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3. Die Archae: Der beherrschende Ursprung


Triftige Gründe, sich mit der Archae zu beschäftigen, sind besonders dann gegeben, wenn die Menschen, wie heute, sich an einem Punkt befinden, da es offenbar wird, daß jenseits des Gewordenen etwas völlig Neues im Entstehen ist. Dieses Werden des völlig Neuen läßt sich gerade aus seinem Wesen heraus nicht mit der Begrifflichkeit und der Begreiflichkeit des Gewordenen erfassen, begreifen, manipulieren, handhabbar machen, managen, verwalten, oder sonstwie in die bekannten Bahnen zwingen. Dieses Neue läßt sich nur als das völlig Neue verstehen, erkennen, und auf sich einwirken lassen, dann kann man mit dem Neuen mitgehen, und sich auf die neuen Bahnen der Geschichte einschwingen. Um das zu machen, ist es nötig, ein neues, altes, archaisches, Verhältnis zu der Archae, zu dem Ursprung, zu erlangen.

3.1. Das Wort Archae

Das griechische Wort archae hat eine Mehrfachbedeutung, deren zeitlose Vielgestaltigkeit uns heute noch begegnet: In vielen Lehnwörtern, die unser westliches Denken den bahnbrechenden Leistungen der griechischen Philosophen verdankt, ist eine oder andere Bedeutung von archae erhalten: Archäologie, archaisch, Archiv, Monarchie, Oligarchie, Anarchie, Hierarchie, Patriarch, Arch-Bishop, Archangel.
Das Wort archae bedeutet:
1) Anfang, Beginn, Anfangspunkt, Ursache, erste Veranlassung, (phil.) Prinzip.
2) Anführung, Herrschaft, Obrigkeit
3) Reich, Gebiet, Statthalterschaft
4) Ur-Grund, Wesensgrund

3.2. Ex Archaes: Wie alles anfing

3.3. Hesiod und das Chaos: Im Anfang war die Leere

Wenn wir noch weiter zurückschauen in die Entstehung der griechischen Philosophie, so finden wir in der Theogonie Hesiods den Ausspruch: "Im Anfang war das Chaos." Chaos wird in seiner normalen heutigen Bedeutung als "ungeordnet", "unwirklich", eben "chaotisch" verstanden. Eine wesentliche Bedeutung ist aber: Der leere, unermeßliche Raum. Die absolute Leere.
Die Archae, der Ursprung, ist etwas, das mit den Kategorien des Seienden nicht zu erfassen ist, und für diese Kategorien daher leer.
Nach Meinung von Hölscher hat Hesiod seine Theogonie wahrscheinlich aus semitischen Schöpfungsmythen entlehnt, so die Kumarbi-Epen und dem phönizischen Sanchujaton-Epos, das von Philo erzählt wird. (S.a. BIB:HÖLSCHER-ANAXIM , p. 136, 143-168) In diesen Epen kommen ähnliche Szenen vor: Kronos heißt hier Kumarbi, der seinen Vater, den Himmelsgott kastriert. In der phönizischen Version kommen sogar schon die Namen selbst vor: Eliun, Uranos, El-Kronos und Demarus (a.a.o. p. 137). Die Sichel, mit der Kronos den Uranos entmannt, wird harpae genannt, und ist ein sichelförmiges Schwert, dessen Namen und Form semitisch ist. Das Alter dieser Mythen ist noch vor -1600 anzusetzen, also 800 Jahre vor Hesiod (a.a.o., p.138). Der Begriff des Chaos wurde von Hesiod mit dem Urstoff des semitischen Mythos übernommen. Damit ist eine Wesensverwandtschaft zu der anderen, bekannten semitischen Erzählung gegeben, die in der Bibel auftaucht: "Und Finsternis war über dem Abgrund - und der Wind (Gottes) schwebte über dem Wasser" (a.a.o., p.141). Aus einer verwandten Quelle hat Thales anscheinend seine Anschauung von der archae als Wasser entnommen (a.a.o., p. 126-133). Plato erwähnt die Hesiodsche Kosmogonie in einem einzigen Satz in Timaios 40e, 41a.

3.4. Die Suche nach der Archae

Das Bestreben der vorsokratischen Philosophen richtete sich auf die Nennung einer Ursubstanz, aus der alle Dinge der faßbaren Welt entstanden sein sollten. Man versuchte, wahlweise das Wasser, das Feuer, oder andere Elemente zur Ursubstanz zu erklären. Es könnte scheinen, als ob die Griechen der damaligen Zeit eine Art naiven Realismus als Grundlage ihrer impliziten Erkenntnistheorie genommen hätten. Das "Seiende" des Parmenides und einige Aussagen des Heraklit weisen darauf hin. Allerdings muß hier, wie bei allen Deutungsversuchen der vorplatonischen Zeit, sehr darauf geachtet werden, daß wir nicht unsere durch das Platonische (ANM:PLATONISC H[2]) gebildeten Denkkategorien den damaligen Begriffen aufzwingen. Daher auch die oben genannte Differenzierung der griechischen Sprache. Wenn Heraklit sagt: "Feuer ist vernunftbegabt" so hatte er sicher keine naive Vorstellung von dem Herdfeuer als intelligent, sondern er bezog sich auf eine Tradition von mindestens einer Million Jahren in der Archae des Menschengeschlechtes, während der das Feuer das wesentliche Kultobjekt war. So gesehen, ist die Feueranbetung der Zoroastrischen Religion der letzte Überrest dieses ältesten Kultus der Menschheit. Das Feuer als quasi-autonomer Prozess, der sich aus seiner eigenen Dynamik ernährt, hat Eigenheiten, die es tatsächlich sehr in die Nähe von Intelligenz rücken.
Plato hat im Timaios, 48 c explizit angegeben, daß er sich mit dem Ursprung der Dinge nicht direkt beschäftigen will:

Über den "Ursprung von allem" oder die "Ursprünge" oder wie man es sonst damit hält, soll jetzt nicht gesprochen werden, und zwar aus keinem anderen Grunde, als weil es schwierig ist, unsere Meinung bei der gegenwärti- gen Weise der Behandlung deutlich darzulegen. Glaubt also ihr nicht, ich müsse darüber sprechen, noch dürfte ich selbst imstande sein, mir selbst einzureden, daß ich mich wohl mit Fug an ein solches Unternehmen wagen dürfe.

[2]ANM:PLATONISCH
Platonisch im Sinne der oben genannten Sprachstruktur des Griechischen, das eine spezielle Formierung und Kristallisation bestimmter Schlüsselbegriffe, und damit Denkkategorien aufweist.


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