4. Die Suche nach überlebensrelevanten Formen von Nicht-Wissenschaftlichem
Wissen in den Repositorien der Alt-Welt-Kulturen von 15000 B.C. bis 1500
A.D.
Hertha v. Dechend zum Gedenken
AG-Schrift-Code: Neuro-Media
Copyright (c): Dr. Andreas Goppold, München & Ulm,
Aug. 2001
4.1. Abstract
Der folgende Beitrag ist eine Applikations-Skizze unter dem
Generalthema: "Unkonventionelle Paradigmen der Wissensverarbeitung", basierend
auf einem bestimmten Verständnis der "In-Formation" als dem Wissen um
"direkt-neuronale, subsymbolische Prägungs- und Formierungs-Prozesse".
Dieses Wissen wurde von den Priestern und Schamanen der altweltlichen Menschheit
verstanden und beherrscht, und ging nach der Hoch-Zeit der gotischen Kathedralen
in Europa allmählich verloren. Mit der Verfügbarkeit Multi-Medialer
Technologie erwächst auch eine neue Verständnismöglichkeit der
alten multi-modalen, multi-sensorischen "In-Formations"-Techniken. Besonders
wird auf das Werk von Athanasius Kircher verwiesen, der uns eine Art Blueprint
zukünftiger multi-modaler neo-sakraler "In-Formations"-Technologie
hinterließ.
4.2. Hertha v. Dechend zum Gedenken
Erster Anlass zu diesem Paper ist mein Gedenken an Hertha v.
Dechend, die Anfang 2001 verstorben ist. Seit ca. 1994 stand ich mit ihr in
regelmäßigem Gedanken-Austausch, in dem sie mich in das immense
geistige Labyrinth einführte, das sie gewissermaßen als personale
Inkarnation archaischer Nornen- und Moiren-Mythen, als Mittlerin der Schwelle
zwischen Diesseits und Jenseits, als Hüterin der Pforte, bewahrte. Nun ist
sie über die Schwelle gegangen: "gate gate paragate parasamgate bodhi
svaha", in das Pythagoräische Reich der Sphären-Harmonien, das sie
sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit mühsam aus Millionen von
Bruchstücken zusammengesucht hatte. Für eine Forscherin eine
würdige Auffahrt in einem Himmel, den sie sich zu ihren Lebzeiten selbst
wieder-erschaffen hatte.
4.3. Fortsetzung von Diskursen zu Unkonventionellen Paradigmen der
Wissensverarbeitung
Weiterer Anlass ist die Fortsetzung verschiedener Diskurse,
die ich mit den Addressaten dieses Papers seit kürzerer oder längerer
Zeit führe, die bisher in separaten Kontexten verlaufen sind, und die ich
hier zusammenführe. Es lassen sich mehrere Kondensations-Punkte nennen: Der
FAW-BMBF-Bericht "Management von nicht-explizitem Wissen" (März 2001) von
Prof. Radermacher und Mitautoren, das Cyber-Monastery-Projekt von Kim Veltman
und Franz Nahrada, das Neuro-Semantik-Bibel-Projekt mit Prof. Breidbach (Sept.
2000), sowie diverse Arbeiten und Diskurse zu Multimedia, Unkonventionelle
Paradigmen der Wissensverarbeitung, "Neuronal Resonance Technology",
Hypermedia-Interfaces, und Konzeption von Navigationsmodellen in komplexen
"Informations"-Architekturen.
Der FAW BMBF-Bericht stellt für mich einen
Meilenstein
[48] dar, einer Bewegung in der
Main-Stream Informatik auf der Suche nach "Unkonventionellen Paradigmen der
Wissensverarbeitung". Einen anderen (wunden) Ansatzpunkt sehe ich in den
andauernden, teils heftigen Kontroversen um den Sinn und Zweck, und um die
Gestalt, des "Informations"-Begriffs (z.B. FIS Konferenzen, EuS 9, 1998, 2).
Hierzu soll in einem kurzen Exkurs unten eine definitive Antwort gegeben werden.
