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7. Zusammenfassung

Die vorliegende Arbeit steht unter dem Thema: "Design und Zeit: Kultur im Spannungsfeld von Entropie, Transmission, und Gestaltung". Das im Titel genannte Spannungsfeld ist auch das Design-Prinzip der Arbeit selber: Es ist die Methode Goethes, die er in seinem "Faust" angewandt hat: das Aufbauen von primären Spannungsfeldern, und die Entwicklung des Themas (bzw. des Dramas) aus dem Aufeinander-Einwirken dieser Felder. [364] Die Grundlage der Arbeit ist nicht das Gewordene, Fixierte ( ergon), sondern die Dynamik und das Werden ( en-ergeia). Dynamik kann nur aus Dynamik verstanden werden. Auf diese Weise werden die Gestaltungs-Prinzipien der Arbeit selbst-reflexiv und konstruktiv eingesetzt . Andere Beispiele des konstruktiven Einsatzes von Spannungsfeldern kennen wir aus der Architektur, wie Buckminster Fullers Konstruktionsprinzip der "Tensegrity" (Tensional Integrity), oder von Frei Otto in Deutschland. Sein am besten bekanntes Werk ist das Zeltdach des Münchener Olympiastadions. [365]

Aufbau und Struktur der in der Arbeit verwendeten Spannungsfelder werden in Kapitel 2 beschrieben. Hierbei grundlegend ist der Neuronale Attraktor ,[366] dessen Wirkungsweise mit einem bekannten Gestalt-Kippbild demonstriert wird. Das Umschlagen der Motive des Kippbilds wird als grundsätzliche Funktionsmöglichkeit unseres Weltbildapparats verstanden, in dem Sinne, daß Weltbilder, Referenzrahmen, Perspektiven, und Kuhnsche Paradigmata mehr oder weniger spontan umschlagen können. Ähnliche Erscheinungen werden auch als Metanoia, oder Kata-Strophae (im Sinne von R. Thom), bezeichnet. Im Goetheschen Sinne finden wir hier das Grundprinzip der Metamorphose, der Veränderung der Formen. [367]

Das tripolare Spannungsfeld der Zerstörungsfaktoren der kulturellen Transmission wird gebildet von den zu vermeidenden Polen: [368]
1) Zerfall: Die Tendenzen der entropischen Zersetzung, und Auflösung.
2) Erstarrung: Die Tendenzen von mechanischer, rigider Transmission, Gerontokratie.
3) Hypertrophie: Die Tendenzen des chaotischen, und blinden Wildwuchses, Jugendwahn.

Die anzustrebenden, gegeneinander auszubalancierenden, Maximen des guten kulturellen Design sind: [369]
1) Das Bewahren, die Tradition des Erreichten, die Fortpflanzung der kulturellen Güter und Errungenschaften von der Vergangenheit in die Zukunft.
2) Die Kreativität, die Permanente Neugestaltung , die Selbst-Erneuerung der "Kultur".

In Kapitel 1 wird die "Kultur als Transmissionsdynamik" eingeführt. Es ist der Bereich der Transmission ontogenetischer, d.h. in der Lebenserfahrung erworbener Muster. [370] In einem Wortspiel, das sich an Heideggers "Sein und Zeit" anlehnt, wird mit "Design und Zeit" [371] das Spannungsfeld angesprochen, in dem alle lebenden Organismen der Biosphäre, seit Anbeginn des Lebens auf der Erde, vor mehr als 3 Mrd. Jahren stehen: In der thermodynamischen Sprache der dissipativen Strukturen ist Leben die ständige Aktivität von dissipativen Strukturen, ihre Muster gegen den entropischen Strom der Auflösung zu bewahren, fortzupflanzen, und fortzuentwickeln .[372] Der Aspekt des "Design" bezeichnet in diesem Zusammenhang den Gestaltungs- und Freiheitsgrad der Organismen, der brutalen Kausalität der physikalischen Ereignisse durch ihre eigene, innere " Not-Wendigkeit" zu entweichen, wie es Lars Karbe, ebenfalls in einem Wortspiel, darstellt. Er meint damit ihre Wendigkeit, um aus der Not einen Vorteil zu machen. [373] Dies nennt er auch "Design oder Nichtsein", [374] in Anlehnung an den berühmten Spruch von Hamlet. Damit baut sich die Arbeit auch auf die Spannungsfelder dieser Wortspiele auf, die sich gegenseitig, wie ein freitragender semantischer Kuppelbau, unterstützen, und dynamisieren. Diese semantische Dynamik wird später, in Kapitel 3, bei der Analyse des Namens Mephistopheles wieder aufgegriffen, der hiermit als verkörperter Agent der Metamorphose erscheint, dessen Namen wie ein uchronisches Kraftfeld durch die gesamte Geschichte des Abendlandes hindurch reicht. [375] "Kultur" ist der Bereich der Transmission ontogenetischer Muster, welcher von der Transmission phylogenetischer Muster verschieden, aber darin eingebettet ist. [376] Ein "vitales" Kernthema der Mustertransmission ist die Bewahrung der Formen des Lebendigen gegen die zerstörende und auslöschende Wirkung der Zeit, also das Spannungsfeld von Tod und Unsterblichkeit. Dies ist eine Grundfrage aller Religionen, und so stellt sich die kulturelle Transmission dar als eine Form der "virtuellen Unsterblichkeit". Dies ist auch ein Zentralthema in Goethes Faust. [377]

