6. Die Prinzipien der Meta-Morphologie
AG-Schrift-Code: Meta-Morph
(Extrakt aus Goppold 2001d: "Medien, Macht und
Meta-Morphologie")
Zum
Verständnis der Prinzipien der
Meta-Morphologie müssen wir noch
einmal zurückfokussieren auf die Geschichte des Denksystems der vergangenen
Epoche des Aristotelischen Zeitalters. Die in der heutigen europäisch
geprägten Menschheit vorherrschende Denkstruktur ist
real, diskret,
logisch, begrifflich-punktuell und
topisch. Es gibt verschiedene
Darstellungen, was die Haupt-Charakteristik dieses Denksystems ist, z.B. nannte
es Gebser die
mentale Struktur, und nach dieser Sichtweise vollzog sich
der denkerische Umbruch der Achsenzeit auch als Übergang "vom Mythos zum
Logos". Die Denkstruktur der Vorzeit wird je nach Standpunkt des Autors z.B. die
mythisch-
magische, (Gebser 1973) oder auch die
primitive
(Hallpike 1990) genannt. Die entscheidende Rolle, die das Alphabet in diesem
Prozess gespielt hat, ist hauptsächlich durch die Arbeiten der
McLuhan-Schule herausgestellt worden. (Havelock, Kerckhove, Skoyles...). In
allen gängigen Selbst-Darstellungen der Philosophie wird dieser Durchbruch
im bewährten apologetischen Muster dargestellt, in der Weise, daß das
frühere Denksystem defizitär gewesen sei, und der Durchbruch zur
Logos-Denkstruktur also nur als positiver Fortschritt zu betrachten
sei.
[75]
1. Die morphische Denkstruktur
Allerdings wird bei anderer Betrachtungsweise offenbar,
daß dieser Fortschritt einen hohen Preis gekostet hat, nämlich den
Verlust eines anderen Denkvermögens, das die Menschen der Vorzeit noch
beherrschten, und dessen Fehlen einer der Hauptgründe für die
Problematiken der modernen Zivilisation ist. Dieses Denkvermögen soll hier
das
morphische genannt werden.
[76] Die
Charakteristik der
morphischen Denkstruktur ist:
ana-logisch,
feldhaft, gestalthaft, holistisch, und
kontinuierlich.
[77] Vermutlich stehen
hinter den Unterschieden der Denkweise auch
verschiedene Ausbildungen
zentraler neuronaler Strukturen, die genetisch angelegt sind. Dies soll hier
hypothetisch dargestellt werden: Das Aristotelische Zeitalter heißt auch
Sieg und Weltherrschaft eines bestimmten
Menschen-Typs, der die Oberhand
über seine Artgenossen errungen hat. Wie einige Biologen annehmen, sind die
Zeiträume, in denen evolutionäre Entwicklungen stattfinden, wesentlich
kürzer als von dem konventionellen Neo-Darwinistischen Modell angenommen,
und so steht mit dem heutigen Homo sapiens urbanus schon praktisch eine neue
Menschen-Rasse auf diesem Planeten.
[78]
Der Fortschritt des
Human Genome Projekts wird es uns erlauben, die hier
hypothetisch gefaßten Darstellungen zu überprüfen. Bloom macht
an anderer Stelle eine Unterscheidung zwischen
introvertierten und
extrovertierten Charaktertypen.
[79] Hier
ein Hinweis von Spengler auf die spezielle Denkstruktur des
Morphologen:
. Spengler (1980: 137): Zur Naturerkenntnis
kann man erzogen werden, der Geschichtskenner wird geboren
2. Die Ausrottung der Morphiker: Genetic Engineering vor 2500 Jahren
Nach dieser Hypothese gibt es genetisch verschieden angelegte
Grundtypen neuronaler Organisation:
1) Ein Phänotyp einer Denkstruktur, die konkret, real,
und extrovertiert ist, der bevorzugt mental und aristotelisch
arbeitet, und
2) einen anderen Grundtypus, der mehr introvertiert ist, und
dessen Erlebnisformen morphisch sind.
