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7. Peri mnaemae kai ana-mnaesis, peri ais-thaesis kai phainosis

Ein Neuro-Ästhetischer Aufstieg zu den Ur-Sprüngen, An-Fängen, und Auf-Gängen des abendländischen Denkens [90]

AG-Schrift-Code: Neuro-Mnaeme


Andreas Goppold
URL: (URL) (CD_local) http://www.noologie.de/

7.1. Einführung: Proimion

Please allow me to introduce myself, I am a man of mnaemae and phrenae, Mnemo is my name, and peirasis is my game. [91]

Nemo (=outis, maedeis, oudeis -> Odysseus, Od. 9,366), der Kapitän (gubernator = kybernaetaes) [92], der seine Fahrten in einem {unsichtbaren / untergetauchten / untergegangenen} Schiff (nao-telos, -> naos, -> argo) (in Gedanken -> noos, -> nous) unter der Oberfläche des sichtbar Wahrnehmbaren (des phainomenon), daher im Verborgenen (mae-phaino) durchführt. Mnemo verbindet Erinnerung, mnaemo-synae (-> sym-plexis, sym-ballein, syn-apsis) und Erscheinung im Gedächtnis: mnae-phaino- / phaisto- -> phaino-menon -> ho phainon -> phos -> phonae, als Aufscheindendes (phaino-menon) in Form (mor-phae) von Gesehenem (phos) und Gehörtem (phonae). [93]


7.2. Aufstieg: Ana-Basis

Unser Aufstieg (ana-basis) zu den archai, den "Ur-Sprüngen, An-Fängen, und Auf-Gängen" des abendländischen Denkens beginnt mit einer kurzen ana-mnaesis einiger Kerngedanken in der Philosophiegeschichte zu unserem Thema.

Heraklit, B 64:
ta de panta oiakizei Keraunos: Das Steuer des Alls führt der Keraunos.

Heraklit , B18:
ean mae elpaetai anelpiston ouk exeiraesei, anexereinaeton eon kai aporon
Wer Unerhofftes nicht erhofft, kann es nicht finden: unaufspürbar ist es und unzugänglich

Heraklit , B49a:
potamois tois autois embainomen te kai ouk embainomen, eimen te kai ouk eimen
In die gleichen Ströme steigen wir und steigen wir nicht; wir sind es und sind es nicht.

Heraklit, A3:
panta rhei - Alles ist in Fluß.


Platon Timaios , 27d-28a:
Zuerst nun haben wir meiner Meinung nach folgendes
zu unterscheiden: Was ist das stets Seiende und kein Ent-
stehen Habende und was das stets Werdende, aber nimmer-
dar Seiende; das eine ist durch verstandesmäßiges Denken (28 a)
zu erfassen, ist stets sich selbst gleich, das andere dagegen
ist durch bloßes mit vernunftloser Sinneswahrnehmung ver-
bundenes Meinen zu vermuten, ist werdend und vergehend,
nie aber wirklich seiend.

Augustinus : Retractationes, I 12, 3:
Die Wirklichkeit selbst nämlich, die man heute als christliche Religion bezeichnet, bestand auch schon bei den Alten, ja, sie fehlte niemals seit Beginn der Menschheit, bis daß Christus im Fleische kam; seither begann man lediglich, die wahre Religion, die schon immer bestand, die christliche zu nennen.

Hoffmeister (1955: 433):
Locke: Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu
Leibniz: Nisi intellectus ipse
Locke: Nichts ist im Geiste, was nicht vorher in den Sinnen war
Leibniz: Ausgenommen der Geist selber

Albertino, in Bruno (1973) , 143:
Nachdem ich lang' nur Heu und Stroh gefressen,
Bei Ochsen, Schafen, Böcken, Eseln, Pferden,
- Wünsch ich auf eurer Schulbank hingesessen
Mit bessrer Geisteskost genährt zu werden!

Whitehead (1967, 4):
It requires a very unusual mind to undertake the analysis of the obvious.

Günther (1978a , 114):
Die Bewußtseinsgeschichte des Abendlandes und der weltgeschichtlichen Epoche, der Europa angehört, ist zu Ende. Das zweiwertige Denken hat alle seine inneren Möglichkeiten erschöpft, und dort wo sich bereits neue spirituelle Grundstellungen zu entwickeln beginnen, werden sie gewaltsam in dem alten längst zu eng gewordenen klassischen Schema interpretiert. Man kann eben eine alte Logik nicht ablegen wie ein fadenscheinig gewordenes Kleid. Der Übergang von der klassisch-Aristotelischen Gestalt des Denkens zu einer neuen und umfassenderen theoretischen Bewußtseinslage erfordert eine seelische Metamorphose des gesamten Menschen. Einer nicht-Aristotelischen Logik muß ein trans-Aristotelischer Menschentypus entsprechen und dem letzteren wieder eine neue Dimension menschlicher Geschichte.

7.2.1. Klangfelder und Morphogramme

Eine wesentliche Arbeitsmethode der vorliegenden Untersuchung ist der Zugang über die Klangfelder [94] der griechischen Worte, die als Morphogramme interpretiert werden. Mor-phae- gramma: eine Klang-Form, wie sie mit den grammata (Buchstaben) aufgezeichnet werden kann. Eigentlich also ein mor-phae-phono-gramm, dessen Klangform (phonae-mor-phae) sich mit einem geeigneten multimedialen System darstellen ließe. In der Linguistik gibt es ein ähnliches (aber anders gebrauchtes) Konzept des Morphems. Die Theorie dieses Vorgehens wird weiter unten ausgeführt, jetzt wird sie nur eingesetzt.

7.2.2. Über den Abgrund der Zeiten

Wie können wir uns der Denkungsart der Kulturheroen Altgriechenlands nähern, den Sängern, Dichtern, und Denkern, von denen der geistige Strom entsprungen ist, der die Abendländische Kultur genannt wird? Ca. 2400 Jahre trennen uns von Platon und Aristoteles, ca. 2800 Jahre von Homer, ca. 3200 Jahre von dem, was Homer besingt. [95] Wie überbrücken wir den den Abgrund (chasmos) [96] der Zeiten (chronos) der uns trennt von Homer, Hesiod, Orpheus, [97] Anaximander, Heraklit, Parmenides, und den anderen Vor-Sokratikern, die in der Philosophiegeschichte von Sokrates, Platon, und Aristoteles sowie den späteren unterschieden werden. Whitehead hat einmal gesagt: "The safest general characterization of western philosophical tradition is that it consists of a sequence of footnotes to Plato ". (Whitehead 1969 , 53). Ähnliches, wenn auch nicht so pointiert, sagen auch andere Philosophiehistoriker.

Jaspers (1967, 15): Plato ist der Gründer für das, was erst seit ihm mit vollem Gewicht des Sinns den Namen Philosophie trägt.

Jaspers (1967, 28): Platos Werk ist sachlich erwachsen im Zusammenhang mit den alten und gegenwärtigen Philosophen. Es ist, als ob alle vorhergehenden griechischen Gedanken, aus vielen Quellen unabhängig von einander fließend, in Platos umgreifendes Bewußtsein münden. Aber diese Herkünfte sind bei ihm eingeschmolzen, weil in einen neuen Sinnzusammenhang aufgenommen... Plato eignete sich fortschreitend die gesamte philosophische Überlieferung an. Es gab den Kosmosgedanken der milesischen Philosophen (Thales, Anaximander, Anaximines), des Anaxagoras und Empedokles... Es gab die bis heute gültigen Seinserhellungen des Heraklit und Parmenides... Es gab die Ansätze von Wissenschaften in Geographie und Medizin, und es gab die große, Plato zeitgenössische, von Entdeckung zu Entdeckung schreitende Forschung in Mathematik und Astronomie...