4.4. Der verlorene Schatz "Nicht-Expliziter Wissens-Repositorien" antiker
Kulturen
Mein Zentralthema ist hier die Hebung eines immensen
verlorenen Schatzes von "Nicht-Expliziten Wissens-Repositorien" antiker
Kulturen, der mit heutiger Technologie wieder zugänglich geworden ist. Es
dreht sich darum, "noch mehr von der Kultur zu lernen", wie ich es in Anlehnung
an den Beitrag von Herrn Kuhlen in dem o.g. BMBF-Bericht formulieren
möchte. Ich habe dazu bereits umfangreiche Berichte und Skizzen vorgelegt,
siehe den Appendix: "Mythologisch- Archäo-Astronomische Reflexionen auf das
Coelestische Troja", der auf weitere WWW-Texte verweist. Ich möchte hier
einen kurzen Umriss zu einer anderen Form von "Nicht-Expliziten
Wissens-Repositorien" geben, die ich in den "Prolegomena to an Art Theory of
Event-Scape Architecture" weiter ausformuliert
habe,
[49] den Kontext der Sakral-Architektur.
Dies wurde z.B. in den Arbeiten von Keith Critchlow zur Kathedrale von Chartres
und anderer sakraler Komplexe ausführlich behandelt. Ich sehe hier einen
wesentlichen Zusammenhang mit dem Cyber-Monastery-Projekt von Kim Veltman und
Franz Nahrada.
4.5. "Wissen", das nur erfahrbar ist
Die "Ora et Labora" Maxime der christlichen Mönchsorden
verweist auf eine Klasse von "Wissens"-Formen, die im europäischen
Kulturkreis nach 1500 endgültig verloren gegangen ist. Es handelt sich um
eine Folge-Erscheinung von Alphabetisierung und Buchdruck, die eine
Re-Strukturierung und Re-Definition des "Wissens an Sich" mit sich gebracht hat,
dergestalt, daß in unserem Kulturkreis alles, was sich nicht oder nur
schlecht zwischen Buchdeckel pressen ließ, auch nicht mehr als
kanonisiertes "Wissen" akzeptiert wurde.
Dies betrifft besonders Klassen von "Wissen" das nur
erfahrbar, aber nicht (oder nur schlecht) verbal präzisierbar ist.
Allerdings bewahrte die christliche Tradition nur noch einen traurigen,
degenerierten Rest des ursprünglichen "Wissens" der altweltlichen
Menschheit. Leicht umformuliert, lautet die obige Mönchs-Maxime: "Beten
durch Arbeit"
[50] und betrifft
Erfahrungsformen, die nur durch (teilweise intensive) körperliche
Anstrengung und Bewegung zu machen und zu vermitteln
sind.
[51] Besonders wirksam sind rhythmische
Bewegungsformen.
[52] Hierher gehören auch
viele Praktiken aller Kulturen der Menschheit, die mit dem schwammigen Begriff
"Ritual" zusammengefaßt werden. Rituale können (um einen Begriff von
Kuhlen zu verwenden, s. BMBF III, p. 70) als Paradebeispiele für "Wissen in
Aktion" gelten, aber einer ganz speziellen Klasse. Nämlich Wissen, das nur
in Aktion und durch Aktion realisiert wird, und ohne Aktion völlig
unerfahrbar ist. Antike und christliche Sakral-Architektur bis ca. 1500 enthielt
einen solchen Wissens-Corpus, der in den Bewegungsformen des Handwerks selbst
eincodiert war, und daher nur den "Eingeweihten" dieses Handwerks
zugänglich war (mit den Freimaurern als neuzeitliches Rudiment dieser
Tradition). Das Corpus-Wissen (Corpus= Körper) kann als eines der tiefsten
"Geheimnisse" christlicher Tradition angesehen werden, weil es direkt auf die
Notwendigkeit der "fleischlichen Incarnation des göttlichen Logos"
hinweist.
[53] Aus diesem Grunde ist es auch
Kernbestandteil des "Mysteriums der
Transsubstantiation".
[54] Das allgemeine
Publikum konnte an einer "exoterischen" Form dieses Wissens durch Perambulation
teilhaben. (Siehe auch die Schule des Aristoteles: Peripatetik=
Perambulation).
