7. Peri mnaemae kai ana-mnaesis, peri ais-thaesis kai phainosis
Ein Neuro-Ästhetischer Aufstieg zu den
Ur-Sprüngen, An-Fängen, und Auf-Gängen des abendländischen
Denkens
[90]
AG-Schrift-Code: Neuro-Mnaeme
Andreas Goppold
7.1. Einführung: Proimion
Please allow me to introduce myself, I am
a man of mnaemae and phrenae, Mnemo is my name, and
peirasis is my game.
[91]
Nemo (=
outis,
maedeis,
oudeis
-> Odysseus, Od. 9,366), der Kapitän (
gubernator =
kybernaetaes)
[92], der seine Fahrten in
einem {unsichtbaren / untergetauchten / untergegangenen} Schiff
(
nao-telos, ->
naos, ->
argo) (in Gedanken ->
noos, ->
nous) unter der Oberfläche des sichtbar
Wahrnehmbaren (des
phainomenon), daher im Verborgenen (
mae-phaino)
durchführt.
Mnemo verbindet Erinnerung,
mnaemo-synae (->
sym-plexis,
sym-ballein,
syn-apsis) und
Erscheinung
im
Gedächtnis:
mnae-phaino- /
phaisto- ->
phaino-menon ->
ho phainon ->
phos ->
phonae, als Aufscheindendes (
phaino-menon) in Form
(
mor-phae) von Gesehenem (
phos) und Gehörtem (
phonae).
[93]
7.2. Aufstieg: Ana-Basis
Unser Aufstieg (ana-basis) zu den archai, den
"Ur-Sprüngen, An-Fängen, und Auf-Gängen" des abendländischen
Denkens beginnt mit einer kurzen ana-mnaesis einiger Kerngedanken in der
Philosophiegeschichte zu unserem Thema.
Heraklit, B 64:
ta de panta oiakizei Keraunos: Das Steuer
des Alls führt der Keraunos.
ean mae elpaetai anelpiston ouk
exeiraesei, anexereinaeton eon kai aporon
Wer Unerhofftes nicht erhofft, kann es
nicht finden: unaufspürbar ist es und unzugänglich
potamois tois autois embainomen te kai
ouk embainomen, eimen te kai ouk eimen
In die gleichen Ströme steigen wir
und steigen wir nicht; wir sind es und sind es nicht.
Heraklit, A3:
panta rhei - Alles ist in
Fluß.
Platon
Timaios
,
27d-28a:
Zuerst nun haben wir meiner Meinung nach
folgendes
zu unterscheiden: Was ist das stets
Seiende und kein Ent-
stehen Habende und was das stets
Werdende, aber nimmer-
dar Seiende; das eine ist durch
verstandesmäßiges Denken (28 a)
zu erfassen, ist stets sich selbst
gleich, das andere dagegen
ist durch bloßes mit vernunftloser
Sinneswahrnehmung ver-
bundenes Meinen zu vermuten, ist werdend
und vergehend,
nie aber wirklich
seiend.
Augustinus
: Retractationes, I 12, 3:
Die Wirklichkeit selbst nämlich, die
man heute als christliche Religion bezeichnet, bestand auch schon bei den Alten,
ja, sie fehlte niemals seit Beginn der Menschheit, bis daß Christus im
Fleische kam; seither begann man lediglich, die wahre Religion, die schon immer
bestand, die christliche zu nennen.
Hoffmeister (1955: 433):
Locke: Nihil est in intellectu, quod non
prius fuerit in sensu
Leibniz: Nisi intellectus
ipse
Locke: Nichts ist im Geiste, was nicht
vorher in den Sinnen war
Leibniz: Ausgenommen der Geist
selber
Albertino, in Bruno
(1973)
, 143:
Nachdem ich lang' nur Heu und Stroh
gefressen,
Bei Ochsen, Schafen, Böcken, Eseln,
Pferden,
- Wünsch ich auf eurer Schulbank
hingesessen
Mit bessrer Geisteskost genährt zu
werden!
Whitehead (1967, 4):
It requires a very unusual mind to
undertake the analysis of the obvious.
Die Bewußtseinsgeschichte des
Abendlandes und der weltgeschichtlichen Epoche, der Europa angehört, ist zu
Ende. Das zweiwertige Denken hat alle seine inneren Möglichkeiten
erschöpft, und dort wo sich bereits neue spirituelle Grundstellungen zu
entwickeln beginnen, werden sie gewaltsam in dem alten längst zu eng
gewordenen klassischen Schema interpretiert. Man kann eben eine alte Logik nicht
ablegen wie ein fadenscheinig gewordenes Kleid. Der Übergang von der
klassisch-Aristotelischen Gestalt des Denkens zu einer neuen und umfassenderen
theoretischen Bewußtseinslage erfordert eine seelische Metamorphose des
gesamten Menschen. Einer nicht-Aristotelischen Logik muß ein
trans-Aristotelischer Menschentypus entsprechen und dem letzteren wieder eine
neue Dimension menschlicher Geschichte.
7.2.1. Klangfelder und
Morphogramme
Eine wesentliche Arbeitsmethode der vorliegenden Untersuchung
ist der Zugang über die Klangfelder
[94]
der griechischen Worte, die als
Morphogramme interpretiert werden.
Mor-phae- gramma: eine
Klang-Form, wie sie mit den
grammata
(Buchstaben) aufgezeichnet werden kann. Eigentlich also ein
mor-phae-phono-gramm, dessen Klangform (
phonae-mor-phae) sich mit
einem geeigneten multimedialen System darstellen ließe. In der Linguistik
gibt es ein ähnliches (aber anders gebrauchtes) Konzept des
Morphems. Die Theorie dieses Vorgehens wird weiter unten ausgeführt,
jetzt wird sie nur eingesetzt.
7.2.2. Über den Abgrund der
Zeiten
Wie können wir uns der Denkungsart der Kulturheroen
Altgriechenlands nähern, den Sängern, Dichtern, und Denkern, von denen
der geistige Strom entsprungen ist, der die
Abendländische Kultur
genannt wird? Ca. 2400 Jahre trennen uns von Platon und Aristoteles, ca. 2800
Jahre von Homer, ca. 3200 Jahre von dem, was Homer
besingt.
[95] Wie überbrücken wir den
den Abgrund (
chasmos)
[96] der Zeiten
(
chronos) der uns trennt von Homer, Hesiod,
Orpheus,
[97] Anaximander, Heraklit, Parmenides,
und den anderen Vor-Sokratikern, die in der Philosophiegeschichte von Sokrates,
Platon, und Aristoteles sowie den späteren unterschieden werden. Whitehead
hat einmal gesagt: "The safest general characterization of western philosophical
tradition is that it consists of a sequence of footnotes to
Plato
". (Whitehead 1969
, 53).
Ähnliches, wenn auch nicht so pointiert, sagen auch andere
Philosophiehistoriker.
Jaspers (1967, 15): Plato ist der
Gründer für das, was erst seit ihm mit vollem Gewicht des Sinns den
Namen Philosophie trägt.
Jaspers (1967, 28): Platos Werk ist
sachlich erwachsen im Zusammenhang mit den alten und gegenwärtigen
Philosophen. Es ist, als ob alle vorhergehenden griechischen Gedanken, aus
vielen Quellen unabhängig von einander fließend, in Platos
umgreifendes Bewußtsein münden. Aber diese Herkünfte sind bei
ihm eingeschmolzen, weil in einen neuen Sinnzusammenhang aufgenommen... Plato
eignete sich fortschreitend die gesamte philosophische Überlieferung an. Es
gab den Kosmosgedanken der milesischen Philosophen (Thales, Anaximander,
Anaximines), des Anaxagoras und Empedokles... Es gab die bis heute gültigen
Seinserhellungen des Heraklit und Parmenides... Es gab die Ansätze von
Wissenschaften in Geographie und Medizin, und es gab die große, Plato
zeitgenössische, von Entdeckung zu Entdeckung schreitende Forschung in
Mathematik und Astronomie...