Bevor wir die Annäherung versuchen, er-innern wir uns dessen, was wir nie er-innern werden können: die gewaltigen Textmengen antiker Produktion, [98] die mit den vielen Bränden antiker Bibliotheken in Rauch und Asche aufgegangen sind, oder die einfach vom Zahn der Zeit zerschreddert worden sind, [99] und uns damit unwiederbringlich verloren sind. Was wir er-innern können, ist nur das, was uns die unwägbaren Geschicke der Zeit nicht vernichtet haben. Was wir heute kennen, ist im wesentlichen das, was die christlichen Kopisten (bzw. ihre Auftraggeber aus dcn höheren Rängen der christlichen Hierarchie) nach dem Untergang des römischen Reiches für er-innerns-wert gehalten haben. Was wir nicht mehr kennen, ist also das, was man damals entweder für unwichtig gehalten hat, oder was als häretisches Material gleich ins Feuer geworfen worden ist, auf daß es aus dem Gedächtnis der Menschheit für immer gelöscht sei. Und natürlich wurden Autoren, deren Werke schon in vielfacher Zahl kopiert waren, besser über die Zeiten gerettet, als weniger bekannte. So sind uns Platon und Aristoteles besser als andere erhalten geblieben. [100] Ihre Werke stellen so etwas wie eine eine Grenze (pera) in unserem Verständnisbemühen dar. Während wir zumindest glauben, [101] daß wir mit genügend Interpretation auch verstehen können, was sie meinten, so verschwimmt das Bild bei den älteren Autoren gänzlich. Unsere Problematik ist, daß wir nicht wissen, wieviel wir von unserem heutigen Denken in ihre Werke hineinprojizieren, und wieviel schon diejenigen hineinprojiziert haben, die sie uns überlieferten. Denn die Werke von Homer sind z.B. schon in der alexandrinischen Akademie erheblich redigiert worden, und der damaligen Schreib- und Denkweise angepaßt worden. Wir müssen uns also zuerst mit den Grenzen beschäftigen.

7.2.3. peri peras

@:PERAS
Peira bedeutet: Versuch, gemachte Probe, Erfahrung (haben), aus Erfahrung wissen / belehrt sein. Das Klangfeld des griechischen Morphogramms [102] per- / peir- verbindet sich noch mit folgenden anderen Klangfeldern:

peirazo: Der, der an (oder in) die Grenzen führt: Er führt auf hohe Aussichtspunkte, wie Berge oder Turmspitzen, um weite Perspektiven aufzuzeigen. Gebser (1973: 38-59), (Matth 4,3-11; Luc. 4,3-13). Mit der anabasis ist eine Anstrengung verbunden, aber dann auch der Gewinn einer Perspektive, einer Übersicht. In der christlichen Mythologie muß er aber die undankbare Rolle des Versuchers spielen. [103] In der älteren Philosophie, vor dieser "Umwertung der Worte", hatte peira- mehr mit Ausprobieren (Empirie) und Erfahrung zu tun.

peirasis: das an (oder in) die Grenzen Führen. In christlicher Version: die Versuchung.
peirastaes = peirazo: Versucher, Verführer -> erastaes: Liebhaber -> philaes
peirastikos: zum Versuchen / Probieren gehörig. -> en-peiria / em-peiria
peirar / peiras / peiratos: Ende, Grenze, der höchste Grad, das Ziel, Vollendung
peirata technaes: Vollender der Kunst
pera: Ort: darüber hinaus, Zeit: länger
pera: Grenze [104]
peran: jenseits
peras: das Ende, das äußerste, Vollendung, Vollbringung, Vollziehung
perasis: Durchgehen, Darübergehen, Übersetzen
peratos: jenseitig
peratosis: Begrenzung, Endigung
peri- : rings herum

Im vorliegenden Kontext führt uns unsere ana-basis hin auf das nobelste und höchste Ziel, auf das aristo [105]-telos [106]. Dies ist äquivalent mit der Bedeutung von peras: "der höchste Grad, das Ziel, die Vollendung". Bei diesem Unterfangen ist es gut, einen erprobten, und bewährten Führer [107] zur Seite zu haben, einen, der sich mit Grenzbereichen gut auskennt. Wen besseren könnten wir dazu erwählen, als unseren bewährten Gefährten Anaximandros? Es sind nur ein paar Sätze von ihm überliefert, und der folgende behandelt die Grenzen und Ursprünge der Dinge.

7.2.4. en archae

. archaen ... eiraeke ton onton to apeiron / Der Ursprung (oder: Anfang) der seienden Dinge ist das Unbegrenzte (apeiron)
. ex on de he genesis esti tois ousi / Aus welchen (seienden Dingen) die seienden Dinge ihre Entstehung haben
. kai taen phthoran eis tauta ginesthai kata to chreon / dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es gemäß der Ordnung ist
didonai gar auta dikaen kai tisin allaelois taes adikias kata taen tou chronou taxin / denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht (adikia ) gemäß der zeitlichen Ordnung (chronos ). [108]

Heidegger sagt in seiner Besprechung der Physik des Aristoteles in (1976b: 242):
Allerdings ist dieses [des Aristoteles] erste denkerisch geschlossene Begreifen der physis auch bereits der letzte Nachklang des anfänglichen und daher höchsten denkerischen Entwurfs des Wesens der physis, wie er uns in den Sprüchen von Anaximander, Heraklit, und Parmenides noch aufbewahrt ist.

Hier befinden wir uns also am Anfang (archae) der Entwicklung, die als der "Übergang vom Mythos zum Logos" bezeichnet wird. Einen Schritt weiter zurück, und wir befinden uns jenseits der Grenze, bei Hesiodos, hier dargestellt in der Version von Ivan Illich (1988: 13):
At the time when heaven still embraced the earth, when Uranus still lay with full-hipped Gaia, an aeon before the Olympian gods, the Titans were born and with them, memory, or Mnemosyne. In the Hymns to Hermes, she is called the Mother of the Muses. She is the earliest of the goddesses, preceding even Apoll with his lyre. Hesiod mentions her as the goddes of the first hour of the world... When the god Hermes plays to the song of the Muses, its sound leads both poets and gods to Mnemosyne's wellspring of remembrance. In her clear waters float the remains of past lives, the memories that Lethe has washed from the feet of the departed, turning dead men into mere shadows.

7.2.5. mnaemae

@:MNAEMAE
Hier finden wir auch den ersten Kernbegriff aus unserem Titelthema: mnaemae: das Gedächtnis. Andere verwandte Formen sind: mnaema, mnaemeion, mnaemo-syne. Der mythologische Stammbaum der altgriechischen Götter, der von Hesiodos gelistet wird, führt die mnaemosyne als eine der ältesten Göttergestalten an. Wir können davon ausgehen, je älter, desto ursprünglicher, und damit auch zentraler ist sie. Daher hat die mnaemosyne eine besonders wichtige Stellung im Denken der archaischen Kultur. Alle epischen Dichtungen von Homer und Hesiodos enthalten ausgiebige Huldigungen an sie. Ihre große Bedeutung in dem vorschriftlichen Zeitalter, als die kulturellen Werte noch von den Aoidoi (Sänger und Dichter) im Gedächtnis tradiert wurden, als es noch keine Schrift, und keine Bücher gab, ist verständlich. Natürlich wurde mnaemosyne nicht nur profan als Gedächtnis begriffen, sondern als die Quelle der Inspiration, und der göttlichen Eingebung, der Weissagung und der Prophesie.

mnaomai, mnomai, und mimneskomai sind mit mnaemae verwandte Verbformen. Jean Gebser (1973) hat das Feld ähnlich klingender Wortformen in den indoeuropäischen Sprachen untersucht: Menis, Mens, Manas, Mensch. [109]

Ob das nach etymologischen Maßstäben machbar ist, soll hier nicht behandelt werden.

7.2.6. ana-mnaesis

ana-mnaesis: bedeutet Er-Innerung. Damit verwandte Verbformen sind ana-mignymi, ana-meignymi, ana-mimnesko. Wir sehen daran, daß die Morphogramme mnae- mign- meign-, mimn- über ihre ähnliche Bedeutung in Verbindung stehen. Man kann anamnaesis auf zwei Weisen verstehen: entweder als ana- mnaesis, was einen Aufstieg oder ein Entlanggehen (ana-) [110] andeutet, und gut auf das Bild paßt, das Aristoteles in "peri mnaemae" mit dem Entlanghangeln an einer Assoziationskette darstellt. Die andere Möglichkeit ist an-a-mnaesis.

a-mnaesis ist das Vergessen. a- bedeutet Negation, und so ist die a-mnaesis die Negation von mnaemae. an-a-mnaesis kann also auch als doppelte Negation gedeutet werden.

