1. Einleitung
1.1. Das
Ge-Schichte der Geschichte:
Muster-Transmission
in replikativen dissipativen Systemen
Der
Aspekt der "Entropie und Transmission" unseres Titelthemas betrifft
die
Einbettung der kulturellen Erscheinungen in eine allgemeine Systematik von
Muster-Transmissionen in replikativen thermodynamischen dissipativen Systemen -
den lebenden Organismen der Biosphäre der Erde. Bazon Brock spricht in der
Einleitung zur "Ästhetik gegen erzwungene Unmittelbarkeit"
[12]
von der unentrinnbaren Vorgeprägtheit aller unserer Erfahrungen. Diese ist
durch das Zusammenwirken von zwei Faktoren bedingt: 1) der
evolutionär
in phylogenetischer Transmission gewachsenen Struktur
unseres "Weltbildapparats",
[13]
unseres Sinnes- und Nervensystems, und 2) durch seine
kulturelle
Programmierung in der ontogenetischen Transmission
.
Wir können uns dies bildlich als´ ein vielschichtiges System von
Filtern
[14]
vorstellen, das sich wie eine russische Schachtelpuppe in den Äonen der
biologischen und kulturellen Evolution gebildet hat, und das, in der jeweilig
spezifischen ethnischen Ausprägung, das Weltbild-Repertoire eines jeden
lebenden Menschen bildet.
[15]
Das deutsche Wort
Geschichte
bietet uns in seiner Doppelbedeutung eine geeignete Darstellung dieses
Zusammenhangs:
das
Ge-Schichte
als das im Nervensystem eines jeden lebenden Menschen vorhandene Konglomerat
aller Filter,
[16]
und
die
Geschichte
als die temporale Projektion und Kondensation der gesammelten Er-innerungen der
Biosphäre und der Menschheit, im
Jetzt.
[17]
1.2. Design
und Zeit
Der
andere Teil des Titelthemas: "
Design
und Zeit
"
ist ein Wortspiel,
[18]
eine Anspielung auf das berühmte Werk
Heideggers,
"
Sein
und Zeit
",
in dem er die Temporalität der menschlichen Existenz aus der
phänomenologischen Perspektive des Erlebens des Individuums behandelt. In
der vorliegenden Arbeit soll aber eine andere Perspektive eingenommen werden
:
Statt der Sicht des erlebenden Menschen, soll hier die Perspektive dessen
eingenommen werden, das
über
das menschliche Leben hinaus
währt
(das
Über-Menschliche
im
Sinne Nietzsches). In Anlehnung an Heideggers Methode können wir fragen:
Was ist das (Immer-)
Währende,
[19]
das
Jen-Zeitige,
das über den Horizont der Temporalität des menschlichen Erlebens
hinausreicht? Dies läßt sich unter folgenden Gesichtspunkten
betrachten: Unter dem Aspekt der metaphysischen Bereiche, der unsterblichen
Seele, dem ewigen Reich Gottes und der Engel, wie sie z.B. von Swedenborg
beschrieben wurden, und von Goethe in seinem Faust-Stoff eingearbeitet wurden,
[20]
oder unter dem Aspekt des Physischen.
[21]
Dies läßt sich wieder
untergliedern,
in:
1)
die unbelebte, materielle Natur der Physik, des Kosmos, der Sonne und der
Planeten,
[22]
2)
die lebendige Natur der
Organismen
in der Biosphäre
,
[23]
und
3)
die "
Kulturelle
Transmission
".
Die
letztere
ist
das hauptsächliche Thema der vorliegenden Arbeit, und die Aufgabe ist es,
das "
Sein
in der Zeit
"
dieser Transmission näher zu bestimmen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist der
Begriff des
Design,
oder der
Gestaltung.
1.3. Design
oder Nichtsein
Wir
können dies mit einem anderen Wortspiel deutlicher machen, diesmal mit
Anleihe bei Hamlet: "
Design
oder Nichtsein, das ist hier die Frage
".