Bevor wir die Annäherung versuchen, er-innern wir uns
dessen, was wir nie er-innern werden können: die gewaltigen Textmengen
antiker Produktion,
[98] die mit den vielen
Bränden antiker Bibliotheken in Rauch und Asche aufgegangen sind, oder die
einfach vom Zahn der Zeit zerschreddert worden
sind,
[99] und uns damit unwiederbringlich
verloren sind. Was wir er-innern können, ist nur das, was uns die
unwägbaren Geschicke der Zeit
nicht ver
nichtet haben. Was wir
heute kennen, ist im wesentlichen das, was die christlichen Kopisten (bzw. ihre
Auftraggeber aus dcn höheren Rängen der christlichen Hierarchie) nach
dem Untergang des römischen Reiches für er-innerns-wert gehalten
haben. Was wir nicht mehr kennen, ist also das, was man damals entweder für
unwichtig gehalten hat, oder was als häretisches Material gleich ins Feuer
geworfen worden ist, auf daß es aus dem Gedächtnis der Menschheit
für immer gelöscht sei. Und natürlich wurden Autoren, deren Werke
schon in vielfacher Zahl kopiert waren, besser über die Zeiten gerettet,
als weniger bekannte. So sind uns Platon und Aristoteles besser als andere
erhalten geblieben.
[100] Ihre Werke stellen
so etwas wie eine eine Grenze (
pera) in unserem
Verständnisbemühen dar. Während wir zumindest
glauben,
[101] daß wir mit genügend
Interpretation auch verstehen können, was sie meinten, so verschwimmt das
Bild bei den älteren Autoren gänzlich. Unsere Problematik ist,
daß wir nicht wissen, wieviel wir von unserem heutigen Denken in ihre
Werke hineinprojizieren, und wieviel schon diejenigen hineinprojiziert haben,
die sie uns überlieferten. Denn die Werke von Homer sind z.B. schon in der
alexandrinischen Akademie erheblich redigiert worden, und der damaligen Schreib-
und Denkweise angepaßt worden. Wir müssen uns also zuerst mit den
Grenzen beschäftigen.
Peira bedeutet: Versuch, gemachte Probe, Erfahrung
(haben), aus Erfahrung wissen / belehrt sein. Das Klangfeld des griechischen
Morphogramms
[102] per- /
peir- verbindet sich noch mit folgenden anderen Klangfeldern:
peirazo: Der, der an (oder in)
die Grenzen führt:
Er führt auf hohe Aussichtspunkte, wie Berge oder Turmspitzen, um weite
Perspektiven aufzuzeigen. Gebser (1973: 38-59), (Matth 4,3-11; Luc. 4,3-13). Mit
der
anabasis ist eine Anstrengung verbunden, aber dann auch der Gewinn
einer Perspektive, einer Übersicht. In der christlichen Mythologie
muß er aber die undankbare Rolle des
Versuchers
spielen.
[103] In der älteren
Philosophie, vor dieser "Umwertung der Worte", hatte
peira- mehr mit
Ausprobieren (Empirie) und
Erfahrung zu tun.
peirasis: das an (oder in) die Grenzen Führen. In
christlicher Version: die Versuchung.
peirastaes = peirazo: Versucher, Verführer ->
erastaes: Liebhaber -> philaes
peirastikos: zum Versuchen / Probieren gehörig. ->
en-peiria / em-peiria
peirar / peiras / peiratos: Ende, Grenze, der höchste
Grad, das Ziel, Vollendung
peirata technaes: Vollender der Kunst
pera: Ort: darüber hinaus, Zeit: länger
peran: jenseits
peras: das Ende, das äußerste, Vollendung,
Vollbringung, Vollziehung
perasis: Durchgehen, Darübergehen,
Übersetzen
peratos: jenseitig
peratosis: Begrenzung, Endigung
peri- : rings herum
Im vorliegenden Kontext führt uns unsere
ana-basis
hin auf das nobelste und höchste Ziel, auf das
aristo
[105]-telos
[106].
Dies ist äquivalent mit der Bedeutung von
peras: "der höchste
Grad, das Ziel, die Vollendung". Bei diesem Unterfangen ist es gut, einen
erprobten, und bewährten
Führer
[107] zur Seite zu haben, einen,
der sich mit Grenzbereichen gut auskennt. Wen besseren könnten wir dazu
erwählen, als unseren bewährten Gefährten
Anaximandros? Es
sind nur ein paar Sätze von ihm überliefert, und der folgende
behandelt die Grenzen und Ursprünge der Dinge.
.
archaen ... eiraeke ton onton to apeiron /
Der Ursprung (oder: Anfang) der seienden Dinge ist das Unbegrenzte
(apeiron)
. ex on de he genesis esti tois ousi / Aus
welchen (seienden Dingen) die seienden Dinge ihre Entstehung
haben
. kai taen phthoran eis tauta ginesthai kata
to chreon / dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es gemäß
der Ordnung ist
didonai gar auta dikaen kai tisin allaelois
taes adikias kata taen tou chronou taxin / denn sie leisten einander Recht
und Strafe für das Unrecht (adikia
) gemäß
der zeitlichen Ordnung
(chronos
).
[108]
Heidegger sagt in seiner Besprechung der Physik des
Aristoteles in (1976b: 242):
Allerdings ist dieses [des Aristoteles]
erste denkerisch geschlossene Begreifen der physis auch bereits der
letzte Nachklang des anfänglichen und daher höchsten denkerischen
Entwurfs des Wesens der physis, wie er uns in den Sprüchen
von Anaximander, Heraklit, und Parmenides noch aufbewahrt ist.
Hier befinden wir uns also am Anfang (archae) der
Entwicklung, die als der "Übergang vom Mythos zum Logos" bezeichnet wird.
Einen Schritt weiter zurück, und wir befinden uns jenseits der Grenze, bei
Hesiodos, hier dargestellt in der Version von Ivan Illich (1988:
13):
At the time when heaven still embraced the
earth, when Uranus still lay with full-hipped Gaia, an aeon before the Olympian
gods, the Titans were born and with them, memory, or Mnemosyne. In
the Hymns to Hermes, she is called the Mother of the Muses. She is the earliest
of the goddesses, preceding even Apoll with his lyre. Hesiod mentions her as the
goddes of the first hour of the world... When the god Hermes plays to the song
of the Muses, its sound leads both poets and gods to Mnemosyne's wellspring of
remembrance. In her clear waters float the remains of past lives, the memories
that Lethe has washed from the feet of the departed, turning dead men into mere
shadows.
Hier finden wir auch den ersten Kernbegriff aus unserem
Titelthema: mnaemae: das Gedächtnis. Andere verwandte Formen
sind: mnaema, mnaemeion, mnaemo-syne. Der mythologische
Stammbaum der altgriechischen Götter, der von Hesiodos gelistet wird,
führt die mnaemosyne als eine der ältesten Göttergestalten
an. Wir können davon ausgehen, je älter, desto ursprünglicher,
und damit auch zentraler ist sie. Daher hat die mnaemosyne eine besonders
wichtige Stellung im Denken der archaischen Kultur. Alle epischen Dichtungen von
Homer und Hesiodos enthalten ausgiebige Huldigungen an sie. Ihre große
Bedeutung in dem vorschriftlichen Zeitalter, als die kulturellen Werte noch von
den Aoidoi (Sänger und Dichter) im Gedächtnis tradiert wurden,
als es noch keine Schrift, und keine Bücher gab, ist verständlich.
Natürlich wurde mnaemosyne nicht nur profan als Gedächtnis
begriffen, sondern als die Quelle der Inspiration, und der göttlichen
Eingebung, der Weissagung und der Prophesie.
mnaomai,
mnomai, und
mimneskomai
sind mit
mnaemae verwandte Verbformen. Jean Gebser (1973) hat das Feld
ähnlich klingender Wortformen in den indoeuropäischen Sprachen
untersucht:
Menis, Mens, Manas,
Mensch.
[109]
Ob das nach etymologischen Maßstäben machbar ist,
soll hier nicht behandelt werden.
ana-mnaesis: bedeutet
Er-Innerung. Damit
verwandte Verbformen sind
ana-mignymi,
ana-meignymi,
ana-mimnesko. Wir sehen daran, daß die Morphogramme
mnae- mign- meign-,
mimn- über ihre
ähnliche Bedeutung in Verbindung stehen. Man kann
anamnaesis auf
zwei Weisen verstehen: entweder als
ana- mnaesis, was einen Aufstieg oder
ein Entlanggehen (
ana-)
[110] andeutet,
und gut auf das Bild paßt, das Aristoteles in "peri mnaemae" mit dem
Entlanghangeln an einer Assoziationskette darstellt. Die andere Möglichkeit
ist
an-a-mnaesis.
a-mnaesis ist das Vergessen. a- bedeutet
Negation, und so ist die a-mnaesis die Negation von mnaemae.
an-a-mnaesis kann also auch als doppelte Negation gedeutet
werden.
