14. An einem kühlen, grauen Morgen in der Welt-Traum-Zeit
Stellen Sie sich vor, liebe/r Leser/in, Sie wachen an einem
kühlen, grauen Morgen nach langer, wirr durchträumter Nacht auf. Es
ist noch nicht so richtig hell, aber auch nicht mehr stockdunkel, und Sie
beginnen sich, noch mit etwas schwerem Kopf, langsam zu erinnern:
Ja, da war doch etwas... ich habe mir für heute doch
etwas besonderes vorgenommen... ach so, ich wollte heute das Design für
ein neues Universum fertigstellen, das ich meinem Brahma-Kollegium in
dem Wettbewerb: "Wer gestaltet das eleganteste Universum?" zur Begutachtung
vorlegen möchte. Mir ist in einem dieser vielen Träume der letzten
Nacht des Brahma, die 8,624,000,000 Solar-Jahre gedauert hat, eine Vision
erschienen, wie man die simpelste, einfachste, aber mächtigste Formel
für das Design eines Universums formulieren kann. Ich bin schon ganz
gespannt, was meine Brahma-Kollegen davon halten werden.
Ja, liebe/r Leser/in, Sie sind unversehens in das Kollegium
der mythischen Welten-Schöpfer-Götter der Vedischen Mythologie
versetzt worden, und haben die Rolle eines
Brahma übernommen, wie
die Mitglieder dieses erlauchten Kollegiums genannt
werden.
[201] Sie sind einer von den
Universums-Meister-Designern, nicht nur dieses einen Universums der
augenblicklichen kosmischen Epoche, das uns Zeitgenossen aus der populären
Naturwissenschafts-Presse, wie Scientific American (bzw. Spektrum der
Wissenschaft) ja bestens bekannt ist, sondern dieser erlauchte Kreis von
Designern ist verantwortlich für die Kreation aller nur denkbarer und
möglicher künftiger und vergangener
Universen,
[202] auch ganz anderer, und
undenkbarer Zusammensetzung und Prägung, von denen keine Wissenschaft je
etwas erfahren kann, weil niemand von uns je dabei war oder sein wird, und weil
sie im Prozess der Neuschöpfung restlos vernichtet und wieder-erschaffen
werden.
Und nun erinnern Sie sich noch ein bißchen mehr...
Diese vielen wirren Träume der letzten
Nacht
Brahmas, die 8,624,000,000 Solar-Jahre gedauert hat, waren irgendwie,
irgendwo, real. Ja, diese Träume hatten etwas mit dem Geschehen des
Universums zu tun, das wir gestern Morgen geschaffen haben. Das war vor genau
17,248,000,000 Solar-Jahren.
[203] Dieses
Universum war unter der Federführung des Meister-Designers El-Ohim
entstanden, der sich schon bei früheren Universums-Designs durch besondere
Genauigkeit und Effektivität ausgezeichnet hatte. Deshalb hatte ihm das
Kollegium die Leitung für das letzte Projekt übertragen. Dieses Design
hatte es ja wirklich in sich: Es begann mit einem ungeheuren, fantastischen
Feuerwerk, einer Explosion, wie wir sie wirklich in all den unendlich vielen
Universums-Zyklen, die unser Kollegium schon geschaffen hatte, wirklich noch nie
gesehen hatten. Dafür erntete Kollege El-Ohim schon mal einen großen
Anfangs-Applaus. Auch dann entwickelte sich das Projekt bestens weiter: Die
Explosion fetzte durch den berechneten Universums-Raum, und schuf Hunderte von
Milliarden kleinerer Sekundär-Explosionen, die aber nicht einfach
aufglühten und verschwanden, sondern sich stabilisierten, und sich in einem
ungeheuer komplizierten Muster umeinander wanden, sich in
siebenfach-potenzierter Spiralform ineinander verdrehten, und einen gewaltigen,
phantastischen kosmischen Tanz
aufführten.
[204]
Wir waren sprachlos vor Begeisterung. Kollege El-Ohim
verdiente wirklich den Titel Meister-Designer. Und so hatten wir einen rundum
interessanten Brahma-Tag gehabt. Nun neigte er sich dem Abend zu (es waren
insgesamt 8,624,000,000 Solar-Jahre dieses Universums-Zyklus vergangen), und es
wurde nach den großen Explosionen allmählich dunkler und dunkler im
Universum, und wir erwarteten, daß das Feuerwerk sich über Nacht
beruhigte, und allmählich auskühlte, so daß wir dann am
nächsten Morgen eine neue Kreation beginnen konnten. Die Kreation, für
die ich mir einen besonderen Plan ausdenken wollte. Wir gingen also schlafen.
Aber da passierte etwas Unerwartetes. Normalerweise, wenn wir
Brahmas schlafen, dann schlafen wir tief und fest, aber wir träumen nicht.
Aber so ziemlich genau zur tiefsten
Mitternacht,
[205] vor sechs Brahma-Stunden,
(oder vor etwa 4,320,000,000 Solar-Jahren), als wir alle schon fest schliefen,
fingen diese seltsamen Träume an: Zuerst war es, als ob sich irgendwo etwas
völlig unscheinbares regte, ganz, ganz dunkel und unauffällig. Es war
ein ungewohntes, unbekanntes Phänomen, das sich da ganz am Rande bewegte,
auf einer ansonsten völlig unscheinbaren Materie-Kondensation im Umkreis
einer recht unbedeutenden
Sonne in einem ziemlich abgelegenen Winkel
einer mittelgroßen Galaxie in diesem ungeheuren, endlosen Universum
unserer Kreation.
[206] Und dann
intensivierten sich diese Träume, ganz langsam zuerst, aber gerade vor 1/2
Brahma-Stunde (36 Minuten oder vor etwa 432,000,000 Solar-Jahren) nahmen sie
geradezu alptraum-hafte Dimensionen an, von einer ungeheuren,
überwältigenden Formenvielfalt, die da auf diesem winzigen,
unscheinbaren Planeten entstanden war, den die Zeitgenossen auch
Erde
nennen, und diese Formenvielfalt wird auch
Leben genannt. Diese
Formenvielfalt war um so vieles reicher und phantastischer als all die
gewaltigen galaktischen Konstruktionen, die sich im Laufe des vorangegangenen
Brahma-Tages gebildet hatten, sie waren geradezu unendlich klein, aber auch
unendlich komplex, und sie bewegten und veränderten sich ungeheuer schnell,
und sie wurden immer schneller. Und es passierte etwas ungeheurliches, es war
wie verhext: Diese Träume gewannen eine Eigendynamik, je intensiver sie
wurden, desto tiefer schliefen wir, bleiern, gebannt, und nicht mehr unserer
Sinne mächtig. Was geschah da? Sogen diese Träume uns unser eigenes
Bewußtsein aus, und bemächtigten sich selber unserer
allmächtigen Designer-Kräfte? Der Alptraum wurde immer schlimmer: Vor
etwa 3.6 Brahma-Minuten (216 Brahma-Sekunden, oder vor etwa 43,200,000
Solar-Jahren) kochte dieser Planet geradezu über von völlig neuen
Lebensformen, und vor 21 Brahma-Sekunden (oder vor etwa 4,320,000 Solar-Jahren),
fing es an, geradezu chaotisch zu werden. Plötzlich entstanden da
Lebewesen, die selber anfingen zu träumen. Und von da an wurde es richtig
unvorstellbar. Vor etwa 2 Sekunden (oder vor etwa 432,000 Solar-Jahren) fingen
diese Träume an, ihr Eigenleben zu führen, so als hätten sie
einen eigenen Willen, und eine eigene Vorstellung, und sie nannten sich
Erdlinge, die
Menschen. Und es kam noch absurder: Vor 0.2 Sekunden
(oder vor etwa 43,200 Solar-Jahren) fingen diese vertrackten Träume an, uns
selber, die Brahmas zu erträumen! Und um auch das noch zu übertreffen,
vor 0.02 Sekunden (oder vor etwa 4,320 Solar-Jahren) passierte das
Absurdeste:
[207] Es formierte sich ein Traum
von
Dem Einem Brahma, dem
All-Einzigen, der alle anderen in sich
aufsog, die Erdlinge nannten ihn
Gott. Wir wurden hilflos in diese
Traumwelt aufgesogen, gerade so als wären wir in eines dieser
Schwarzen
Löcher geraten, das die Zeitgenossen aus der populären
Naturwissenschafts-Presse kennen, hilflos in einem Strudel, aus dem wir uns
nicht mehr befreien konnten.
Aber jetzt, zuletzt, sind wir wieder aufgewacht.