Der morphische Typ ist heute
seltener,
[80] und von seiner Konstitution
labiler, weil er im Hobbes- Spencerschen
Kampf ums Dasein nicht dieselbe
Aggressivität aufbringt, wie der extrovertierte Typ. Vermutlich treten bei
diesem Typ auch bestimmte, heute als Psycho-Defekte bezeichnete Eigenschaften
wie Neigung zu
Epilepsie und
Trance, gehäuft auf. Betrachten
wir z.B. die Diskussion von Julian Jaynes. Er spricht zwar nicht in den
Kategorien von
morphisch und
aristotelisch, sondern von
bicameral und
monocameral.
[81] Er
vermutet in diesem Zusammenhang, daß der
bicamerale (morphische)
Typ früher häufiger auftrat, und z.B. mit anderen
Psycho-Phänomenen wie Wahrsagen, Halluzination, und Ekstase in Verbindung
stand, welche ja in den alten Mysterienkulten intensiv gepflegt wurden. Solche
Typen wurden im alten Israel
Nabijim genannt, und sie spielten eine
entscheidende Rolle in der Formation der Israelitischen Religion. Als diese sich
aber mit ihrem Priesterstand und Gelehrtenkaste institutionalisiert hatte, waren
die Nabijim nicht mehr vonnöten, und sie wurden ausgerottet wie Ungeziefer.
(Jaynes 1976: 299-313).
[82] Der Gründer
der islamischen Religion, Muhammed, wurde auch als der
Letzte Nabi
bezeichnet. (Man nimmt an, daß er Epileptiker war). In anderen Kulturen
waren diese Personen bevorzugt die oralen Gedächtnisträger, die
Sänger und Barden, auch
Aoidoi
genannt.
[83] Im Römischen weist die
Bezeichnung
Vates auf ihre parapsychologischen Fähigkeiten
hin.
[84] Nicht nur im alten Israel wurden
morphische Typen ausgerottet. Es ist ziemlich naheliegend, es als
eugenisches Programm in der europäischen Geschichte zu interpretieren,
daß Menschen mit morphischen Anlagen zumeist im geistlichen Stand, d.h. im
Zölibat landeten, so daß ihre genetische Veranlagung damit gezielt
ausselektiert wurde. Ebenfalls eine eugenische Komponente hatte die Vernichtung
der Hexen, denn deren Psychoprofil weist eindeutig auf
morphische
Charaktertypen hin. Bekannte morphische Charaktere der jüngeren
Vergangenheit mit kurzem, tragischen Lebenslauf finden sich in der
Romantiker-Bewegung, z.B. Novalis, Hoelderlin und Nietzsche. Die "Entzauberung
der Welt"
Berman (1983) war demnach ein Prozess, der
nicht nur in geistigen Gefilden stattfand, sondern auf ganz handgreifliche Weise
(mit den damaligen Methoden) "genetic-engineered" worden war.
3. Meta-Morphologie, Eine allgemeine Systematik von Patterns, ihren
Transformationen und Transmissionen
Aufbauend auf den Werken und Gedanken von J.W. Goethe, L.
Frobenius, O. Spengler, G. Günther, G. Bateson, C. Alexander. Grundthema
ist die Morphologie, im neuen Gewande der Neurowissenschaften, in Form
von Fuzzy-Logik und Fuzzy-Topologie Systemen. Das morpho-logische Denken
ist Denken in Feldern von Semantischen Konnektivitäten, die mit
morpho-logischen Operatoren transformiert werden.
Das morpho-logische Denken macht den Ansatz, die
ursprüngliche morphische Denkstruktur mit den neueren
Möglichkeiten des logischen Denkens in Übereinstimmung zu bringen.
Hierbei muß die Rolle der Schrift im Prozess der Entwicklung des logischen
Denkens berücksichtigt werden. Das morphische Denken ist der oralen,
epischen Tradition angepaßt, und das logische Denken an die
Schrift, bzw. sie ist ein Produkt derselben. Im Kontext einer ausgebildeten
logischen Schriftkultur wirkt morphisches Denken oft verwaschen,
mystisch, träumerisch, kurz gesagt: defizient. So
bewirkte die Romantiker-Bewegung zwar einen gewissen Aufmerksamkeitseffekt, aber
sonst hatte sie keine großen Auswirkungen auf den Gang der Weltereignisse,
die von der logisch-technisch rationalen, und kaufmännischen Denkstruktur
bestimmt wurden.
Der letzte große Versuch zum
morpho-logische
Denken war von Spengler gemacht worden. Sein großer Entwurf ist zwar
gescheitert, aber das liegt nicht daran, daß seine Intuition falsch war.