Kapitel 4. werden die allgemeinen systematischen Grundlagen der " Meta-Morphologie: Eine Systematik der Muster, ihrer Transmission, und ihren Veränderungen" eingeführt. [378] Mit der Morphologie der Muster-Transmission lebender Systeme lassen sich phylogenetische (biologische) und ontogenetische (kulturelle) Muster unter einem gemeinsamen Generalbegriff behandeln. [379] Es wird insbesondere dargestellt, wie mit dem Entstehen von Zellkern-Organismen, den Eukaryoten, ein Bruch in der ontogenetischen Transmission auftrat (die Weismann-Barriere), denn bei Prokaryoten (Bakterien) gibt es keinen Unterschied zwischen der Transmission ontogenetischer und phylogenetischer Muster. [380]

Mit der Entstehung hochentwickelter Nervensysteme, vor allem der Vögel und Säugetiere, war das Grundprinzip der Transmission (quasi-) kultureller, ontogenetischer Muster bei den höheren Vielzellern gegeben: es basiert auf Neuronaler Koppelung , oder Neuronaler Resonanz .[381] Diese wird zwischen der Eltern-Generation und den Jungen aufgebaut, und läßt sich zu Systemen von Kommunikation und quasi-kultureller Transmission plastisch überformen. Im Falle des Menschen treten die höheren Transmissionsformen auf, die mit Symbolik und Sprache, und abstrakten Formalsystemen in Verbindung stehen, die dann im engeren Sinne Kulturleistungen sind.

Kapitel 5.: "Die Systematik der Formen kultureller Transmission" stellt den Haupt- und Ergebnisteil der Arbeit dar. [382] Die kulturelle Transmission wird dargestellt als Muster von Mustern (Metapattern), die auf Basis der Neuronalen Resonanz [383] sowohl in den kulturellen Agenten, wie auch im erkennenden System eines Beobachters entstehen. Damit sind zwei polare, prinzipiell gleichwertige, Sichtweisen der kulturellen Transmission möglich: der kollektiven Erinnerung (Tradition, Übermittlung von Lebenserfahrungen zwischen den Generationen), und des Kulturellen Musters (als Manifestation und Transmission von Merkmalskomplexen). Diese Polarität ist ähnlich wie der Welle-Teilchen Dualismus der Physik als grundlegend und nicht zugunsten einer Seite auflösbar anzusehen. Hiermit wird ausgedrückt, daß die Menschen aus ihren eigenen, persönlichen Wünschen und Antrieben, ihrer Kreativität und Gestaltungskraft (Design), [384] ihre "Kultur" in jedem Augenblick der Performanz immer neu erschaffen, aber daß "Kultur" ebenso als lebensnotwendige Voraussetzung, als das Präsente in der Summe der neuronalen Prädispositionen der Mitmenschen, und der materiellen (medialen) Gegebenheiten einer jeden Gesellschaft, unausweichlich die Bedingungen (und damit auch die Zwänge) stellt, unter denen Menschen sich überhaupt betätigen können. Somit also entfaltet sich nach dem Titelthema die "Kultur im Spannungsfeld von Entropie, Transmission, und Gestaltung".

Menschliche kulturelle Transmission basiert auf somatischen (körperlichen) und extrasomatischen Faktoren. [385] Die somatischen sind die körperlichen und seelischen Vermögen: Wahrnehmungsfähigkeit, Ausdrucksfähigkeit und Erinnerung, die nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis auf der neuronalen Basis beruhen. Die extrasomatischen Faktoren werden Medien genannt. [386] Neben den Material-Eigenschaften der Medien, die etwas ausführlicher an den Eigenschaften von Papyrus und Ton-Tafeln diskutiert werden, lassen sich Transmissionen grob klassifizieren in performative und speichernde. Weiterhin ist eine Klassifizierung in sprachliche und nichtsprachliche Transmission möglich. [387] Ein wesentlicher Fokus der Arbeit ist der Faktor der Dynamik in der kulturellen Transmission, da in den Zivilisationen eine erhebliche Dominanz der speichernden und fixierenden Systeme, wie der Schrift, besteht, und viele dynamische, nicht-speichernde kulturelle Transmissionen der Menschheit in unseren Tagen vom Untergang bedroht sind. Da dynamische Transmission auch eine dynamische Partizipation des ganzen, somatischen Menschen bedingt und fordert, stehen hier auch Fragen der geistigen und seelischen Gesundheit der Menschen in den postmodernen Zivilisationen zur Debatte. Dies wird in einer neuen Formulierung des alten Erziehungsideals im Sinne der antiken paideia, als " anima sana in corpore sano " angesprochen, und es wird "Ein Programm zur Dynamisierung des Wissens: Die Wiedereröffnung der Peripatetischen Schule" vorgestellt. [388]