7.2.7. laethae und a-laetheia

@:LAETHAE
Ein damit nahe verwandtes Begriffspaar ist laethae (Vergessen) und a-laetheia (Wahrheit, Wahrhaftigkeit). Wie Illich uns oben darstellt, war laethae in der Mythologie sowohl eine Göttergestalt, als auch ein Fluß, von dessen Wasser die Seelen der Toten trinken mußten, wenn sie sich wieder auf die Welt in eine Wiederverkörperung gebären lassen wollten. [111] Deshalb hat der philosophische Begriff der a-laetheia eine noch weitere mythische Bedeutung, der über die philosophische Version hinausreicht. Alaetheia bedeutet nämlich damit "die Wieder-Er-Innerung" ana-mnaesis, der Erfahrungen aus einem {anderen/ früheren} {Dasein/ Existenzen}. [112] Nach der Mythologie (Iamblichos) ist diese Form der alaetheia mit der Errungenschaft des Pythagoras verbunden, der von den Göttern ein Geschenk bekommen sollte. Zwar konnte er nicht unter die Unsterblichen aufgenommen werden, und so wünschte er sich die alaetheia seiner früheren Leben. Ihm blieb also das Schicksal aller anderen Sterblichen erspart, zwischen Tod und Wiedergeburt alle Erinnerungen an die früheren Leben zu verlieren.

7.2.8. chiasma

Wir können die Begriffe in ein Kreuzverhältnis (chiasma) setzen:

mnaemae a-mnaesis

an-a-mnaesis

a-laetheia laethe

Der interessante philosophische Bezug ist hier in der Analogie zu sehen, die bei Platons an-a-mnaesis zwischen dem Er-innern und der Findung der Wahrheit, a-laetheia besteht.

7.2.9. phaino, phos, phonae

@:PHAINO
Um einen Zugang zu finden, was man in Altgriechenland beim Sprechen und Hören dieser Worte verstand und empfand, untersuchen wir ihren Gebrauch in den alten Werken und behandeln auch die benachbarten Klangfelder. Das Verb phaino bedeutet: Zum Licht phos (Leuchten) oder zum Klang phonae [113] (Klingen) bringen. Ho phainon ist auch der Name für den Saturn, und es ist ebenfalls der Beiname für den Schmiedegott He-phaistos. Dieser arbeitet sowohl mit hell glühenden und glänzenden Metallen, und bringt sie mit seinem Hammer und Amboß zum hellen Klingen. phoibos ist der Lichtgott Apollon . Die Göttin Athaenae wird auch phain-ops oder glaukops (die hell- oder Eulen-Äugige) genannt.

Varianten von phos sind phoos und phaos , phaous , photos . [114]
photisma , phoibos: Glanz, hell erscheinend, blendend, schimmernd, leuchtend, funkelnd.
phoibasma, phoibetes: Prophet, Orakel, Weissagung.
phoinos : Purpur, Phoenizisch, dunkel rot (glühend).
phosphoros : Glück, Heil, Rettung.

Über phaino sind phos und phonae verbunden. phonae ist das Morphogramm, das mit allen Phänomenen des Klangs und der Stimme verbunden ist. phaemi heißt Sprechen, [115] phaemae heißt Rede. phthongae ist ein weiteres Wort für Ton und Klang.

7.2.10. ais-thaesis und phaino{p/e}sis

Wir wenden uns nun den beiden anderen Begriffen zu: der ais-thaesis: (Wahrnehmung), und der phaino{p/e}sis: (Vorstellung). [116] Die phaino{p/e}sis ist ein Kunstwort, das wir für diesen Zweck bilden. Wir kennen alle das phaino-menon, das ja ein philosophischer Zentralbegriff ist. [117] Das Phänomen ist das, was erscheint (als das Wahrgenommene oder das Objekt), und die phaino{p/e}sis ist der Prozess, indem es erscheint. ais-thaesis bezeichnet den Teil der phaino{p/e}sis, in dem ein Objekt der äußeren Wahrnehmung wahrgenommen wird (Ding-Gebilde), oder auch phainopsis. Das nou-menon kennzeichnet das Objekt der inneren Wahrnehmung (das Denk-Gebilde), oder auch phainoesis. [118] Schopenhauers (1977) Begriff der Vorstellung erlaubt es, die beiden Seiten dieser Differenzierung im Blickfeld zu behalten. Denn eine Vorstellung ist entweder das, was man als Vorstellungsbild erfährt, als auch der Prozess der Vorstellung, wie in einem Theaterstück (theatron).

7.2.11. Mor-pho-no-gramma

Dies läßt sich wieder in einem Diagramm darstellen. Die Welt ist alles (ta panta, pragmata, chraemata) was über die aisthaesis erkannt werden kann. Oder wie Wittgenstein sagte: "Die Welt ist alles, was der Fall ist". [119] Auf der anderen Seite haben wir die geistige Welt der noesis, und der noumena, der Denk-Gebilde, die nach der metaphysischen / idealistischen philosophischen Interpretation irgendwo im absoluten Geist noos, nous gipfeln. [120]


Welt
^
pragma, chraema (ding-Gebilde)
^
ais-thaesis . phai-no(p)sis
^
phai-no-men-on . theatron
v
phai-no(e)sis . theoria
v
nou-menon (denk-Gebilde)
v
nous

Wir finden in unserem Diagramm eine Anordnung der Morphogramme thae-, thea-, theo-, ais-, phai-, men-, und nou-. Die Anordnung der Morphogramme selber bildet wiederum ein chiasma. Es ist nur etwas schwerer zu erkennen. men- steht in der Mitte, und wir können hier auch den Menschen einsetzen, mit seinem Erkenntnisvermögen. [121] ais-thaesis und phai-no(p)sis stehen wiederum in Korrespondenz, denn das, was man mit den Augen (ops) wahrnimmt, ist dem Bereich der aisthaesis zugeordnet. Das the- kommt sowohl in ais-thaesis wie in the-oria und theatron vor. [122] Das theatron steht auch mit phai-no(e)sis im Bezug. no(e)sis bezieht sich auf die nou-mena, die gedanklichen Dinge, und das theatron war im alten Griechenland der Schau-(theoria)-Platz, auf dem die Götter, die nou-mena, in der materiellen Sphäre der erkennbaren Phänomene erschienen. Rein hypothetisch wollen wir solche Anordnungen von Mor-pho-no-grammen eine Mor-pho-no-grammatik nennen.

Der Prozesscharakter der Wahrnehmung enthüllt uns, daß sie keinesfalls reine Rezeption ist (unbefleckte Erkenntnis, nach Nietzsche), sondern Handlung. Nach Aristoteles finden wir hier den Unterschied zwischen poiaesis: der Handlung, die ein faßbares Ergebnis [123] zum Ziel (telos) hat, und praxis: der Handlung deren Vollzug selber das Ziel ist, und der theoria: der reinen Betrachtung. [124]

7.3. Kata-basis: die neuronale Infrastruktur

"What goes up, must come down, that is the eternal merry-go-round"

Katabasis: Hinabgehen, Rückzug, Rückkehr. kata: herab, hernieder, gegen, abwärts, hindurch.

Wir kehren nun um und begeben uns in die Niederungen unserer neuronalen Infrastruktur. Die vorgegangen Betrachtungen sollen nun mit einigen Erkenntnissen aus der Neurologie verbunden werden. Da das Thema schon hinreichend bekannt ist, brauchen wir hier nur wenig Zusätzliches zu sagen. Wir beziehen uns auf die Ansätze, wie man Neuronen als Felder oder Assemblies interpretieren kann, besonders auf eine Metapher, die man als "Spin-Gläser" [125] bezeichnet. Weiterhin soll der dynamische Aspekt von Neuronenfeldern besonders akzentuiert werden.