Und so finden sich unter den 1200 Seiten von "Untergang des Abendlandes"
genügend Hinweise und Materialien, mit denen man an eine Neukonstruktion
des Morphologischen Systems gehen kann.
[85]
Hier einige der Charakterisierungen, die Spengler zu seiner
Methode gemacht hat:
Spengler (1980: 68): ... diese Perspektive
legt den wahren Grund der Geschichte bloß. Sie läßt sich... nur
mit gewissen Anschauungen der modernsten Mathematik auf dem Gebiete der
Transformationsgruppen entfernt vergleichen.
Spengler (1980: 68): Die Stellung Goethes
in der westeuropäischen Metaphysik ist noch gar nicht verstanden worden. Er
war Philosoph. Er nimmt Kant gegenüber dieselbe Stellung ein wie Plato
gegenüber Aristoteles. Plato und Goethe repräsentieren die Philosophie
des Werdens, Aristoteles und Kant die des Gewordenen.
Goethe, in Spengler (1980: 130-131): Die
Gestalt ist ein Bewegliches, ein Werdendes, ein Vergehendes. Gestaltenlehre ist
Verwandlungslehre. Die Lehre von der Metamorphose ist der Schüssel zu allen
Zeichen der Natur.
Spengler (1980: 134): Richtung und
Ausdehnung sind die herrschenden Merkmale, durch die sich der historische und
der naturhafte Welteindruck unterscheiden.
Spengler (1980: 135): Alle Arten, die Welt
zu begreifen, dürfen letzten Endes als Morphologie bezeichnet werden.
Die Morphologie des Mechanischen und Ausgedehnten, eine Wissenschaft, die
Naturgesetze und Kausalbeziehungen entdeckt und ordnet, heißt Systematik.
Die Morphologie des Organischen, der Geschichte und des Lebens, alles dessen,
was Richtung und Schicksal in sich trägt, heißt
Physiognomik.
(Heute spricht man in diesem Zusammenhang in der Nachfolge der
Arbeiten von Bertalanffy, H.v. Foerster, Jantsch, Prigogine, in Begriffen wie
Offene Systeme, Irreversibilität, und dem
Zeitpfeil.)
(1980: 135): Die physiognomische Art der
Weltbetrachtung... Das bedeutet Morphologie der Weltgeschichte.
. (1980: 137): Zur Naturerkenntnis kann man
erzogen werden, der Geschichtskenner wird geboren
(1980: 138-139): "Das Bild der Geschichte -
sei es die der Menschheit, der Organismenwelt, der Erde, der Fixsternsysteme -
ist ein Gedächtnisbild. Gedächtnis wird hier als ein
höherer Zustand aufgefaßt, der durchaus nicht jedem Wachsein eigen
und manchem nur in geringem Grade verliehen ist, eine ganz bestimmte Art von
Einbildungskraft, die den einzelnen Augenblick sub specie aeternitatis, in
steter Beziehung auf alles Vergangene und Zukünftige durchlebt werden
läßt; es ist die Voraussetzung jeder Art von
rückwärtsgewandter Beschaulichkeit....
Ein wesentlicher Grund, warum Spenglers Arbeit zum Scheitern
verurteilt war, lag darin, daß er seiner Zeit zu weit voraus war. Die
Konzepte, die er zu denken versucht hatte, stießen noch zu sehr gegen die
Eckpfeiler der Mentalität des 19. Jh.'s. In den knapp hundert Jahren nach
der Erstfassung seines Werkes ging aber der Gang der Denk-Evolution der
Menschheit in eine Richtung, mit der das Denken Spenglers in neuer Form
"aufgehoben" werden kann. Dabei ist besonders der Fortschritt der formalen
Systeme der letzten Jahre zu beachten, die Emergenz neuerer mathematischer
Konzepte wie Neuro-Computing. Mit den formalen Hilfsmitteln der Schrift und der
Mathematik der letzten 2300 Jahre ist morphisches Denken schlecht zu
vereinen. Um den Schritt vom defizitär rudimentär morphischen
zum morpho-logischen Denken zu bewältigen, benötigt man
andersartige Hilfsmittel als Denkprothesen, um diese äußerst
schwierigen geistigen Operationen zu unterstützen und vor dem Entgleiten
ins Phantastische, Nebulöse, und Mystische zu bewahren. Das war auch die
Falle, in die Spengler getappt ist, in schöner Gesellschaft mit Goethe,
Novalis, und einer Menge anderer Romantiker. Hier kommen die neueren
Entwicklungen des Neuro-Computing zum tragen. Die fundamentale Arbeitsweise des
Nervensystems weist wesentliche Ähnlichkeiten mit den morphischen
Prinzipien auf. Sie ist feldhaft, kontinuierlich, selbst-rekursiv, dies wird in
neueren Arbeiten wie "Interne Repräsentationen" beschrieben. (Breidbach
1996). Heutige Neuro-Computing-Systeme sind in der Lage, die grundlegenden
morpho-logischen Operationen formal und operational intersubjektiv gesichert zu
realisieren, für Goethe und Spengler wäre das der ultimate Wunschtraum
gewesen. Damit wird der formale Durchbruch von Pascal und Leibniz, zur
mechanischen Beherrschung der Aristotelischen Formalstruktur, heute auch
für die Post-Aristotelische Struktur möglich, in der Form
morpho-logischer Maschinen.