7.2.7. laethae und a-laetheia
Ein damit nahe verwandtes Begriffspaar ist
laethae
(Vergessen) und
a-laetheia (Wahrheit, Wahrhaftigkeit). Wie Illich uns
oben darstellt, war
laethae in der Mythologie sowohl eine
Göttergestalt, als auch ein
Fluß, von dessen Wasser die Seelen
der Toten trinken mußten, wenn sie sich wieder auf die Welt in eine
Wiederverkörperung gebären lassen
wollten.
[111] Deshalb hat der philosophische
Begriff der
a-laetheia eine noch weitere mythische Bedeutung, der
über die philosophische Version hinausreicht.
Alaetheia bedeutet
nämlich damit "die Wieder-Er-Innerung"
ana-mnaesis, der Erfahrungen
aus einem {anderen/ früheren} {Dasein/
Existenzen}.
[112] Nach der Mythologie
(Iamblichos) ist diese Form der
alaetheia mit der Errungenschaft des
Pythagoras verbunden, der von den Göttern ein Geschenk bekommen sollte.
Zwar konnte er nicht unter die Unsterblichen aufgenommen werden, und so
wünschte er sich die
alaetheia seiner früheren Leben. Ihm blieb
also das Schicksal aller anderen Sterblichen erspart, zwischen Tod und
Wiedergeburt alle Erinnerungen an die früheren Leben zu verlieren.
Wir können die Begriffe in ein Kreuzverhältnis
(chiasma) setzen:
mnaemae a-mnaesis
an-a-mnaesis
a-laetheia laethe
Der interessante philosophische Bezug ist hier in der Analogie
zu sehen, die bei Platons an-a-mnaesis zwischen dem Er-innern und der
Findung der Wahrheit, a-laetheia besteht.
7.2.9. phaino, phos,
phonae
Um einen Zugang zu finden, was man in Altgriechenland beim
Sprechen und Hören dieser Worte verstand und empfand, untersuchen wir ihren
Gebrauch in den alten Werken und behandeln auch die benachbarten Klangfelder.
Das Verb
phaino bedeutet: Zum Licht
phos (Leuchten) oder
zum Klang
phonae
[113] (Klingen)
bringen.
Ho phainon ist auch der Name für den
Saturn, und es
ist ebenfalls der Beiname für den Schmiedegott
He-phaistos. Dieser
arbeitet sowohl mit hell glühenden und glänzenden Metallen, und bringt
sie mit seinem Hammer und Amboß zum hellen Klingen.
phoibos
ist der Lichtgott
Apollon
. Die Göttin
Athaenae wird auch
phain-ops oder
glaukops (die hell- oder
Eulen-Äugige) genannt.
Varianten von
phos
sind
phoos
und
phaos
,
phaous
,
photos
.
[114]
photisma
,
phoibos: Glanz,
hell erscheinend, blendend, schimmernd, leuchtend, funkelnd.
phoibasma, phoibetes: Prophet, Orakel, Weissagung.
phoinos
: Purpur, Phoenizisch,
dunkel rot (glühend).
phosphoros
: Glück, Heil,
Rettung.
Über
phaino sind
phos und
phonae
verbunden.
phonae ist
das Morphogramm, das mit allen Phänomenen des Klangs und der Stimme
verbunden ist.
phaemi heißt
Sprechen,
[115] phaemae heißt
Rede.
phthongae ist ein weiteres Wort für Ton und Klang.
7.2.10. ais-thaesis und phaino{p/e}sis
Wir wenden uns nun den beiden anderen Begriffen zu: der
ais-thaesis: (
Wahrnehmung), und der
phaino{p/e}sis:
(
Vorstellung).
[116] Die
phaino{p/e}sis ist ein Kunstwort, das wir für diesen Zweck bilden.
Wir kennen alle das
phaino-menon, das ja ein philosophischer
Zentralbegriff ist.
[117] Das Phänomen
ist
das, was erscheint (als das Wahrgenommene oder das Objekt), und die
phaino{p/e}sis ist der Prozess,
indem es erscheint.
ais-thaesis bezeichnet den Teil der
phaino{p/e}sis, in dem ein
Objekt der äußeren Wahrnehmung wahrgenommen wird
(
Ding-Gebilde), oder auch
phainopsis. Das
nou-menon
kennzeichnet das Objekt der inneren Wahrnehmung (das
Denk-Gebilde), oder
auch
phainoesis.
[118] Schopenhauers
(1977) Begriff der
Vorstellung erlaubt es, die beiden Seiten dieser
Differenzierung im Blickfeld zu behalten. Denn eine
Vorstellung ist
entweder das, was man als
Vorstellungsbild erfährt, als auch der
Prozess der Vorstellung, wie in einem Theaterstück
(
theatron).
7.2.11. Mor-pho-no-gramma
Dies läßt sich wieder in einem Diagramm darstellen.
Die
Welt ist alles (
ta panta, pragmata, chraemata) was über
die
aisthaesis erkannt werden kann. Oder wie Wittgenstein sagte: "Die
Welt ist alles, was der Fall ist".
[119] Auf
der anderen Seite haben wir die geistige Welt der
noesis, und der
noumena, der
Denk-Gebilde, die nach der metaphysischen /
idealistischen philosophischen Interpretation irgendwo im absoluten Geist
noos,
nous
gipfeln.
[120]
Welt
^
pragma, chraema (ding-Gebilde)
^
ais-thaesis . phai-no(p)sis
^
phai-no-men-on . theatron
v
phai-no(e)sis . theoria
v
nou-menon (denk-Gebilde)
v
nous
Wir finden in unserem Diagramm eine Anordnung der Morphogramme
thae-,
thea-,
theo-,
ais-,
phai-,
men-,
und
nou-. Die Anordnung der Morphogramme selber bildet wiederum ein
chiasma. Es ist nur etwas schwerer zu erkennen.
men- steht in der
Mitte, und wir können hier auch den
Menschen einsetzen, mit seinem
Erkenntnisvermögen.
[121]
ais-thaesis und
phai-no(p)sis stehen wiederum in Korrespondenz,
denn das, was man mit den Augen (ops) wahrnimmt, ist dem Bereich der
aisthaesis zugeordnet. Das
the- kommt sowohl in
ais-thaesis
wie in
the-oria und
theatron
vor.
[122] Das
theatron steht auch mit
phai-no(e)sis im Bezug.
no(e)sis bezieht sich auf die
nou-mena, die gedanklichen Dinge, und das
theatron war im alten
Griechenland der Schau-(
theoria)-Platz, auf dem die Götter, die
nou-mena, in der materiellen Sphäre der erkennbaren Phänomene
erschienen. Rein hypothetisch wollen wir solche Anordnungen von
Mor-pho-no-grammen eine
Mor-pho-no-grammatik nennen.
Der Prozesscharakter der Wahrnehmung enthüllt uns,
daß sie keinesfalls reine Rezeption ist (unbefleckte Erkenntnis, nach
Nietzsche), sondern Handlung. Nach Aristoteles finden wir hier den Unterschied
zwischen
poiaesis: der Handlung, die ein faßbares
Ergebnis
[123] zum Ziel (
telos) hat,
und
praxis: der Handlung deren Vollzug selber das Ziel ist, und der
theoria: der reinen Betrachtung.
[124]
7.3. Kata-basis: die neuronale Infrastruktur
"What goes up, must come down, that is the eternal
merry-go-round"
Katabasis: Hinabgehen, Rückzug, Rückkehr.
kata: herab, hernieder, gegen, abwärts, hindurch.
Wir kehren nun um und begeben uns in die Niederungen unserer
neuronalen Infrastruktur. Die vorgegangen Betrachtungen sollen nun mit einigen
Erkenntnissen aus der Neurologie verbunden werden. Da das Thema schon
hinreichend bekannt ist, brauchen wir hier nur wenig Zusätzliches zu sagen.