Ein neuer Tag beginnt, zum Design der neuen Welt!
Frisch auf ans Werk, Kollegen, voll neuer Schaffenskraft!
Oder vielleicht auch nicht? Ist unser Brahma, von dem wir da
erzählen, nicht gerade Jetzt in seinem tiefsten, bleiernsten Schlaf,
träumt er nicht gerade Jetzt seinen schlimmsten Alptraum, den er nur
träumen kann? Und was kann es für einen schlimmeren Alptraum geben,
als zu träumen, man sei wach, und man geht wieder normal ans Werk, wie
jeden anderen Tag auch, bis man irgendwann merkt... irgendetwas an dieser
Geschichte stimmt doch nicht... irgendetwas ist da doch ganz fatal
anders...
..................................
....................................................................
........................................................................................................................................
Denn, oh Graus:
gerade Jetzt, in diesem Augenblick,
erträumt ihn ein Erdling direkt, in seinem vollen Selbst, der Bann ist rund
geschlossen.
[208] Und
Jetzt ist es
auch nicht mehr so wichtig, ob es da einer dieser Brahmas ist, der das
Erden-Leben träumt, oder einer dieser Erdlinge, der sich die Brahmas
erträumt. "Das Spiel ist alles, die Spieler
nichts".
[209]
Diese Episode aus dem Leben eines Brahma war, zum Auftakt,
eine kleine "Fingerübung" des Denkens aus einem völlig anderen
Bezugs-Zentrum, als wir Menschen es von unserer neuronalen Ausstattung und
Programmierung her gewohnt sind. Das Thema der Welt als Traum ist eine Variation
einer sehr alten {philosophischen / mythologischen} Trope, die z.B. von Chuang
Tse überliefert ist, als er sagte: Bin ich ein Schmetterling, der
träumt, ein Mensch zu sein, oder bin ich ein Mensch, der gerade von einem
Schmetterling träumt? Weiterhin ist "die Welt als Traum" ein bekanntes
Thema der Gnosis, wie es z.B. von Shakespeare in "Der Sturm IV,1" so meisterhaft
formuliert worden war:
Wir sind aus solchem Stoff / Wie der zu
Träumen, und dies kleine Leben / Umfaßt ein Schlaf.
Die tieferen Hintergründe der gnostischen und
doketeischen Traum-Trope, und ihr Bezug zum Mahayana-Buddhismus, werden von
Joseph Campbell in "Die Masken Gottes" (1996,III: 412-418) behandelt. In der
vorliegenden Version führen wir eine radikale Umdrehung der
Bezugs-Dimension ein. Hier stellen wir uns vor, daß unsere
Original-Existenz die der Brahmas wäre, die das Leben auf der Erde nur
träumen. Dies ist eine Abwandlung bestimmter meditativer Techniken aus dem
Corpus Hermeticum, die dem synkretischen Gott Hermes-Thot zugeeignet
waren. (Campbell 1996,III: 417-418).
Man kann es wohl nur den über-menschlichen
Fähigkeiten von Brahmas zurechnen, daß sie ihr Traum-Erleben so genau
beherrschen, daß sie den Zeitbezug ihrer Traum-Abläufe so genau
wahrnehmen. Oder wir können es auch noch anders sehen: Die
Traum-Zeit (aus unserer Sicht), in der die Brahmas leben, also ihre
eigentliche
Existenz-Dimension, ist fundamental zeitlos,
ewig, wie
wir aus der Sicht unserer Denkstruktur sagen. Erst wenn sie in ihre
Alpträume verfallen, beginnt die Zeit zu laufen, immer schneller, bis sie
letztlich zu rasen anfängt.
[210] Unser
Bewußtseins-Erlebnis, und unsere Bewußtseins-Modi sind
komplementär zu dem "Bewußtsein" der Brahmas. Wenn sie träumen,
wachen wir, und wenn wir träumen, dann wachen sie. So oder so ähnlich
sehen es auch die australischen Aborigines mit den Traum-Zeit-Mythen ihrer
Ur-Ahnen. In unserem Beispiel wurde das Thema der Traum-Zeit nur zu einer
kosmischen
Welt-Traum-Zeit umgeformt, um über dieses Wortspiel die
heutige wissenschaftliche Kosmologie der
Raum-Zeit mit in unsere
Vorstellungen aufzunehmen, sie in der
Welt-Traum-Zeit "aufzuheben", wie
Hegel es ausgedrückt hätte. Denn unsere heutige Wissenschaft mit all
ihren Errungenschaften ist nach dieser Parabel eben auch nur ein
Traum
Brahmas. Die atemberaubende Beschleunigung der Traumerlebnisse des Brahma
ist eine Charakteristik unserer realen Welt, die wir heute auch selber
wahrnehmen. Aber seit dem Auftreten des Menschen auf der Erde hat sich das Leben
allgemein beschleunigt, und dasselbe kann man sagen, seit vor 500 Mio Jahren die
Ersten Vielzeller, die Metazoen, diesen Planeten
eroberten.
[211] Wir können mit einem
gewissen Erstaunen feststellen, daß sich die Etappen dieser Beschleunigung
ziemlich elegant in ein logarithmisches System von Zehnerpotenzen einordnen
lassen.
Warum,
das wissen nur die Götter. Unsere Parabel
zeigt noch einen anderen wesentlichen Bezug und Kontrast der Existenzen der
Welt-Traum-Zeit gegenüber unserer Menschenwelt: Die Brahmas sind
eine
extrem distributive
Intelligenzform,
[212] die sich nur über
absolut kosmische Distanzen und Zeiträume manifestiert. Eine solche
Intelligenzform können wir Menschen überhaupt nicht wahrnehmen. Ein
Tag dieser Intelligenzform dauert 17,248,000,000
Solar-Jahre,
[213] und eine Sekunde 216,000
Solar-Jahre. Stellen Sie sich vor, Sie müssen mit jemand reden, der 216,000
Solar-Jahre braucht, um auch nur ein Wort zu sagen. Dies ist das Grund-Problem
aller Mystiker und Mythologen aller Denkarten und Schattierungen: Wie kann man
mit einer Intelligenzform Kontakt aufnehmen, die so andersartig ist, als unsere,
daß die herkömmlichen Denk-Kategorien einfach dabei
zerfließen.
[214] Daher ist eine solche
Intelligenzform auch völlig un- oder außer-wissenschaftlich. Die
Wissenschaft kann nur mit Dingen umgehen, mit denen wir in irgendeinen
instrumentellen Kontakt gehen können, die wir einem Experiment unterwerfen
können. Aber Götter lassen sich keinem Experiment unterwerfen. Die
einzige Möglichkeit des Kontakts ist das
Ur-Ahnen der Traum-Zeit,
oder in anderer Ausdrucksweise: Die
Mystik und
Mythologie. Und
noch eine Einsicht vermittelt uns diese Parabel: Es ist eine andere Darstellung
für das seltsame Phänomen, das uns die Mythologen und Mystiker aller
Kulturen mitteilen:
Die Götter
sterben.
[215] Sie sterben seit ca. 4,320
Solar-Jahren unaufhaltsam, und verschwinden von unserer Erde. Natürlich
kann man von den Göttern nicht wirklich sagen, daß sie sterben, aber
der Prozess hat etwas mit einem
Verdampfen, oder einem
Aufgesogen
Werden zu tun, wie von dem schwarzen Loch ihres Alptraumes, in dem sie nach
der Parabel versinken. Vorher, etwa im alten Ägypten, gab es noch
Gottesreiche unvorstellbarer Erhabenheit und Glorie, aber sie sanken in einem
unaufhaltsamen, schmählichen Niedergang
dahin.
[216] Die alten Mythen erzählen
uns von den Vier Zeitaltern: Das Goldene, Das Silberne, Das Bronzene, und Das
Eiserne. Von dem einem zum anderen wurden die Verhältnisse immer
schlechter. Und die letzte Epoche des Verschwindens der Götter, der
Götterdämmerung, das Eiserne Zeitalter, begann vor etwa 4,320
Solar-Jahren.
[217] Und der
Tod der
Götter hat wesenhaft mit der Bewußtseins-Entwicklung der Menschen
zu tun. In einem späteren Abschnitt soll das noch genauer behandelt werden.
Die Rede ist von der Formierung der
Aristotelischen Denkstruktur, die
unsere heutige Epoche prägt.
Materialien
Hier folgen einige Materialien, Erklärungen und
Zusätze zu dem obigen Text.