7.3.1. Die neuronale Resonanz

Von den Sinneszellen werden die Wahrnehmungsleistungen in Pulscodierungen der neuronalen Aktionspotentiale umgewandelt, und über verschiedene Zwischenstufen (Ganglienknoten / Rückenmark) ins Zentralnervensystem (Gehirn) geleitet. Von dort werden wiederum neuronale Pulscodierungen an die ausführenden (motorischen, endokrinen, exkretorischen) Körpersysteme geleitet. Das Gehirn befindet sich in ständiger neuronaler Aktivität, und seine Struktur, die synaptischen Verbindungen seiner Neuronen untereinander, ist in ständiger Veränderung. [126] Während die Welt des Erlebens ihre charakteristischen sinnlichen Qualitäten (Qualia) aufweist, ist die Arbeitsweise des neuronalen Systems digital, sie beruht auf den Pulsfrequenzen der Aktionspotentiale.

Im folgenden soll das Grundprinzip der Arbeitsweise des neuronalen Systems die Neuronale Resonanz genannt werden. Die Neuronen des Gehirns stehen in einem wechselseitigen Stimulationsprozess. Wenn man die Potentiale während eines solchen Prozesses mißt, so kann man eine Frequenz-Synchronisation feststellen. In Analogie zu klanglichen Phänomenen läßt sich daher Kommunikation als ein neuronales Resonanz-Phänomen auffassen. Es lassen sich somit Einschwing- und Ausschwing-Phasen und Periodizitäten, also Rhythmen, feststellen. [127] Damit bilden Neuronenfelder spatiale und temporale Muster aus.

Nun formulieren wir eine Arbeitshypothese: Worte müssen ausgesprochen und verstanden werden, sie bauen also auf extrem subtile neuro-muskuläre Konfigurationen auf. Es ist allseits bekannt, daß von allen möglichen Phonemkombinationen jede Sprache nur eine sehr kleine Untermenge verwendet, ein Indiz dafür, daß ein "Sprachzeichen", das Wort, einem sehr engen Selektionskriterium folgen muß, um im "Sprachschatz" seinen Platz zu finden. Dies kann begriffen werden als ein "Feld" von aktiven, dynamischen, aufeinander einwirkenden neuronalen Konfigurationen.

Die oben dargestellten Überlegungen zu der alten griechischen Geisteswelt basieren auf der hypothetischen Arbeitsweise solcher Neuronenfelder.

7.3.2. Neuro-Morphae

Morphae griech. Form, Gestalt, Geste, Muster, engl: pattern [128].

Es wird im vorliegenden Kontext keine starke Unterscheidung zwischen den verschiedenen möglichen Bedeutungen von Morphae gemacht: Muster (pattern) ist die allgemeine (generische) Bezeichnung für die unterscheidbaren Inhalte des Wahrnehmungsfeldes eines allgemeinen neuronalen Systems. [129] Mit Form oder Gestalt kann ein spezieller Bereich des gesamten Feldes bezeichnet werden, der mit einer Auswahlfunktion (z.B. Bewußtsein) gerade fokussiert wird. [130] Ein Muster ist ein Berkeleysches Gebilde (esse est percipi) [131]. Seine "Existenz" (sein Sein) ist nicht, wie von Berkeley postuliert, von Gott abhängig, sondern davon, ob es von einem allgemeinen neuronalen System (biologisch oder technisch) prinzipiell erkennbar ist.

7.3.3. Temporale Morphologie: Rekurrenz und Musik

Eine Morphologie von Mustern in der Zeit steht in engster Beziehung zur Musik. Die morphologische Definition von Rhythmus ist die "Erkennung / Erzeugung eines Musters der Rekurrenz". [132] Rekurrenz basiert auf neuronalen Muster-Erkennungsfunktionen, die Ähnlichkeit feststellen. Absolut Gleiches gibt es, wie Nietzsche richtig bemerkte, in der Natur nicht, sondern nur in der platonischen Welt der Logik und der Zahlen. Ein Ton ist ebenfalls ein Muster der Rekurrenz, aber auf einer tieferliegenden neuronalen Ebene. Das Erkennen eines Verhältnisses von Tönen (Intervall) ist demnach Ergebnis eines Mustervergleichs höherer Ordnung (Metapattern nach G. Bateson, Meta-Muster). [133] Musik basiert auf Erzeugung und Wahrnehmung von temporalen Mustern und Meta-Mustern. Das Pythagoräische System beruht auf dem Paradigma der Betrachtung und Interpretation aller Abläufe des Kosmos und der Menschenwelt auf der Basis solcher temporaler Muster. [134] Von besonderer Bedeutung sind hierbei die Wendungen bzw. Kehren: musikalische: strophae, (kata-strophae) [135], und kosmische: Tropae (en-tropia). Die Einbettung der Musik in die kosmischen Muster wird noch heute von der indischen Raga-Tradition praktiziert. [136]

7.3.4. Die Grenzen der Beobachtung temporaler Muster

Die Grenzen der Wahrnehmung / Beobachtung temporaler Muster werden auf der einen Seite durch die temporale Auflösung des menschlichen neuronalen Systems bestimmt, und auf der anderen Seite durch das Erinnerungsvermögen, [137] und die menschliche Lebensdauer. Kurz-periodische Muster bis ca. 10-20 KHz können als Töne akustisch wahrgenommen werden, während die untere Auflösungsgrenze des optischen Systems bei ca. 1/10 Sec. liegt. Erst mit elektronischen Hilfsmitteln wie Oszilloskopen und Spektrums-Analysatoren läßt sich die Musterwelt der höheren Frequenzen sichtbar machen. Bei sehr lang-periodischen Mustern, wie etwa Veränderungen des Sternenhimmels (z.B. die Präzession der Equinoktien) muß die Musterwahrnehmung über viele Generationen der Beobachtung und der kulturellen Transmission gehen. Dies wurde schon von vor-schriftlichen Kulturen beherrscht. [138] Es ist ein wesentliches Grundproblem der Geschichtsforschung, daß ihre Mustererkennung selbst ein Produkt der kulturellen Transmission ist, die damit auch der aktuellen Filterfunktion im Weltbild des Geschichtsforschers unterliegt. [139]

7.3.5. Metapattern, Hierarchie, spatio-temporale Perspektiv-Muster

Metapatterns oder Metamuster sind nach Bateson Muster von Mustern. Hierarchische Metapatterns sind eine spezielle Klasse, die rekursiv in einer Ordnungsrelation von 1:n stehen. Wissenschaft beruht auf Systemen von hierarchischen Metapatterns. [140] In Verallgemeinerung des optischen Begriffs werden sie hier auch Perspektiv-Muster oder kurz Perspektiven genannt. Das Ziel der Morphologie ist die Erlangung von möglichst weit- und tiefgreifender Perspektiv-Muster-Erkennung über Raum und Zeit (spatio-temporale Perspektiven). [141] Der emotionale Erlebniswert der plötzlichen Eröffnung solcher Perspektiven, nach langen, mühseligen Anstrengungen, ist deutlich aus den Berichten Petrarcas, [142] Spenglers, [143] und Gumilevs [144] zu erkennen.