Wir beziehen uns auf die Ansätze, wie man Neuronen als Felder oder
Assemblies interpretieren kann, besonders auf eine Metapher, die man als
"Spin-Gläser"
[125] bezeichnet. Weiterhin
soll der dynamische Aspekt von Neuronenfeldern besonders akzentuiert
werden.
7.3.1. Die neuronale
Resonanz
Von den Sinneszellen werden die Wahrnehmungsleistungen in
Pulscodierungen der neuronalen Aktionspotentiale umgewandelt, und über
verschiedene Zwischenstufen (Ganglienknoten / Rückenmark) ins
Zentralnervensystem (Gehirn) geleitet. Von dort werden wiederum neuronale
Pulscodierungen an die ausführenden (motorischen, endokrinen,
exkretorischen) Körpersysteme geleitet. Das Gehirn befindet sich in
ständiger neuronaler Aktivität, und seine Struktur, die synaptischen
Verbindungen seiner Neuronen untereinander, ist in ständiger
Veränderung.
[126]
Während die Welt des Erlebens ihre charakteristischen sinnlichen
Qualitäten (Qualia) aufweist, ist die Arbeitsweise des neuronalen Systems
digital, sie beruht auf den Pulsfrequenzen der Aktionspotentiale.
Im folgenden soll das Grundprinzip der Arbeitsweise des
neuronalen Systems die
Neuronale Resonanz genannt werden. Die Neuronen
des Gehirns stehen in einem wechselseitigen Stimulationsprozess. Wenn man die
Potentiale während eines solchen Prozesses mißt, so kann man eine
Frequenz-Synchronisation feststellen. In Analogie zu klanglichen Phänomenen
läßt sich daher
Kommunikation als ein
neuronales
Resonanz-Phänomen auffassen. Es lassen sich somit Einschwing- und
Ausschwing-Phasen und
Periodizitäten, also
Rhythmen,
feststellen.
[127] Damit bilden Neuronenfelder
spatiale und temporale Muster aus.
Nun formulieren wir eine Arbeitshypothese: Worte müssen
ausgesprochen und verstanden werden, sie bauen also auf extrem subtile
neuro-muskuläre Konfigurationen auf. Es ist allseits bekannt, daß von
allen möglichen Phonemkombinationen jede Sprache nur eine sehr kleine
Untermenge verwendet, ein Indiz dafür, daß ein "Sprachzeichen", das
Wort, einem sehr engen Selektionskriterium folgen muß, um im
"Sprachschatz" seinen Platz zu finden. Dies kann begriffen werden als ein "Feld"
von aktiven, dynamischen, aufeinander einwirkenden neuronalen
Konfigurationen.
Die oben dargestellten Überlegungen zu der alten
griechischen Geisteswelt basieren auf der hypothetischen Arbeitsweise solcher
Neuronenfelder.
Morphae griech. Form, Gestalt, Geste, Muster, engl:
pattern
[128].
Es wird im vorliegenden Kontext keine starke Unterscheidung
zwischen den verschiedenen möglichen Bedeutungen von
Morphae
gemacht:
Muster (
pattern) ist die allgemeine (generische)
Bezeichnung für die unterscheidbaren Inhalte des Wahrnehmungsfeldes eines
allgemeinen neuronalen Systems.
[129] Mit
Form oder
Gestalt kann ein spezieller Bereich des gesamten Feldes
bezeichnet werden, der mit einer Auswahlfunktion (z.B. Bewußtsein) gerade
fokussiert wird.
[130] Ein Muster ist ein
Berkeleysches Gebilde (
esse est
percipi)
[131]. Seine "Existenz" (sein
Sein) ist nicht, wie von Berkeley postuliert, von Gott abhängig,
sondern davon, ob es von einem allgemeinen neuronalen System (biologisch oder
technisch) prinzipiell erkennbar ist.
7.3.3. Temporale Morphologie: Rekurrenz
und Musik
Eine Morphologie von
Mustern in der Zeit steht in
engster Beziehung zur
Musik. Die morphologische Definition von
Rhythmus ist die "
Erkennung /
Erzeugung eines Musters der
Rekurrenz".
[132] Rekurrenz basiert auf
neuronalen Muster-Erkennungsfunktionen, die
Ähnlichkeit feststellen.
Absolut
Gleiches gibt es, wie Nietzsche richtig bemerkte, in der Natur
nicht, sondern nur in der platonischen Welt der Logik und der Zahlen. Ein
Ton ist ebenfalls ein Muster der Rekurrenz, aber auf einer
tieferliegenden neuronalen Ebene. Das Erkennen eines
Verhältnisses von
Tönen (
Intervall) ist demnach Ergebnis eines
Mustervergleichs
höherer Ordnung (
Metapattern nach G. Bateson,
Meta-Muster).
[133]
Musik basiert auf Erzeugung und Wahrnehmung von temporalen Mustern und
Meta-Mustern. Das Pythagoräische System beruht auf dem Paradigma der
Betrachtung und Interpretation aller Abläufe des Kosmos und der
Menschenwelt auf der Basis solcher temporaler
Muster.
[134] Von besonderer Bedeutung sind
hierbei die
Wendungen bzw.
Kehren: musikalische:
strophae,
(
kata-strophae)
[135], und kosmische:
Tropae (
en-tropia). Die Einbettung der Musik in die kosmischen
Muster wird noch heute von der indischen Raga-Tradition
praktiziert.
[136]
7.3.4. Die Grenzen der Beobachtung
temporaler Muster
Die Grenzen der Wahrnehmung / Beobachtung temporaler Muster
werden auf der einen Seite durch die temporale Auflösung des menschlichen
neuronalen Systems bestimmt, und auf der anderen Seite durch das
Erinnerungsvermögen,
[137] und die
menschliche Lebensdauer. Kurz-periodische Muster bis ca. 10-20 KHz können
als
Töne akustisch wahrgenommen werden, während die untere
Auflösungsgrenze des optischen Systems bei ca. 1/10 Sec. liegt. Erst mit
elektronischen Hilfsmitteln wie Oszilloskopen und Spektrums-Analysatoren
läßt sich die Musterwelt der höheren Frequenzen sichtbar machen.
Bei sehr lang-periodischen Mustern, wie etwa Veränderungen des
Sternenhimmels (z.B. die Präzession der Equinoktien) muß die
Musterwahrnehmung über viele Generationen der Beobachtung und der
kulturellen Transmission gehen. Dies wurde schon von vor-schriftlichen Kulturen
beherrscht.
[138] Es ist ein wesentliches
Grundproblem der Geschichtsforschung, daß ihre Mustererkennung selbst ein
Produkt der kulturellen Transmission ist, die damit auch der aktuellen
Filterfunktion im Weltbild des Geschichtsforschers
unterliegt.
[139]
7.3.5. Metapattern, Hierarchie,
spatio-temporale Perspektiv-Muster
Metapatterns oder
Metamuster sind nach Bateson
Muster von Mustern. Hierarchische
Metapatterns sind eine spezielle
Klasse, die rekursiv in einer Ordnungsrelation von 1:n stehen. Wissenschaft
beruht auf Systemen von hierarchischen
Metapatterns.
[140] In Verallgemeinerung des
optischen Begriffs werden sie hier auch
Perspektiv-Muster oder kurz
Perspektiven genannt. Das Ziel der Morphologie ist die Erlangung von
möglichst weit- und tiefgreifender Perspektiv-Muster-Erkennung
über
Raum und Zeit (spatio-temporale
Perspektiven).
[141] Der emotionale
Erlebniswert der plötzlichen Eröffnung solcher Perspektiven, nach
langen, mühseligen Anstrengungen, ist deutlich aus den Berichten
Petrarcas,
[142]
Spenglers,
[143] und
Gumilevs
[144] zu erkennen.
7.3.6. Die Zeitstruktur des menschlichen
Erlebens
[@]
Alles, was im Leben eines Menschen
stattfindet, all sein
Erleben,
Handeln und
Erinnern,
passiert im Moment des
Jetzt, dem
Fokus des
Augenblicks.
[145] Dieser Augenblick mit
all seinen Geschehnissen und Erlebnissen, reißt den Menschen
unwiderruflich den Strom des Lebens entlang. Von diesem unwiederbringlichen
Augenblick handeln auch die schicksalsschweren Zeilen in Faust (11581-11594). In
der Neurophysiologie spricht man von dem
Drei-Sekunden-Bewußtsein
des Menschen (Pöppel).
