalischen Umwelt zu erzeugen, um diese Illusion zu erlangen.
7.1.7. Der Symbolator als
Erweiterung des Nervensystems
Ich kann aus eigener Erfahrung bestätigen, daß der
Symbolator wesentliche Veränderungen in den Denk- und Arbeitsstrukturen des
Menschen bewirken kann, der ihn benutzt, sich damit aber gleichzeitig den
Gesetzen des Denkzeugs unterwirft. Bevor ich einen Computer als kreatives
Werkzeug zur Verfügung hatte, hatte ich keinerlei Neigung zum Schreiben, da
mir der mechanische Prozeß der Handschrift oder per Schreibmaschine zu
mühsam war. Erst durch die Korrektur- und Umorganisations-
Möglichkeiten der Textverarbeitung konnte ich mich von der Mühsal des
Schreibens genügend befreien und meine Experimente machen. Das erste, was
ich tat, als ich 1983 einen Microcomputer ganz zu meiner eigenen Verfügung
hatte, war ein Buch zu schreiben: "Werkzeuge für den Aufbruch", dessen
Fortsetzung das "Leerstellendenken" ist. Es war mir sofort klar, daß ich
hier das Mittel für einen "geistigen Bootstrap" zur Verfügung hatte,
mit dem ich mich selbst aus meiner damaligen Position in eine andere hieven
konnte (am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen, wie es Münchhausen formuliert
hatte).
In der Folge entwickelte ich eine Art Symbiose mit dem
Computer. Ich gelangte im Laufe von zehn Jahren dahin, daß ich mir mit
dem Leibniz-System eine eigene, komplette, und eigenständige
Software-Technologie schuf. Ich habe den Computer zu einer
Erweiterung meines
Nervensystems gemacht. Diese Eigenschaft scheint darauf zu beruhen,
daß es gelingt, Reiz-Reaktions-Feedback-Zyklen zwischen der Maschine und
dem Operator einzurichten, die innerhalb der Latenz-Zeit des Nervensystems
liegen. Ein ähnlicher Effekt wurde von Tadhani berichtet.
(BIB:THAD81
, BIB:THAD84
,
BIB:GOLZ87
).
7.1.8. Der Einfluß einer
erweiterbaren, modifizierbaren Programmiersprache
Ich habe jahrelang den Symbolator als eine Art Denkstütze
benutzt, so wie die Menschen einer früheren Periode die Schrift als
Denkstütze benutzt haben, und sich ihr Denken allmählich an dieses
Medium angepaßt hat. Mit einem Symbolator kann das, was vorher als
gesellschaftlicher Entwicklungsprozess viele Jahrhunderte und Jahrzehnte dauert,
in wenigen Jahren vollzogen werden. Meine Vermutung ist, nach zehn Jahren
dieser Entwicklung, daß hier ein grundlegender Bewußtseinswandel
eingetreten ist. Der Übergang zum transklassischen Menschen. Meine
Erfahrung unterscheidet sich in einigen sehr wesentlichen Punkten von der
Darstellung, wie sie Bolter bringt, und das beruht auf einem
grundsätzlichen Faktor: Das Leibniz-System ist auf der Basis einer
veränderbaren, erweiterbaren, und evolutionsfähigen
Programmiersprache, LPL konstruiert worden. Dadurch unterscheidet es sich
grundlegend von fast allen anderen Ansätzen, die Auswirkung des Symbolators
auf das Denken zu bestimmen.
7.1.9. Das Leibniz
System
Mit der Fertigstellung der Protoyp-Version des
Leibniz-Interaktoren
-Systems
im Jahre 1992 wurde die Arbeit an der konkreten
Software-System-Implementation und der Experimentation mit
Software-Denkstrukturen abgeschlossen. Die Schriften
BIB-AG:LPL-COEV88
,
BIB-AG:GOP91-I
bis
BIB-AG:ART-TEAM.TXT
(siehe AG-Bibliographie: Artikel
und Schriften von A. Goppold) berichten von dieser Phase. Das System
ist ein in sich vollständiges
Software-Entwicklungs- und Testsystem
, das keine
weiteren externen Werkzeuge (z.B. Compiler, Debugger, Editoren) benötigt.
Hier einige Daten zu seinem Umfang: Das Leibniz-System enthält ca. 200.000
Zeilen, abgerechnet white space und Kommentar vielleicht 100.000 Zeilen Code,
ca. 10.000 Routinen, Programmtext im Umfang von ca. 6 MByte. Die
Maximalgröße eines Programm-Systems, das normalerweise noch von einer
einzigen Person bearbeitet werden kann, beträgt ca. 10-20.000 Zeilen. Nach
Faustregeln der industriellen Programmierung benötigt man 2 Mannstunden
für eine Codezeile Programm. Die Schätzungen gehen, inklusive
Dokumentation und Wartung über einen längeren Zeitraum, sogar bis 2
Manntage. Das industrielle Arbeitsjahr hat 2400 Mannstunden. Also bräuchte
man ca. 40 bis 80 Mannjahre, um 100.000 bis 200.000 Zeilen Code zu erstellen,
und das zehnfache, um es zu warten und zu pflegen.
(ANM:UMFANG
[112]
)
7.1.10. Irreflexive Programmierung
ist unfaustisch
Bolters Vorstellung des Turingschen Menschen beruht auf der
Irreflexivität zwischen den Denkprozessen des Programmierers und den
Konstrukten, die er erstellt, seinen Programmen. Die Arbeit des
Programmierers führt nach seiner Meinung zu keiner seelischen
Veränderung, im Gegensatz zu dem faustischen
Menschen der vergangenen Kultur des
Abendlandes:
Der Mann auf der Suche muß bis zum
Ende der Welt gehen, um seine schwere Lektion zu lernen; meist verändert er
sich während dieses Prozesses. Nicht so der Computerprogrammierer, der in
der begrenzten logischen Welt seiner Maschine, deren Elemente er den jeweiligen
Aufgaben entsprechend umgruppiert, eingeschlossen ist. Der Programmierer
bleibt derselbe, während die Welt um ihn herum sich ändert.
Selbsterkenntnis ist nicht sein Ziel, vielleicht Selbstverbesserung, jedoch in
rein praktischem Sinn einer gesteigerten Leistung. Der Programmierer
bearbeitet seine logische Welt, um sie leistungsfähiger oder bequemer zu
machen, und er fährt fort, bis die äußersten elektronischen
Grenzen von Zeit, Raum oder Logik erreicht sind. Bei diesem Prozeß lernt
er nicht mehr als was er selbst einsetzt, denn er entdeckt seine Welt weniger,
als er sie erfindet. Seiner Natur nach ist dieses Erfindungsspiel nicht so ernst
wie die Suche. Der Suchende hat mehr zu verlieren, vielleicht auch mehr zu
gewinnen, denn unwiderruflich sind die Wandlungen, die er durchlebt, und
unermeßlich gravierender seine Erfolge und Mißerfolge. Nichts
weniger als seine Seele setzte Goethes Faust in seiner Suche nach Wissen und
tätigem Leben ein. Kennzeichnend für den Menschen des Abendlandes war
der Drang nach dem Höchsten und damit das Gefühl ewiger
Unerfülltheit.