7.3.6. Die Zeitstruktur des menschlichen Erlebens

[@] Alles, was im Leben eines Menschen stattfindet, all sein Erleben, Handeln und Erinnern, passiert im Moment des Jetzt, dem Fokus des Augenblicks. [145] Dieser Augenblick mit all seinen Geschehnissen und Erlebnissen, reißt den Menschen unwiderruflich den Strom des Lebens entlang. Von diesem unwiederbringlichen Augenblick handeln auch die schicksalsschweren Zeilen in Faust (11581-11594). In der Neurophysiologie spricht man von dem Drei-Sekunden-Bewußtsein des Menschen (Pöppel). [146]

Das Handeln und Erleben kann nur im Augenblick stattfinden. Alles andere ist Erinnerung und Erwartung, die ebenfalls nur im Augenblick stattfinden. Erinnerung ist mit der Vorstellung von der Vergangenheit verbunden, Erwartung mit der Vorstellung von der Zukunft. Die Zukunft ist uns im wesentlichen verborgen. Unsere Erwartungen bestehen im wesentlichen aus Extrapolationen unserer Erinnerung, und Schlußformen, die auf Mustervergleichen beruhen. Die bekanntesten davon nennt man Induktion und Kausalität, und sie lassen einige Aussagen über die Zukunft zu. [147] Heidegger hat in "Sein und Zeit" eine ausführliche phänomenologische Beschreibung des Seins in der Zeit und in der Welt gegeben. [148]

Bazon Brock stellt die Beziehung von Vergangeheit und Zukunft so dar:
Was in der Gegenwart von der Geschichte verwirklicht werden kann - und uns Zukunft garantiert - ist gerade die historische Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit alles Gewesenen. Das in der Gegenwart präsent gehaltene Vergangene erzeugt uns gegenüber eine schauernmachende Wirkung, weil es uns auf die Kluft verweist, die unsere Vergangeheit und unsere Zukunft unüberbrückbar trennt. Was wir wollen, ist eines, was daraus wird, ein anderes. Niemand - das sagen uns die Zeugnisse der Vergangeheit - kann durch irgendwelche noch so heroische Anstrengungen dafür garantieren, daß sich die Zukunft als Verwirklichung seiner Pläne bestimmen läßt. Sie hat einen eigenen Plan, den erst zu erkennen vermag, wer das Ende der Geschichte in der völligen Stillegung des zeitlichen Vergehens erlebt hat. Das wird der Fall sein, wenn alles bisher Vergangene simultan die lebendige Gegenwart ausmacht und daher nichts Neues mehr geschehen kann. Da dieser Zustand menschlichem Bewußtsein niemals zugänglich sein wird, bleibt es den Menschen verwehrt, von einem Plan der Geschichte Kenntnis zu nehmen. [149]

7.3.7. Mnaemae, Gedächtnis, und Erinnerung

Erinnerung basiert auf Rekurrenz ähnlicher Muster im neuronalen System. Das Gedächtnis ist seit Aristoteles Gegenstand intensiver Forschung. [150] Die Grundfunktionen der neuronalen synaptischen Verbindung sind zwar prinziell bekannt, aber wie (und wo) die neuronalen Prozesse für welche Erinnerung(en) genau stattfinden, ist noch weitgehend ungeklärt. [151] Im vorliegenden Zusammenhang sind die allgemeinen Phänomene der Muster-Transmission vorrangig vor differenzierenden Unterscheidungen. Erinnerung wird als generischer Begriff für alle in diesen Bereich fallenden Phänomene gebraucht, seine deutsche Be-deutung als Er-innerung wird mit Hegel [152] zur Akzentuierung ihres Prozesscharakters und der fortwährenden Neuschöpfung gewählt. Dies positioniert den Gebrauch vor allem gegen den Speicher-Aspekt, der in heutige Diskurse vor allem mit Computer-Metaphern eingedrungen ist, so der Verwechselung von memory und storage (bei Computer-Termini wie etwa RAM: Random Access Memory). Menschliche Erinnerung ist dynamisch, ein Prozess, und kein Repositorium, oder Datenspeicher.

7.3.8. Vergangenheit und Selbst-Erinnerung

Selbst-Erinnerung ist der Schlüsselfaktor zur Selbst-Identität des Menschen, und die absolute Schranke der Selbst-Erinnerung ist der Tod, wenn man die Mythologie und die Esoterik einmal außer acht läßt. Erinnerung zeichnet sich wesentlich dadurch aus, daß sie unvollkommen und unzuverlässig ist. Generell ist festzustellen, daß Erfahrungen umso schlechter erinnert werden, je länger sie zurückliegen. Wenn es sich um Ereignisse handelt, die häufig vorkommen, wird das Einzelereignis ebenfalls schlecht erinnert. [153] Heftige Emotionen wirken sich verstärkend auf die Erinnerungsfähigkeit aus. Starke Schmerzen vergißt man so schnell nicht wieder, und vor allem, man vergißt auch ihre Begleitumstände nicht. Daher wurde Schmerz in vielen Kulturen systematisch als Mnemo-Technik par excellence eingesetzt.

Nietzsche stellte dies in seiner "Genealogie der Moral " so dar:

Vielleicht ist sogar nichts furchtbarer und unheimlicher an der Vorgeschichte des Menschen, als seine Mnemotechnik. "Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur was nicht aufhört weh zu tun, bleibt im Gedächtnis" - das ist ein Hauptsatz aus der allerältesten ... Psychologie auf Erden... Es ging niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlingsopfer gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die Kastration), die grausamsten Ritualformen aller religiösen Kulte (und alle Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) - alles das hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hilfsmittel der Mnemotechnik erriet... Je schlechter die Menschheit "bei Gedächtnis" war, um so furchtbarer ist immer der Aspekt ihrer Bräuche.

Zwischen der absoluten Schranke des Todes und dem Jetzt, steht noch die kleine Schranke des Schlafes, in dem sich jede Nacht die Selbst-Erinnerung ausschaltet, und dem Traumbewußtsein weicht. Normalerweise wacht man am nächsten Morgen wieder mit einer erneuerten Selbst-Erinnerung auf. Aber die Qualität der Erinnerung an die Erlebnisse des heutigen Tages unterscheidet sich merklich von der des letzten Tages. Es ist zwar noch die "Ich"-Erinnerung vorhanden, aber wie mit einem Schleier überzogen. Und je weiter wir in unserer Erinnerung zurückzugehen versuchen, desto schleierhafter wird diese.

7.4. Jean Gebser

7.4.1. Mythisch, magisch und archaisch

Gebsers Entwicklungsgeschichte differenziert die Geistesentwicklung nach etwa -600 als den Beginn der mentalen Struktur, und die Periode davor in die archaische, die magische, und die mythische Phase. Der Zeitpunkt um -600 entspricht dem Konzept der Achsenzeit von Jaspers. Die Phasen davor lassen sich aufgrund der schwierigeren Quellenlage nicht eindeutig bestimmen. Zu kritisieren wäre bei Gebser wie bei Jaspers (neben anderen Punkten), daß die Einteilung eurozentrisch ist, und daß eine neue, zu gewinnende Bewußtseinsstruktur vor allem und zuerst von diesem Eurozentrismus Abschied nehmen muß.

7.4.2. Menin aeide Thea

@:MENIS
Menin aeide Thea -- vom Zorn singe mir, O Göttin!

Menis -- dieses Wort ist das Anfangswort unserer abendländischen Kultur, die obige Stelle stammt aus dem Anfang der Ilias , des ersten Gesangs der ersten großen abendländischen Äußerung (GEBSER73 , p.127), der archae des westlichen, abendländischen Denkens. Menis ist ein Grundelement in dieser archae. Wir wollen jetzt einen tiefen Blick in einen der zentralen Abschnitte von Gebsers großen Werk tun:

GEBSER73 ( 126-129): Um 500 v. Chr. vollzog sich in Griechenland (106), was seit etwa 1250 n. Chr. durch den europäischen Menschen nachgeholt wurde, wobei aber für ihn die Absprungbasis durch drei große Leistungen, die alle den perspektivischen Ansatzpunkt bereits enthielten, verbreitert war: durch die griechische Wissenslehre, die jüdische Heilslehre und die römische Rechts- und Staatslehre.

Der Leser wird nun bei der Bezeichnung "mental " sogleich den Begriff "Mentalität " assoziieren, und zwar der deutschsprachige Leser in einer ausschließlicheren Weise als zum Beispiel der englische, französische, italienische oder spanische Leser, für den das Wort "mental" ja noch einen lebendigen Inhalt besitzt. Durch eine so einseitige Assoziation wird der Sinngehalt, den das Wort "mental" birgt, auf eine unzulängliche Weise eingeschränkt, weil das Wort "Mentalität" mehr als nur die moralische Komponente einer Gesinnung und Einstellung zum Ausdruck bringt; dabei haben aber ihrerseits die beiden Begriffe "Gesinnung" und "Einstellung" bereits durchaus perspektivischen Charakter.