14.1. Die Siebenfach potenzierte Spirale
In der populären Naturwissenschafts-Presse der
Zeitgenossen werden potenzierte Spiralen so dargestellt: Eine Spirale, die einer
Spiral-Wicklung folgt, die wiederum einer Spiral-Wicklung folgt, etc. etc. Wir
können uns die siebenfach potenzierte Spirale
kosmologisch-physikalisch so vorstellen: auf der aller-untersten Ebene als die
Spiral-Wicklung der Superstrings, dann auf der atomaren Ebene in diversen
Potential-Wirbel und Toroid-Modellen, wie sie z.B. von Lord Kelvin und
Konstantin Meyl (1990) formuliert wurden, dann auf höherer molekularer
Ebene in der Grundlage des biologischen Lebens als Spiral-Wicklung der DNS, dann
in den vielfältigen Wirbel-Phänomenen des Wassers und der
Atmosphäre, und dann auf den höheren kosmischen Ebenen als
Spiral-Windung der Planetenbahnen, die ja der gekrümmten Bahn ihrer Sonne
durch die Galaxis folgen, und diese wiederum auf der höchsten Ebene das
Spiral-förmige Ineinanderdrehen aller Galaxien auf ihrem unendlichen
kosmischen Tanz durch das Universum. Die Betrachtung einer solchen siebenfachen
Ineinander-Drehung auf allen Zeit-Ebenen gleichzeitig ist ein Anblick, der uns
Sterblichen leider nicht vergönnt, ist, und wenn wir es wahrnehmen
könnten, dann würde uns sicher ganz schön schwindelig dabei
werden.
14.2. Das Eiserne Zeitalter
Dies ist ein kurzer Exkurs zum Eisernen Zeitalter, der die
obigen Andeutungen vertieft.
Man muß den historischen Anspruch der Genauigkeit der
Datierung der wissenschaftlich-historischen Bezeichnung der Epoche der Eisenzeit
und das mythische Ur-Ahnen des Eisernen Zeitalters auseinanderhalten. Nach dem
hier dargestellten vedischen Mythos begann das Eiserne Zeitalter vor 5000
Jahren: Das Kali Yuga.
[218] Das Eisen war
schon im Alten Sumer vor 5000 Jahren vereinzelt in Gebrauch, und man fand in
Ägypten kleine Eisen-Geräte, die wegen ihrer besonderen Kostbarkeit
den Pharaonen ins Grab beigegeben worden sind. Da Eisen im Gegensatz zu Gold,
Bronze und Kupfer unter den auf dem Planeten Erde herrschenden
Witterungsbedingungen sehr schnell völlig in Oxide zerfällt, ist es
archäologisch meist nicht mehr auffindbar. Das beweist aber noch lange
nicht, daß die Menschen der Ur-Zeit kein Eisen kannten. Im Gegenteil:
Eisen war in der prähistorischen Ur-Zeit das Zauber-Material par
excellence, kostbarer und seltener noch als Diamanten. Gelegentliche Verwendung
von nativem Rein-Eisen gibt es schon seit Zehntausenden von Jahren, genau wie
auch andere native Metalle, etwa Gold und Kupfer verwendet wurden. Aber natives
Rein-Eisen kommt nur in Meteoren vor, und die sind noch viel seltener als
Gold-Nuggets, die sich in vielen Flußläufen finden lassen (Neuburger
1919: 22). Es gab in der prä-historischen Sahara nennenswerte Vorkommen
solcher Rein-Eisen-Meteoriten, die waren aber irgendwann restlos abgeräumt,
und in alle Winde zerstreut. Solche prähistorischen Industrien sind mit
konventionellen archäologischen Methoden nicht nachzuweisen. Aber es lassen
sich genügend Hinweise einer Ur-Mythologie um das Eisen finden: So ist das
altgriechische Wort für Stahl: Adamantis, es wird verwendet bei der Kette,
mit der Prometheus an den Felsen geschmiedet wurde, und der Sichel, mit der
Kronos seinen Vater Ouranos kastrierte. Es besteht eine direkte semantische
Verwandtschaft mit dem Wort Dia-mantis. Dies weist auf die Haupt-Eigenschaft des
Stahls wie des Dia-manten, des Zerschneidens, von dem Verb
diamazo
[219]
zerschneiden und masaomai, (zer-) Beißen, Kauen. Weitere Verzweigungen
dieses Semantik-Rhizoms sind: machaira, Messer, Schwert, Dolch, und machae,
Kampf. Wie wir alle wissen, bestehen Diamanten aus reinem Kohlenstoff, und Stahl
ist eine Einlagerung von atomaren Kohlenstoff in das Metallgitter des Eisens.
Wie wir ebenso alle aus dem elementaren Chemie-Unterricht wissen, stellt das
Atomar-Gitter des Diamanten den einfachsten aller regelmäßigsten
geometrischen Körper dar, einen Tetraeder. Seine Seitenflächen
bestehen aus vier gleichseitigen Dreiecken. (Die drei-dimensionale Potenzierung
der Triade, oder auch der Pythagoräischen Tetraktys.) Diese Konstruktion
macht den Tetraeder maximal unverzerr- und unverrückbar gegenüber
äußeren Einwirkungen, daher ist der Tetraeder der stabilste
Körper, und in der Natur der Diamant das härteste Mineral. Diese
Eigenschaft war es, warum Plat
on im Timaios den Grundbauplan seines
harmonikalen Kosmos auf die Basis von Tetraedern aufgesetzt hat. Die innigste
Verbindung von Adamantis und Dia-mantis war das höchste Ziel der
archaischen Schmiedetechnik: das atomare Eisen-Gitter durch endlose Zyklen von
Erhitzen, Falten, Hämmern und Abschrecken maximal so zu verdichten,
daß sich ein möglichst hoher Prozentsatz von Micro-Diamant-Kristallen
in der Stahl-Matrix bildete. Die unübertroffene Perfektion dieser Kunst
wurde mit der Damast-Technik erreicht, und diese wurde in der Stadt Damaskus
gepflegt, dem Sitz der besten Schmiede der Menschheit. Von diesen und
ähnlichen Ur-Ahnungen rührt noch die bis heute erhaltene Magie der
Schmiede aller Vorvölker und Ur-Kulturen.
Weitere Quellen zu Stahl, Diamanten, Schmiede-Mythen und
Zeit-Vorstellungen: Campbell 1996,III: 295-307. Zoroastrische und Mithraische
Mythologie, Zervan Akarana: die unendliche Zeit (301-302, 305), die Schlange mit
sechs Windungen (302), der diamantene Blitzkeil (Keraunos) (302), der Vajra
(302), der doppelköpfige Hammer (Thor) (307), die Verbindung von
Metallbearbeitung und (Zeit-) Achsenstange (304), der kosmische Rhythmus (rita)
(305).
14.3. Die Eisen-Zeit
Eisenzeit ist der Name der geschichtlichen Epoche, die
von der allgemeinen Verwendung des Eisens und Eisen / Stahl-Werkzeugen als
Standard-Technologie geprägt wurde. Dies setzt die Beherrschung dieverser
Material- und Verfahrens-Technologien voraus, wie des
Hochtemperatur-Schmelz-Ofens (befeuert anfänglich mit Holzkohle,
später mit Steinkohle), sowie die nötigen feuerfesten Materialien und
das Gebläse-System für die Sauerstoff-Zufuhr, um die benötigte
Temperatur zu erzielen. Dieses Technologie-Stadium wurde zuerst in Indien
vermutlich gegen -2500, mit geschichtlicher Sicherheit etwa um -1400 erreicht.
(Neuburger 1919: 22-32). Nach Amerika kam die Eisen-Technologie erst mit der
Eroberung der Spanier um 1500.
Britannica: Iron Age: final technological
and cultural stage in the Stone-Bronze-Iron-Age sequence. The date of the full
Iron Age, in which this metal for the most part replaced bronze in implements
and weapons, varied geographically, beginning in the Middle East and
southeastern Europe about 1200 BC but in China not until about 600 BC. Although
in the Middle East iron had limited use as a scarce and precious metal as early
as 3000 BC, there is no indication that people at that time recognized its
superior qualities over those of bronze. Between 1200 and 1000, however, the
export of knowledge of iron metallurgy and of iron objects was rapid and
widespread. With the large-scale production of iron implements came new patterns
of more permanent settlement. On the other hand, utilization of iron for weapons
put arms in the hands of the masses for the first time and set off a series of
large-scale movements of peoples that did not end for 2,000 years and that
changed the face of Europe and Asia.
14.4. Es spricht die tiefe Mitternacht
Hier weitere Darstellungen aus der Welt-Traum-Zeit, von
einem, der das Ur-Ahnen noch verstanden hat: Nietzsche,
Zarathustra:
Oh Mensch! Gieb Acht!