Das Unfaustische des Programmiererdaseins nach Bolters
Darstellung ist leicht zu erklären: Programmierung ist bisher eine
Kunst gewesen, die sich stark im Rahmen von strukturellen Normen bewegt
hatte. Bisher hat kaum ein Programmierer ein großes Programmsystem
entworfen, und parallel dazu auch noch die Programmiersprache konstruiert, in
der das System erstellt wurde. Da große Programmsysteme immer von Teams
entwickelt werden, kann man nicht umhin, eine feste, für alle verbindliche,
und für die Dauer des Projekts unveränderliche Sprachspezifikation
zugrundezulegen. Und der Rahmen eines unveränderlichen Formalismus, den
eine Programmiersprache darstellt, läßt in der Tat keinerlei
reflexive Effekte zu:
Programmiersprachen ... ändern sich
geradezu autokratisch - auf Entscheidung des Managements. Der Programmierer ist
nicht befugt, FORTRAN nach Belieben zu modifizieren, denn jede Abweichung von
der starren, festgelegten Syntax führt unweigerlich zum Scheitern seines
Programms. Eine Gruppe von Programmierern, die mit einigen untergeordneten
Details in ihrer Sprache unzufrieden ist, kann versuchen, im Rechenzentrum
Reformen zu initiieren. Die Vorschläge kommen vor das Management, und
sobald eine Entscheidung gefallen ist, erhält ein Programmierer die
Anweisung, das FORTRAN steuernde Programm neu zu schreiben. Größere
Änderungen können entstehen, wenn eine Sprache einer neuen Reihe von
Maschinen angepaßt werden muß.
BIB:BOLTER90, p.153
Dies ist aber genau anders im Leibniz Projekt. Ich habe in
den zehn Jahren der Arbeit an dem Projekt aber nicht nur ein Software-System
konstruiert, sondern parallel mit der Entwicklung des Systems die Sprache, in
der es geschrieben ist, fortwährend verändert. Und hier tritt dann
ein ganz anderer Effekt auf. Hier ist sehr wohl eine Weiterentwicklung zu
verzeichnen, da sich die Sprache dynamisch verändert, in der der Kreator
seine Kreation konstruiert. Wenn die Sprache des Kreators sich
verändert, dann verändert sich der Kreator. Das Denken hat sich in
Reflexion auf das Geschaffene verändert.
7.1.11. Die Dynamik von Struktur und
Inhalt in der Programmierung
Wenn Bolter weiter oben feststellt, daß der Computer ein
Überwiegen der strukturellen Elemente gegenüber dem Inhalt gebracht
hat, so läßt sich diese Beobachtung noch wesentlich weiter
verfeinern. Die Evolution eines Software-Systems ergibt sehr überraschende
Erkenntnisse über die dynamische Wechselbeziehung des Verhältnisses
von Struktur und Inhalt. Diese Ausarbeitung ist noch im vollen Gange, und
hier soll deshalb der augenblickliche Stand der Erkenntnis berichtet werden,
auch wenn zu erwarten ist, daß der weitere Fortgang der Arbeiten noch
wesentliche Re-Definitionen der Darstellung erfordern wird.
Das Thema von Form und Inhalt ist vermutlich eines der
grundlegenden Kernthemen der gesamten Philosophie, das so tief und so
entscheidend am Grunde allen Philosophierens liegt, daß bei einer
wesentlich neuen Beurteilung ihrer Dynamik die gesamte Philosophie davon
betroffen sein wird. Und dies scheint nach der augenblicklichen Erkenntnis der
Fall zu sein.
7.1.12. Hyle und Morphe:
Der Dualismus von Subjektiv und
Objektiv
Aristoteles
hat mit dem Dualismus von
Hyle
und Morphe
die
philosophische Basis gelegt, nach der das Abendland seither verfahren hat.
Hyle, die Substanz
, ist das unveränderliche, das
Seiende
, während Morphe, die Form, das ist, was der
Veränderung unterworfen ist. (s.a. BIB:ARI-META1
,
Buch VI) Nun ist
Hyle das Objektive des Objekts, während
Morphe
das Subjektive des Objekts, und zwar die Form, wie wir sie wahrnehmen.
Morphe ist eine Leistung des menschlichen Sinnes- und Erkenntnis-Systems (der
Reflexion
),
damit subjektiv, und nicht-wirklich
im Sinne der griechischen und modernen positivistischen
Wissenschaftsphilosophie. Im Laufe der Zeit ist aber die Erkenntnis von der
naiven Betrachtung der Form als ein rein oberflächliches Phänomen
abgerückt, und ist zu dem Begriff der Struktur übergegangen, welcher
nun nicht mehr oberflächlich ist, sondern sich in die Tiefe des Objekts
erstreckt. Das logische Problem hierbei ist, daß wir nun den
metaphysischen Begriff der Hyle aufweichen. Man ist heute da angelangt,
Struktur anstelle von Hyle zu setzen. Wie oben gesagt, ist Struktur aber
keine Kategorie des Seienden sondern eine Kategorie der Reflexion, also des
menschlichen Sinnes- und Erkenntnis-Systems. Man ist also sozusagen von hinten
herum beim Subjektivismus angelangt. Und genau hier befinden wir uns in der
Programmierung. Software-Strukturen sind reine Benennungssysteme, deren
Ausformung völlig willkürlich ist. Deshalb muß das
Software-Management auch so starke Einschränkungen und Konventionen
einführen, um die Team-Arbeit von Programmierern zu irgendeinen Ergebnis zu
bringen, und nicht in einer Orgie von solipsistischer Hackerei ausarten zu
lassen. Insofern ist die Klage Bolters und Weizenbaums über die Hacker
durchaus berechtigt. In einer Produktionsumgebung sind solche Umtriebe extrem
gefährlich.
Das bedeutet aber keinesfalls, daß es nicht möglich
ist, durch kreatives Hacking zu wichtigen und wertvollen Ergebnissen zu kommen.
Die Geschichte der Microcomputer-Industrie ist geradezu ein Paradebeispiel
dafür, daß hier wahre Goldminen liegen.
(BIB:LEVY-HACK
)
7.2. Kreative Maschinen, Symbolische Universen, und das Leibniz Projekt
Das
Leibniz Projekt ist ein Langzeitexperiment, das nun
seit etwa zehn Jahren das Wachstum und die Entwicklung eines kleinen
symbolischen Universums im Computer studiert. Dieses Mini-Software-Universum,
genannt das
Leibniz-Software-Kreations-System (im folgenden auch
Leibniz-System genannt), entstand ca. 1983 als ein Nucleus-System im 64
KB-Adressraum eines Z-80 Computers. Es wies schon damals, als Nucleus-Version
in ca. 30 Kbyte Object, alle Komponenten eines in sich geschlossenen,
vollständigen Software-Entwicklungs-Systems mit Konstruktor und Debugger,
Massenspeicher-Verwaltung, Input-Output-System und User-Interface auf. Dieses
System ist dann in den 640-K Bereich eines IBM-PC Computers eingewachsen, und
"lebt" heute im Megabyte-Adressraum einer Workstation. Ursprünglich war
das System als Software-Entwicklungs-Umgebung gedacht. (Im Jahre 1983 gab es
auf den CP/M und frühen PC-Computern bestenfalls Ansätze zu der heute
standardmäßigen Technologie) Ich habe das System im wesentlichen
alleine erstellt. Sein Umfang beträgt ca. 100.000 Codezeilen, 10.000
Routinen und 6 MB Source. Obwohl in der Breite und Tiefe der Anwendung heute
Systeme wie die Microsoft- und Borland- Software-Umgebungen mit ihrer
Manpower-Investition von vielen hunderten Mannjahren für ein
Einmann-Projekt wie das Leibniz-System unerreichbar sind, ergeben sich aus
dieser Arbeit einige ganz wesentliche Erfahrungen und Erkenntnisse, die in den
zukünftigen Phasen des Leibniz Projekts und in meiner Arbeit "
Umrisse
des Leerstellendenkens" (BIB-AG:DENK.DOC
) noch
weiter ausgearbeitet werden sollen. Dieser Bericht gibt einen vorläufigen
Ausblick auf diese Perspektiven.