Wir wählen diese Bezeichnung "mental" aus zweierlei Gründen zur Kennzeichnung unserer heute noch vorherrschenden Bewußtseinsstruktur. Erstens enthält das Wort in seiner ursprünglichen Wurzel, die im Sanskrit "ma" lautet, aus welcher sekundäre Wurzeln wie "man-" , "mat-", "me-" und "men-" hervorgingen, nicht nur eine außerordentliche Fülle von Bezügen, sondern vor allem drücken die mit dieser Wurzel gebildeten Wörter sämtlich entscheidende Charakteristika der mentalen Struktur aus. Zweitens ist dieses Wort das Anfangswort unserer abendländischen Kultur, denn es ist das erste Wort der ersten Zeile des ersten Gesanges der ersten großen abendländischen Äußerung: dieses Wort, "mental" ist in dem menin (dem Akkusativ von: Menis) enthalten, mit dem die "Ilias" beginnt.

Bei den Äußerungen, die aus der mythischen Struktur hervorgehen, ist nichts zufällig, sondern alles sinnentsprechend. Und sinnentsprechend ist es also wohl auch, wenn gerade mit diesem Wort der uns bekannte früheste Bericht beginnt, der zum ersten Male innerhalb unserer abendländischen Welt nicht nur ein Bild evoziert, sondern eine geordnete, von Menschen und nicht ausschließlich von Göttern getragene Handlung in einem gerichteten, also auch kausalen Ablauf beschreibt.

Das griechische Wort menis, das "Zorn" und "Mut" bedeutet, ist stammverwandt mit dem Wort menos, das "Vorsatz, Zorn, Mut, Kraft" bedeutet und mit dem lateinischen "mens" urverwandt ist, das ungemein komplexe Bedeutung hat: "Absicht, Zorn, Mut, Denken, Gedanke, Verstand, Besinnung, Sinnesart, Denkart, Vorstellung". Mit diesen Inhalten ist bereits das Grundlegende gegeben: es handelt sich um das ansatzmäßige In-Erscheinung-Treten des gerichteten Denkens. War das mythische Denken, soweit man es als ein "Denken" bezeichnen darf, ein imaginierendes Bilder-Entwerfen, das sich in der Eingeschlossenheit des die Polarität umfassenden Kreises abspielte, so handelt es sich bei dem gerichteten Denken um ein grundsätzlich andersgeartetes: es ist nicht mehr polarbezogen, in die Polarität, diese spiegelnd, eingeschlossen und gewinnt aus ihr seine Kraft, sondern es ist objektbezogen und damit auf die Dualität, diese herstellend, gerichtet, und erhält seine Kraft aus dem einzelnen Ich.

Dieser Vorgang ist ein außerordentliches Geschehen, das buchstäblich die Welt erschütterte. Mit diesem Ereignis wird der bewahrende Kreis der Seele, die Eingeordnetheit des Menschen in die seelische, natur- und kosmisch-zeithafte polare Welt des Umschlossenseins gesprengt: der Ring zerreißt, der Mensch tritt aus der Fläche hinaus in den Raum; ihn wird er mit seinem Denken zu bewältigen versuchen. Etwas bisher Unerhörtes ist geschehen, etwas, das die Welt grundlegend verändert. Der Mythos von der Geburt der Athene malt es in Bildern und Bezügen, die eine deutliche Sprache sprechen: Zeus vermählt sich mit der Metis, die als Personifikation der Vernunft und der Intelligenz aufgefaßt wird, und als eine der Töchter des weltumschließenden Okeanos (-Stromes) die Gabe der Verwandlung besitzt (107). Zeus jedoch verschlingt Metis, weil er die Geburt eines Sohnes befürchtet, der mächtiger werden könnte als er, so daß Metis, schon mit der Tochter schwanger, in seinen Leib versetzt wird. Diese Tochter Athene wird aus dem Haupte des Zeus geboren, wobei ihm Hephästos oder Prometheus oder Hermes mit einem Beile das Haupt spalten. Pindar beschreibt diese durch den Beilschlag ausgelöste Geburt, die unter furchtbarem Aufruhr der ganzen Natur und unter dem Staunen aller Götter erfolgte. Das Meer (die große, umfassende Seele) wallt hoch empor; der Olymp und die Erde (die bislang polar einander zugeordnet waren) erbeben (und das sorgsam beobachtete Gleichgewicht ist gestört) ; ja selbst Helios unterbricht seinen Lauf (der Kreis ist tatsächlich unterbrochen worden, und aus der Lücke, der Wunde, tritt eine neue Weltmöglichkeit hinaus).

7.4.3. Manas, Mensch und Men

@:MANAS_MEN
GEBSER73 (129-131): Dem entscheidenden Bewußtseinssprung in der griechischen Welt steht um 1225 v. Chr. ein Beispiel gegenüber, in einer Kultur, die ebenfalls für die unserige konstituierend geworden ist, und in dem das zürnende Element eine bedeutende Rolle spielt: der zürnende Moses , der mit der Schuld des Tötens behaftet ist, ist der Erwecker des Volkes Israel , dem er folgerichtig den strafenden, einzigen Gott gegenüberstellt. Das ist die Geburt des Monotheismus : die Gegengeburt zu dem im Menschen erwachten Ich. Und damit ist es die Geburt des Dualismus : hier Mensch, dort Gott, die sich dualistisch gegenüberstehen und sich nicht mehr polar entsprechen oder ergänzen; denn der einzelne Mensch ist nicht der Gegenpol zu Gott; wäre er es, bedürfte es nicht des Mittlers. Hier entsteht bereits die Trinität , welche die dreidimensionale mentale Struktur mitcharakterisiert. Wir deckten den Bezug auf, der zwischen dem Denken und dem Zorn, zwischen dem griechischen "Menos ", dem lateinischen "mens " und der griechischen "Menis" besteht. Der Zorn, nicht als blinder, sondern als denkender Zorn, gibt dem Denken und der Handlung Richtung; und er ist rücksichtslos, das will besagen: er sieht nicht nach rückwärts, er wendet den Menschen fort von der bisherigen mythischen Welt der Eingeschlossenheit und ist vorwärtsgerichtet, wie die zielende Lanze, wie der in den Kampf stürzende Achill . Er einzelt den Menschen von der bis anhin gültigen Welt - der Ton liegt auf Mensch - und ermöglicht sein Ich. Diese Betonung des Wortes Mensch ist durchaus nicht zufällig. Denn ob "mens" , "Menis" oder "Mensch" - sie sind aus der gleichen Wurzel.

Gehen wir diesen Zusammenhängen nach (109), so ergibt sich die folgende Grundbezüglichkeit, in der die mentale Struktur gründet: aus der Wurzel "ma", die "Denken" und "Messen" bedeutet, gehen die Sekundär-Wurzeln "man", "mat", "me" und "men" hervor. Der Wurzel "man-" entspringt das altindische (Sanskrit -)Wort "manas ", das "innerer Sinn, Geist, Seele, Verstand, Mut, Zorn" bedeutet; und ihr entspringt das Wort "manu", das im Sanskrit den "Menschen, Denker und Messenden" bezeichnet; auf dieses Wort gehen ferner zurück (um nur einige zu nennen): das lateinische "humanus", das englische "man", das deutsche "Mann ", aus dessen Adjektivform "männisch" das Wort "Mensch " entstand.