[24]
Der berühmte Ausspruch Hamlets, "Sein oder Nichtsein"
ist ein subtiler Projektionsmechanismus, der über den Ausschluß von
Alternativen arbeitet. Hinter der im Theaterstück sichtbaren Agenda finden
wir eine unausgesprochene, eine unsichtbare Agenda, die der ausgeschlossenen
möglichen Alternativen: Das "Sein oder Nichtsein"
fesselt den Protagonisten, sowie den Leser/ Zuschauer des Stücks an eine
ausschließliche Alternative, zwischen "Sein" als
Leben
und "Nichtsein" als
Tod.
Was dabei aber ausgeschlossen und verborgen wird,
[25]
ist, daß es noch eine dritte Möglichkeit zwischen "Sein
und
Nichtsein" gibt, das
Werden
(und
Vergehen).
Dies ist wiederum ein wesentlicher Fokus der vorliegenden Arbeit:
Kultur
als Werden
.
"Kulturelle
Transmission" steht in einem doppelten Spannungsfeld, dessen Pole man auch als
die Hauptanforderungen an die "Kultur"
[26]
bezeichnen könnte.
Erstens:
des
Bewahrens,
der
Tradition
des Erreichten, der
Fortpflanzung
der kulturellen Güter und Errungenschaften von der
Vergangenheit
in die
Zukunft.
Dies können wir auch als das
Gewordene
der Kultur bezeichnen.
[27]
Aber diese Tradition sollte nicht nur eine sture und starre Replikation, oder
mechanische Transmission
[28]
sein, sondern sie sollte
Zweitens:
auch die
Permanente
Neugestaltung
,
die
Selbst-Erneuerung
der Kultur sein. Dies können wir als das
permanent
Werdende
der Kultur bezeichnen.
[29]
Es ist hier mit den Begriffen
Design,
oder
Gestaltung
verbunden.
[30]
Zunächst
soll eine kurze Vertiefung des Aspekts der
Transmission
folgen:
1.4. Kultur
als Transmissionsdynamik
"Kultur
ist eine Transmissionsdynamik. Merkmale werden innerhalb einer Generation und
von einer Generation auf die nächste übertragen"
[31].
Der
Begriff "Kultur
"
hat in der Umgangssprache und in den Fachdiskursen eine Vielzahl von
Bedeutungen, so daß es geboten erscheint, bei seiner Nennung eine
Definition anzubieten, welcher Aspekt in dem betreffenden Kontext behandelt
werden soll
.
[32]
Die Definition der Kultur von
Heiner
Mühlmann
als "Transmissionsdynamik" wird in unserem Kontext als offene
Minimal-Bestimmung angesehen, in dem Sinn, daß wir hier einen
(hoffentlich) konsensfähigen Kern haben, der aber noch weitere
Bestimmungen nicht ausschließt. Mit der Bestimmung als
"Transmissionsdynamik" ist es möglich, die naturwissenschaftlichen
Erkenntnisse und Methoden aus Biologie, Thermodynamik und Informationstheorie
auf das Phänomen der Kultur anzuwenden, und den Kulturbegriff im Sinne
einer naturwissenschaftlichen Behandlung diskursfähig zu machen.
Mühlmann
führt dies in seinem Buch mit der im Untertitel erwähnten
kulturgenetischen Methode aus. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung
erscheint diese Herangehensweise auch deshalb als geeignete Grundlage, weil
hier nicht die Frage nach dem "Was" (ontisch) der Kultur beantwortet wird,
sondern nach dem "Wie" (prozessual). Eine ontische Fragestellung wäre
insofern problematisch, da nach nominalistischer Sicht die Kultur kein
dingliches "für sich sein" besitzt. Dies ist aber, wie oben schon
erwähnt, eine reine Definitionsfrage. Mit der anfänglichen
Fokussierung auf den Aspekt der "Transmissionsdynamik" sind Erweiterungen, wie
Verfeinerung und Verbesserung, bzw. "Eu-Kultur"
,
[33]
möglich, die bei Mühlmann und Brock unter dem Stichwort "Hominisierung"
[34]
oder "Zivilisierung"
[35]
der Kultur angesprochen werden.
Behandelt
wird somit das Phänomen Kultur unter dem Aspekt der Transmission. Eine
wesentliche nähere Bestimmung im Kontext der kulturgenetischen Theorie ist:
"Kultur"
ist der Bereich der Transmission ontogenetischer (in der Lebenserfahrung
erworbener) Muster
.