4. What Is It Like to be a General Neuronal Net ?
Der Untertitel soll an den bekannten Aufsatz von Thomas Nagel
erinnern: "What Is It Like to be a Bat?" Die Idee ist hier, daß wir uns in
einem Gedankenexperiment vorstellen wollen, "wie es wirklich ist", wenn wir
existenziell der "blinde Passagier" in einem Braitenberg-Vehikel sind
(Holthausen in Breidbach (1996: 92-110)), und uns plötzlich in dieser
fremden Welt der neuronalen Impulsfelder vorfinden. Als bildliche
"Einstiegshilfe" verwende ich dazu das bekannte Bild von Flammarion, dessen
Wirkung Karl Clausberg in seinem Buch: "Neuronale Kunstgeschichte" mit folgenden
Worten beschrieben hat:
Clausberg (1999: 305): [Diese Aufgabe]
"richtet sich auf die unbekannten, noch nicht benannten, kaum denkbaren Dinge
jenseits des Sprachkokons, den Wilhelm von Humboldt als Mittler zwischen Mensch
und Welt beschrieben hat"
und:
Clausberg (1999: 307): "Das ins Auge Fassen
unbeschreiblicher Seherfahrungen".
Clausberg (1999: 289): In diesem noch heute
so beliebten pseudomittelalterlichen Weltbild mit spektakulären
Sphärendurchbruch hat die intellektuelle Mobilisierung neurokultureller
Rückkoppelungsprozesse - eine wesentliche Voraussetzung unserer so
erfolgreichen Technozivilisation - ikonenhafte Ausprägung
gefunden.
In sehr ähnlicher Weise formulieren es McLuhan und
McLuhan in "Laws of Media":
McLuhan (1988: 5): The obligation to
explore, to find words for the inarticulate, to capture those feelings which
people can hardly even feel, because they have no words for
them...
In diesem Sinne möchte ich das Flammarion-Bild
wörtlich nehmen, um einen "Einstieg" in eine ungewohnte Erlebniswelt zu
finden.
Um uns weiter einzustimmen, uns in die fremdartige Welt der
neuronalen Impulsfelder in unserem Kopf zu begeben, möchte ich noch ein
anderes Bild des "blinden Passagiers" verwenden, das von Maturana und Varela,
aus "Baum der Erkenntnis" (p. 149-150) stammt, nämlich das Uboot. Es
gibt wohl kein treffenderes Bild der operationalen Geschlossenheit (p. 146) des
Nervensystems als das Uboot. Ich möchte dieses Bild vor allem
deshalb einführen, um eine weitere Assoziation aufzubauen, und zwar zu den
Beatles, deren Song "Yellow Submarine" wohl einen bestimmten Zeitgeist der 60er
und 70er Jahre ausgedrückt hat.
Die Überleitungen der Gedanken-Bilder, die ich jetzt
mache, sind Bestandteil der morphologischen Methode, die ich Ihnen
vorstellen möchte, und Sie kennen sicher die entsprechenden
computer-graphischen Anwendungen des "Morphing". In der Kunsttheorie
sprechen wir hier von Meta- und Ana- Morphosen, und in den
Textwissenschaften spricht man von Metaphern und Allegorien.
Wenn wir an die Beatles und den Song "Yellow Submarine"
denken, dann denken wir auch gleich an "Lucy in the Sky with Diamonds".