@:MINOS
Sehen wir davon ab, daß selbst das lateinische "humus", das "Erde" bedeutet, hierher gehört (110), so muß doch betont werden, daß außer dem Namen des indischen Gesetzgebers "Manu " auch der des kretischen Königs "Minos " und der des ersten "geschichtlichen" Königs Ägyptens, "Menes ", auf diese Wurzel "man " zurückgehen dürften. Jedenfalls kann es als erwiesen gelten, daß "Minos" geradezu der "Wäger" beziehungsweise der "Messer" (der Wägende oder Messende) bedeutete (111), womit auch inhaltlich seine Verwandtschaft mit dem indischen "Manu" gegeben ist. Man dürfte nicht fehlgehen, wenn man in dem fast gleichzeitigen Auftauchen dieser drei legendären Gestalten, die ein menschheitliches Mutationsprinzip verkörpern, einen Hinweis auf eine erste Sichtbarwerdung der mentalen Bewußtseinsstruktur erkennen wollte: denn wo der Gesetzgeber in Erscheinung tritt und nötig wird, da ist das alte Gleichgewicht (das ein polar-mythisches war) gestört, und es beginnt jenes Setzen und Fixieren, das es wiederherstellen soll. Nur die mentale Welt bedarf des Gesetzes, die in der Polarität geborgene mythische Welt bedarf seiner nicht und kennt es nicht. Im frühgriechischen Kulturkreis dürfte dieses mentale Prinzip nicht nur in den Namen "Menerfa, Metis, Hermes und Prometheus" aufleuchten; vielleicht enthält auch der Name des Königs von Mykene, Agamemnon, sicher wohl aber der des Königs von Sparta, Menelaos, dieses mentale Prinzip, da alle diese Namen die Wurzel "ma: me" beziehungsweise deren Sekundärwurzel enthalten. Auch mag es nicht zufällig sein, daß um des Menelaos' Gemahlin Helena, welche die Schwester der Klytaimnestra und die Schwägerin des Agamemnon war, jener Trojanische Krieg entbrannte, der den Sieg des Vaterprinzips über das Mutterprinzip darstellen dürfte (s. S. 223 42 u. 43).

Gehen wir jedoch den anderen Sekundärwurzeln nach. Als zweite haben wir die Wurzel "mat" genannt. Aus ihr entspringen die Sanskritwörter "matar" und "matram": "matar" wird zum griechischen mates und metes (mater und meter gleich "Große Mutter"); aus ihm bildet sich unter anderen unser Wort "Materie"; "matram", das ein "Musikinstrument" bedeutet, kehrt in diesem Sinne im griechischen metson (metron) wieder; aus ihm bildet sich unser Wort "Meter".

@:MATRIX
Schon hier sei darauf hingewiesen, was uns später (s. S. 301 u. 333) ausführlicher beschäftigen wird: daß die ursprüngliche Wurzel "ma: me" latent und komplementär auch das weibliche Prinzip enthält. Denn das griechische Wort für "Mond", men (men), geht auf diese Wurzel zurück. Und die Sekundärwurzel "mat" erlebt ja in der heutigen patriarchalen Welt ihre Glorifizierung, die sich in dem Beherrschtsein des rationalen Menschen durch die "Materie" und den "Materialismus" zu erkennen gibt (112). War der Mond für den frühen Menschen der zeitliche Maßstab, so ist die Materie für den heutigen Menschen der räumliche Maßstab.

@:MENTIRI
Schließlich gehen aus den Wurzeln "me-" beziehungsweise "men-" nicht nur die zahlreichen griechischen Verben (113) hervor, die alle in mehr oder minder starker Form einerseits: "zürnen, grollen", andererseits "verlangen, begehren, trachten, streben, im Sinne haben und ersinnen" bedeuten, wobei die Tatsache betont werden muß, daß sie ein gegen jemanden gerichtetes Trachten, Streben und Ersinnen zum Ausdruck bringen. Und auf diese Wurzel geht durch alle germanischen Sprachen hindurch über das griechische medomai (medomai), das "an etwas, auf etwas denken" (also ein durchaus gerichtetes Denken) bedeutet, unser "ermessen" zurück, das sowohl "messen" wie "erwägen" und "bedenken" ausdrückt. Sie bildetete das englische Wort "mind", aber auch das lateinische "mentiri ", das "lügen" bedeutet (!). Und es sei noch erwähnt, daß sie das griechische Fragewort ti in der Wendung ti men (ti men) - "Warum ?" als verstärkendes Element begleitet und so die Frage mitformt, die am Anfang aller Wissenschaften steht, zu deren Schutzgöttinnen sowohl Athene wie Minerva erhoben wurden (114). Die Wurzel, die dem Worte "mental" zugrunde liegt, enthält keimhaft eine ganze Welt, die in der mentalen Strukturierung Gestalt, Form und Wirkcharakter annimmt.