7.2.1. Der Kreator und sein
Universum
Zuerst ist festzustellen, daß die obige Bezeichnung:
"(Ein Projekt, das) das Wachstum und die Entwicklung eines kleinen
symbolischen Universums im Computer studiert" am Kern der Sache weit
vorbeigeht. Es ist nämlich nicht die Entwicklung des objektiven
Computersystems, die hier die interessante ist, sondern die Entwicklung
des subjektiven Geistes, des Denkens, das dieses Computersystem konstruiert.
Die Tatsache, daß ich das Leibniz-System im wesentlichen alleine
konstruierte, (im Gegensatz zu anderen vergleichbaren Projekten dieser
Größe, die von vielen Personen bearbeitet worden waren) eröffnet
die Perspektive auf eine Tatsache, die zwar schon immer bekannt war, aber im
Bereich der Software noch nicht so recht beachtet wurde: Der Prozess der
individuellen Wandlung des Kreators in Interaktion mit seiner Kreation. Als
Kreator des Systems ist es mir möglich, das geschaffene System als eine Art
Spiegelbild meiner eigenen Denkstrukturen zu erkennen. Das Software-System ist
nicht nur Konstruktion und Kreation im alten objektivistischen Sinne,
sondern es ist Selbst-Reflektion, und zwar einer ganz anderen Art als der
früheren Selbst-Reflektion, wie sie z.B. in der Philosophie betreiben
wurde. Ich habe aus diesem Grund das Leibniz Projekt auch die Fortsetzung
der Philosophie mit anderen Mitteln genannt. Hier ein Ausschnitt aus einem
Artikel zu dem Thema:
Ein solches Software-System stellt eine
Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk-Muster dar. Es ist, wenn es einmal
einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes Universum für
sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr überschaubar,
und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird Er-Leb-bar. D.h. die
Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig deterministisch aufgrund der
programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der unüberschaubaren Menge der
möglichen internen Zustände, nicht mehr exakt planbar, und gewinnen
eine aktive Qualität. Der menschliche Benutzer des Systems, der Operator,
erhält in seinem Erleben den Eindruck der Interaktion mit einem
eigenständigen, mehr oder weniger unabhängigen Wesen, eben einem
Inter-Aktor.
Da das geschaffene System nach den
Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist,
ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des
Schöpfers. Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form
wieder auf. Und somit kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft
homerischer Qualität an einem Nachmittag aus- und durch-leben. Mal ist er
der Blitze-schleudernde Zeus, der in seinem Universum nach Belieben schaltet und
waltet, hier kreiert, dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet
und neu formatiert. Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer
Tat-Energie den Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und
dann wieder ist er der tragische Laokoon, der von den Schlangen-Schlingen der
sich gegenseitig aufrufenden Subroutinen verschlungen wird.
aus: ART-TEAM.TXT
Auch bei anderen Autoren wie z.B. Bolter (Turing's Man / Der
Digitale Faust) und Weizenbaum wird über den Universums-Charakter eines
Software-Systems gesprohen: Bedeutsam sind vor allem bei Bolter die
Anklänge einer neuen Metaphysik des Turingschen Menschen, des neuen
Menschentyps also, der den Computer als sein Denk-Instrument benutzt.
7.2.2. Das symbolische
Universum
Dieses Universum ist teils natürlich
(schließlich besteht es aus Elektronen), teils künstlich (als
Wissenschaft der symbolischen Logik). Der Programmierer wird mit der Dichotomie
von Vernunft und Notwendigkeit konfrontiert, betrachtet jedoch die ihm von der
Notwendigkeit auferlegten Grenzen gelassener. Vielleicht wird sich der zu
schreibende Schöpfungsmythos mit einem Hohen Programmierer als
Schöpfer-Gott wesentlich von den griechischen und christlichen Mythen
unterscheiden, ebenso wie von jenen der Aufklärung und des Marxismus.
Der Programmierer-Gott erschafft die Welt nicht sofort und ein für alle
Mal, sondern immer wieder von neuem, indem er ihre Bausteine so umstellt,
daß sie zu jedem Schöpfungsprogramm passen. Diese Welt läuft
dann wie ein Programm ab, bis zum Schluß oder zu einem Wirrwarr; dann wird
die Tafel abgewischt, und ein neues Spiel beginnt.
Diese Beschreibung paßt ziemlich gut
zur Art, in der die üblichen Mythen der modernen Physik entstehen. Der
Kosmos begann mit einer großen Explosion, und jetzt spaltet sich die ganze
Materie mit stets abnehmender Geschwindigkeit. Eines Tages könnte sie
haltmachen, sich zurückbilden und in einem vernichtenden Kollaps enden.
Dann entstünde vielleicht ein neuer Kosmos. Selbstverständlich hat
Elektrotechnik mit der Aufstellung dieser auf der Astronomie und der
Quantenphysik beruhenden Theorie nichts zu tun, doch die vom Computer angeregte
Vorstellung von Kreativität könnte eine Hilfe sein, um die Einstellung
der modernen Welt gegenüber den Mutmaßungen der Physiker zu
definieren. Meist waren die früheren abendländischen Denker zu ernst,
um die Welt als ein aus der Vorstellung eines spielerischen Gottes erwachsenes
Spiel zu betrachten, doch östliche Philosophen scheuten nicht davor
zurück. Eine solche Auffassung würde einen grundsätzlichen Wandel
bedeuten, das Ende des Glaubens an den unendlichen Fortschritt und an das
unendliche Streben der abendländischen Seele, und ein neues Denkmodell
für den Einzelnen und die Gesellschaft könnte
entstehen.
BOLTER90, 224,225
Der Programmierer... ist der Schöpfer
von Welten, deren alleiniger Gesetzgeber er ist. Gewiß gilt dies auch
für den Entwerfer jedweden Spiels ... (Programme) gehorchen bereitwillig
den Gesetzen und stellen ihr gehorsames Verhalten voll zur Schau. Kein
Dramatiker, kein Bühnendirektor, kein Kaiser, wie mächtig sie auch
gewesen sein mochten, beherrschte je mit solch uneingeschränkter Macht eine
Bühne oder ein Schlachtfeld und konnte solch unerschütterlich
pflichtbewußten Schauspielern oder Truppen Befehle
erteilen.
WEIZ76, 115
7.2.3. Die Grundthemen der
Kreation
7.2.3.1. Kreation, Kognition und freier Wille
Das Thema der Kreativität hat einen erheblichen
philosophischen Tiefgang. Wir stehen hier vor Fragen, die einen wesentlich
metaphysischen Charakter haben. Die Thematik ist schon in der Scholastik in dem
Streit zwischen den Thomisten (im Gefolge von Thomas Aquinas) und den Scotisten
(nach Duns Scotus) deutlich geworden. Kognition, also das Erkennen
dessen, Was Ist, ist eine Leistung, die von einem Wesen erbracht werden
kann, das keinen Willen hat. Kreation, also: "Es Werde" erfordert
aber einen Willen. Nach Scotistischer Ansicht ist Vernunft vom Willen
abhängig. Dies würde auch die Frage maschinellen Bewußtseins
um eine ganz neue Dimension erweitern. Im übrigen ist die Idee eines
freien Willens einer der Lieblingsmythen unserer westlichen Kultur. Zu fast
allen Zeiten und in fast allen anderen Kulturen hätte die Frage nach einem
freien Willen bei ihren jeweiligen Repräsentanten ein ungläubiges
Kopfschütteln und verursacht oder bestenfalls eine Antwort wie: "Eine gute
Idee aber für unsere Kultur zu gefährlich". Wie Jaynes
überzeugend darstellt, wäre sogar die Frage nach dem
Bewußtsein, das für uns moderne Menschen so fraglos
selbstverständlich ist, je nach Kultur und Zeit anders beantwortet worden.