Was spricht die tiefe
Mitternacht?
´´Ich schlief, ich schlief
-,
´´Aus tiefem Traum bin ich
erwacht: -
´´Die Welt ist
tief,
´´Und tiefer als der Tag
gedacht.
´´Tief ist ihr Weh
-,
´´Lust - tiefer noch als
Herzeleid:
´´Weh spricht:
Vergeh!
´´Doch alle Lust will
Ewigkeit
´´will tiefe, tiefe
Ewigkeit!''
14.5. In irgend einem abgelegenen Winkel
Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen
Sinne. (Friedrich Nietzsche 1873, aus dem Nachlaß).
Friedrich Nietzsche (1873, aus dem Nachlaß).
1
In irgend einem abgelegenen Winkel des in
zahllosen Sonnensystemen flimmernd ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein
Gestirn, auf dem kluge Tiere das Erkennen erfanden. Es war die hochmütigste
und verlogenste Minute der "Weltgeschichte": aber doch nur eine Minute. Nach
wenigen Atemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und die klugen Tiere
mußten sterben. - So könnte jemand eine Fabel erfinden und würde
doch nicht genügend illustriert haben, wie kläglich, wie schattenhaft
und flüchtig, wie zwecklos und beliebig sich der menschliche Intellekt
innerhalb der Natur ausnimmt. Es gab Ewigkeiten, in denen er nicht war; wenn es
wieder mit ihm vorbei ist, wird sich nichts begeben haben. Denn es gibt für
jenen Intellekt keine weitere Mission, die über das Menschenleben
hinausführte. Sondern menschlich ist er, und nur sein Besitzer und Erzeuger
nimmt ihn so pathetisch, als ob die Angeln der Welt sich in ihm drehten.
Könnten wir uns aber mit der Mücke verständigen, so würden
wir vernehmen, daß auch sie mit diesem Pathos durch die Luft schwimmt und
in sich das fliegende Zentrum dieser Welt fühlt. Es ist nichts so
verwerflich und gering in der Natur, was nicht, durch einen kleinen Anhauch
jener Kraft des Erkennens, sofort wie ein Schlauch aufgeschwellt würde; und
wie jeder Lastträger seinen Bewunderer haben will, so meint gar der
Stolzeste Mensch, der Philosoph, von allen Seiten die Augen des Weltalls
teleskopisch auf sein Handeln und Denken gerichtet zu sehen.
Es ist merkwürdig, daß dies der
Intellekt zustande bringt, er, der doch gerade nur als Hilfsmittel den
unglücklichsten, delikatesten, vergänglichsten Wesen beigegeben ist,
um sie eine Minute im Dasein festzuhalten, aus dem sie sonst, ohne jene Beigabe,
so schnell wie Lessings Sohn zu flüchten allen Grund hätten. Jener mit
dem Erkennen und Empfinden verbundene Hochmut, verblendende Nebel über die
Augen und Sinne der Menschen legend, täuscht sie also über den Wert
des Daseins, dadurch daß er über das Erkennen selbst die
schmeichelhafteste Wertschätzung in sich trägt. Seine allgemeinste
Wirkung ist Täuschung - aber auch die einzelnsten Wirkungen tragen etwas
von gleichem Charakter an sich.
Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung
des Individuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung; denn diese
ist das Mittel, durch das die schwächeren, weniger robusten Individuen sich
erhalten, als welchen einen Kampf um die Existenz mit Hörnern oder scharfem
Raubtier-Gebiß zu führen versagt ist. Im Menschen kommt diese
Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das
Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-Reden, das
Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskiertsein, die
verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen und vor sich
selbst, kurz das fortwährende Herumflattern um die eine Flamme Eitelkeit so
sehr die Regel und das Gesetz, daß fast nichts unbegreiflicher ist, als
wie unter den Menschen ein ehrlicher und reiner Trieb zur Wahrheit aufkommen
konnte. Sie sind tief eingetaucht in Illusionen und Traumbilder, ihr Auge
gleitet nur auf der Oberfläche der Dinge herum und sieht "Formen", ihre
Empfindung führt nirgends in die Wahrheit, sondern begnügt sich, Reize
zu empfangen und gleichsam ein tastendes Spiel auf dem Rücken der Dinge zu
spielen. Dazu läßt sich der Mensch nachts, ein Leben hindurch, im
Traume belügen, ohne daß sein moralisches Gefühl dies je zu
verhindern suchte: während es Menschen geben soll, die durch starken Willen
das Schnarchen beseitigt haben. Was weiß der Mensch eigentlich von sich
selbst! Ja, vermöchte er auch nur sich einmal vollständig, hingelegt
wie in einen erleuchteten Glaskasten, zu perzipieren? Verschweigt die Natur ihm
nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von
den Windungen der Gedärme, dem raschen Fluß der Blutströme, den
verwickelten Fasererzitterungen, in ein stolzes, gauklerisches Bewußtsein
zu bannen und einzuschließen! Sie warf den Schlüssel weg: und wehe
der verhängnisvollen Neubegier, die durch eine Spalte einmal aus dem
Bewußtseinszimmer heraus und hinabzusehen vermöchte, und die jetzt
ahnte, daß auf dem Erbarmungslosen, dem Gierigen, dem Unersättlichen,
dem Mörderischen der Mensch ruht, in der Gleichgültigkeit seines
Nichtwissens, und gleichsam auf dem Rücken eines Tigers in Träumen
hängend. Woher, in aller Welt, bei dieser Konstellation der Trieb zur
Wahrheit!
Soweit das Individuum sich, gegenüber
andern Individuen, erhalten will, benutzt es in einem natürlichen Zustand
der Dinge den Intellekt zumeist nur zur Verstellung: weil aber der Mensch
zugleich aus Not und Langeweile gesellschaftlich und herdenweise existieren
will, braucht er einen Friedensschluß und trachtet danach, daß
wenigstens das allergrößte bellum omnium contra omnes aus seiner Welt
verschwinde. Dieser Friedensschluß bringt etwas mit sich, was wie der
erste Schritt zur Erlangung jenes rätselhaften Wahrheitstriebes aussieht.
Jetzt wird nämlich das fixiert, was von nun an "Wahrheit" sein soll, das
heißt, es wird eine gleichmäßig gültige und verbindliche
Bezeichnung der Dinge erfunden, und die Gesetzgebung der Sprache gibt auch die
ersten Gesetze der Wahrheit: denn es entsteht hier zum ersten Male der Kontrast
von Wahrheit und Lüge. Der Lügner gebraucht die gültigen
Bezeichnungen, die Worte, um das Unwirkliche als wirklich erscheinen zu machen;
er sagt zum Beispiel: "ich bin reich", während für seinen Zustand
gerade "arm" die richtige Bezeichnung wäre. Er mißbraucht die festen
Konventionen durch beliebige Vertauschungen oder gar Umkehrungen der Namen. Wenn
er dies in eigennütziger und übrigens Schaden bringender Weise tut, so
wird ihm die Gesellschaft nicht mehr trauen und ihn dadurch von sich
ausschließen. Die Menschen fliehen dabei das Betrogenwerden nicht so sehr
als das Beschädigtwerden durch Betrug: sie hassen, auch auf dieser Stufe,
im Grunde nicht die Täuschung, sondern die schlimmen, feindseligen Folgen
gewisser Gattungen von Täuschungen. In einem ähnlichen
beschränkten Sinne will der Mensch auch nur die Wahrheit: er begehrt die
angenehmen, Leben erhaltenden Folgen der Wahrheit, gegen die reine folgenlose
Erkenntnis ist er gleichgültig, gegen die vielleicht schädlichen und
zerstörenden Wahrheiten sogar feindlich gestimmt. Und überdies: wie
steht es mit jenen Konventionen der Sprache? Sind sie vielleicht Erzeugnisse der
Erkenntnis, des Wahrheitssinnes, decken sich die Bezeichnungen und die Dinge?
Ist die Sprache der adäquate Ausdruck aller
Realitäten?