[146]
Das
Handeln und
Erleben kann nur im Augenblick
stattfinden. Alles andere ist
Erinnerung und
Erwartung, die
ebenfalls nur im Augenblick stattfinden.
Erinnerung ist mit der
Vorstellung von der
Vergangenheit verbunden,
Erwartung mit der
Vorstellung von der
Zukunft. Die Zukunft ist uns im wesentlichen
verborgen. Unsere
Erwartungen bestehen im wesentlichen aus
Extrapolationen unserer Erinnerung, und Schlußformen, die auf
Mustervergleichen beruhen. Die bekanntesten davon nennt man
Induktion und
Kausalität, und sie lassen einige Aussagen über die Zukunft
zu.
[147] Heidegger hat in "Sein und Zeit"
eine ausführliche phänomenologische Beschreibung des Seins in der Zeit
und in der Welt gegeben.
[148]
Bazon Brock stellt die Beziehung von Vergangeheit und Zukunft
so dar:
Was in der Gegenwart von der Geschichte
verwirklicht werden kann - und uns Zukunft garantiert - ist gerade die
historische Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit alles Gewesenen. Das in der
Gegenwart präsent gehaltene Vergangene erzeugt uns gegenüber eine
schauernmachende Wirkung, weil es uns auf die Kluft verweist, die unsere
Vergangeheit und unsere Zukunft unüberbrückbar trennt. Was wir wollen,
ist eines, was daraus wird, ein anderes. Niemand - das sagen uns die Zeugnisse
der Vergangeheit - kann durch irgendwelche noch so heroische Anstrengungen
dafür garantieren, daß sich die Zukunft als Verwirklichung seiner
Pläne bestimmen läßt. Sie hat einen eigenen Plan, den erst zu
erkennen vermag, wer das Ende der Geschichte in der völligen Stillegung des
zeitlichen Vergehens erlebt hat. Das wird der Fall sein, wenn alles bisher
Vergangene simultan die lebendige Gegenwart ausmacht und daher nichts Neues mehr
geschehen kann. Da dieser Zustand menschlichem Bewußtsein niemals
zugänglich sein wird, bleibt es den Menschen verwehrt, von einem Plan der
Geschichte Kenntnis zu
nehmen.
[149]
7.3.7. Mnaemae, Gedächtnis, und
Erinnerung
Erinnerung basiert auf
Rekurrenz ähnlicher
Muster im neuronalen System. Das Gedächtnis ist seit Aristoteles Gegenstand
intensiver Forschung.
[150] Die
Grundfunktionen der neuronalen synaptischen Verbindung sind zwar prinziell
bekannt, aber wie (und wo) die neuronalen Prozesse für welche
Erinnerung(en) genau stattfinden, ist noch weitgehend
ungeklärt.
[151] Im vorliegenden
Zusammenhang sind die allgemeinen Phänomene der Muster-Transmission
vorrangig vor differenzierenden Unterscheidungen.
Erinnerung wird als
generischer Begriff für alle in diesen Bereich fallenden Phänomene
gebraucht, seine
deutsche Be-
deutung als
Er-innerung wird
mit Hegel
[152] zur Akzentuierung ihres
Prozesscharakters und der fortwährenden Neuschöpfung gewählt.
Dies positioniert den Gebrauch vor allem gegen den
Speicher-Aspekt, der
in heutige Diskurse vor allem mit Computer-Metaphern eingedrungen ist, so der
Verwechselung von
memory und
storage (bei Computer-Termini wie
etwa RAM: Random Access Memory). Menschliche Erinnerung ist dynamisch, ein
Prozess, und kein Repositorium, oder Datenspeicher.
7.3.8. Vergangenheit und
Selbst-Erinnerung
Selbst-Erinnerung ist der Schlüsselfaktor zur
Selbst-Identität des Menschen, und die absolute Schranke der
Selbst-Erinnerung ist der Tod, wenn man die Mythologie und die Esoterik einmal
außer acht läßt. Erinnerung zeichnet sich wesentlich dadurch
aus, daß sie unvollkommen und unzuverlässig ist. Generell ist
festzustellen, daß Erfahrungen umso schlechter erinnert werden, je
länger sie zurückliegen. Wenn es sich um Ereignisse handelt, die
häufig vorkommen, wird das Einzelereignis ebenfalls schlecht
erinnert.
[153] Heftige Emotionen wirken sich
verstärkend auf die Erinnerungsfähigkeit aus. Starke Schmerzen
vergißt man so schnell nicht wieder, und vor allem, man vergißt auch
ihre Begleitumstände nicht. Daher wurde Schmerz in vielen Kulturen
systematisch als Mnemo-Technik par excellence eingesetzt.
Nietzsche
stellte dies in seiner
"Genealogie der Moral
" so dar:
Vielleicht ist sogar nichts furchtbarer und
unheimlicher an der Vorgeschichte des Menschen, als seine Mnemotechnik. "Man
brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört
weh zu tun, bleibt im Gedächtnis" - das ist ein Hauptsatz aus der
allerältesten ... Psychologie auf Erden... Es ging niemals ohne Blut,
Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis
zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlingsopfer
gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die
Kastration), die grausamsten Ritualformen aller religiösen Kulte (und alle
Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) - alles das
hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste
Hilfsmittel der Mnemotechnik erriet... Je schlechter die Menschheit "bei
Gedächtnis" war, um so furchtbarer ist immer der Aspekt ihrer
Bräuche.
Zwischen der absoluten Schranke des Todes und dem
Jetzt, steht noch die kleine Schranke des Schlafes, in dem sich
jede Nacht die Selbst-Erinnerung ausschaltet, und dem Traumbewußtsein
weicht. Normalerweise wacht man am nächsten Morgen wieder mit einer
erneuerten Selbst-Erinnerung auf. Aber die Qualität der Erinnerung
an die Erlebnisse des heutigen Tages unterscheidet sich merklich von der des
letzten Tages. Es ist zwar noch die "Ich"-Erinnerung vorhanden, aber wie mit
einem Schleier überzogen. Und je weiter wir in unserer Erinnerung
zurückzugehen versuchen, desto schleierhafter wird diese.
7.4. Jean Gebser
7.4.1. Mythisch, magisch und
archaisch
Gebsers Entwicklungsgeschichte differenziert die
Geistesentwicklung nach etwa -600 als den Beginn der mentalen Struktur, und die
Periode davor in die archaische, die magische, und die
mythische Phase. Der Zeitpunkt um -600 entspricht dem Konzept der
Achsenzeit von Jaspers. Die Phasen davor lassen sich aufgrund der
schwierigeren Quellenlage nicht eindeutig bestimmen. Zu kritisieren wäre
bei Gebser wie bei Jaspers (neben anderen Punkten), daß die Einteilung
eurozentrisch ist, und daß eine neue, zu gewinnende
Bewußtseinsstruktur vor allem und zuerst von diesem Eurozentrismus
Abschied nehmen muß.
Menin aeide Thea -- vom Zorn singe mir, O
Göttin!
Menis -- dieses Wort ist das Anfangswort unserer
abendländischen Kultur, die obige Stelle stammt aus dem Anfang der
Ilias
, des ersten Gesangs der ersten großen
abendländischen Äußerung (GEBSER73
,
p.127), der
archae des westlichen, abendländischen Denkens.
Menis
ist ein Grundelement in dieser
archae. Wir
wollen jetzt einen tiefen Blick in einen der zentralen Abschnitte von Gebsers
großen Werk tun:
GEBSER73 (
126-129):
Um 500 v. Chr. vollzog sich in Griechenland (106), was seit etwa 1250 n. Chr.
durch den europäischen Menschen nachgeholt wurde, wobei aber für ihn
die Absprungbasis durch drei große Leistungen, die alle den
perspektivischen Ansatzpunkt bereits enthielten, verbreitert war: durch die
griechische Wissenslehre, die jüdische Heilslehre und die römische
Rechts- und Staatslehre.
Der Leser wird nun bei der Bezeichnung
"mental
" sogleich den Begriff
"Mentalität
" assoziieren, und zwar der
deutschsprachige Leser in einer ausschließlicheren Weise als zum Beispiel
der englische, französische, italienische oder spanische Leser, für
den das Wort "mental" ja noch einen lebendigen Inhalt besitzt. Durch eine so
einseitige Assoziation wird der Sinngehalt, den das Wort "mental" birgt, auf
eine unzulängliche Weise eingeschränkt, weil das Wort
"Mentalität" mehr als nur die moralische Komponente einer Gesinnung und
Einstellung zum Ausdruck bringt; dabei haben aber ihrerseits die beiden Begriffe
"Gesinnung" und "Einstellung" bereits durchaus perspektivischen
Charakter.