(JAYNES76)
Verfolgen wir das Thema der Kreation ein wenig weiter, so
finden wir sofort zwei wesentliche Grundthemen:
7.2.3.2. Transformation: Die faustische Kreation
Das erste Grundthema ist die menschliche Kreation:
Kreation im faustischen Wirken des Menschen, und seinem Kampf mit der Natur,
der er die Rohstoffe für seine Werke abringt, sie transformiert, und sie in
eine Schöpfung nach seinem Willen umgießt. Diese Kreation ist
es, der ja die Maschine selber entstammt. Die Maschine ist dem Menschen nicht
nur Hilfsmittel zur Kreation, sondern sie ist in gewissem Sinne
verkörperte, quasi-autonome, manifeste Kreation. Eine
Produktionsmaschine kann etwa, mit einem vollgefüllten Magazin und
laufender Energieversorgung, für einige Zeit ohne das Zutun eines Menschen
die Kreationsvorgänge autonom weiterführen, für die sie
eingerichtet war. Dies würden wir intuitiv nicht "Kreativität" der
Maschine nennen. In ihrer Zweckerfüllung ist diese Maschine zwar nicht
kreativ, aber sie ist ein Stück Kreation.
Wenn wir der Frage nachgehen, warum wir den Produktionsvorgang
der Maschine nicht gern Kreativität nennen, dann kommen wir auf einen
weiteren, sehr tiefgehenden Punkt. Die Grundlage aller Produktionsprozesse, die
die menschliche Zivilisisation ausführt, ist in der aristotelischen
Unterscheidung von
Hyle und Morphe, also von
Substanz und Form zu
suchen. Der menschliche Wille ist nur in der Lage, das Material, das wir der
Natur entreißen, umzuformen. Eine solche Transformation bewegt sich aber
unentrinnbar innerhalb des Sein des Seienden, siehe auch:
GÜN-OP-III
,
"Maschine, Seele und
Weltgeschichte", p. 218-229.
7.2.3.3. Die Kreation als Ursprung
Es gibt noch eine andere
Kreation, die bisher der
Theologie vorbehalten gewesen ist: Die Genesis drückt es so aus:
Und
Gott sprach: "Es werde Licht". Dies ist
Kreation als Ursprung, Kreation
aus dem Nichts. Diese Kreation ist metaphysisch. Und wie ich in den obigen
Abschnitten andeute, bewegen wir uns im symbolischen Universum eines Computers
in einem Feld, das eine frappierende Ähnlichkeit mit den Vorstellungen der
alten Kreations-Mythen der Völker hat. Die Konsequenz der Erfahrbarkeit
und Erlebbarkeit des Symbolischen Universums ist eine Entwicklung in Richtung
auf eine neue metaphysische Repräsentation. Um Kreativität des
Mechanismus vorstellbar, denkbar, und installierbar zu machen, muß eine
neue Vorstellung existieren, über das, was bisher als
zwei Antagonismen:
Geist und Materie, Subjekt und Objekt, gedacht wurde.
Zuse
hat in seiner Schrift "Rechnender Raum" (ZUSE-RAUM)
schon vor langer Zeit Ansätze unternommen, eine Kosmologie zu denken, in
der die Grundlage ein informationsverarbeitender Agent ist. Die Theorie von
Jean Charon geht ebenfalls in diese Richtung (CHARON82). Nun sind solche
Konzepte aber in keiner Weise neu. Die alt-indische Philosophie kennt so etwas
seit ca. 4000 Jahren: Die alte vedantische Vorstellung des
Brahman, des
Bewußtseinsfeldes, das der Ursprung von Geist und Materie ist.
(DEUSSEN66, VEDA-BODHA, VEDA-VIVEK) Solche Vorstellungen sind der heutigen
Metaphysik des Computerdenkens wesentlich näher verwandt, als ein
allmächtiger Schöpfergott, der als reiner Geist die Materie irgendwie
"erschafft". Der Fundamental-Agent, der solcher Metaphysik zugrundeliegt, ist
in neuer Sprechweise
Information. Diese Kategorie der Information ist
aber nicht mehr von den alten aristotelischen Kategorien ableitbar.
7.2.4. Neue
Denkformen
Es liegt nahe, daß vorzugsweise Personen, die eine
intensive und direkte Erfahrung solcher Universums-Erlebnisse, wie oben
berichtet, gemacht haben, bereit und vor allem konzeptuell in der Lage sind,
eine neue Metaphysik zu denken, und sie auch auf die konventionelle Welt
anzuwenden. Die Virtual Reality ist hier nichts weiter als ein Anzeichen
für die konsequente Entwicklung:
7.2.4.1. Das Software-Universum und Virtual Reality
Wie aus diesen Beschreibungen und von
Erfahrungen anderer Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten
von eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an
Wirklichkeitsgehalt der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem,
das unsere physisch erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt
wird heute unter dem Oberbegriff "Virtual Reality" (VR) in größerem
Stil umgesetzt. Es ist dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die
physikalischen Metaphern, mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein
Umweg sind, da die körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben
nur eine unter vielen möglichen ist -- wenn sie auch als Einstiegsmetapher
für die Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte
darstellt.
Die heutige Entwicklung der Computersysteme bringt eine neue
Epoche dessen, was man früher "Die Geistes-Entwicklung" genannt
hätte. Aber der Term "Geistes-Entwicklung" gehört dieser
vergangenen Epoche an, und ist überholt. Ebenso wie der Begriff
"Materie". Die Trennung zwischen Materie und Geist der
zurückliegenden Epoche, wie sie mit dem aristotelischen Denken von
Subjekt und Objekt begann und in dem kartesischen Rationalismus
kulminierte, wird durch das neue Computerdenken auf eine ganz andere
metaphysische Basis gebracht. Von dieser Basis ist es dann auch sinnvoll, die
Kreativität der Maschinen zu betrachten.
7.2.4.2. Der Teufel steckt im Detail -- oder: Es ist nicht leicht, ein Gott zu
sein.
Etwa im Jahre -600
[113]
"erfand" Zoroaster oder Zarathustra die vermutlich älteste systematische
Fassung des Dualismus mit der Lehre des Gegensatzes des absoluten Guten und des
absoluten Bösen. Ahura Mazda der gute Schöpfergeist und sein
Wiedersacher Ahriman als Prinzip des absoluten Bösen. Dieses System wurde
die Staatsreligion des persischen Großreichs. Nachdem Kyrus die
Israeliten aus ihrer Gefangenschaft befreit hatte, begannen diese, ihre Religion
neu zu strukturieren, und übernahmen die dualistische Systematik von den
Persern. Kurze Zeit später "erfanden" dann auch die Griechen den absoluten
Dualismus von Geist und Materie, oder Hyle und Morphe, bzw. Seiendem und
Nichtseiendem. Die Synthese des griechischen und hebräischen Gedankenguts
ergab dann später die Grundlage des Christentums.