(Zumindest diejenigen, die diese Zeit mitbekommen haben). Dies bietet uns dann
den geeigneten Übergang, den wir noch brauchen, um eine Neuronen-Netz
Interpretation des Flammarion-Bildes zu
machen.
[86] Also stellen wir uns vor, daß
wir jetzt gerade der Missionar auf dem Bild sind, und wir machen einen Head-Trip
der Manier "Lucy in the Sky with Diamonds" und so dringen wir jetzt in den
inneren Kosmos unseres Nervensystems vor. Damit kann ich Sie auch gleich in
weitere morphologische Techniken einführen, hier sind es
Umkehrungen
der
Projektionsrichtungen, von
Konkav nach
Konvex, von
Innen nach
Außen, und von
Bild und
Hintergrund
(Figure-Ground-Inversion). Die Kugelschale ist natürlich der Schädel,
und das Flammarion-Bild ist morphologisch transformiert, und die Projektion
umgekehrt. Dieses morphologische Instrumentarium war ebenfalls das Handwerkszeug
der Exegeten und Allegoristen, und ist z.B. von McLuhan in seinen Werken
beschrieben worden, wenn auch unter anderem Namen. Ich zeige Ihnen noch ein
anderes bekanntes Figure-Ground
Kippbild, das diesem Mechanismus
veranschaulicht. Dieses Bild zeigt uns auch als Beispiel, wie das Nervensystem
für uns automatisch morphologische Operationen durchführt, die auch
als
neuronale Attraktoren bezeichnet werden.
Die Boring Frauen: Gestalt-Bild zur Demonstration neuronaler
Attraktoren
Die Assoziation mit den Beatles-Songs löst unsere
nächste Frage, als was wir uns nun die neuronalen Impulsfelder darstellen
wollen. Nämlich nach "Lucy in the Sky with Diamonds" als ästhetisches
Klang- und Lichterlebnis, bei dem die Impulse an Axonen und Synapsen mit kleinen
farbigen Lichtblitzen aufleuchten, sowie als Töne. Akustisch können
wir uns die Funktion des Nervensystems wie eine gewaltige vieldimensionale
kontrapunktische Komposition vorstellen. Ich habe dieses Bild in einigen meiner
Schriften weiter ausgeführt,
[87] und es
gibt ja in der Literatur ebenfalls diverse solcher Beschreibungen (z.B. das
Pribramsche Hologramm-Modell des Gehirns). Wie ich festgestellt habe, ist diese
Darstellung des Nervensystems den uralten pythagoräischen und orphischen
Mythen morphologisch so nah verwandt, daß ich in diesem Zusammenhang von
einer
Neo-pythagoräischen Darstellungsweise spreche. Ich meine damit
natürlich nicht, daß die alten Pythagoräer und Orphiker
neuronale Modelle im Sinn hatten, sondern, daß zur damaligen Zeit nicht so
strikt zwischen Innen- und Außenwelt unterschieden wurde, wie heute, und
es einem Pythagoräer daher sehr leicht faßbar gewesen wäre, wenn
man ihm die heutige neuronale Konzeption erklärt hätte. (Dazu auch die
Arbeit von Julian Jaynes 1976). Ich möchte das gleich noch ein wenig
verdeutlichen: Wenn Sie in einem absolut schall-isolierten Raum sitzen (z.B. in
einer tiefen Höhle, wie Pythagoras auf Samos), hören Sie nach einiger
Zeit zwei Geräusche, ein hohes Singendes, und ein dunkles, Brausendes, dies
sind physiologisch die akustischen Peiltöne des Innenohrs und das
Geräusch des pumpenden Blutes. Wahrscheinlich sind es diese Geräusche,
die zum Ausgangspunkt der früheren Vorstellungen von der
Sphärenmusik der Pythagoräer und des
Anahat Nadam im
Yoga wurden.
Dies also zur Einleitung: "What Is It Like to be a General
Neuronal Net?" Eine ziemlich psychedelische Erfahrung. Natürlich kann ein
GNN sich nicht selber "hören" und "sehen", sondern seine Impuls-Patterns
sind das einzige, was es überhaupt "wahrnehmen" kann. Ich habe diese
Situation in einem Aphorismus in Anklang an Whitehead als das "
reformed GNN
Universe of Metapatterns principle"
bezeichnet:
[88]
"Apart from the process patterns of General Neuronal
Networks, there is nothing, nothing, nothing, bare nothingness."