In Kapitel 6.: "Kultur im Spannungsfeld von Tradition und Innovation" werden in einem kurzen Ausblick aus der Sicht der oben gewonnenen Ergebnisse einige wesentliche Aspekte und Desiderata des Social Design dargestellt. [389]

Ergänzend zu den in den sechs Kapiteln behandelten inhaltlichen Themen ist das Informationsdesign der Arbeit ein strukturelles Element: [390] Hier stellt die Arbeit einen pragmatischen Beitrag zu m Bereich der Innovativen Gestaltung eines Hypertext-Informationsdesigns dar. Dieses Thema ist seit Jahren ein Anliegen des Autors, der deshalb entsprechende Systementwicklungen auch selber betrieben und im Rahmen dieses Dissertationsthemas angewandt hat. Dies ist in sich ein Beitrag zum Thema dieser Arbeit, nämlich zu Formen der kulturellen Tradierung von Wissen und kann zugleich als eine Realisierung bzw. als ein Prototyp eines Pyramidalen Buches verstanden werden, wie es Robert Darnton in jüngster Zeit formuliert hat. [391] Hiermit wird eine bicompatible Lösung der Textgestaltung präsentiert, die sich sowohl für die konventionelle Darstellung im papiergebundenen Drucktext eignet, als auch die neuen technisch unterstützten Möglichkeiten der Dynamisierung von Hierarchie und Vernetzung in Form von Hypertext einsetzt. Damit wird der Goetheschen Vision des Worte-Webens eine vorher nicht praktikabel durchführbare Tiefendimension hinzugefügt. [392]

In diesem Sinne stellt die vorgelegte Arbeit auch einen innovativen Beitrag zur aktiven, schöpferischen Selbst-Fortpflanzung der "Kultur im Spannungsfeld von Entropie, Transmission, und Gestaltung" dar.






@:MATERIAL_SECTION





[364] ->:GOETHEFAUST, p. 34, ->:EX_ARCHAE, p. 36, ->:MEPHAISTOMORPHOSE, p. 37
[365] ->:SPANNUNGSF, p. 22
[366] ->:NATTRAKTOR, p. 23 ->:GESTALTBILD, p. 24
[367] ->:MEPHAISTOMORPHOSE, p. 37, ->:MORPHOLOGIE, p. 40
[368] ->:TRISPANNUNG, p. 30
[369] ->:TRANSM_SPANNG, p. 20
[370] ->:TRANSMISSIONSDYNAMIK, p. 20
[371] ->:DESIGN_ZEIT, p. 18
[372] ->:SEINWERDEN, p. 25
[373] ->:SOCIODESIGN, p. 89
[374] ->:DESIGN_NICHTSEIN, p. 19
[375] ->:MEPHAISTOS, p. 35, ->:UCHRONIE, p. 60
[376] ->:DESIGN_ZEIT, p. 18 ->:TRANSMISSIONSDYNAMIK, p. 20
[377] ->:SEINWERDEN, p. 25, ->:FAUSTVIRT, p. 54, ->:MENSCHZEITSTRU, p. 58,
->:ONTO_PHYLO, p. 63, ->:TRADITION_INNOV, p. 82, ->:IMMORTALITY_COMPLEX, p. 137
[378] ->:MORPHOLOGIE, p. 40
[379] ->:MUSTEREPOCHEN, p. 45, ->:MUSTERTRANSMISSION, p. 48, ->:BIOSPHAERE, p. 50
[380] ->:ERINNERUNGSBRUCH, p. 49
[381] ->:NEURO_RESONANZ, p. 52
[382] ->:SYSTEMATIK_TRANSMISS, p. 64
[383] ->:NEURO_RESONANZ, p. 52
[384] ->:DESIGN_NICHTSEIN, p. 19->:THEOPRAGMA, p. 27
[385] ->:FAKTOREN_TRANSMISS, p. 65
[386] ->:EXTRASOMATISCH, p. 66
[387] ->:SPRACHLICH_NICHTSPR, p. 71
[388] ->:FAKTOR_DYNAMIK, p. 77, ->:ANIMA_SANA, p. 78, ->:PERIPATEISCH, p. 78
[389] ->:TRADITION_INNOV, p. 82, ->:SOCIODESIGN, p. 89
[390] ->:INFO_DESIGN, p. 15
[391] ->:PYRAMIDAL_BUCH, p. 16
[392] ->:WORTE_WEBEN, p. 237

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