Die Theologen hatten schon immer das größte
Problem, zu erklären, wieso der angeblich allmächtige gute
Schöpfergott es zugelassen hat, daß ihm der Teufel so ins Handwerk
pfuschte, und die Welt zu dem verkommen ließ was sie heute ist. Wer aber
die Erfahrung des Programmierer-Schöpfergottes gemacht hat, der ist eines
Besseren belehrt worden: Der Teufel ist nicht ein böser Widersacher, der
dem allmächtigen Schöpfer das Werk verdirbt, sondern die Kreation
selber ist es, die dem Schöpfer die Fesseln anlegt. Der Teufel steckt, im
wahrsten Sinne des Wortes, im Detail. Das Potential der Kreation ist
unendliche, allmächtige Freiheit und Kreativität. Die einmal
geschaffene Kreation aber ist absolute, eisenharte, unentrinnbare Bindung.
In den indischen Schöpfungsmythen wird dies auch Karma genannt.
Der Schöpfergott gibt seine Allmacht an die Kreation ab und unterwirft
sich den Gesetzen der Kreation, die er selber geschaffen hat. Lediglich
durch einen entschlossenen Aktes des Delete und Neuformatierens ist es dem
Schöpfer möglich, diesen Fesseln zu entkommen, und eine neue Kreation
zu beginnen. Dabei gesteht er sich aber sein eigenes Versagen ein. Das ist
sowohl für den Gott als auch für den Programmierer ein schwerer Schlag
gegen das Ego. Damit sind solche biblischen Geschichten wie die Sintflut aus
einer ganz anderen Sicht zu sehen. Wie Bolter richtig bemerkt, muß aber
ein Programmierer solche Niederlagen so oft auf sich nehmen, daß er
irgendwann eine gewisse Abgeklärtheit gegenüber solchen Katastrophen
erlangt.
Eine interessante metaphysische Frage läßt sich
stellen, ob der Kreator überhaupt einen freien Willen, also eine freie
Entscheidung hat, wie er die Kreation weiterentwickelt. Ich habe mit dem
Leibniz-System die Erfahrung gemacht, daß hier durchaus keine freie
Entscheidung vorliegt. Wenn erst einmal gewisse Design-Entscheidungen am Anfang
gemacht worden sind, so ziehen sich ihre Konsequenzen über Generationen und
Generationen der Software hindurch. Es ist durchaus möglich, davon zu
sprechen, daß die Kreation dem Kreator ihre Konsequenz aufzwingt.
Weiterhin ergibt sich eine psychische Dynamik auf der Seite des Kreators, dass
er sich beinahe gezwungen sieht, die Kreation unablässig weiter und weiter
zu perfektionieren. Dieses ewige Verbessernmüssen wird auch oft als
Kennzeichen von Hackertum angesehen, hat aber, wie wir hier sehen, durchaus
tieferliegende metaphysische Bewandtnis. Man kann sogar soweit gehen,
anzunehmen, die Kreation "möchte" sich weiterentwickeln, und benutzt den
Kreator als ihr Werkzeug.
7.2.4.3. Der Programmierergott und sein Interaktor
Im alten Sumer und in Ägypten entstand die Priesterkaste,
die man in der neueren Sprechweise das Interface zwischen der
Götterwelt und ihrer Kreation, der dinglichen Welt nennen kann. Nicht
umsonst hat die Wortprägung des Interface noch einen sehr deutlichen Bezug
auf die Masken, die zu den Zeremonien der Kommunikation mit den Göttern
getragen wurden. Das göttliche Gundproblem war schon immer das der
Kommunikation zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung. Auch wenn
ein Textverarbeitungsprogramm anscheinend völlig stillsteht, wenn der
Benutzer keine Eingabe macht, so täuscht dieser Eindruck: In Wirklichkeit
läuft das Programm in einer endlosen Schleife in der Abfage der
Tastatur-Eingaberoutine, während (bei einem Multitasking-System) andere
Systemteile ihre periodischen Wartungs- und Updatevorgänge verrichten. In
der Sprechweise der mythischen Kulturen geht der Priester jeden Morgen zum
Tempel und findet kein Zeichen des Gottes vor, kehrt zu seinem Volk zurück
und die verfahren weiter so wie gehabt.
7.2.4.4. Die Zeitmauer des Software-Universums
Einerseits verarbeitet der Computer
elektronisch gespeicherte binäre Symbole, wobei der Arbeitsablauf von der
Uhr gemessen wird, andererseits verarbeitet er die Zeit selbst, indem er
Billionen von inhaltlosen Impulsen elektrischer Energie in nützliche
Befehle zur Datenverarbeitung verwandelt... der Computer verwandelt Sekunden,
Mikro- oder Nanosekunden in Informationen.
Die ungeheure Geschwindigkeit, mit der
diese Verwandlung stattfindet, versetzt den Arbeitsablauf in eine Zeitwelt, die
außerhalb der menschlichen Erfahrung liegt. Ein Programm ist ein Rezept,
eine Liste von Einzelbefehlen, die im Bruchteil einer Sekunde ausgeführt
werden können. Der Programmierer kann die Befehle lesen, sie ändern,
in maschinenlesbarer Form eingeben, doch sobald das Programm im Kernspeicher
geladen ist, hat er keine Vorstellung vom Ablauf des Prozesses. Er kann zwar
beobachten, wie ein Band mit seinen Daten abläuft, oder das Ticken des
über die Platte laufenden Magnetkopfes hören, aber da gewöhnlich
mehrere Programme im Computer gleichzeitig verarbeitet werden (time-sharing) ,
weiß der Programmierer nicht einmal genau, wann die CPU mit der Arbeit an
seinem beginnt. Ingenieure, die Computer entwerfen, wissen wenig über das,
was sich in jeder Nanosekunde in der CPU abspielt, denn ihre Arbeit befaßt
sich mit Signalen für Ablauf und Logik. Mehr als die Programmierer
müssen sie ihren Weg durch die verborgene zeitliche Welt der Maschine
suchen. Sie bauen elektronische Krücken, Oszilloskope und Ähnliches,
welche die in Sekundenbruchteilen eintretenden Veränderungen auf dem
Bildschirm zeigen. Mehr als alle anderen sind sie sich des Paradoxon dieser
zweiten zeitlichen Welt bewußt.
Ein Programmierer in einem Compiler-Batch-System ist in genau
derselben mißlichen Situation wie Gott in den rationalistischen
philosophischen Systemen (z.B. der prästabilierten Harmonie nach Leibniz):
Er kann sein Programm nur starten und dann beten, daß seine Logik diesmal
korrekt war, und es nicht wieder, wie bei den 129 Versuchen vorher, irgendwo
"hängenbleibt" und "abstürzt". Bolters Ausführungen stammen aus
einer Zeit und Technologie vor dem Personal Computer und sind
demgemäß nicht auf dem neuesten Stand. In der heutigen Technologie
stellen Debugger-Systeme den ersten Schritt zu einer Verbindung zwischen der
übergeordneten Welt des Programmiers und dem durch die Zeitmauer getrennten
Software-Universum dar. Die technologische Entwicklung weist somit
überraschende Parallelen zu der mythologischen auf. Und während die
Mythologie sich in tausenden von Jahren entwickelt, springt die Technologie
innerhalb von zehn Jahren auf Ebenen einer neuen Qualität. Es lohnt sich
aber auch heute noch, in der Mythologie auf Parallelen zu der technologischen
Entwicklung zu achten.