Zur Überleitung möchte ich noch die Diskussion
erwähnen, die Schopenhauer auf einen Aussprch von Leibniz machte: Der
sagte, daß Musik Erleben ein unbewußtes Rechnen unserer Seele (bzw.
heute: unseres Nervensystems) ist, worauf ihm Schopenhauer ca. 150 Jahre
später antwortete: Musik ist eine unbewußte metaphysische Übung
der Seele.
Schopenhauer (1977):
(§ 52, p. 335) ... die Musik... Wir
erkennen in ihr nicht die Nachbildung, Wiederholung irgendeiner Idee der Wesen
in der Welt: dennoch ist sie eine so große und überaus herrliche
Kunst, wirkt so mächtig auf das Innerste des Menschen, wird dort so ganz
und so tief von ihm verstanden, als eine ganz allgemeine Sprache, deren
Deutlichkeit sogar die der anschaulichen Welt selbst übertrifft; -
daß wir gewiß mehr in ihr zu suchen haben, als ein "exercitium
arithmeticae occultum nescientis se numerare animi", wofür sie Leibniz
ansprach
[89] und
dennoch ganz recht hatte, sofern er nur ihre unmittelbare und äußere
Bedeutung, ihre Schale, betrachtete. Wäre sie jedoch nichts weiter, so
müßte die Befriedigung, welche sie gewährt, der ähnlich
sein, die wir beim richtigen Aufgehn eines Rechnungsexempels empfinden, und
könnte nicht jene innige Freude sein, mit der wir das tiefste Innere unsers
Wesens zur Sprache gebracht sehn. Auf unserm Standpunkte daher, wo die
ästhetische Wirkung unser Augenmerk ist, müssen wir ihr eine viel
ernstere und tiefere, sich auf das innerste Wesen der Welt und unsers Selbst
beziehende Bedeutung zuerkennen, in Hinsicht auf welche die
Zahlenverhältnisse, in die sie sich auflösen läßt, sich
nicht als das Bezeichnete, sondern selbst erst als das Zeichen verhalten.
Daß sie zur Welt, in irgend einem Sinne, sich wie Darstellung zum
Dargestellten, wie Nachbild zum Vorbilde verhalten muß...
(§ 52, p. 345-346): Wenn ich nun in
dieser ganzen Darstellung der Musik bemüht gewesen bin, deutlich zu machen,
daß sie in einer höchst allgemeinen Sprache das innere Wesen, das
Ansich der Welt, welches wir, nach seiner deutlichsten Äußerung,
unter dem Begriff Willen denken, ausspricht, in einem einartigen Stoff,
nämlich bloßen Tönen, und mit der größten
Bestimmtheit und Wahrheit; wenn ferner, meiner Ansicht und Bestrebung nach, die
Philosophie nichts anderes ist, als eine vollständige und richtige
Wiederholung und Aussprechung des Wesens der Welt, in sehr allgemeinen
Begriffen, da nur in solchen eine überall ausreichende und anwendbare
Übersicht jenes ganzen Wesens möglich ist; so wird wer mir gefolgt und
in meine Denkungsart eingegangen ist, es nicht so sehr paradox finden, wenn ich
sage, daß gesetzt es gelänge eine vollkommen richtige,
vollständige und in das einzelne gehende Erklärung der Musik, also
eine ausführliche Wiederholung dessen was sie ausdrückt in Begriffen
zu geben, diese sofort auch eine genügende Wiederholung und Erklärung
der Welt in Begriffen, oder einer solchen ganz gleichlautend, also die wahre
Philosophie sein würde, und daß wir folglich den oben
angeführten Ausspruch Leibnizens, der auf einem niedrigeren Standpunkt ganz
richtig ist, im Sinn unserer höheren Ansicht der Musik folgendermaßen
parodieren können: Musica est exercitium metaphysices occultum nescientis
se philosophari animi. Denn scire, wissen, heißt überall in abstrakte
Begriffe abgesetzt haben. Da nun aber ferner, vermöge der vielfältig
bestätigten Wahrheit des Leibnizischen Ausspruchs, die Musik, abgesehn von
ihrer ästhetischen oder innern Bedeutung, und bloß
äußerlich und rein empirisch betrachtet, nichts anderes ist, als das
Mittel, größere Zahlen und zusammengesetztere
Zahlenverhältnisse, die wir sonst nur mittelbar, durch Auffassung in
Begriffen, erkennen können, unmittelbar und in concreto aufzufassen; so
können wir nun durch Vereinigung jener beiden so verschiedenen und doch
richtigen Ansichten der Musik, uns einen Begriff von der Möglichkeit einer
Zahlenphilosophie machen, dergleichen die des Pythagoras und auch die der
Chinesen im Y-king war, und sodann nach diesem Sinn jenen Spruch der Pythagoreer
deuten, welchen Sextus Empirikus (adv. Math., L. VII) anführt: to arithmo
de ta pant' epeoiken (numero cuncta assimilantur).