[55] In heutiger Terminologie
können wir von einem Wissen um direkt-neuronale, subsymbolische
Prägungs- und Formierungs-Prozesse sprechen (aka "In-Formationen"), die
erstens: jedem zu-"gänglich" sind, zweitens: extrem dauerhaft sind
(Lebens-prägend), und drittens: außerordentlich wirkungsvoll zur
Harmonisierung von ganzen Populationen sind.
4.6. Exkurs: In-Formation ist XYZ in Aktion
Ich glaube, daß in der Debatte um Janichs Beitrag zur
"Information" in EuS (9, 1998, 2) ein wesentlicher Aspekt (auch von Janich
selber) nicht genug gewürdigt worden ist: Ein fundamentales Problem mit dem
heutigen Gebrauch des Wortes "Information" ist, daß dies in
Whitehead'scher Terminologie eine "fallacy of misplaced concreteness" darstellt.
D.h. es ist ein grundsätzlicher Kategorien-Fehler, wenn man einen Prozess
als Ding behandelt. "In-Formation" ist Aktion, in Janichs Diktion ein
"Handlungsbegriff" (11), (16), (17). In Kontrast zu Kuhlen möchte ich aber
bemerken, daß "In-Formation" genausogut "Nonsense in Aktion" sein kann,
und das z.B. in massenhafter Verbreitung durch die heutige IT-Industrie. Herr
Deussen stellt in seinem Kritik-Beitrag in EuS (p.193) treffend fest: "Ex falso
quodlibet". Somit muß man logisch folgern, daß "Information" als
wissenschaftliches Thema endgültig ausgedient hat. Daher wäre ein
möglicher Kompromissvorschlag zur Beilegung aller
Definitions-Schwierigkeiten des "Informations"-Begriffs: Aufgrund allgemeiner,
unheilbarer Verwässerung ist der Begriff unbrauchbar geworden. Das
reichhaltige Instrumentarium von Strukturtheorien zur Codierung und Decodierung,
die heute mit diversen mathematischen Formalismen zur Verfügung stehen,
sollte "Wienerism" genannt werden. (Zur Ehre von Norbert Wiener). Und man sollte
die "Information" den "Informations-Ministerien" (Orwellscher Prägung)
überlassen. Denn es handelt sich in den meisten anderen Fällen um pure
Des-Information. Und als Negativ-Begriff ist "Information" allemal gut zu
gebrauchen. (Nach Lenin: keiner ist so völlig unbrauchbar, daß er
nicht wenigstens als schlechtes Beispiel herhalten könnte).
4.7. Zielvorstellungen
Trotz der großen Bedeutung der hier zugrundeliegenden
geistes- und kultur-wissenschaftlichen Vorarbeiten, die vor allem in den
WWW-Artikeln zitiert werden (Critchlow, H.v. Dechend, u.v.a.m.), soll hier nicht
nur Rückschau geübt werden. Damit will ich besonders an das Werk von
Athanasius Kircher anknüpfen. Er hatte sein Lebenswerk dem Ziel gewidmet,
die Wissensformen der altweltlichen Menschheit in dem neuen Medium des
Buchdrucks zu dokumentieren, und in das Zeitalter der Mechanisierung (einer Art
Arche-Noah Aktion) hinüberzuretten. In heutiger Terminologie gesprochen,
bietet sein Werk einen Voraus-Entwurf für eine noch zu schaffende
Multi-Mediale Neo-Sakrale "In-Formations"-Architektur.
[48] Wieweit das nun einen
Main-Stream Majoritäts-Konsensus der akademischen oder industriellen
Informatik darstellt, darüber möchte ich hier nicht spekulieren. Man
kann es, je nach Standpunkt, auch als vorsichtiges Anzeichen eines
möglichen Paradigmenwechsels interpretieren.
[49] Ich schicke den Text,
der noch nicht im WWW liegt, Interessenten gerne zu.