7.2.4.5. Hat ein Interaktor Bewußtsein?
Ich habe in dem Leibniz-System das Konzept des Interaktors
geschaffen (BIB-AG:ACTOR.DOC
), das anscheinend eine
weitere Stufe der Entwicklung der Wesenheiten in den symbolischen Universen des
Computers darstellt. Die Frage nach dem Bewußtsein in softwaretechnischer
Analogie ist die Frage nach den internen Repräsentationen der
Zustände, in denen sich ein Programm(teil) befindet, und ihre
Modifikationsmöglichkeiten. Hier hat die Technologie mehrere qualitative
Stufen erzeugt.
In der ältesten Form von Programmen nach dem
vonNeumannschen Next-Instruction Schema, die z.B. in Fortran vorliegt,
gibt es nur eine einzige Stelle, den Programmzeiger. Die ausführende
Maschine hat lediglich die Möglichkeit, den Instruktionen des Programms zu
folgen, und bei Verzweigungen an andere Programmteile zu springen, um endlich
vielleicht an einem Ergebniszustand anzulangen, oder "sich aufzuhängen".
Die Strukturierte Programmierung führt mit dem
Routinen-Stack ein "Erinnerungsvermögen" ein. Wenn ein besonderer
Mechanismus feststellen kann, daß die weitere Abarbeitung in einem
bestimmten Unterprogramm aussichtslos ist, dann ist es dem Programm
möglich, durch "backtracking" zu einer früheren Ebene des
Subroutinen-Stacks zurückzukehren, und eine andere
Bearbeitungsmöglichkeit zu wählen.
In der Objektorientierten Programmierung besitzt die
Programmroutine (das Objekt) einen Katalog von zulässigen,
ausführbaren Operationen, den Methoden, die über eine private
Subsprache der Routine, die Messages zu aktivieren sind. Weiterhin
besitzt das Objekt seinen privaten Datenbereich, auf den kein anderes
Programm zugreifen kann. Dies ist schon eine sehr weitgehende technische
Bewußtseinsanalogie. Zu bemerken ist, daß es sich hier um ein Bild
handelt, in dem wie in dem Leibnizschen System der prästabilierten
Harmonie, der Kreator nur einmal den Anstoß zum Programmlauf geben kann,
aber dann aus der Interaktion mit den Programm-Modulen ausgeschlossen ist. Zwar
gibt es bestimmte Module (z.B. Maus- und Tastatur-Routinen,
Benutzer-Interfaces), die speziell für den Benutzer eingerichtet sind, aber
das einzelne Objekt bleibt in seinem privaten symbolischen Universum des
Computers ein- und abgeschlossen.
Der Interaktor ist ein Schritt weiter, in Richtung auf
eine Öffnung zwischen den Welten des Programmierers und der Software. Ein
Objekt hat zwar einen genau definierten inneren Zustand, der sich aus der
augenblicklichen Belegung seiner internen Datenfelder ergibt (man könnte in
der Analogie von einer Subjektivität sprechen), aber in dem
rationalen System der prästabilisierten Harmonie ist es für die
anderen Routinen völlig uninteressant, etwas über diesen inneren
Zustand zu erfahren. Die Kommunikation ist rein funktional, und besteht in dem
Ausführen von Aufträgen. Für den Programmierer (-Gott) ist dies
aber überhaupt nicht uninteressant. Im Gegenteil: Die interne Information
der Routinen ist entscheidend wichtig für ihn, wenn er Modifikationen oder
Eingriffe in den Programmlauf machen will. Der Interaktor ist also ein Objekt,
das mit einer Kommunikationsschnittstelle zum Benutzer ausgestattet ist. Er ist
ein Objekt, das nicht nur interne Zustände hat, sondern sie auch
mitteilen kann. Ist der Interaktor damit vom Objekt zum Subjekt
geworden? Wenn wir den Ausführungen von Jaynes folgen, so hat die
Sprache, also die Mitteilungsfähigkeit der eigenen inneren Zustände
einen entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des menschlichen
Bewußtseins gehabt. Ein Universum von Objekten, die rein funktional
über ihre Messages miteinander kommunizieren, ist behavioristisch,
seelenlos. Die Einführung einer speziellen Sprache zur Kommunikation
über die inneren Zustände ist in der Analogie die Hiero-Glyphe,
das heiligen Zeichen der Kommunikation mit den Göttern. Und diese
war nach Jaynes ein entscheidender Faktor in der Bewußtwerdung der
Menschheit.
7.3. Team-Integration durch vernetzte Aktoren
7.3.1. Die unoffensichtlichen
Faktoren der Team-Zusammenarbeit
Auf welche Art und Weise Menschen in einem Team, z.B.
während eines Meetings, zusammenarbeiten, scheint jedem von uns aus eigener
Erfahrung geläufig zu sein. In den letzten Jahrzehnten ist den Psychologen
jedoch zunehmend bewußt geworden, daß wir nur einen
oberflächlichen Teil dieser Realität bewußt wahrnehmen. Daneben
gibt es zahlreiche wichtige Prozesse, mit denen wir zwar intuitiv manchmal sehr
erfolgreich umzugehen verstehen, die uns jedoch nur unterschwellig oder
überhaupt nicht bewußt sind.
Heute stehen wir im Rahmen von Groupware vor der Aufgabe, mit
virtuellen Teams zu arbeiten, d.h. mit Menschen, die räumlich und teilweise
zeitlich voneinander getrennt sind, sich in ihrer Zusammenarbeit aber wie ein
wirkliches Team verhalten sollen.
Die bekannten Schwierigkeiten mit der Akzeptanz von Groupware
zeigen, daß die Abbildung der Oberflächenstruktur eines Teams
(Arbeitsabläufe) in eine Computer-Umgebung nicht ausreicht, eine effektive
und effiziente Zusammenarbeit zu ermöglichen. Es bedarf eines Konzeptes,
das der vielschichtigen unterbewußten Teamstruktur Rechnung
trägt.
7.3.2. Das Team als Rollenspiel von
Aktoren
Unser Ansatz dazu ist das Aktor-Konzept. Ein Aktor ist, wie
der Name sagt, eben nicht nur re-aktives Element, eine Instanz, die auf
bestimmte Anforderungen in festgelegter Weise reagiert, sondern ein Aktor
besitzt Eigenschaften, die einem hohen Grad von Autonomie entsprechen. Ein Aktor
hat Intentionen, Vorstellungen auf vielen Ebenen, die er in Realität
umsetzen möchte: er hat Bedürfnisse, Wünsche und Ziele. Er
möchte sich in seiner Welt als eigenständiges Wesen nicht nur
behaupten, sondern auch ausdrücken. Dies sind die Eigenschaften und
Fähigkeiten der beteiligten Menschen - ein Programm, eine Maschine kann von
sich aus immer nur reaktiv sein.
7.3.3. Aktoren und
Marionettentheater
Es geht beim Aktor-Konzept also darum, die Intentionen der
Menschen, die das Team bilden, in der virtuellen Umgebung, in der sie
zusammenarbeiten, programmtechnisch auszudrücken. Ein Aktor ist eine
tiefgreifende Einheit zwischen einem Menschen, der am Computer sitzt und einer
programmierten Instanz, die ihn im Rahmen des virtuellen Teams vertritt. Eine
gute Metapher scheint das Marionettentheater zu sein, bei dem ja auch für
den Zuschauer nicht nur die Bewegung von Puppen zu sehen ist, sondern wo eine
sehr tiefe emotionale Kommunikation zwischen dem - verborgen bleibenden -
Puppenspieler, und seinem Publikum entsteht. (Siehe Heinr. v. Kleist: "Über
das Marionettentheater"). Diese wird durch das Medium der Puppen nicht etwa
vermindert, sondern hier stellt sich ein bemerkenswerter Effekt ein: Durch die
Vermittlung (die mittelbare statt der unmittelbaren Kommunikation) kann sich das
Spiel der menschlichen Emotionen sogar noch feiner und deutlicher auszeichnen.