Wir wählen diese Bezeichnung
"mental" aus zweierlei Gründen zur Kennzeichnung unserer heute noch
vorherrschenden Bewußtseinsstruktur. Erstens enthält das Wort in
seiner ursprünglichen Wurzel, die im Sanskrit
"ma" lautet, aus welcher sekundäre Wurzeln wie
"man-" , "mat-", "me-" und "men-" hervorgingen,
nicht nur eine außerordentliche Fülle von Bezügen, sondern vor
allem drücken die mit dieser Wurzel gebildeten Wörter sämtlich
entscheidende Charakteristika der mentalen Struktur aus. Zweitens ist dieses
Wort das Anfangswort unserer abendländischen Kultur, denn es ist das erste
Wort der ersten Zeile des ersten Gesanges der ersten großen
abendländischen Äußerung: dieses Wort, "mental" ist in dem menin
(dem Akkusativ von: Menis) enthalten, mit dem die "Ilias"
beginnt.
Bei den Äußerungen, die aus der
mythischen Struktur hervorgehen, ist nichts zufällig, sondern alles
sinnentsprechend. Und sinnentsprechend ist es also wohl auch, wenn gerade mit
diesem Wort der uns bekannte früheste Bericht beginnt, der zum ersten Male
innerhalb unserer abendländischen Welt nicht nur ein Bild evoziert, sondern
eine geordnete, von Menschen und nicht ausschließlich von Göttern
getragene Handlung in einem gerichteten, also auch kausalen Ablauf
beschreibt.
Das griechische Wort menis, das
"Zorn" und "Mut" bedeutet, ist stammverwandt mit dem Wort menos,
das "Vorsatz, Zorn, Mut, Kraft" bedeutet und mit dem lateinischen
"mens" urverwandt ist, das ungemein komplexe Bedeutung hat: "Absicht,
Zorn, Mut, Denken, Gedanke, Verstand, Besinnung, Sinnesart, Denkart,
Vorstellung". Mit diesen Inhalten ist bereits das Grundlegende gegeben: es
handelt sich um das ansatzmäßige In-Erscheinung-Treten des
gerichteten Denkens. War das mythische Denken, soweit man es als ein
"Denken" bezeichnen darf, ein imaginierendes Bilder-Entwerfen, das sich in
der Eingeschlossenheit des die Polarität umfassenden Kreises abspielte,
so handelt es sich bei dem gerichteten Denken um ein grundsätzlich
andersgeartetes: es ist nicht mehr polarbezogen, in die Polarität, diese
spiegelnd, eingeschlossen und gewinnt aus ihr seine Kraft, sondern es ist
objektbezogen und damit auf die Dualität, diese herstellend, gerichtet, und
erhält seine Kraft aus dem einzelnen Ich.
Dieser Vorgang ist ein
außerordentliches Geschehen, das buchstäblich die Welt
erschütterte. Mit diesem Ereignis wird der bewahrende Kreis der Seele, die
Eingeordnetheit des Menschen in die seelische, natur- und kosmisch-zeithafte
polare Welt des Umschlossenseins gesprengt: der Ring zerreißt, der
Mensch tritt aus der Fläche hinaus in den Raum; ihn wird er mit seinem
Denken zu bewältigen versuchen. Etwas bisher Unerhörtes ist geschehen,
etwas, das die Welt grundlegend verändert. Der Mythos von der Geburt der
Athene malt es in Bildern und Bezügen, die eine deutliche Sprache sprechen:
Zeus vermählt sich mit der Metis, die als Personifikation der Vernunft und
der Intelligenz aufgefaßt wird, und als eine der Töchter des
weltumschließenden Okeanos
(-Stromes) die Gabe der
Verwandlung besitzt (107). Zeus jedoch verschlingt Metis, weil er die Geburt
eines Sohnes befürchtet, der mächtiger werden könnte als er, so
daß Metis, schon mit der Tochter schwanger, in seinen Leib versetzt wird.
Diese Tochter Athene
wird aus dem Haupte des Zeus
geboren, wobei ihm Hephästos
oder Prometheus
oder Hermes
mit einem Beile das Haupt spalten. Pindar
beschreibt diese durch den Beilschlag ausgelöste
Geburt, die unter furchtbarem Aufruhr der ganzen Natur und unter dem Staunen
aller Götter erfolgte. Das Meer (die große, umfassende Seele) wallt
hoch empor; der Olymp
und die Erde (die bislang polar
einander zugeordnet waren) erbeben (und das sorgsam beobachtete Gleichgewicht
ist gestört) ; ja selbst Helios
unterbricht seinen
Lauf (der Kreis ist tatsächlich unterbrochen worden, und aus der
Lücke, der Wunde, tritt eine neue Weltmöglichkeit
hinaus).
7.4.3. Manas, Mensch und
Men
GEBSER73
(129-131): Dem entscheidenden Bewußtseinssprung in der griechischen Welt
steht um 1225 v. Chr. ein Beispiel gegenüber, in einer Kultur, die
ebenfalls für die unserige konstituierend geworden ist, und in dem das
zürnende Element eine bedeutende Rolle spielt: der zürnende
Moses
, der mit der Schuld des Tötens behaftet ist,
ist der Erwecker des Volkes Israel
, dem er folgerichtig
den strafenden, einzigen Gott gegenüberstellt. Das ist die Geburt des
Monotheismus
: die Gegengeburt zu dem im Menschen erwachten
Ich. Und damit ist es die Geburt des Dualismus
:
hier Mensch, dort Gott, die sich dualistisch gegenüberstehen und sich
nicht mehr polar entsprechen oder ergänzen; denn der einzelne Mensch ist
nicht der Gegenpol zu Gott; wäre er es, bedürfte es nicht des
Mittlers. Hier entsteht bereits die Trinität
,
welche die dreidimensionale mentale Struktur mitcharakterisiert. Wir deckten
den Bezug auf, der zwischen dem Denken und dem Zorn, zwischen dem griechischen
"Menos
", dem lateinischen
"mens
" und der griechischen "Menis" besteht.
Der Zorn, nicht als blinder, sondern als denkender Zorn, gibt dem Denken und der
Handlung Richtung; und er ist rücksichtslos, das will besagen: er sieht
nicht nach rückwärts, er wendet den Menschen fort von der bisherigen
mythischen Welt der Eingeschlossenheit und ist vorwärtsgerichtet, wie die
zielende Lanze, wie der in den Kampf stürzende
Achill
. Er einzelt den Menschen von der bis anhin
gültigen Welt - der Ton liegt auf Mensch - und ermöglicht sein Ich.
Diese Betonung des Wortes Mensch ist durchaus nicht zufällig. Denn
ob "mens" , "Menis" oder "Mensch" - sie sind aus der gleichen
Wurzel.
Gehen wir diesen Zusammenhängen nach
(109), so ergibt sich die folgende Grundbezüglichkeit, in der die
mentale Struktur gründet: aus der Wurzel "ma", die "Denken" und "Messen"
bedeutet, gehen die Sekundär-Wurzeln "man", "mat", "me" und "men" hervor.
Der Wurzel "man-" entspringt das altindische
(Sanskrit
-)Wort "manas
", das
"innerer Sinn, Geist, Seele, Verstand, Mut, Zorn" bedeutet; und ihr entspringt
das Wort "manu", das im Sanskrit den "Menschen, Denker und Messenden"
bezeichnet; auf dieses Wort gehen ferner zurück (um nur einige zu
nennen): das lateinische "humanus", das englische "man", das deutsche
"Mann
", aus dessen Adjektivform "männisch" das Wort
"Mensch
" entstand.
Sehen wir davon ab, daß selbst das
lateinische "humus", das "Erde" bedeutet, hierher gehört (110), so
muß doch betont werden, daß außer dem Namen des indischen
Gesetzgebers "Manu
" auch der des kretischen Königs
"Minos
" und der des ersten "geschichtlichen" Königs
Ägyptens, "Menes
", auf diese Wurzel
"man
" zurückgehen dürften. Jedenfalls kann
es als erwiesen gelten, daß "Minos" geradezu der "Wäger"
beziehungsweise der "Messer" (der Wägende oder Messende) bedeutete (111),
womit auch inhaltlich seine Verwandtschaft mit dem indischen "Manu" gegeben ist.