Nur durch Vergeßlichkeit kann der
Mensch je dazu kommen zu wähnen, er besitze eine "Wahrheit" in dem eben
bezeichneten Grade. Wenn er sich nicht mit der Wahrheit in der Form der
Tautologie, das heißt mit leeren Hülsen begnügen will, so wird
er ewig Illusionen für Wahrheiten einhandeln. Was ist ein Wort? Die
Abbildung eines Nervenreizes in Lauten. Von dem Nervenreiz aber
weiterzuschließen auf eine Ursache außer uns, ist bereits das
Resultat einer falschen und unberechtigten Anwendung des Satzes vom Grunde. Wie
dürften wir, wenn die Wahrheit bei der Genesis der Sprache, der
Gesichtspunkt der Gewißheit bei den Bezeichnungen allein entscheidend
gewesen wäre, wie dürften wir doch sagen: der Stein ist hart: als ob
uns "hart" noch sonst bekannt wäre, und nicht nur als eine ganz subjektive
Reizung! Wir teilen die Dinge nach Geschlechtern ein, wir bezeichnen den Baum
als männlich, die Pflanze als weiblich: welche willkürlichen
Übertragungen! Wie weit hinausgeflogen über den Kanon der
Gewißheit! Wir reden von einer "Schlange": die Bezeichnung trifft nichts
als das Sichwinden, könnte also auch dem Wurme zukommen. Welche
willkürlichen Abgrenzungen, welche einseitigen Bevorzugungen bald der bald
jener Eigenschaft eines Dinges! Die verschiedenen Sprachen, nebeneinander
gestellt, zeigen, daß es bei den Worten nie auf die Wahrheit, nie auf
einen adäquaten Ausdruck ankommt: denn sonst gäbe es nicht so viele
Sprachen. Das "Ding an sich" (das würde eben die reine folgenlose Wahrheit
sein) ist auch dem Sprachbildner ganz unfaßlich und ganz und gar nicht
erstrebenswert. Er bezeichnet nur die Relationen der Dinge zu den Menschen und
nimmt zu deren Ausdrucke die kühnsten Metaphern zu Hilfe. Ein Nervenreiz,
zuerst übertragen in ein Bild! Erste Metapher. Das Bild wieder nachgeformt
in einem Laut! Zweite Metapher. Und jedesmal vollständiges
Überspringen der Sphäre, mitten hinein in eine ganz andre und neue.
Man kann sich einen Menschen denken, der ganz taub ist und nie eine Empfindung
des Tones und der Musik gehabt hat: wie dieser etwa die chladnischen
Klangfiguren im Sande anstaunt, ihre Ursachen im Erzittern der Saite findet und
nun darauf schwören wird, jetzt müsse er wissen, was die Menschen den
"Ton" nennen, so geht es uns allen mit der Sprache. Wir glauben etwas von den
Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen
reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den
ursprünglichen Wesenheiten ganz und gar nicht entsprechen. Wie der Ton als
Sandfigur, so nimmt sich das rätselhafte X des Dings an sich einmal als
Nervenreiz, dann als Bild, endlich als Laut aus. Logisch geht es also jedenfalls
nicht bei der Entstehung der Sprache zu, und das ganze Material, worin und womit
später der Mensch der Wahrheit, der Forscher, der Philosoph arbeitet und
baut, stammt, wenn nicht aus Wolkenkuckucksheim, so doch jedenfalls nicht aus
dem Wesen der Dinge.
Denken wir besonders noch an die Bildung
der Begriffe. Jedes Wort wird sofort dadurch Begriff, daß es eben nicht
für das einmalige ganz und gar individualisierte Urerlebnis, dem es sein
Entstehen verdankt, etwa als Erinnerung dienen soll, sondern zugleich für
zahllose, mehr oder weniger ähnliche, daß heißt streng genommen
niemals gleiche, also auf lauter ungleiche Fälle passen muß. Jeder
Begriff entsteht durch Gleichsetzen des Nichtgleichen. So gewiß nie ein
Blatt einem andern ganz gleich ist, so gewiß ist der Begriff Blatt durch
beliebiges Fallenlassen dieser individuellen Verschiedenheiten, durch ein
Vergessen des Unterscheidenden gebildet und erweckt nun die Vorstellung, als ob
es in der Natur außer den Blättern etwas gäbe, das "Blatt"
wäre, etwa eine Urform, nach der alle Blätter gewebt, gezeichnet,
abgezirkelt, gefärbt, gekräuselt, bemalt wären, aber von
ungeschickten Händen, so daß kein Exemplar korrekt und
zuverlässig als treues Abbild der Urform ausgefallen wäre. Wir nennen
einen Menschen "ehrlich". warum hat er heute so ehrlich gehandelt? fragen wir.
Unsere Antwort pflegt zu lauten: seiner Ehrlichkeit wegen. Die Ehrlichkeit! Das
heißt wieder: das Blatt ist die Ursache der Blätter. Wir wissen ja
gar nichts von einer wesenhaften Qualität, die "die Ehrlichkeit"
hieße, wohl aber von zahlreichen individualisierten, somit ungleichen
Handlungen, die wir durch Weglassen des Ungleichen gleichsetzen und jetzt als
ehrliche Handlungen bezeichnen; zuletzt formulieren wir aus ihnen eine qualitas
occulta mit dem Namen: "die Ehrlichkeit". Das Übersehen des Individuellen
und Wirklichen gibt uns den Begriff, wie es uns auch die Form gibt, wohingegen
die Natur keine Formen und Begriffe, also auch keine Gattungen kennt, sondern
nur ein für uns unzugängliches und undefinierbares X. Denn auch unser
Gegensatz von Individuum und Gattung ist anthropomorphisch und entstammt nicht
dem Wesen der Dinge, wenn wir auch nicht zu sagen wagen, daß er ihm nicht
entspricht: das wäre nämlich eine dogmatische Behauptung und als
solche ebenso unerweislich wie ihr Gegenteil.
Was ist also Wahrheit? Ein bewegliches Heer
von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen
Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen,
geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch
und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man
vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich
kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als
Metall, nicht mehr als Münzen, in Betracht kommen.
Wir wissen immer noch nicht, woher der
Trieb zur Wahrheit stammt: denn bis jetzt haben wir nur von der Verpflichtung
gehört, die die Gesellschaft, um zu existieren, stellt: wahrhaft zu sein,
das heißt die usuellen Metaphern zu brauchen, also moralisch
ausgedrückt: von der Verpflichtung, nach einer festen Konvention zu
lügen, herdenweise in einem für alle verbindlichen Stile zu
lügen. Nun vergißt freilich der Mensch, daß es so mit ihm
steht; er lügt also in der bezeichneten Weise unbewußt und nach
hundertjährigen Gewöhnungen - und kommt eben durch diese
Unbewußtheit, eben durch dies Vergessen zum Gefühl der Wahrheit. An
dem Gefühl verpflichtet zu sein, ein Ding als "rot", ein anderes als
"kalt", ein drittes als "stumm" zu bezeichnen, erwacht eine moralische auf
Wahrheit sich beziehende Regung: aus dem Gegensatz des Lügners, dem niemand
traut, den alle ausschließen, demonstriert sich der Mensch das
Ehrwürdige, Zutrauliche und Nützliche der Wahrheit. Er stellt jetzt
sein Handeln als "vernünftiges" Wesen unter die Herrschaft der
Abstraktionen; er leidet es nicht mehr, durch die plötzlichen
Eindrücke, durch die Anschauungen fortgerissen zu werden, er
verallgemeinert alle diese Eindrücke erst zu entfärbteren,
kühleren Begriffen, um an sie das Fahrzeug seines Lebens und Handelns
anzuknüpfen. Alles, was den Menschen gegen das Tier abhebt, hängt von
dieser Fähigkeit ab, die anschaulichen Metaphern zu einem Schema zu
verflüchtigen, also ein Bild in einen Begriff aufzulösen. Im Bereich
jener Schemata nämlich ist etwas möglich, was niemals unter den
anschaulichen ersten Eindrücken gelingen möchte: eine pyramidale
Ordnung nach Kasten und Graden aufzubauen, eine neue Welt von Gesetzen,
Privilegien, Unterordnungen, Grenzbestimmungen zu schaffen, die nun der andern
anschaulichen Welt der ersten Eindrücke gegenübertritt, als das
Festere, Allgemeinere, Bekanntere, Menschlichere und daher als das Regulierende
und Imperativische. Während jede Anschauungsmetapher individuell und ohne
ihresgleichen ist und deshalb allem Rubrizieren immer zu entfliehen weiß,
zeigt der große Bau der Begriffe die starre Regelmäßigkeit
eines römischen Kolumbariums und atmet in der Logik jene Strenge und
Kühle aus, die der Mathematik zu eigen ist. Wer von dieser Kühle
angehaucht wird, wird es kaum glauben, daß auch der Begriff, knöchern
und achteckig wie ein Würfel und versetzbar wie jener, doch nur als das
Residuum einer Metapher übrig bleibt, und daß die Illusion der
künstlerischen Übertragung eines Nervenreizes in Bilder, wenn nicht
die Mutter, so doch die Großmutter eines jeden Begriffs ist. Innerhalb
dieses Würfelspiels der Begriffe heißt aber "Wahrheit'", jeden
Würfel so zu gebrauchen, wie er bezeichnet ist, genau seine Augen zu
zählen, richtige Rubriken zu bilden und nie gegen die Kastenordnung und
gegen die Reihenfolge der Rangklassen zu verstoßen. Wie die Römer und
Etrusker sich den Himmel durch starre mathematische Linien zerschnitten und in
einen solchermaßen abgegrenzten Raum, als in ein templum, einen Gott
bannten, so hat jedes Volk über sich einen solchen mathematisch zerteilten
Begriffshimmel und versteht nun unter der Forderung der Wahrheit, daß
jeder Begriffsgott nur in seiner Sphäre gesucht werde. Man darf hier den
Menschen wohl bewundern als ein gewaltiges Baugenie, dem auf beweglichen
Fundamenten und gleichsam auf fließendem Wasser das Auftürmen eines
unendlich komplizierten Begriffsdomes gelingt: - freilich, um auf solchen
Fundamenten Halt zu finden, muß es ein Bau wie aus Spinnefäden sein,
so zart, um von der Welle mit fortgetragen, so fest, um nicht von jedem Winde
auseinandergeblasen zu werden. Als Baugenie erhebt sich solchermaßen der
Mensch weit über die Biene: diese baut aus Wachs, das sie aus der Natur
zusammenholt, er aus dem weit zarteren Stoffe der Begriffe, die er erst aus sich
fabrizieren muß. Er ist hier sehr zu bewundern - aber nur nicht wegen
seines Triebes zur Wahrheit, zum reinen Erkennen der Dinge. Wenn jemand ein Ding
hinter einem Busche versteckt, es ebendort wieder sucht und auch findet, so ist
an diesem Suchen und Finden nicht viel zu rühmen: so aber steht es mit dem
Suchen und Finden der "Wahrheit" innerhalb des Vernunft-Bezirkes. Wenn ich die
Definition des Säugetiers mache und dann erkläre, nach Besichtigung
eines Kamels: "siehe, ein Säugetier", so wird damit eine Wahrheit zwar ans
Licht gebracht, aber sie ist von begrenztem Werte, ich meine, sie ist durch und
durch anthropomorphisch und enthält keinen einzigen Punkt, der "wahr an
sich", wirklich und allgemeingültig, abgesehn von dem Menschen, wäre.