[75] Dies muß man als
Ausdruck einer eurozentrisch- ratiozentrisch- logozentrisch- evolutionistischen
Sichtweise ansehen, die die dominante europäische Denkstruktur des
Aristotelischen Zeitalters metaphysisch überhöht als
summum
bonum darstellt. Goppold (1999d: 191-202):
Weiteres Material:
->:
ARISTO_EPOCHE, p.
Fehler! Textmarke nicht definiert.
[76] Goppold (1999d:
128-132).
[77] Wie ich in meinen
Schriften ausführe, arbeitet das Gehirn grundsätzlich als
Pattern-Processor, die formalen und logischen Operationsmodi sind auf
Pattern-Stabilisierung durch die Schrift zurückzuführen, d.h. das
Aristotelische Denken ist
Schrift-Denken.
[78] Howard Bloom: "Instant
Evolution",
(URL)
http://www.howardbloom.net
[79] Hier auch Howard Bloom,
in Telepolis: History of the Global Brain XVI,
"Pythagoras, Subcultures, and Psycho-Bio-Circuitry (570-399
b.c.)"
(URL)
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/glob/default.html
[80] Es ist nach dieser
Hypothese schwer abzuschätzen, ob der morphische Typ aufgrund von aktiver
Gegen-Selektion heute rezessiv geworden ist, und praktisch vor der Ausrottung
steht. Siehe dazu die folgenden Diskussionen.
[81] Ich teile nicht seine
Interpretaton des
Bicameral Mind, sondern beziehe mich nur auf seine
Daten.
[82] Jaynes (1976: 312): "If
parents catch their children naba-ing or in dialogue with bicameral voices, they
are to kill them on the spot (Zechariah 13, 3-4)."
[83] Goppold (1999d:
206-218), (1999h), (1999i).
[84] Die Aufgabe des
Vates war die Prophesie aus Omen, z.B. Eingeweide- und Vogelschau
(Auspicium = Avis-specium). Hier handelt es sich um
Pattern Processing
Aufgaben, die besondere Sensitivität erforderten, denn nach der antiken
Anschauung waren alle Patterns der Lebewesen (einschließlich des Kosmos,
also der Astrologie) miteinander verbunden, und nach den Entsprechungsgesetzen
sind turbulente Phänomene (Wolken, Wellen, Vogelflug) besonders für
Prophesie geeignet.
[85] Die Basis der Arbeiten
Spenglers dazu wird an anderer Stelle weiter ausgeführt.
Siehe Goppold, A. (2001c) "Der unbekannte Visionär Oswald
Spengler"
[86] Eine weitere Assoziation
zu dem Beatles-Song "Yellow Submarine" ist das Buch von Jules Verne mit dem
Uboot
Nautilus (
nao-telos) und dem Kapitän
Nemo. Ich
kann dieses morphologische Assoziationsnetz leider hier nicht weiter verfolgen,
aber ich habe die Nautilus-Saga in einem meiner Artikel (Goppold 2000a) mit der
homerischen Odyssee in Verbindung gebracht, dies ergibt sich unter anderem
über die Parallele des Griechischen
Outis-Oudeis-Odysseus
(
Niemand, aus der Polyphem-Episode) =
Nemo, aber es lassen sich
noch viele weitere interessante morphologische Affinitäten finden, wie
noo-telos <->
nao-telos. Beachten Sie auch bitte, was
R.A.Wilson in seinem "Illuminatus" Epos daraus gemacht hat.
Siehe auch: "Metapatterns of Recurrence: Pythagoreanism and
the Spindle of Time"
[87] Goppold (1999g -
2001a).
[88] Goppold (1999g, 1999h,
1999i, 2000a, 2000e, 2001a).
[89] Leibnitii epistolae,
collectio Kortholti: ep. l54.