Dies ist unbedingt zu bedenken, wenn ein Kommunikationskanal mit eigenen
Gesetzmäßigkeiten eingesetzt wird, wie es beim Computer der Fall ist.
Die praktische Aufgabe ist: Wie gestaltet man nun den "Marionetten-Teil" des
Aktors, das Computer-Programm, so kommunikativ, daß es in der Lage ist,
die Intentionen des zugeordneten Menschen auszudrücken und zu verfolgen?
7.3.4. Ansätze zur
Implementation von Aktoren-Strukturen auf Rechnern
Ein erster Schritt war sicherlich die Einführung der
Objekt- Orientierung in der Version von Smalltalk. Objekte haben, als
Entitäten im Rechner, so etwas wie ein "Eigenleben": Ein Objekt besitzt
also eine eigene Datenverwaltung und einen Satz von Methoden. Er unterscheidet
also in gewissem Sinne zwischen sich und der Außenwelt.
Der zweite Schritt ist die Zuweisung eines eigenen (oder ggf.
mehrerer) Rechnerprozesses. Aktoren laufen - je nach technischer Implementation
- parallel oder quasi-parallel. Im Gegensatz zum üblichen OOP-Konzept ist
asynchrone Zusammenarbeit zwischen den Instanzen möglich. Nun hat die
bisherige Software- Technologie bisher nur geringe Aufmerksamkeit auf
menschliche Faktoren gelegt. Die Ansätze von Smalltalk-System sind in der
heutigen Software-Technologie wieder zugunsten von nicht-interaktiven,
compilierten Systemen wie C++, Eiffel und anderen in den Hintergrund
gedrängt worden.
7.3.5. Die Maschine: Extension des
menschlichen Körpers
Der dritte und entscheidende Schritt ist eine Sache der
Flexibilität der Schnittstellen zwischen Mensch und Programm. Das Programm
muß zur Extension des Menschen werden, in der er - im wörtlichen
Sinne - Körpergefühl entwickelt. Dies ist ein Effekt, der vielen von
uns sehr vertraut ist. Wir können in einem Auto unser
Körpergefühl so ausdehnen, daß das Auto eine Erweiterung unseres
Körpers wird: Wir schätzen nicht nur geistig ab, sondern wir
spüren physisch, wie nah oder wie weit die äußeren Grenzen des
Autos - also der Erweiterung unseres Körpers - von einem Hindernis entfernt
sind.
Es ist ein durchaus unangenehmes Gefühl im eigenen
Körper, wenn es dann doch irgendwo fast oder tatsächlich schrammt. Nur
auf diese Weise können wir auch intuitiv mit einem Auto umgehen, d.h. wir
sind auch in der Lage, unsere unbewußten Intentionen auszudrücken.
Die geschieht tatsächlich in hohem Maße, und wie man - leider - im
Straßenverkehr beobachten kann, hauptsächlich im Bereich der sonst
sorgsam zurückgehaltenen Triebkräfte, den Aggressionen, dem
Imponiergehabe, und der Rücksichtslosigkeit. Wie beim Marionettentheater,
werden Emotionen verstärkt, und akzentuierter ausgedrückt, wenn auch
hier in weniger schöner Form.
7.3.6. Groupware und die somatische
Extension des Menschen
Um genau das geht es bei Groupware. Und das Wort
Körpergefühl ist hier auch nicht als Metapher gemeint: Nonverbale
Kommunikation geht tatsächlich über Gefühle. Gefühle sind,
qua Fühlen, ausschließlich Körperwahrnehmungen. Wie ist es nun
möglich, ein Programm so zu gestalten, daß wir Menschen es als zu uns
gehörig, als Ausdehnung des eigenen Körpers, empfinden?
7.3.7. Das System Leibniz
Die Lösung dazu wurde in ihren Grundzügen von A.
Goppold vor annähernd 10 Jahren gefunden. A. Goppold ist es gelungen, in
einem Software-System eine Abbildung seiner Denkstrukturen zu erstellen. Dieses
System nannte er, in Anlehnung an ein ähnliches Projekt von Gottfried
Wilhelm Leibniz (1646-1716) das LEIBNIZ System. Ein solches Software-System
stellt eine Reflexion auf die eigenen Wissens- und Denk- Muster dar. Es ist,
wenn es einmal einen gewissen Umfang gewonnen hat, praktisch ein eigenes
Universum für sich. Es ist auch für seinen Schöpfer nicht mehr
überschaubar, und gewinnt völlig andere Qualitäten: Es wird
Er-Leb-bar. D.h. die Re-Aktionen des Systems, die eigentlich völlig
deterministisch aufgrund der programmierten Logik ablaufen, sind aufgrund der
unüberschaubaren Menge der möglichen internen Zustände, nicht
mehr exakt planbar, und gewinnen eine aktive Qualität. Der menschliche
Benutzer des Systems, der Operator, erhält in seinem Erleben den Eindruck
der Interaktion mit einem eigenständigen, mehr oder weniger
unabhängigen Wesen, eben einem Aktor.
7.3.8. Ein Computersystem als
Spiegel der Person
Da das geschaffene System nach den
Gesetzmäßigkeiten der Denkstruktur des Schöpfers angelegt ist,
ist es ein Spiegelbild, und zwar ein aktives Spiegelbild des Schöpfers.
Dies nimmt ein altes Thema der Mythologie in neuer Form wieder auf. Und somit
kann der Operator durchaus epische Dramen wahrhaft homerischer Qualität an
einem Nachmittag aus- und durch- leben. Mal ist er der Blitze- schleudernde
Zeus, der in seinem Universum nach Belieben schaltet und waltet, hier kreiert,
dort instanziiert, da alloziert und dort wiederum deletet und neu formatiert.
Mal ist er der kühne Herkules, der mit heroischer Tat-Energie den
Reset-Knopf betätigt, um den Augias-Stall auszumisten, und dann wieder ist
er der tragische Laokoon, der von den Schlangen- Schlingen der sich gegenseitig
aufrufenden Subroutinen verschlungen wird.
7.3.9. Das Aktoren-System als
Virtual Reality
Wie aus diesen Beschreibungen und von Erfahrungen anderer
Programmierer deutlich ist, erkennen wir hier das Auftreten von
eigenständigen Realitätssystemen. Diese stehen an Wirklichkeitsgehalt
der Konsensus-Realität, also dem Realitätssystem, das unsere physisch
erlebte Umwelt darstellt, kaum noch nach. Dieser Aspekt wird heute unter dem
Oberbegriff "Virtual Reality" (VR) in größerem Stil umgesetzt. Es
ist dabei aber deutlich, daß die "Accessories", die physikalischen
Metaphern, mit denen man heute versucht, VR umzusetzen, eher ein Umweg sind, da
die körperliche Metapher des drei-dimensionalen Raumes eben nur eine unter
vielen möglichen ist - wenn sie auch als Einstiegsmetapher für die
Mehrheit der Menschen unserer Kultur die geeignete und bevorzugte
darstellt.