Man dürfte nicht fehlgehen, wenn man in dem fast gleichzeitigen
Auftauchen dieser drei legendären Gestalten, die ein menschheitliches
Mutationsprinzip verkörpern, einen Hinweis auf eine erste
Sichtbarwerdung der mentalen Bewußtseinsstruktur erkennen wollte: denn wo
der Gesetzgeber in Erscheinung tritt und nötig wird, da ist das alte
Gleichgewicht (das ein polar-mythisches war) gestört, und es beginnt jenes
Setzen und Fixieren, das es wiederherstellen soll. Nur die mentale Welt bedarf
des Gesetzes, die in der Polarität geborgene mythische Welt bedarf seiner
nicht und kennt es nicht. Im frühgriechischen Kulturkreis dürfte
dieses mentale Prinzip nicht nur in den Namen "Menerfa, Metis, Hermes und
Prometheus" aufleuchten; vielleicht enthält auch der Name des Königs
von Mykene, Agamemnon, sicher wohl aber der des Königs von Sparta,
Menelaos, dieses mentale Prinzip, da alle diese Namen die Wurzel "ma: me"
beziehungsweise deren Sekundärwurzel enthalten. Auch mag es nicht
zufällig sein, daß um des Menelaos' Gemahlin Helena, welche die
Schwester der Klytaimnestra und die Schwägerin des Agamemnon war, jener
Trojanische Krieg entbrannte, der den Sieg des Vaterprinzips über das
Mutterprinzip darstellen dürfte (s. S. 223 42 u. 43).
Gehen wir jedoch den anderen
Sekundärwurzeln nach. Als zweite haben wir die Wurzel "mat" genannt. Aus
ihr entspringen die Sanskritwörter "matar" und "matram": "matar" wird zum
griechischen mates und metes (mater und meter gleich "Große Mutter"); aus
ihm bildet sich unter anderen unser Wort "Materie"; "matram", das ein
"Musikinstrument" bedeutet, kehrt in diesem Sinne im griechischen metson
(metron) wieder; aus ihm bildet sich unser Wort "Meter".
Schon hier sei darauf hingewiesen, was uns
später (s. S. 301 u. 333) ausführlicher beschäftigen wird:
daß die ursprüngliche Wurzel "ma: me" latent und komplementär
auch das weibliche Prinzip enthält. Denn das griechische Wort für
"Mond", men (men), geht auf diese Wurzel zurück. Und die
Sekundärwurzel "mat" erlebt ja in der heutigen patriarchalen Welt ihre
Glorifizierung, die sich in dem Beherrschtsein des rationalen Menschen durch die
"Materie" und den "Materialismus" zu erkennen gibt (112). War der Mond für
den frühen Menschen der zeitliche Maßstab, so ist die Materie
für den heutigen Menschen der räumliche
Maßstab.
Schließlich gehen aus den Wurzeln
"me-" beziehungsweise "men-" nicht nur die zahlreichen griechischen Verben (113)
hervor, die alle in mehr oder minder starker Form einerseits: "zürnen,
grollen", andererseits "verlangen, begehren, trachten, streben, im Sinne haben
und ersinnen" bedeuten, wobei die Tatsache betont werden muß, daß
sie ein gegen jemanden gerichtetes Trachten, Streben und Ersinnen zum Ausdruck
bringen. Und auf diese Wurzel geht durch alle germanischen Sprachen hindurch
über das griechische medomai (medomai), das "an etwas, auf etwas denken"
(also ein durchaus gerichtetes Denken) bedeutet, unser "ermessen" zurück,
das sowohl "messen" wie "erwägen" und "bedenken" ausdrückt. Sie
bildetete das englische Wort "mind", aber auch das lateinische
"mentiri
", das "lügen" bedeutet (!). Und es sei noch
erwähnt, daß sie das griechische Fragewort ti in der Wendung ti men
(ti men) - "Warum ?" als verstärkendes Element begleitet und so die Frage
mitformt, die am Anfang aller Wissenschaften steht, zu deren
Schutzgöttinnen sowohl Athene
wie Minerva erhoben
wurden (114). Die Wurzel, die dem Worte "mental" zugrunde liegt, enthält
keimhaft eine ganze Welt, die in der mentalen Strukturierung Gestalt, Form und
Wirkcharakter annimmt.
[90]
Heidegger (1977b: 8): Die Übersetzung der griechischen Namen in die
lateinische Sprache ist keineswegs der folgenlose Vorgang, für den er noch
heutigentags gehalten wird... Das römische Denken übernimmt die
griechischen Wörter ohne die entsprechende gleichursprüngliche
Erfahrung dessen, was sie sagen, ohne das griechische Wort. Die Bodenlosigkeit
des abendländischen Denkens beginnt mit diesem
Übersetzen.
[91] {Para / Pera}-Phrase der
Einführungszeile (
proimion) aus einem Stück von den Rolling
Stones.
peirasis ->:
PERAS, p.
50
[92] Heraklit, B 64: ta de
panta oiakizei Keraunos. s.u.
[94] in griechisch etwa:
phonae-plexis ->
syn-plexis ->
syn-apsis.
[95] Die Form der Worte
(
mor-phono-logie) von Homer unterscheidet sich an vielen Stellen
wesentlich von der der späteren Autoren.
[96] Das
cha-
Morphogramm:
chaino: weit öffnen, gähnen, gaffen ->
chao
cham: zur erde gehörig, niedrig, erden-
chalyx: kelch -> kylix, -> kalpis: a hollow
vessel -> kalypt: verborgen -> kalypso: die nymphe
chaos: der leere unermeßliche raum, auch unterwelt,
ungeordnete masse, aus der die welt geschaffen wurde
chara- : riß in der erde, schluchten etc
charaktaer: grabstichel, das eingegrabene, charakter, eigenart
-> Grammata
charassoo: eingraben, einschnitte bilden (633)
charybdis: meerstrudel (634)
charoon- eios , unterwelt -> chthon
chasko: gähnen, maul aufsperren
chasm /-a /-ae : gähnend, klaffend -e
öffnung
chasmatias: erdbeben, das schlünde in der Erde
öffnet
[97] Orpheus sei hier der
"nom de plume" de{s/r} unbekannten Verfasser{s} der
Orphischen
Hymnen.
[98] Die Bibliothek von
Alexandria soll 500.000 Schriftrollen umfaßt haben. Canfora
(1988)
[99] Die Brände sind
natürlich für uns auffallender als das stille Verrotten. Da Papyrus
sich nur in dem sehr trockenen Klima von Ägypten lange hält, aber in
allen anderen Gegenden des damaligen römischen Imperiums durch klimatische
und Insekten- Faktoren bald zersetzt wird, war der Wissensverlust unvermeidlich,
als keine Kopisten in ausreichender Zahl mehr verfügbar waren.
[100] Dies zum Teil mit
fatalen Folgen, wenn man z.B. ihre Staats- und Gesellschaftstheorien ansieht.
Popper (1992) hat dies ausgiebig untersucht.
[101] Auch darüber
gehen die Meinungen der Fachleute weit auseinander.
[102] Siehe oben:
Morphae - gramma: die
Klang-Form.
[103] Auf die naheliegende
Frage, warum es denn nun plötzlich verboten sein sollte, sich den
Grenzen (
pera) zu sehr zu nähern, oder sie sogar zu
untersuchen, ist die leicht einsichtliche Antwort: Da das
Im-Perium sich
nur dadurch erhalten kann und seine Machtstrukturen wirken lassen kann, wenn die
Menschen sich tunlichst innerhalb der ihnen von der höchsten Autorität
(
hieros-archae) vorgegeben Grenzen halten, und nicht von den
vorgeschriebenen Denk- und Verhaltensmustern abweichen. Wie wir alle wissen,
entstand die christliche Religion aus einer sehr interessanten Verbindung
jüdischer Mystik (Messias / M-Essener), mit hellenistisch-orientalischer
Mystik (Chrysto- / Chresto- / Christo-logie: Joh. 1.1.), und einem mehr als
gehörigen Zu-Schuß von römischen
Im-perialismus (St.