Der Forscher nach solchen Wahrheiten sucht im Grunde nur die Metamorphose der
Welt in den Menschen, er ringt nach einem Verstehen der Welt als eines
menschenartigen Dinges und erkämpft sich bestenfalls das Gefühl einer
Assimilation. Ähnlich wie der Astrolog die Sterne im Dienste der Menschen
und im Zusammenhange mit ihrem Glück und Leide betrachtete, so betrachtet
ein solcher Forscher die ganze Welt als geknüpft an den Menschen, als den
unendlich gebrochenen Widerklang eines Urklanges, des Menschen, als das
vervielfältigte Abbild des einen Urbildes, des Menschen. Sein V erfahren
ist, den Menschen als Maß an alle Dinge zu halten: wobei er aber von dem
Irrtum ausgeht, zu glauben, er habe diese Dinge unmittelbar, als reine Objekte
vor sich. Er vergißt also die originalen Anschauungsmetaphern als
Metaphern und nimmt sie als die Dinge selbst.
Nur durch das Vergessen jener primitiven
Metapherwelt, nur durch das Hart- und Starrwerden einer ursprünglichen in
hitziger Flüssigkeit aus dem Urvermögen menschlicher Phantasie
hervorströmenden Bildermasse, nur durch den unbesiegbaren Glauben, diese
Sonne, dieses Fenster, dieser Tisch sei eine Wahrheit an sich, kurz nur dadurch,
daß der Mensch sich als Subjekt, und zwar als künstlerisch
schaffendes Subjekt, vergißt, lebt er mit einiger Ruhe, Sicherheit und
Konsequenz: wenn er einen Augenblick nur aus den Gefängniswänden
dieses Glaubens heraus könnte, so wäre es sofort mit seinem
"Selbstbewußtsein" vorbei. Schon dies kostet ihm Mühe, sich
einzugestehen, wie das Insekt oder der Vogel eine ganz andere Welt perzipieren
als der Mensch, und daß die Frage, welche von beiden Weltperzeptionen
richtiger ist, eine ganz sinnlose ist, da hierzu bereits mit dem Maßstabe
der richtigen Perzeption, das heißt mit einem nicht vorhandenen
Maßstabe gemessen werden müßte. Überhaupt aber scheint mir
"die richtige Perzeption" - das würde heißen: der adäquate
Ausdruck eines Objekts im Subjekt - ein widerspruchsvolles Unding: denn zwischen
zwei absolut verschiednen Sphären, wie zwischen Subjekt und Objekt, gibt es
keine Kausalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern
höchstens ein ästhetisches Verhalten, ich meine eine andeutende
Übertragung, eine nachstammelnde Übersetzung in eine ganz fremde
Sprache: wozu es aber jedenfalls einer frei dichtenden und frei erfindenden
Mittelsphäre und Mittelkraft bedarf. Das Wort "Erscheinung" enthält
viele Verführungen, weshalb ich es möglichst vermeide: denn es ist
nicht wahr, daß das Wesen der Dinge in der empirischen Welt erscheint. Ein
Maler, dem die Hände fehlen und der durch Gesang das ihm vorschwebende Bild
ausdrücken wollte, wird immer noch mehr bei dieser Vertauschung der
Sphären verraten, als die empirische Welt vom Wesen der Dinge verrät.
Selbst das Verhältnis eines Nervenreizes zu dem hervorgebrachten Bilde ist
an sich kein notwendiges: wenn aber dasselbe Bild millionenmal hervorgebracht
und durch viele Menschengeschlechter hindurch vererbt ist, ja zuletzt bei der
gesamten Menschheit jedesmal infolge desselben Anlasses erscheint, so bekommt es
endlich für den Menschen dieselbe Bedeutung, als ob es das einzig
notwendige Bild sei und als ob jenes Verhältnis des ursprünglichen
Nervenreizes zu dem hergebrachten Bilde ein strenges
Kausalitätsverhältnis sei; wie ein Traum, ewig wiederholt, durchaus
als Wirklichkeit empfunden und beurteilt werden würde. Aber das Hart- und
Starr-Werden einer Metapher verbürgt durchaus nichts für die
Notwendigkeit und ausschließliche Berechtigung dieser
Metapher.
Es hat gewiß jeder Mensch, der in
solchen Betrachtungen heimisch ist, gegen jeden derartigen Idealismus ein tiefes
Mißtrauen empfunden, so oft er sich einmal recht deutlich von der ewigen
Konsequenz, Allgegenwärtigkeit und Unfehlbarkeit der Naturgesetze
überzeugte; er hat den Schluß gemacht: hier ist alles, soweit wir
dringen, nach der Höhe der teleskopischen und nach der Tiefe der
mikroskopischen Welt, so sicher, ausgebaut, endlos, gesetzmäßig und
ohne Lücken; die Wissenschaft wird ewig in diesen Schachten mit Erfolg zu
graben haben, und alles Gefundene wird zusammenstimmen und sich nicht
widersprechen. Wie wenig gleicht dies einem Phantasieerzeugnis: denn wenn es
dies wäre, müßte es doch irgendwo den Schein und die
Unrealität erraten lassen. Dagegen ist einmal zu sagen: hätten wir
noch, jeder für sich, eine verschiedenartige Sinnesempfindung, könnten
wir selbst nur bald als Vogel, bald als Wurm, bald als Pflanze perzipieren, oder
sähe der eine von uns denselben Reiz als rot, der andere als blau,
hörte ein dritter ihn sogar als Ton, so würde niemand von einer
solchen Gesetzmäßigkeit der Natur reden, sondern sie nur als ein
höchst subjektives Gebilde begreifen. Sodann: was ist für uns
überhaupt ein Naturgesetz? Es ist uns nicht an sich bekannt, sondern nur in
seinen Wirkungen, das heißt in seinen Relationen zu andern Naturgesetzen,
die uns wieder nur als Summen von Relationen bekannt sind. Also verweisen alle
diese Relationen immer nur wieder aufeinander und sind uns ihrem Wesen nach
unverständlich durch und durch; nur das, was wir hinzubringen, die Zeit,
der Raum, also Sukzessionsverhältnisse und Zahlen, sind uns wirklich daran
bekannt. Alles Wunderbare aber, das wir gerade an den Naturgesetzen anstaunen,
das unsere Erklärung fordert und uns zum Mißtrauen gegen den
Idealismus verführen könnte, liegt gerade und ganz allein nur in der
mathematischen Strenge und Unverbrüchlichkeit der Zeit- und
Raum-Vorstellungen. Diese aber produzieren wir in uns und aus uns mit jener
Notwendigkeit, mit der die Spinne spinnt; wenn wir gezwungen sind, alle Dinge
nur unter diesen Formen zu begreifen, so ist es dann nicht mehr wunderbar,
daß wir an allen Dingen eigentlich nur eben diese Formen begreifen: denn
sie alle müssen die Gesetze der Zahl an sich tragen, und die Zahl gerade
ist das Erstaunlichste in den Dingen. Alle Gesetzmäßigkeit, die uns
im Sternenlauf und im chemischen Prozeß so imponiert, fällt im Grunde
mit jenen Eigenschaften zusammen, die wir selbst an die Dinge heranbringen, so
daß wir damit uns selber imponieren. Dabei ergibt sich allerdings,
daß jene künstlerische Metapherbildung, mit der in uns jede
Empfindung beginnt, bereits jene Formen voraussetzt, also in ihnen vollzogen
wird; nur aus dem festen Verharren dieser Urformen erklärt sich die
Möglichkeit, wie nachher wieder aus den Metaphern selbst ein Bau der
Begriffe konstituiert werden konnte. Dieser ist nämlich eine Nachahmung der
Zeit-, Raum- und Zahlenverhältnisse auf dem Boden der
Metaphern.