[50] Hier einige
philologische Tiefenschürfungen, die man in jedem Latein-Lexikon nachlesen
kann: Das lateinische "et" umfaßt einen erhblich größeren
Bedeutungsraum als das deutsche "und". Deshalb kann es als Emphase gelesen
werden: z.B.:
Labora als besonders wirksame Form von
Beten. (Siehe
Karma Yoga im indischen Kulturkreis). Weiterhin muß bei der
heutigen Interpretation bedacht werden, daß
Ora- ursprünglich
nicht
Beten, sondern
Rede und
Sprache (insb.
Redekunst,
Rhetorik) bedeutete. Und man muß noch einen
anderen Schlüsselbegriff des damaligen Bildungssystems kennen: Der
griechische
Logos hatte nämlich kein lateinisches Äquivalent
und wurde deshalb mit "
Ratio et Oratio" übersetzt. Wir können
das Wortspiel also dahingehend weiterspinnen: "
Labo-Ratio et Oratio"
[51] In diesem Zusammenhang
findet man auch Anwendungen des großen Komplexes des
"Initiations"-Wissens. Der Haken bei allen Darstellungen desselben, die wir z.B.
in den Ethnologie-Büchern finden ist: Wenn an der These irgend etwas dran
ist, daß es sich hier um nicht aufschreib-bare Formen von "Wissen"
handelt, ist alles, was in den Büchern darüber steht,
Quatsch.
[52] Perambulationen und
Tänze. Siehe "Peri Orcheos" von Lukianus Samosata. Der große
"Wissens"-Abbruch zwischen Antike und christlicher Ära liegt darin,
daß die früh-christlichen Kirchen-Oberen sorgsam alle antiken
Materialien vernichtet haben, die den kultischen Einsatz von Tanz
dokumentierten, so daß das o.g. Dokument fast das einzige ist, was uns von
dem gewaltigen "Wissens"-Repositorium antiker kultischer Tänze
übriggeblieben ist. Daher war es den Mönchen des Mittelalters auch
nicht mehr möglich, das Konzept von "Gebet als Körper in Bewegung"
überhaupt zu erfassen. Und dies bedeutet nach vorliegender These einen der
gravierendsten Aspekte eines sehr tiefen "Falls in Spirituelle Umnachtung", der
beim Zusammenbruch der Antike stattgefunden hat, und der sich auch heute noch
auf furchtbarste Weise in den nach-christlichen
wissenschaftlich-mechanistisch-kapitalistischen Leitkulturen der Welt auswirkt.
Die Praktiken anderer Kulturkreise dokumentieren auch heute noch die gute
Kenntnis solcher "Wissens"-Formen: Z.B. Sufi-Tänze in der islamischen Welt
und die rituellen Bewegungsformen in der
hinduistisch-buddhistisch-shintoistischen Welt. Dies ist alles ausführlich
unter folgender URL dokumentiert:
[53] Siehe hier auch die nahe
Verwandtschaft zu dem englischen Begriff
Carnal Knowledge, der auf einem
speziellen Kanon des früh-biblischen
Knowledge-Management beruht,
d.h. eine besondere Verschlüsselungstechnik, wenn wir dort immer wieder
lesen: "Und {Adam/ Noah/ Abraham/ Jakob/ Isaak/ ...}
erkannte sein Weib".
(Nach einer
well in-formed speculation hat es sich hier um eine ganz
spezielle Datenbank-Technik gehandelt). Siehe in diesem Kontext auch einen
Aufsatz von Vilem Flusser:
(URL)
(CD_local)
http://www.noologie.de/cunni03.htm#Heading8
[54] Welches wiederum der
Kern-Streitpunkt in dem Galileo-Prozess war (Redondi). Nietzsche hatte diesen
"Geburtsfehler" der westlichen Wissenschaften auch mit treffender Ironie in
seiner Passage über "die unbefleckte Erkenntnis" dargestellt (Zarathustra).
Denn dieses Geheimnis war offenbar so gut versteckt, daß man zu der Zeit
in der Kirche selber vergessen hatte, worum es sich eigentlich drehte.
[55] Aristoteles
übernahm sozusagen nur die "exoterische" Hälfte des Erbes von Platon,
und verwarf den "esoterischen" Teil (oder war einfach nicht darin eingeweiht
worden).