7.3.10. Die Übertragung des
Aktors auf andere Personen
Der nächste Schritt besteht nun folgerichtig darin, das
Erlebnis der Reflexion durch ein Programm-System anderen Menschen zu vermitteln,
die dann in die Lage versetzt werden, ihre individuelle Version ihres
einzigartigen Aktor selbst zu gestalten. Dies ist A. Goppold zwar in einem
Einzelfall - mit einem Informatik- Studenten - gelungen. Eine allgemein
brauchbare Lösung benötigt aber Voraussetzungen, die in den
früheren Versionen des Leibniz Systems noch nicht gegeben waren, da es
recht wenig systematische Möglichkeiten gab, den Aktor auf die Denkstruktur
seines menschlichen Partners einzustellen. Dadurch konnte eben nur jemand mit
einer äußerst feinen Sensibilität für die Denkstrukturen
einer anderen Person diesen Aktor "übernehmen" und mit ihm "spielen" (Der
Vergleich mit einer überaus komplizierten Marionette mag hier vielleicht
hilfreich sein.)
Ein Vergleich mit konventionellen Software-Systemen ist
ebenfalls anschaulich: In einem konventionellen System überwiegt meistens
noch das Diktat der Struktur, wie es durch den Programmdesigner, oder die gerade
vorherrschende Moderichtung des User-Interface Designs vorsieht. Die
Einstellmöglichkeiten sind, wenn überhaupt gegeben, hinter
dermaßen kryptischen Formulierungen verbarrikadiert, daß nur in
einem verschwindend geringen Anteil der Fälle tatsächlich von dieser
Möglichkeit Gebrauch gemacht wird. Ein gutes Beispiel sind hier die
programmierbaren Programm-Editoren in der Nachfolge von EMACS, die alle ein
LISP-ähnliches Interface besitzen. Dies zu beherrschen ist aber eine
Wissenschaft für sich. Aber da Programmierer ja zu solcher
Geistesakrobatik neigen, haben hier die Programm-Skript-Schnittstellen eine
gewisse Beliebtheit erlangt.
7.3.11. Voraussetzungen für die
persönliche Einstellung des Aktors
Die Problematik ist weniger eine der Möglichkeit, sondern
eine der Ökonomie. Die Entwicklung der Benutzerschnittstellen auf dem
Macintosh und dem NeXT zeigt die allgemeine Richtung. Verschiedene Menschen
haben verschiedene Repräsentationssysteme von Wissen. Hier seinen die
Grundtypen genannt, wie: Auditiv, Visuell, Kinesthetisch. Der
Repräsentations-Typ, der im Bereich der Programmierung am erfolgreichsten
ist, muß erst mit langem Training erworben werden: Stark Symbolorientert,
und vor allem Pedantisch. Da jeder Grundtyp eine eigene Datenstruktur
erfordert, sind hier mit der augenblicklichen Technologie gewisse Grenzen
gesetzt, aber die Entwicklung in Richtung Multi-Media und Virtual Reality zeigt,
daß die Technologie hier genau die Vorraussetzungen zu schaffen im Begriff
ist.
7.3.12. Die Schaffung eines
Flow-Zustands
In welcher Weise kann das Arbeiten mit Aktoren eine
Verbesserung der erzielten Ergebnisse bringen? (Irgendjemand muß ja diese
Systeme bezahlen, und das werden zuerst Firmen sein, die ihren Teams auf diese
Weise zu einer besseren Produktivität verhelfen wollen). Hier ist der
Punkt, an dem wir glauben, eine neue Vision beitragen zu können, die
Ergebnisse vor allem in Bereichen bringen wird, an die wir bisher überhaupt
nicht gedacht haben.
Eine Vorstellung davon, in welche Richtung das zielt, hat
jeder erfahrene Programmierer, der sich so intensiv in seine Arbeit vertieft,
daß er das Gefühl hat, mit der Maschine eins zu werden. Wir sprechen
auch vom Flow-Zustand, oder einem induktiven Zustand, in dem wir, z.B. am PC, zu
enormen Leistungen in der Lage sind. Hier geht es jedoch nicht um einsames
Arbeiten am PC sondern - im Gegenteil - um intensivste Kooperation mit anderen
Partnern. Ein besseres Beispiel ist daher wohl ein Spiel, daß so spannend
ist, daß wir total hineingehen und weitgehend vergessen, daß es sich
"nur" um ein Spiel handelt.
Wie oben schon bemerkt, muß immer der besondere Effekt
eines Mediums mit in die Überlegung einbezogen werden, wenn man etwas
altbekanntes mit diesem neuen Medium durchführen ("rationalisieren") will.
Das gilt beim Computer besonders. Daher ist es doppelt verfehlt, die gewohnten
Arbeitsstrukturen in irgendeiner schematischen Arbeitsweise auf den Rechner
übertragen zu wollen. Zu dieser Erkenntnis wacht die DV-Industrie nach
einem 40-jährigen DV-Traum gerade auf. Auch dies ist ein Symptom dessen,
was wir heute "die Software-Krise" nennen.
Im Gegenteil: Die überraschenden Effekte, die
ungeplanten, die unvorhergesehenen, werden die Effekte sein, die die
größte Wirksamkeit haben werden, und den größten
Produktivitätsdurchbruch bringen werden. Daher muß vor allem die
Flexibilität im Vorder- Grund stehen, vor allem die Flexibilität der
Gruppenmitglieder, sich ihre Systeme "selbst zu schaffen". Dazu ist das Aktor-
Prinzip aber gerade geeignet. Damit ist auch gleichzeitig der Hinweis gegeben,
wie man Menschen dazu hinführen kann, sich in der abstrakten virtuellen
Realität von Aktoren bewegen zu lernen und wohl zu "fühlen". Die
synergistische Lösung des Führungsprinzips ist: Die Menschen
führen sich selber, und sie schaffen und erschaffen sich ihre
Aktoren-Umwelt.
Als Ziel schwebt uns vor, Menschen binnen weniger Stunden so
weit zu bringen, daß sie so viel Spaß an der Sache finden, daß
sie auf das "Spiel" im Rahmen ihrer realen Umwelt nicht mehr verzichten
möchten.
Die wunderbare Wortprägung Weizenbaums, vom
inzestuösen Programmierer darf hier keinesfalls ausgelassen werden.
Vermutlich hat Weizenbaum den in der Computerei so beliebten Ausdruck des
"mindfucking" im Hinterkopf gehabt. Ob er wohl wußte, auf was für
einen reichen "pay dirt" einer mythologischen Goldader er hier gestoßen
war? Der "informatische Inzest" ist die mythologische Neufassung reinster Form
dieser uralten Vorstellung vom Oruborus, der Schlange, die ihren eigenen Schwanz
verschlingt. Auf menschliche Maße übertragen, erfordert dies wahre
akrobatische Leistung. So hat es der "mindfucker" schon wesentlich leichter.
In der Tat hatten viele Schöpfungsmythen die Komponente eines sich selbst
begattenden Gottes. Siehe auch Gesang des Avatar:
Wenn wir 40 Zeilen auf eine Schreibmaschinenseite rechnen,
kommen dann 5000 Seiten zusammen. Da aber recht viel "white space" darin ist,
entsprechen 2000 Seiten eher dem Umfang nach vollgeschriebenen Seiten. Das ist
etwa der Umfang von Gotthard Günthers Gesamtwerk, oder anderer
Monsterstücke der Weltliteratur. Irgendwann ist mir noch eingefallen,
daß Computerprogramme einem epischen Werk wesentlich ähnlicher sind,
als einem Prosastück. Das Versmaß ist zwar ein wenig
gewöhnungsbedürftig, aber eindeutig. Das Mahabharata-Epos der
indischen Tradition hat ca. 100.000 Zeilen. Insofern hoffe ich, meine Werke
irgendwann einmal in diese Nachbarschaft einordnen zu dürfen.
[113]Einige Quellen
datieren Zoroaster bis auf -1200.