2
An dem Bau der Begriffe arbeitet
ursprünglich, wie wir sahen, die Sprache , in späteren Zeiten die
Wissenschaft. Wie die Biene zugleich an den Zellen baut und die Zellen mit Honig
füllt, so arbeitet die Wissenschaft unaufhaltsam an jenem großen
Kolumbarium der Begriffe, der Begräbnisstätte der Anschauungen, baut
immer neue und höhere Stockwerke, stützt, reinigt, erneut die alten
Zellen und ist vor allem bemüht, jenes ins Ungeheure aufgetürmte
Fachwerk zu füllen und die ganze empirische Welt, das heißt die
anthropomorphische Welt, hineinzuordnen. Wenn schon der handelnde Mensch sein
Leben an die Vernunft und ihre Begriffe bindet, um nicht fortgeschwemmt zu
werden und sich nicht selbst zu verlieren, so baut der Forscher seine Hütte
dicht an den Turmbau der Wissenschaft, um an ihm mithelfen zu können und
selbst Schutz unter dem vorhandenen Bollwerk zu finden. Und Schutz braucht er:
denn es gibt furchtbare Mächte, die fortwährend auf ihn eindringen und
die der wissenschaftlichen "Wahrheit" ganz anders geartete "Wahrheiten" mit den
verschiedenartigsten Schildzeichen entgegenhalten.
Jener Trieb zur Metapherbildung, jener
Fundamentaltrieb des Menschen, den man keinen Augenblick wegrechnen kann, weil
man damit den Menschen selbst wegrechnen würde, ist dadurch, daß aus
seinen verflüchtigten Erzeugnissen, den Begriffen, eine reguläre und
starre neue Welt als eine Zwingburg für ihn gebaut wird, in Wahrheit nicht
bezwungen und kaum gebändigt. Er sucht sich ein neues Bereich seines
Wirkens und ein anderes Flußbette und findet es im Mythus und
überhaupt in der Kunst. Fortwährend verwirrt er die Rubriken und
Zellen der Begriffe, dadurch daß er neue Übertragungen, Metaphern,
Metonymien hinstellt, fortwährend zeigt er die Begierde, die vorhandene
Welt des wachen Menschen so bunt unregelmäßig, folgenlos
unzusammenhängend, reizvoll und ewig neu zu gestalten, wie es die Welt des
Traumes ist. An sich ist ja der wache Mensch nur durch das starre und
regelmäßige Begriffsgespinst darüber im klaren, daß er
wache, und kommt eben deshalb mitunter in den Glauben, er träume, wenn
jenes Begriffsgespinst einmal durch die Kunst zerrissen wird. Pascal hat recht,
wenn er behauptet, daß wir, wenn uns jede Nacht derselbe Traum käme,
davon ebenso beschäftigt würden als von den Dingen, die wir jeden Tag
sehen: "wenn ein Handwerker gewiß wäre, jede Nacht zu träumen,
volle zwölf Stunden hindurch, daß er König sei, so glaube ich,
sagt Pascal, daß er ebenso glücklich wäre als ein König,
welcher alle Nächte während zwölf Stunden träumte, er sei
Handwerker". Der wache Tag eines mythisch erregten Volkes, etwa der älteren
Griechen, ist durch das fortwährend wirkende Wunder, wie es der Mythus
annimmt, in der Tat dem Traume ähnlicher als dem Tag des wissenschaftlich
ernüchterten Denkers. Wenn jeder Baum einmal als Nymphe reden oder unter
der Hülle eines Stieres ein Gott Jungfrauen wegschleppen kann, wenn die
Göttin Athene selbst plötzlich gesehn wird, wie sie mit einem
schönen Gespann, in der Begleitung des Pisistratus, durch die Märkte
Athens fährt - und das glaubte der ehrliche Athener -, so ist in jedem
Augenblicke, wie im Traume, alles möglich, und die ganze Natur
umschwärmt den Menschen, als ob sie nur die Maskerade der Götter
wäre, die sich nur einen Scherz daraus machten, in allen Gestalten den
Menschen zu täuschen.
Der Mensch selbst aber hat einen
unbesiegbaren Hang, sich täuschen zu lassen, und ist wie bezaubert vor
Glück, wenn der Rhapsode ihm epische Märchen wie wahr erzählt
oder der Schauspieler im Schauspiel den König noch königlicher agiert,
als ihn die Wirklichkeit zeigt. Der Intellekt, jener Meister der Verstellung,
ist so lange frei und seinem sonstigen Sklavendienste enthoben, als er
täuschen kann, ohne zu schaden, und feiert dann seine Saturnalien. Nie ist
er üppiger, reicher, stolzer, gewandter und verwegener: mit
schöpferischem Behagen wirft er die Metaphern durcheinander und
verrückt die Grenzsteine der Abstraktionen, so daß er zum Beispiel
den Strom als den beweglichen Weg bezeichnet, der den Menschen trägt,
dorthin, wohin er sonst geht. Jetzt hat er das Zeichen der Dienstbarkeit von
sich geworfen: sonst mit trübsinniger Geschäftigkeit bemüht,
einem armen Individuum, dem es nach Dasein gelüstet, den Weg und die
Werkzeuge zu zeigen, und wie ein Diener für seinen Herrn auf Raub und Beute
ausziehend, ist er jetzt zum Herrn geworden und darf den Ausdruck der
Bedürftigkeit aus seinen Mienen wegwischen. Was er jetzt auch tut, alles
trägt im Vergleich mit seinem früheren Tun die Verstellung, wie das
frühere die Verzerrung an sich. Er kopiert das Menschenleben, nimmt es aber
für eine gute Sache und scheint mit ihm sich recht zufrieden zu geben.
Jenes ungeheure Gebälk und Bretterwerk der Begriffe, an das sich klammernd
der bedürftige Mensch sich durch das Leben rettet, ist dem freigewordnen
Intellekt nur ein Gerüst und ein Spielzeug für seine verwegensten
Kunststücke: und wenn er es zerschlägt, durcheinanderwirft, ironisch
wieder zusammensetzt, das Fremdeste paarend und das Nächste trennend, so
offenbart er, daß er jene Notbehelfe der Bedürftigkeit nicht braucht
und daß er jetzt nicht von Begriffen, sondern von Intuitionen geleitet
wird. Von diesen Intuitionen aus führt kein regelmäßiger Weg in
das Land der gespenstischen Schemata, der Abstraktionen: für sie ist das
Wort nicht gemacht, der Mensch verstummt, wenn er sie sieht, oder redet in
lauter verbotenen Metaphern und unerhörten Begriffsfügungen, um
wenigstens durch das Zertrümmern und Verhöhnen der alten
Begriffsschranken dem Eindrucke der mächtigen gegenwärtigen Intuition
schöpferisch zu entsprechen.
Es gibt Zeitalter, in denen der
vernünftige Mensch und der intuitive Mensch nebeneinander stehn, der eine
in Angst vor der Intuition, der andere mit Hohn über die Abstraktion; der
letztere ebenso unvernünftig, als der erstere unkünstlerisch ist.