[90] Heidegger (1977b: 8): Die Übersetzung der griechischen Namen in die lateinische Sprache ist keineswegs der folgenlose Vorgang, für den er noch heutigentags gehalten wird... Das römische Denken übernimmt die griechischen Wörter ohne die entsprechende gleichursprüngliche Erfahrung dessen, was sie sagen, ohne das griechische Wort. Die Bodenlosigkeit des abendländischen Denkens beginnt mit diesem Übersetzen.
[91] {Para / Pera}-Phrase der Einführungszeile (proimion) aus einem Stück von den Rolling Stones.
peirasis ->: PERAS, p. 50
[92] Heraklit, B 64: ta de panta oiakizei Keraunos. s.u.
[93] ->: MNAEMAE, p. 52 ->: PHAINO, p. 54
[94] in griechisch etwa: phonae-plexis -> syn-plexis -> syn-apsis.
[95] Die Form der Worte (mor-phono-logie) von Homer unterscheidet sich an vielen Stellen wesentlich von der der späteren Autoren.
[96] Das cha- Morphogramm:
chaino: weit öffnen, gähnen, gaffen -> chao
cham: zur erde gehörig, niedrig, erden-
chalyx: kelch -> kylix, -> kalpis: a hollow vessel -> kalypt: verborgen -> kalypso: die nymphe
chaos: der leere unermeßliche raum, auch unterwelt, ungeordnete masse, aus der die welt geschaffen wurde
chara- : riß in der erde, schluchten etc
charaktaer: grabstichel, das eingegrabene, charakter, eigenart -> Grammata
charassoo: eingraben, einschnitte bilden (633)
charybdis: meerstrudel (634)
charoon- eios , unterwelt -> chthon
chasko: gähnen, maul aufsperren
chasm /-a /-ae : gähnend, klaffend -e öffnung
chasmatias: erdbeben, das schlünde in der Erde öffnet
[97] Orpheus sei hier der "nom de plume" de{s/r} unbekannten Verfasser{s} der Orphischen Hymnen.
[98] Die Bibliothek von Alexandria soll 500.000 Schriftrollen umfaßt haben. Canfora (1988)
[99] Die Brände sind natürlich für uns auffallender als das stille Verrotten. Da Papyrus sich nur in dem sehr trockenen Klima von Ägypten lange hält, aber in allen anderen Gegenden des damaligen römischen Imperiums durch klimatische und Insekten- Faktoren bald zersetzt wird, war der Wissensverlust unvermeidlich, als keine Kopisten in ausreichender Zahl mehr verfügbar waren.
[100] Dies zum Teil mit fatalen Folgen, wenn man z.B. ihre Staats- und Gesellschaftstheorien ansieht. Popper (1992) hat dies ausgiebig untersucht.
[101] Auch darüber gehen die Meinungen der Fachleute weit auseinander.
[102] Siehe oben: Morphae - gramma: die Klang-Form.
[103] Auf die naheliegende Frage, warum es denn nun plötzlich verboten sein sollte, sich den Grenzen (pera) zu sehr zu nähern, oder sie sogar zu untersuchen, ist die leicht einsichtliche Antwort: Da das Im-Perium sich nur dadurch erhalten kann und seine Machtstrukturen wirken lassen kann, wenn die Menschen sich tunlichst innerhalb der ihnen von der höchsten Autorität (hieros-archae) vorgegeben Grenzen halten, und nicht von den vorgeschriebenen Denk- und Verhaltensmustern abweichen. Wie wir alle wissen, entstand die christliche Religion aus einer sehr interessanten Verbindung jüdischer Mystik (Messias / M-Essener), mit hellenistisch-orientalischer Mystik (Chrysto- / Chresto- / Christo-logie: Joh. 1.1.), und einem mehr als gehörigen Zu-Schuß von römischen Im-perialismus (St. Paulus). Das weiter zu verfolgen ist hier nicht das Thema, aber wir können leicht sehen, wie das spirituelle (nicht von dieser Welt) Im-perium hier seine Fundamente findet. Der Im-perator (hier-archon) ist deshalb der, der alles schön in seinen vorbestimmten Grenzen festhält, und dafür sorgt, daß seine Schäfchen nicht auf anderen Wiesen weiden, und wenn schon, dann wenigstens daß sie zur Schafschur und zur Schlachtung wieder rechtzeitig im heimischen Stall sind. In dieselbe Richtung geht auch die vielsagende römische Legende Plutarchs von der Gründung des nachmaligen Imperiums durch Romulus und Remus, (Campbell 1996, III, 358-359). Es wurde eine runde Grube ausgehoben (chasm / chaos) und als mundus bezeichnet, dann wurde mit einem Pflug eine Furche (peras) darum herum (peri) gezogen. Wer diese Furche mutwillig überspringt, wird mit dem Tode bestraft.
[104] Siehe dazu auch Gennep (1960: 15-25), und das Konzept des limen als räumlich und zeitlich ausgedehnter Grenzbereich.
[105] aristos: bester, tüchtigster, edelster, vornehmster.
[106] telos: Ende, Ausgang, Ziel, Vollendung, Ausführung, Erfolg, Tod, Grenze -> peras.
teleios: vollendet, beendet, vollkommen, endgültig.
[107] haegemon
[108] (Diels 1954,I:12); (Pleger 1991: 61)
[109] ->: MENIS, p. 62.
[110] ana- : darauf, daran, auf, hinauf, über, hin durch, entlang, während (zeitlich), hindurch.
[111] (Hesiodos 211 ff.); Hamilton (1942: 36, 228)
[112] Z.b. Plato, Meno 81 A ff.; Hoffmeister (1955: 38)
[113] phonae mit Omega. phonae mit Omikron bedeutet Mord.
[114] eine alte Bedeutung von phos, photos ist: der Sterbliche, der Mann.
[115] Konjugationsformen von phaemi: ephaen, ephasa, ephastai, ephanto, phato, phao, ephato.
[116] Zu verstehen etwa im Sinne von Schopenhauer (1977).
[117] S.a.: das phainomenon, Heidegger (1977a: 38-48), Peirces Begriff des "phaneron" Peirce (1931-1958): CP 1.284; Hoffmeister (1955: 437): "phainomenon, das Erscheinende, die *Erscheinung, die sich den Sinnen darbietet; dann übertragen auf alle Bewußtseinsinhalte..."
[118] Hoffmeister (1955: 437): "nou-menon, nach Plato (Staat 508 C ff.) das mit dem Geiste (*nous) zu Erkennende im Unterschied zu dem mit den Augen zu sehenden, der Erscheinung... Vgl. Kant, Prolegomina §§ 32-35."
[119] Über leichte Divergenzen in der Interpretation sehen wir hier großzügig hinweg.
[120] Etwa nach Hegel oder in den diversen religiösen Systemen bei Gott.
[121] Siehe die Diskussion von Gebser.
[122] Der Unterschied von thae- und the- wird hier vernachlässigt.
[123] ergon ?
[124] Hoffmeister (1955: 476)
[125] Siehe den Artikel von Günther Palm .
[126] Breidbach (1993), (1997) and Brock (NeuroAe), Brock (1994), Calvin (1989), (1991) (1996a), Edelman (1992), Gazzaniga (1989), Haken (1992), Maturana (1982-1994a), Pöppel (1978-1995), Riegas (1990), Roth (1996), Schmidt (1987, 1991), Spitzer (1996), Mühlmann (1996: 30);
Brock: (URL) http://www.uni-wuppertal.de/FB5-Hofaue/Brock/Projekte/NeuroAe2.html,
Howard Bloom: Tools of Perception - The Construction of Reality: History of the Global Brain, Part VII, (URL) http://www.heise.de/tp/deutsch/special/glob/default.html
[127] Uexküll, in Cassirer (1994: 23-25); Gumilev (1990) geht mit der physikalischen Metapher noch weiter, und spricht von Phänomenen der Induktion.
[128] Das deutsche Wort "Muster" wird hier als Übersetzung des englischen Begriffs "Pattern" verwendet. Pattern weist in der genannten Literatur auf eine Gesetzmäßigkeit, und Regelmäßigkeit hin, die sich über alle Modalitäten der Wahrnehmung erstrecken kann.
[129] S.a. Thom (1975: 10)
[130] S.a. Roth (1996: 213-247)
[131] Popkin (1956: 200-208). In Kontradistinktion zu Parmenides: "to gar auto noein estin te kai einai" (wahrlich, dasselbe ist Erkennen und Sein). (B1, 1,21)
[132] S.a. Klages (1981, III, 499-551): "Vom Wesen des Rhythmus".
[133] Seashore (1967), Simon (1968)
[134] Godwin (1989), Haase (1998), Iamblichus: "Das Leben des Pythagoras", James (1993), Kayser (1930-1950), Kepler (1982), McClain (1978), Schneider (1951-1990)
[135] Thom (1975)
[136] Rudhyar (1988: 119, 132, 230-236)
[137] Erinnerung ist essentiell für das Erkennen der Musterhaftigkeit von temporal auseinanderliegen Ereignissen, also ihre Gruppierung unter einem Merk-mal.
[138] Hertha v. Dechend (1993).
[139] S. a. das Zitat von Bazon Brock "Theorie der Avantgarde", unter "Kultur im Spannungsfeld von Tradition und Innovation".
[140] S.a. Gumilev (1990: 186): "grouping on the principle of similarity and causal succession"; die Anmerkungen von Spengler zur Morphologie der Wissenschaften (1972: 548-553); Schunk (1996); Riedl (1990); Barrow (1998: 5-6, 57-58, 89, 190-193). Heidegger (1976b: 244):
Epagogae meint nicht das Durchlaufen einzelner Tatsachen und Tatsachenreihen, aus deren ähnlichen Eigenschaften dann auf ein Gemeinsames und "Allgemeines" geschlossen wird. Epagogae bedeutet Hinführung auf Jenes, was in den Blick kommt, indem wir zuvor über das einzelne Seiende weg blicken...
[141] s.a. Karbe (1995: 296-355). In einer mehr informationstechnischen Sprechweise finden wir ein ähnliches Konzept unter dem Begriff "Conceptual Navigation". S.a. Veltman (1986, 1997, 1998)
[142] siehe: Gebser (1973), Brock, (AGEU: 198-214), Karbe (1995: 296)
[143] Spengler (1980: 65-70, 611-612)
[144] Gumilev (1987), (1990)
[145] s.a. Gumilev 1990: 98-100
[146] Pöppel (1978-1995).
[147] S.a.: Hume: zu Kausalität und Induktion (Straub 1990: 139-146), Nietzsche, Götzen-Dämmerung, Die Vier großen Irrtümer
[148] (373): "Die vergangenen und erst ankommenden Erlebnisse sind dagegen nicht mehr, bzw. noch nicht 'wirklich'...
Das Dasein durchmißt die ihm verliehene Zeitspanne ... dergestalt, daß es, je nur im Jetzt wirklich, die Jetztfolge seiner 'Zeit' gleichsam durchüpft. Bei diesem ständigen Wechsel der Erlebnisse hält sich das Selbst in einer gewissen Selbigkeit durch."
(410) "An das Besorgte vielgeschäftig sich verlierend, verliert der Unentschlossene an es seine Zeit. Daher denn die für ihn charakteristische Rede: 'Ich habe keine Zeit'."
[149] Brock, AGEU, p. 194
[150] Z.B. Assmann & Assmann (1983-1995), Bergson (1919), Connerton (1989), Halbwachs(1985), Harth (1991), Loftus (1980), Norman (1970-1982).
[151] Roth (1996: 276), Schmidt (1991), Spitzer (1996)
[152] Harth (1991: 99)
[153] Wer erinnert sich noch an den speziellen Atemzug, den er vor 20 Jahren, am Sonntagmorgen, den x.x.xxxx, beim Aufstehen tat?
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