Paulus). Das weiter zu verfolgen ist hier nicht das Thema, aber wir können
leicht sehen, wie das spirituelle (nicht von dieser Welt)
Im-perium hier
seine Fundamente findet. Der
Im-perator (
hier-archon) ist deshalb
der, der alles schön in seinen vorbestimmten Grenzen festhält, und
dafür sorgt, daß seine
Schäfchen nicht auf anderen Wiesen
weiden, und wenn schon, dann wenigstens daß sie zur
Schafschur und
zur
Schlachtung wieder rechtzeitig im
heimischen Stall sind. In
dieselbe Richtung geht auch die vielsagende römische Legende Plutarchs von
der Gründung des nachmaligen Imperiums durch Romulus und Remus, (Campbell
1996, III, 358-359). Es wurde eine runde Grube ausgehoben (chasm / chaos) und
als mundus bezeichnet, dann wurde mit einem Pflug eine Furche (peras) darum
herum (peri) gezogen. Wer diese Furche mutwillig überspringt, wird mit dem
Tode bestraft.
[104] Siehe dazu auch
Gennep (1960: 15-25), und das Konzept des
limen als räumlich und
zeitlich ausgedehnter Grenzbereich.
[105] aristos: bester,
tüchtigster, edelster, vornehmster.
[106] telos: Ende, Ausgang,
Ziel, Vollendung, Ausführung, Erfolg, Tod, Grenze -> peras.
teleios: vollendet, beendet, vollkommen,
endgültig.
[108]
(Diels 1954,I:12); (Pleger 1991: 61)
[110] ana- : darauf, daran,
auf, hinauf, über, hin durch, entlang, während (zeitlich),
hindurch.
[111] (Hesiodos 211 ff.);
Hamilton (1942: 36, 228)
[112] Z.b. Plato, Meno 81 A
ff.; Hoffmeister (1955: 38)
[113] phonae
mit Omega.
phonae mit Omikron bedeutet
Mord.
[114] eine alte Bedeutung
von
phos,
photos ist: der Sterbliche, der
Mann.
[115] Konjugationsformen
von
phaemi: ephaen, ephasa, ephastai, ephanto, phato, phao,
ephato.
[116] Zu verstehen etwa im
Sinne von Schopenhauer (1977).
[117] S.a.: das
phainomenon, Heidegger (1977a: 38-48), Peirces Begriff des
"
phaneron" Peirce (1931-1958): CP 1.284; Hoffmeister (1955: 437):
"
phainomenon, das Erscheinende, die *Erscheinung, die sich den Sinnen
darbietet; dann übertragen auf alle Bewußtseinsinhalte..."
[118] Hoffmeister (1955:
437): "
nou-menon, nach Plato (Staat 508 C ff.) das mit dem Geiste (*nous)
zu Erkennende im Unterschied zu dem mit den Augen zu sehenden, der
Erscheinung... Vgl. Kant, Prolegomina §§ 32-35."
[119] Über leichte
Divergenzen in der Interpretation sehen wir hier großzügig
hinweg.
[120] Etwa nach Hegel oder
in den diversen religiösen Systemen bei Gott.
[121] Siehe die Diskussion
von Gebser.
[122] Der Unterschied von
thae- und
the- wird hier vernachlässigt.
[124] Hoffmeister (1955:
476)
[125] Siehe den Artikel von
Günther Palm .
[126] Breidbach (1993),
(1997) and Brock (NeuroAe), Brock (1994), Calvin (1989), (1991) (1996a),
Edelman (1992), Gazzaniga (1989), Haken (1992), Maturana
(1982-1994a), Pöppel (1978-1995), Riegas (1990), Roth (1996),
Schmidt (1987, 1991), Spitzer (1996), Mühlmann (1996: 30);
Brock:
(URL)
http://www.uni-wuppertal.de/FB5-Hofaue/Brock/Projekte/NeuroAe2.html,
Howard Bloom: Tools of Perception - The Construction of
Reality: History of the Global Brain, Part VII,
(URL)
http://www.heise.de/tp/deutsch/special/glob/default.html
[127] Uexküll, in
Cassirer (1994: 23-25); Gumilev (1990) geht mit der physikalischen Metapher noch
weiter, und spricht von Phänomenen der
Induktion.
[128] Das deutsche Wort
"Muster" wird hier als Übersetzung des englischen Begriffs "
Pattern"
verwendet.
Pattern weist in der genannten Literatur auf eine
Gesetzmäßigkeit, und Regelmäßigkeit hin, die sich
über alle Modalitäten der Wahrnehmung erstrecken kann.
[129] S.a. Thom (1975:
10)
[130] S.a. Roth (1996:
213-247)
[131] Popkin (1956:
200-208). In Kontradistinktion zu Parmenides: "to gar auto noein estin te kai
einai" (wahrlich, dasselbe ist Erkennen und Sein). (B1, 1,21)
[132] S.a. Klages (1981,
III, 499-551): "Vom Wesen des Rhythmus".
[133] Seashore (1967),
Simon (1968)
[134] Godwin (1989), Haase
(1998), Iamblichus: "Das Leben des Pythagoras", James (1993), Kayser
(1930-1950), Kepler (1982), McClain (1978), Schneider (1951-1990)
[136] Rudhyar (1988: 119,
132, 230-236)
[137] Erinnerung ist
essentiell für das Erkennen der Musterhaftigkeit von temporal
auseinanderliegen Ereignissen, also ihre Gruppierung unter einem Merk-mal.
[138] Hertha v. Dechend
(1993).
[139] S. a. das Zitat von
Bazon Brock "Theorie der Avantgarde", unter "Kultur im Spannungsfeld von
Tradition und Innovation".
[140] S.a. Gumilev (1990:
186): "grouping on the principle of similarity and causal succession"; die
Anmerkungen von Spengler zur Morphologie der Wissenschaften (1972: 548-553);
Schunk (1996); Riedl (1990); Barrow (1998: 5-6, 57-58, 89, 190-193). Heidegger
(1976b: 244):
Epagogae meint nicht das
Durchlaufen einzelner Tatsachen und Tatsachenreihen, aus deren ähnlichen
Eigenschaften dann auf ein Gemeinsames und "Allgemeines" geschlossen wird.
Epagogae bedeutet Hinführung auf Jenes, was in den Blick
kommt, indem wir zuvor über das einzelne Seiende weg
blicken...
[141] s.a. Karbe (1995:
296-355). In einer mehr informationstechnischen Sprechweise finden wir ein
ähnliches Konzept unter dem Begriff "Conceptual Navigation". S.a. Veltman
(1986, 1997, 1998)
[142] siehe: Gebser (1973),
Brock, (AGEU: 198-214), Karbe (1995: 296)
[143] Spengler (1980:
65-70, 611-612)
[144] Gumilev (1987),
(1990)
[145] s.a. Gumilev 1990:
98-100
[146] Pöppel
(1978-1995).
[147] S.a.: Hume: zu
Kausalität und Induktion (Straub 1990: 139-146), Nietzsche,
Götzen-Dämmerung, Die Vier großen Irrtümer
[148] (373): "Die
vergangenen und erst ankommenden Erlebnisse sind dagegen nicht mehr, bzw. noch
nicht 'wirklich'...
Das Dasein durchmißt die ihm verliehene Zeitspanne ...
dergestalt, daß es, je nur im Jetzt wirklich, die Jetztfolge seiner 'Zeit'
gleichsam durchüpft. Bei diesem ständigen Wechsel der Erlebnisse
hält sich das Selbst in einer gewissen Selbigkeit durch."
(410) "An das Besorgte vielgeschäftig sich verlierend,
verliert der Unentschlossene an es seine Zeit. Daher denn die für ihn
charakteristische Rede: 'Ich habe keine Zeit'."
[149] Brock, AGEU, p.
194
[150] Z.B. Assmann &
Assmann (1983-1995), Bergson (1919), Connerton (1989), Halbwachs(1985), Harth
(1991), Loftus (1980), Norman (1970-1982).
[151] Roth (1996: 276),
Schmidt (1991), Spitzer (1996)
[153] Wer erinnert sich
noch an den speziellen Atemzug, den er vor 20 Jahren, am Sonntagmorgen, den
x.x.xxxx, beim Aufstehen tat?
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