Beide begehren über das Leben zu herrschen: dieser, indem er durch
Vorsorge, Klugheit, Regelmäßigkeit den hauptsächlichsten
Nöten zu begegnen weiß, jener, indem er als ein ,"überfroher
Held" jene Nöte nicht sieht und nur das zum Schein und zur Schönheit
verstellte Leben als real nimmt. Wo einmal der intuitive Mensch, etwa wie im
älteren Griechenland, seine Waffen gewaltiger und siegreicher führt
als sein Widerspiel, kann sich günstigenfalls eine Kultur gestalten und die
Herrschaft der Kunst über das Leben sich gründen: jene Verstellung,
jenes Verleugnen der Bedürftigkeit, jener Glanz der metaphorischen
Anschauungen und überhaupt jene Unmittelbarkeit der Täuschung
begleitet alle Äußerungen eines solchen Lebens. Weder das Haus, noch
der Schritt, noch die Kleidung, noch der tönerne Krug verraten, daß
die Notdurft sie erfand: es scheint so, als ob in ihnen allen ein erhabenes
Glück und eine olympische Wolkenlosigkeit und gleichsam ein Spielen mit dem
Ernste ausgesprochen werden sollte. Während der von Begriffen und
Abstraktionen geleitete Mensch durch diese das Unglück nur abwehrt, ohne
selbst aus den Abstraktionen sich Glück zu erzwingen, während er nach
möglichster Freiheit von Schmerzen trachtet, erntet der intuitive Mensch,
inmitten einer Kultur stehend, bereits von seinen Intuitionen, außer der
Abwehr des Übels, eine fortwährend einströmende Erhellung,
Aufheiterung, Erlösung. Freilich leidet er heftiger, wenn er leidet: ja er
leidet auch öfter, weil er aus der Erfahrung nicht zu lernen versteht und
immer wieder in dieselbe Grube fällt, in die er einmal gefallen. Im Leide
ist er dann ebenso unvernünftig wie im Glück, er schreit laut und hat
keinen Trost. Wie anders steht unter dem gleichen Mißgeschick der
stoische, an der Erfahrung belehrte, durch Begriffe sich beherrschende Mensch
da! Er, der sonst nur Aufrichtigkeit, Wahrheit, Freiheit von Täuschungen
und Schutz vor berückenden Überfällen sucht, legt jetzt, im
Unglück, das Meisterstück der Verstellung ab, wie jener im Glück;
er trägt kein zuckendes und bewegliches Menschengesicht, sondern gleichsam
eine Maske mit würdigem Gleichmaße der Züge, er schreit nicht
und verändert nicht einmal seine Stimme, wenn eine rechte Wetterwolke sich
über ihn ausgießt, so hüllt er sich in seinen Mantel und geht
langsamen Schrittes unter ihr davon.
14.6. A Day in the Life of Brahma
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Britannica: Hinduism: Myths of time and eternity.
The oldest texts speak little of time and
eternity. It is taken for granted that the gods, though born, are immortal; they
are called "sons of Immortality." In the Atharvaveda, Time appears personified
as creator and ruler of everything. In the Brahmanas and later Vedic texts there
are repeated esoteric speculations concerning the year, which is the unit of
creation and thus is identified with the creative and regenerative sacrifice and
with Prajapati ("Lord of Creatures"), the god of the sacrifice. Time is an
endless repetition of the year, and thus of creation; this is the starting point
of later notions of repeated creations.
Puranic myths develop around the notion of
yuga (world age), of which there are four. These four yugas, Krta, Treta,
Dvapara, and Kali--they are named after the four throws, from best to worst, in
a dice game--constitute a mahayuga (large yuga), and, like the comparable ages
of the world depicted by the Greek poet Hesiod, are periods of increasing
deterioration. Time itself also deteriorates, for the ages are successively
shorter. Each yuga is preceded by an intermediate "dawn" and "dusk." The Krta
Yuga lasts 4,000 years, with a dawn and dusk of 400 years each, or a total of
4,800 years; Treta a total of 3,600 years; Dvapara 2,400 years; and Kali (the
current one), 1,200
years.
[220] A
mahayuga thus lasts 12,000
years
[221] and
observes the usual coefficient of 12, derived from the 12-month year, the unit
of creation. These years are "years of the gods," each lasting 360 human years,
360 being the days in a year. Two thousand mahayugas form one kalpa
(eon),
[222] which
is itself but one day in the life of Brahma, whose full life lasts 100 years;
the present is the midpoint of his life. Each kalpa is followed by an equally
long period of abeyance (pralaya), in which the universe is asleep. Seemingly
the universe will come to an end at the end of Brahma's life, but Brahmas too
are innumerable, and a new universe is reborn with each new
Brahma.
Another myth lays particular stress on the
destructive aspect of time. Everything dies in time: "Time ripens the creatures,
Time rots them" (Mahabharata
1.1.188).
[223]
"Time" (kala) is thus another name for the god of death, Yama. The name is
associated especially with Shiva in his destructive aspect as Mahakala and is
extended to his consort, who may be known as the goddess Kali or Mahakali. On a
mythological level the speculations on time reflect the doctrine of the eternal
return in the philosophy of transmigration. The universe returns just as, after
death, a soul returns to be born again. In the oldest description of the process
(Chandogya Upanishad 5.3.1.-5.3.10), the account is still mythic, but with
tendencies to naturalism. The soul on departing may go either of two ways: the
Way of the Gods, which brings it through days, bright fortnights, the half year
of the northern course of the Sun, to the full year, and eventually to brahman;
or the Way of the Ancestors, through nights, dark fortnights, the half year of
the southern course of the Sun, and, failing to reach the full year, eventually
back to Earth clinging to raindrops. If the soul happens to light on a plant
that is subsequently eaten by a man, the man may impregnate a woman and thus the
soul is reborn. Once more the significance of the year as a symbol of complete
time is clear.
[201] Eigentlich sind es
drei verschiedene Titel: Brahma, Shiva, Vishnu, aber das ist hier nicht so
wichtig. Zum Weiter-Vorarbeiten in unergründliche mythologische Tiefen kann
man bei Dechend (1993: 385) anfangen.
[202] Hesiodos: ex archaes,
hoti proton genet auton, eirousai ta t' eonta ta t' essomena pro t'
eonta.
[203] Nach heutigen
kosmologischen Theorien etwa das Alter des Universums der jetzigen kosmischen
Epoche.
[207] Tertullian: Credo
quia absurdum.
[208] Ist der Bann erst
rund, nennt man's einen Bund.
[210] Dechend (1993: 372,
21) Wenn Vishnu wacht, bewegt sich das Universum rechtsläufig, wenn Vishnu
schläft, bewegt es sich linksläufig.
[212] Der Komplex der
distributiven Intelligenz wird noch näher behandelt unter:
->:
TERTIUM_DATUR, p. 63
[213] Nach anderer
Interpretation sind es 8,624,000,000 Solar-Jahre.
[214] Man möge sich
zum Vergleich die erfrischende Naivität eines Denkens dagegenhalten, das
wie im Seti-Projekt von Sagan stillschweigend annimmt, daß Intelligenz
notwendigerweise in demselben meso-kosmischen Bezugsrahmen auftreten muß,
wie unserer. Was ist, wenn die Intelligenz keinerlei intrinsischen Grund hat,
sich an solche mickrigen Maßstäbe zu halten?
[215] Dechend (1993: 251
ff.): "Der große Pan ist tot".
[216] Der Untergang des
Ägyptischen Alten Reiches, das die Pyramiden errichtet hatte, war nach der
heutigen archäologischen Berechnung vor etwa 4,130 Solar-Jahren. Damit war
das Zeitalter der Gott-Könige beendet. 4,320 Jahre ist ungefähr das
Alter der letzten Pyramide, die je gebaut wurde. Britannica: Mykerinos,
Shepseskaf (c. 2575-c. 2465 BC, die Daten müssen aufgrund von
Unsicherheiten in der Zeitrechnung cum grano salis genommen werden). Das Alter
der bekannten Cheops-Pyramide ist etwa 4680 Jahre.
[219] manthano -> math
-> mundus -> mandala: kreisende Bewegung. (Dechend
1993: 366-369)
[220] = 432,000 Solar-Jahre
~ Alter der Hominiden.
[221] = 4,320,000
Solar-Jahre ~ Alter der Anthropoiden.
[222] = 8,624,000,000
Solar-Jahre = 1 Tag im Leben Brahmas. ~ 1/2 Alter des Universums.
S.a. McClain (1978: 73-93).