[36]
Phylogenetische
Muster sind alle die Merkmale, die genetisch codiert und transmittiert sind,
also über Sperma, Eizelle, DNS und RNS, weitergegeben werden. Der hier
verwendete Begriff von "Kultur" bezeichnet also eine spezielle
ontogenetische
Kategorie von Mustern, die von einer anderen Kategorie, den
phylogenetischen
Mustern, durch die Weismann-Barriere abgegrenzt ist. Die allgemeine Thematik von
Mustern
und ihrer Transmission
,
die
Morphologie,
wird in den späteren Abschnitten näher behandelt werden.
[12]
Im Folgenden mit AGEU abgekürzt.
http://www.uni-wuppertal.de/FB5-Hofaue/Brock/Schrifte/AGEU/
(URL)[13]
http://www.uni-wuppertal.de/FB5-Hofaue/Brock/Projekte/NeuroAe1.html
(URL)
Bazon
Brock: http://www.uni-wuppertal.de/FB5-Hofaue/Brock/Projekte/NeuroAe3.html
(URL)
[15]
Zur Verschiedenheit der Weltbilder in den Sprachen, siehe W.v. Humboldt, bei
Cassirer (1994: 62).
[16]
Siehe dazu auch im Altgriechischen eine ähnliche Verbindung zwischen
histor-
(das Beschauen, das Gesehene, Gehörte, Forschen, Erkunden, Kenntnis,
Wissenschaft, wissenschaftlich, Geschichte)
und
histon-
,
histou-
(Weben, Webstuhl, Weber, Webkunst, ) modern:
Histologie.
S.a.
Bachofen (1925: 301-422).
->:WEAVING,
p.
165[17]
http://www.uni-wuppertal.de/FB5-Hofaue/Brock/Schrifte/AGEU/Avantrad.html
(URL)
[18]
Die Wortspiele werden im vorliegenden Kontext konstruktiv als semantische
Spannungsfelder eingesetzt und erzeugen durch ihre semantische
Nicht-Absättigung eine Bedeutungs-Dynamik, analog zu dem als Beispiel
angeführten Gestaltbild. Sie verdeutlichen damit auch die Wirkung von
neuronalen Attraktoren.
[20]
vor allem: "Prolog im Himmel" 243-353; 737-807; "Grablegung", "Bergschluchten":
11604-12111
[21]
Heidegger (1976b: 239-301) "Vom Wesen und Begriff der
Physis,
Aristoteles, Physik B, 1". p. 242: "Die aristotelische Physik ist das
verborgene und deshalb nie zureichend durchdachte Grundbuch der
abendländischen Philosophie."
[24]
Karbe (1995: 296); dazu auch das umfangreiche Werk von H v.
Dechend
(1993), das eine Tiefenperspektive über 10,000 Jahre "Hintergründe zu
Hamlet" gibt.
[25]
s.a.
Paglia (1991: 194-202); und das
mae-phainon,
in der Behandlung des Faust-Stoffs weiter unten.
->:MEPHAISTOS,
p.
35 [26]
Wegen der Vielzahl der Bedeutungen von "Kultur" wird der Begriff mit
Anführungszeichen geschrieben. Weitere Erläuterung zu "Kultur" im
nächsten Abschnitt.
[27]
s.a. die Hegelsche Kulturauffassung: Mühlmann (1996: 128)
[28]
Das Wort
Transmission
erinnert an die Mechanik der Kraftübertragung mit
Transmissionsriemen.
S.a.
Bazon Brock AGEU, p. 200: "... daß unser Begriff "Kultur" sich aus der
römischen "Agricultura" als der zivilisatorischen Nutzung der Natur durch
Umgestaltung herleitet."
WWW-Pages:
What Is Culture?, Quotations on Culture:
http://www.wsu.edu:8001/vcwsu/commons/topics/culture/culture-index.html
(URL)
http://www.wsu.edu:8001/vcwsu/commons/topics/culture/quotations-on-culture/quotations-on-culture.html#top
(URL)
Works
Cited:
http://www.wsu.edu:8001/vcwsu/commons/topics/culture/works-cited/works-cited-full.html
(URL)
[35]
Referenz zu dem Begriff von Bazon Brock: Mühlmann (1996: 12)